Wenn es Politik an Einsicht mangelt

Diesen Tag wird man sich merken müssen, als sich die Politik eines Bundeslandes mitten in Deutschland um jedes Ansehen taktierte. Sicher, die Wähler haben den Parteien mit dem Thüringer Wahlergebnis im Herbst letzten Jahres eine nahezu unlösbare Aufgabe gestellt. Jede nur denkbare Koalitionsoption wurde durch die Stimmenanteile pulverisiert und die Lösung hätte nur in den Alternativen bestanden, Unvereinbares miteinander zu vereinbaren oder Neuwahlen anzustreben. Beides hätte am Ende zur Frage geführt, was das eigentlich soll. Wozu sind Wahlen da, wenn nicht zur Richtungsentscheidung? Wenn es die Bürger nicht schaffen, einer der vielen möglichen Regierungsmöglichkeiten eine Mehrheit zu verschaffen, dann sollten sie die Vergabe des Mandats überdenken.

Man kann nicht behaupten, die Landesparteien hätten sich bei den monatelangen Verhandlungen mit Ruhm bekleckert. Allen voran die die Thüringer Christdemokraten gaben ein erbärmliches Bild ab, sie wollten mit jedem regieren, nur war nie klar mit wem. Auf der anderen Seite stand ein beliebter Ministerpräsident der LINKEN als strahlender Wahlsieger und doch Gescheiterter. Sein rot-rot-grünes Bündnis war im Urteil der Bürger gescheitert, die SPD auf einstellige Werte abgestürzt und die sich sonst im Umfrage-Hoch befindlichen Grünen an der eigenen Arroganz fast aus dem Landtag geflogen. Mit einer solchen Koalition war kein Staat zu machen, doch auch hier mangelte es an Einsicht. Das Wahlergebnis ignorierend handelten die Köpfe von R2G über Wochen einen Vertrag aus, also ein Regierungsprogramm, was die drei Parteien eigentlich anstellen wollten, wenn sie denn eine Mehrheit hätten. Was ihnen anscheinend keiner gesagt hatte: sie hatten und haben keine Mehrheit im Landtag zu Erfurt.

Die Landesverfassung gibt dem Ministerpräsidenten weitreichende Vollmachten. Wie in anderen Bundesländern auch konnte Bodo Ramelow so lange geschäftsführend im Amt bleiben, bis sich eine andere parlamentarische Mehrheit finden würde. Das war am Wahlabend auch der ursprüngliche Plan. Doch dann stich viele bei der LINKEN offensichtlich der Hafer. Nachdem verschiedene Ansätze der Zusammenarbeit mit CDU und FDP gescheitert waren, dachte sich der frühere Gewerkschaftssekretär, er könne sich auch ohne Mehrheit wählen lassen. Ein origineller Einfall, fraglos, der noch abenteuerlicher im Angesicht der Verfassungsspielereien wurde. In einem dritten Wahlgang, so wurden die euphorisierten Koalitionäre nicht müde zu betonen, reiche ja auch die relative Mehrheit um einen Politiker zu wählen, der keine eigene Mehrheit erringen könne. Mehr noch: Ramelow und seine Verbündeten stellten sich auf den etwas seltsamen Standpunkt, dass ein Kandidat auch dann gewählt sei, wenn er mehr Nein- als Ja-Stimmen erhalten habe. Hätte sich der LINKEN-Politiker durchgesetzt, wäre es unweigerlich zu einer Verfassungskrise in Thüringen gekommen.

Warum Ramelow ohne politische Not die Neuwahl des Ministerpräsidenten ansetzte, wird auf ewig unverständlich bleiben. Da heute so viel die Rede von Hessen zu Zeiten von Roland Koch und Andrea Ypsilanti ist: bei der Landtagswahl 2003 erreichte die CDU die absolute Mehrheit. Der Konservative aus Eschborn bot dennoch den Liberalen die Fortsetzung der Zusammenarbeit an, was die FDP jedoch mit Verweis auf die Mehrheitsverhältnisse ablehnte. Das war eine logische Folge des Wahlergebnisses, die Parteien nach Möglichkeit ziehen sollten ungeachtet des eigenen Machtstrebens. 2008 verlor Koch krachend in einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit der SPD, nicht zuletzt, weil er versuchte mit der nationalistischen Karte das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden. Anschließend zog sich der Ministerpräsident auf die Rolle der Geschäftsführung zurück und setzte ein Jahr brav die Gesetzesentwürfe der rot-rot-grünen Mehrheit im Wiesbadener Landtag um.

