Wie Weltordnungen sterben


Krisen, wie auch die Corona-Krise, schaffen für gewöhnlich keine neuen Umstände. Damit enttäuschen sie auch regelmäßig verhinderte Revolutionäre von links wie rechts, die darauf hoffen, dass nun endlich alle einsehen werden, was sie selbst schon immer wussten. Im Angesicht von Corona haben gerade vor allem die Hoffnungsträger auf der Linken Konjunktur, die glauben, den Schwanengesang des Kapitalismus zu erleben. Sie werden enttäuscht werden, wie sie immer enttäuscht werden, schon allein, weil sie in jeder Krise den Abgesang des Kapitalismus erkennen. Gleiches gilt auch für die Untergangspropheten von rechts: Die Mehrheit für die Ethno-Diktatur, sie wird auch mit Corona nicht kommen. Das sind die guten Nachrichten. Gleichzeitig beschleunigen Krisen aber jene Entwicklungen, die, die bereits seit längerem vor sich hingären. Meine These ist, dass wir gerade den endgültigen Abschied von der liberalen Nachkriegs-Weltordnung miterleben – und dass es instruktiv ist, sich das Sterben der ersten liberalen Weltordnung anzusehen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie so etwas geschieht.

Gleich als Caveat vorweg: Historische Vergleiche bleiben immer unscharf und nur vage übertragbar. Bekanntlich wiederholt sich Geschichte nicht. Allerdings reimt sie sich gelegentlich, und diesen Zeilensprüngen, selbst wenn es Knittelverse sind, lohnt es sich manchmal, nachzugehen. Und jetzt beende ich diese Lyrik-Metapher besser, bevor sie außer Kontrolle geht.

Bevor wir uns in den historischen Kontext werfen und ansehen, was die erste liberale Weltordnung war und wie sie unterging, sollten wir zuerst versuchen, die zweite zu skizzieren und so zu sehen, was hier eigentlich vor unser Augen gerade stirbt.

Das Sequel

Der Beginn unserer liberalen Weltordnung liegt in den Todeszuckungen des zweiten Weltkriegs, als sich im Jahr 1944 Vertreter der Westalliierten im amerikanischen Bretton Woods trafen, um die Grundstruktur einer wirtschaftlichen Nachkriegsordnung aufzustellen, die die Fehler der Jahre 1919-1922 vermeiden und Grundlage eines deutlich stabileren Staatensystems stellen sollte. Bereits 1941 war mit der Atlantik-Charta der Grundstein für eine politische Nachkriegsordnung zwischen Großbritannien und den USA gelegt worden, der 1945 mit der Gründung der Vereinten Nationen unter Einbeziehung der Sowjetunion und Chinas (ein wichtiger Punkt, wie wir in der Rückschau später sehen werden!) folgte.

In Bretton Woods wurde die Grundlage für verschiedene Vertragssysteme gelegt, die unter Akronymen wie GATTS oder TRIPS liefen. Diese Vertragssysteme strukturierten den internationalen Handel der teilnehmenden Staaten anhand von Freihandelsprinzipien – geringe Zölle, möglichst wenig Handelsbeschränkungen, Meistbegünstigung und vieles mehr. Auch eine Orientierung am Dollar als internationaler Leitwährung gehörte dazu, der sich wiederum an das Gold band. Auch diesem Prinzip werden wir in der Rückschau gleich noch einmal begegnen.

Anders aber als die erste liberale Weltordnung, deren große Hoffnung es war, durch Austeritätsmaßnahmen die Finanzpolitik der Staaten durch die internationalen Finanzmärkte zu disziplinieren und so Aufrüstung und Kriegstreiben zu verhindern, legte die neue weltweite Wirtschaftsordnung den Staaten keine ausgabenpolitischen Fesseln an, im Gegenteil. Bretton Woods wurde zur Grundlage der beispiellosen Ausdehnung des Wohlfahrtsstaats, des längsten Aufschwungs der Geschichte und eines nie dagewesenen Wohlstandsgewinns. Ich habe diese Entwicklung ausführlich in meiner Serie zum goldenen Zeitalter der Sozialdemokratie dargelegt.

Dieses System geriet durch den Doppelschlag der beginnenden Stagflation und die außer Kontrolle geratenen Kosten des Vietnamkriegs soweit in die Krise, dass die USA unter Richard Nixon 1971 einseitig den Abschied vom System fester Währungskurse ausriefen und die lange Hinwendung zum angebotsorientierten Neoliberalismus begannen. Die EG-Länder reagierten mit der Schaffung von gekoppelten Wechselkursbändern (der Euro kam damals noch nicht zustande; die EG war in einer tiefen Krise, der so genannten Eurosklerose) und vollzog die wirtschaftspolitische Richtungsänderung Stück für Stück nach (erst Großbritannien, dann Deutschland, am Schluss, zögerlich, auch Frankreich).

Bis zum Ende der 1980er Jahre hatte sich die liberale Weltordnung zwar gewandelt, war aber in ihrer Grundstruktur immer noch intakt. Freihandel bestimmte die Agenda und verschob ihren Fokus nun auf die Finanzmärkte, deren Entfesselung in den 1990er Jahren eine weitere Welle ungeahnten Wachstums begleitete (dessen Früchte allerdings bereits wesentlich ungleicher verteilt waren als in der Nachkriegszeit). Triumphal wurde diese Ordnung 1995 durch die Gründung der Welthandelsorganisation WTO bestätigt, die die Staaten nicht zuletzt über die Schiedsgerichte an den Rand des Wirtschaftsgeschehens verbannte.

Beben

Erste Risse im schönen Bild zeigten sich in der Asienkrise 1997 und in der kurzen Dotcom-Blase 2001. Zum Platzen kam die Blase aber erst mit der Finanzkrise 2007/2008, als ein völlig außer Kontrolle geratener Bankensektor beinahe die Weltwirtschaft mit sich in den Abgrund riss. Das Rettungsbestreben der westlichen Welt war damals noch mit aller Macht darauf gerichtet, die bestehende Ordnung so weit wie möglich zu erhalten beziehungsweise wiederherzustellen. Mit Verve wurden alle Ideen verworfen, die Krise für eine grundsätzliche Umgestaltung des Systems zu nutzen (sorry, Linke…), stattdessen wurde betont, dass man verstaatlichte Banken schnellstmöglich wieder zu privatisieren gedachte und keinesfalls eine größere Rolle des Staates beim Wirtschaften zulassen wolle. Einzig größere Kontrollen solle es geben.

Allein, die Realität holte diese durchaus ehrlich gemeinten Absichtserklärungen schnell ein. Nicht nur die sich direkt anschließende Eurokrise machte eine Rückkehr zum Status Quo unmöglich. Auch hatten sich weltweit Gewichte deutlich verschoben. Die USA und China, schon lange in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis, veränderten ihre Gewichtung innerhalb dieser Beziehung. China, das der Idee der liberalen Weltordnung ohnehin immer reserviert gegenübergestanden hatte und dessen später Eintritt in die WTO höflich betrachtet als eher heuchlerische Inanspruchnahme einiger Vorteile denn als Überzeugung für die zugrunde liegenden Prinzipien gelten dürfte (wie übrigens auch im Falle Russlands).

Tatsächlich sind die späten Beitritte Chinas und Russlands zur WTO in der Rückschau nicht die triumphalen Schlusssteine einer Weltordnung geblieben, wie es ihre Vertreter seinerzeit sahen, sondern eher als Zeichen ihrer Schwäche. Selbst die liberalen Handlungsprinzipien eher unverdächtigen Akteure aus Moskau und Beijing sahen in dem Beitritt offensichtlich keine Notwendigkeit mehr, die viel geforderten (und auf der linken stets harsch verdammten) Anpassungsmaßnahmen vorzunehmen. Allein, aus der Rückschau wirkt so etwas immer eindeutiger.

Und nun zu Corona. Die Geschwindigkeit und Leichtigkeit, mit der die Nationalstaaten sich ihre Souveränität, die noch in der Brexit-Debatte (auch von mir) als Anachronismus gehandelt wurde, wieder zurücknahmen, die Flüsse von Menschen, Kapital und Waren zwischen den Grenzen zum Erliegen brachten und Vertragswerke von den WTO-Regeln bis zu Maastricht einfach ignorierten, dürfte nicht nur unter der Knute des IWF leidende Entwicklungsländer oder die Bevölkerung Athens überrascht haben. Es ist gerade die Selbstverständlichkeit, mit der das Abtreten all dieser Regeln hingenommen wurde, die ein Alarmzeichen sein sollte.

Staaten, die bereits bestellte und bezahlte Lieferungen unter Berufung auf das nationale Eigeninteresse einbehalten; Staaten, die einfach ganze Wirtschaftszweige schließen; Staaten, die ihre Zentralbanken anweisen, die Finanzierung ihrer Haushalte direkt zu übernehmen; Staaten, die die größten Verkehrsstaus in Menschengedenken durch Schließen der Warenumschlagsplätze provozieren – all das wäre vor recht kurzer Zeit noch undenkbar gewesen. Es ist kaum ein Zwinkern wert, gerade denen, die die Werte und Regeln dieser liberalen Weltordnung bisher so hochgehalten hatten. Ihnen ist viel wichtiger, ob sie Ostersonntag spazieren gehen können, und stilisieren diese Grundsatzfrage zum entscheidenden Konflikt unserer Tage. Die liberale Weltordnung, sie hat keine Verteidiger mehr.

Und noch einmal: Nichts davon wurde durch Corona hervorgerufen, weswegen auch alle Hoffnungen, dieser Untergang möge nun in eine generelle Reform oder gar Revolutionierung des Kapitalismus münden, fehlgeleitet sind. Es gibt keine plötzliche Einsicht in die Unhaltbarkeit des Systems. Stattdessen brach unter Corona nur hervor, was schleichend bereits vorher geschehen war. Andererseits wäre der Aufschrei größer, gäbe es mehr Widerstand.

Das Original

Nachdem wir nun geklärt haben, welche Weltordnung gerade zugrunde geht (und erneut, man verzeihe mir die stark vereinfachende Kürze!), schauen wir einmal zurück auf das Scheitern der ersten solchen Weltordnung. Ich habe die Vorgänge in einem sehr ausführlichen Artikel seinerzeit auf dem Geschichtsblog beschrieben, weswegen ich hier auch nur die Rahmenbedingungen skizzieren will.

Am Ende des verheerenden Ersten Weltkriegs setzte der amerikanische Präsident Woodrow Wilson seine Lesart der Ursprünge des Krieges durch: Er machte Geheimdiplomatie und Militarismus/Imperialismus für die Jahrhundertkatastrophe verantwortlich. Entsprechend war ihm daran gelegen, genau diese Faktoren zu neutralisieren. Ihm schwebte eine neue Weltordnung vor, in der beides der Vergangenheit angehörte.

Das machte aus amerikanischer Perspektive viel Sinn. Zum Zeitpunkt der Kriegserklärung 1917 besaßen die USA eine Armee, die kaum mehr als eine etwas schwerer bewaffnete Polizeistreitmacht war. Es hat seinen Grund, warum das Kaiserreich die militärische Macht Amerikas nicht fürchtete. Auch die Waffenproduktion des Landes war vernachlässigbar; der Kampf gegen Ureinwohner und mexikanische Banditen hatte keine schwere Artillerie erfordert. Die Amerikaner misstrauten jeglicher Armee und wollten sie keinesfalls ins Ausland entsenden. Wir haben es also mit einem sehr anderen Land zu tun als dem der zweiten liberalen Weltordnung.

Wilson war, wie den anderen amerikanischen Politikern auch, daran gelegen, diesen Zustand zu erhalten. Das Mittel der Wahl war daher Rüstungskontrolle, nicht militärische Dominanz, während gleichzeitig ungehinderter weltweiter Handel (abgesichert durch die von diesen Impulsen ausgenommene US Navy, die durch den Krieg beschleunigt den bereits vorher eingesetzten Trend (bemerkt jemand ein Muster?) Realität hatte werden lassen, die Royal Navy als stärkste Marine der Welt abzulösen. Gleichzeitig sollte es keine geheimen Bündnisse mehr geben, sondern ein System kollektiver Sicherheit.

