Taschenspieler an die Macht

Nachdem am vergangenen Sonntag die linksextreme Syriza in Griechenland einen überwältigenden Wahlsieg eingefahren hat und sich über Nacht auf eine Koalition mit den Rechtspopulisten der Unabhängigen Griechen verständigte, fangen die Kalkulationen an, was Tsipras Wahlprogramm eigentlich an zusätzlichen Kosten verursachen könnte. Mehr und mehr wird dabei deutlich, dass Syriza das übliche Spiel solcher Parteien betreibt, nämlich Taschenspielertricks auf dem Wahlplakat. Mit Mathematik und solider Haushaltsführung hat das normalerweise nichts zu tun.

So möchte der neu gewählte Ministerpräsident den Mindestlohn auf 60% des deutschen Niveaus anheben, obwohl das griechische Pro-Kopf-Einkommen nicht mal die Hälfte des deutschen beträgt. Wenn viele Ökonomen den Mindestlohn schon hierzulande als Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung ansehen, wird eine Lohnuntergrenze von 750 EUR die Arbeitslosigkeit in dem Agrarstaat eher weiter in die Höhe treiben.

Die im Wahlkarton gebunkerten Versprechungen addieren sich dabei, so will es zumindest der Münchener Focus errechnet haben, auf 20 Milliarden EUR. Frisch an der Macht wollen die Postsozialisten also das Staatsbudget, das bereits heute 60% des BIPs verschlingt, deutlich um 12,5% ausweiten. Die Griechen scheinen den korrupten Sozialismus absolut zu lieben. Und so liest sich dann auch die Geschenkeliste:

  • Gratis-Strom von bis zu 300 Kilowattstunden pro Monat und Essenszuschuss für 300.000 Familien
  • Billig-Miete von drei Euro pro Quadratmeter für ärmere Griechen
  • Verzicht auf Einkommensteuern bis 1.000 EUR Monatseinkommen
  • Langzeitarbeitslose sollen Rabatte bei Bus- und Bahntickets bekommen
  • Investitionen in Infrastrukturmaßnahmen wie Straßen- und Brückenbau
  • Senkung der Heizölsteuer um etwa 30 Cent pro Liter
  • Kostenlose Arztbesuche für unversicherte Arbeitslose
  • 700 EUR Weihnachtsgeld für 1,3 Millionen Rentner
  • Überschuldete Hausbauer bekommen 30 Prozent Kredit Zuschuss und werden vor der Enteignung durch Banken geschützt
  • Die Immobiliensteuer soll abgeschafft, die Grundsteuer gesenkt werden
  • 300.000 neue Jobs will Tsipras in verschiedenen Branchen schaffen

Das Programm besteht also aus einem Potpourri an sozialem Wünsch-Dir-was, welches sich in weit besser gestellten Gesellschaften im Norden Europas kaum noch findet und deutlichen Steuersenkungsmaßnahmen für die noch immer gut situierten Mittelschichten. Die Finanzierung dagegen fußt auf einem angenommenen Schuldenerlass durch die europäischen Partnerländer. Doch das ist Taschenspielerei, da selbst die Halbierung der Schuldenlast Athen nicht die erhofften Einnahmen erbringen würde. Die Tilgung der Darlehen ist auf 30 Jahre gestreckt, der Zins auf 0,6% reduziert. Damit Tsipras überhaupt einen Teil seiner umfangreichen Versprechungen einlösen könnte, bräuchte er frisches Geld. Da er gerade keine Steuern erheben will, bleibt nur die Verschuldung.

Der neue griechische Finanzminister hat da in geradezu erfrischender Ehrlichkeit die Kalkulation der Taschenspieler offengelegt: am Ende wird Deutschland zahlen. Deswegen umgarnt man in einem ersten Schritt die Geldgeber, macht Reparationszahlungen für die Besatzung im 2. Weltkrieg geltend und gedenkt als erste Amtshandlung der Opfer des Nationalsozialismus.

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble hat die Vorstellungen der linken und rechten Populisten in der Athener Regierung in seiner prägnanten Art auf den Punkt gebracht: Niemand wird zu der Annahme von Hilfeleistungen gezwungen. Wenn Syriza einen Weg gefunden hat, dass Griechenland sich selbst finanzieren kann, so ist das absolut zu begrüßen.

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  • Kning 27. Januar 2015, 12:31

    Die bisherige Sparpolitik hat mitnichten dazu beigetragen, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung des Landes irgendwie stabilisiert hätte. Zwar ist man dem Ziel eines ausgeglichenen Haushaltes sehr nahe gekommen, doch zu welchem Preis? Das BIP hat sich um fast 25 % reduziert, Arbeitslosigkeit ist stark erhöht (insb. bei jungen Menschen), die von der Troika geforderten Kostenreduzierungen im Gesundheitsbereich haben sogar zu einer Erhöhung der Säuglingssterblichkeit geführt. Kurzum: Ein Fortsetzen des strikten Sparkurses wird das Land völlig ruinieren.

    Jetzt ist politische Klugheit gefragt. Und warum nicht von Deutschland lernen? Nachdem Angela Merkel 2005 das Ruder in Deutschland übernahm tat Sie etwas für deutsche Verhältnisse sehr eigentümliches: Sie setzte ein 25 Mrd Euro schweres Investitionsprogramm ein, mit Investitionen in Verkehr, Infrastruktur und Klimaschutz. Ergebnis: Das Land kam aus der Krise und erholte sich. Für Griechenland stellt sich nun die Frage, wie man staatliche Investitionen tätigen kann, dass diese nachhaltig die Beschäftigung verbessern und eine Revitalisierung der Wirtschaft bewirken, bei gleichzeitiger Eindämmung der Korruption und Bekämpfung der Steuerungerechtigkeit.

    Griechenland braucht Unterstützung diese Reformen durchzuführen und hier können die reichen Nordländer sicherlich einen Beitrag leisten. Einmal durch einen Schuldenschnitt, aber auch begleitende Maßnahmen (z.B. die Trockenlegung von Auslandskorruption (siehe Rheinmetall) oder Hilfestellung beim Aufbau einer effektiven Steuerverwaltung).

  • In Dubio 27. Januar 2015, 14:18

    Die bisherige Sparpolitik hat mitnichten dazu beigetragen, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung des Landes irgendwie stabilisiert hätte.

    Darüber kann man ja streiten. Und ich streite gern. Nur war das kein Thema des Artikels. Sondern…

    Ein Fortsetzen des strikten Sparkurses wird das Land völlig ruinieren.

    Gut, was ist die Alternative? Zu den Bedingungen von Syriza wird kein privater Investor griechische Anleihen zeichnen. Die EU-Partner sind ihren eigenen Steuerzahlern und Verfassungen gegenüber verpflichtet, an die Gewährung bilateraler Staatskredite sind enge Bedingungen zu knüpfen. Sozialstaatsfinanzierung eines Drittlandes fällt eher nicht darunter. Es entspricht dem Wesen des Kreditverleihs, die Gewährung von Darlehen von Bedingungen abhängig zu machen. Und die sind hart messbar und nicht aus dem Wolkenkuckucksheim.