Genau dieses Schicksal fürchtete Ramelow offensichtlich, er wollte eben nicht den Koch machen und setzte in den vergangenen Wochen auf Sieg ohne Mehrheit. Das kann man arrogant nennen. So kam es zu dem schicksalhaften Tag, an dem nicht wenige ohnehin einen Showdown erwarteten. Die bürgerlichen Parteien wollten um jeden Preis eine Fortsetzung der Regierung von Roten und Grünen verhindern. Das ist, ganz klar, legitim, wenn eine solche Konstellation gar keine Mehrheit besitzt. Seit der Wiedervereinigung gab es auf der Linken mehrfach den Fall, dass SPD und Grüne sich auf den Standpunkt stellten, sich könnten ja nicht verhindern, wenn sie auch ungewollt unterstützt würden. So kam z.B. das Magdeburger Modell zustande, wo sich 1994 Reinhard Höppner trotz parlamentarischer Minderheit zum Ministerpräsidenten wählen ließ. Die PDS, die Nachfolgerin der DDR-Staatspartei SED, ermöglichte die Wahl durch Stimmenthaltung. Hernach waren die Parteispitzen von SPD und Grünen befleißigt zu betonen, dass sie keine Zusammenarbeit mit der damals noch geächteten Partei der Mauermörder anstrebten. Zu der Zusammenarbeit kam es dann übergangslos in der Folge doch und sie dauerte 8 Jahre.

Die Uhren im Osten ticken offensichtlich anders. Schon seit Tagen war bekannt, dass die FDP in einem dritten Wahlgang einen eigenen Kandidaten ins Rennen schicken würden. Auch die AfD hatte selbiges angekündigt. Es bleibt mühsig darüber zu spekulieren, ob Thomas Kemmerich in Absprache mit den Rechtsextremisten in Thüringen handelte. Sein Erstaunen in den Sekunden nach Verkündung des Abstimmungsergebnisses legen das nicht nahe. Der Partei von Björn Höcke ist damit ein Coup gelungen, der ob des taktischen Geschicks erstaunt. Umgekehrt muss man den Verantwortlichen von CDU und FDP zumindest politische Naivität unterstellen.

Was soll das für ein Ergebnis sein? Der Spitzenkandidat einer 5 Komma etwas-Partei lässt sich ohne eigene arbeitsfähige Mehrheit zum Regierungschef wählen. Das ist zwar historisch, immerhin stellen die Liberalen nun erst zum zweiten Mal in der Nachkriegsgeschichte den Ministerpräsidenten eines Landes, aber sonst wenig durchdacht. Eine Koalition der Wahlmehrheit aus CDU, FDP und offensichtlich auf AfD kommt nicht in Betracht, da sind schon die Parteizentralen außen vor dies zu verhindern. Die Konzeptionslosigkeit zeigt sich auch darin, dass Kemmerich vorläufig unfähig ist, ein Kabinett zu benennen. Das Wichtigste einer demokratischen Regierung fehlt auch hier: mit wem regieren?

Möglicherweise sieht der Plan vor, mit der erzwungenen Abwahl von Ramelow nun die SPD ins Koalitionsboot zu zwingen. Das erscheint nicht nur ob der Ereignisse so aussichtslos wie zuvor eine Projektregierung zwischen LINKEN und CDU. Bleibt nach weiteren Wochen des Verhandelns nur das, was im Herbst 2019 ohnehin angesagt war: Neuwahlen. In Hessen haben die Wähler 2008 ihre Entscheidung überdacht. Möglicherweise werden die Thüringer es auch tun.

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  • CitizenK 5. Februar 2020, 18:51

    „Schätzen Sie Opportunisten?“

    Dann sind Lindner und Kubicki für Sie auch erledigt?

    • CitizenK 5. Februar 2020, 22:19

      Kubicki freut sich und Lindner duckt sich weg.
      Es gibt aber auch in der FDP noch Leute mit einem Rest an politischem Anstand, Alexander Lambsdorff:
      „Man lässt sich nicht von AfD-Faschisten wählen“, schreibt er auf Twitter. Und wenn es doch passiere, „nimmt man die Wahl nicht an.“

      • Stefan Pietsch 5. Februar 2020, 22:38

        Was bitte ist „ein Rest von Anstand“? Hat Alexander Graf Lambsdorff eigentlich keinen Anstand, aber ein bisschen, weil er sich ablehnend zu einer parlamentarischen Wahl äußert?

        Mir kommt deutlich zu kurz ein eigentlich wesentlicher Aspekt. Auch drei Monate nach der Landtagswahl konnten sich die Parteien nicht auf eine tragfähige Regierungskoalition einigen. Das Heft des Handelns lag dabei stets beim amtierenden Ministerpräsidenten. Ich kann das Verhalten von Ramelow nicht besonders respektvoll vor dem Wähler nennen, der seine Regierung objektiv abgewählt hat, aber alle so weitermachen wollten wie 5 Jahre lang. Mit verfassungsrechtlichen Tricks wollte er sich ein demokratisches Plazet holen, das er vom Wähler nicht bekommen hat.