Um das durchzusetzen, taten sich die USA und Großbritannien – das eine ähnliche Mentalität besaß und ähnliche Zielsetzungen verfolgte – zusammen und bauten in internationales Wirtschafts- und Finanzsystem auf dem Goldstandard auf, der alle darin beteiligten Länder zur Austerität zwang und damit große Militärbudgets unmöglich machte. Jedes Land, das im Club der Großmächte mitspielen wollte, musste zwingend im Goldstandard mitmachen. Dies zwang etwa Frankreich und Japan zu ungeheuer schmerzhaften Sparmaßnahmen, die sie als militärische Faktoren praktisch nicht-existent machten. Deutschland und die Sowjetunion waren aus anderen Gründen keine Rivalen in diesem Spiel.

Um den politischen Teil der Gleichung durchzusetzen, schwebte Wilson ein „Völkerbund“ (league of nations) vor, in dem die Gemeinschaft der Staaten durch Wirtschafts- und Finanzsanktionen (und, in letzter Konsequenz, militärische Intervention) Konflikte löste. Dieser Völkerbund war dabei mitnichten so universal gedacht wie die UNO; er war eine Vereinigung der Sieger. Erst das Ausscheren der USA durch die innenpolitische Verweigerungshaltung der Republicans machte es notwendig, seine Natur zu ändern, da Frankreich und Großbritannien alleine (wie sich bald zeigen sollte) nicht in der Lage waren, Weltpolizei zu spielen.

Die Krisen der Jahre 1919-1923 (Kapp-Putsch, Ruhrkampf, Hyperinflation, nur um einige Schlagworte in den Raum zu werfen) überzeugten die USA, sich doch wieder wenigstens diplomatisch zu engagieren. Auch wenn sie dem Völkerbund weiterhin fernblieben, handelten sie de facto, als wären sie ein Mitglied. 1924 vermittelte der amerikanische Finanzexperte Dawes einen ersten Reparationsplan, der den Weg für die Aufnahme Deutschlands in die liberale Weltordnung ebnete. Das traf sich gut, regierten dort doch seit November 1923 Politiker, für die genau das das Ziel war (Stresemann zuvordererst).

Mitte der 1920er Jahre sah die Welt aus Sicht der Liberalen gut aus. Die Militärbudgets waren geschrumpft. Frankreich war diszipliniert und hatte sich resigniert in seine Rolle als Macht der zweiten Reihe gefügt, den Goldstandard angenommen und sich vertraglich verpflichtet, nicht mehr in Deutschland einzumarschieren, das seinerseits garantierte, seine vertraglichen Anforderungen zu erfüllen. Ein rentabler Kreislauf von Krediten und Kreditrückzahlungen, in dessen Zentrum die im Dauerboom befindlichen USA standen, hatte sich etabliert. Auch Japan war in den Goldstandard eingeschert und hatte seine Militärausgaben deutlich reduziert. Seine früheren Expansionspläne waren in der Schublade verschwunden und durch eine liberale Handelspolitik ersetzt worden, die Erfolge zeigte. Kurz, es gab Wohlstand zu verteilen, der zwar größtenteils in den Taschen der superreichen Elite landete, aber wenigstens für stabile und friedliche Verhältnisse sorgte – nicht unähnlich der Zeit zwischen 1980 und 2007 also.

Das Beben (es bebt immer irgendwann)

Doch anders als der zweiten liberalen Weltordnung war der angelsächsischen Finanzmarktdominanz dieses Mal keine lange Halbwertszeit beschieden. 1929 kam die ganze Maschinerie mit Beginn der Weltwirtschaftskrise grausam ins Stocken. Die Prinzipien des Freihandels, auf denen die USA mit aller ihnen zur Verfügung stehenden – und beträchtlichen! – fiskalpolitischen Macht bestanden hatten, wurden schneller über Bord geworfen, als man dreimal „Agrarzölle“ sagen konnte.

Wie auch in der Corona-Krise gerade waren die Regeln, die anderen Staaten unter für sie größten Schmerzen aufgezwungen wurden,  mit einem Schlag bedeutungslos. Die USA verlangten die Rückzahlung der Kredite, auf die die europäischen Volkswirtschaften angewiesen waren, und erhoben riesige Schutzzölle. Andere Staaten folgten dem Beispiel. Eine Nation nach der anderen setzte den Goldstandard aus. Deutschland und Japan beschlossen aufzurüsten und scherten aus dem liberalen Konsens aus; in beiden Ländern ergriffen 1930 bzw. 1931 rechtsextreme Politiker die Macht.

Und die Sowjetunion, als Planwirtschaft und eiserne Diktatur mit Nachrichtensperre von der Weltwirtschaftskrise nicht betroffen und Propaganda verbreitend, präsentierte sich als funktionierendes Gegenmodell, wie es heute China tut. Und wenn man bereit war, über die eine oder andere Million Toter durch Zwangskollektivierung und Industrialisierungsprogramm im Fünfjahrplan hinwegzusehen, sah sie auch mit zusammengekniffenen Augen so aus, als könnte sie so sein. So wie Wuhan auch als Beispiel dienen kann, wenn man die offiziellen Zahlen glaubt und das Massensterben ignoriert.

Aber noch war die liberale Weltordnung nicht am Ende. Auch wenn die auf völlig irrigen wirtschaftspolitischen Prämissen beruhende Austeritätspolitik die Lage eher verschlimmerte, so hielten die USA eisern an ihren politischen Ideen fest. 1932 ging die große Abrüstungskonferenz in Genf (dem Sitz des Völkerbundes) in die nächste Runde, an die große Hoffnungen geknüpft wurden.

Die Abrüstungskonferenz stand in einer langen Tradition, die bis vor den Ersten Weltkrieg reichte. Bereits in der Haager Landkriegsordnung war versucht worden, den Krieg durch Verbot bestimmter Waffen einzuhegen, und nach dem Krieg hatten es die USA mit einem überraschend offenen und fairen Angebot auf der Washingtoner Flottenkonferenz 1922 geschafft, das Wettrüsten zur See für die absehbare Zukunft einzufrieren (das irrlichternde Deutschland, das selbst in der Weltwirtschaftskrise unbedingt ein Panzerschiff bauen wollte, damit die rechtsradikalen Nationalisten zufrieden gestimmt waren, einmal beiseite gelassen). In Genf sollte zu Lande geschafft werden, was 1922 zur See gelungen war. Angesichts der weltweiten Wirtschaftskrise und ohnehin belasteter Budgets schien die Lage günstig.

Allein, es hat nicht sollen sein. Dank der konservativen Steigbügelhalter gelang Hitler 1933 die Ernennung zum Reichskanzler, und er schied sofort aus den Genfer Abrüstungsgesprächen aus. Gleiches tat Japan, das in diesen Jahren die Entscheidung traf, anstatt über liberalen Welthandel lieber über nationalistische Eroberungspolitik zur Vormacht des asiatischen Raums zu werden. Man darf sagen, dass beide Entscheidungen sich nicht unbedingt bewährt haben.

Eine Frage des Kredits

Das letzte Element der liberalen Weltordnung, das in diesen Tagen zu Fall kam, waren die vertraglichen Verpflichtungen Deutschlands aus dem Versailler Vertrag. Das betraf zuerst die finanziellen Verpflichtungen, vulgo: Reparationen. Die französische Wirtschaft war auf diese Zahlungen, die sie fast nie in ordentlicher Höhe erhalten hatte, seit 1919 dringend angewiesen. Das lag daran, dass die USA auf Bezahlung aller ausstehenden Schulden aus dem Krieg bestanden. Die Briten hatten in den Jahren 1919 bis 1923 mehrmals versucht, ein Moratorium zu erlassen, bei dem sie als Netto-Gläubiger auch hätten ordentlich bluten müssen und so ihren alten Verbündeten zu helfen. Die USA weigerten sich, und so mussten die Briten seufzend darauf bestehen, dass Frankreich seine Kriegsschulden bei der City beglich – damit diese die Ratenzahlungen daraufhin an die Wall Street überweisen konnte.

Im Kontext dieser Kriegsschulden befand sich auch das außenpolitische Tauziehen um die Anerkennung der Sowjetunion. Der Sieg der Bolschewisten in einem ungeheuer blutigen und langwierigen Bürgerkrieg hatte sich trotz direkter Intervention der Westmächte nicht verhindern lassen, dafür aber das ewige Misstrauen des um Misstrauen nicht eben armen Stalin eingebracht. Anerkannt und in die Gemeinschaft der Staaten aufgenommen wurde die UdSSR trotzdem nicht, weil die Kommunisten sich beharrlich weigerten, die Kriegsschulden des zaristischen Regimes anzuerkennen. Erst als der Kreml sich bereit erklärte, diese Verpflichtungen zu übernehmen, stand der Aufnahme des Landes in den Völkerbund nichts mehr entgegen – wie auch Deutschland 1927 seine Aufnahme in das vormals zu seiner Niederhaltung gegründete Forum erreichte, als es Frankreich die Zahlung seiner eigenen Reparationen garantierte.

So fehlgeleitet der amerikanische Präsident Herbert Hoover auch in vielen anderen Bereichen der Wirtschaftspolitik war, so klar sah er die Probleme dieses scheiternden Kreditgeflechts. In einem ironischen Rollentausch war nun er es, der Großbritannien und Frankreich zu einer Aussetzung der Reparationszahlungen drängte. 1932 verkündete Hoover ein einseitiges, einjähriges Moratorium auf alle Kriegsschulden des Ersten Weltkriegs. De facto war es ihre vollständige Stundung. Niemand erwartete, dass die Zahlungen danach wieder aufgenommen werden würden (kein Wunder, dass Griechenland eine solche Lösung in der Eurokrise so attraktiv fand; Varoufakis hatte die Geschichte ordentlich genug gelernt). Zwangsläufig mussten auch Frankreich und Großbritannien nachziehen.

Das Zerbröseln des Fundaments

Allein, es war zu spät. Die Früchte dieser Maßnahmen erntete in Europa Hitler, der sich, der Kriegsschulden beraubt und um einige Präzedenzfälle reicher, an die Zerschlagung der Nachkriegsordnung machen konnte. Und in den USA gewann Franklin D. Roosevelt die Wahl gegen einen glücklosen Herbert Hoover und erklärte, dass nur die Furcht selbst zu fürchten sei, ehe er das Land mit dem New Deal auf die zweite und wesentlich erfolgreichere liberale Weltordnung vorbereitete.

Noch allerdings war die erste nicht tot. In unserer Analogie sind wir eher in der Finanzkrise 2007/2008, und die Welt erlebte einen kurzen Geistersommer. Es schien, als ob das Schlimmste vorüber sei. Die Weltwirtschaften zogen mal mehr, mal weniger stark in eine Aufschwungphase ein, Hitler sprach von Frieden und die japanische Regierung schien eine Einigung mit Chinas verschiedenen Warlords gefunden zu haben, auch wenn sie als erste rechtsgerichtete Expansionsmacht ihren Austritt aus dem Völkerbund erklärte. Doch rasch zeigte sich, dass die Schäden am Fundament der liberalen Weltordnung nicht mehr gut zu machen waren. Es war rissig geworden, nicht mehr tragfähig.

Die erste Attacke kam von Hitler. Bereits 1933 trat er offiziell aus dem Völkerbund aus, in den das Land unter so großen Anstrengungen durch den Vernunftrepublikaner Stresemann erst 1927 gebracht worden war. Es war eine Warnsirene, die unter einer Mischung aus Hoffnung und verzweifeltem Optimismus von den meisten Zeitgenossen nicht gehört wurde. 1935 brach er die Rüstungsbeschränkungen des Weimarer Vertrags, indem die Wehrmacht gegründet und die allgemeine Wehrpflicht ausgerufen wurde. Panzer und Flugzeuge rollten vertragswidrig von deutschen Fließbändern. Es geschah: nichts. Später im selben Jahr schloss Hitler einen Vertrag mit Großbritannien, der die Flottenstärke Deutschlands auf 35% der britischen beschränkte und damit die Londoner Sorgen vor einem neuen Flottenwettrüsten wie zwischen 1900 und 1910 nahm.

Nur, was auf den ersten Blick wie eine Wiederaufnahme der Rüstungsbeschränkungspolitik aussah, eine Art Washington 2.0, wurde von den deutlich weitsichtigeren Politikern im Quai d’Orsay als ein Verrat gesehen. Großbritannien erkaufte sich seine Sicherheit, indem es Deutschland den vertraglichen Segen für einen weiteren schweren Verstoß gegen den Versailler Vertrag gab, und ließ Frankreich im Stich. Resigniert erhöhten die Franzosen ihr Verteidigungsbudget, gaben die wirtschaftliche Erholung auf und begannen den Bau der Maginot-Linie, im ultimativ vergeblichen Bemühen, den Krieg dieses Mal nicht über ihr Land hinwegfegen zu lassen.

