Zur Bundestagswahl: Der grüne Kampf um Windmühlen

Noch sechs Monate bis zur Bundestagswahl und die meisten Parteien haben einen Entwurf für ihr Wahlprogramm veröffentlicht. Die Grünen haben bisher das umfangreichste Programm vorgelegt. Es hat den Anspruch, Klimaschutz und die Energiewende mit wirtschaftlicher Vernunft und Gewinn zu gestalten. Aber dieser Anspruch scheitert, denn Effizienz lässt sich nicht vorschreiben.

Im Programmentwurf der Grünen steht der Satz “Die FDP ist eine Kampfansage an den grünen Wandel.”. Der Programmentwurf der Grünen hat erstaunliche 183 Seiten. Das kann man auch als Kampfansage an die FDP verstehen.

Die Debatte

Die Grüne Basis hat umfangreiche Möglichkeiten, am Entwurf mitzuarbeiten. Seit Anfang März fanden in ganz Deutschland Programmforen statt, auf denen der Entwurf vor Ort diskutiert wurde. Jeder war aufgerufen, online Fragen zum Entwurf an die Parteispitze und die Spitzenkandidaten der Grünen zu stellen. Bisher antworteten Cem Özdemir und Claudia Roth auf die ihnen gestellten Fragen, die die meisten Stimmen erhielten. Eine Bundesdelegiertenkonferenz Ende April beschließt das Programm und daraufhin ist noch einmal die Basis gefragt. Per Mitgliederentscheid sollen die zehn wichtigsten Projekte der nächsten Legislaturperiode bestimmt werden.

Dieses Verfahren — eine Kommission entwirft ein Programm, das von der Basis diskutiert und per Antrag verändert wird, ein Parteitag beschließt das Programm — scheint weiterhin klare Vorteile zu haben. Die Parteien erweitern die Möglichkeiten der direkten Mitsprache — teilweise sogar für Nicht-Parteimitglieder — und bleiben gleichzeitig effektiv und arbeitsfähig. Jedenfalls weist dasWahlprogramm der Piraten nachwievor große Lücken auf, obwohl es seit 2011 in Arbeit ist.

Das Programm

Am Anfang des Programms steht die grüne Antwort auf den Klimawandel und die Gestaltung der Energiewende. Die Grünen möchten den Klimaschutz und die Erneuerbaren Energien “mit wirtschaftlicher Vernunft und Gewinn” verbinden und

“Wir wollen den Erfolg der Energiewende weltweit. Denn die Antwort auf Energiearmut und eine global wachsende Energienachfrage heißt Erneuerbare Energien für alle.”

Die erneuerbaren Energien sollen die wachsende Energienachfrage befriedigen, denn Energie ist die Basis unserer Produktivität und unseres Wohlstands. Gleichzeitig sollen die Haushalte nicht durch steigende Stromkosten belastet werden. Die Lösung lautet also: Größtmögliche Effizienz. Aber wie lautet eigentlich das Problem?

Ist unser größtes Problem der Klimawandel, der monopolistische deutsche Strommarkt, die Angst vor Atomkraftwerken, oder die Umweltschäden bei der Rohstoffgewinnung? Für die Grünen scheinen alle diese Probleme gleich wichtig. Eine Abwägung zwischen Lösungen die nur eines dieser Probleme lösen wird von vornherein ausgeschlossen. Damit schließen die Grünen auch eine effiziente Antwort auf den Klimawandel aus und es bleibt nur der Große Sprung nach Vorn.

Für die Grünen ist klar, dass “in Zukunft […] Wind auf dem Meer und auf dem Land und Sonne die Basis unserer Stromerzeugung [bilden]. In sonnen- und windarmen Zeiten können hocheffiziente Gaskraftwerke die Lücken ausfüllen.” “Kohle hat keine Zukunft. Braun- und Steinkohle verursachen sehr hohe klimaschädliche CO2-Emissionen, der Braunkohletagebau ruiniert großflächig unsere Landschaften.”

Damit sich das nicht ändert, lehnen sie “CO2-Abscheidung und Speicherung (CCS) an Kohle- und Gaskraftwerken […] ab” und sie “wollen ein „Fracking“-Moratorium, bis diejenigen, die es wollen,nachgewiesen haben, dass es unschädlich ist.

