Wenn ich König der SPD wär’….

Liebe SPD,

Wenn es stimmt, dass es in Deutschland etwa 40 Millionen Bundestrainer gibt, dann gibt es mit Sicherheit ein oder zwei Millionen SPD-Vorsitzende. Ihr seid auch ein spannender Gegenstand: euer Wähleranteil sank seit 2005 um gut ein Drittel, und seither scheint nichts wirken, um euch aus dem Jammertal zurückzubringen. Martin Schulz, der mit seinem Neuheitseffekt kurz für Aufwind sorgte, ist nun da, wo sich vor ihm bereits Steinmeier und Steinbrück fanden. Da bietet es sich doch an, meine ungebetenen Ratschläge ebenfalls an die Partei zu bringen¹. Ich habe das in eine 8-Punkte-Liste gefasst. Leute lieben Listen².

1) Die Extremisten sind ein dankbarer Gegner

Der Feind.

Ihr seid eine Mitte-Links-Partei. Ihr könnt kübelweise politischen Unrat über die AfD (eine rechtsextreme, in Teilen antisemitische und fremdenfeindliche Partei) kippen, ohne dass es der Kernwählerschaft zu sehr schadet. Und ihr braucht einen Feind. Martin Schulz ist super geeignet, um sich bei den anderen europäischen Ländern, vor allem aber Frankreich, einzuhaken und eine gemeinsame Front gegen den Rechtspopulismus aufzubauen. Das sollte DAS Thema der SPD sein. Die Versuche der AfD (eine rechtsextreme, in Teilen antisemitische und fremdenfeindliche Partei), ihre reaktionäre Ader als Gerechtigkeit für’s Volk zu verkaufen sind ein idealer Anlass, um ständig selbst über soziale Gerechtigkeit zu sprechen – und nicht in dem langweiligen Singsang mit leeren Formeln, sondern konkret in Opposition zur AfD (eine rechtsextreme, in Teilen antisemitische und fremdenfeindliche Partei). Was ist Gerechtigkeit wirklich? Was ist fair? Was ist modern? Was ist offen? Was ist gut? Die Antwort muss in allen Fällen wenn nicht schon „SPD“ heißen, so doch wenigstens auf roten Plakaten stehen. Schwingt euch zum Verteidiger von Demokratie und Freiheit gegen den Extremismus von rechts. Da kann man auch gerne ein bisschen Folklore aus Weimar drauf packen, oder wenn man es konfrontativer mag aus den Auseinandersetzungen mit der CDU/CSU bis einschließlich Strauß. Und keine Angst, das Profil der AfD (eine rechtsextreme, in Teilen antisemitische und fremdenfeindliche Partei) damit zu heben oder sonst so was, das hat der LINKEn auch nie geholfen.

2) Euer Problem ist Merkel

Strong and stable.

Das Hauptproblem der SPD ist Angela Merkel. Irgendein verknöcherter CDU-Reaktionär wäre ein ordentlicher Gegner, der eine schöne Folie abgibt an der man sich reiben kann. Angela Merkel dagegen ist die Meisterin des Teflon. Sie neutralisiert Themen und Aufreger, noch bevor im Willy-Brandt-Haus das Design der Plakate fertig ist. Da Merkel persönlich ziemlich beliebt bei den Leuten ist (außer bei der „Volksverräterin Merkel“-AfD (eine rechtsextreme, in Teilen antisemitische und fremdenfeindliche Partei), aber da sollte die SPD lieber die Finger von weg lassen), machen direkte Angriffe wenig Sinn. Glücklicherweise hat die CDU selbst die Anleitung geliefert, was man in so einem Fall machen kann: assoziiere deinen todlangweiligen Gegner mit einem aufregenden Gegner. Für die CDU und FDP war es immer das dankbare Schreckgespenst der LINKEn: stellt euch mal vor, die machen eine Koalition mit denen! MIT DENEN! Das ist ja quasi DDR!

Da konnte die SPD noch so oft beteuern, dass sie nie, nie, niemals mit DENEN eine Koalition eingehen würde. Also, hängt der CDU die AfD (eine rechtsextreme, in Teilen antisemitische und fremdenfeindliche Partei) um den Hals. Zieht die sächsischen Quislinge vor die Kamera und zitiert jeden noch so obskuren CDU-Gemeinderat, der gerne mit der AfD (eine rechtsextreme, in Teilen antisemitische und fremdenfeindliche Partei) punktuell zusammenarbeiten würde als sei der nächste Generalsekretär. Keiner wird euch glauben dass Merkel das machen will, also baut den rechten Flügel der CDU (der eh dauernd öffentlich über Merkels viel zu flüchtlingsfreundlichen Kurs grummelt) als den Feind auf, der jeden Moment die arme Kanzlerin entmachten will. Das lässt gleichzeitig Merkel als schwach und angreifbar erscheinen, während Gottkanzler Martin Schulz mit 100% Zustimmung im Rücken (ja, macht damit Werbung) den Rechten die Stirn bietet. Die Story schreibt sich doch von selbst.

3) Ignoriert die BILD

Ne, das wart ihr schon selber.

Seit 2005 war die BILD ein konstanter Gegner der SPD. Erinnert sich noch jemand an „Lügilanti“? Oder „Beck muss weg“? Keine noch so enge Anbiederung an die CDU und ihre Positionen wird die Leute bei Axel Springer auf eure Seite ziehen. Die BILD ist ein Medium im Niedergang. Ihre Leser sind alt und reaktionär. Die wählen euch nicht und werden euch nicht wählen. Scheißt auf die BILD. Ihre Feindschaft ist ein Ehrenabzeichen. Erwähnte ich schon, dass eure Feinde auf der Rechten stehen? Assoziiert das Schmierblatt mit dem Gegner aus 1) und 2). Keine Bange, eure Leute machen die Verbindung ohnehin instinktiv. Das läuft.

4) Scheiß auf Zahlen und Programme

Im Zweifel tut es das als Erklärung wie das alles gehen soll.

Wisst ihr was eure schlimmste Obsession ist? Wunderbar ausgefeilte Programme, mit 150 Seiten, voller detaillierter policy-Vorschläge und Bezahlbarkeitsrechnungen. Und warum? Weil’s keinen interessiert. Niemand liest Parteiprogramme, außer beim politischen Gegner. Die suchen irgendeinen obskuren Mist von Seite 134 und führen eine Kampagne damit. Remember Veggie-Day! Eine Zehn-Punkte-Liste tut’s auch. True Story: ich habe versucht auf eurer Homepage eine Zusammenfassung in einem Absatz zu finden, wofür die SPD findet. Das gibt es nicht. Dafür 21 verschiedene Seiten, die eure Kernthemen erklären. Einundzwanzig! Die. liest. keine. Sau. Wisst ihr, was im CDU-Wahlprogramm steht? Ich auch nicht. Und auch sonst niemand. Weil’s keinen interessiert. Und das gilt für euer Programm auch. Stattdessen braucht ihr Narrative, aber dazu kommen wir gleich.

Vorher gibt es nämlich noch was Wichtigeres: Vergesst Zahlen. Ihr habt diese echt süße Idee, dass die Vorschläge aus eurem Wahlprogramm bezahlbar sein müssen. Das ist völliger Blödsinn. Niemand interessiert, ob etwas aufkommensneutral finanziert wird oder nicht, die tun alle nur so. Habt ihr jemals erlebt, dass in der BILD die Frage thematisiert wird, wie die Steuerkürzungen der FDP eigentlich gegenfinanziert werden? Da steht dann ein Hokuspokus vom sich selbst tragenden Aufschwung, mit ein paar erfundenen Zahlen. Das könnt ihr auch. Wer kriegt was? Die 99%. Wer zahlt? Die Bonzen. Fertig. Eure Vorschläge sind so oder so hinfällig, weil ihr einen Partner braucht. Rechnen kann man immer noch in den Koalitionsverhandlungen. Schaut euch Schäuble an: der verspricht Hilfspakete für Griechenland, Steuerkürzungen für alle, aber besonders für die Mittelschicht, und die Renten bleiben stabil. Und das kostet keinen Cent! Und niemand zieht auch nur eine Augenbraue hoch, denn die CDU ist bekanntlich die Partei wirtschaftspolitischer Seriosität. Egal wie sehr ihr euch bemüht, das Handelsblatt wird euch nie liebhaben. Die Leute nehmen immer an, dass ihr Geld ausgebt. Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s gänzlich ungeniert. Das klingt zynisch. Aber die anderen machen es auch, ihr merkt das nur nicht, und ihr schießt euch selbst in den Fuß.

5) Nicht jeder versteht unter seriös das Gleiche

Steinbrück zog aus ihm immer die falschen Lehren. Der Mann war ein Ass in sozialdemokratischer Seriosität.

Es ist kein Geheimnis, dass die meisten Leitmedien nur eine Form von Wirtschaftspolitik anerkennen: die ordoliberale Form. Nicht alle von ihnen haben das gleiche erotische Verhältnis zu ökonomischen Schmerzen wie es Wolfgang Schäuble und das Handelsblatt haben (ernsthaft, die Leute sind wesentlich zu glücklich dabei, Phrasen wie „Gürtel enger schnallen“, „über Verhältnisse leben“, „Anpassungen“ und „Wahlgeschenke“ durch die Gegend zu werfen, wenn es um den Lebensstandard der kleinen Leute geht), aber die wenigsten sehen in höheren Investitionsausgaben nicht sofort die Hand des Teufels. Kennt euer Publikum. Wenn man die Leute fragt, ob sie einen ausgeglichenen Haushalt wollen, sagen sie alle ja, aber wenn man sie fragt ob sie bereit sind dafür Rentenkürzungen hinzunehmen eher nicht.

Verbindet euer cleveres Narrativ aus 4) unf 5) damit und definiert eine eigene Seriosität. Ihr seid für Fortschritt, ihr seid für ein ordentliches Leben. Wen interessieren die finanzpolitischen Vorlesungen der Elitenschwätzer bei der CDU und FDP? Die Leute werden euch nie abnehmen, dass ihr den Haushalt besser kontrolliert als Schwarz-Gelb, und dafür wählen sie euch auch nicht (schon mal vom Mommy-Daddy-Divide gehört?). Hört auf euch als das zu inszenieren als das ihr gerne gesehen werden wollt und konzentriert euch darauf wie euch die Leute sehen wollen, auf deren Stimmen ihr angewiesen seid.

6) Ihr braucht Narrative

Sag was du willst, er hatte ’ne Story.