Die Franzosen ihrerseits waren nicht sonderlich erpicht darauf, ihrer eigenen Verpflichtung nachzukommen und eine Volksabstimmung im Saarland abzuhalten. Großbritannien und die USA ließen aber wenig Zweifel daran, ihre grundsätzliche anti-französische Haltung (die Franzosen waren nie begeisterte Teilnehmer am liberalen Projekt gewesen und hatten fiskalpolitisch dazu gezwungen werden müssen) aufzugeben und erklärten deutlich, im Falle französischer Maßnahmen die Kredithähne zuzudrehen. Angewidert hielten sich die Franzosen, aller Illusionen beraubt, an den Vertrag. Das Saarland ging an Deutschland, und die Aufrüstung ging ungebremst weiter.

1936 remilitarisierte Hitler das Rheinland, ein weiterer eklatanter Bruch des Vertrags. Erneut geschah: nichts. Als Hitlers großes Vorbild, der italienische Diktator Mussolini, im selben Jahr seinen Ambitionen auf den Erwerb eines Kolonialreichs nachgab und im unabhängigen Völkerbundsmitglied Äthiopien einmarschierte, verhängten Großbritannien und Frankreich zwar Wirtschaftssanktionen gegen die Halbinsel. Sie weigerten sich aber, ihren Verpflichtungen nachzukommen und Äthiopien auch militärisch zu Hilfe zu kommen. Ungehindert massakrierten italienische Truppen mit Senfgas und Bajonetten die äthiopische Bevölkerung. Ihr kurze Zeit später erfolgender Austritt aus dem Völkerbund war kaum mehr als eine Fußnote.

Als Hitler 1938 Österreich und das Sudetenland annektierte, spielte die liberale Weltordnung bereits keine Rolle mehr. Chamberlain verhandelte im Rahmen von Nationalstaaten und setzte sich genauso fragrant über das Völkerrecht hinweg wie es Hitler tat, als er ohne die Tschechoslowaken auch nur zu fragen dem Diktator das Sudetenland überließ. Ein Jahr zuvor hatten die Japaner einen „Zwischenfall“ in Mukdeng inszeniert, der der deutschen Inszenierung eines polnischen Überfalls auf den Sender Gleiwitz 1939 in Überzeungskraft an nichts nachstand und den den bis 1945 andauernden Krieg zwischen Japan und China, dem Millionen Menschen zum Opfer fallen würden, begründete.

Fazit

Wie wir sehen können, war die liberale Weltordnung bereits in den frühen 1930er Jahren am Ende. Für die Zeitgenossen war das nicht sofort ersichtlich. Wäre in Deutschland kein so risikofreudiger Diktator wie Hitler an der Macht gewesen, die stückweise Demontage ihrer Strukturen hätte länger gebraucht. Das Ergebnis aber wäre vermutlich dasselbe gewesen. Die italienische und japanische Aggression war genauso unabhängig von Hitlers Vertragsbrüchen wie es die sowjetische Expansionspolitik war, die 1939 zum Ausschluss der Sowjetunion aus dem Völkerbund führte – ein Ereignis, das für Stalin sicherlich ungefähr so viel Bedeutung besaß wie die Auswahl seiner Frühstücksmarmelade. Der Ausschluss der Sowjetunion im Herbst 1939 war denn auch der letzte bedeutsame Akt der Genfer Versammlung vor ihrer Selbstauflösung 1945.

Vorgezeichnet war dieser Weg gleichwohl nicht. Deutschland und die Sowjetunion waren die ursprünglichen Gegner der liberalen Weltordnung gewesen, hatten sich ihr ganz (Deutschland) oder teilweise (Sowjetunion) nur unter dem normativen Druck des Faktischen angeschlossen. Eine Rückbesinnung des Völkerbundes auf diesen Kern, eine Revitalisierung unter den Auspizien Großbritanniens, Frankreichs und der USA wäre theoretisch möglich gewesen. Mussolini wanderte schließlich vom Camp der Hitler-Gegner erst durch die Sanktionen des Völkerbundes ab 1936 ins Lager seiner Freunde.

Aber die nationalen Egoismen und die Kurzsichtigkeit vieler Regierungschefs verhinderten dies. Wohl noch mehr als diese persönlichen Unzulänglichkeiten aber starb die erste liberale Weltordnung den Tod einer Fee: Irgendwo sagte jemand, der glaube nicht mehr an sie, und es fand sich keiner mehr, der in die Hände zu klatschen bereit war. Mitte der 1930er Jahre war offenkundig geworden, dass ihre einstigen Erschaffer selbst nicht mehr an die liberale Weltordnung glaubte. Und so fiel sie langsam in sich zusammen, während alle Beteiligten zwar weiterhin ihre Treue bekundeten, in ihrem tatsächlichen Handeln aber deutlich zeigten, dass es vorbei war.

Und das ist die wohl deutlichste Parallele zu einer Zeit, in der die Begründer der zweiten liberalen Weltordnung, das Gastland, in dem einst die Konferenz von Bretton Woods stattfand, Freihandelsabkommen als unfair und Schutzzölle als höchst vernünftiges Mittel der Wirtschaftssteuerung betrachtet; in dem die andere Gründernation der zweiten liberalen Weltordnung, die die wohl brillanteste Generation an Nationalökonomen unter Führung von Keynes zu selbiger Konferenz entsandte, in einer Volksabstimmung beschloss, Identitätspolitik und nationale Borniertheit in einen schlecht beratenen Alleingang zu stellen; in dem ausgerechnet die Grande Nation ihre Großmachtambitionen an den Rand zu stellen bereit ist und auf kühles Desinteresse bei den einstigen Erbfeinden stößt; in der der Kreml sich als Erbe des Sowjetimperiums inszeniert und Länder annektiert, als wäre Stalin aus seinem Grab auferstanden; und in dem eine post-kommunistische Diktatur sich als Vorbild der Welt geriert, wenn man doch nur bitte geneigt wäre, den Massenmord in den Konzentrationslagern im Hinterland und die gnadenlose Unterdrückung der eigenen Bevölkerung zu übersehen.

Vermutlich werden wir in 20 Jahren genauso den Kopf über die Illusion schütteln, die zweite liberale Weltordnung doch irgendwie erhalten zu können, wie es Zeitgenossen um 1950 taten, die auf die Ereignisse seit 1930 zurückblickten. Aber hinterher ist man immer schlauer. Und vielleicht täusche ich mich auch. Zu hoffen wäre es. Denn auf den Untergang der ersten liberalen Weltordnung folgte kein Utopia, weder das, das sich die Rechten, noch das, das sich die Linken erhofften. Es folgten Chaos, Krieg, Zerstörung, Tod – und eine zweite liberale Weltordnung. Hoffen wir, dass wir wenigstens aus diesen Fehlern lernen werden.

{ 97 comments… add one }
  • Juri Nello 14. April 2020, 10:34

    „Die Mehrheit für die Ethno-Diktatur, sie wird auch mit Corona nicht kommen.“

    Die ist bereits gekommen. Hallo, Ungarn! Wir heißen die erste Diktatur in der EU willkommen! Europa fällt gerade auseinander, gerade wegen der nationalen Alleingänge. Nächste Austrittskandidaten sind Italien, Spanien, Polen und Frankreich…Und dann der ganze Rest, wenn sie mal darauf geschaut haben, wie die Coronafonds so aufgelegt sind.
    Tja, so`n Ärger! Da kann Deutschland nicht mal mehr die Arbeitslosigkeit exportieren.

    • Stefan Sasse 14. April 2020, 14:06

      Das bezieht sich auf Deutschland. Wie ich explizit schreibe, beschleunigt Corona bestehende Trends. Etwa den Ungarn zur Diktatur.

  • Kning4711 14. April 2020, 11:10

    Vielen Dank für diese unterhaltsame aber auch informative historische Einordnung. Der von Dir geschätzte Wirtschaftshistoriker Adam Tooze hat bei T-Online auch eine lesenswerte hiostorische Einordnung gemacht (sicherlich mehr auf die USA bezogen, aber in jedem Falle relevant) vgl. https://www.t-online.de/nachrichten/wissen/geschichte/id_87668776/experte-zu-corona-reaktion-der-deutschen-war-ein-desaster-sondergleichen-.html

    Die aktuellen Einschnitte durch Corona sind in meinen Augen noch ein „Kindergeburtstag“ zu den wirtschaftlichen und politischen Einschnitten, die uns infolge der anbrechenden Wirtschaftskrise drohen. So sehr ich verstehen kann, dass das erste Gefühl auf das Wort „Corona-Bonds“ nicht das positivste ist, ist es aber sicherlich der bessere Weg, als dass uns am Ende der gesamte Euro-Raum kaputt gehen wird – mit politischen Folgen die nahezu unkalkulierbar sind.

    Ich bin sehr pessimistisch, dass Deutschland aus den Versäumnissen der Euro Krise gelernt hat und somit muss man sich darauf einstellen, dass aus Borniertheit und Kurzsichtigkeit das politisch beste Projekt, dass dieser Kontinent in seiner Geschichte produziert hat, zu Grabe getragen werden wird. Wahrlich, es warten sehr unsichere Zeiten auf uns 🙁

    • Stefan Sasse 14. April 2020, 14:08

      Wie geht der chinesische Fluch? „Mögest du in interessanten Zeiten leben!“

  • derwaechter 14. April 2020, 11:43

    „Andererseits wäre der Aufschrei größer, gäbe es mehr Widerstand.“

    Ich finde es nachvollziehbar, dass der mitten in der Krise nicht kommt. Warum auch?

    Die entscheidende Frage ist, wie viele Änderungen bestand haben werden und ob sich dann Protest regen wird. Ich bin gespannt.

    • Stefan Sasse 14. April 2020, 14:11

      Es gibt Riesenaufschrei und Protest dagegen, dass der Staat dir verbietet, den Osterspaziergang mit Opa zu machen. Die BILD fährt eine Riesenkampagne gegen social distancing.

      Aber keine Sau interessiert sich für diese Themen. Das ist schon aussagekräftig.

      • derwaechter 14. April 2020, 23:29

        Zu Bild kann ich nichts sagen. Dass man sich über Spaziergangsverbote aufregt kann ich allerdings verstehen, weil es wohl nicht viel bringt. Hier werden wir sogar dazu aufgefordert spazieren und joggen zu gehen. Nur halt mir etwas Abstand.

        Aber der Protest gegen die massiven „echten“ Einschnitte ist doch überraschend gering, eben weil die meisten den Ernst der Lage erkennen.

  • derwaechter 14. April 2020, 13:33

    „Wie auch in der Corona-Krise gerade waren die Regeln, die anderen Staaten unter für sie größten Schmerzen aufgezwungen wurden, mit einem Schlag bedeutungslos.“

    „Auch wenn die auf völlig irrigen wirtschaftspolitischen Prämissen beruhende Austeritätspolitik die Lage eher verschlimmerte“

    Ich teile deinen Pessimismus generell auch. Nur in einem Punkt bin ich uneinig.

    Ich denke, mit Corona hat das wenig zu tun. Alle von Dir beschriebenen Faktoren (Politik der USA, Chinas etc) gab es ja unabhängig von Corona. Corona ist ein echter externer Schock der unabhängig von der gerade herrschenden Weltordnug ist. Und anders als die Austeritätspolitik sind die Mittel gegen die Coronakrise durchaus geeignet dem Problem Herr zu werden.

    • Kning4711 14. April 2020, 17:02

      Ich denke, mit Corona hat das wenig zu tun. Alle von Dir beschriebenen Faktoren (Politik der USA, Chinas etc) gab es ja unabhängig von Corona. Corona ist ein echter externer Schock der unabhängig von der gerade herrschenden Weltordnug ist. Und anders als die Austeritätspolitik sind die Mittel gegen die Coronakrise durchaus geeignet dem Problem Herr zu werden.