    Sie setzte ein 25 Mrd. Euro schweres Investitionsprogramm ein, mit Investitionen in Verkehr, Infrastruktur und Klimaschutz.

    Irrtum. 2003-2005 kamen die Arbeitsmarktreformen, davor Steuerreformen. 2006 wurden die Steuern deutlich erhöht und dazu gab es ein Investitionsprogramm in homöopathischen Dosen. Das war die Reihenfolge. Griechenland hat weder sein Steuersystem reformiert noch nennenswerte Arbeitsmarktreformen angeschoben, welche die Grundlage für private Investitionen bilden könnten. Ein Investitionsprogramm würde wie Knallerbsen verpuffen.

    Einmal durch einen Schuldenschnitt, (..)

    Was soll der derzeit bringen?

    (..) aber auch begleitende Maßnahmen (z.B. die Trockenlegung von Auslandskorruption (..)

    Tolle Prioritätensetzung. First Things first! Deutschland sowie die Nordstaaten schneiden beim Korruptionsranking Jahr für Jahr Lichtjahre besser ab als Spanien, Italien oder gar Griechenland. Dennoch meinen Sie es würde zur gezielten (!) Unterstützung der griechischen Wirtschaft helfen, wenn wir Korruption bekämpfen.

    (..) oder Hilfestellung beim Aufbau einer effektiven Steuerverwaltung).

    Das geschieht längst. Nur ist es das eine, eine Steuerverwaltung aufzubauen – wobei Sie sich schon fragen müssen, warum ein Mitglied im exklusivsten Staatenzirkel der Welt hier Hilfestellung braucht. Die andere Frage ist der politische Wille, den eigenen Bürgern und Wählern weh zu tun in dem man sie zwingt, für jeden Geschäftsvorfall steuerlich überprüfbare Belege zu schreiben. Schauen Sie sich bitte mal §14 UStG an. Ich wette, das gibt es so nicht vom Finanzministerium in Athen.

  • Stefan Sasse 27. Januar 2015, 15:50

    Warten wir mal ab, ob sich Tsipras an Steuerreform und Korruption rantraut. Wenn nicht stimme ich InDubio zu. Falls er es tut – wird es spannend.

  • Ralf 27. Januar 2015, 18:00

    Hmmm … Also dass Tsripas gerade den Aermsten wieder Zugang zu Strom, Wohnung, Heizung, oeffentlichen Verkehrsmitteln und medizinischer Versorgung geben will, kann nicht ernsthaft beanstandet werden. Es ist eher eine Schande, dass die Versager von ND und Pasok die Verhaeltnisse im Land so haben verkommen lassen, dass sich diese Probleme ueberhaupt stellen.

    Abgesehen davon sehe ich es wie Stefan Sasse. Wir sollten Syriza jetzt erstmal eine Chance geben. Schlimmer als die totale Katastrophe, die die Vorgaenger hinterlassen haben, kann es eigentlich kaum noch werden. Und wenn Tsripas wirklich ernsthaft die Korruption im Land bekaempfen wuerde, waere gerade langfristig viel mehr gewonnen als einfach einem weiteren Ausbluten Griechenlands zuzuschauen, wie das in den vergangenen Jahren passiert ist.

    Noch ein letzter Hinweis. Syriza ist nicht „linksextrem“. Die linksextreme Partei in Griechenland ist die kommunistische Partei.

    • In Dubio 27. Januar 2015, 19:31

      Also dass Tsripas gerade den Aermsten wieder Zugang zu Strom, Wohnung, Heizung, oeffentlichen Verkehrsmitteln und medizinischer Versorgung geben will, kann nicht ernsthaft beanstandet werden.

      Das kann er gerne tun, jedoch ist die Verteilung von Sozialausgaben eine innerstaatliche Angelegenheit und wie früher gezeigt hat Athen weit genügend Mittel, damit es zu einer Verarmung der unteren 20% erst hätte gar nicht kommen brauchen. Wenn Tsipras einen Weg zur Umverteilung findet oder neue Mittel auftreibt ohne die europäischen Partner zu fordern, hat er meinen Beifall. Nur, das war überhaupt kein Thema im Wahlkampf. Der neue Ministerpräsident scheint da eher andere Vorstellungen zu haben.

      Wir sollten Syriza jetzt erstmal eine Chance geben.

      Gerne. Nur haben er und seine Regierung sich nicht gerade optimal eingeführt. Angeblich will man ja von Deutschland einen weitgehenden Forderungsverzicht. Den anderen zu beschimpfen und zu behaupten, „die Deutschen zahlen immer“ sind nicht gerade die besten Mittel der Diplomatie. Meine Voraussage: in ein paar Monaten wird Tsipras mit eingekniffenen dastehen.

      Bitte beschreiben Sie, was neu ist an den Vorstellungen Syrizas. Die EU-Partner zahlen? Schlag‘ nach bei Papandreou (der Vater mit der Mimi). Mehr Staatsbedienstete? Wo kommt nur eines der größten Beamtenheere der EU her? Ausweitung der Staatsausgaben? Wie kommt Athen eigentlich zu seinem traditionell hohen Schuldenstand?

      Gemäßigt links sind in Griechenland einige Parteien, angefangen bei PASOK. Korrupt bezeichnet ja keine politische Richtung. Warum wollte Syriza eigentlich nicht mit den Kommunisten und die nicht mit Syriza koalieren? Eben, linksextreme Parteien vertragen sich nicht, das ist in Deutschland oder Frankreich nicht anders. Aber ich habe gelernt: aus linker Sicht gibt es „schlechte“ und „gute“ Rechtspopulisten. Gut sind sie, wenn sie linken Spinnereien zur Mehrheit verhelfen und schlecht, extremistisch oder faschistisch (da ist man in der Wortwahl nicht so pingelig), wenn sie das nicht tun.

      • Ralf 27. Januar 2015, 21:51

        Nochmal. Allen Buergern den Zugang zu Strom, bezahlbarem Wohnen, Heizung und medizinischer Versorgung zu sichern, gehoert zur KERNAUFGABE des Staates. Wenn Tsipras dieser Verpflichtung dem Gemeinwesen gegenueber, anders als seine Vorgaenger, wieder nachkommen will, ist das nur zu begruessen. Und ja, er wird dafuer die Hilfe und die Geduld der europaeischen Partner benoetigen. Das ist auch voellig in Ordnung so. In einer Familie stehen die Starken fuer die Schwachen ein. Reiche Laender wie Deutschland sind nicht ueberfordert, wenn sie armen Zwergstaaten wie Griechenland die Hand reichen, damit sie und ihre Buerger wieder auf die Beine kommen.

