Die Herrschaft der Experten bedroht nicht nur die Parlamente

Die Rolle von Experten im Gesetzgebungsprozess ist in den letzten Jahren mehrmals irrlichtartig in der öffentlichen Debatte aufgeleuchtet und danach schnell wieder verschwunden, ob dies nun die dubiose Entscheidung Guttenbergs war, den Gesetzesentwurf der Einfachheit gleich von einer auswärtigen Kanzlei schreiben zu lassen oder ob es die Beratung der EU-Institutionen in Sachen Griechenlandbailout ist, die hauptsächlich von denen geleistet wird, die Anlagen dort haben, aber eben auch dien Fachkenntnis.

Meist beschränkt man sich dabei aber auf den demokratietheoretischen Komplex, der mit der Rolle des Parlaments als Überwachungsorgan des politischen Prozesses zu tun hat und der durch die Abhängigkeit von Experten ausgehebelt wird: an und für sich ist es eine Aufgabe des Parlaments, beziehungsweise der Opposition im Parlament, die Regierung zu überwachen. Dies kann das Parlament aber nicht leisten, wenn es dazu auf Spezialinformationen von wenigen Experten angewiesen ist, die diese entweder exklusiv der Regierung zur Verfügung stellen oder aber so komplex sind, dass sie ohne selbige Experten ohnehin nicht verstanden werden können – die Experten werden so zu denen, die die Informationen recherchieren, präsentieren und auch gleich deuten.

Wenig beachtet ist, dass dieses Problem nicht nur das Parlament selbst trifft, dem größtenteils wohl schlicht die Ressourcen fehlen, um diese Expertokratie zu brechen und eigenständige Informationen einzuholen – und sei es nur, um etwas Unabhängigkeit zu bewahren (ein Problem, das den US-Kongress in fast noch stärkerem Maße betrifft). Das Problem betrifft offensichtlich auch die Institution, der die Deutschen in den Umfragen beständig das größte Vertrauen entgegenbringen – dem Bundesverfassungsgericht. Und das, obwohl dieses wesentlich mehr Zeit als die Politiker hat und sich wesentlich pointierter mit einem Problem beschäftigen kann.

Der aktuelle Fall, an dem dieses Problem deutlich sichtbar wird, ist die Anhörung von Experten vor dem BVerfG zu den Anleihekäufen der EZB, einer Entscheidung, die die gesamte Euro-Politik fundamental in Frage stellen kann. Auf der Expertenliste dieser Anhörung fanden sich zwar Koryphäen auf dem Gebiet, aber alle dieser Experten waren einhellig Gegner der Strategie. Schlimmer, einige der Eingeladenen waren vor allem dagegen, aber nicht einmal Experten für’s Thema. Da es durchaus auch Ökonomen gibt, die zu den Anleihekäufen eine andere Meinung haben und die Ökonomie keine exakte Wissenschaft ist, die eindeutige Antworten kennt, wäre eine Einladung an solche Personen an und für sich Pflicht gewesen. Dass Karlsruhe darauf verzichtet hat, lässt tief blicken und zeigt deutlich, dass auch das BVerfG nicht die unfehlbare Institution ist, als die es allzuhäufig gehandelt wird, und dass richterliche Zurückhaltung bei Fragen, die eigentlich eher in die politische Sphäre gehören, vermutlich häufiger der bessere Weg wäre.

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  • Kirkd 10. Juni 2013, 09:56

    Das ist zutiefst beunruhigend. Man kann ein wirtschaftliches und politisches Problem nicht mit dem Verfassungsrecht lösen. Es hätten daher keine Ökonomen, welcher Glaubensrichtung auch immer, eingeladen werden dürfen. Die Frage ist letztlich, wieviel Freiraum eine Delegation von Aufgaben auf der Basis des Grundgesetzes erlaubt ist oder nicht. Dass beurteilt sich aber nicht nach den ökonomischen Wirkungen der Delegierten Aufgaben sondern danach, inwieweit man eine weitgehende Delegation einer hoheitlichen Aufgabe, hier Notenbank, an eine supranationale Organisation als vom Grundgesetz gedeckt interpretiert oder nicht.

    • Stefan Sasse 10. Juni 2013, 10:31

      Ich denke du brauchst du Ökonomen um zu verstehen, wie sich die Anleihekäufe auswirken – ohne dieses Wissen kannst du nicht beurteilen, welche Gesetze betroffen sind.

      • Kirkd 10. Juni 2013, 15:41

        Für eine Kompetenzfrage ist eine fachliche Folgenabschätzung höchst ungewöhnlich. Die verfassungsrechtliche Ermächtigung von nur Experten zugänglichen Erkenntnissen abhängig zu machen, verbietet sich in einem Rechtsstaat eigentlich von selbst.