        Ich halte die Wahl von Kemmerich für genauso untragbar wie die große Mehrheit. Aber hier haben mindestens 5 Parteien heftig getrickst. Bei der sechsten steht noch die Frage im Raum, ob sie einfach unbedarft war. Aber anscheinend halten die meisten im Forum es für normal, dass ein Politiker sich demokratisch in einem Amt bestätigen lässt, für das er keine demokratische Mehrheit besitzt.

        Wenigstens die hat Kemmerich. Wenn auch keine angenehme.

      • Stefan Pietsch 5. Februar 2020, 22:42

        Wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Walter-Borjans fordert ja, dass nicht gewählte Parteifunktionäre wie die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer die „Farce“ beenden und demokratisch gewählten Abgeordneten ultimative Vorgaben über ihr Verhalten in einer Zusammenarbeit machen. Ist der SPD-Chef noch ein Demokrat?

        Lindner hat größtmögliche Distanz deutlich gemacht. Normalerweise werden Parteipolitiker nach gewonnener Wahl und Übernahme eines öffentlichen Amtes beglückwünscht. Das ist heute in den Medienberichten so gar nicht vorgekommen.

    • Stefan Pietsch 5. Februar 2020, 22:29

      Falscher Thread.

      Soweit Sie Antworten wünschen, sollten Sie Fragen beantworten und sich nicht immer wegducken, wenn Sie rhetorisch ausmanövriert werden. Dann heißt es halt: „Okay, Point taken“.

  • R.A. 5. Februar 2020, 19:15

    Volle Zustimmung zu dieser sehr guten Darstellung.

    Nur kurz vor Schluß sehe ich etwas anders:
    „Möglicherweise sieht der Plan vor, mit der erzwungenen Abwahl von Ramelow nun die SPD ins Koalitionsboot zu zwingen.“
    Ich sehen diesen Plan nicht, ich sehe überhaupt keinen Plan.
    Das war eine reine Symbolkandidatur ohne Erfolgsaussichten. Deswegen hat Kemmerich natürlich auch kein Kabinett vorbereitet etc.

    Nun ist er aber in der Verantwortung und muß jetzt ausloten, ob nach dem Schock doch Bewegung in die politische Landschaft zu kriegen ist.
    Theoretisch wäre das möglich, denn gerade weil die kleinste Partei den MP stellt, sind die normalen Streitigkeiten obsolet, wer denn Koch und Kellner sein soll und was mit den Aussagen vor der Wahl sein soll – schließlich hat keine Partei ausgeschlossen, eine von der FDP geführte Minderheitsregierung zu stützen.

    Aber das ist natürlich Theorie. Ich sehe allseitig wenig Neigung zur konstruktiven Mitarbeit, und deswegen wird es wohl Neuwahlen geben.

    • sol1 6. Februar 2020, 11:00

      „Das war eine reine Symbolkandidatur ohne Erfolgsaussichten.“

      /// Nach Recherchen von Business Insider hatte sich die FDP-Führung hinter den Kulissen sehr wohl auf eine Wahl Kemmerichs eingestellt. Am Montagabend hatte demnach der Thüringer FDP-Chef nach einer Sitzung des Landesvorstandes mit Lindner telefoniert. (…)

      Nach Informationen von Business Insider wurde bei dem Gespräch auch die Möglichkeit erörtert, dass Kemmerich tatsächlich gewählt wird – aber mit Stimmen der AfD. Laut übereinstimmenden Aussagen aus dem engen Führungskreis der FDP gab Lindner dafür grünes Licht.

      Das ist auch deshalb bemerkenswert, da CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer am Mittwochabend im „Heute journal“ erklärte, sie habe Lindner davor gewarnt, einen eigenen Kandidaten ins Rennen zu schicken. Kramp-Karrenbauers Sorge: Es bestehe die Gefahr, dass dieser Kandidat dann mit Stimmen von der AfD gewählt werde. Die CDU ihrerseits habe genau deshalb auch keinen eigenen Kandidaten aufgestellt. ///

      https://www.businessinsider.de/politik/deutschland/exklusiv-fdp-chef-lindner-gab-vorab-gruenes-licht-fuer-wahl-kemmerichs-durch-afd/

  • Ariane 5. Februar 2020, 23:11

    Ach, es ist doch vollkommen nebensächlich, ob, wer und wie jetzt in Thüringen regiert. Und wozu sollte die 5%-FDP denn die SPD nötigen? Das ist doch unnötig, die können auch einfach so weitermachen. Benennen ein Schwarz-Gelbes Kabinett und erzählen nach jedem durchgebrachtem Gesetz, dass sie ja total überrascht sind, dass die AfD ihnen zur Mehrheit verhilft. Damit konnte ja niemand rechnen.