        Und ja, wir koennen (und muessen) im Gegenzug dafuer Reformen verlangen. Aber diese Reformen duerfen die betroffenen Laender nicht ueberfordern. In Griechenland und anderswo haben wir eine komplette Generation junger Menschen in eine Wueste aus Verzweiflung, Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit geschickt. Wir haben auf dem Altar unserer Spar- und Strafmassnahmen die soziale Existenz hunderttausender Griechen geopfert. Wir sollten uns nicht wundern, dass die von uns mitbewirkte Zerstoerung des griechischen Gemeinwesens mit Massenarbeitslosigkeit und schockierend hohen Zahlen an Obdachlosen und Menschen ohne Zugang zu medizinischer Versorgung mitten in Europa keine Toleranz mehr in der griechischen Bevoelkerung findet. Die Griechen haben riesige Opfer gebracht. Ihr Wohlstand ist eingebrochen, ihre Kinder finden keine Arbeit, die Gesellschaft bricht auseinander. Fuer die Zukunft sollten wir aus dieser Katastrophe, die wir in Deutschland mitzuverantworten haben, lernen. Reformen in Griechenland sind noetig. Auch in den kommenden Jahren. Aber es muessen Reformen mit Augenmass sein. Es muss menschlich zugehen. Und dafuer sollten wir uns mit Tsipras an einen Tisch setzen.

        Denn Tsipras ist der einzige, der eventuell wirklich die korrupten Strukturen in Griechenland aufbrechen koennte und das Steuersystem so reformieren koennte, dass auch die Wohlhabenden endlich zum Gemeinwesen beitragen. Pasok und ND haben in der Vergangenheit nicht nur gezeigt, dass sie dazu weder den politischen Willen noch die Durchsetzungskraft haben. Diese beiden Parteien sind fuer die korrupten Strukturen selbst verantwortlich. Sie haben diese Misere geschaffen. Sie sind das zugrundeliegende Uebel. Nicht die Loesung.

        Ein Kommentar, den ich letztens bei SpOn las, traf es eigentlich ganz gut. Syriza ist das letzte Aufgebot der Demokratie. Nach der Implosion von Pasok und der historischen Wahlniederlage von ND ist Syriza die letzte Hoffnung Griechenland mit demokratischen Mitteln aus dem Tal der Traenen zu fuehren. Sollte Tsipras bald mit „eingekniffenem ***“ dastehen, wie Sie sich das zu wuenschen scheinen, dann ist klar, wer die naechste Option sein wird. Es bieten sich fuer den griechischen Waehler dann nur noch die Nazis von Chrysi Agvi bzw. die Kommunisten an. Das sind die Parteien, die Sie wirklich fuerchten sollten. Nicht die moderat linken Kraefte von Syriza. Wir alle in Europa sollten ein grosses Interesse daran haben, dass Tsipras erfolgreich ist.

        Zu Ihrem Vorwurf wegen des Paktes von Syriza mit den Rechtspopulisten, kann ich wenig sagen. Ich weiss nicht genug ueber diese Partei. Klar duerfte aber sein, dass Syriza nicht allzu viele machbare Optionen hatte. Wenn die neue Regierung wirklich die Korruption und die alten von Pasok und ND errichteten Netzwerke angehen will, ist wohl klar, dass sich eine Koalition mit diesen Parteien, sowie der neuen Partei von Papandreou verbietet. Ich bin auch dankbar, dass sich Syriza deutlich von den Kommjnisten abgrenzt. Gerade bei Ihnen hatte ich eigentlich Freude ueber diese Tatsache erwartet. Die Rechtspopulisten waren dann moeglicherweise, die einzige Option die blieb, wenn Syriza wirklich echte Veraenderungen will.

        Dabei wische ich Ihre grundsaetzlichen Argumente garnicht einfach vom Tisch. Moeglicherweise wird Tsipras tatsaechlich bald als Totalversager dastehen. Moeglicherweise wird er in Griechenland beim Aufbrechen der Korruption scheitern und in Verhandlungen mit den europaeischen Partnern keinen Kompromiss finden. Aber wenn das passiert, ist das kein Grund zur (Schaden-)Freude. Die Folge koennte nach den naechsten Wahlen dann das erste von Nazis regierte Armenhaus mitten im Herz von Europa sein. In dem Fall bin ich schon mal gespannt auf Ihren naechsten Artikel zur Lage …       

        • In Dubio 27. Januar 2015, 23:30

          Sorry, wenn ein Staat mit 60% der Ausgaben die Kernaufgaben nicht erfüllt, dann wird er das mit 80% auch nicht können. Das ist die Augenwischerei. Und wenn die Griechen „auf die Beine kommen wollen“, dann sind die Mittel der letzten Jahrzehnte wohl kaum der richtige Weg.

          Ich wünsche mir Rechtstaatlichkeit, Vertragstreue und Konsequenz. All das bietet Griechenland nicht, weswegen die Wähler sich infantil gebärden. Ich kann’s nur wiederholen und habe das an internationalen Zahlen und Vergleichen mehr als deutlich gemacht: der Athener Staat hat kein Geld, weil er seine Sozialausgaben auf jene konzentriert, die dessen nicht oder wenig bedürfen. Das würde man in einer Familie niemals durchgehen lassen. Und Tsipras hat keine Äußerung gemacht, dass er an dieses Kernproblem heranwill. Kein Wunder: dann hätte er keine Mehrheit bekommen. Die griechischen Bürger (und Sie) scheinen zu meinen, für die Ärmsten im Süden seien die Menschen im Norden verantwortlich.

          Sie wollen ernsthaft behaupten, Tsipras hätte keine Alternativen gehabt? Genügend Parteien neben ND und der inzwischen unbedeutenden PASOK gab es genug.

          Moderat? Herausgehobene Syriza-Leute bis zum Parteivorsitzenden beschimpfen bis heute die deutsche Bundeskanzlerin in unflätiger Weise. Das ist keine solide, über jeden Zweifel erhabene demokratische Partei. Wenn eine Wählerin meint, die Wahl von Syriza sei für sie der einzige Weg, ihre Würde zurückzubekommen, so hat die Dame trotz ihres Alters weder verstanden, was Demokratie bedeutet noch was Würde ist. Demokratie ist ein souveräner Akt Entscheidungen zu treffen und mit den Entscheidungen zu leben. Wer Syriza wählt und gleichzeitig auf keinen Fall (!!) aus dem Euro ausscheiden will, ist zu diesem aufrechten Gang nicht bereit.

          • Ralf 28. Januar 2015, 01:03

            Und wenn die Griechen “auf die Beine kommen wollen”, dann sind die Mittel der letzten Jahrzehnte wohl kaum der richtige Weg.

            Das ist richtig. Deshalb ist es ja so wichtig, dass die fuerchterliche Korruption im Land endlich angegangen wird und dass das Steuersystem so umgebaut wird, dass auch die Reichen endlich Steuern zahlen. Pasok und ND sind aus genannten Gruenden nicht nur unfaehig diese Probleme zu loesen, sie haben sie geschaffen. Gerade hier verbinde ich Hoffnung mit Syriza und Tsipras, dass sich endlich etwas zum Positiven hin entwickeln koennte. Ein sichtliches Eindaemmen der Korruption in Griechenland waere fuer das Land selbst, aber auch fuer die Eurozone langfristig sehr viel bedeutender als kleine Erfolge bei nichtssagenden Wirtschaftsindikatoren, ueber deren Signifikanz sich selbst die Wirtschaftsprofessoren streiten und die nichts mit der Lebenswirklichkeit der betroffenen Menschen zu tun haben.