        Oder mit anderen Worten: ob Europa Vorgaben bezüglich der Kennzeichnung von Lebensmitteln machen darf, hängt ja auch nicht davon ab, ob zugelassene Werbeangaben tatsächlich eine wissenschaftlich abgesicherte Basis haben oder nicht. Das beeinflusst die verfassungsrechtliche Kompetenz nicht im geringsten.

  • In Dubio 10. Juni 2013, 11:13

    Vor dem Bundesverfassungsgericht geht es diese Woche um die Frage, inwieweit die EZB mit ihrem Anleiheankaufprogramm Geldpolitik und inwieweit sie Staatsfinanzierung betreibt. Ersteres ist ihr nach den europäischen Verträgen erlaubt, zweiteres strikt verboten. Hier gibt es Konsens zwischen Juristen und Ökonomen.

    Ein unbegrenztes, bedingungsloses Ankaufprogramm ist eindeutig Staatsfinanzierung, weshalb die EZB sich nun so Mühe gibt, den Ausspruch von Mario Draghi, die Währungshüter würden alles zum Erhalt des Euro unternehmen, so herunterspielen. Denn tatsächlich ist es nicht Aufgabe der Geldpolitik, eine Währung dadurch zu erhalten, dass man Staaten Zinsen sichert, die diese nicht mehr am Markt bekommen.

    Die EZB steht zudem vor einem Dilemma: Juristen benötigen Genauigkeit, um einen Sachverhalt einordnen zu können. Ökonomen arbeiten mit Trendforschung, weshalb die EZB die Details ihres Ankaufprogramms weder in der Zeitung noch vor Gericht verhandelt sehen möchte.

    Und nein, es braucht nicht wirklich Experten, um zu verstehen, wie sich der Ankauf von Anleihen auswirkt. Da die EZB nur auf dem Sekundärmarkt agieren darf, gibt sie auf diesem Wege den Käufern von Staatspapieren eine Abnahmegarantie, was die Nachfrage nach solchen Schuldverschreibungen des Staates anregt und den Preis, also den Zins, stabilisiert und senkt. Auch dies ist unstreitig.

  • Christian 10. Juni 2013, 15:25

    Hätte die EZB die Anleihenkäufe nicht unternommen, gäbe es den Euro in der jetzigen Form wohl nicht mehr. Die EZB rettet sich also auch selbst. Kann ich ihr nicht übelnehmen 😉

    Insofern ist die eigentliche Frage, wieso man per Gesetz diese notwendige Aufgabe verboten hat. Und nein, Hyperinflation ist kein valides Gegenargument.

    Ich stimme mit Stefan überein, dass die Auswahl der „Experten“ eindeutig zu wenig pluralistisch ist.

  • In Dubio 10. Juni 2013, 20:01

    Das ist wohl das Grundübel des Staates: Die Bürokratie verhindert, dass sie abgeschafft wird. Es wird schon immer Notenbanken geben, nur dann hält nicht in der Frankfurter Kaiserstrasse mit ihren tausenden, hochbezahlten Mitarbeitern auf Jahresverträgen.

    Aus permanenten Vertragsbrüchen kann kein solides, verläßliches Händeln folgen. Die Bürger und Unternehmen in der südlichen Peripherie sind daran gewöhnt, sie betrügen sich seit Jahrzehnten gegenseitig. Nordeuropäer und Angelsachsen haben mit einem solchen Rechtsverständnis so ihre Probleme und sind mit ihrer Skepsis stets besser gefahren. Daher ist es absurd, uns das Rechtsdenken der Spanier und Italiener anzuempfehlen.

    Den Deutschen ist zugesagt worden, dass sie eine Währung nach dem Bild der DM bekommen. Das war Konsens aller Beteiligten. Ansonsten hätte Deutschland nicht mitgemacht. Das nennt man Vertragsfreiheit. Auch ein wichtiger Rechtsgrundsatz. Nicht bei der Mafia, schon klar.

    • Ul 10. Juni 2013, 22:36

      Kannst du mal deinen latenten Rassissmus da lassen wo er hingehört – zusammen mit deinen kruden Thesen in der Tonne ?

      Und nein, du brauchst nicht zu antworten, ich werde es auch nicht.

      • In Dubio 11. Juni 2013, 06:56

        Hui, Italiener und Spanier haben also eine andere Rasse als Mitteleuropäer? Das nenne ich wirklichen Rassismus! Ansonsten sollte man ein normales Geschäft in Alicante tätigen oder einen Prozess führen, dass es im Süden ein etwas anderes Rechtsverständnis als in Stockholm gibt. Oder man schaut sich im Konzernbereich die Fälligkeiten der Forderungen nach Ländern (Aging-Liste) an. Dann wird man feststellen, dass die Zahlungsmoral in Skandinavien oder der Schweiz 3-5 mal besser ist als in Italien.