      Das bleibt abzuwarten. Corona wirkt wir ein Beschleuniger bestimmter Entwicklungen. Durch die Rasanz, die das Thema entwickelt hat, kann es sogar sein, dass es Entwicklungen die eher auf der Kippe standen nun in eine bestimmte Richtung gelenkt hat.
      Die Corona Krise hat es sicherlich Herrn Orban nochmal leichter gemacht seine fragwürdigen Ermächtigungen legitimieren zu lassen. Die EU hatte andere Probleme, als jetzt ein Vertragsverletzungsverfahren anzustreben. Gleiches fürchte ich bei der Frage um Corona Bonds – aufgrund der Rasanz des Themas wird die Dramatik des Themas nicht umrissen und es kommt zu einem vorschnellen Nein – mit der Folge, dass weite Teile des Euroraumes (zumindest jene mit signifikanten Bevölkerungszahlen) echte Bruchlandungen erleben werden. Auswirkungen: schwer abschätzbar – aber in Italien sieht man schon wie sich die Populisten gegen Deutschland warmlaufen, für eine Exportorientierte Wirtschaft eher unvorteilhaft…

      • CitizenK 14. April 2020, 17:28

        Der Groll gegenüber Deutschland in Italien und Spanien (siehe Stefans Interview“) ist jetzt schon groß. Es heißt doch immer, Wirtschaftspolitik sei zu 50 Prozent (oder mehr) Psychologie. Warum wird das bei diesem Thema völlig ignoriert?

      • Erwin Gabriel 15. April 2020, 10:05

        @ Kning4711 14. April 2020, 17:02

        Das bleibt abzuwarten. Corona wirkt wir ein Beschleuniger bestimmter Entwicklungen.

        das denke ich aber auch. Es wird wenig kommen, was sonst nicht auch gekommen wäre, nur deutlich schneller, mit deutlich mehr Wucht.

  • Lemmy Caution 14. April 2020, 20:59

    Mein Problem mit Italien, Spanien und Griechenland besteht darin, dass da die Steuermoral wirklich einfach durch die Bank viel schlechter ist als in Mittel-Europa. Sie war auch in der Generation meiner Eltern hier schlechter. „Tausend ganz legale Steuertricks“ war sehr beliebt. Mein Vater hielt sich zwar an die Regeln, bewunderte aber irgendwie auch Kollegen, die ein Konto in Luxemburg hatten oder einen Porsche als Firmenauto der Frau absetzten, die eigentlich hauptamtlich Hausfrau war. Er prozessierte auch ohne Anwalt in einer längeren Sache … und gewann gegen die Steuerbehörden.
    Heute ist da die Einstellung etwas anders, so zumindest mein Eindruck.

    Die meisten Staaten können auf Dauer nicht mehr ausgeben als er einnehmen. Beschäftigt euch mit der Wirtschaftsgeschichte Argentiniens der letzten 70 Jahre, wenn ihr mir nicht glaubt.

    Natürlich gibt es unter einem schweren globalen externen Schock deutlich mehr Argumente dafür, die Haushaltsdisziplin zu lockern. Aber hat Deutschland nicht vielleicht weitere Spielräume, weil wir in den letzten 6 Jahren von 80 auf 60% BIP Staatsverschuldung abgebaut haben? Und eine sich in normalen Zeiten immer weiter aufblähende Staatsverschuldung hat für mich so wenig Sinn wie das Beharren der aktuellen Regierung Chiles, in Covid 19 Zeiten die effektive Staatsverschuldung nicht mal von 25 auf 50% hochschießen zu lassen, um vielen ihrer aktuell echt bedrängten Bürgern eine gewisse Grundsicherung zu geben.
    Etwas völlig anderes: Welchen Sinn hat eine instabile Währung?

    Der Neoliberalismus der 80/90er hat wie alle Ideologien seine Versprechungen nicht erfüllt. Es funktioniert nicht. Vor allem ist jede Wirtschaft eingebettet in eine nationale, regionale, lokale Wertesysteme und Soziologie, die sehr tiefe Wurzeln in der jeweiligen Geschichte haben. Aber muss man deshalb das Kind mit dem Bade ausschütten?

    Vielleicht sind wir mit der Handelsliberalisierung zu weit gegangen. Der Welthandel wächst ja schon seit einiger Zeit nicht mehr wirklich.
    Fällt der Druck des Wettbewerbs von draußen unter eine gewisse Schwelle, befürchte ich eine zunehmende Neigung zu Korruption… Es gibt übrigens auch Märkte, in denen extremer Wettbewerb marxmässig zu Oligopolbildung führt, die wiederum diskrete Absprachen begünstigen.

    Für mich ist das wirklich alles echt kompliziert.

    • CitizenK 15. April 2020, 08:50

      Überwiegend Zustimmung, Lemmy. Aber was gewinnen wir, wenn die Südländer absaufen und die EU auseinanderbricht?

      • Erwin Gabriel 15. April 2020, 10:10

        @ CitizenK 15. April 2020, 08:50

        Aber was gewinnen wir, wenn die Südländer absaufen und die EU auseinanderbricht?

        Was ist die Alternative: Deutschland, Holland und Dänemark finanzieren Südeuropa?

        Lemmy caution hat doch Recht: Die Bevölkerung der Südländer hat fast noch höhere Ansprüche an ihren Staat, als wir das haben. Aber hier zahlen wir auch hohe Steuern, um all das zu finanzieren; dort nicht.

        Regen oder Traufe …

      • Lemmy Caution 15. April 2020, 20:32

        Ich bin dafür, denen zu helfen.
        Nur mag ich diese Einstellung nicht. Imho wird das als chaotisch menschliches dolce vita verbrämt. Je älter ich werde, desto mehr schätze ich Fürsorglichkeit. Man kann das nicht von außen ändern. Vielleicht gibts da in irgendeiner Generation ein Wandel.
        Italien hat mich in den letzten Wochen positiv überrascht. Ich bin nicht oft dort, aber wenn dann gerne. Außer ich fahre im Auto mit denen in einer Stadt.

        • Erwin Gabriel 16. April 2020, 11:03

          @ Lemmy Caution 15. April 2020, 20:32

          Ich bin dafür, denen zu helfen.

          Ich doch auch. Aber es sollte doch einen Weg geben zwischen „wir schreiben denen vor, wie sie ihre Bürger in die Not treiben“ und „wir bezahlen ohne jede Bedingung alle Schulden, die sie machen“.

          Ich bin nicht oft dort, aber wenn dann gerne. Außer ich fahre im Auto mit denen in einer Stadt.

          Geht mir genauso

    • Ariane 15. April 2020, 10:21

      Für mich ist das wirklich alles echt kompliziert.

      Haha, herzlichen Glückwunsch!
      Generell scheint mir das ja gerade die wichtigste Erkenntnis, die man aktuell haben sollte. So eine Pandemie scheint mir mittlerweile die komplexeste und komplizierteste Großkatastrophe, die passieren kann.

      Also ich will gar nicht verhehlen, dass ich sowieso keine Freundin des Neoliberalismus bin. Ich halte sowieso nichts von Ideologien, bei denen man in Kauf nimmt, dass Menschen zu Schaden kommen. Ob absichtlich oder als zufällig Kollateralschaden.

      Aber ich glaube, die jetzige Situation ist so einzigartig, dass das erstmal keine Rolle spielt. Niemand kann das mal eben bezahlen und die Schulden dann tilgen wie sonst auch. Auch Deutschland nicht, auch die Niederlande nicht. Unsere bessere wirtschaftliche Lage führt eben dazu, dass die Krisenkosten auch viel teurer werden, Rumänien oder Italien können nicht soviel Geld an die Bevölkerung weiterleiten wie Deutschland und das ist absolut obligatorisch. Wenn alle außer den Großkonzernen in zwei Monaten pleite sind, kommt die Wirtschaft nie wieder auf die Beine und es ist auch für die ruhige Stimmung in der Bevölkerung wichtig. Menschen mögen es nicht so gerne, wenn sie selbst und ihre Angehörigen in Gefahr sind und sie sich dann weder Heim noch Essen leisten können.
      Was meint ihr denn, was dann passiert? Alle zucken die Schultern?

      Also nein, das kann nicht so ablaufen wie üblich. England hat die Staatsfinanzierung auch direkt an seine Notenbank übertragen, um das Problem erstmal vom Tisch zu bekommen.
      In der EU ist das wegen der Währungsunion komplizierter, aber ich bin sicher, dass da kein Weg dran vorbeiführt, die Krisenkosten irgendwie zu bündeln und dann erstmal beiseite zu legen. Kann man ja über 100 Jahre oder so strecken, was weiß ich. Staaten sind langlebig, das sind keine Menschen. Die können ja auch nicht dichtmachen, wie ne Firma.

    • TM 15. April 2020, 17:50

      „Mein Problem mit Italien, Spanien und Griechenland besteht darin, dass da die Steuermoral wirklich einfach durch die Bank viel schlechter ist als in Mittel-Europa.“

      Also in Griechenland und Italien ist die Steuerquote höher als in Deutschland und grundsätzlich hat Italien seit Anfang/Mitte der 1990er eine extrem disziplinierte Haushaltspolitik.

      https://ec.europa.eu/eurostat/documents/2995521/9409925/2-28112018-AP-DE.pdf/0d1d7c01-8a48-4315-b37f-11f9bd8046e3

      „Die meisten Staaten können auf Dauer nicht mehr ausgeben als er einnehmen.“

      Klar geht das in gewissem Rahmen, wenn das Einkommen steigt (was seit ca. 200 Jahren der Normalfall ist).

      • Stefan Sasse 15. April 2020, 18:18

        Du willst doch den Leuten ihre mühsam erworbenen Klischees nicht nehmen 😉

        • Lemmy Caution 15. April 2020, 20:41

          Das ist schon ein Thema. Gebt mal „españa moral tributaria“ in google ein.

      • Erwin Gabriel 16. April 2020, 11:14

        @ TM 15. April 2020, 17:50

        Also in Griechenland und Italien ist die Steuerquote höher als in Deutschland, und grundsätzlich hat Italien seit Anfang/Mitte der 1990er eine extrem disziplinierte Haushaltspolitik.

        Ob ich beispielsweise eine Geschwindigkeitsbeschränkung habe (Theorie) oder eine Geschwindigkeitsbeschränkung habe, die ich strengt überwache, ergibt am Fahrverhalten (Praxis) einen erheblichen Unterschied. Vorschriften und Steuergesetze helfen wenig, wenn nicht ausreichend kontrolliert wird.

        Wobei ich Italien nicht Unrecht tun und in den gleiche Schublade wie Griechenland einsortieren möchte.

        Klar geht das in gewissem Rahmen, wenn das Einkommen steigt (was seit ca. 200 Jahren der Normalfall ist).

        • Stefan Sasse 16. April 2020, 11:36

          Ich würde jetzt auch Deutschland nicht in die Reihe der Länder einordnen, die Geschwindigkeitsübertretungen ordentlich kontrollieren. Die sind hierzulande doch eher Vorschläge…

        • TM 16. April 2020, 16:30

          Worauf wollen Sie hinaus? Die Steuerquote zeigt doch gerade, wieviel tatsächlich gezahlt wird.

          Und Zustimmung, dass Italien und Griechenland zwei völlig unterschiedliche Fälle sind – auch so ein Ding, das mich oft ärgert, wenn in deutschen Medien und Kommentaren so getan wird, als sei die Situation in Portugal, Spanien, Italien und Griechenland im Grunde identisch mit identischen Ursachen.

  • Jens Happel 14. April 2020, 22:50

    Saugeiler Artikel Stefan.

    Ich liege meist mit der amerikansichen Außenpolitik über kreuz, ich bezweifle aber, dass das was danach kommt besser wird.

    China ist im kommen und es ist wesentlich rücksichtlsoser und expansiver als es die USA je waren. Im Gegensatz zur USA deren Politik ich meist sehr kurzsichtig fand, plant China sehr langfristig.

    Die Globalisierung ist stark verbesserungswürdig, aber was jetzt danach kommt, wird auch nicht besser.

    Viele Grüße

    Jens

  • Ariane 15. April 2020, 00:45

    Vielen Dank für die historische Einordnung!

    Ich finde es extrem schwer einzuschätzen, aktuell sind wir ja noch in so einer chaotischen Anfangsphase und über das Ausland außerhalb des Westens hört man ja meistens nur so Schnipsel (das meiste finde ich sogar irgendwo versteckt in Newstickern!). Da wirkt es noch verrückter, wenn dann über Spaziergänge, Buchlesen und Lockerungen fabuliert wird.

    Aber die Situation ist absolut einzigartig, ein Krieg wäre ja dagegen fast noch irgendwie „normal“. Aber alle Staaten der Welt wollen das gleiche Zeug haben, nebenbei steht die komplette Wirtschaft still, also da finden zumindest jetzt gigantische Machtverschiebungen statt. Und aktuell ist der globale Welthandel ja quasi zusammengebrochen. Ist mir auch ziemlich unverständlich, dass hier so getan wird, als wenn wir nur die Läden wieder aufmachen müssten und dann ist alles wieder gut. Als wenn es heutzutage noch viele Läden gibt, die Zeugs verkaufen, das nicht von sonstwoher herbeigeschifft wird.