Weil der Atomausstieg hierzulande nicht genügt, fordern die Grünen ein “Verbot von Hermesbürgschaften für AKW-Projekte im Ausland.” und damit sich Atomreaktoren nicht verbessern und Fusionsreaktoren erst gar nicht Realität werden, sind Atom und Kernfusionsforschung natürlich“nicht zukunftsfähig.” Mit diesem Verständnis von Wissenschaftsfreiheit wird Deutschland im Rennen um die Energieversorgung der Zukunft zurückfallen. Denn die Zukunft könnte anders aussehen, als die Grünen planen.

Vielleicht missfällt den Grünen an der Möglichkeit von Kernfusionsreaktoren weniger die geringe Belastung durch radioaktive Abfälle, als die hohen Kapitalkosten, die die großen Energieerzeuger bevorzugen würden. Denn die Grünen wissen auch: “Die Energieversorgung der Zukunft ist viel dezentraler und bürgernaher.” Selbst wenn das heißt, dass man “die Städte und Gemeinden aktiv darin unterstützen [muss], kommunale Klima- und Energiekonzepte aufzustellen, die örtliche Energieversorgung wieder in die eigene Hand zu nehmen und somit die Energieerzeugung in Bürgerhand zu fördern.” Viele erneuerbare Energiequellen sind in der Tat dezentral einsetzbar. Aber deshalb ist das noch lange nicht effizient.

Das grüne Programm verzettelt sich zwischen all diesen Ge- und Verboten. An einer Stelle heißt es“Strom zu transportieren ist heute noch deutlich günstiger als ihn zu speichern.” aber 10 Zeilen später ist vergessen, dass aus dieser Einsicht folgen könnte, dass eine zentralisierte, permanente Stromproduktion ihre Vorteile hat: “Um eine Vollversorgung aus Erneuerbaren Energien zu ermöglichen, brauchen wir auch neue Stromspeicher … Die verschiedenen Speichertechnologien wollen wir parallel anwenden.”

Zwischen all diesen Vorstellungen von der Zukunft hat die Zukunft selbst keinen Platz mehr. Die Grünen stellen fest: “Preise müssen die ökologische und soziale Wahrheit sprechen. Unter diesen Voraussetzungen bieten Märkte ein effizientes Suchverfahren nach den besten Lösungen.” aber so recht vertrauen sie diesem Ansatz nicht. Deshalb ist ihnen der europäische Emmissionshandel nur einen Absatz wert. Deshalb enthält das Wahlprogramm der Grünen auch detaillierte — selbstverständlich “zielgenaue” — Reformvorschläge für die Autoindustrie, die chemische Industrie und natürlich den Energiesektor. Und deshalb setzen die Grünen nicht nur ein ambitioniertes Ziel für die Reduktion des deutschen CO2-Ausstoßes, sondern sie schreiben auch noch die Technologien vor, mit denen das zu erreichen sei.

Betrachtet man den aktuellen Entwicklungsstand der erneuerbaren Energien, bleibt also nur die Hoffnung auf den großen Sprung nach Vorn. Und so heißt es bei den Grünen auch:

“Technologische Sprünge sind möglich und machbar. So wurde etwa 1885 in Berlin das erste Kraftwerk in Deutschland errichtet, bereits im Jahr 1900 hatten praktisch alle Städte Elektrizität. Während 1970 Computer noch auf Lochkarten-Basis funktionierten und Hallen füllten, hatten 25 Jahre später schon viele Haushalte einen eigenen PC zu Hause. Wenn man es will und vorantreibt, können wir auch den Sprung in eine Welt sauberer Energie schaffen”

Aber Elektrizität und Computer setzten sich auch ohne die Grünen durch, oder sogar gegen sie. Und wer versuchte, die Computerindustrie staatlich voranzutreiben, der scheiterte kläglich:

“Domestically, de Gaulle was Monsieur Dirigisme. That albatross of industrial policy, computer maker Groupe Bull, grew from de Gaulle’s decision in the 1960s that French grandeur required a native-grown data processing industry. It has cost French taxpayers more than $5 billion over the past 12 years to pay for that failed dream. In a delicious irony, Bull is now being partially sold at a pittance to U.S. and Japanese companies. So much for economic nationalism.”

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf dem Oeffinger Freidenker. Bitte hinterlasst Kommentare dort.

Comments on this entry are closed.