            Ich wünsche mir Rechtstaatlichkeit, Vertragstreue und Konsequenz

            In normalen Zeiten ist Ihnen da zuzustimmen. In Katastrophenzeiten gilt das nur bedingt. In den USA gab es vor einigen Jahren einen Fall, in dem eine privatisierte Feuerwehr sich weigerte einem Kunden, der nicht in der Lage gewesen war die monatlichen Beitraege zu zahlen, das Haus zu loeschen. Stattdessen stand die Feuerwehr nur rum und passte auf, dass das Feuer nicht auf die umstehenden Haeuser uebersprang. Ist das die Gesellschaft, die Sie wollen? Eine Gesellschaft, in der die, denen es gut geht, auf die, die meinetwegen auch selbstverschuldet in der Patsche gelandet sind, herabblicken und zuschauen, wie ganze Gemeinschaften, Staedte, Laender kaputt gehen und sich aufloesen? Ich will keine solche Gemeinschaft und das ist wohl der Hauptunterschied zwischen Ihnen und mir. Wenn jemand ueber Bord geht, wirft man einen Rettungsring, ganz egal ob der Betroffene durch Leichtsinn oder Uebermut oder Selbstverschulden im Wasser gelandet ist. Wenn in einer Familie ein Schaden entsteht, helfen alle mit das Problem zu loesen. Jeder wie er kann. Das selbe gilt auch hier.

            der Athener Staat hat kein Geld, weil er seine Sozialausgaben auf jene konzentriert, die dessen nicht oder wenig bedürfen

            Das ist mit den paar Zahlen, die Sie vorgelegt haben, so nicht zu belegen, ohne im Detail zu wissen wohin und fuer welche Zwecke diese Sozialausgaben fliessen und welche Ausgaben ueberhaupt unter die Definition von „Sozialausgaben“ fallen.

            Sie wollen ernsthaft behaupten, Tsipras hätte keine Alternativen gehabt

            Ich habe das nicht behauptet, sondern vermutet. Wenn Syriza nicht mit ND, Pasok, Papandreous Partei, den Kommunisten und den Neonazis koaliert, dann bleiben nunmal nicht viele Optionen. Nennen Sie doch einfach mal eine plausible Alternative, die das von Syriza angestrebte Ende des Sparkurses mitgetragen haette und plausibel gegen die alten Korruptionsnetzwerke vorgehen wuerde ohne eine der oben genannten Parteien zu beinhalten.

            Herausgehobene Syriza-Leute bis zum Parteivorsitzenden beschimpfen bis heute die deutsche Bundeskanzlerin in unflätiger Weise.

            Dass Merkel in Griechenland keine Fans hat, duerfte wohl sehr verstaendlich sein. Nicht nur hat sie aktiv mitgeholfen Griechenland in den wirtschaftlichen Abgrund zu befoerdern, als sie sich waehrend der Nordrhein-Westfalenwahl populistisch als „Madame No“ zu profilieren versuchte, auf Kosten des kleinen Landes, das schon mit dem Ruecken zur Wand stand. Anschliessend hat die deutsche Bundeskanzlerin alles getan dem Land den haertest moeglichen Sparkurs aufzuoktroyieren, der tausende ins Elend befoerdert und eine komplette Generation junger Menschen ihrer Zukunft beraubt hat. Damit in Griechenland unbeliebt zu sein, wird Merkel wohl leben muessen.

            Demokratie ist ein souveräner Akt Entscheidungen zu treffen und mit den Entscheidungen zu leben. Wer Syriza wählt und gleichzeitig auf keinen Fall (!!) aus dem Euro ausscheiden will, ist zu diesem aufrechten Gang nicht bereit.

            Das ist eine grobe und voellig realitaetsferne Vereinfachung. Bei Wahlen geht es stets um mehrere Themen und Inhalte. Ausserdem ist es absolut vorstellbar, dass sich Griechenland mit der EU auf einen menschlicheren Kurs verstaendigen koennte, der dem Land auf die Beine hilft ohne das Gemeinwesen weiter zu zerstoeren.

            • In Dubio 30. Januar 2015, 20:55

              Gerade hier verbinde ich Hoffnung mit Syriza und Tsipras, dass sich endlich etwas zum Positiven hin entwickeln koennte. Ein sichtliches Eindaemmen der Korruption in Griechenland waere fuer das Land selbst, aber auch fuer die Eurozone langfristig sehr viel bedeutender als kleine Erfolge bei nichtssagenden Wirtschaftsindikatoren, ueber deren Signifikanz sich selbst die Wirtschaftsprofessoren streiten und die nichts mit der Lebenswirklichkeit der betroffenen Menschen zu tun haben.

              Leider lassen Sie uns nicht teilhaben, woraus sich Ihre Hoffnung speist. Ein Land kommt nicht deswegen auf den Korruptionsindex, weil ein paar Unternehmen oder Beamte sich schmieren lassen, sondern wenn das Korruptionsunwesen ganze Teile einer Gesellschaft durchdrungen hat. Tsipras vermittelt mit seinen ersten Entscheidungen gerade nicht den Eindruck als wolle er sich mit großen Teilen der Gesellschaft anlegen. Im Gegenteil: in einer ersten Amtshandlung hat die neue Regierung die Rückholung entlassener Beamter verfügt, von denen ein nennenswerter Teil wegen Korruption gekündigt worden war. Die Troika hatte jahrelang, beginnend bei Papandreou, darauf gedrängt, dass diese „Staatsdiener“ eben auch tatsächlich aus dem Staatsdienst entfernt würden.

              Ich wünsche mir Rechtstaatlichkeit, Vertragstreue und Konsequenz
              In normalen Zeiten ist Ihnen da zuzustimmen.

              Rechtsstaat und Vertragstreue sind für Sie also Schönwetterveranstaltungen? Demokratie wahrscheinlich auch. Kommen Sie mir bitte nicht immer mit der Feuerwehr, das verkommt zur Metapher. Tatsächlich wird auf europäischer Ebene nicht erst seit der Krise 2009 systematisch mit Athen gearbeitet, um das öffentliche Griechenland EU-konform zu gestalten.

              der Athener Staat hat kein Geld, weil er seine Sozialausgaben auf jene konzentriert, die dessen nicht oder wenig bedürfen Das ist mit den paar Zahlen, die Sie vorgelegt haben, so nicht zu belegen, ohne im Detail zu wissen wohin und fuer welche Zwecke diese Sozialausgaben fliessen und welche Ausgaben ueberhaupt unter die Definition von “Sozialausgaben” fallen.