    Und ganz ehrlich, wenn ich nur mal überlege, was in diesem einem Monat alles so passiert ist und dann das verpönte „strategische Interesse“ bedenke, wird mir Angst und Bange. Die Pandemie wirkte wie eine Brandbombe, die jedes schwelende Problem zum Abschluss gebracht hat. China hat gerade so eine gewaltige Machtposition, das ist eigentlich unvorstellbar, nicht nur in China übrigens, die haben die letzten Jahre viele Freunde in Entwicklungsländern dazugewonnen und da kommen die Rohstoffe her! Russland mischt auch kräftig mit und hat sich ja auch schon gut ausgebreitet in der Welt. Und die Saudis sind erstmal auf Einkaufstour gegangen bei Ölfirmen und Kreuzfahrtschiffen.

    Während der Westen sich erstmal komplett zerlegt hat und sich gegenseitig die Atemmasken klaut. Ich denk mal, die UNO können wir überspringen, zumindest hat die WHO noch Kohle zum Weitermachen.
    Die USA fallen eh aus, weil sie einen Verrückten an der Spitze haben, der sich entweder Putin anschließen oder eine Atombombe auf Nordkorea werfen will, whatever.
    EU? Nach Totalausfall, Moral Hazard-Debatte um Geld und dem inoffiziellen Abgangs Serbiens, Ungarns, Polen und Tschechiens haben die selbst noch nicht gemerkt, dass da nichts mehr ist. Ein bisschen bilaterale Zusammenarbeit, Jetzt! hat vdL erzählt, sie würde gerne bei den Grenzöffnungen und -schließungen mitreden und die Kommission hat eine Leitlinie zur Müllentsorgung in Pandemiezeiten herausgegeben. Ähm ja, das ja noch schlimmer als Gurkenkrümmung.
    Also die kann man erstmal scheinbar abhaken, da wird es eher auf unterer Ebene bi- und multilaterale Zusammenarbeit geben.

    Oh, die NATO. Die könnten wir eigentlich gerade echt gut gebrauchen, wenn die EU schon hopsgegangen ist. Sie macht ja auch ein bisschen, weil die Armeen praktische Sachen da haben. Aber mit den USA und der Türkei ist das Bündnis gerade auch nicht viel wert.

    Fazit:
    Aktuell steht der Westen oder meinetwegen nur Europa absolut blank da. Wir sind total in Abhängigkeit geraten, wir haben kein Medizinzeug, wir kommen vermutlich nicht an alle Grundstoffe so einfach heran, unsere Fabriken stehen in aller Welt und brauchen auch Produkte aus aller Welt. Und die gehört gerade anderen, die kein Problem (oder weniger) damit haben, wenn sie zwischendurch ein paar Massengräber ausheben müssen. Das einzige, was wir haben, ist Kohle. Und das auch nur, solange Russland, China, die Saudis oder andere hier nicht alles aufkaufen.

    Das muss ja nicht so bleiben, ist erstmal nur eine Momentaufnahme. Die Situation ist ja gerade total abgedreht. Gelinde gesagt. Und außer Schnipseln hab ich auch nicht viele Berichte gefunden und musste mir einiges selbst zusammenreimen. Aber wenn ich sehe, in welcher Hast die USA und Deutschland versuchen, selber die Produktion von strategisch wichtigen Gütern anzukurbeln, scheint es da nicht so gut zu laufen. Und der Westen war die letzten 30 Jahre wirklich gut darin, sich wahnsinnig unbeliebt zu machen und seine eigenen Organisationen zu vernachlässigen und jetzt rächt sich das gerade.

    • Kning4711 15. April 2020, 09:51

      Ich bin an dieser Stelle nicht ganz so pessimistisch wie Du – wir haben sicherlich Engpässe bei einigen Artikeln, aber richtig dramatisch scheint, dass noch nicht zu sein. Wenn es um die reine Produktionskapazität geht, könnte die deutsche Wirtschaft sicherlich „Kriegswirtschaft“ (sorry für die martialische Sprache, aber mir fällt kein besserer Begriff ein) – statt Gewehren und Bomben produzieren wir eben medizinische Güter, Masken und Beatmungsgeräte. Jedoch setzten wir damit unsere Wirtschaftsregeln außer Kraft und riskieren erhebliche Verschuldung.

      Ich habe aktuell noch den Eindruck, man will die Krise mit den üblichen Werkzeugen lösen. Angesichts des Ausmaßes der Krise werden wir aber bald andere Maßnahmen diskutieren müssen. Die spannende Frage ist für mich, akzeptieren wir solidarisch Wohlstandseinbußen oder riskieren wir unkontrollierte Wohlstandsvernichtung.

      Die aktuelle Kommunikation ist eher einlullend – es wird schon nicht so schlimm kommen – aber der Bürger sollte (auch wenn wir das einige als Panikmache verbrämen) auf harte Realitäten eingeschworen werden.

      • Ariane 15. April 2020, 10:53

        könnte die deutsche Wirtschaft sicherlich „Kriegswirtschaft“ (sorry für die martialische Sprache, aber mir fällt kein besserer Begriff ein) – statt Gewehren und Bomben produzieren wir eben medizinische Güter, Masken und Beatmungsgeräte. Jedoch setzten wir damit unsere Wirtschaftsregeln außer Kraft und riskieren erhebliche Verschuldung.

        Ich denke, Kriegswirtschaft ist da schon der richtige Vergleich. Ist nun mal das einzige, was in jüngerer Zeit vergleichbares passiert ist, wenn man an „totale Existenzkrise“ denkt. Wüsste sonst auch nichts.

        Und natürlich kann Deutschland das. Aber nicht schnell und easy mal eben innerhalb eines Monats! Und das Zeug brauchen wir nun mal genau jetzt. In so einer Autofabrik reicht es doch nicht, mal zwei Knöpfchen zu drücken und schon hat man statt Auto ein einsatzfähiges Atemgerät da.
        Und mit den Dräger-Werken haben wir ja zumindest eine passende Fabrik schon hier, aber richtige FFP2/3 Masken werden meines Wissens mittlerweile nur noch in Asien hergestellt, die sind komplizierter als schnell ein bisschen Stoff zusammennähen.

        Also ja, natürlich können wir das. Und müssen wir auch, das ist absolut existenzielles und strategisches Interesse gerade, totale Top-Priorität!
        Und deswegen sind sämtliche nicht lebensnotwendigen Produkte und Schulden gerade auch egal, bzw „Probleme für später irgendwann“.
        Es wird vermutlich auf der ganzen Welt gerade kein einziges Auto oder auch nur Zuliefererteile mehr produziert, zumindest nicht im Westen.

        Und natürlich wäre es am klügsten, die EU und die NATO bilden da mal eine Gemeinschaft, um eine Arbeitsteilung durchzusetzen und sich den Medizinkram dann zu teilen und das wird vermutlich auch passieren. Hoffentlich. Denn dummerweise sind unsere Institutionen gerade einfach Schrott und zumindest als übergeordnete Instanz nicht zu gebrauchen. Wir kloppen uns ja lieber untereinander anstatt mal den Verstand einzuschalten.
        Das muss und wird vermutlich nicht so bleiben, auf kleinerer Ebene läuft das jetzt ja deutlich besser. Immerhin kennen die sich ja alle, vermutlich haben das Elsass und BaWü oder Saarland einfach miteinander telefoniert anstatt auf die EU zu warten.

        Das geht auch, aber ist natürlich doof, wenn die Institutionen mehr kaputt machen als zur Krisenbewältigung beizutragen. Soviele Leute, die wirklich persönlich Menschen aus allen möglichen Nachbarländern kennen, gibts nämlich nicht.

        • Michael Walther 15. April 2020, 20:07

          <>

          wie ich inzwischen gelernt habe besitzt 3M, die in Asien produzieren, alle wichtigen Patente. Inzwischen gibt es allerdings Gesetzes-Initiativen, diese Patente einfach für ungültig oder unwirksam zu erklären, zumindestens zeitweilig.

          • Ariane 16. April 2020, 00:32

            Oh, danke für die Info. Ja ich denke, da würde gerade niemand mehr Rücksicht draufnehmen in dieser Situation. ^^

  • Hias 15. April 2020, 01:54

    Dass die liberale Weltordnung nicht mehr stabil ist, da geb ich Dir Recht.
    Ich denke nur eher, dass die Coronakrise die Weltordnung jetzt kurzfristig stabilisiert hat. Ich sehe sie eher als sowas wie die Hyperinflation in Deutschland, die damals allen klar gemacht hat, dass ein instabiles Deutschland die komplette Nachkriegsordnung zerstören kann und was dann zu einer kurzfristigen Stabilisierung geführt hat.

    Das heißt nicht, dass jetzt alles gut wird, ich sehe nur aktuell keinen Gewinner. Damals waren es Deutschland, Italien und Japan, die durch Ignorieren der liberalen Weltordnung endlich Aufrüsten und Erobern konnten. Warum sollte z.B. Ungarn jetzt eskalieren? Die EU wird die nächsten Monaten nicht genau hinschauen und es wird jede Menge Geld zum Verteilen geben, da kann man dann und wann auch mal wieder zurückstecken.

    Krachen wird es wahrscheinlich, wenn man dann wieder in den Normalmodus schalten will. Wenn Ausnahmegenehmigungen zurückgenommen werden sollen, Schulden bezahlt werden müssen oder Hilfszahlungen gekürzt werden.

    • Ariane 15. April 2020, 10:59

      Lustig, genau die gegenteilige Meinung^^

      Ich denke nur eher, dass die Coronakrise die Weltordnung jetzt kurzfristig stabilisiert hat

      Könntest du das vielleicht näher erklären, wo sich da gerade etwas stabilisiert hat? Mir kommt da gerade vieles wie panisches Chaos vor.

      • Hias 15. April 2020, 18:46

        Nur weil jetzt im Moment alles durcheinander geht, heißt das nicht, dass deswegen alles auseinander bricht. Und nur weil wir jetzt 4-6 turbulente Wochen haben, wird das so bleiben. Momentan sind alle Akteure daran interessiert, die Situation zu stabilisieren, unabhängig, ob sie dadurch gewinnen können.
        Das interessanteste Beispiel ist der Bürgerkrieg im Jemen. Ein völlig vergessener Krieg und jetzt könnte Saudi-Arabien das fehlende Medieninteresse ausnutzen und noch massiver angreifen. Aber das passiert nicht, stattdessen schlagen sie einen Waffenstillstand vor. Mein Tipp ist, dass sie zum einen Angst haben vor einer unkontrollierten Verbreitung des Virus bei den Streitkräften und zum anderen, dass ihnen aktuell schlicht das Geld fehlt, weil der Ölpreis abgestürzt ist. Und aus diesen zwei Gründen glaube ich, dass aktuell keiner der üblichen Verdächtigen die Situation ausnutzen will oder kann, auch Russland und China (denen das Geld aus den Exporten fehlt) nicht.

        Aber im Prinzip gebe ich Stefan Recht. Das was wir gerade erleben ist, so meine Einschätzung, eine Chaosphase (Hyperinflation 1923) auf die eine vorübergehende Stabilisierung folgt, die allerdings nicht nachhaltig ist.

        • Stefan Sasse 15. April 2020, 19:05

          Wie gesagt, mein Szenario ist auch mehr, dass Corona Trends sichtbar macht und beschleunigt, die eh schon da sind.

        • Ariane 16. April 2020, 01:48

          Ja, da stimme ich dir zu. Die Momentaufnahme ist nun mal sehr chaotisch. Und Krieg ist in Zeiten von Pandemie ja auch mal so gar keine gute Idee, die Soldaten sitzen ja alle auf einem Haufen^^

          Ich finde es enorm schwer einzuschätzen, der Virus war da irgendwie wirklich wie eine Brandbombe, die man so reingeworfen hat. Aktuell sitzen ja gerade auf demselben Problem herum und wissen nicht so recht, wie sie das fix gelöst bekommen.

          Und da finde ich es schon sehr bedenklich, dass unsere Institutionen EU und NATO so gar nicht in Gang kommen oder erst recht wieder für noch mehr Ressentiments untereinander sorgen. Die sind aktuell zu ungleich und schwerfällig, um eine echte Hilfe zu sein. Das ist halt besonders ärgerlich, weil sie genau für solche Krisensituationen da sind.

