Das Internet frisst unsere Kinder!!!11elf!!!!

Cyberbullying über Facebook. Mobbing über Whatsapp. Gehackte Nackbilder, gepostet auf Twitter. Beleidigende Kommentare unter Instagramm-Selfies. Zarte Kinderwünsche, in Google-Algorithmen verwandelt und für einen Judaslohn der Wirtschaft verkauft. Verwaiste My-Space-Profile. Explodierende Kosten für das mobile Internet auf dem Handy des Kindes. Ein peinliches YouTube-Video, das permanent repostet wird. Völliges Verlernen der Fähigkeit, stillzusitzen. Kinder, die beim Familientreffen wie Besessene auf die Bildschirme starren. Ein Tag Handyverbot schlimmer als drei Wochen Hausarrest. Die Liste ließe sich wahrscheinlich endlos fortsetzen. Das Netz ist der Bahnhof Zoo des 21. Jahrhunderts. Wenn man seine Kinder nur in die Nähe lässt, werden sie verrohen, ihre sozialen Fertigkeiten verlieren und zu affektgesteuerten Konsummaschinen werden. Die Ängste sind real, sie treiben Eltern um und befeuern zahllose Kolumnen in dank Zeitungssterben nicht mehr gar so zahllosen Feuilletons.

Die Oswald-Spengler’sche Untergangsstimmung setzt aber an der falschen Stelle an. Berechtigte Ängste werden mit unzureichender Ursachenforschung vermengt, man gibt ihnen eine gute Portion Vorurteile und einen gehörigen Schuss Nostalgie bei und kommt dann bei Ideen wie einer FSK-18-Beschränkung für Facebook oder Prepaid-Karten statt Flatrates bei Smartphones heraus. In Hamburg versuchte jemand dem Projekt der Schule 2.0 den Stecker zu ziehen aus Furcht, dass die WLAN-Strahlung diselben Kinder unklaren Gesundheitsrisiken aussetzt, die Smartphones in der Tasche herumtragen, die ständig nach offenen WLANs fahnden und Signale von den Mobilfunktürmen beziehen. Neo-Ludditentum als Ausweis der Furcht vor einer Entwicklung, die längst jeden als „zu alt“ zurücklässt, der die 30 überschritten hat. Oder so.

Dabei haben wir es durchaus mit realen Problemen zu tun. Jede Schulklasse hat dieser Tage ihre eigene Whatsapp-Gruppe (Facebook scheint da bereits aus der Mode zu sein). Was in diesen Gruppen geschrieben wird, lässt wegen mangelhafter Syntax und Rechtschreibung nicht nur dem Deutschlehrer die Haare zu Berge stehen, sondern auch den Eltern, die zufällig einen Blick darauf werfen können. Wo dem früheren Opfer von Mobbings durch Klassenkameraden immerhin der schlechte Trost blieb, nach Schulschluss bis zum nächsten Morgen Ruhe zu haben, breitet sich der Terror jetzt 24/7 über die Welt und erfasst dabei Freundeskreise und Peergroups von deren Existenz es nicht einmal vorher wusste. Fragt mal das Star-Wars-Kid.

Was mir immer völlig unklar bleibt ist aber, wie man die Verantwortung so einseitig auf die Technik schieben kann und die eigentlichen Gründe dafür einfach beiseite schiebt. Das Problem ist nicht Whatsapp, das Problem ist, dass die Kinder sich mobben. Die vorhandene Technik verstärkt diese Effekte noch einmal, aber sie schafft sie nicht. Es wird daher auch nichts helfen, ein FSK-16-Schild auf Whatsapp zu kleben, was es als Feigenblatt der Firma ja bereits gibt; das Problem ist, dass Kinder nicht gerade zu den vernünftigsten und verantwortungsvollsten Geschöpfen gehören. Die Verantwortung für den richtigen Gebrauch moderner Medien und sozialer Netzwerke liegt halt nicht nur bei den unter 13jährigen, die sich entgegen der AGB bei Facebook anmelden (die eine Altersgrenze von mindestens 13 Jahren vorsehen), sondern auch bei den Eltern. Und da hapert es gewaltig.

So ist es nicht ungewöhnlich, dass auf Elternabenden völlig schockiert darauf reagiert wird, dass in den Whatsapp-Gruppen gemobbt wird. Auf einer solchen Veranstaltung der zehnten Klasse fragte letzthin ein Elternteil völlig verwirrt, was denn Whatsapp sei. Das ist das Äquivalent dazu, Kinder draußen spielen zu lassen ohne zu wissen, was Straßen und Autos sind und den Kindern vorher beizubringen, dass man da nicht einfach rüberrennt. Genau das passiert aber mit den Medien. Ohne das geringste Verständnis für das Funktionieren der Technik oder die möglichen Apps bekommen Zehnjährige voll funktionsfähige Smartphones in die Hand. Mit derselben Strategie, die sich in den letzten Jahrzehnten als so wirksam gegen Teenieschwangerschaften erwiesen hat, wird dann als einziges Abwehrmittel Enthalsamkeit gegenüber dem Bösen gepredigt. Noch ist es nicht zu spät, vernünftige Strategien im Umgang mit modernen Medien und Kindern  zu entwickeln. Der Vogel Strauß ist als Vorbild dafür aber gänzlich ungeeignet.

