Für mehr Ehrlichkeit in der Überwachungsdebatte

Nico Lumma wirft der SPD Scheinheiligkeit vor. Sie kritisiere das amerikanische Überwachungssystem Prism, fordere aber zugleich die Vorratsdatenspeicherung:

Thomas Oppermann befürwortet nämlich die verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung in Deutschland. Also das Mitprotokollieren, wer wann mit wem kommuniziert, völlig egal, ob ein Verdacht besteht. Ja, das klingt sehr nach PRISM, mit dem Unterschied, dass dies für alle in Deutschland gilt und nicht nur für Ausländer und dass es eine Debatte darum in Deutschland gegeben hat. Die SPD-Führung hat noch auf dem letzten Parteitag ihre Sicht der Dinge durchgeboxt, natürlich garniert mit der üblichen FUD und klargestellt, dass eine totale Überwachung durch die Vorratsdatenspeicherung unausweichlich sei.

Und nun stellt sich Thomas Oppermann hin, tut so als ob und kritisiert die USA für ein Vorgehen, dass die meisten Innenpolitiker in Deutschland auch gerne hätten, weil sie an den Irrglauben denken, dass mehr Überwachung zu mehr Sicherheit führt. Die Innenpolitiker opfern die persönlichen Freiheiten des Einzelnen, stellen alle unter Generalverdacht und wollen alles überwachen, auch wenn es nachweislich nichts bringt.

Nico hat natürlich erstmal recht. Wer gegen Prism ist, muss auch gegen die VDS sein. Alles andere wäre ziemlich inkonsistent. Aber er argumentiert hier, wie viele andere in der Blogosphäre auch, in der Sache selbst ein bisschen unehrlich.

Wer auf Überwachung verzichtet, verzichtet eben doch auch auf die letzten paar Prozentpunkte Sicherheit. So offen  sollte man schon sein. Es bleibt ja dennoch ein  nachvollziehbares und anschauliches Argument: Wir haben jedes Jahr zig Verkehrstote, und trotzdem schaffen wir das Auto nicht ab. Die (Freiheits-)Kosten für totale Sicherheit sind zu hoch.

Nico und viele andere machen es sich ein bisschen zu einfach, wenn sie die Gefahr des Terrorismus einfach beiseite wischen und der VDS oder Prism jeglichen Nutzen bei diesem Problem absprechen. On the margin helfen sie wahrscheinlich eben doch beim Kampf gegen den Terror. Wie viel? Man weiß es nicht. Die von Nico zitierte Studie aus Dänemark scheint mir zumindest wenig aussagekräftig zu sein.

Dass wir diese Frage nicht empiriegeleitet diskutieren können, liegt an der Geheimhaltung der Programme und ihrer Erfolge und Misserfolge. Das ist übrigens der deutlich größere Skandal in den USA derzeit: Nicht die Existenz von Prism, sondern die Verschwiegenheit aller beteiligten Regierungsbranchen darüber –  inklusiver aller Senatoren! Eine Gesellschaft muss offen darüber diskutieren können, wie weit Überwachung gehen, wie viel Freiheit aufgegeben werden soll.

Die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit ist nicht so trivial, wie sie in der Blogosphäre gerne dargestellt wird. Die reale Terrorgefahr könnte größer sein, als es in der Öffentlichkeit den Anschein hat. Oder auch nicht, aber sie ohne Kenntnis der Fakten kleinzureden kanns jedenfalls nicht sein. Die Kritik an staatlicher Überwachung sollte ehrlicher formuliert werden und zunächst auf mehr Transparenz abzielen.

{ 5 comments… add one }
  • deis 9. Juni 2013, 13:10

    Wer auf Überwachung verzichtet, verzichtet eben doch auch auf die letzten paar Prozentpunkte Sicherheit.

    Das würde ich zu bezweifeln wagen. Nicht nur in Dänemark fand man heraus, dass die Vorratsdatenspeicherung quasi nutzlos ist, sondern auch in Deutschland. Als in Deutschland die Vorratsdatenspeicherung eingeführt wurde, war die Aufklärungsquote bei Straftaten nicht mal um ein ganzer Prozentpunkt gestiegen.
    Außerdem forciert die Einführung einer Vorratsdatenspeicherung meiner Meinung nach mehr Überwachungsangst in der Bevölkerung und so ein Unsicherheitsgefühl. Wenn die Überwachungsdaten missbraucht werden oder mit ihnen unverhältnismäßig umgegangen wird, dann hat man mit der Einführung weniger Sicherheit.

    Mit „Es bleibt ja dennoch ein nachvollziehbares und anschauliches Argument: “ leitest du ein Vergleichsargument ein, dass meiner Meinung nach selber nicht nachvollziehbar und anschaulich ist. Der Vergleich mit Verkehrstoten in Debatten, bei denen Menschen sterben scheint mir lächerlich.
    Bei der Überwachung ist jeder betroffen und der Überwacher ist der Staat. Man kann sich der Überwachung schlecht entziehen. Bei der Überwachung stirbt überlicherweise keiner, bei der Überwachung ist man dauerhaft in seinem Leben betroffen und eingeschränkt.
    Die Vorratsdatenspeicherung wurde übrigens abgeschafft, nur um deinem „das Auto wird nicht abgeschafft“ zu entgegnen.
    Die Überwachung und Verkehrstote sind zwei verschiedene Socken, diese sind schlecht vergleichbar, auch wenn man hier das Freiheits und Sicherheits-Dilemma erkennen kann.