Statt der 21 Kernprogrammpunkte braucht ihr eine Story. Eine, die ihr ständig wiederholt. Per-ma-nent. Zwei oder drei knackige Slogans, die man bei jeder Gelegenheit raushauen kann. Und zwar welche, die auch irgendeine Bedeutung transportieren. „Mehr Soziale Gerechtigkeit“ ist kein Slogan. Das wollen wenn man sie fragt alle. Die SPD kommt nur dann an die Regierung, wenn sie es schafft einen Aufbruch zu vermitteln. Für die Verwaltung des Niedergangs war schon immer die CDU zuständig. Ob das der „Machtwechsel“ von 1969 und das anschließende Motto der „Lebensqualität“ ist oder die „Innovation und Gerechtigkeit“ von 1998, ihr müsst eine glorreiche Zukunft prophezeien und euch nicht als Wahrer von Besitzständen gegen die anonyme Macht der Globalisierung inszenieren. Das ist der Job der LINKEn. Schaut auf Macron, schaut auf Obama, schaut (*schauder*) auf Tony Blair. Die haben das alle so gemacht. Und auch hier: Mut zur Lücke. Die konkreten Maßnahmen sind viel weniger wichtig als die Vision. Helmut Schmidt war anderer Meinung, aber der wurde auch abgewählt.

7) Ihr braucht eine Führungsfigur

Look at my works, ye mighty, and despair.

Eure zweitschlimmste Obsession ist zu glauben, dass die ganze Republik vor dem Wahljahr voller knisternder Spannung an den Fingernägeln kaut um endlich zu erfahren, wer euch in den Wahlkampf führt. Aber ein Dreivierteljahr ist ein Witz. Ihr habt 2009 den Steinmeier hingestellt, weil niemand anderes verfügbar war, und 2013 Steinbrück hervorgezogen, weil es dem wahrlich nicht an Selbstbewusstsein mangelte. Die Kandidaten aber, die jemals Kanzler wurden, kannte man ordentlich vorher. Gerhard Schröder war schon 1994 ein Top-Tier in der SPD, und Lafontaine war schon mal Kanzlerkandidat. Willy Brandt habt ihr dreimal aufgestellt bis es endlich geklappt hat, und Schmidt war wahrlich auch nicht unbekannt.

Man hört es jetzt schon raunen, dass ihr nach der Wahl Manuela Schwesig hochpuschen wollt. Kann man schon machen, aber wenn, dann dankt Martin Schulz artig für seine Dienste, macht ihn zum Oppositionsführer im Bundestag und haltet Schwesig raus, so dass sie von außen kritisieren kann. Und dann pusht sie. Vier Jahre lang. Oder macht das gleiche mit Schulz. Hat beides Vor- und Nachteile. Aber glaubt bitte nicht irgendjemand fände es spannend, wenn ihr die Entscheidung bis 2021 rausschiebt. Ihr braucht eine Figur, die das in 5) beschlossene Narrativ a) glaubwürdig und b) permanent in die Welt hinausposaunen kann. Für Europa und gegen AfD? Nehmt Schulz. Für Fortschritt, Innovation, Zukunft? Schwesig.

8) Konzentrierter Wahlkampf

Dann gibt er euch auch Absolution.

Ihr habt 2013 Peer Steinbrück aufgestellt. Der wollte einen Wahlkampf à la 2009 machen. Das war eine doofe Idee, aber das war die einzige Art Wahlkampf, die er vernünftig vertreten konnte. Stattdessen habt ihr mit dem Programm von 1987 seinen Wahlkampf organisiert, und weil der Mann keine institutionelle Bindung hatte und keine eigene Machtbasis (ein dickes Warnsignal übrigens) konnte er dem nichts entgegensetzen. Wenn ihr euch für eine Führungsfigur entschlossen habt, um Gottes Willen, dann macht nicht Wahlkampf gegen sie. Das Willy-Brandt-Haus scheint eigentlich dauerhaft im Schadensbegrenzungsmodus. Werft diese institutionelle Vorsicht über Bord. Bringt eure externen Berater von BUTTER (und Jim Messina und wen auch immer ihr von außerhalb einkauft) alle zusammen und setzt sie auf das Narrativ an, und nur auf das. Sonst wird das nichts.

Puh.

Also, liebe SPD, das wären meine ungebetenen Ratschläge. Euch wird aufgefallen sein, dass sie reichlich unkonkret sind. Das ist wahr. Aber ich bin auch kein Politikberater. Das ist eine billige Position, ja. Aber die wenigsten potenziellen Bundestrainer müssen den Job je ernsthaft machen, also hoffe ich, ihr verzeiht mir. Ich hab euch lieb.

Liebe Grüße

Stefan

¹ Ich weiß, da besteht kein kausaler Zusammenhang. Seht’s mir nach, der Artikel brauchte einen Einstieg 😉

² Citation needed.

{ 58 comments… add one }
  • Ralf 10. Juni 2017, 22:44

    Ihr seid eine Mitte-Links-Partei. Ihr könnt kübelweise politischen Unrat über die AfD (eine rechtsextreme, in Teilen antisemitische und fremdenfeindliche Partei) kippen, ohne dass es der Kernwählerschaft zu sehr schadet. Und ihr braucht einen Feind.

    Die AfD ist eine bereits im Sinkflug befindliche Randpartei, die sich inmitten von Personalquerelen bereits zum zweiten Mal zerlegt. Waere nicht ploetzlich das Fluechtlingsthema so akut geworden, waere die AfD schon lange in der Versenkung verschwunden. Und jetzt soll die Hauptwahlkampfparole der SPD der Kampf gegen diese bereits halb dahinmodernde Parteileiche sein? Das kann doch nicht Dein Ernst sein. Gibt es in Deutschland kein groesseres Problem als eine kleine Randpartei im Abwaertssog?

    Nein, eine Wahlentscheidung trifft der Waehler in der Regel fuer diejenige Partei, von der er sich eine bessere Zukunft erhofft. Die Partei muss eine breite ueberzeugende Vision fuer das Land vorlegen. Wer den Anspruch hat Kanzler zu werden, dessen Gegner muss die CDU sein, nicht die kleine AfD. Um eine Fussballmetapher zu verwenden: Wenn ich Deutscher Meister werden will, muss ich Bayern Muenchen schlagen koennen. Dass ich Darmstadt 98 besiegen kann, qualifiziert mich zu ueberhaupt nichts.

    Ihr seid eine Mitte-Links-Partei

    Die SPD ist seit Schroeder eine Mitte-Rechts-Partei. Genau da liegt ihr Problem. Fuer ihre urspruenglichen Waehler links der Mitte hat sie jegliche Glaubwuerdigkeit verloren. Diese Waehler sind entweder zur LINKEN uebergelaufen oder waehlen garnicht mehr. Und rechts der Mitte waehlt man das Original. Also die CDU. Die SPD hat kein Thema mehr, kein Politikfeld mehr, bei dem nicht eine andere Partei glaubwuerdiger waere. Die logische Folge ist ihre Ueberfluessigkeit. Das ist reflektiert in ihren desastroesen Wahlergebnissen.

    Scheiß auf Zahlen und Programme

    Mein Gott, was fuer ein trauriger Ratschlag. Wann ist das letzte Mal ein Sozialdemokrat gewaehlt worden, der ohne Programm antrat? François Hollande gewann in Frankreich einen grossen Sieg mit einem klaren linken Programm. Abgewaehlt worden ist er, weil er sein Programm nie umgesetzt hat, nicht weil sein Programm unpopulaer geworden waere. Corbyn holte gerade in Grossbritannien mit einem klaren linken Programm 40%. Und das gegen das laute Trommelfeuer der etablierten Medien und nach einem gescheiterten Putschversuch in der eigenen Partei. In den USA wurde Bernie Sanders mit einem klaren linken Programm zu einem der beliebtesten Politiker des Landes. Die Luftnummer Hillary hingegen ging, nachdem der Parteiapparat in Union mit den etablierten Medien Sanders erst totgeschwiegen und anschliessend benachteiligt und ausgeschaltet hatte, in der General Election voellig unter. Sie stand halt fuer rein garnichts. Nur fuer heisse Luft.

    Und damit kommen wir zu Martin Schulz. Der betrat die Buehne der deutschen Politik auch nicht mit mehr als zwei, drei nett klingenden Ueberschriften bewaffnet. Das erzeugte Interesse und erklaert seinen rasanten Aufstieg. Aber nachdem klar wurde, dass dahinter kein konsistentes Programm steht, keine Vision, nur inhaltliche Leere, ebbte die Begeisterung schnell ab. Mit viel heisser Luft ueberzeugt man keine Waehler. Sicher muss man nicht jeden Plan bis ins letzte Detail durchgerechnet haben. Aber ein plausibles, in sich stimmiges Programm, das den Anspruch hat das Land zum Besseren hin zu veraendern und das nicht nur auf rechnerischen Luftschloessern beruht, ist schon noetig, wenn man den Kanzler stellen will.

    Ihr habt 2009 den Steinmeier hingestellt, weil niemand anderes verfügbar war, und 2013 Steinbrück hervorgezogen, weil es dem wahrlich nicht an Selbstbewusstsein mangelte. Die Kandidaten aber, die jemals Kanzler wurden, kannte man ordentlich vorher

    Wer kannte denn Steinmeier und Steinbrueck vorher nicht? Steinmeier war jahrelang deutscher Aussenminister gewesen und Steinbrueck war zuvor der Ministerpraesident des bevoelkerungsreichsten Bundeslandes (NRW) und anschliessend Finanzminister.

    Nein, die SPD hat 2009 und 2013 sicher nicht verloren, weil sie auf die falschen Personen gesetzt hat, sondern deshalb weil sie auf die falschen Inhalte gesetzt hat. Daraus folgt, dass sich das Problem nicht loesen laesst, indem man bei gleichen Inhalten sein Fuehrungspersonal wieder und wieder austauscht. Diese Erfahrung macht gerade Martin Schulz.

    Besonders gut hat es uebrigens der Postillion mit seiner Berichterstattung getroffen. Es scheint ein Trend zu sein, dass zunehmend Satiremagazine die Realitaet treffender beschreiben als die etablierten Medien:

    http://www.der-postillon.com/2017/06/spd-labour.html?m=1

    • Stefan Sasse 11. Juni 2017, 07:07

      Klar waren die Stones vorher bekannt, aber halt nicht als „das Gesicht der SPD“. Und die Partei war auch nicht auf sie zugeschnitten, genausowenig wie der Wahlkampf. Das ist mein Punkt.

      Und die SPD ist eine Mitte-Links-Partei. Die Schröder’schen Exzesse sind spätestens seit 2013 vorbei. Da steckst du in der Vergangenheit fest. Und wenn du meinst, sie sei überflüssig, kann dir ja auch egal sein welchen Wahlkampf sie fährt.

      Die AfD ist auch nur der Prügelknabe. Wenn sie sich vollends auflösen – gut, aber wenn sie auf 6-7%-Niveau hängen bleiben…du musst dich als die Macht gegen rechts, gegen reaktionären Populismus präsentieren. SPD=Fortschritt, AfD=Rückschritt. Und dann assoziierst du den Gegner mit der AfD.

      Hillary hatte tonnenweise Programm. Eine Homepage voller Spiegelstriche. Wen hat’s interessiert? Bernie hatte kein Programm. Bernie hatte eine Story. Und das ist genau das was ich meine dass die SPD auch braucht.