    Genauso egal ist es eigentlich, ob das abgesprochen war oder ob sie da wirklich supernaiv in eine „Falle“ getappt sind. Und gerade du wirst doch der FDP (und der CDU) nicht völlige gehirnamputierte Dummheit unterstellen? Hätte ja auch genug Möglichkeiten gegeben, klarzustellen, dass man keinen Ministerpräsidenten von Gnaden der AfD haben möchte. Und wir reden hier von der Höcke-AfD, nicht irgendwelchen netten, harmlosen Wirtschaftsprofessoren.

    Der Schaden ist meiner Ansicht nach immens, man muss sich nur eine Weile lang die Reaktionen der AfD ansehen, um das zu begreifen. Schwarz-Gelb lässt sich komplett vorführen. Für die AfD ist das ein wahnsinniger Triumph, sie sind nicht mehr ausgegrenzt, sondern ganz offiziell im Lager der bürgerlichen, demokratischen Mitte aufgenommen. Und Lindner und Kemmerich fällt nichts Besseres ein, als das auch noch zu bestätigen! Die CDU kann ja mühsam noch irgendwie auf einen Landesverband außer Kontrolle hinweisen. Man kann sich doch nicht von Höcke wählen lassen und im nächsten Atemzug erklären, man möchte mit denen nichts zu tun haben. Die ganze Abgrenzungsstrategie bundesweit ist doch jetzt für die Katz, das Gerede von bürgerlicher Mitte ist kaputt. Die Rede davon, dass man nie nicht mit der AfD zusammenarbeiten will. Schwarz-Gelb steht völlig blank da. Und da geht es ja nicht nur um die Wähler oder Image, man hat auch die schwarz-gelben Mitglieder vor den Kopf gestoßen, die die Abgrenzung ernst meinen. Wenn man sich die Reaktionen anguckt, sind die FDP/CDUler wütender als die ominösen Linken.

    Mein letzter Hoffnungsschimmer ist eigentlich nur, dass der Aufschrei recht groß und einhellig ist und auch viele Mitglieder von Union und FDP mit einbezieht. Ein Rücktritt von Kemmerich oder irgendwie eine schnelle Lösung zur Neuwahl könnte den Schaden vielleicht noch ein bisschen begrenzen.

    • Stefan Sasse 5. Februar 2020, 23:28

      Exakt.

    • Stefan Pietsch 6. Februar 2020, 00:45

      Es gibt ja derzeit faktisch keinen wirklichen Unterschied. Auch wenn Ramelow gewählt worden wäre, hätte er für kein Gesetz eine Mehrheit besessen. Und spätestens im Herbst bei den Abstimmungen zum Haushalt 2021 kommt es zum Schwur (und wäre es unter rot-rot-grün zum Schwur gekommen). Wieso regst Du Dich eigentlich kein bisschen darüber auf, dass ein abgewählter Ministerpräsident zur Bestätigung seiner Selbst aufruft, ohne eine Mehrheit zusammen zu haben? Ist das ordentlich und wenn ja, warum nicht das, was sich heute in Erfurt abgespielt hat? Du kannst diese Frage eigentlich nur mit Nein beantworten. Dann war aber der Versuch, dass eine Koalition ohne Mehrheit (!) sich versucht, gegen eine Mehrheit im Landtag Ämter zu sichern.

      Wieso ist die AfD im Lager der demokratischen Mitte aufgenommen? Die SPD hat immer fast zwei Jahrzehnte betont, dass die LINKE nicht deswegen als normale Partei akzeptiert sei, weil man sich selbst von ihr tolerieren lässt. Das galt auch noch bei den Wahlen zum Bundespräsidenten, als Gesine Schwan die Unterstützung der LINKEN einholte.

      In Thüringen kann derzeit nur eine Regierung mit Unterstützung der politischen Extreme gebildet werden. Ramelow ist sicher kein politischer Extremist, wohl aber ein Teil der hinter ihm stehenden Fraktion. So forderte die heutige Fraktionsvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow 2006 französische Verhältnisse, also Randale. Und genauso stellte sich die Fraktionsführung dieser Tage auf den Standpunkt, auch eine Wahl zu gewinnen, wenn die Nein-Stimmen überwiegen. Ich weiß nicht, ich habe mit solchen Leuten erhebliche Probleme.

