Wenn du vergisst dass du eigentlich konservativ sein wolltest

Es gibt Momente im Leben einer Partei, die sind erhellend, weil sie sowohl sich selbst als auch der Außenwelt zeigen, wer man wirklich ist. Die Verabschiedung von Obamacare war so ein Moment, weil die Democrats in sicherer Erwartung von großen Sitzverlusten bei den Midterms für eine Reform stimmten, die sie für richtig hielten. Die Eliminierung des Filibuster im US-Senat von heute ist ein anderer solcher Moment. Er zeigt uns, dass die Republicans (wieder einmal) einen großen Teil ihrer Überzeugungen und angeblicher Ideale und Prinzipien über Bord warfen. Denn konservativ ist an dieser Partei schon lange nichts mehr. Zur Erinnerung: der Filibuster ist effektiv unbeschränkte Redezeit im Senat, die nur mit einer 60-Stimmen-Mehrheit unterbrochen werden darf. Damit kann eine wichtige Abstimmung verzögert oder sogar völlig torpediert werden. Der Filibuster ist Teil einer langen Liste arkaner Regeln im US-Senat, die aus dem 19. Jahrhundert übrig geblieben sind. Ursprünglich war er ein Verteidigungsmittel der Sklavenhalter gegen die Abolitionisten, wie die Existenz des gesamten US-Senats. Aber ich schweife ab. Der Filibuster wurde von den Republicans unter Obama exzessiv genutzt, so dass die Democrats ihn 2013 für eine Reihe von präsidentiellen Ernennungen (Chefs von Behörden und Bundesrichter etwa) abschafften. Für Supreme-Court-Nominierungen blieb er, hauptsächlich aus Furcht vor dem Odium ein so alt-ehrwürdiges Instrument abzuschaffen, in Kraft.

Als 2016 der Supreme-Court-Richter Antonin Scalia überraschend verstarb, erkannte der moralisch äußerst flexible Vorsitzende des Senats, Mitch McConnel, die Chance für seine Partei und blockierte jegliche Anhörung von Obamas Nominierten, Merrick Garland. Obama hatte, als der Zentrist der er nun einmal ist, einen älteren Moderaten nominiert, der für Republicans auch akzeptabel war (der Vorsitzende des Justizausschuss‘ des Senats, Chuck Grassley, hatte sogar peinlicherweise Tage vor Obamas Nominierung noch verkündet, wie gerne er „für einen Kandidaten wie Garland“ stimmen würde, aber den würde Obama ja nie nominieren – seine 180-Grad-Wende, Garland danach nicht einmal eine Anhörung zu geben, wurde von den Wählern leider nicht bestraft). Dadurch konnte Trump einen extremen Rechten, Neil Gorsuch, nominieren.

Effektiv hatten die Republicans den Sitz gestohlen. Das Manöver ist natürlich legal, brach aber sämtliche bis dahin existierenden Normen. Konservativen ist so etwas eigentlich ein Graus, aber alle 52 GOP-Senatoren haben sich nun für die komplette Abschaffung des Filibuster für Supreme-Court-Nominierungen ausgesprochen (wofür eine einfache Mehrheit ausreicht), so dass sie morgen ihren Kandidaten planmäßig durchwinken können, dessen Anhörungen sie auch auf das absolute Minimum verkürzt haben, damit auch ja nichts dazwischenkommt, etwa die Vorwürfe an Gorsuch, bei einigen Arbeiten plagiiert zu haben.

Dieser Diebstahl eines Sitzes ist nichts, was man von einer völlig amoralischen GOP nicht erwarten würde. Wer sich wertekonservativ nennt und einen Serien-Sextäter zum Präsidenten nennt, überrascht diesbezüglich keinen Beobachter mehr, der halbwegs bei klarem Verstand ist. Es zeigt aber abgesehen von diesem Aspekt auch eine kuriose Amnesie über das, was eigentlich „konservativ“ ist.

Die Grundidee des Konservatismus ist das Bewahren des Bestehenden. Ordnung und Tradition sind Luft und Wasser für Konservative. Sie wollen die überkommene Gesellschaftsordnung erhalten, den Gesetzeskatalog, die Rollenverteilung, kurz: sie wollen Stabilität. Das heißt nicht dass Konservative jeglichen Fortschritt verhindern oder gar zurückrollen wollen; das wollen Reaktionäre. Entlang dieser Linie verläuft der Unterschied zwischen CDU und AfD. Aber die Republicans im Kongress sind nicht konservativ. Sie akzeptieren keine Veränderung, egal wie lange sie schon etabliert ist. Der CDU würde nicht in den Sinn kommen, soziale Fortschritte der 1970er Jahre zurückzurollen. Die GOP und die AfD haben genau das explizit in ihren Wahlprogrammen.