              Bitte. An diesem Punkt sind Sie an gespielter Naivität kaum zu überbieten. Sie werfen Nebelkerzen, um nicht einen Millimeter den argumentativen Rückzug bei einem eindeutigen Sachverhalt antreten zu müssen. Dabei sind Sie intelligent genug, dass in keinem Sozialstaat Kindergeld, Schwerbehindertenunterstützung oder Wohngeld das Gros des Sozialetats ausmachen, sondern Renten, Gesundheitswesen und Transfers an Arbeitslose. Wenn eine Statistik Ihnen nun sagt, dass der wesentliche Teil des Sozialbudgets an die oberen Einkommensbezieher ausgeschüttet wird, so sind das Rentenzahlungen an gutsituierte (Früh-) Rentner, Strukturierung der Gesundheitsleistungen wie ärztliche Versorgung und Medikamente in Relation zum Einkommen, sowie hohe Arbeitslosengelder an jene Erwerbslose, die bereits durch andere Einkommensquellen bestens abgesichert sind. Die Statistik über das Wohngeld hat Ihnen hier schon einen so deutlichen Vorgeschmack geliefert gehabt, dass Ihr Wille verwundert, sich auf diesem – für Sie verlorenen Feld – weiter abzuarbeiten.

              Aber gut, Sie wollen Ihre Naivität beibehalten. Sie wissen genau, wo Sie die Daten herbekommen, wenn Sie wissen wollten. Gehen Sie auf http://www.oecd.org, z.B. auf den Link und klicken Sie sich durch die Excel-Tabelle
              – all figures from above SOCX data update 2014 ( in one .xls file. Dort finden Sie übrigens wieder die zur Genüge durchgekaute Statistik des hellenischen Skandals, wo nur die Türken ihre Ärmsten noch stärker „verhungern“ lassen. Ansonsten träumen Sie in Ruhe weiter, dass die hohen Sozialausgaben des Athener Sozialetats für Wohngeldempfänger und Kindergeld ist – und nicht für Rentner, Kranke und Arbeitslose.

              Ich habe das nicht behauptet, sondern vermutet.

              Sie vermuten oft auf sehr dünner Basis, ziehen daraus aber wesentliche Schlussfolgerungen. Das kann man mutig nennen oder anders.

              Dass Merkel in Griechenland keine Fans hat, duerfte wohl sehr verstaendlich sein.

              Ja, die Griechen glauben tatsächlich, sie hätten Angela Merkel abgewählt. Reife drückt sich darin nicht unbedingt aus.

              Ich habe in den letzten Tagen sehr anstrengende Verhandlungen geführt. Dabei bin ich meinem Gegenüber mit größtmöglichen Respekt begegnet – mit dem Ergebnis, dass mein Unternehmen trotz schwieriger Ausgangslage praktisch nichts drauflegen musste und das Ergebnis trotzdem zur Zufriedenheit aller war. Ich glaube nach wie vor nicht, dass das Beschimpfen des Gegenübers ein vielversprechender Weg ist, gute Ergebnisse zu erzielen. Sie schon.

              • Ralf 31. Januar 2015, 01:25

                @ In Dubio

                Leider lassen Sie uns nicht teilhaben, woraus sich Ihre Hoffnung speist.

                Das hole ich gerne nach. Korruption, Vetternwirtschaft und Netzwerke gedeihen in der Regel dort besonders effizient wo sich verkrustete Strukturen bilden und festsetzen koennen. Zum Beispiel dort wo immer nur die eine selbe oder immer nur die selben wenigen Parteien regieren, es also enge und engste Kontakte zwischen Lobbyisten und den immer gleichen Regierungsvertretern, zwischen Unternehmern und den immer gleichen Kraeften in der Verwaltung ohne wirksame Aufsicht gibt. In Deutschland finden wir solche verkrusteten Strukturen etwa in Bayern, wo die CSU seit Jahrzehnten ohne Abloesung regiert oder meinetwegen auch in meiner Heimatstadt in Koeln, wo der Koelsche Kluengel insbesondere auch wegen der Dauer-SPD-Regierung (mit nur kurzer Unterbrechung) blueht.

                Kommt eine neue Partei an die Macht, die den alten Partei-Netzwerken nichts schuldig ist, diesen politisch sogar feindlich gegenueber steht, ist das zumindest eine Chance Korruption abzubauen. Keine Garantie. Nur eine Chance. Aber eben eine Chance die dramatisch viel groesser ist, als wenn die ND oder Pasok schon wieder die Wahl gewonnen haetten. Immerhin haben diese beiden Parteien diese ganzen Netzwerke ja selber eingerichtet und gruenden ihre Macht und ihren Einfluss teilweise auf eben diese Netzwerke.

                Syriza hat ein grosses Interesse diese verkrusteten Strukturen zunaechst mal zu beseitigen. Sollte die Partei Jahrzehnte an der Macht bleiben, wird sie die alten Netzwerke wohl durch ihre eigenen ersetzen. Allerdings ist eine extrem lange Regierungszeit heute beim besten Willen nicht abzusehen. Moeglicherweise bleiben sie gerade lange genug an der Macht, um mal mit dem Besen durch die Verwaltung zu gehen und einen Teil der korrupten Cliquen nach Hause zu schicken. Fuer Griechenland waere das eine erfreuliche Entwicklung.

                Ausserdem ist es wahrscheinlich, dass Syriza dafuer sorgen wird, dass die Reichen in Zukunft real hoehere Steuern zahlen. Das ist zumindest ihre Ankuendigung und diese Ankuendigung ist auch nach der Wahl erneut mehrfach bestaetigt worden. Auch das verantwortliche Personal passt zu diesem Weg.

                Ich bin deshalb erstmal vorsichtig optimistisch.

                Rechtsstaat und Vertragstreue sind für Sie also Schönwetterveranstaltungen? Demokratie wahrscheinlich auch. Kommen Sie mir bitte nicht immer mit der Feuerwehr, das verkommt zur Metapher.

                Sie druecken sich hier einfach vor meinem vorgebrachten Argument.

                Und klar ist die Feuerwehr in meinem Beispiel eine Metapher. Allerdings handelt es sich um eine reale Begebenheit. Und das Beispiel verdeutlicht, dass in einer Katastrophensituation nicht „Vertragstreue“ Prioritaet haben darf, sondern das Prinzip, dass eine Loesung gefunden werden muss, bei der ein Land und die Menschen nicht Schaden an Leib und Leben nehmen. Das widerspricht im uebrigen auch weder Rechtsstaat noch Demokratie. In Deutschland koennen Schuldner, die hoffnungslos verschuldet sind etwa Privatinsolvenz beantragen, auch wenn das bedeutet, dass die „Vertragstreue“ Schaden nimmt, Glaeubiger also auf ihren nicht erfuellten Forderungen sitzen bleiben. Die Alternative waere „Vertragstreue“ als absolutes Recht durchzusetzen, dem Schuldner auch den letzten Brotkrumen wegzupfaenden und somit verhungern zu lassen. Selbst Ihnen sollte einleuchten, weshalb das in einer humanen Gesellschaft nicht geschehen darf. Unser Rechtsstaat und unsere Demokratie sind dadurch trotzdem nicht gefaehrdet.

                Wenn eine Statistik Ihnen nun sagt, dass der wesentliche Teil des Sozialbudgets an die oberen Einkommensbezieher ausgeschüttet wird, so sind das Rentenzahlungen an gutsituierte (Früh-) Rentner, Strukturierung der Gesundheitsleistungen wie ärztliche Versorgung und Medikamente in Relation zum Einkommen, sowie hohe Arbeitslosengelder an jene Erwerbslose, die bereits durch andere Einkommensquellen bestens abgesichert sind.