      • Ralf 11. Juni 2017, 18:25

        Klar waren die Stones vorher bekannt, aber halt nicht als „das Gesicht der SPD“.

        Wer ist denn dann das Gesicht der SPD? Sigmar Gabriel? Martin Schulz? Manuela Schwesig?

        Und wie wird man das Gesicht?

        Wie ist Corbyn das Gesicht von Labour geworden? Wie wurde Bernie Sanders das Gesicht der Demokraten? Oder ist Perez deren Gesicht? Oder Pelosi? Oder immer noch Hillary? Oder Obama?

        Ich hab das Gefuehl, Du weist den Status „Gesicht“ retrospektiv zu. Haetten Steinmeier oder Steinbrueck die Wahl gewonnen (oder zumindest ein nicht-peinliches Ergebnis erzielt), waeren sie das Gesicht gewesen.

        Und die SPD ist eine Mitte-Links-Partei. Die Schröder’schen Exzesse sind spätestens seit 2013 vorbei. Da steckst du in der Vergangenheit fest.

        Agree to disagree.

        Keine Ahnung wieviel Du von Bernie Sanders‘ oder Jeremy Corbyns Wahlkampf mitgekriegt hast. Beide hatten ein zentrales Thema: Eine faire Gesellschaft, die fuer alle funktioniert, nicht nur fuer die reichsten 1%. Alles ordnete sich diesem einen Thema unter. Sowohl Sanders als auch Corbyn wiederholten dieses Mantra wieder und wieder und wieder. Es gab auch nicht den Hauch eines Zweifels, was ihr Kernanliegen war, was nicht verhandelbar war. Selbstverstaendlich haben Parteien alle moeglichen Meinungen. Irgendwo im Programm steht auch garantiert was zur Hundesteuer. Aber diese Programmteile sind nicht zentral. Sie sind verhandelbar.

        Wo sind die roten Linien fuer die SPD? Was ist Kernanliegen? Was ist nicht verhandelbar? Die Partei hat so oft gelogen, hat so oft links geblinkt, bevor sie rechts abgebogen ist. Wer soll dieser Partei noch vertrauen? Und es gibt ja noch nicht einmal einen wirklichen Schwerpunkt „soziale Gerechtigkeit“. Waere es der Partei wirklich ernst damit, muesste sie jetzt mit grossen Schritten auf die LINKE zugehen. Denn ausser Rot-Rot-Gruen gibt es keine Perspektive fuer eine solche Politik. Sehen wir irgendwo ernsthafte Annaehrungsversuche? Ich erkenne keine. Und daraus koennen wir sicher schlussfolgern, dass das Gerede von sozialer Gerechtigkeit mal wieder nur leere Parolen, nur heisse Luft sind.

        Am Ende gibt es die grosse Koalition und Mitte-Rechts-Politik oder eben vier Jahre Opposition. Somit ist die SPD bestenfalls eine Mitte-Links-Rhetorik-Partei, die wann immer sie in Regierungsverantwortung ist von der CDU ununterscheidbare Mitte-Rechts-Politik umsetzt.

        Die AfD ist auch nur der Prügelknabe. Wenn sie sich vollends auflösen – gut, aber wenn sie auf 6-7%-Niveau hängen bleiben…du musst dich als die Macht gegen rechts, gegen reaktionären Populismus präsentieren. SPD=Fortschritt, AfD=Rückschritt. Und dann assoziierst du den Gegner mit der AfD.

        Fuer wen stellt die AfD denn eine Gefahr dar mit ihren 6-7%? Eine Gefahr liegt erst dann vor, wenn solche rechten Randparteien in die Naehe der Kanzlerschaft kommen (siehe etwa die FPÖ in Oesterreich). Aber davon kann bei Petry’s Chaostruppe nun wirklich keine Rede sein. Oder wenn sie als Koalitionspartner gehandelt werden. Auch das ist in der Merkel-CDU ausgeschlossen.

        Wenn aber keine echte Gefahr besteht, bleibt von Deiner Empfehlung nur uebrig, dass die SPD dem Waehler taktisch eine Gefahr vorheucheln soll, die real nicht existiert. Und dann frage ich nochmal: „Gibt es denn keine echten Probleme im Land?“. Einer Partei, der nichts besseres einfaellt als dem Waehler Scheinprobleme vorzuheucheln, weil ihr kein echtes Problem einfaellt, das lohnenswert waere anzugehen, kann man nur empfehlen sich aufzuloesen und die Regierung denen zu ueberlassen, die etwas fuer die Menschen bewirken wollen.

        Hillary hatte tonnenweise Programm. Eine Homepage voller Spiegelstriche. Wen hat’s interessiert? Bernie hatte kein Programm. Bernie hatte eine Story. Und das ist genau das was ich meine dass die SPD auch braucht.

        Zwischen einer Homepage und einem Programm liegt ein himmelweiter Unterschied. Hillary hat ihr „Programm“ nie angesprochen. Wann immer sie um eine inhaltliche Antwort gebeten wurde, sagte sie „geht auf meine Homepage“. Sieht so jemand aus der ein Programm hat, an das er glaubt? Und das „Programm“ war ja auch extrem flexibel. Gestern war ich noch fuer TPP. Heute bin ich dagegen. Gestern war ich noch gegen einen $15 Mindestlohn, heute bin ich dafuer. Gestern war ich noch fuer Studiengebuehren an oeffentlichen Universitaeten, heute bin ich dagegen. Waehrend der Primaries rede ich ausschliesslich ueber Waffenregulierung, weil ich damit meinem Gegner schaden kann. Nach den Primaries erwaehne ich das Thema mit keinem einzigen Wort mehr. Tolles Programm!

        Bernie Sanders hingegen hatte wirklich ein Programm. Das selbe, das er schon vor 30 Jahren hatte. Ein Programm fuer eine faire Gesellschaft. Alles wofuer er gekaempft hat (Mindestlohn, Grossbanken aufspalten, Unternehmensspenden begrenzen, eine allgemeine staatliche Krankenversicherung etc.) steht unter dieser einen Ueberschrift. Das selbe gilt fuer Corbyn, mit aehnlichen Themen (den NHS anstaendig finanzieren, Behinderten ein menschenwuerdiges Dasein ermoeglichen, das Land nicht weiter auf dem Ruecken der Armen kaputtsparen etc.). Und auch bei Corbyn hat sich diese Ansicht, hat sich sein Programm keinen Meter geaendert im Laufe der Jahre.

        So sieht eben Glaubwuerdigkeit aus. Wen hat die SPD, der aehnlich glaubwuerdig waere?

        • Stefan Sasse 12. Juni 2017, 10:45

          „Und wie wird man das Gesicht?“

          Sieh’s mal so. Die SPD hat Ende 2008 beschlossen, dass sie es 2009 mit Steinmeier versucht. Ende 2012 waren sie so verzweifelt, dass sie nach öffentlichem Hin und Her Steinbrück genommen haben. Dieses Mal haben sie bis Ende 2016 großes Trara gemacht, ob es Gabriel, Schulz oder jemand anderes wird. Was ich mit Gesicht meine: es muss klar sein, wer der Kopf der SPD ist. Ist es der Parteivorsitzende? Der Fraktionsvorsitzende? Eine Figur von außerhalb? Der Außenminister der GroKo? Ich will, dass die vier Jahre lang ihre Führungsfigur aufbauen, nicht sechs Monate lang.

          „Wie ist Corbyn das Gesicht von Labour geworden? Wie wurde Bernie Sanders das Gesicht der Demokraten? Oder ist Perez deren Gesicht? Oder Pelosi? Oder immer noch Hillary? Oder Obama?“

          Von 2008 bis 2016 war es Obama. 2016 war es Hillary. Aktuell ist es niemand, aber das liegt an der Struktur des amerikanischen Systems. Und Corbyn? Wenn überhaupt dann jetzt mit der Wahl, aber da wäre ich noch vorsichtig. Die Partei ist immer noch nicht einig hinter ihm.
          Und die SPD ist eine Mitte-Links-Partei. Die Schröder’schen Exzesse sind spätestens seit 2013 vorbei. Da steckst du in der Vergangenheit fest.

          „Keine Ahnung wieviel Du von Bernie Sanders‘ oder Jeremy Corbyns Wahlkampf mitgekriegt hast. Beide hatten ein zentrales Thema: Eine faire Gesellschaft, die fuer alle funktioniert, nicht nur fuer die reichsten 1%. Alles ordnete sich diesem einen Thema unter. Sowohl Sanders als auch Corbyn wiederholten dieses Mantra wieder und wieder und wieder. Es gab auch nicht den Hauch eines Zweifels, was ihr Kernanliegen war, was nicht verhandelbar war. Selbstverstaendlich haben Parteien alle moeglichen Meinungen. Irgendwo im Programm steht auch garantiert was zur Hundesteuer. Aber diese Programmteile sind nicht zentral. Sie sind verhandelbar. Wo sind die roten Linien fuer die SPD? Was ist Kernanliegen? Was ist nicht verhandelbar? Die Partei hat so oft gelogen, hat so oft links geblinkt, bevor sie rechts abgebogen ist. Wer soll dieser Partei noch vertrauen? Und es gibt ja noch nicht einmal einen wirklichen Schwerpunkt „soziale Gerechtigkeit“. Waere es der Partei wirklich ernst damit, muesste sie jetzt mit grossen Schritten auf die LINKE zugehen. Denn ausser Rot-Rot-Gruen gibt es keine Perspektive fuer eine solche Politik. Sehen wir irgendwo ernsthafte Annaehrungsversuche? Ich erkenne keine. Und daraus koennen wir sicher schlussfolgern, dass das Gerede von sozialer Gerechtigkeit mal wieder nur leere Parolen, nur heisse Luft sind.“

          Du missverstehst meinen Punkt. Ich weiß, dass die SPD viel Vertrauen kaputt gemacht hat. Aber ihre Verbrechen hat sie 2005 bis 2009 begangen. Wo hat sie dich denn in der GroKo verraten? Sie hat brav ihre Anliegen umgesetzt und sonst so vor sich hin regiert. Irgendwann muss man halt auch mal n Schlussstrich ziehen, sonst hast nur ein ewiges Ressentiment vor sich hin köcheln.