        Das sind sichtbare Unterschiede. Und sie sind traditionell. Da Politik ein Kind der Gesellschaft ist, verwundert es nicht wirklich, dass die Politiker aus Rom und Madrid so korrupt sind wie die Strukturen, denen sie vorstehen. Erstaunlicherweise finden sich in den Krisenländern keine Mehrheiten, die einen Austritt aus dem Euro befürworten, obwohl die Staaten damit wieder mehr Autonomie erlangen würden. Denn die Menschen wissen, dass der Euro die einzige Chance bietet, die traditionellen Strukturen zu überwinden.

        • Theophil 11. Juni 2013, 13:42

          Ein großer (und untersuchter) Unterschied u.a. zwischen Nord- und Südeuropa der das zum Teil erklärt: Soziales Vertrauen.

          „Where Trust is high, crime and corruption are low“ Pew Research: http://www.pewglobal.org/2008/04/15/where-trust-is-high-crime-and-corruption-are-low/

          Ich würde das so zusammenfassen: Wer den anderen nicht vertraut, erwartet selbst, betrogen zu werden, und betrügt auch.

          • In Dubio 11. Juni 2013, 18:16

            Nicht nur. Es ist ein generell anderes Rechtsverständnis. Verträge sind Grundlage für weitere Verhandlungen, sie stellen keine endgültige Vereinbarung für Südländer dar. Mit dieser Einstellung sind sie in den Euro gegangen und die Nordländer wundern sich, dass die anderen Mitglieder die EU-Verträge als Verhandlungsmasse ansehen.

            Arabische Staaten beispielsweise sind in Sippen organisiert, innerhalb denen man sich tief vertraut. Ablehnend stehen sie jedoch dem Staat als Gemeinwesen gegenüber und ihre Zahlungsmoral ist zwar besser als in Südeuropa, aber schlechter als in Nord- und Mitteleuropa.

            Jeder kann das sehr einfach überprüfen, in dem er mal nach Italien, z.B. Neapel, fährt und dort etwas erstehen will. Soweit er nach dem Kauf (durch Verhandeln!!!) nicht zufrieden ist, soll er mal den Rechtsweg beschreiten und er wird Unterschiede zu Deutschland feststellen.

  • Theophil 13. Juni 2013, 09:58

    @In Dubio:

    Ich teile Deine Beobachtung, aber nicht die Erklärung dafür. Kultur und soziale Normen sind nicht unveränderlich und sie sind vielleicht nur unter den gegebenen Umständen rational.

    „Social Trust“ ist ein messbares Konzept, dass die von Dir geschilderten Beobachtungen in hohem Maße erklärt (und von dem Verdacht befreit, bloße Vorurteile zu sein 😉 Familiärer Zusammenhalt ist hoch in Gesellscchaften, in denen es keine vertrauenswürdigen öffentlichen Institutionen gibt. Das ist im Nahen Osten so, das ist aber auch auf dem Balkan so.

    Die Schwierigkeit in Südeuropa (v.a. Italien und Griechenland nehme ich eigentlich an) den Rechtsweg einzuschlagen, ist hier eher Ursache als Sympton. Ich bezweifle, dsas irgendein Italiener mit diesem Zustand glücklich ist. Ganz im Gegenteil.

    Aber es zeigt sich eben auch (z.B: in der World Values Survey) dass soziale Normen sich langfristig ändern, wenn Länder sich positiv entwickeln. Es lockern sich die starren Familienbindungen und die Selbstverwirklichungswerte stärken sich.

    • In Dubio 15. Juni 2013, 08:06

      Institutionen prägen die Mentalität von Menschen. Nicht umsonst hat Joschka Fischer gesagt, dass das Amt den Politiker verändere, nicht umgekehrt.

      Die Institutionen in Südeuropa zu ändern ist eine Herkules-Aufgabe und nur unter extremen Druck erreichbar. Gleichzeitig wird Druck als undemokratisch und erpresserisch abgelehnt. Außerdem sitzen in den Institutionen Menschen mit einer gewissen Einstellung und Kultur, die man nicht durch Austausch der Spitze zu einem anderen Verhalten bewegt. Es ist weit leichter, die Politik eines Landes zu ändern als seine Kultur.

      Seit 2010 versprechen die griechischen Regierungen in wechselnder Zusammensetzung, 30.000 Staatsdiener zu entlassen. Innerhalb von 3 Jahren ist bisher keiner entlassen worden, selbst jene nicht, die seit 10 Jahren wegen schwerer Dienstvergehen auf dem Index stehen.

      Dort nützt es nichts, mit Experten zu kommen. Was zu tun ist, weiß man längst. Doch es fehlt, anders als beispielsweise im Baltikum, die Einsicht und Bereitschaft auf breiter Front, seine Institutionen, seine Gesellschaft und dann seine Politik zu ändern.

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