{ 11 comments… add one }
  • Derwaechter 1. Dezember 2014, 20:15

    Alles schön und gut, nur was soll man als Eltern denn machen?

    • Stefan Sasse 1. Dezember 2014, 20:27

      Eine wichtige Sache ist IMHO schon allein das Wissen darum, was deine Kinder eigentlich benutzen. Meine Schüler erzählen regelmäßig davon, dass sie Call of Duty oder GTA spielen, und wenn ich dann frage wie sie das machen, wo das doch USK 18 ist, ist die Antwort fast immer dass ihre Eltern das nicht wissen.
      Und ich will damit nicht mal sagen, dass denen das generell verboten werden sollte – die Eltern dürfen durchaus entscheiden, dass das Kind schon reif genug dafür ist. Aber sie sollten es wissen und sich dafür interessieren. Gleiches gilt für die Netzwerke: ich sollte schon wissen, mit was mein Kind hantiert, und entsprechend es vor Fallstricken bewahren (etwa keine Nacktbilder verschicken oder generell vorsichtig sein, was man teilt, etc.).

  • Wolf-Dieter 1. Dezember 2014, 20:58

    […] wie man die Verantwortung so einseitig auf die Technik schieben kann und die eigentlichen Gründe dafür einfach beiseite schiebt.

    War das nicht immer so? In den Fünfzigern des letzten Jahrhunderts waren es dieses schreckliche Comic-Zeugs aus Amerika, das die Sprache verhunzt (mit Onomatopoeia), mit den fertigen Zeichnungen die Fantasie der Kinder niederhält und ganz generell die Kulturtechnik des Lesens dem Untergang weiht. Weia.

    Klagen über die verderbte Jugend sind bereits aus dem Alten Rom überliefert.

    Also. Im Westen nichts neues.

  • slowcar 2. Dezember 2014, 13:17

    Dem Projekt in Hamburg wurde nicht der Stecker gezogen, das war eine Falschmeldung. Siehe z.B. Heise: http://www.heise.de/newsticker/meldung/WLAN-Pilotprojekt-an-Hamburger-Schulen-startet-doch-2469208.html

  • Ariane 3. Dezember 2014, 13:35

    Ich find das auch schlimm, ich seh das oft bei meinem Stiefbruder (11 Jahre alt), der wird manchmal auch ganz allein aufs Internet losgelassen und natürlich turnt er auf Seiten herum, die nichts für Kinder sind.
    Aber ich weiß nicht, die Elterngeneration sehe ich da teilweise schon als verloren an. Die hätten das nie mitbekommen oder wären auf die Idee gekommen, vllt nen Jugendfilter einzubauen oder sowas. Wenn man da über Medienkonsum redet, gehts oft eben auch nur um „Alles ist möglich“ oder „alles doof, sollte verboten werden“. Das scheint mir schon Absicht zu sein, dass viele der älteren Generation es einfach total ablehnen, sich damit zu beschäftigen.
    Das gleiche mit dem, was du über GTA und Call of Duty erzählst. Dass sie es kaufen können ok, aber das spielt man ja nicht zehn Minuten lang, sondern Stunden, das müsste ja schon irgendwie mal auffallen. *zuck*

    • Stefan Sasse 3. Dezember 2014, 17:23

      Eben. Es ist schlichtes Desinteresse, das dann gepaart mit Vorurteilen und Autoritätshörigkeit den Ruf nach Verboten provoziert. À la „ich kann’s nicht, macht ihr’s bitte“

    • Wolf-Dieter 4. Dezember 2014, 22:14

      Seiten, die „nichts für Kinder“ sind? … Ich erinnere mich deutlich an meine Jugend. Vor der Pubertät habe ich mich nicht für Sex interessiert, sondern mehr für die Lokomotiven sowie die Fluchtgeschwindigkeit bei Erdgravitation. Ein Pornoheft war mir von Herzen Wurscht. (Netz gabs da noch nicht, da waren Heftchen angesagt.) Rückblickend sage ich mal, von Pornos ging – mangels Interesses meinerseits – keinerlei „Gefahr“ aus, wie immer diese auch ausgesehen hätte.

      Während der Pubertät wurde das anders, also ab 12-13 Jahren (Jungs mit dem Pubertieren sind etwas später dran als Mädels); aber ich frage dich, worin hätte eine Gefahr bestanden? Vorzeitige Aufklärung, oder was? (Ehrlich interessiert.)

  • Stefan Sasse 5. Dezember 2014, 16:18

    Ich rede eigentlich auch weniger von Pornos.

  • Children Learning Reading Review 31. Dezember 2014, 03:12

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