          „Fuer wen stellt die AfD denn eine Gefahr dar mit ihren 6-7%? Eine Gefahr liegt erst dann vor, wenn solche rechten Randparteien in die Naehe der Kanzlerschaft kommen (siehe etwa die FPÖ in Oesterreich). Aber davon kann bei Petry’s Chaostruppe nun wirklich keine Rede sein. Oder wenn sie als Koalitionspartner gehandelt werden. Auch das ist in der Merkel-CDU ausgeschlossen. Wenn aber keine echte Gefahr besteht, bleibt von Deiner Empfehlung nur uebrig, dass die SPD dem Waehler taktisch eine Gefahr vorheucheln soll, die real nicht existiert. Und dann frage ich nochmal: „Gibt es denn keine echten Probleme im Land?“. Einer Partei, der nichts besseres einfaellt als dem Waehler Scheinprobleme vorzuheucheln, weil ihr kein echtes Problem einfaellt, das lohnenswert waere anzugehen, kann man nur empfehlen sich aufzuloesen und die Regierung denen zu ueberlassen, die etwas fuer die Menschen bewirken wollen.“

          Das ist doch genau mein Punkt: die AfD ist derzeit ungefährlich. Die SPD soll die aufblasen. Genau wie es die CDU mit der LINKEn gemacht hat. Du kannst nicht einfach die Regeln politischer Prozesse und politischer Kommunikation ignorieren, das ist ein Weg ins Desaster. Ich verlange nicht, dass die das ernsthaft zu einer Politikpriorität machen (was soll da auch gehen, in Demokratie?), sondern dass sie es nutzen um ihr eigenes Profil zu kommunizieren und zu schärfen.

          „Zwischen einer Homepage und einem Programm liegt ein himmelweiter Unterschied. Hillary hat ihr „Programm“ nie angesprochen. Wann immer sie um eine inhaltliche Antwort gebeten wurde, sagte sie „geht auf meine Homepage“. Sieht so jemand aus der ein Programm hat, an das er glaubt? Und das „Programm“ war ja auch extrem flexibel. Gestern war ich noch fuer TPP. Heute bin ich dagegen. Gestern war ich noch gegen einen $15 Mindestlohn, heute bin ich dafuer. Gestern war ich noch fuer Studiengebuehren an oeffentlichen Universitaeten, heute bin ich dagegen. Waehrend der Primaries rede ich ausschliesslich ueber Waffenregulierung, weil ich damit meinem Gegner schaden kann. Nach den Primaries erwaehne ich das Thema mit keinem einzigen Wort mehr. Tolles Programm! Bernie Sanders hingegen hatte wirklich ein Programm. Das selbe, das er schon vor 30 Jahren hatte. Ein Programm fuer eine faire Gesellschaft. Alles wofuer er gekaempft hat (Mindestlohn, Grossbanken aufspalten, Unternehmensspenden begrenzen, eine allgemeine staatliche Krankenversicherung etc.) steht unter dieser einen Ueberschrift. Das selbe gilt fuer Corbyn, mit aehnlichen Themen (den NHS anstaendig finanzieren, Behinderten ein menschenwuerdiges Dasein ermoeglichen, das Land nicht weiter auf dem Ruecken der Armen kaputtsparen etc.). Und auch bei Corbyn hat sich diese Ansicht, hat sich sein Programm keinen Meter geaendert im Laufe der Jahre.“

          Sorry, aber nein. HRC hat permanent über ihr Programm geredet, über policies, etc. – zumindest wenn man sie gelassen hat, was meistens eh nicht der Fall war. Erneut, es interessiert halt keinen. Sanders hatte kein Programm, er hatte ne Story. Und das war der richtige Ansatz. Die SPD muss Sanders kopieren, nicht Hillary. Aber ihre aktuelle Version ist HRC.

          So sieht eben Glaubwuerdigkeit aus. Wen hat die SPD, der aehnlich glaubwuerdig waere?

      • Logos 12. Juni 2017, 08:03

        Zunächst einmal: der Artikel ist klasse aufgemacht: sowohl vom Layout als auch der Struktur. In dieser Hinsicht mit Abstand das Beste, was ich hier je zu sehen bekam.

        Inhaltlich ist es durchwachsen: Teilsweise vollständig unterstützenswert (Scheiß auf BILD) – teilweise absolut top wie:
        „Wer kriegt was? Die 99%. Wer zahlt? Die Bonzen. Fertig.“

        Leider z.T. auch etwas neben der Spur: SPD und Mitte-links? Das war sie früher einmal. Heute ist sie doch eher Mitte-neoliberal. Es gibt nahezu keine neoliberale Schweinerei, welche die SPD nicht entweder mitgetragen – brandaktuell in der Groko die Grundgesetzänderung, um einer Privatisierung von Autobahnen [1] und Schulen [2] den Weg zu bereiten – oder gar selbst initiiert hätte: Agenda 2010 mit Hartv IV:

        „Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.“
        – Gerhard Schröder, Ex-Bundeskanzler, Rede 2005 vor dem World Economic Forum in Davos

        Dass es heute noch eine LINKS-Partei in der Stärke gibt, ist doch in allererster Linie dem Umstand zu verdanken, dass die SPD in sozialen Fragen nahezu jegliche Glaubwuerdigkeit verloren oder selbst ehemals fundamentale soziale SPD-Forderungen aufgegeben hat. Die SPD lebt doch größtenteils noch von ihrem früheren Ruf und einem Kern traditioneller Anhänger, die ihr die Treue halten, komme was das wolle. Nur lässt sich mit diesem Häuflein, welches z.T. wegstirbt, keine Wahl gewinnen.

        Ansonsten stimme ich der Kritik von Ralf praktisch vollständig zu.

        Das Hauptproblem: Mit dieser SPD ist das nicht machbar – völlig irreal. Gerade die Forderung „Wer kriegt was? Die 99%. Wer zahlt? Die Bonzen. Fertig.“
        ist mit einer neoliberal durchseuchten SPD nicht zu machen. Nen überzeugenden Kanzlerkandidaten haben die ohnehin nicht.

        Also letztendlich: ein frommer Wunsch, der an der Realität vorbei geht. Es sei denn, sie selbst würden sich als eine Art deutscher Corbyn mit entsprechender Glaubwürdigkeit – sie müssen auch tatsächlich hinter ihren Forderungen stehen und diese nicht nur als „story“ propagandieren – generieren. Das wäre eine andere Nummer, die durchaus Erfolg versprechend sein könnte.

        [1] http://www.kritisches-netzwerk.de/forum/die-bundesregierung-gibt-gas-bei-der-autobahnprivatisierung

        [2] http://www.kritisches-netzwerk.de/forum/schulprivatisierung-grundgesetz

        PS:
        Schröder’schen Exzesse sind spätestens seit 2013 vorbei.
        Woran glauben Sie das festmachen zu können? Wurde Hartz IV etwa abgeschafft? Nein?! Was ist denn angeblich seit 2013 KONKRET vorbei – d.h. welche der unter Schröder mit der Agenda 2010 vollstreckten Maßnahmen wurden substanziell zurück genommen? Bin extrem gespannt, was da von Ihnen kommt.

        Bernie hatte kein Programm. Bernie hatte eine Story. Und das ist genau das was ich meine dass die SPD auch braucht.
        Dies jetzt auf eine „Story“ zu verkürzen ist aber ne sehr flache Analyse. Story klingt so nach [Märchen-]Erzählung. Der Punkt aber ist, dass man gerade heutzutage mit ner „Story“ im Wahlkampf kaum noch einen Blumentopf gewinnen kann, sondern dass die Partei glaubwürdig hinter ihren Forderungen steht. Schulz ist mit der „story“ „mehr soziale Gerechtigkeit“ angetreten und dann grandios daran gescheitert. Weil es eben nicht mehr war als nur ne „story“ – dann kam aber raus, welche Schweinereien er selbst getrieben hat. Selbst bei der AfD, die ich in Gänze und kategorisch ablehne, ist mehr Glaubwürdigkeit vorhanden, als bei der SPD.

        Sanders vertrat echte soziale Forderungen UND war glaubwürdig. Das alles vor dem Hintergrund schwerer sozialer Verwerfungen in den USA, die auch immer mehr Menschen wahrgenommen haben. Ohne diesen kontextuellen Background hätte Sanders nicht ansatzweise so viele Anhänger hinter sich scharen können. Story? WO?

        Clinton hingegen war und ist ein verlogenes, von Ehrgeiz zerfressenes Biest, die Sanders mit allerübelsten Perfiditäten untergraben hat. Als dass dann mit dem Leak ihrer gehackten Mails an die Öffentlichkeit drang, war das Maß selbst für viele ihrer ehemaligen Anhänger voll. Das hat jetzt was mit „Story“ zu tun? Genau: gar nichts!
        Sondern vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Unzufriedenheit aufgrund immer deutlicher erodierender sozialer Verhältnisse mit der Glaubwürdigkeit und guten Forderungen der einen Person (Sanders) und der Unglaubwürdigkeit einer Anderen (Clinton), die ohnehin schon als willfährige Handlangerin des Etablissements bekannt war.

    • Stefan Pietsch 11. Juni 2017, 08:34

      François Hollande gewann in Frankreich einen grossen Sieg mit einem klaren linken Programm.

      Warum streuen Sie sich selbst regelmäßig Sand in die Augen? Sie betrügen sich doch selber. Im Frühjahr 2011, also ein knappes Jahr vor den französischen Präsidentschaftswahlen, wo Hollande siegte, sah der damalige IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn bereits wie der sichere Sieger und nächste Präsident der französischen Republik aus. Nun stand der frühere Superminister für Wirtschaft und Finanzen für eine ganz andere Richtung als der Technokrat Hollande.

      Wie bringen Sie das zusammen, wenn Sie ihre tiefrote Brille absetzen? 😉

  • CitizenK 11. Juni 2017, 04:24

    Ralf,
    Vermutlich meint Stefan das Spiegelstrich-Phänomen, wenn er über die Programm-Fixiertheit spottet. Rührend, wie in SPD-Ortsvereinen daran noch geglaubt wird.

  • Stefan Pietsch 11. Juni 2017, 08:44

    Ein launiger Artikel, gefällt mir, auch wenn ein, zwei zentrale Ideen abgekupfert scheinen. 🙂 Sei’s drum.

    Der SPD fehlt eine positive Story, Umverteilungsideen locken nur diejenigen vor dem Ofen hervor, die ohnehin bei den Sozialdemokraten ihr Kreuz machen. Deren Stammwähler sind aber nur noch so 20% des Elektorats. Um den Kanzler zu stellen, muss man sich folglich mindestens weitere 15% am freien Wählermarkt holen. Mit rein an SPD-Hardcore-Wähler gerichteten Konzepten wird das niemals gelingen können.

    Es ist ja schon ein Irrwitz, dass eingefleischte Linke den Sozialdemokraten Politikkonzepte a’la die LINKE empfehlen. Die Nachfolger der SED-Einheitspartei haben in den letzten 8 Jahren eher an Zuspruch verloren, mit ihren Ideen strahlen sich nicht über ihren Kern (Arbeitslose, Alt-Sozialisten und Kader des Stasi-Regimes) hinaus.

    Allerdings hast Du einen wesentlichen Aspekt unterschlagen: das Steuerthema. Wie andere Wähler auch, lehnen die Deutschen Steuererhöhungen ab. Einen Steuererhöhungswahlkampf hat noch niemand gewonnen.