          Und das ist glaube ich schon eine Bewährungsprobe, es kann die Eu vielleicht wirklich ein bisschen zerreißen, wenn sie einfach im alten Trott weitermacht. Oder sie überlegen kurz und merken, dass sie zusammen stärker sind (meinetwegen auch unterhalb der EU-Ebene bilateral).

          • Hias 16. April 2020, 10:35

            Ich finde es enorm schwer einzuschätzen, der Virus war da irgendwie wirklich wie eine Brandbombe, die man so reingeworfen hat. Aktuell sitzen ja gerade auf demselben Problem herum und wissen nicht so recht, wie sie das fix gelöst bekommen.

            Stimmt, ist aber auch kein Wunder. Das Virus ist erst seit gut 4 Monaten bekannt! Eine gewisse Datengrundlage hat man eigentlich erst seitdem China Wuhan abgeriegelt hat, also seit Ende Januar, Anfang Februar. Wir reden hier also von drei Monaten. Ganz ehrlich, dass ist in der Wissenschaft keine Zeitspanne und erst Recht nicht für staatliche Bürokratien.

            Und da finde ich es schon sehr bedenklich, dass unsere Institutionen EU und NATO so gar nicht in Gang kommen oder erst recht wieder für noch mehr Ressentiments untereinander sorgen. Die sind aktuell zu ungleich und schwerfällig, um eine echte Hilfe zu sein. Das ist halt besonders ärgerlich, weil sie genau für solche Krisensituationen da sind.

            Nö, weder die EU noch die NATO sind für solche Fälle gemacht. Die EU wäre aufgrund ihrer Abstimmungsmechanismen auch viel zu langsam (sieht man ja jetzt) und die NATO ist für einen menschlichen Feind gemacht. Ne, es war richtig, dass die Nationalstaaten agiert haben. Die hatten die Mittel, die Macht und das Vertrauen der Leute.

            Und das ist glaube ich schon eine Bewährungsprobe, es kann die Eu vielleicht wirklich ein bisschen zerreißen, wenn sie einfach im alten Trott weitermacht. Oder sie überlegen kurz und merken, dass sie zusammen stärker sind (meinetwegen auch unterhalb der EU-Ebene bilateral).

            Ja, das wird noch ne interessante Zeit

            • Michael Walther 16. April 2020, 11:17

              „Nö, weder die EU noch die NATO sind für solche Fälle gemacht.“

              Das stimmt. Allerdings greift die EU, richtigerweise, ein eine um einen reibungslosen Grenzverkehr sicherzustellen. Polen hat hat ja Tage gebraucht um die Staus abzubauen. Ungarn dito. Da standen hunderte von Rumänen an der östereichisch-ungarischen Grenze, weil der größte Victator aller Zeiten erst mal sein Ding durchziehen musste.

              Außerdem kommt die EU ins Spiel, wenn es darum geht die nationalen Lockerungsübungen zu synchronisieren.
              Auch da wird es es wieder Spezialisten geben, die auf die Nationalkacke hauen werden.

            • Ariane 16. April 2020, 12:52

              Wir reden hier also von drei Monaten. Ganz ehrlich, dass ist in der Wissenschaft keine Zeitspanne und erst Recht nicht für staatliche Bürokratien.

              Natürlich. Aber die Staaten und Bürokratien müssen nun mal handeln und zwar so schnell wie möglich, die können sich ja nicht hinsetzen und erstmal auf ne gute Datengrundlage warten. Da gibts ja überhaupt nichts, worauf man gerade zurückgreifen kann, das muss alles improvisiert werden.
              Und wie wir sehen, macht das jeder anders, was jetzt auch nicht gerade zu weniger Chaotik führt.

              Nö, weder die EU noch die NATO sind für solche Fälle gemacht.

              Ähm naja, wer ist denn schon für Pandemie in modernen Zeiten gemacht bitte? Also für nationale Krisen würde ich ja schon auf EU und NATO gucken, denn dafür haben wir sie übrigens mal erfunden, gab nur bisher keine Großkrisen dieses Ausmaßes.

              Zitat Thomas:
              Allerdings greift die EU, richtigerweise, ein eine um einen reibungslosen Grenzverkehr sicherzustellen. Polen hat hat ja Tage gebraucht um die Staus abzubauen. Ungarn dito. Da standen hunderte von Rumänen an der östereichisch-ungarischen Grenze, weil der größte Victator aller Zeiten erst mal sein Ding durchziehen musste.

              *lol*
              Aber jep, Polen und Tschechien kommen jetzt mit dem gleichen Unsinn an, in Tschechien ist auch schon wieder Megastau wegen den Pendlern, die nur unter Bedingungen hin- und herfahren dürfen. Wir können doch jetzt nicht ständig die Bundeswehr mit der Gulaschkanone zu Megastaus schicken.

              Haben doch alle gerade wirklich Besseres zu tun und ja, das ist eine Aufgabe der EU und wenn Mitglieder eher Freakprobleme verursachen, sollte sie halt mal Ernst machen.

              Außerdem kommt die EU ins Spiel, wenn es darum geht die nationalen Lockerungsübungen zu synchronisieren.
              Auch da wird es es wieder Spezialisten geben, die auf die Nationalkacke hauen werden.

              Ach, das hab ich schon abgehakt. Kriegen wir in Deutschland nicht mal hin. Dann sollen sie lieber die Grenzen dichtmachen und für sich selbst herumprobieren.
              Solange Dänemark die Grenzen zulässt, kann ich ja beruhigt zusehen, ob das mit Schulöffnung klappt, ohne dass meine Family da oben wieder in neue Gefahr gerät, weil die Dänen alle zum Shoppen und Urlauben über die Grenze huschen.

              • Hias 16. April 2020, 14:32

                Für Pandemien sind entweder die nationalen Institutionen da (CDC, RKI) oder halt bei einer globalen Bekämpfung als Koordinationsgremium die WHO. Dieses Zusammenspiel hat in der Vergangenheit auch ziemlich gut funktioniert (SARS, Ebola-Pandemie in Westafrika).

                Für die NATO sehe ich da keinen Platz und für die EU höchstens bei der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen, vielleicht noch die Koordination beim Aufbau von gesundheitlichen Reservekapazitäten

                • Ariane 16. April 2020, 19:52

                  Ja schon klar. Aber das hier ist kein Ebolaausbruch in zwei afrikanischen Ländern. Das hat schon eine andere Qualität und in den absoluten Erstwelt-Ländern wie USA, GB, Deutschland, Italien, Frankreich etc. gab es doch seit 100 Jahren keine echt schlimmen Epidemien mehr. Schon gar nicht welche, die reiche alte weiße Männer dahinraffen kann! Bis 1950 oder so hatten wir doch nur Choleraprobleme o.ä., die nur die Unterschicht traf.

                  Und es ist ja alles gleichzeitig betroffen, da sollte man schon mal kreativ werden, wenn man eine Institution ist und überlegen, ob man helfen kann. Oder zumindest nicht alles schlimmer machen. Wär auch schon was.

                • Jack 24. April 2020, 23:12

                  Großartiger Artikel. Kompliment an Stefan und ebenso an die „Gemeinde“ in der nicht unsachlich herumgepöbelt wird sondern Menschen mit Humor und Verstand diskutieren.
                  Zum Beitrag von Hias:
                  „Für Pandemien sind entweder die nationalen Institutionen da (CDC, RKI) oder halt bei einer globalen Bekämpfung als Koordinationsgremium die WHO. Dieses Zusammenspiel hat in der Vergangenheit auch ziemlich gut funktioniert (SARS, Ebola-Pandemie in Westafrika).“
                  Da muß ich doch deutlich widersprechen.
                  Aus Bequemlichkeitsgründen empfehle ich nur folgende links: Zur WHO.
                  https://www.youtube.com/watch?v=dYlia_fQOLk
                  Zum RKI/WHO
                  https://de.wikipedia.org/wiki/Schweinegrippe-Impfung#Kritik
                  Dabei bitte besonders beachten – Situation nach Ende der Pandemie
                  MfG Jack Jaeckle

                  • Stefan Sasse 24. April 2020, 23:36

                    Danke für die Blumen! Hoffe, das Blog spricht dich generell an.

  • Erwin Gabriel 15. April 2020, 10:12

    Hallo Stefan,

    ich lese wirklich viel und gerne Geschichte, aber so kompakt und unterhaltend zusammengefasst ist mir bislang wenig bis nichts untergekommen (gilt auch für den Geschichtsblog, den ich derzeit geradezu verschlinge). Das ist hammerstark geschrieben!!!

    Vielen Dank!

    • Stefan Sasse 15. April 2020, 11:24

      Vielen Dank! Die Geschichtsblog-Artikel gibt es auch als günstige ebooks auf Amazon… 😉

    • Ariane 15. April 2020, 14:02

      Da schließ ich mich gerne an! Ich stöber auch immer gerne hier oder im Geschichtsblog herum, wenn ich über etwas stolpere und noch im Hinterkopf habe, dass du da mal was zu geschrieben hast. Also vielen Dank!

      Fehlt nur noch eine Linkliste nach dem Motto: Eventuell passende historische Vergleiche für eine Pandemie im 21. Jahrhundert 😀

    • Ralf 18. April 2020, 14:57

      Ja, auch ich möchte mich hier – etwas verspätet – dem Erwin Gabriel anschließen. Ist ein sehr gut geschriebener Artikel!

  • Kirkd 15. April 2020, 10:21

    Ich halte nicht viel von Untergangsprophetie. Ob etwas untergeht, weiss man immer erst, wenn es zu spät ist. War Westrom 394, Ostrom 1071 oder Preussen 1807 vor dem Untergang?

    Ich teile nicht Deine historische Einordnung. In den dreissiger Jahren ging keine liberale Weltordnung zu Grunde. Was zu Ende ging, war die imperialistische Weltordnung. 1950 entstand keine liberale Weltordnung sondern eine Weltordnung aufgeteilt in Wirtschaftsblöcken, einer davon der Wirtschaftsblock der Vereinigten Staaten, der auf einem in sich geschlossenen Handelssystem basierte, des sequentiell mit zunehmender Beschleunigung liberalisiert wurde. Dabei wurden makroökonomische Krisen als Katalysator zur Beschleunigung der Liberalisierung des Handels genutzt.

    Die Jahre 1990 bis 2020 können, wenn man Deinem Untergangspathos beitritt, in der Tat als Zwischenzeit des Freihandels gewertet werden. Auch hier würde ich nicht das Wort liberal verwenden, weil ich es nicht auf Freihandel reduzieren würde. Massgebliche Akteure dieser Zeit, wie Russland, China, Saudi Arabien oder Malaysia sind nun einmal weit von liberal entfernt.

    • Stefan Sasse 15. April 2020, 11:25

      Ich hoffe dass du Recht hast.

      Ich finde den Begriff passend.

    • Erwin Gabriel 16. April 2020, 11:19

      Sehr interessanter Kommentar. Danke!

  • Dennis 15. April 2020, 13:06

    Sehr interessant und lesenswert, wie immer.

    Rummäkeln würde auch ich meinerseits an den Begriff „liberale Weltordnung“.

    Das erwähnte Bretton Woods zum Beispiel kann man kaum als LIBERAL bezeichnen (unabhängig davon, ob man das L-Wort bejubelt oder verdammt). Die USA hatten natürlich den Taktstock in der Hand und alle anderen durften folgen. Keynes, der seinerseits auch nicht unbedingt als liberal galt, ist mit seinen Plänen in Wesentlichen Punkten abgeblitzt; kein Wunder: GB war bei den USA verschuldet. Dass die Sieger das Sagen haben is nitt grad überraschend und muss auch nicht zwingend schlecht sein, aber LIBERAL is das nu wirklich nicht. GB war nur auf dem Papier „Siegermacht“ und auf den Marshallplan genauso angewiesen wie Deutschland et al.

    Eigentlich ist der Begriff WELTORDNUNG ohne Adjektiv schon hinreichend aussagekräftig, wenngleich zu bombastisch, da die Welt als Ganzes keineswegs inkludiert ist. „Transnationale“ oder ggf. „multilaterale“ Ordnung tut’s auch, denn lediglich darum geht’s ja eigentlich: Durch anerkannte (nett gedacht) oder erzwungene (weniger nett gedacht) Interdependenzen ein abgestimmtes bzw. einheitliches Handeln erzeugen, auf die ideologische Begleitmusik kommt es weniger an. Man kann auch ganz neutral einfach „Bündnis“ sagen, auf dem Papier früher nicht selten „ewig“, lol. Polit-moralisches Gedöns, wie HEILIGE Allianz oder LIBERALE Ordnung is ja ganz nett, verschleiert aber möglicherweise mehr, als es aussagt.

