Zum großen Desaster der Siegesfeier am Brandenburger Tor, bei dem die DFB-Elf sich von den Herausforderungen der Repräsentation einer Nation klar überfordert zeigte, hat Frank Lübberding bereits alles Sagenswerte gesagt. Doch der Versuch der Schaffung eines „Wir“-Gefühls vor allem durch den Boulevard und das Marketingkarussell wirklich jeder noch so kleinen Verkäuferseele hat Dimensionen, die weit über Deutschland hinausgehen. Die Deutschen sind schließlich nicht die einzigen Hobby-Auguren die versuchen, in den reichlich zufälligen WM-Ergebnissen irgendwelche großen Erkenntnisse über die Gesellschaft zu erkennen. Gastgeber Brasilien selbst erhoffte sich durchaus eine Ablenkung durch einen sieg- oder doch zumindest ruhmreichen WM-Auftritt, eine Rechnung, die für Präsidentin Rousseff nun nach hinten losgehen könnte. Doch die Versuche, irgendwelche überlegenen deutschen Tugenden im Weltmeisterschaftssieg am Wirken zu sehen erschöpft sich wahrhaftig nicht auf Deutschland selbst. Beispielhaft hierfür kann ein Artikel der New York Times sein, der die Niederlage gegen Brasilien 2002 im perzipierten Reformstau der damaligen Zeit und den Sieg jetzt als Ausdruck der wirtschaftlichen Stärke in der Eurokrise sehen will.
Das alles ist Kokolores. Fußball ist Fußball. Und an und für sich waren bisher auch alle Versuche, es für nationale Sinnstiftung zu vereinnahmen, gescheitert. Wir ich bereits anlässlich der WM 2010 schrieb hat der Schland-Patriotismus noch nie bleibende Wirkung gehabt. Die Sticker der BILD von 2006 „Schwarz-Rot-Geil: Wir machen weiter“ haben genausowenig Erfolg gebracht wie die Kultivierung der Vuvuzela 2010. Bereits eine Woche nach der WM sind die meisten Fähnchen von den Autos verschwunden, werden die Flaggen von den Balkonen eingeholt und das Leben geht weiter. Voreilige Statements, das sich das große Party-Gefühl irgendwie dauerhaft erhalten lasse, wurden noch jedes Mal widerlegt. Sie werden auch dieses Mal widerlegt werden. Spätestens wenn Deutschland gesammelt in die Sommerferien verschwindet wird die WM bereits wieder Erinnerung sein – sicher eine, an die man sich lieber erinnert als 2010 und 2006, aber nichts desto trotz Erinnerung. Wie viele Leute schauen heute noch nostalgisch ihre „Deutschland – Ein Sommermärchen“-DVD an?
Der Kater nach der Feier am Brandenburger Tor ist deswegen so groß, weil alle Welt für einen Moment an den Wahn der Sinnstiftung durch Fußball geglaubt hat. Ein nüchterner Blick hätte genügt, um den Quatsch von Anfang an mit Vorsicht zu genießen. Es ist noch keine drei Wochen her, als alle Welt die deutsche Nationalmannschaft im Niedergang sah, das Ausscheiden im Viertelfinale ein schon fast zu wahrscheinliches Ergebnis. Es war erst die „Vernichtung“ und „Demütigung“ der Brasilianer, die urplötzlich eine Euphorie in Gang setzte, die deutlich über den Fußball selbst hinausging, weil der Untergang der Brasilianer nach Erklärungen schrie. Und diese fand man, wie könnte es anderes sein, in den liebgewonnenen Stereotypen der vergangenen Jahrzehnte. Für die Spieler selbst, die eben Fußball spielen und sich danach „in die Eistonne legen“ wollen und sich sonst fragen, was man eigentlich von ohnen will, ist das zu viel. Sie haben gewonnen, sie haben sich gefreut, und sie haben eine Fanparty veranstaltet. Die wäre auch kein Problem gewesen, genausowenig wie der gesamte schwarz-rot-goldene Fahnenreigen, wenn man nicht versucht hätte, das Ganze mit einer überhöhten Sinnstiftung zu befrachten.
Die WM bleibt nämlich genau das – eine Party. Eine Party, von der man hofft, dass sie immer noch ein Spiel weiterreichen wird, bis zum Finale und dann zum Sieg. Und dann kommt die große Abschlussfeier, und dann geht man nach Hause. 2006 und 2010 haben die meisten Beobachter das noch verstanden, und die Instrumentalisierungsversuche hielten sich in Grenzen. Dieses Jahr gab es kein Halten mehr. Merkel- und Gauck-Selfies mit der Nationalmannschaft, ein peinlicher Tweet der CDU, Wowereit im Nationaltrikot – der Peinlichkeit war keine Grenze mehr gesetzt. Jemand hätte daran denken sollen, die Spieler zu coachen, wie man Politik kommuniziert. Die aber wollten nur Party machen. Das hätte man ihnen besser gegönnt.