                Die Situation ist leider nicht so einfach. Bei SpOn etwa gab es vor einigen Jahren etwa einen Bericht ueber einen Rentner. Sogar einen ueberdurchschnittlich wohlhabenden Renter. Einen der sogar ein Ferienhaus besitzt:

                http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/griechenlands-arme-reiche-rentner-eigentlich-muessten-wir-alle-abtreten-a-769345.html

                Liest man den Bericht ganz durch, erfaehrt man, dass dieser Rentner in einem Umfeld von Arbeitslosigkeit und Lohnkuerzungen Familienangehoerige unterstuetzen muss, die ohne diese Hilfen kaum ein Leben fuehren koennten. Bei anderen Rentnern, die im Durchschnitt weitaus weniger wohlhabend sind als der Herr im Bericht, duerfte das aehnlich aussehen. Eine signifikante Kuerzung bei bessergestellten Rentnern in diesem wirtschaftlich nach wie vor katastrophalen Umfeld wuerde deshalb moeglicherweise nur nominal verkraftbar aussehen. Wie die Familienangehoerigen, die die gegenwaertig auf Unterstuetzung angewiesen sind dann naemlich leben sollen, ist voellig ungeklaert.

                Damit will ich nicht sagen, dass Rentenkuerzungen bei wohlhabenderen Rentnern nicht ein sinnvoller Ansatz sein koennten, dieser Klientel einen groesseren Beitrag zur Beilegung der Krise im Land abzufordern. Aber man muss solche Kuerzungen eben mit Augenmass vornehmen und sich der moeglichen Folgen bewusst sein, Folgen, die gerade im gegenwaertigen wirtschaftlichen Umfeld bedrueckend sein koennen. Mein Eindruck ist dass Sie sich um solche Folgen eben einfach nicht scheren.

                Sie vermuten oft auf sehr dünner Basis, ziehen daraus aber wesentliche Schlussfolgerungen.

                Nun, ich habe Sie ja aufgefordert eine Alternative zu nennen. Mit welcher Partei haette Syriza koalieren sollen, wenn die Kommunisten, die Nazis, die ND, die Pasok und Papandreous neue Partei keine moeglichen Partner sind? Sie behaupten es gaebe Alternativen, koennen aber offensichtlich keine nennen. Derweil sehen auch andere keine machbare, alternative Loesung. Ausfuehrlich diskutiert ist das etwa hier:

                http://www.annotazioni.de/post/1478

                Ja, die Griechen glauben tatsächlich, sie hätten Angela Merkel abgewählt.
                […]
                Ich glaube nach wie vor nicht, dass das Beschimpfen des Gegenübers ein vielversprechender Weg ist, gute Ergebnisse zu erzielen.

                Ein fairer Umgang miteinander und der Wille eine Loesung zu finden, die fuer alle Seiten akzeptabel ist, ist in der Tat der vielversprechenste Weg zu einem gemeinsamen und machbaren Kompromiss. Lange bevor Tsipras oder wer auch immer unsere Bundeskanzlerin beschimpft hat, hat Angela Merkel aber genau diesen Grundsatz auf fundamentale Weise verletzt. Es ist nicht zuletzt der deutschen Bundesregierung zu verdanken, dass keine faire Loesung gefunden werden konnte, mit der das griechische Volk haette leben koennen. Scheinbar hat man in Frankfurt und Berlin geglaubt, man koenne mit genuegend Einschuechterung und Drohungen langfristig eine Marionettenregierung in Athen installieren, die am griechischen Volk vorbei gegen dessen Interessen regiert. Diese Illusionen sind am letzten Wahlabend zerstoben. Heute liest man in der Zeitung, dass Griechenland die Troika vor die Tuer gesetzt hat. Es scheint, die Griechen haben Angela Merkel tatsaechlich abgewaehlt … 😉

                • In Dubio 31. Januar 2015, 11:32

                  Also, ich würde Sie niemals mit der Verhandlungsführung in einer wichtigen Sache beauftragen. Sie liefern dem Gegenüber die Argumente, mit denen er Sie abschießen kann, statt ihn einfach kommen zu lassen. 😉

                  Ihre Einseitigkeit, mit der Sie die Quellen von Korruption beschreiben, folgen wahrscheinlich dem Impuls, das eigene soziale Gewissen herauszukehren. Wenn ich so argumentiere, dient es allein dem Zweck zuzuspitzen. Fakelaki ist in Griechenland auf jeder Ebene des gesellschaftlichen Lebens zu finden: Ärzte, die die Hand aufhalten, Taxifahrer, welche die Fahrt vom Flughafen zu einer teuren Spritztour machen, Gastwirte, die Bewirtungsbelege als künstlerische Werke abheften, Gewerkschafter, die nach einer etwas größeren Zuwendung den Streik abblasen. Das hat alles mit staatlichem Gedöns wenig zu tun. Und Verwaltungsangestellte des Staates sehen in ihrem Berufsleben viele Regierungen kommen und vor allem gehen, was soll das an ihrer Einstellung verändern? 2009 führte die Verwaltung ein paar Tausend Beamte als zu kündigen, weil ihnen Bestechlichkeit nachgewiesen worden war. Doch zu Kündigungen kam es erst 2013 / 2014, nachdem die Troika dies jahrelang angemahnt hatte. Es ist bezeichnend und zeigt den Widerwillen von Tsipras, die Korruption tatsächlich anzugehen, wenn er genau diese Beamten zurückholt. Politisch wäre es für ihn auch Harakiri, anders zu handeln. Er hat einen überwältigenden Wahlsieg eingefahren, weil er versprochen hat, den Bürgern wieder ein deutliches Plus von nichts Erwirtschaftetem zukommen und dafür das Ausland zahlen zu lassen.

                  Bayern ist ein sehr schlechtes Beispiel. Obwohl es seit Jahrzehnten keinen Regierungswechsel erfahren hat, ist es Vorbild in allen relevanten wirtschaftlichen Indikatoren. Es hat darüber hinaus eine unterdurchschnittliche Kriminalität, relativ hohe Strafen in Sachen Wirtschaftskriminalität und die bayrische Administration gilt eben nicht als besonders korrupt. Viele Verfahren nehmen gerade dort ihren Anfang. Es war der heutige Korruptionsbeauftragte der EU, Edmund Stoiber, der einen Zeitenwechsel einläutete. Sie führen also gerade ein Beispiel an, das Ihre eigentliche These eher widerlegt, nicht gerade geschickt. 😉

                  Und das Beispiel verdeutlicht, dass in einer Katastrophensituation nicht “Vertragstreue” Prioritaet haben darf (..)