    Im Übrigen ist so was dynamisch und ständig um Fluss, kommt und geht wieder. Der Zusammenbruch von Geld- bzw. Schuldensystemen wiederum ist so selbstverständlich wie Naturereignisse, also z.B. Seuchen ^. Business as usual.

    Zitat:
    „Der Beginn unserer liberalen Weltordnung liegt in den Todeszuckungen des zweiten Weltkriegs, als sich im Jahr 1944 Vertreter der Westalliierten im amerikanischen Bretton Woods trafen“.

    Einspruch: Es waren über 40 Staaten und das Wichtigste: Inklusive UdSSR. Das macht schon deutlich, dass anno 44 noch an eine ganz andere „Weltordnung“ gedacht war (im weiteren Verlauf hat die UdSSR Bretton Woods nicht ratifiziert). Der zu diesem Zeitpunkt amtierende Finanzminister Morgenthau wiederum dachte nicht im Traum daran, dass es mal ein Westdeutschland gibt, das dem System beitritt. Das Auseinanderfallen der Anti-Hitler-Koalition und deren Ablösung durch den kalten Krieg war schon mal ein Weltordnungs-Bruch.

    Erwartungsgemäß haben die Amis Bretton Woods sodann einseitig zu ihrem Vorteil ausgenutzt (Dollardrucken ohne Ende und die Europäer zwingen, das Zeug zu horten, womit das Leistungsbilanz-Defizit zu einem attraktiven Geschäft wurde), der tödliche Keim war also von Anfang an gelegt.

    Nach diesem Schema läuft es natürlich immer: Die Bündnisse kommen und gehen. Kein Grund zur Aufregung.

    Zitat Stefan Sasse:
    „Bereits 1941 war mit der Atlantik-Charta der Grundstein für eine politische Nachkriegsordnung zwischen Großbritannien und den USA gelegt worden, der 1945 mit der Gründung der Vereinten Nationen unter Einbeziehung der Sowjetunion und Chinas (ein wichtiger Punkt, wie wir in der Rückschau später sehen werden!) folgte.“

    „Unter Einbeziehung der Sowjetunion“ stimmt auch für die erwähnte Charta. Die haben das Ding unterschrieben. Korrespondiert mit Bretton Woods. Diese „Feinheit“ hat man schon vergessen, sollte man aber nicht.

    Die nächste Weltordnung, der kalte Krieg, ist dann „nach Kuba“ allmählich verdorrt und wurde nach und nach durch eine holprige Détente abgelöst. Wieder ein Weltordnungsbruch. 56 am Suezkanal wurden andere, bereits verfaulte Weltordnungen beerdigt. 62 in Evian dazu. Weltordnungen über Weltordnungen, die kommen und gehen. 89 dann wieder ne neue Weltordnung.

    Es stellt sich die Frage, ob es sachgerecht ist, überhaupt ein gaaaaanz großes Design herauszuarbeiten, von denen es genau zwei gäbe (1. Ordnung Wilson, 2. Ordnung „Westalliierte“). Die Dinge sind möglicherweise komplexer, verschachtelt und temporär sowieso; das Wasser im Fluß kann man auch nicht abzählen. Ferner gibt’s häufig mehrere Weltordnungen nebeneinander, obwohl es nur eine Welt gibt^. So isch halt Politik.

    Zitat:
    „Die Geschwindigkeit und Leichtigkeit, mit der die Nationalstaaten sich ihre Souveränität,……, wieder zurücknahmen…dürfte nicht nur unter der Knute des IWF leidende Entwicklungsländer oder die Bevölkerung Athens überrascht haben!“

    Vermutlich sind die meisten angenehm überrascht.

    Zitat:
    „…in dem die andere Gründernation der zweiten liberalen Weltordnung, die die wohl brillanteste Generation an Nationalökonomen unter Führung von Keynes zu selbiger Konferenz entsandte,….. “

    Die „andere Gründernation“ war der Pudel, der im Grunde nichts zu sagen hatte, aber das hatten wir ja schon.

    Zitat:
    „……in einer Volksabstimmung beschloss, Identitätspolitik und nationale Borniertheit in einen schlecht beratenen Alleingang zu stellen;….“

    Richtig. Aber wie Anywheres haben im gemeinen Volk nu mal keine Mehrheit. Das kann man mit strammer Haltung nicht zur Kenntnis nehmen, nutzt aber nix.

    Dass Labour den knallroten leave-Wahlkreis Dennis Skinners („beast of Bolsover“)….

    https://en.wikipedia.org/wiki/Dennis_Skinner

    …..nach 70 Jahren erstmals verloren hat (ununterbrochen seit Bildung 1950 gehalten), hat der Tory-Kandidat, der sei Glück kaum fassen konnte, so erklärt:

    „Jeremy Corbyn was probably the greatest asset my campaign had. There was a clear sense that he didn’t love our country, didn’t understand working-class communities and only seemed interested in students and cities. “

    Die neue Weltordnung der linken Parteien, die für working-class communities nur noch Verachtung übrig haben und nurmehr Globalisierungs-Arien singen, geht also auch grade zugrunde.

    Der Weltordnungs-Müllhaufen, auf dem schon jede Menge Zeugs liegt, hat noch viel Platz.

    • Stefan Sasse 15. April 2020, 14:18

      Puuuh. Einige Punkte.

      1) Klar ist das alles unendlich komplexer, aber irgendwann musste der Artikel mal enden 🙂
      2) Liberale Weltordnung halte ich weiterhin für einen sinnvollen Begriff. Es bezieht sich ja auf den Liberalismus als Gesellschafts- und Wirtschaftstheorie, der hatte mit Gleichheit und Partizipation noch nie viel am Hut.
      3) Dass Bretton Woods die Ordnung der Sieger war ist klar. Aber sie wurde unglaublich vorteilhaft gerade auch für die Besiegten, und auch für die anderen Alliierten. Die USA haben erst mal wahnsinnig viel gegeben, bevor sie gerade in den 1960er Jahren mit der Gelddruckmaschine Druck gemacht haben. Und da gab es ja dann auch gleich Gegenwind.

    • Hias 15. April 2020, 19:00

      Dass Labour den knallroten leave-Wahlkreis Dennis Skinners („beast of Bolsover“)…

      Ernsthaft? Dass die Wähler einen 87-jährigen (!) Parlamentarier abwählen ist der Beweis, dass die linken Parteien nur noch mehr Verachtung für die working-class communities haben??

      • Dennis 16. April 2020, 12:16

        @ Hias

        Natürlich kein Beweis, vielmehr ein Symptom, in diesem Fall besonders ausgeprägt, Myriaden von ähnlichen Symptomen allerorten führen zur Plausibilität. Von „Beweisen“ kann in politischen Fragen eh nicht gesprochen werden, IMHO.

        im Übrigen: Skinner – in Deutschland völlig unbekannt – gilt in GB als herausragende Figur. Sein Nachfolger von den Tories äußerte sich so:

        „I know I’m taking the seat of a giant of British politics “

        ER wurde auch nicht abgewählt, abgewählt wurde remain. Das Ding hat also erhebliche Symbolkraft. Es geht eigentlich darum, wie sich die klassischen sozialdemokratischen Parteien angesichts der Neuen Ordnung^ sortieren. Letztere heißt: Die „kleinen Leute“, also die Traditionswähler, scheissen auf Globalisierung und EU, wenn bei ihnen nicht spürbar Vorteilhaftes ankommt.

  • TM 15. April 2020, 17:43

    „Es hat seinen Grund, warum das Kaiserreich die militärische Macht Amerikas nicht fürchtete.“

    Ja: Ahnungslosigkeit.

    Dank der gigantischen Wirtschaftskraft kombiniert mit hoher Flexibilität konnten die USA sowohl 1917/18 als auch im 2. WK in kürzester Zeit enorme Mengen Kriegsmaterial produzieren und den europäischen Verbündeten bereitstellen.

    Aus ganz ähnlichen Gründen – neben Ahnungslosigkeit ist wohl oft auch der Wunsch Vater des Gedanken – wird auch seit Jahrzehnten der Untergang der USA oder gleich des ganzen Westens beschworen. Bislang sind die USA noch nach jeder Krise wieder aufgestanden und nach Trump werden sich voraussichtlich auch wieder die Beziehungen zwischen den USA und Europa verbessern. Und innerhalb Europas gab es vielleicht mal bessere Tage als heute – aber oft auch schlechtere. Daraus also gleich den Untergang einer ganzen Weltordnung abzuleiten, halte ich für sehr gewagt.

    • Stefan Sasse 15. April 2020, 18:18

      Ich schreibe ziemlich bewusst „militärische Macht“. Die ökonomische Macht Amerikas unterschätzten die deutschen Strategen in beiden Weltkriegen erheblich, was ich aber besonders in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg bereits in diversen anderen Essays untersucht habe, die ich dir stattdessen anempfehlen möchte. Und 1917/18 konnten die USA, wie ich beschrieben habe, eben KEINE enormen Mengen Kriegsmaterial produzieren.

      • TM 16. April 2020, 09:01

        Gerne, also dann nenn‘ mir die Essays bitte.

        Sowohl das Deutsche Historische Museum als auch etwa Christopher Clark und Holger Afflerbach sehen das durchaus anders. Also ich stimme zu, dass es 1917/18 keine relevante US-Armee gab, aber dank der ökonomischen Stärke konnte schnell und in durchaus nennenswertem Umfang Kriegsmaterial produziert und vor allem auch transportiert werden.

        Aber egal, ich glaube, wir liegen da in Summe nicht weit auseinander.

        • Stefan Sasse 16. April 2020, 09:38

          Ich hab nie ein konkretes nur zu dem Thema geschrieben, das Thema klingt immer wieder an. Garantiert ist es aber in meiner Serie zum Zweiten Weltkrieg thematisiert worden.

          Die ökonomische Stärke der USA war entscheidend, nur halt nicht mit eigenem Kriegsmaterial. Als die erste Million amerikanischer Soldaten in Europa ankam, mussten die Briten und Franzosen sie aus eigenen Beständen ausstatten, und das blieb den restlichen Krieg ein Problem. Die amerikanische Wirtschaft war trotzdem kriegsentscheidend, weil sie praktisch alles andere zu liefern imstande waren, so dass UK und FR sich mehr auf Waffen konzentrieren konnten. Aber anders als im WWII waren die USA im WWI nicht das „Arsenal der Demokratie“, eher ihr Vorratslager. Das soll auch keine Abwertung sein.

  • schejtan 15. April 2020, 20:00
    • Ariane 16. April 2020, 01:26

      Yeah, mit Kurzvorstellung, Link und Zitat! Glückwunsch 🙂
      Und nem netten Rand auf die Leopoldina.

    • Stefan Sasse 16. April 2020, 03:00

      Danke 🙂

    • Erwin Gabriel 16. April 2020, 11:29

      @ Schejtan

      Danke für den Hinweis samt Verlinkung!

      @ Sasha Lobo

      Wo sind die passionierten Deutschlandkritiker, die sagen: Trotz der unbedingt kritikwürdigen Schwierigkeiten läuft es hier weniger schlimm

      Hier 🙂

  • Ariane 16. April 2020, 02:24

    Hm, noch so ein paar hingeworfene Gedanken.

    Zitat Dennis:
    Eigentlich ist der Begriff WELTORDNUNG ohne Adjektiv schon hinreichend aussagekräftig, wenngleich zu bombastisch, da die Welt als Ganzes keineswegs inkludiert ist.

    Ich würde den jetzigen Zustand fast als „kurzfristiger Zusammenbruch jeglicher Ordnung wegen Pandemie“ bezeichnen.

    Ich bin ja nun keine Wirtschaftsexpertin, aber manchmal hilft das ja auch. Denn wozu braucht man Geld, wenn man nicht reich ist? Hauptsächlich als Sicherheit, Miete, Rechnungen, Essen zahlen ohne am Monatsende blank zu sein.

    Und ich glaube, wir haben hier im Kern ein Sicherheitsproblem. So eine Pandemie bedroht die Bevölkerung und das heißt für den Westen nun mal, er ist in seiner Gänze existenziell gefordert.
    Und das Problem haben gerade 200 Staaten gleichzeitig. Für den Westen kommt das völlig überraschend und mit Pandemie haben wir überhaupt keine praktischen Erfahrungen.
    Für den 3. Weltkrieg liegen bestimmt 456 Notfallpläne irgendwo rum und für Pandemie 2. Auf einen Krieg kann man sich auch vorbereiten, der bricht zwar immer überraschend aus ist meistens aber als Gewitterwolke am Horizont zu erkennen.