    • Stefan Sasse 11. Juni 2017, 14:13

      Wähler lehnen Steuererhöhungen für sich ab. Aber ich hab das ja auch gar nicht vorgeschlagen 😉 Mir geht’s mehr um Walkampfmethodik als -inhalte.

      • Logos 12. Juni 2017, 09:20

        Wähler lehnen Steuererhöhungen für sich ab.
        Das ist korrekt. Deswegen muss auch ganz klar kommuniziert werden, dass geforderte Steuererhöhungen nur die Reichen, Superreichen und Großkonzerne treffen. Im Gegenzug könnte die MwSt wieder gesenkt werden, was die Mehrheit wohl deutlich begrüßen dürfte.

        Slogan: „MwSt für Alle runter – Reichensteuer rauf!“
        oder
        „Allgemein-Steuern runter – Millionärs-Steuern rauf!

        • Stefan Sasse 12. Juni 2017, 10:47

          Ich wäre auch da vorsichtig. Ich würde die Steuerfrage nur als Begründung zur Finanzierbarkeit, nicht als eigenes Thema nehmen. Steuererhöhungen für Reiche sind kein Wert an sich. Damit muss was konkretes verbunden werden. Das gibt auch weniger Angriffsfläche.

          • Logos 12. Juni 2017, 16:51

            Stimmt schon: Steuererhöhung ist kein Wert für sich. Deshalb ja vorausgehend die Steuersenkung für alle – danach die kürzestestmögliche Erklärung wies finanziert wird. Einbetten kann man das in das übergeordnete Thema „Endlich soziale Gerechtigkeit!“
            Aber eben nicht als leere Phrase wie bei der SPD, sondern mit konkreten Ansätzen verknüpft.

            Im Grunde ist „Allgemein-Steuern runter – Millionärs-Steuern rauf!“
            ja nur die ne konkretere und kommunizierungstauglichere Formulierung ihres in der Sache völlig korrekten Ansatzes
            „Wer kriegt was? Die 99%. Wer zahlt? Die Bonzen. „

            BTW: vielleicht könnten Sie so nett sein und meinen Kommentar 54182 freischalten. Danke.

  • CitizenK 11. Juni 2017, 09:42

    Einen Steuererhöhungswahlkampf hat noch niemand gewonnen?

    Doch. Merkel mit der Ankündigung der MwSt-Erhöhung. Die dann von dem unsäglich bornierten Müntefering erst bekämpft („Merkel-Steuer….“) und dann überboten wurde: Wahlkampfversprechen müsse man nicht einhalten, das zu glauben sei naiv. Das hängt der SPD heute noch nach. Zu Recht.

    Münte und Schröder haben der SPD ihre Identität genommen. Beide Aufsteiger aus kleinsten Verhältnissen , aber das ist ein anderes Thema.

    Anders als @ Stefan Pietsch glaube ich nicht, dass die SPD die fehlenden Stimmen bei den Schröderianern holen könnte. Eher bei den relativ gut gestellten, aber mit sozialem Gewissen ausgestatteten Mittelschichtlern. Solange die SPD nicht weiß was sie will wird das nichts. Erklärt auch Auf- und Abstieg von Martin Schulz.

    • Stefan Pietsch 11. Juni 2017, 11:28

      Doch. Merkel mit der Ankündigung der MwSt-Erhöhung.

      Nicht wirklich, oder? Anfang 2005 lag die Union bei der absoluten Mehrheit, noch im Sommer schien Schwarz-Gelb eine gesicherte Koalition bilden zu können. Zwei Monate später landeten die Konservativen weniger als 1%-Punkt vor den Sozialdemokraten. Daran gemessen hat Theresa May gerade einen grandiosen Wahlsieg errungen. Seltsam nur, dass weder Parteifreunde noch der politische Gegner sich dieser Interpretation anschließen können.

      Seit 1980 hat die SPD insgesamt 10 Bundestagswahlkämpfe bestritten, in 7 davon zog sie mit dem Versprechen von Steuererhöhungen. In den 1980er Jahren bis zu Scharping nannte sich das dann meist „Ergänzungsabgabe“. Das Willy-Brandt-Haus hat all diese Wahlkämpfe meist überdeutlich verloren, sogar gegen den als bräsig verschrienen und mäßig populären ewigen Kanzler Helmut Kohl. 3 Wahlkämpfe – 1980, 1998 und 2002 – bestritt sie ohne solche Ankündigungen, Schröder versprach sogar breite Steuersenkungen. Man kann das in langen Reihen als Zufall, als Besonderheit jedes Wahlkampfes abtun. Und natürlich können Sie auf die relativ gut gestellten, aber mit sozialem Gewissen ausgestatteten Mittelschichtlern setzen, die gerne und mit Begeisterung ihre Überstunden und Lohnsteigerungen mit einer Abgabenquote von fast 65% belegen lassen. Ist gibt aber Indizien, dass dieser Kreis eher klein ist und lieber skrupellos, aber den eigenen Geldbeutel schonend die wieder erstarkte FDP wählt. Das hat dann auch den Vorteil, dass eine Koalition von Rot-Grün mit den Liberalen keinen politischen Sinn ergibt.

      • Rauschi 11. Juni 2017, 13:56

        Ist gibt aber Indizien, dass dieser Kreis eher klein ist und lieber skrupellos, aber den eigenen Geldbeutel schonend die wieder erstarkte FDP wählt.
        Der Kreis der Mittelschichtler ist so klein, das die alle lieber FDP wählen? Die Quote von 65% würde ich auch eher oberhalb vermuten, denn die „normale“ Abgabenquote liegt um die 40%. Ich tippe mal, das die von Ihnen beschriebene Schicht sich eher in der selbst ernannten „Elite“ befindet. Die brauchen ja schliesslich auch niemandem etwas zurück zu geben, weil ja alles Erreichte nur auf eigener Leistung beruht. Da ist dann Solidarität eben doch eine Einbahnstrasse, obwohl Sie doch immer das Gegenteil fordern. Aber was soll’s, das gehört so, wenn man in der blauen Welt lebt.

        Gruss Rauschi

      • Logos 12. Juni 2017, 09:05

        Klar, gegenüber der Unterschicht ist die Mittelschicht „relativ gut gestellt“. Gegenüber Slumarbeitern in Kalkutta ist auch die deutsche Unterschicht „relativ gut gestellt“. Ist eben alles nur eine Frage der Relativierung und deren Bezugsreferenz. Auf diese Weise lässt sich dann nahezu jede Armut in westlichen Ländern relativieren.
        Dass es mit der Oberschicht, Hochvermögenden und Superreichen auch viele gibt, gegenüber denen die Mittelschicht sowohl relativ wie absolut deutlich schlechter gestellt ist, kann man ja ruhig unterschlagen. Dass die Mittelschicht nach unten erodiert ebenso.

        Wo es dann aber richtig krude wird: Mittelschicht und „ Abgabenquote von fast 65%“ will nicht wirklich zusammen passen. Da sprechen Sie in Wahrheit doch eher von der mittleren Oberschicht.

        Zwar wird allgemein auf den Beziehern „leistungsloser Einkommen“ rumgehackt – aber nur, wenn es um Hartz IV geht. Dass es am anderen Spektrum ebenfalls Bezieher leistungsloser Einkommen gibt, die aufgrund ihres Vermögens satte Zinsgewinne oder Dividenden im mitunter mehrstelligen Millionenbereich einstreichen [1], und dabei mit einem Steuersatz von nur 25% gegenüber richtiger Arbeit deutlich besser gestellt werden, wird kaum kritisiert. Auch von Ihnen nicht. Warum?

        [1] http://www.kritisches-netzwerk.de/forum/der-schulz-effekt-und-der-quandt-effekt

        Ist gibt aber Indizien, dass dieser Kreis eher klein ist und lieber skrupellos, aber den eigenen Geldbeutel schonend die wieder erstarkte FDP wählt.
        Die Verbindung von Skrupellosigkeit und FDP ist absolut korrekt. Sachlich ist es völlig schleierhaft, warum Personen, die keine egoistischen Superreichen oder Unternehmer sind, FDP wählen. Dürfte wohl politischer Inkompetenz sowie einer gewissen Naivität und Blauäugigkeit gegenüber der Lügenpropaganda der FDP geschuldet sein.

  • CitizenK 11. Juni 2017, 13:53

    „….die wieder erstarkte FDP wählt“.

    Danach sieht es wohl aus. Aber wer die Gurkentruppe 2.0 wählt, hätte sein Kreuz wohl sowieso nicht bei den Genossen gemacht.

    Und zu der Abgabenquote von 65 Prozent für Überstunden gibt es durchaus Alternativen. Auch (Wert-) Konservative schütteln den Kopf darüber, dass Arbeit höher besteuert wird als Couponschneiden. Das müsste nicht so bleiben, aber die hasenherzige SPD traut sich nicht.

    Die Nebelkerze „Steuererhöhungswahlkampf“ können Sie auspusten. Es geht nicht um „Erhöhung“, sondern um die Umstrukturierung von Steuern und Abgaben.

    Wenn Vermögen durch Einkommen (Subtext: durch Arbeit, vor allem durch innovative und wagemutige unternehmerische Tätigkeit) entstehen, dürften die Vermögensbildner doch nichts gegen eine Erbschaftssteuer haben? Die den Vermögenden nahestehenden Parteien wehren sich unter dem Einfluss der pressure-groups mit Händen und Füßen dagegen.

    „Erbschaftsteuer: Deutschland lässt sich Milliarden entgehen
    Jedes Jahr werden in Deutschland Vermögen im Wert von 200 bis 300 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt. Laut einer neuen DIW-Studie entgehen dem Fiskus dabei Milliardenbeträge.“
    http://www.spiegel.de/forum/wirtschaft/erbschaftsteuer-deutschland-laesst-sich-milliarden-entgehen-thread-408584-39.html

    Cum-Cum und Cum-Ex, Umsatzsteuer-Karussell, Gewinnverschiebung, Briefkastenfirmen, undundund. Wer plündert da wen aus? Eher die Reichen den Staat als dieser die arbeitende Bevölkerung.

    @ Stefan Sasse
    „….dass zunehmend Satiremagazine die Realitaet treffender beschreiben als die etablierten Medien“ ist eine sehr treffende Beobachtung. Der Postillon-Artikel ist ja schon mehr Analyse als Satire. Warum ist das so?