Man erkennt das Ablegen der konservativen Elemente bei den Republicans an eben solchen legislativen Manövern. Die Abschaffung des Filibuster ist eigentlich eine Idee, die Progressiven gefällt (und die auch seit Jahren dafür argumentieren, wie etwa Matt Yglesias), weil er es ermöglicht, leichter Änderungen durch das Parlament zu bringen – entweder komplett neue Strukturen oder die Überholung von alten. Der Filibuster ist ein Veto-Punkt innerhalb des an Veto-Punkten nicht gerade armen amerikanischen Systems, genauso wie die Bundesrichter, wie das präsidentielle Veto oder der Vermittlungsausschuss im Kongress.

Ein Konservativer aber will Veränderungen im Allgemeinen aufhalten, nicht befördern. Den Filibuster abzuschaffen hilft den Reaktionären der GOP daher, den Supreme Court illegitim an sich zu reißen, so wie sie illegitim eine Mehrheit im Kongress besitzen (die sich nur wegen massiver Wahlbehinderungen und kreativer Wahlkreiszuschnitte überhaupt halten lässt). Aber sie vergessen dabei eine elementare Grundregel jeder Demokratie: niemand ist für immer an der Macht. Und man kann nur hoffen, dass mit einem solchen Pfeifenkopf wie Trump im Weißen Haus bereits 2018 Ende der Fahnenstange des unified government ist. Das nächste Mal wenn die Democrats an die Macht kommen, gibt es für sie keinerlei Gründe mehr, moderate Positionen zu beziehen.

Die Übernahme republikanischer Ideen für die Gesundheitsreform? Fuck it, Singleplayer. Ein moderater Zentrist im Supreme Court? Fuck it, ein progressiver Held. Die Nominierung von Republicans in Kabinettsposten? Fuck it, never again. Wenn 2021 wieder ein Democrat ins Weiße Haus einziehen sollte, werden die Republicans sehr, sehr schnell ihre Liebe für den moderaten, zentristischen Präsidenten entdecken, der 2008 bis 2016 so vernünftig und emotionslos regiert hat. Aber bis dahin haben sie auf dem Boden der politischen Normen viel verbrannte Erde hinterlassen. Und die ist ja bekanntlich einige Zeit später besonders fruchtbar, wenn man Neues schaffen will.

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  • Ant_ 8. April 2017, 14:06

    Deinen hoffnungsvollen Abgang in allen Ehren, aber ich bin da etwas skeptischer. Was sich aktuell aus dem einzelnen Verhalten von allen Republikaner auf der Makro-Ebene ergibt ist meiner Meinung nach ein „doubling down“: Man hat sich jetzt so weit in die komplett polarisierte Ecke manövriert, dass das Endgame jetzt in der Frage besteht, wie viel voter discrimination man noch bis 2018/20 durchkriegt – das hat bis jetzt immerhin einigermassen geklappt und es war klar, dass nach einer verlorenen Wahl 2016 dieses Fenster geschlossen werden würde. Trump macht jetzt so viel Lärm ( und dafür ist nebenbei Gorsuch EXREM wichtig im Court) dass es möglich ist, diese Gesetze weiterhin so ruhig auf der Förderalen Ebene durchzukriegen, wie das auch vorher der Fall war. Die einzige Möglichkeit eine langfristige Machtperspektive bei gleicher Position zu halten ist für die Republikaner eine Erhaltung/Betonung des Wahlsystems das zu ihrem Vorteil ist, und zunehmende Diskriminierung zur Dämpfung des sich bereits abzeichnenden massiven Vorsprungs der Demokraten in Bezug auf Demographie. Und seitdem der von dir genannte Mitch McConnel am Ruder ist, ist Machterhalt die Prämisse Nr.1 – Inhalte und ideologische Fragen sind zwar nicht egal, aber sekundär. Daraus ergibt sich denke ich auch die Logik der Situation: „Konservativ heisst vor allem, dass *diese Leute* nicht an der Macht sind“.
    Ich möchte an dieser Stelle kurz betonen, dass das meiner Meinung nach keine Verschwörung oder sonst etwas ist, sondern einfach nur, was für die einzelnen Akteure rational ist, und auch gut rationalisierbar – wie halt die ganze Voter Discrimination ja auch immer mit Fraud begründet wird, dass die nebenbei auch noch sehr gut für die eigene Wiederwahl ist, ist halt ein glücklicher Zufall.
    Wenn Hillary drangekommen wäre, wäre diese Strategie sehr sehr viel schwieriger geworden – eine Reform des electoral colleges wäre zwar unrealistisch gewesen, aber der öffentliche Druck auf die Bundesstaaten in Bezug auf Gleichberechtigungs usw. wäre sehr viel stärker gewesen, und der Supreme Court würde halt auch anders aussehen. Es ist einfach sinnvoll für die Reps, diese einmalige Chance, ihren Vorteil zu zementieren, so gut sie nur können zu nutzen. …
    *seuftz* Und ja, im großen und ganzen wird die Welt jeden Tag doch immer ein kleines Stück besser ;).