      Ramelow hatte es Monate in der Hand, Neuwahlen herbeizuführen. Stattdessen suchte er die Legitimierung seiner Minderheitsregierung. Doch die Schwäche einer Minderheitsregierung – das allen Befürwortern dieses Modells ins Stammbuch – ist, dass die Regierung jederzeit überstimmt werden kann.

      • CitizenK 6. Februar 2020, 08:05

        Selbst wenn man das so sieht, bleibt die Tatsache, dass die FDP-Führung in Trump’scher Manier gelogen hat. Oder glaubt jemand, dass Kemmerich Höckes Brief weder Lindner noch Kubicki gezeigt hat?

        • Stefan Pietsch 6. Februar 2020, 11:45

          Ausgerechnet Sie wollen mit mir über politische Moral debattieren, wo Sie immer ausbüxen?

          Im Artikel steht am Ende exakt, dass die Wahl Kemmerichs mindestens (niedrigste Stufe der Bewertung) eine politische Torheit war. Sich zum Spielball von AfD-Gelüsten zu machen? Ziemlich blöd und außerhalb ziviler demokratischer Linien.

          Doch die Reihenfolge der politischen Unmoral ist im Artikel aufgezeigt und da kneifen Linke und rechtfertigen jedes politisch amoralische Verhalten:
          a) Die Parteien von LINKE, SPD und Grüne hätten keinen Koalitionsvertrag verhandeln dürfen für ein Bündnis, für das sie weder eine politische Mehrheit noch Rückhalt in der Bevölkerung haben.
          b) Bodo Ramelow hätte keine Neuwahl des Ministerpräsidenten ansetzen dürfen, wohlwissend, dass er dafür keine demokratische Mehrheit besitzt.
          c) Wenn, dann hätte sich Möhring im dritten Wahlgang aufstellen lassen müssen, nicht ein FDP-Mann.
          d) Thomas Kemmerich hätte die Wahl ablehnen müssen.

          Die Krux ist: alle Linken hätten hier a) und b) gerechtfertigt mit dem Ergebnis und der verfassungsrechtlichen Wirklichkeit. Wahl ist Wahl und Mehrheit ist Mehrheit, selbst wenn sie relativ ist und eine Mehrheit dagegen steht. Was ist an solchen Positionen moralisch, frage ich Sie? Also kommen nicht ausgerechnet Sie mir mit Moral!

          • Ariane 6. Februar 2020, 12:09

            Hach Gott sei Dank, alle Welt hat sich der Unmoral schuldig gemacht. Nur die FDP kommt fein aus der Sache raus, die hat mit ihrer moralisch weißen Weste nur eine politische Torheit begangen.

            c) Wenn, dann hätte sich Möhring im dritten Wahlgang aufstellen lassen müssen, nicht ein FDP-Mann.

            Das ist übrigens falsch, bei Möhring hätte genau dasselbe Risiko bestanden, deswegen hat die CDU ja keinen eigenen Kandidaten aufgestellt. Das wäre nur zu verhindern gewesen, wenn sowohl FDP als auch CDU ihren eigenen Kandidaten gehabt hätten. Oder sich vorab abgesprochen hätten, damit ein Kandidat auch mit Hilfe der AfD nicht gewinnen kann.

            • Stefan Pietsch 6. Februar 2020, 12:36

              … und die LINKE gewinnen? Wieviel Selbstaufgabe verlangst Du? Im Vorfeld wurde von Seiten der Regierung diskutiert, ob Ramelow auch im Falle, dass er in einem dritten Wahlgang mehr Nein- als Ja-Stimmen auf sich vereinigen würde, trotzdem zum Ministerpräsidenten gewählt wäre. Entgegen der Mehrheit der Verfassungsrechtler stellte sich die Regierungsfraktion auf den Standpunkt, dass auch bei Ablehnung Ramelow gewählt wäre. Wie stehst Du denn dazu? Und wie wäre ein solcher wahrscheinlicher Verfassungsbruch zu verhindern gewesen?

              Nein, man kann durchaus der Ansicht sein, dass es richtig gewesen wäre, eine solche Wahlfarce ins Leere laufen zu lassen. Möhring als Anführer der Mehrheitsfraktion wäre gewählt worden, hätte die Wahl jedoch ausgeschlagen. Anschließend wäre die Wahl ergebnislos beendet worden. Das wäre zweifellos eine Möglichkeit gewesen, Ramelow die demokratische Legitimierung durch eine relative Wahl zu verweigern.

              • Ariane 6. Februar 2020, 14:34

                … und die LINKE gewinnen? Wieviel Selbstaufgabe verlangst Du?