  • Kirkd 12. Juni 2017, 08:30

    Ich stimme Dir in vielen Teilen zu. Ich würde der SPD raten:
    – Die SPD muss anerkennen, dass ihre grossen Erfolge immer darauf beruhten, dass beide Flügel der Partei stark waren und mitzogen. Diskussionen wie „Die SPD muss sich mehr zur Mitte orientieren“ oder „Muss sich wieder mehr nach links wenden“ führen genau zu den 20% Ergebnissen der letzten Jahre. Wer als Volkspartei Erfolg haben will muss „Sowohl als auch“ sagen und für beide Strömungen Personen wie inhaltliche Akzente anbieten.
    – Die Spitzenpersonaldecke ist zu dünn. Wer eine Führungsfigur im Wahlkampf will, braucht eine Reihe dicker Kaliber in den eigenen Reihen, aus denen sich dann eine Führungsfigur herausschält.
    – Am wichtigsten aber ist: egal wo man linke oder mitte-Akzente setzt, an einigen Stellung muss man Haltung zeigen (die grösste Schwäche der Gabriel-ära, der immer am liebsten im Wochentakt in eine andere Richtung blinkte). Seehofer macht vor, wie man das in einer Koalition macht. Merkels Strategie ist das konsequente Unterdrücken von Kontrapunkt und abweichender Haltung. Wer dem auf den Leim geht, und die SPD hat das nun bereits in zwei Legislaturperioden gemacht, der verliert. Der grösste Mangel der SPD ist Wählermobilisierung, die bekommt sie nicht, mangels der Glaubwürdigkeit des Spitzenpersonals und die Glaubwürdigkeit hat das Spitzenpersonal nicht, weil es nicht in der Lage ist, in einzelnen Fragen über einen längeren Zeitraum Haltung zu zeigen. Deshalb bekommt die SPD mit moderaten Mitte-Links Programmen weniger Stimmen als Jeremy Corbyn, mit einem klassisch linkem sozialdemokraitschen Programm. Der verkörpert nämlich mehr Haltung, als Gabriel, Steinmeier, Steinbrück und Oppermann zusammen. (das gleiche gilt auch Macron, der dasselbe in der Mitte-Links-Richtung vormacht).

    • Stefan Sasse 12. Juni 2017, 10:49

      – Das ist genau worauf ich abziele: verschreib dich einem mehrheitsfähigen Narrativ und mach die Details später.
      – Absolut. Deswegen sehe ich auch Schwesig gerade eher kritisch. Die ist so ein „auf dem Papier toll“-Kandidat. Aber wenn sie nicht konsistent gepusht wird geht da gar nichts.
      – Exakt.

  • Wolf-Dieter Busch 15. Juni 2017, 10:58

    Vorn vorn bis hinten flüssig zu lesender Text. Kompliment.

    Zur Sache, du bist halt ein SPD-Sympathisant. Deine Vorschläge (haben alle Hand und Fuß) zielen auf einen Wahlsieg dieser Partei ab.

    Nun ist eine Partei keine Fußballmannschaft, sondern ein Gebilde, das mein Leben beeinflusst. Aus der Ecke hagelt es Kritik gegen deinen Favoriten (Stichwort „Verräterpartei“, es gibt populäres Liedgut zu dem Thema).

    Irgendwelche Vorschläge dazu? Nicht, dass ich dem Personal aus dem Laden auch nur das Geringste zutraue (moralisch vollständig verbrannt durch Fraktionszwang der letzten achtzehn Jahre – ach was, einhundertdrei Jahre).

    • Stefan Sasse 17. Juni 2017, 06:59

      Fraktioszwang finde ich kein Problem, das habe ich schon an anderer Stelle beschrieben (http://oeffingerfreidenker.blogspot.de/2009/10/fraktionszwange.html).
      Ich denke auch nicht, dass die SPD eine Dauerverräterpartei ist. Mein Gefühl ist dass der Todesstoß von Müntefering kam, als er in der GroKo Mehrwertsteuer und Rentenalter erhöht hat. Aber wie ich beschrieben habe, seit 2013 ist es eigentlich ok. Sobald die mal die Alte Garde vollends los sind, sollte sich da einiges bessern lassen. Das wäre ja auch meine Hoffnung auf Schulz, der hat den ganzen Agenda-baggage nicht.

      • CitizenK 17. Juni 2017, 07:36

        „…. von Müntefering kam, als er in der GroKo Mehrwertsteuer und Rentenalter erhöht hat“.

        Und, nicht zu vergessen, sein verächtliches Gerede über Wahlversprechen, von denen nur Naivlinge annehmen würden, man würde sie einhalten. Der Mann müsste eigentlich ein Partei-Ausschluss-Verfahren kriegen. Stattdessen wird er hofiert.
        Das rechtfertigt allerdings nicht das sinnfreie Wiederholen von „…wer hat uns verraten…“ Wer ist „uns“? Das kam ja von einer politischen Religion, die lange (sehr lange) Zeit Stalin angehimmelt hat. Damit müsste sich das eigentlich von selbst erledigt haben.

        • Wolf-Dieter Busch 17. Juni 2017, 08:19

          @CitizenK – die KPD gibts nicht mehr, und du schüttest gerade das Kind mit dem Bade aus.

          • CitizenK 17. Juni 2017, 09:24

            Auch eingängige Reime und gut gemachte Songs darf man hinterfragen.

            Eine treffendster Satz von Stefan Sasse:

            „Hört auf euch als das zu inszenieren als das ihr gerne gesehen werden wollt und konzentriert euch darauf wie euch die Leute sehen wollen, auf deren Stimmen ihr angewiesen seid.“

            Die Koalition mit der Linkspartei ist das offenbar nicht. Das bisschen Kosmetik von Schulz an der Agenda aber auch nicht. Das erkennen auch einfache Gemüter. Ist es die Mitte, wie InDubio meint? Dafür sprächen die (verübergehenden) Erfolge mit Schiller und Schröder.

            Ich glaube das nicht. Schulz ist nicht Corbyn und nicht Sanders. Er wird die Wahl mit größerem Abstand verlieren als diese, er wird nicht Kanzler werden und die SPD sollte das jetzt realisieren. Das wäre die Chance, Profil zu zeigen
            – gegen die Finanzmärkte und für die Transaktionssteuer
            – für Bankenregulierung
            – gegen die Steuerflucht
            – für eine Erbschaftssteuer, die den Namen verdient
            – Vermögensteuer?
            usw.

            Mit Schulz wieder nicht. Versagen, aber kein „Verrat“.

            • Wolf-Dieter Busch 17. Juni 2017, 12:52

              Im Kern sind wir einig, also in der Praxis.

              Ich habe an anderer Stelle argumentiert, dass die Funktion der SPD von Anbeginn darin bestand, die jugendfrischen linken Elemente aufzusaugen und zu neutralisieren.

              Bei Stefan Sasse höre ich zwischen den Zeilen raus, das möge vielleicht sein, sei aber dann eine vorübergehende Fehlfunktion. (Stefan, richtig?)

              Mein Standpunkt lautet nun: nein, keine temporäre Fehl-, sondern definierte Hauptfunktion. Oder kurz, volle Absicht.

              Falls du mir nicht zustimmst, genügt es mir, dass du meinen Standpunkt mitgekriegt hast.

              • Stefan Sasse 17. Juni 2017, 14:01

                Oh absolut, die SPD will genausowenig Konkurrenz von links wie die CDU von rechts. Nur dass sich das erledigt hat. Die SPD hat diese elemente dauerhaft an Grüne und LINKE verloren.

            • Stefan Sasse 17. Juni 2017, 14:05

              Das Hauptding was die SPD ablegen muss ist dieser Irrsinn zu glauben, dass die aktuelle in Politkreisen verbreitete Wirtschaftspolitik die einzig richtige und wahre ist. Die müssen sich ein, zwei renommierte VWL-Leute hernehmen die eine Alternative predigen (Krugman zB) und ad nauseam deren Wirtschaftspolitik predigen, und plötzlich öffnen sich für eine Politik der Mitte tausende Möglichkeiten, wie die die du ansprichst.

            • Stefan Pietsch 18. Juni 2017, 09:36

              Okay, und Sie meinen ernsthaft, damit würde die SPD nur einen Prozent dazugewinnen? Warum ist das mit weit populäreren Themen wie dem Mindestlohn nicht gelungen? Oder der Frauenquote in Aufsichtsräten? Keinen Deut hat sich die Zustimmungskurve der Sozialdemokraten dadurch bewegt.

              Viele Leute wissen nicht mal, was eine Finanzmarkttransaktionssteuer ist, geschweige denn, dass sie es unfallfrei schreiben können. Macht sich übrigens klasse auf einem Werbeplakat! Eine Erbschaftsteuer ist nicht sehr populär. Sie machen einen typischen Fehler: was Ihnen gefällt, muss mindestens 50% der Bevölkerung auch gefallen – und zwar so, dass sie voller Begeisterung und hoch motiviert ihr Kreuz an einer Stelle des Wahlzettels machen.

              Ich habe Zweifel, dass Sie dafür den richtigen Ansatz haben.

              • Stefan Sasse 18. Juni 2017, 10:43

                Ich sag’s ja: es fehlt eine konsistente Story.

              • CitizenK 18. Juni 2017, 15:08

                Nicht für 2017 (die Wahl ist sowieso verloren) und nicht mit Schulz. Bis zur übernächsten Wahl werden sich die Folgen der Weiter-So-Politik zeigen. Dann wird es darauf ankommen, Kurs gehalten zu haben, aber bei schlechtem Wetter.

                Wie viele Anläufe hat Kohl gebraucht? Wie lange wurden die Grünen für Spinner gehalten? Wie schnell waren die etablierten Parteien in Italien und Frankreich weg vom Fenster?

                Die FTS verstehen die Leute vielleicht so wenig wie heute den Einkommensteuertarif oder das Umsatzsteuer-Karussell oder Cum-Ex. Aber dass man Geld braucht für dringend benötigte Aufgaben, werden sie verstehen. Die Weiter-So-Politik wird über kurz oder lang eine neue Krise bringen. Dann kommt es darauf an, die konsistente Story zu haben, da hat Stefan recht.

                Dann findet sich auch eher ein glaubwürdiger Kandidat. Mit Wischi-Waschi-Schulz ist nichts zu holen. Der Hype um ihn zeigte nur den Zustand seiner Partei.

                Zweifel sind erlaubt, klar. Aber wohin die GroKo trotz der „erfolgreichen Arbeit der Minister“ (Müntes Geheimrezept für den Erfolg) geführt hat, ist auch klar. Und damit ist auch klar, wohin weitere vier Jahre GroKo führen werden. Die Lage ist so, dass man als Sozialdemokrat hoffen muss, dass es bei der Wahl im September für Schwarz-Gelb (ich tippe immer zuerst noch in Freud’scher Manier „Schwarz-Geld“) reicht. Wenn nicht, ist die SPD endgültig am Ende, dann wird sie in „staatsbürgerlicher Verantwortung“ wieder die Kastanien für die anderen aus dem Feuer holen und dafür vom Wähler nicht belohnt werden.

                • Stefan Pietsch 18. Juni 2017, 17:32

                  Politik wird von Personen und Persönlichkeiten gemacht. Mir fällt bei der SPD kein Hoffnungsträger im Alter zwischen Mitte 30 bis Mitte 40 ein. Für die Generation war die politische Karriere ohnehin wenig attraktiv und die wenigen Talente sind im wesentlichen zu den Grünen, ein paar noch zur Union und zur FDP gegangen. Die Liberalen haben mit dem Verlust der Bundestagsmandate 2013 einen heftigen Aderlass erlitten.