                  Sorry, Griechenland ist in die Situation gekommen, weil es Jahr für Jahr vertragsbrüchig geworden ist. Die Maastricht-Verträge zwangen alle Mitgliedsländer, ihre Staatsverschuldung, so sie das Maß von 60% des BIP überschreitet, planmäßig auf den Zielwert zurückzuführen. Des weiteren waren die Euroländer verpflichtet, ihr Defizit in einem Korridor zu halten, der 3% des BIP nicht hätte übersteigen dürfen. Für die verschiedenen Athener Regierungen waren das jedoch nur Sonntagserklärungen und in der Gesellschaft gab es nie eine Debatte, dass man vielleicht sich doch an Verträge halten sollte. Auch die Zweckentfremdung von EU-Geldern ist Tradition am Mittelmeer. So ist die Geschichte der Förderung eines Katasteramtes legendär, die bereits Anfang des letzten Jahrzehnts aufgelegt wurde. Auf eine ordentliche Vermessung ihrer Liegenschaften warten die Griechen noch heute.

                  Renten machen in den EU-Sozialbudgets rund 1/3 der Ausgaben aus. Sie fabrizieren daraus den reichen Rentner, der sich für sein Umfeld arm macht. Dagegen verschließen Sie die Augen vor der Linie, nämlich der, dass grundsätzlich man umso mehr von Sozialausgaben profitiert, je besser situiert man selber ist – und eigentlich dem weniger bedarf. In Italien ist es beispielsweise auch so, dass selbst 35-40jährige noch von ihren Eltern gestützt werden. Hintergrund: der Kündigungsschutz und das Arbeitsrecht sind seit Ewigkeiten so rigide, dass die meisten erst in der mittleren Phase ihres Erwerbslebens in sichere Gefilde und auch im EU-Durchschnitt hohe Einkommensbereiche kommen. Genauso sind die Renten exorbitant hoch und müssen überproportional von den unteren und mittleren Einkommensbeziehern aufgebraucht werden. Diese Schieflagen in den sozialen Verhältnissen sind durch die Gesellschaften selbst verursacht.

                  Mit welcher Partei haette Syriza koalieren sollen, (..)

                  Bitte, ich mach‘ doch keine griechische Parteipolitik! Sie drehen den Spieß einfach um. Sie hatten eingangs behauptet, Syriza habe gar keine andere Wahl gehabt, behaupten anschließend, sich nicht genügend auszukennen und verlangen dann, ich solle Koalitionspartner nennen. Der vorvorletzte Ministerpräsident Papandreou ist keineswegs korrupt und durch das Parteiensystem verbrannt, schließlich hatte er einen gewichtigen Teil seines Lebens im Ausland zugebracht. Syriza hätte auch mit Potami (linksliberal) regieren können, allerdings dann nicht so extremistisch.

                  Es lag an Angela Merkel, den Griechen bilaterale Kredite zukommen zu lassen. Andernfalls hätte das Land 2009 den Währungsverbund verlassen müssen. Und sie hat diese Linie gegen die Mehrheitsmeinung ihrer Wählerschaft gehalten und gegen den politischen Willen in den Niederlanden , Dänemark und Finnland, welche sich haben hellenisches Staatseigentum verpfänden lassen.

                  Ende Februar benötigt Athen frisches Geld, mal schauen, wie Tsipras diese Situation mit seiner konfrontativen Politik managen will. Immerhin wussten hoffentlich die Griechen, was sie wählen. Übrigens: 2011 waren 2/3 aller Wähler für den Verbleib im Euro, heute sind es 80%. Warum, wenn das alles doch so furchtbar ist?

  • Nicolai Hähnle 27. Januar 2015, 18:37

    Das Programm besteht also aus einem Potpourri an sozialem Wünsch-Dir-was, welches sich in weit besser gestellten Gesellschaften im Norden Europas kaum noch findet

    Aber warum eigentlich nicht? Die genannten Punkte sind absolut wünschenswert, außer vielleicht die Zuschüsse für Hausbauer und Begünstigung für Immobilien (um das zu beurteilen weiß ich nicht genug über die griechischen Details). Sie sollten für ein EU-Mitgliedsland auch nicht unrealistisch sein. Im Grunde bewegt sich das alles auf einem Niveau, bei dem ich sogar eine Finanzierung durch ein Eurozonen-Bundesbudget befürworten würde (dann natürlich ausgeweitet als Mindestleistung für die gesamte Eurozone, bei der die einzelnen Mitgliedsstaaten je nach Wille drauflegen können).

    Letztlich gibt es bei uns das gleiche Problem wie in Griechenland: man traut sich nicht, die Reichen zur angemessenen Beteiligung an der Gesellschaft zu verpflichten; bzw. ist bei den meisten Politikern nicht einmal mehr der Wille dazu da.

    Man muss für Griechenland hoffen, dass sich das dort nun ändert.

    • In Dubio 27. Januar 2015, 19:43

      Aber warum eigentlich nicht? Die genannten Punkte sind absolut wünschenswert, (..)

      Gerne. Wenn die Griechen das selber bezahlen, ist es mir absolut recht. Nur, das ist ja gar nicht die Absicht der neuen Regierung.

      Sie sollten für ein EU-Mitgliedsland auch nicht unrealistisch sein.

      So sehen das die Griechen, ja. Erzählen Sie das mal den Slowenen, Bulgaren, Letten oder Rumänen, die sich das nicht gönnen, sich aber an den Hilfsprogrammen beteiligt haben (gut, nicht die Balkanländer). Die Griechen, Sie vergessen es immer wieder, haben nach internationalen Maßstäben einen hohen Anteil an Staatsausgaben und ein überdurchschnittliches Sozialbudget. Das war in der Vergangenheit definitiv nicht das Problem des Landes.

      Letztlich gibt es bei uns das gleiche Problem wie in Griechenland: man traut sich nicht, die Reichen zur angemessenen Beteiligung an der Gesellschaft zu verpflichten; bzw. ist bei den meisten Politikern nicht einmal mehr der Wille dazu da.

      Sie haben die Pointe nicht verstanden. Syriza will die Vermögenden des Landes entlasten und die PDS klatscht Beifall. Merke: eine Vermögensteuer ist nicht für jene, die Vermögen besitzen, sondern soll nur einige wenige treffen (die nicht links wählen). Linke haben einen so variablen Gerechtigkeitsbegriff.

      Athen hat es seit der Finanzkrise nicht vermocht, die formalen Mindestkriterien der EU zur Investitionsförderung zu dokumentieren. Die Unfähigkeit der Administration wird sich kaum über Nacht ändern, nur weil eine andere Partei die Regierungsgeschäfte übernimmt und deren Führer außer der Uni und der Hauptstadt nichts im Leben gesehen haben.

      Man muss für Griechenland hoffen, dass sich das dort nun ändert.

      Erwarten Sie sich nicht zuviel. Bisher stellt sich Alexis Tsipras lediglich als eine jüngere Ausgabe des legendären Andreas Papandreou dar. Nur von einer Mimi ist noch nichts bekannt.