                Sag mal spinnst du? Sich mit Höcke und seinen Anhängern in ein Boot zu setzen ist demnach was? Selbstverteidigung? Nix da, kein Fußbreit!
                Und nochmal, mir ist egal, wer Thüringen regiert. Die hätten auch eine Absprache treffen können, dass der Kandidat, der mithilfe der AfD gewählt wird, die Wahl sofort ausschlägt. Und noch eine gepfefferte Rede zum Erhalt der Demokratie und gegen Faschismus hält oder sowas. Wär alles ok gewesen und alle wären unbeschadet davongekommen (und die LINKE hätte doof aus der Wäsche geguckt übrigens!).
                Aber ist das passiert? Nö, man lässt sich von Höcke wählen, erzählt danach, dass man die AfD und Höcke sowieso übrigens total ablehnt und faselt was von Regierungsbildung und Gesprächsangeboten. Erzählt 24 Stunden lang was von demokratischer und bürgerlicher Mitte und lässt die AfD in ihrem Siegtaumel.

                Und wenn man dann bemerkt, dass das in der Öffentlichkeit nicht so lockerflockig gesehen wird, versucht man das als bedauerliches Missverständnis hinzustellen. Und nun (Zitat): Kemmerich will damit den Makel der Unterstützung durch die AfD vom Amt des Ministerpräsidenten nehmen
                Das ist echt die Härte. Wie großmütig: der selbstlose Held opfert sich, um den Makel – den er selbst hineingebracht hat, aber wer wird so kleinlich sein – wieder zu tilgen.

                Abgesehen vom bundesdeutschen Flurschaden, den man angerichtet hat, ist das sowas von strunzdämlich, dass mir fast die Worte fehlen.

                • Stefan Pietsch 6. Februar 2020, 14:51

                  Warum verliert ihr eigentlich immer die Contenance, wenn ihr auf Widerstand trefft? Nein, ich spinne nicht, liebe Ariane. Kemmerich hatte nicht die Größe, die Wahl auszuschlagen. Das ist jedoch heute keine 24 Stunden später passiert. Und sorry, die AfD ist permanent im Siegtaumel, das war sie z.B. am Wahlabend im Oktober bereits. Erzähl‘ also mal was Neues. Sie wird auch bei Neuwahlen erfolgreich sein, das ist unumgänglich, so lange die „aufrechten“ Parteien keine tragfähige Strategie für den Umgang finden. Denn es ist ja Fakt, dass die Sorge vor den Rechtspopulisten inzwischen unsere demokratische Ordnung gefährdet. Im Osten sind inzwischen nicht einmal mehr Dreierbündnisse möglich und es kommt zu absurden Konstellationen.

                  Ich habe schon zu Zeiten, als es die AfD gar nicht gab, ein solch diffuses Wirrwarr für demokratisch schädlich eingeordnet. Das war, als ich 2011 / 2012 in Riga, Lettland, gearbeitet habe und die Wahlen im September 2011 unklare Machtverhältnisse hervorbrachten. Damals wollte man den Wahlsieger, die Saskaņas Centrs (SC), die Partei der russischen Minderheit, unbedingt von der Regierungsbildung fernhalten und erwog damals eine Allparteien-Regierung unter Einschluss von Links- und Rechtsextremen und unter Ausschluss der SC. Ich empfand das damals als politischen Wahnsinn und fragte, ob die Letten Nachhilfe in Demokratie benötigten.

                  Interessanterweise wiederholte sich das, was ich als absurdes Schauspiel empfunden habe, ein Jahrzehnt später in Deutschland.

                • CitizenK 6. Februar 2020, 18:19

                  Lindner & Co hielten sich für schlau und haben über-taktiert – und wurden von schlaueren und gerissenen Taktierern vorgeführt.

                  Schon Papen wollte die Nazis benutzen, das Ergebnis ist bekannt. Die Glatze hat aus der Geschichte nicht genug gelernt.

          • CitizenK 6. Februar 2020, 17:02

            c) und d) ja, a) und b) nein.

            Ich büxe nicht aus. Es ist nur so, dass ich keine eMail-Benachrichtigungen mehr bekomme (technisches Problem) und den Anschluss suchen muss – und halt nicht immer finde.

            • Stefan Pietsch 6. Februar 2020, 17:12

              Okay – accepted.

              Wieso a) und b) nicht?

              • CitizenK 6. Februar 2020, 18:34

                a) Auch für eine Minderheits-Regierung kann man einen Koalitionsvertrag schließen.
                b) Beim 3. Wahlgang war nicht ausgeschlossen, dass einer aus der CDU die Patt-Situation beenden würde.

                Anmerkung: Das mit dem „Rest-Anstand“ nehme ich zurück, war auch missverständlich formuliert. Lambsdorff, Baum und die Frau mit dem langen Doppelnamen haben mir imponiert.