                  Nun wird Manuela Schwesig hochgejazzt. Die Wahrheit ist: die bisherige Familienministerin ist bisher nur gefördert worden, durchbeißen musste sie sich kein einziges Mal. Das ist weit zu wenig. Selbst das Amt der Ministerpräsidentin wird ihr nun auf dem Silbertablett serviert. Fakt ist: sie ist ein nettes Gesicht, ohne jede Erfahrung im Leben außerhalb der Politik. Auf welchen erfolgreichen Regierungschef traf eine solche Beschreibung je zu?

                  Ich habe es schon oft geschrieben: mir ähnelt die Politik der Sozialdemokratie zu sehr den 1980er Jahren: nehme populäre Minderheitenthemen, einen gefälligen Kandidaten und hoffe auf den Wahlsieg. Die SPD hat offensichtlich bis heute nicht verstanden, dass sie niemals wegen einer Politik für Minderheiten gewählt wird.

                  Sie verlangen den doppelten Überzeugungs-Toeloop: die meisten Menschen behaupten von sich, ihnen ginge es gut. Sie brauchen ein Problem. Und: die überwiegende Mehrheit meint, der Staat habe genügend Einnahmen. Es ist schon schwer, gegen eines dieser positiv konnotierten Überzeugungen anzugehen. Gegen beides anzuargumentieren, ist schlicht zum Scheitern verurteilt. Aber man kann es gerne weiter versuchen.

                  Ein weiteres Problem ist immer, sich von einem Erfolg, gerade dem eigenen, permanent zu distanzieren. Kein Manager, kein Trainer wurde so agieren. Merkmal erfolgreicher Politiker von Schmidt über Kohl bis Merkel war stets, sich nicht von der Politik des Vorgängers zu distanzieren und diese zurückdrehen zu wollen. Die SPD strebt eine Rückabwicklung von Aktuellem seit 2005 an.

                  Mein Favorit ist nicht Schwarz-Gelb, aber die linken Parteien könnten es mit ihrer Selbstbespiegelung erzwingen. Die FDP ist personell und organisatorisch wegen ihrer Abwesenheit aus dem Bundestag darauf nicht vorbereitet, die Gefahr des Scheiterns daher sehr groß, weit größer als 2013 – und damals fuhr man die Partei an die Wand. Eigentlich favorisiere ich Jamaika oder die Ampel, Hauptsache keine große Koalition.

                  • CitizenK 18. Juni 2017, 17:57

                    „…. Leben außerhalb der Politik. Auf welchen erfolgreichen Regierungschef traf eine solche Beschreibung je zu?“

                    Auf Schmidt, auf Kohl, auf Brandt, auf Adenauer. Und Merkel. Alles Berufspolitiker. Schwesig? Na ja, aber Merkel sah auch mal sehr klein aus. Man wird sehen.

                    Dezidiert linke Politik seit 2005? Die SPD? Worin besteht der Erfolg von Schröder? Er hat seine Partei von sich selbst entfremdet – mit Typen wie Müntefering und Steinbrück. Mir tun die Wahlkämpfer der SPD leid. Sie können auf kleine Erfolge verweisen wie Mindestlohn, höheres BaföG, Verbesserungen hier und da. Das zündet aber nicht.

                    Vielleicht ist es ja so, dass die SPD als nicht mehr dringend nötig empfunden wird, weil einige sozialdemokratische Ziele erreicht sind? Das könnte sich mit der bevorstehenden Entwicklung schnell und grundlegend ändern. Dann wird die SPD wieder dringend gebraucht. In ihrem gegenwärtigen Zustand wird sie nicht genügend leisten können.

                    Mit Jamaika oder einer Ampel würden wir uns einem Konsensmodell wie in der Schweiz annähern. Die fährt recht gut damit. Bei gespaltenen Gesellschaften wie in USA, GB und Frankreich führt die Konkurrenzdemokratie zwangsläufig dazu, dass eine Hälfte der Bevölkerung ihre Interessen nicht vertreten sieht. So gespalten ist die deutsche Gesellschaft nicht. Trotzdem: Wir müssen Demokratie neu denken.

                    • Stefan Pietsch 18. Juni 2017, 18:18

                      Selbst Merkel hatte vor der politischen Karriere ein Leben. Schwesig war kurzzeitig Sachbearbeiterin in einem Finanzamt – Lebenserfahrung sammelt man da eher nicht. Leben besteht aus Scheitern und Niederlagen. Bisher hat man das der „Küsten-Barbie“ (Parteispott) stets abgenommen.

                      Lesen Sie vielleicht mal die Wahlprogramme 2005, 2009 und 2013. 2005 forderte man neben Steuererhöhungen auch eine Bürgerversicherung – ein Albtraum für Konservative und Liberale. 2009 und 2013 standen massive Steuererhöhungen für die oberen 20% im Wahlprogramm – neben der Bürgerversicherung und dem Mindestlohn. Das kann man schon ein dezidiert linkes Programm nennen. Mit Schröder erreicht die Partei drei Mal Ergebnisse, die heute wie ein Traum wirken. 1998 und 2002 lagen sie weit über dem, was die Partei sogar ohne verstärkte Konkurrenz auf der linken Seite seit den Zeiten von Helmut Schmidt erreichen konnte.

                      Dass die Sozialdemokratie so selten im Westen regiert, hat aus meiner Sicht wenig damit zu tun, dass sie nicht gebraucht würde, sondern mit der eigenen Unfähigkeit, auf die Bedürfnisse der Mehrheit einzugehen sowie auf die Lust, stets die härteste Opposition der eigenen Regierung sein zu wollen. Schmidt, Schröder, Prodi, Blair – alle von den eigenen Leuten gestürzt, wenn diese nicht in aufrechter Haltung dem Sturz zuvor gekommen sind. So haben es immerhin Schröder und Blair gemacht. Schmidt schob geschickt den schwarzen Peter der FDP zu, wo er doch den Rückhalt bei den eigenen Leuten verloren hatte.

                      Was meinen Sie mit „Demokratie neu denken“?

                    • CitizenK 19. Juni 2017, 04:10

                      Blair wie Schröder haben ein Strohfeuer entfacht und verbrannte Erde hinterlassen. Das Blair-Schröder-Papier habe ich damals als Beginn einer modernen Form von Sozialdemokratie aufgenommen. Zwar mit Zweifeln, aber auf die Kompetenz dieser „Koryphäen“ vertrauend. Blair war der mit den spin doctors, damals der letzte Schrei. Taktik, keine Strategie – und keine Substanz. Und kein Charakter. Der eine zog mit Lügen sein Land in einen völkerrrechtswidrigen Krieg, der andere warf aus gekränkter Eitelkeit den Bettel hin und lief zum Gegner über, statt für seine Sache zu kämpfen. Schöne Vorbilder. Das mit den „linken Koryphäen“ scheint sich ja gerade zu drehen.

                      Demokratie neu denken heißt zum Beispiel, das Experiment Macrons genau zu beobachten. Das hat ja durchaus links-liberale Züge. Oder nach Dänemark schauen – was Schröder schon hätte tun sollen. Die Dänen haben die notwendige Flexibilisierung geschickt mit einer sozialen Absicherung verbunden.

                      Auch die angelsächsische Vorstellung, die Opposition müsse „Regierung im Wartestand“ sein, muss auf den Prüfstand. Wie man in GB beobachten kann. Die Briten waren lange Zeit Orientierung für mich – jetzt nicht mehr. Die USA, das ehemalige Mutterland der Demokratie, schon gar nicht.

                      Überhaupt können die kleinen Demokratien Denkanstöße geben. Warum geht es Österreichs Pensionisten im Vergleich so viel besser – ohne die Volkswirtschaft zu ruinieren, wie Gegner der Umlagerente immer behaupten?

                      Ein weites Feld.

                    • Stefan Pietsch 19. Juni 2017, 08:10

                      Ihrer Einschätzung von Blair und Schröder kann ich in keiner Hinsicht folgen. Da sprechen bereits die Daten eine andere Sprache. Beide waren Regierungschefs, die noch etwas grundsätzlich verändert haben.

                      Der Gleichklang von Blair und Clinton ist bemerkenswert. Beide folgten nach einem vergleichsweise kurzem Interregnum auf sehr charismatische Politiker, die ihr Land grundsätzlich verändert haben. Beide konservative Sozialdemokraten folgten in den 1990er Jahren einer Politik der langsamen Erhöhung der Staatseinnahmen zur Sanierung der Finanzen und Generierung öffentlicher Überschüsse, gepaart mit Vollbeschäftigung. Beide hinterließen ihren Nachfolgern ein bestelltes Haus.

                      Auf ihre Regentschaft folgten nur noch schwache Anführer, die einer vergleichsweise chaotische Wirtschaftspolitik orchestrierten. Schröder ist der einzige Politiker der jüngeren Nachkriegsära, der die relevanten Kurven Wachstumspotential, Staatsverschuldung und Arbeitslosenquote tatsächlich positiv zu beeinflussen vermochte. Und er ist nun seit 1 1/2 Jahrzehnten der letzte Politiker, der eine nennenswerte Steuerreform durchzusetzen vermochte. Das ist ein beeindruckendes Erbe.

                      Das Umlageverfahren ist nun sehr einfach zu verstehen, von daher verwundert es mich, dass gerade links orientierte Menschen immer nach der Wunderformel suchen. Wir haben das bereits in unserer Kindheit gelernt, was Franz Müntefering immer mit Volkshochschule Sauerland verbrämte: Viele Einzahler, wenig Empfänger sorgen für hohe Rentenzahlungen. Das sind die Säulen. Österreich erhebt einen außerordentlich hohen Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung, fast 23%. Zum Vergleich: das ist der Wert, der in Deutschland erst auf dem Höhepunkt des demographischen Wandels 2030 gelten soll. Es ist wenig verwunderlich, dass das System von Felix Austria sehr hohe Renten auszahlen kann. Dazu gibt es in unserem Nachbarland weniger verhärtete Arbeitslosenkarrieren. Dazu ist das Einkommensniveau in Österreich niedriger als in Deutschland.

                      Es ist keine finanzpolitische Kunst mit viel Geld sehr viel Leistung zu bezahlen. Die Frage ist eher, wo kommt das viele Geld her und richte ich mit hohen Zwangsabgaben nicht auch große Schäden an. Griechenland hat z.B. ein sehr generöses Rentensystem mit der Folge, dass ein höherer Teil der eigentlich erwerbsfähigen Bevölkerung Renten bezieht und das gesamte Sozialsystem ganz wesentlich an der öffentlichen Rente hängt.

                      Wie gesagt, ich halte das alles für keine große Staats- und Finanzkunst.