Mit der PostModerne der 80er kam der SubstanzVerlust.
„Ein Ball ist ein Ball ist ein Ball“ – wurde zu „egal was es ist – es ist ein Ball“.
So argumentierst Du – 20 Jahre zu spät.
Und seit 20 Jahren sind DFB & Blatter im GEWERBlichen Geschäft.
Das einzige, was noch echt Fußball wäre, wäre ein Fußball. Einer. Alleine. Irgendwo auf dem Gras.
Alles andere wurde abgegrast – mit runden KullerAugen auf runde GoldKörner.
MassenmordMaschinen von Mercedes – von SchwarzHemden mit NaziStyle-Feldjäger-Frontunterhaltung promotet. Das ist die Realität.
Wagst Du, im 21. Jahrhundert zu leben? 1972 sitzt im Gefängnis. An 2014 ist er also unschuldig. Und Du?
Ich versuch mal aus dem wirren Aufbau ein Argument zu finden. Das scheint mir eine Kritik an der Ökonomisierung des Fußballs zu sein. Worauf ich nur so ein Achselzucken und „pffrt“ machen kann. Ist halt so. Der ganze Rest wirkt irgendwie wie ein Kommentar beim Spiegelfechter.
Schöner Text, danke. Ich habe eine Ergänzung. Nicht die „Welt“ hat an die Sinnstiftung geglaubt. Die Überfrachtung kam aus den Federn der Feuilletonisten, und diese haben anhand eines Ausschnitts von einer halben Minute einer 6-stündigen Live-Übertragung erkennen müssen, dass ihre Projektionen nicht mehr sind als eben Projektionen. Ihr Narrativ erlaubte keine Sportler, die sich wie solche verhalten. Dabei ist die Kollision von Feuilleton und Vereinskultur ist eine Kollision vom Politischen und dem explizit Apolitischen. Entsprechend laut ist der Knall, aber außerhalb der Sphäre des Journalismus ist eigentlich überhaupt nichts passiert.
Lieber Stefan,
Deinen recht klaren Artikel habe ich mehrmals gelesen – und versucht, mich darauf zu beziehen. Eigentlich hätte ich weitergeklickt, wäre da nicht der „Die aber wollten nur Party machen.“ Shokk gewesen.
So ein Blödsinn – sorry. Das war – wie leider auch die Gladiatoren als StadionClowns zu machen gewöhnt sind – einfach THEATER.
Die wollten nur Erholung, eigentlich.
Von WoWi, Wirtschaft und Wollüstigen mißbrauchte Kranke Kinder, kaputt und verblüffend KommunikationsGestört.
Letztlich gar keine Täter, sondern nur OrganisationsOpfa – und die hatten nix zu sagen.. geschweige denn ein Recht, sich zu freuen – oder gar Party zu machen.
So niedlich schön, wie Du die Welt aquarellierst, ist sie nicht.
Eher nur einfach aggro und assi.
Sorry – ich mag Fußball. Sogar spielen. Und wenn Menschen – meist Frauen oder Jugendliche – MITeinander spielen.. sogar zuschauen.
Du so?
Sorry, Stefan, aber weder scheinst Du großer Fußball-, noch Statistik-Experte zu sein. Amerikaner übrigens auch nicht.
Der Weltmeister-Titel war weder fußballerisch noch statistisch zufällig. Die statistischen Fakten:
1. Mit Deutschland gewann das Team mit dem zweithöchsten Transfermarktwert aller Teilnehmer. Der Spitzenreiter Spanien war bereits in der Vorrunde ausgeschieden, was fußballerisch-mentale Gründe hatte.
2. Im Finale obsiegte wie statistisch meistens der Erstgenannte.
3. Nur dreimal in 80 Jahren WM-Geschichte konnte der Außenseiter im Finale erfolgreich sein. Das war einmal Uruguay (1950) und zweimal Deutschland (1954, 1974). Damit sind die Chancen des Favoriten bei einer WM weit höher als üblich im Fußball.
4. Auch 2014 gewann das Team, das über 7 Spiele die überzeugendere Performance abgeliefert hatte und verloren diejenigen, die sich durchs Turnier geschummelt hatten. So etwas gibt es alle 4 Jahre: Deutschland (1986), Argentinien (1990), Italien (1994), Deutschland (2002), Frankreich (2006) und Niederlande (2010).
5. Es gewann wie bei den vergangenen Turnieren die Mannschaft mit der stabilsten Defensive und besseren Balance zur Offensive.