                Persönliche Frage: Sind Sie nicht enttäuscht von Lindner? Ich dachte, es müsste Ihnen ähnlich gehen wie mir, als SPD-Spitzenleute unsere Ideale verraten haben.

                • Stefan Pietsch 6. Februar 2020, 18:47

                  a) Halte ich für schwierig. Damit signalisierten die verhinderten Koalitionäre (zumindest an jene, die nicht eingefleischte Fans der Parteien sind), dass sie nicht gewillt waren, das Wahlergebnis zu akzeptieren. Es gab ja nur zwei Mehrheitsalternativen: die CDU unterstützt den Ministerpräsidenten, dann aber ohne das Theater noch mit SPD und Grünen und den zusätzlichen Abstimmungsaufwand, oder die FDP hilft über Mehrheitshürden. B war definitiv ausgeschlossen worden. Der Koalitionsvertrag machte die Dinge also schwieriger bis unmöglich.

                  b) Das war ausgeschlossen worden und nicht erwartbar angesichts der konservativen Ausrichtung des Landesverbandes.

                  Persönliche Frage: Was Sie unterstellen können, da ich so verliebt in unser Grundgesetz bin, Antisemiten verachte und eine Nähe zu Israel verspüre, mich für die Geschichte des 3. Reiches schäme und Rechtsextremen in tiefer Abneigung verbunden bin, ist, dass ich nicht besonders happy gerade bin. Alles andere vielleicht in den nächsten Tagen in einem Artikel.

      • sol1 6. Februar 2020, 09:13

        „Ramelow hatte es Monate in der Hand, Neuwahlen herbeizuführen. Stattdessen suchte er die Legitimierung seiner Minderheitsregierung.“

        Und was ist daran verkehrt?

        Soll stattdessen das Volk so lange abstimmen, bis ein den Parteien genehmes Resultat rauskommt?

        Es ist ja nicht so, daß CDU und FDP keine Brücken gebaut worden wären – ich erinnere an das Eingreifen von Gauck.

        • Stefan Pietsch 6. Februar 2020, 11:15

          Und was ist daran verkehrt?

          Demokratie lebt von Mehrheiten, nicht Minderheiten.

          Soll stattdessen das Volk so lange abstimmen, bis ein den Parteien genehmes Resultat rauskommt?

          Es muss so lange abgestimmt werden, bis eine Entscheidung steht. Macht die katholische Kirche übrigens bei der Papstwahl seit Jahrtausenden.

          Es ist ja nicht so, daß CDU und FDP keine Brücken gebaut worden wären

          Das ist nicht der Punkt. Stellen wir uns einen Moment vor, die LINKE würde für ein Auslandsmandat der NATO, im Rahmen der Bündnispflicht dringend erforderlich, gebraucht. Würde man von den Linkspopulisten erwarten können, dafür zu stimmen? Kaum, die Begründungen wären exakt die Gleichen, die die CDU für sich ins Felde führt: es würde alles, wofür die Partei steht, vernichten.

          • sol1 6. Februar 2020, 16:55

            „Es muss so lange abgestimmt werden, bis eine Entscheidung steht. Macht die katholische Kirche übrigens bei der Papstwahl seit Jahrtausenden.“

            Wie albern ist das denn?

            Kardinäle kann man in ein Konklave stecken, aber nicht die Bevölkerung eines Bundeslandes.

        • R.A. 6. Februar 2020, 17:51

          „Soll stattdessen das Volk so lange abstimmen, bis ein den Parteien genehmes Resultat rauskommt?“
          Eben nicht.
          Und genau ist die demokratiefeindliche Taktik von rotrotgrün: Wahlergebnisse an der Urne oder im Parlament werden nur akzeptiert, wenn Ramelow gewinnt.
          Ansonsten werden Neuwahlen gemacht.

      • Ariane 6. Februar 2020, 10:17

        Es gibt ja derzeit faktisch keinen wirklichen Unterschied

        Himmel Hilf, natürlich ist es ein riesiger Unterschied, ob man bei Gesetzen auf Stimmen von CDU/FDP angewiesen ist oder sich mal eben von der AfD zum Ministerpräsidenten wählen lässt.
        Und Ramelow vorzuwerfen, dass er die Wahl angesetzt hat, ist doch scheinheilig. Es hätte doch einen riesigen Aufschrei gegeben, wenn der große böse „SED-Nachfolger“ einfach fünf Jahre lang ohne Wahl weiterhin Ministerpräsident ist.
        Und nochmal, ob und wie jemals in Thüringen regiert wird, ist mir völlig wumpe. Meinetwegen können sie das Bundesland auch auflösen, das ist kein regionales Problem, was hier passiert ist.

        Wieso ist die AfD im Lager der demokratischen Mitte aufgenommen?