                  • CitizenK 13. Juli 2017, 12:30

                    @ In Dubio

                    Die SPD solle stolz sein auf die Agenda? Nicht nur „Linke“ sehen das ganz anders:

                    „Dann war die Agenda 2010 überflüssig, vor allem weil sie zu spät kam.

                    Richtig. Und die Agenda 2010 brachte dann mit dem Niedriglohnsektor, der mit ihr verbundenen Sparpolitik und den geringen öffentlichen Investitionen weitgehend nur Negatives: Die Binnennachfrage stagnierte in Deutschland viele Jahre. Deutschlands Wirtschaft stand und steht deshalb nur auf einem Bein: dem Exportgeschäft mit den großen Überschüssen, die so viel Unfrieden und Probleme bereiten, weil das Ausland bei uns ständig einkaufen soll und wir dies umgekehrt nicht tun.“

                    https://makronom.de/gerhard-bosch-arbeitsmarkt-gewerkschaften-die-agenda-2010-war-ueberfluessig-21972

                    • Stefan Pietsch 13. Juli 2017, 14:28

                      Was soll ich dazu sagen? Sie zitieren weitgehend ein Online-Magazin, das wesentlich von Gewerkschaftern getragen wird. Worauf wollen Sie hinaus?

                    • CitizenK 14. Juli 2017, 06:38

                      Auf die Frage, ob die Agenda-Politik ursächlich war für die im Vergleich positive Entwicklung (jedenfalls nach den gängigen Kriterien).

                      WO das steht ist doch weniger wichtig als WAS da steht. Der Verfasser war Direktor am Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) an der Universität Duisburg-Essen, also nicht befangen und nicht unbedingt ein „Linker“:

                      „Was oft vergessen wird: Gerhard Schröder hat damals den Gewerkschaften gedroht, das Günstigkeitsprinzip der Tarifverträge aufzukündigen. (…) Damalige Gewerkschaftsvorstände haben dies hautnah erlebt und sahen sich vor der Alternative, Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen zu vereinbaren oder die Regierung Schröder wäre an den Kern des deutschen Tarifsystems gegangen. Das war glatte Erpressung. Und der haben sich die Gewerkschaften gebeugt.“

                      Dass die Agenda 2010 von den Gewerkschaften mitgetragen wurde, war und ist ja ein zentrales Argument der Befürworter.

                    • Stefan Pietsch 14. Juli 2017, 07:51

                      Dass die Agenda 2010 von den Gewerkschaften mitgetragen wurde, war und ist ja ein zentrales Argument der Befürworter.

                      Für mich nicht und war es nie. Weil es mir egal ist, Gewerkschaften sind so wenig oder so sehr relevant wie z.B. die Arbeitgeberverbände. Die zitiere ich auch nicht und verweise nicht auf sie.

                      Natürlich gibt es bis heute unterschiedliche Meinungen über die Bedeutung der Agenda 2010. Nur: sowohl die Mehrheit der ökonomischen Fachleute (im Sozialwissenschaftlichen durchaus relevant), die Vorbildfunktion für andere wie IWF, OECD oder Frankreich, und die Koinzidenz der wirtschaftlichen Entwicklung legen nahe, dass insbesondere die Arbeitsmarktreformen einen gravierend positiven Einfluss hatten. So hatte Deutschland bis 2005 über einen Zeitraum von rund 30 Jahren einen steten Aufbau der Sockelarbeitslosigkeit wie der Langzeitarbeitslosigkeit. Genau 2006 kippte dieser Trend. Ebenso stabilisierten sich die Beitragseinnahmen der öffentlichen Haushalte und die Erwerbstätigkeit gemessen in Stunden zeigt entgegen dem vorherigen Trend eine aufsteigende Entwicklung. Die Einkommen wie die Vermögen (siehe nächsten Artikel) haben sich seit dieser Zeit nicht weiter auseinander entwickelt. Die Erwerbstätigkeit älterer Menschen steigt rasant, die Sparvermögen gerade der Mittelschicht sind relativ hoch.

                      Das alles lässt sich natürlich auf Zufälle, günstige außenwirtschaftliche Ereignisse etc. zurückführen. Gut, dann haben wir innerhalb eines 50-Jahres-Zeitraums ein günstiges Fenster erwischt.

                    • Stefan Pietsch 14. Juli 2017, 08:31

                      By the Way: ich halte das Günstigkeitsprinzip weiterhin für falsch. Tatsächlich führt es in der Praxis zu ziemlichen Absurditäten und Beschädigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Und am Ende verhindert es, dass Tarifverträge einheitlich auf die Belegschaft ausgerollt werden können.

                      Ich würde es auch als einen Beitrag zur Tarifflucht bezeichnen.

  • Logos 15. Juni 2017, 21:13

    Passt gerade wie die Faust aufs Auge:

    Der große Stimmenzuwachs von Corbyns Labour widerlegt gängige Wahlkampfstrategien, die in der politischen Debatte oft gratis aber mit Absicht feilgeboten werden.

    http://www.nachdenkseiten.de/?p=38735

    • Stefan Sasse 17. Juni 2017, 06:56

      Sanders und Corbyn haben beide verloren. Knapper als man dachte, zugegeben. Aber solange ein strammer Linkspopulist nicht irgendwo an die Regierung kommt und dann erfolgreich regiert…

      • Logos 17. Juni 2017, 09:03

        Sanders und Corbyn haben beide verloren.
        Beide wurden bzw. werden von ihren eigenen Parteien desavouiert, weil diese neoliberal durchseuchten Sauhaufen einen sozial Progressiven nicht an die Macht kommen lassen wollen!
        Das ist hierzulande nicht anders – siehe Linkspartei und die kategorische Weigerung der SPD-Schergen: „mit denen niemals“. Soviel zu ihrer präferierten SPD, Herr Sasse.

        Aber solange ein strammer Linkspopulist nicht irgendwo an die Regierung kommt und dann erfolgreich regiert…
        1) Ein Populismus-Vorwurf? Echt jetzt, Herr Sasse? Auf dieses „Niveau“ antworte ich mit Richard David Precht: „heutzutage wirft sich jeder gegenseitig Populismus vor. Dann kann man den Quatsch auch rauskürzen und sich endlich einmal inhaltlichen Sachfragen zuwenden.

        2) Sind auch ihnen Sanders und Corbyn zu links, obwohl beide doch nur soziale Forderungen erheben, wie eine SPD aus längst vergangenen Zeiten (so vor 40-50 Jahren)? Damit würden auch Sie meine Eingangsdiagnose bestätigen.

        3) … dann geht es der Gesellschaft noch „zu gut“ und der Leidensdruck noch nicht hoch genug?
        Oder was wollten sie andeuten?
        Sprechen Sie sich aus! Gedanken lesen kann keiner.

        • Stefan Sasse 17. Juni 2017, 14:29

          Sie haben verloren.

          1) Ich verwende Populismus wertneutral. Lese hauptsächlich amerikanische News-Sites, bei denen ist das kein so Kampfbegriff.
          2) Mich stören bei Sanders und Corbyn nicht die Positionen. Mich stört a) ihre Theorie von politischem Wandel und b) einige altmodische Forderungen und eine Art Blindheit gegenüber aktuelleren Themen. Aber das habe ich an anderer Stelle schon ausführlicher dargestellt.
          3) …solange stoße ich keine Jubelrufe darüber aus, wie das angeblich Wahlen gewinnt. Weil bisher haben sie noch keine gewonnen, sondern nur zweite und dritte Plätze. Und von denen kann man sich herzlich wenig kaufen.

          • Logos 17. Juni 2017, 18:14

            Imo stößt niemand Jubelrufe aus, wie das Wahlen gewinnt. In diesen düsteren, neoliberal durchseuchten Zeiten gibt es kaum Grund zum Jubeln. Aber dass es
            1) wieder Personen gibt, die echte soziale Programmatik vertreten und diese
            2) eine nennenswerte Anhängerschaft hinter sich scharen können
            gibt einen gewissen Hoffnungsschimmer.

            Bitte konkretisieren Sie doch mal
            a) welche Theorie von politischem Wandel Sie stört und warum
            b) welche Forderungen für sie altmodisch sind und warum
            c) wo Ihrer Ansicht nach Blindheit gegenüber welchen aktuelleren Themen besteht.
            Vielleicht können sie auch einfach an die andere Stelle verlinken, wo sie das schon mal ausführlicher darstellten.

  • CitizenK 18. Juni 2017, 15:17

    @ In Dubio

    Sie mögen doch Fußball-Metaphern. Wenn eine Mannschaft ständig verliert und vom Gegner und dessen Fans (nicht von den eigenen) ausdrücklich für ihre Spielweise gelobt wird – sollte dann der Trainer nicht über einen Strategiewechsel nachdenken? Oder der Verein den Trainer auswechseln?

    • Stefan Pietsch 18. Juni 2017, 16:59

      Natürlich, wer immer verliert, macht etwas grundsätzlich falsch. Es ist aber nicht so, dass die Sozialdemokratie es nicht mit dezidiert linker Politik (Steuererhöhungen, Regulierungen) versucht hätte, das tut sie seit 2005. Daran kann es also auch nicht liegen.

      Die Sozialdemokratie war mit Typen wie Bill Clinton, Tony Blair, Gerhard Schröder, Romano Prodi erfolgreich. Sie verlor mit linken Koryphäen wie Jospin, Miliband, Lafontaine, Segolene Royal sehr klar. Und manchmal versuchte man es mit einem seltsamen und deswegen ebenfalls erfolglosen Mix wie Hillary Clinton, Peer Steinbrück (rechter Kandidat, linkes Programm). Anscheinend gibt es nur einen erfolgversprechenden Weg – das gilt übrigens auch für Konservative.

      • Logos 19. Juni 2017, 18:12

        @Herr Pietsch, sie schrieben im Kommentar 54299
        Beide waren Regierungschefs, die noch etwas grundsätzlich verändert haben.
        und etwas später
        … die ihr Land grundsätzlich verändert haben
        Es erweckt den Eindruck, als ob in der Politik etwas „grundsätzlich verändert“ zu haben, in ihren Augen etwas per se Gutes ist. Stimmt dieser Eindruck?

        Würden sie mir zustimmen, dass Grundgesetzänderungen die „grundsätzlichsten Veränderungen“ sind? Als ich im Zuge meines BGE-Modells [1] auch nur eine Grundgesetzänderung andeutete, hatten sie mir jedoch schwerste Vorwürfe gemacht. Wie passt das zusammen? Sind Grundgesetzänderungen, um die Umsetzung eines politischen Ziels zu ermöglichen, nun per se etwas Gutes oder etwas Schlechtes?
        Ihre Leser könnten ebenso an der Klarstellung dieses augenscheinlichen Widerspruches interessiert sein.

        [1] http://www.deliberationdaily.de/2017/05/produktivitaet-arbeitslosigkeit-49-euro-fuer-die-soziale-gerechtigkeit/#comment-53731

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