    „On the margin helfen sie wahrscheinlich eben doch beim Kampf gegen den Terror. “

    Das ist einfach nicht bewiesen und ich weiß nicht, wie man das so sicher behaupten kann.

    „Oder auch nicht, aber sie ohne Kenntnis der Fakten kleinzureden kanns jedenfalls nicht sein.“

    Ja, dann beachte doch bitte die Fakten zur Vorratsdatenspeicherung, dass diese zur Aufklärungsquote nichts beigetragen hat. Das sagen nicht nur die Dänen. Was du kleinredest ist der massive Eingriff in die persönliche Freiheit bei der Überwachung, indem du du behauptest, es hätte doch eine klitze kleine positive Wirkung, obwohl das in keiner beachtenswerten Relation zum Schaden steht.

    Die Diskussion an staatlicher Überwachung sollte ehrlich geführt werden, und das sollte man nicht durch Übersehen von Fakten und falscher Risikoeinschätzung wie du es in diesem Artikel hier machst. Auch der Grundsatz auf Verhältnismäßigkeit hat in deinem Artikel offensichtlich nur eine geringere Bedeutung.

    MfG deis

  • Jan Falk 9. Juni 2013, 13:52

    „Grundsatz auf Verhältnismäßigkeit hat in deinem Artikel offensichtlich nur eine geringere Bedeutung.“

    So ? Ich hab doch geschrieben, dass die „(Freiheits-)Kosten für totale Sicherheit zu hoch“ sind.

    Aber die Behauptung, diese Programme würden gar nichts bringen, halte ich für nicht bewiesen. Die Amis scheinen sie ganz praktisch zu finden, sonst würden sie nicht Milliarden dafür ausgeben… Aber wie gesagt, mein Punkt ist der: Um eine sinnvolle Debatte zu führen, bräuchten wir erstmal mehr Informationen darüber. So sagen die Befürworter: Brauchen wir unbedingt, um Terror zu verhinden und die Gegner: bringt überhaupt nix. Jeweils ohne ihren Standpunkt ausreichend empirisch zu untermauern. Das Beispiel Dänemark halte ich für nicht unbedingt aussagekräftig.

  • CitizenK 10. Juni 2013, 06:05

    Bei den Anschlägen in Madrid waren es doch eindeutig die Handy-Verbindungsdaten, die sehr schnell zu den Tätern geführt haben. In London m. W. auch, aber da bin ich nicht sicher. Bei der sog. Sauerland-Gruppe ist es nicht ganz klar.

    Damit ist doch aber zumindest die Behauptung entkräftet, dass die VDS überhaupt nichts bringt, oder? Die Abwägung der Verhältnismäßigkeit kann erst an dieser Stelle einsetzen, meine ich.

  • deis 12. Juni 2013, 15:52

    Bitte belege, dass bei den Anschlägen in Madrid eine Vorratsdatenspeicherung geholfen hat. Nur weil es Handy-Verbindungsdaten waren, bedeutet dies nicht, dass eine VDS genutzt wurde. Es könnte auch eine anlassbezogene Speicherunge stattgefunden haben.
    In meinen Post schrieb ich von „quasi nutzlos“, nicht von „überhaupt nichts bringt“. Wir könnten auch in allen Haushalten Kameras anbringen, um potenziell illegales zu filmen, da würde ich auch behaupten, dass dies quasi nichts bringen würde. Es würde Ausnahmen geben und das würde ebenfalls die Behauptung widerlegen, dass es nichts bringt, obwohl ich von „quasi“ also „nahezu“ schrieb.

    Die Information in Dänemark ist nicht die einzige Quelle, die die Wirksamkeit einer Vorratsdatenspeicherung stark anzweifelt.

    Andere Quellen (ohne auf die Primärquellen, also Studien zu verweisen, dafür bin ich jetzt zu faul):
    https://netzpolitik.org/2011/untersuchung-vorratsdatenspeicherung-ist-ineffektiv/
    https://www.focus.de/politik/deutschland/aufklaerungsquote-nicht-beeinflusst-studie-bestreitet-sinn-von-vorratsdatenspeicherung_aid_707398.html
    http://www.n-tv.de/technik/Vorratsdaten-helfen-kaum-article3056871.html

    Wir haben also das Max-Planck Institut und der wissenschaftliche Dienst des Bundestages die zu der Auffasung kamen, dass die VDS die Aufklärungsquote nahzu um nichts steigen lässt.
    Wieso müssen sich eigentlich die VDS-Gegner gegen Einführung verteidigen. Sollen doch die Befürworter die Einführung rechtfertigen, sie befürworten Gesetze, die massiv in die Persönlichkeits- und Freiheitsrechte eingreifen.
    Die Vorratsdatenspeicherung wurde übrigens in Deutschland abgeschafft, ich weiß gar nicht, was es da noch zu diskutieren gibt. Ehrlichkeit in der Debatte? Das hätte man doch erwähnen können, oder nicht?

    deis

  • CitizenK 12. Juni 2013, 19:37

    Zu Madrid: Ob das nur aufgrund einer VDS möglich war, kann ich nicht belegen. Du bist doch in der Materie drin. Ich weiß nur, dass die Täter und Hintermänner innerhalb kürzester Zeit aufgrund von Handy-Verbindungsdaten ermittelt wurden.

    Grundsätzliche Frage: Wenn die Daten für die Abrechnung ohnehin 3 Monate gespeichert werden – sind dann 6 Monate etwas so grundsätzlich anderes, dass sie die ganze Aufregung rechtfertigen?

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