        Also bitte, gerade von dir, der sonst jedem Naivität vorwirft, der nicht bei drei Deckung sucht! Die sind da sehenden Auges reinmarschiert und hatten nach der Wahl und der Höcke-Gratulation nichts Besseres zu tun, als diese Wahl als Erfolg der demokratischen Mitte hinzustellen. Kemmerich, Lindner und Mohring haben das in jedes Mikrofon gerufen, das ist viel schlimmer als die Wahl an sich.
        Und du musst wirklich nur in die Gesichter der AfD-Leute gucken und dir die Statements und Reaktionen anhören, um zu erkennen, wie groß der Flurschaden ist. Und ich komm da immer noch nicht drüber hinweg, wir reden hier nicht von einem gemäßigten Landesverband, sondern Höcke persönlich.

        Ich bin ja wirklich eher besonnen und hab die FDP beileibe nicht für eine große Verteidigerin von Liberalität und Demokratie gehalten, aber das macht mich unfassbar wütend. Und je länger diese scheinheiligen Abgrenzungs-Statements und diese Hängepartie anhalten, umso schlimmer wird es.

        • Stefan Pietsch 6. Februar 2020, 11:11

          Himmel Hilf, natürlich ist es ein riesiger Unterschied, ob man bei Gesetzen auf Stimmen von CDU/FDP angewiesen ist oder sich mal eben von der AfD zum Ministerpräsidenten wählen lässt.

          Wo ist der Unterschied? Ramelow hätte (und hat) in geheimer Wahl nicht die notwendigen Stimmen erhalten. Das war absolut erwartungsgemäß. Das Kalkül war ja deswegen ein anderes.

          Und Ramelow vorzuwerfen, dass er die Wahl angesetzt hat, ist doch scheinheilig. Es hätte doch einen riesigen Aufschrei gegeben, wenn der große böse „SED-Nachfolger“ einfach fünf Jahre lang ohne Wahl weiterhin Ministerpräsident ist.

          Wieso? Genau das war am Wahlabend de facto angekündigt worden. Und genau das hat Roland Koch in Hessen gemacht. Doch auch damals war es die politische Linke, die einen solchen Zustand nicht aufrecht erhalten wollte. Ariane, für Deine Begründung gibt es keinen Hinweis, das saugst Du Dir aus den Fingern.

          Klar ist das ein großer Triumpf für die AfD, das bestreitet niemand. Nur ein Triumpf macht jemanden noch lange nicht zu diesem und jenem.

        • schejtan 6. Februar 2020, 12:35

          Naja, irgendwie muss man ja die Schuld irgendwie den Linken zuschieben…

          • Stefan Pietsch 6. Februar 2020, 12:46

            Gegenfrage: wann haben sich die Linken aus Ihrer Sicht je amoralisch verhalten und die bürgerlichen Parteien in der gleichen Situation richtig? So lange Sie dafür keine Beispiele benennen können, bleibt Ihr Lamento der Popanz eines Linken, der immer meint, auf der richtigen Seite zu stehen.

            • schejtan 6. Februar 2020, 16:45

              Als Melenchon nach den letzten Wahlen in Frankreich sich fuer die Stichwahl nicht klar fuer Macron ausgesprochen hat.

  • R.A. 7. Februar 2020, 16:05

    Wirklich interessant finde ich diese allgemeine Doppelmoral.

    Eigentlich ist es ja für Demokraten eine sehr richtige und gute Sache, wenn man Nazis dazu bringt für Demokraten zu stimmen. Nur umgekehrt wäre ein Problem.

    Und bisher war das auch nicht Dogma, daß man keine Stimmen von rechtsaußen kriegen darf.
    Im Gegenteil – Ramelow regiert seit zwei Jahren nur mit der Stimme eines AfDlers.

    Und als vor einigen Monaten von der Leyen knapp im EP-Parlament gewählt wurde – da erreichte sie diese Mehrheit nur mit den Stimmen von PiS und Fidesz. Beides Parteien die mit ihrem Regierungshandeln deutlich schlimmer sind als ihr Pendant AfD, bei der ja bisher nur vermutet werden kann.
    Und diese rechtsextremen Stimmen wurden nicht ohne Gegenleistung und überraschend abgegeben wie in Erfurt. Sondern für diese Stimmen hat Merkel verhandelt und Zugeständnisse gemacht.

    Niemand hat damals gefordert, daß von der Leyen die Wahl nicht annehmen dürfe, weil sie sich von Rechtsextremen unterstützen ließ.

    Aber bei der FDP tobt dann die Szene (incl. des üblichen gewaltbereiten Mobs auf der Straße) und es wird Tabuverstoß behauptet.

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