    • Stefan Sasse 9. April 2017, 06:57

      Eine Sache die du übersiehst ist, dass der voter fraud/disenfranchisement auf der Staatenebene passiert. In dem Moment, in dem die Democrats die Gouverneure dieser Staaten stellen, können sie das rückgängi machen – da kann der Kongress relativ wenig tun.

      • Ant_ 9. April 2017, 14:03

        Das ist mir durchaus bewusst – dazu meine Antwort:
        Auf der Ebene des einzelnen Staates haben diese Gesetze den Effekt, die Partei die aktuell an der Macht ist, dort zu halten ( ich werte das an dieser Stelle einfach mal nicht ), mit anderen Worten: Wenn diese Gesetze erfolgreich sind, senkt das die Wahrscheinlichkeit, dass sie von innerhalb des jeweiligen Staates aufgehoben werden. Damit gibt es m.M.n ( und ich würde mich hier sehr gerne eines besseren belehren lassen) zwei mögliche Checks: Die Gerichte, und die Zentralregierung. Die Gerichte sind mit Sicherheit nicht zahnlos – aber wenn Hillary gewonnen hätte, würde es einen Supreme Court Justice geben, der ziemlich eindeutig gegen solche Praxen gewesen wäre. Mit einem konservativen Richter der Scalia ersetzt sind die Chancen, sich bis zur höchsten Instanz gegen solche Gesetze durchzuklagen und Recht zu bekommen massiv gesunken im Vergleich zur Kontrastklasse Wahlsieg Hillary.
        Der zweite Check ist m.M.n. die Zentralregierung in Kombination mit öffentlichem Druck, Presse usw. Ich bin mir sicher, Hillary und das weiße Haus wären ziemlich massiv geworden ( ob aus politischen oder ethischen Gründen sei mal dahingestellt, ist mir auch egal), und hätten Druck auf genau solche Gesetze gemacht, da diese ja eindeutig die Chancen ihrer Partei, im jeweiligen Staat zu gewinnen, reduzieren.
        Ich bin ja total bei dir, dass die einzelnen Staaten die Grundlage für einen Wechsel sein sollten, genau deswegen finde ich die Diskriminierung ja auch so massiv problematisch – weil eben genau die Stimmen, die für einen Wechsel nötig wären, blockiert werden. Das Perverse ist doch, dass innerhalb der Logik des Systems dieses Verhalten belohnt, und nicht sanktioniert wird – ich bin innerhalb der nächsten Jahre sehr gespannt, ob sich diese positiven Feedback-Loops auf Seiten der Republikaner an der Realität aufreiben, oder nicht, und ob sie dann wirklich mal merken, wie sehr sie selber dazu beitragen.. 😉

  • Kirkd 11. April 2017, 09:03

    Das zeigt wieder einmal, dass demokratische Verfahrensfragen nicht im Hinblick auf konkrete Inhalte beantwortet werden können und sollen. Der Filibuster ist letztlich ein sehr starkes Minderheitenrecht und je nachdem wogegen er gewendet wird, ist er ein konservatives oder progressives Element. Auch das Argument, Progressive seien grundsätzlich gegen den Filibuster, um Änderungen besser durchsetzen zu können, lässt sich natürlich umkehren. Nur Minderheitenrechte grenzen staatliche Allmacht ein und schützen vor einem autoritären Staat. Letztlich ist der Filibuster nichts anderes als eine Schwelle, die stärkeren Konsens erzielen soll, als nur 50%. Sein grösster Mangel wir immer nur, dass man keine 60% braucht, um ihn abzuschaffen. Es war daher nur eine Frage der Zeit, wann aus politischer Opportunität ihm eine Ende gemacht würde. Die Demokraten wären gut beraten gewesen, ihn für Richterwahlen aufzuheben, denn die Republikaner haben längst jede Hemmungen abgelegt, das System für ihre Zwecke maximal zu nutzen.

    • Stefan Sasse 11. April 2017, 17:00

      Wie hätten sie ihn denn „aufheben“ sollen? McConnel war ja entschlossen ihn unilateral abzuschaffen.

  • Tim 11. April 2017, 13:03

    Wie Kirkd treffend geschrieben hat, ist der Filibuster letztlich vor allem ein unbeholfenes Werkzeug zur Konsenserzwingung. Sinnvoller wären flexible Mehrheitsregelungen je nach Bedeutung des Themas. Der Usus, daß in fast allen Parlamenten fast alle Entscheidungen mit 50%iger Mehrheit getroffen werden können, ist einfach nur albern.

    • Stefan Sasse 11. April 2017, 18:30

      Absolut! Aber seine Aufgabe hat der Filibuster ja offensichtlich nicht mehr erfüllt.

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