  • Kning 27. Januar 2015, 20:29

    [i]Gut, was ist die Alternative? Zu den Bedingungen von Syriza wird kein privater Investor griechische Anleihen zeichnen.[/i]

    Falls das Land ins soziale Chaos abrutscht, ist den privaten Investoren auch nicht geholfen. Natürlich müssen die Investitionen auf der anderen Seite durch Reformierungsprogramme gestützt werden. Jedoch wird man der Lage nicht her werden, indem man das Land in ein riesiges Armenhaus verwandelt. Ich plädiere hier nicht für das Aufblähen des Wohlfahrtstaates, sondern Stimulation der Binnennachfrage.
    Syriza hat jetzt das Mandat des griechischen Volkes, schauen wir doch mal was passiert. Der Weg der Vorgängerregierung führte in den Abgrund, Syriza hat versprochen das Land zu verändern, eine Herkulesaufgabe, für wahr, aber eine Regierung ist nicht an den Worten sondern Taten zu messen. Geben wir Syriza Zeit für Taten und Urteilen dann, was passiert…

    • In Dubio 27. Januar 2015, 20:45

      Falls das Land ins soziale Chaos abrutscht, ist den privaten Investoren auch nicht geholfen.

      Welchen privaten Investoren?! 80% der Bonds liegen in der Hand öffentlich-rechtlicher Institutionen. Hier haftet also der Steuerzahler. Der Rest dürfte größtenteils Inlandsverschuldung sein. Kein seriöser Anleger in der EU und an den Kapitalmärkten geht heute davon aus, dass die Schuld je vollständig zurückgezahlt wird. Kann die Konsequenz sein: Schwamm drüber?

      Jedoch wird man der Lage nicht her werden, indem man das Land in ein riesiges Armenhaus verwandelt.

      Sorry, die Agrarier in Hellas haben über ein Jahrzehnt gelebt wie in hochentwickelten Industrieländern, ohne dafür entsprechend zu arbeiten. Jetzt geht’s halt auf das angemessene Niveau zurück. Das sehen die Türken und die Bulgaren mit Sicherheit als richtig an.

      Ich plädiere hier nicht für das Aufblähen des Wohlfahrtstaates, sondern Stimulation der Binnennachfrage..

      Was bitte wollen Sie stimulieren? Der Staat kontrolliert heute 60% der Ausgaben, ein spürbarer Stimulus müsste da nochmal 10-20 Prozent draufpacken.. Wer soll da noch außerhalb des Staatssektors arbeiten? Oder stimuliert sich der Staat selber? Zudem: Griechenland hat eine ganz schmale industrielle Basis und einen gr0ßen Agrarsektor. Wollen Sie erreichen, dass die Griechen mehr Oliven essen oder mehr Produkte aus China importieren? Sagen Sie bitte präziser, was Sie wie erreichen wollen.

      Syriza hat jetzt das Mandat des griechischen Volkes, schauen wir doch mal was passiert.

      Da fällt mir ein abgewandeltes Bonmot ein: Die Griechen haben sich vielleicht eine neue Regierung gewählt, jedoch kein anderes Land. Und dieses Land hat über Jahre Verträge abgeschlossen, die auch dann gelten, wenn mal Links- und Rechtspopulisten regieren.

  • Nicolai Hähnle 27. Januar 2015, 21:06

    Realistisch gesehen zahlt in einer Währungsunion immer irgendjemand in Maßen für irgendjemand anderen. Wenn man mal vom Quartalsdenken wegkommt und an hinreichend lange Zeiträume denkt dann ist das auch okay, weil sich die Zahlungsrichtung auch ändert – siehe die internen Verhältnisse innerhalb von Deutschland.

    Zu glauben, man könne eine Währungsunion ohne solche Zahlungen haben ist einfach nur naiv. Man muss sie nicht unbedingt herbei zwingen und bejubeln, aber man darf auch vor der Realität nicht den Kopf in den Sand stecken. Wenn, dann sollte man wenigstens ehrlich die Konsequenzen ziehen und gegen die Währungsunion stimmen.

    Die eigentliche Frage ist doch, wie diese Zahlungen am Ende aussehen. In der Hinsicht hat sich das Euro-Projekt bis jetzt ja nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Die Deutschen jammern darüber, weil sie meinen, für Griechenland zu bezahlen, die Griechen jammern, weil sie sich durch Deutschland erobert fühlen, und die Banker sind die lachenden Dritten.

    • In Dubio 27. Januar 2015, 23:36

      Das ist eine Währungsunion, wie sie außerhalb des EURO niemand versteht. In den USA gehen die Bundesstaaten pleite und weder Washington noch die Fed eilen zu Hilfe.

      Der Punkt ist, das sowohl die deutsche Politik als auch die wie nach der Wurst schnappenden Südländer den deutschen ganz anderes versprochen hatten: eine Währungsunion nach deutschem Vorbild und Konzept. Heute haben wir exakt das Gegenteil. Warum wollten den Italien und Griechenland um jeden politischen Preis in den Euro? Weil ihre Bürger eine stabile Währung wünschten.

      Ich bin ein strenger Euro-Verfechter. Aber ich kann jene viele Menschen verstehen, die das als Betrug ansehen und die AfD erst möglich gemacht haben. Heute haben wir eine Währung zu den Bedingungen Italiens. Und dort sind die Menschen schon mit der Lira nicht glücklich geworden.

      Die Konsequenz, die Sie einfordern, kann nur lauten: jeder, der sich nicht an die Vertragsbedingungen halten will oder kann, muss die gemeinsame Währung verlassen. Es war und ist sowohl ein politisches als auch juristisches Versprechen gewesen, eben niemals eine Transferunion zu errichten.

  • Ralf 28. Januar 2015, 00:22

    Das ist eine Währungsunion, wie sie außerhalb des EURO niemand versteht. In den USA gehen die Bundesstaaten pleite und weder Washington noch die Fed eilen zu Hilfe.

    Das ist Unsinn. Selbstverstaendlich gibt es in den USA ganz massive Finanz-Transfers von den reicheren zu den aermeren Staaten. Anders koennten gerade viele aermere Regionen im Sueden garnicht ueberleben. Zum Thema ist etwa dieser Artikel erleuchtend:

    http://www.slate.com/blogs/moneybox/2012/02/14/how_blue_america_subsidizes_red_america.html

  • lemmy Caution 28. Januar 2015, 05:10

    Also die Hoffnung, dass die Volksbefreier „etwas gegen die Korruption tun würden“ teile ich überhaupt nicht. Das wird eher noch schlimmer. Von Podemos/Spanien hatten nachweislich mindestens zwei führende Leute jahrelang überhaupt keine Probleme von dem Entwicklungsland Venezuela Millionenbeträge für zweifelhafte wissenschaftliche Studien zu kassieren. Wer so startet…
    Hugo Chávez sprach in den ersten Jahren seiner Regierung auch oft wenn nicht meistens über Korruptionsbekämpfung. Je länger die Bande dann an der Macht war, desto weniger war das Thema. Bestimmt nicht, weil das Korruptionsthema erfolgreich angegangen wurde. Deren Umfang steigt auf immer bizarrere Niveaus.

    Hier übrigens eine interessanter Gesprächskreis bei Al Jazeera zum Thema: https://www.youtube.com/watch?v=R3khEC7t3xg&feature=youtu.be

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