6. Mit Deutschland wurde die ausgeglichener besetzte Mannschaft Turniersieger.
Insgesamt lieferte die deutsche Mannschaft einen überragenden Gesamteindruck ab. Exemplarisch steht dafür das Verhalten während und nach dem Brasilien-Spiel.
ok 🙂
Ändert aber am Grundgedanken gar nix.
Ich kann nicht sehen, wo die Weltmeisterschaft für nationale Sinnstiftung genommen worden wäre. Wenn das New Yorker Empire State Building Schwarz-Rot-Gold funkt, geht es nicht um nationale Sinnstiftung. Die Amerikaner verstehen zwar einiges von Patriotismus, von Fußball jedoch wenig. Höchstens von Football.
Die Brasilianer haben eine historische Niederlage erlitten. Das sehen die meisten der 200 Millionen Brasilianer so und es trifft statistisch betrachtet zu. Auf den Fußball. Da Fußball jedoch einen wesentlichen Teil der nationalen Identität des südamerikanischen Landes ausmacht, gilt es ziemlich universell.
Für Brasilianer ist es eine nationale Katastrophe, das bis zu politischen Auswirkungen haben kann. Für Deutschland wird nur der 4. Stern im Langzeitgedächtnis haften bleiben. Und auf die Politik hat das schon gar keine Auswirkungen.
Ich hätte den Artikel verstanden, hätte er sich auf die Überhöhung von Fußball in vielen Ländern der Welt bezogen. Dies Deutschen zu unterstellen, bemüht ein Klischee, das immer schwerer zu beleben ist.
Das unterstelle ich doch gar nicht. Ich habe bereits mehrfach argumentiert, dass der Fußball in Deutschland eigentlich gerade nicht überhöht wird. Es waren Versuche einiger weniger Meinungstreibender, dies dieses Jahr zu ändern – und den Fallout dieser Versuche erleben wir gerade, eben WEIL der Fußball in Deutschland nicht überhöht ist.
Ich bin auch kein Statistik-Experte, aber es ist halt immer noch Fußball.
Wenn Benzemas Schuss in der Nachspielzeit reingegangen wär, hätte es alles anders laufen können.
Denn Stefan hat natürlich recht. Mit einem Viertelfinalaus hätte Löw sofort zurücktreten müssen und alles, wofür er jetzt in den Himmel gelobt wird, wäre ihm um die Ohren geflogen, die vier Innenverteidiger, Özil, die halbfitten Khedira & Schweinsteiger, der Sturm, der Höwedes. Die Spieler wären wieder Luxusversager gewesen wie vor zwei Jahren und vermutlich hätte sogar noch wer die Hymnen-Diskussion wieder aufgemacht. Die völlig hysterische Überhöhung in Sachen Nationalmannschaft funktioniert dummerweise prächtig in beide Richtungen, was man imo vor zwei Jahren wunderbar gesehen hat. Damals gab es übrigens ein #Tagesschaugate, weil der Zamperoni in der Halbzeit es wagte, zu lachen.
Ja, ein guter Artikel.
Aber als Klassischer Liberaler möchte ich zu bedenken geben, dass in einer Demokratie Kollektivismus ohne Nationalismus nun einmal nicht zu haben ist.
Das Wir entscheidet.
Wir sind Weltmeister.
Wir sind eins.
Was verstehst du unter Kollektivismus?
Post coitum omne animal triste est.
@ Stefan Sasse
Eine Ideologie, die eine Gruppe von Menschen über den Einzelnen stellt.
Eine Ideologie, die den Einzelnen und sein Eigentum und seine Rechte zur Verfügungsmasse der herrschenden Gruppe erklärt.
Den derzeitigen Zeitgeist.
Absolute Zustimmung zum Artikel.
Dieses ganze Hineininterpretieren ist genau das, was ich bei der Nationalmannschaft als so anstrengend empfinde und wie oben ausgeführt, auch bei Niederlagen wird ja nicht weniger Quatsch geschrieben. Ganz wird es sich vermutlich auch nicht verhindern lassen und dass Politik & Medien auf den Zug aufspringen, wird wohl immer passieren.
Was mich mehr stört, ist dass imo der DFB da einiges zu getan hat, um diese Überhöhung mit zu verursachen und die Fußballer immer mehr als Deutschlands Botschafter verkauft, siehe auch den Umgang mit den Skandälchen von Grosskreutz. Die Politikschulungen, die du am Schluss ansprichst, werden vermutlich auch ab nächstem Monat mit ins Programm genommen und das ist eine Entwicklung, die ich einfach für ziemlichen Quatsch halte.
Absolut.
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