Was Berliner Bundestagskandidaten nicht zur Gentrifizierung sagen

Auf der vorgestrigen Diskussion zwischen den Direktkandidaten meines Wahlbezirks für den Bundestag war eines der Themen zwangsläufig der Berliner Wohnungsmarkt aka die Gentrifizierung. Diese Entwicklung hat mehr oder weniger stark alle deutschen Großstädte erfasst, die im Land der sinkenden Bevölkerung weiterhin Einwohnerzuwächse verzeichnen. Erwartungsgemäß sahen die Kandidaten den Konflikt zwischen Investoren und Mietern sehr unterschiedlich. Mehrere Aspekte kamen allerdings in der Diskussion überhaupt nicht vor:

  1. Im ersten Halbjahr 2013 wurden in Berlin 1,4 Mrd € in Neubauten investiert bzw in Ausbauten für die eine neue Baugenehmigung erforderlich ist. Das ist ein Anstieg von 50% im Vergleich zum Vorjahr und entspricht aufs Jahr hochgerechnet fast 25% der Berliner Steuereinnahmen.

    Anders formuliert: Private Investoren, große und kleine, finanzieren ein Wohnungsbauprogramm, das 25% der Berliner Steuereinnahmen entspricht. Die Investitionen steigen schnell, um dem wachsenden Bedarf gerecht zu werden. Ein Bauprogramm dieser Größe ist für Berlin schlicht nicht finanzierbar, weshalb die Berliner Politik im Umgang mit privaten Bauherren vorsichtig bleiben sollte.

  2. Die Altmieter und die Investoren sind nicht die einzigen Akteure in diesem Spiel. Niemand sprach über die neuen Mieter bzw Eigentümer, die offensichtlich die geforderten Preise bereit sind zu zahlen. Gäbe es die nicht, hätte die Strategie der Investoren bzw. Vermieter keinen Erfolg. Diese neuen Mieter nennt man im anderem Kontext gerne “hochqualifizierte Zugezogene” und sie sind Folge und gleichzeitig Ursache für das anhaltende und überfällige Wachstum der Berliner Wirtschaft.
  3. Wer pauschal von einem Konflikt zwischen Mietern und Investoren spricht, der macht alle Mieter gleichermaßen zu schützenswerten Subjekten. Das betreute Wohnprojekt, die Jugendhilfe, das 80 jährige Rentnerehepaar genauso wie den Studenten, den Künstler oder auch die Familie mit doppeltem Einkommen in ihrer günstigen unsanierten Innenstadtwohnung. Es gibt Bewohner die verdienen und benötigen Unterstützung und es gibt Bewohner, für die ein Umzug vielleicht unendlich lästig aber auch absolut möglich ist.

Das Interesse, zum gleichen Preis in der gleichen Wohnung wohnen zu bleiben, ist mehr als nachvollziehbar. Wer dieses Interesse für staatlich schützenswert hält, weil er in der Auseinandersetzung mit dem Vermieter der Schwächere sei, sollte seine Wohnung bereitwillig räumen, wenn statt einem wohlhabenderen ein ärmerer Nachmieter gefunden würde.

Vielleicht sollte Berlin-Pankow ein kleines Resettlement-Programm für unsere Weddinger Nachbarn initiieren. Statt höheren Mieten, niedrigere Mieten und ein Platz in einer mehrheitlich deutschsprachigen Schule. Der gesellschaftliche Nutzen dieses Programms scheint mir deutlich höher zu sein, als der des Verbots von Luxussanierungen.

Ursprünglich erschienen auf theophilsblog.com

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