    Und sorry für Pathos, aber der Westen hat nicht nur militärische Macht und Kohle. Er ist auch ein Leuchtturm von Freiheit und Demokratie. Egal wie schlecht das umgesetzt wird, natürlich ist er das. Wie die EU, für andere sind das Sehnsuchtsorte.
    Wir haben das vergessen und für selbstverständlich hingenommen, aber das ist es nun mal nicht, es ist absolut selten und einzigartig. Ich halte die Erklärung der Menschenrechte wirklich für eine größte Errungenschaft, die die Menschheit je erreicht hat.

    Aber da ist nun mal gerade nicht mehr viel von übrig.
    Und das stand ja schon vorher auf der Kippe, siehe die USA, Ungarn, Polen, Tschechien, Großbritannien, da war Deutschland auch bisher ein Hort der Glückseligkeit, während um uns herum alles vor sich hin bröckelte.

    Und ganz ehrlich, ich bin da gerade nicht so optimistisch. Ich hab heute auf Phönix die Pressekonferenzen gesehen und dann waren die vorbei und da wurde mal so nebenbei erzählt, dass Trump aus der WHO austeigt und eine Untersuchung startet, ob die mit China zusammen das ganze Pandemieding vertuscht haben. Der Spiegel raunt gleich mit und meint, vielleicht hätte Trump ja recht!

    Muss mal kurz angeben und sagen, dass ich das hier irgendwo prophetisch vorausgesehen habe. Aber über diese Nonchalance und Beiläufigkeit komme ich einfach gar nicht hinweg.
    Ich meine das sind die USA, die Führer der freien Welt mit einem Psychopathen als Käpitän und die starten erstmal eine Verschwörung gegen die einzigen Seuchenexperten der Welt und China? Und entziehen denen die Gelder (15-20% zahlen die USA wohl).

    Sorry, wem das zu düster klingt, aber meiner Meinung nach ist „der Westen“ wie wir ihn die letzten 70 Jahre kannten gerade vollkommen tot. Oder auf eine kleine Kerze niedergebrannt, meinetwegen.
    Die USA machen alles mit. Ich meine eine Verschwörung gegen China und die WHO anzetteln? Kann man auf noch gefährlichere Ideen kommen?
    Unsere Institutionen sind aktuell nicht arbeitsfähig. Oder nur in sehr kleinem Rahmen. In der EU versuchen sie es ja noch, in der NATO vielleicht auch (wenn Trump sie nicht nach China beordern will, herrje).

    Also viel Anlass zur Hoffnung sehe ich gerade nicht. Ja, die Kern-EU rauft sich vielleicht, vermutlich wieder zusammen. Aber ich glaube nicht, dass wir einfach so weitermachen können wie die letzten 20 Jahre. Das scheint mir eher eine Krise zu sein, die mehr trennt als zusammenschweißt.

  • Erwin Gabriel 16. April 2020, 11:44

    Ariane 16. April 2020, 02:24

    … dass Trump aus der WHO austeigt und eine Untersuchung startet, ob die mit China zusammen das ganze Pandemieding vertuscht haben.

    Nun ja, dieser Vorwurf hat natürlich einen soliden Hintergrund. Und zwar den, dass der amerikanische Präsident viel Zeit damit verschwendet hat, Covid-19 als von China und den Demokraten verbreitete Fake News lächerlich zu machen. Nun versucht er, möglichst laut den schwarzen Peter für die schlimme Situation anderen zuzuschieben – China und WHO passen da prima ins Bild.

    Ich kriege derzeit nicht viel mit aus den USA, aber die wirksamen Maßnahmen werden eher von den Regierungen der Bundesstaaten als vom Weißen Haus gestaltet, und Trump verschwendet seine ganze Energie darauf, anderen die Schuld zu geben.

    Als Stefan Sasse schrieb, dass Trums Agieren tausende Tote kosten würde, dachte ich noch, dass er übertreibt. Da habe ich mich schwer geirrt.

    Der Spiegel raunt gleich mit und meint, vielleicht hätte Trump ja recht!

    Die glänzen nur noch selten mit gutem Journalismus.

    • Stefan Sasse 16. April 2020, 13:34

      Nun, das schließt sich ja nicht aus. Trump hat Recht, dass China schuld ist, aber wie eine kaputte Uhr ist das blanker Zufall. Der spult halt immer sein Skript ab, und zufällig liegt er mal richtig. Der weiß ja selbst nicht, wieso, der folgt nur seinen bescheuerten Instinkten.

      Der Ausstieg aus der WHO ist auch realpolitisch komplett behämmert. Warum eine so wichtige Behörde effektiv den Chinesen überlassen? Bescheuert.

      • CitizenK 16. April 2020, 15:48

        Hab in mehreren Kommentaren gelesen, dass Trump nicht ganz unrecht habe, wenn er der WHO zu große Chinafreundlichkeit vorwerfe.

        Was ist da dran?

        • Michael Walther 16. April 2020, 16:07

          „Hab in mehreren Kommentaren gelesen, dass Trump nicht ganz unrecht habe, wenn er der WHO zu große Chinafreundlichkeit vorwerfe. “

          Die aktuelle Leitung der WHO hat sich sehr bemüht die chinesische Führung zu überzeugen Informationen an die WHO weiterzugeben. Die chinesische Führung hat zunächst ziemlich gemauert. In diesem Zusammenhang musste wohl etwas Zucker in den chinesischen Anus geblasen werden, von wegen Gesichtswahrung. Das nimmt der größte amerikanische Präsident aller Zeiten zum Anlass auf die WHO einzudreschen.

        • Stefan Sasse 16. April 2020, 16:56

          Kommt auf deine Einschätzung an. Die WHO darf den Chinesen, wenn sie Zugang nach China haben will, nicht ans Bein pissen.

        • Ariane 16. April 2020, 20:03

          Es ist vollkommen verrückt, der WHO jetzt wo sie extrem wichtig ist, die Gelder zu entziehen. Das sind die einzigen Menschen auf der Welt, die sich mit schweren Seuchen auskennen. Die wachsen doch nicht auf Bäumen. Und natürlich fatal, das Vertrauen in die Seuchenexperten so zu beschädigen.

          Hab in mehreren Kommentaren gelesen, dass Trump nicht ganz unrecht habe, wenn er der WHO zu große Chinafreundlichkeit vorwerfe.
          Was ist da dran?

          Von den internen Strukturen hab ich keine Ahnung, aber Beweise gibt es wohl nicht, sondern nur Spekulationen. Meistens a la: dass wir eine Pandemie haben, ist Schuld von China und der WHO.

          Und Stefan hats ja auch gesagt. Die WHO muss immer extrem behutsam mit den Regierungen sein, sonst können sie ihre Arbeit gar nicht machen. Die sind extrem auf exakte Daten der Staaten angewiesen und dass die ihre schlechten Nachrichten auch ernst nehmen. Normalerweise treten Seuchen nur in nichtdemokratischen Staaten auf, da müssen die WHO-Menschen eher aufpassen, nicht um die Ecke gebracht zu werden.

          Es gab einen Bericht über Iran, die vermutlich (weiß keiner genau) schon seit Januar Probleme haben. Und der WHO-Notfallbeauftragte für die Region wurde erst Anfang März ins Land gelassen und hat null Informationen bekommen, sondern nur Gerüchte. Und Zusammenbruch wegen Pandemie will kein Staat der Welt hören.
          Also irgendwie von der WHO zu fordern, besonders robust mit Diktaturen umzugehen, scheint mir auch etwas wohlfeil. Das ist nun mal nicht ihre Aufgabe und wenn die Staaten nicht mit denen richtig zusammenarbeiten, kann die WHO eben nichts machen.

          Was natürlich nicht heißt, dass da alles perfekt läuft. Das weiß ich nicht, aber man sollte auch mit realistischen Erwartungen über solche Organisationen urteilen denke ich. Und ne Verschwörungstheorie an den Hacken zu haben ist ja gerade absolut fatal.

      • Michael Walther 16. April 2020, 16:10

        „Der Ausstieg aus der WHO ist auch realpolitisch komplett behämmert. Warum eine so wichtige Behörde effektiv den Chinesen überlassen? Bescheuert.“

        China hat sich eingekauft durch Geldgeschenke an afrikanische Staaten. Kennen wir von der Fußballweltmeisterschaft und Katar.

        • Stefan Sasse 16. April 2020, 16:57

          Jepp. Und darunter dann auch noch einen Punkt zu machen und sagen „eures!“ ist eher doof.

  • Stefanie Rüther 22. April 2020, 10:45

    Die Seite hier finde ich richtig interessant, obwohl ich von Politik und Wirtschaftspolitik wenig Ahnung habe. Mir gefällt besonders gut, wie der Umgangston hier ist, wie die unterschiedlichen Standpunkte diskutiert werden. Da macht die Auseinandersetzung viel mehr Sinn, woanders langweilt man sich schnell wegen totaler Unsachlichkeit und/oder Respektlosigkeit. Ich habe vor 1,5 Jahren meinen veganen Naturtextilladen geschlossen, weil es einfach zu wenig Leute gibt, die faire Preise für gute Arbeit bezahlen wollen. Auch wenn es viele solidarische Einkäufer/innen gibt, wird es bestimmt sehr schwierig für die kleinen Läden und ich bin froh, nicht dabei sein zu müssen. Ich hoffe, dass viele mutige, kreative und entschlossene Leute auf den Plan treten, die u.a. auch zeigen, dass es Erstrebenswerteres gibt, als das neueste Smartphone, das teuerste Auto oder unter 200 Marmeladensorten wählen zu können. Viele Dinge hier in Deutschland (und wir sind hier im Vergleich ja noch eine Insel der Seligen) waren doch auch schon vor Covid 19 extrem missständlich, so die Bezahlung der Pflegekräfte, der Saisonarbeiter/innen auf den Feldern oder die zur Zeit so viel bedauerte Einsamkeit insbesondere alter Menschen. Alles nicht neu, aber endlich, endlich mal aktuell im Gespräch. Jetzt Entscheidungsträger zu sein, stelle ich mir auch nicht gerade schön vor, wenn wir später dann Genaueres wissen, wohin eine Entscheidung letztendlich geführt hat, dann haben ja sowieso wieder alle alles besser gewusst. Auf mich wirkt es, als ginge ein gigantischer Psychokrimi um die Welt und das Problem besonnen, sachlich (und für mich auch spirituell) anzugehen, ohne Schuldzuweisungen, halte ich persönlich für den derzeit besten Weg. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine gerechtere Weltordnung kommen wird, Geduld und Ausdauer sind gefragt, denn der momentane Werteverlust liegt nicht in der menschlichen Natur und wird sich langfristig nicht durchsetzen gegen die in uns angelegten wundervollen und mitfühlenden Anteile. Ich hoffe, ich bin nicht zu sehr an den oben besprochenen Themen vorbeigerauscht, aber das wollte ich doch mal erzählen. Herzliche Grüße an euch alle.

    • Stefan Pietsch 22. April 2020, 12:53

      Vielen Dank für die Rückmeldung! Genau das ist unser Anliegen, trotz aller Differenzen gesittet miteinander debattieren zu können.

      Ansonsten: jeder hat Ahnung von Politik, wenn er sich eine Meinung bildet. Sie haben ja auch eine und die gut begründet. Also, einfach ins kalte Wasser springen und mitdebattieren.

    • Stefan Sasse 22. April 2020, 13:09

      Danke für das Lob! Wir sind stets bemüht 😉

    • Ariane 22. April 2020, 13:23

      Vielen Dank für das Lob und den schönen Kommentar. Gerne mehr davon (ich brauche hier dringend mal weibliche Unterstützung) 😉

      Und wie Stefan sagte, man muss kein Universalgenie sein hier, nachdenken und sich eine fundierte Meinung bilden reicht völlig aus.
      Und gerade in dieser Pandemie-Situation ist ja wirklich jeder Bereich betroffen, von schnöden Einkaufsproblemen bis hin zu hoher Verfassungstheorie. Da kann man wirklich jede Meinung und Kenntnis dringend brauchen.

      Und übrigens: Wer in der aktuellen Situation zugibt, keine oder wenig Ahnung zu haben, gilt für mich schon mal als extrem intelligent und hat den ersten Schritt getan, um weiterzudenken 🙂

      Herzliche Grüße und gerne ohne Scheu weiter mitkommentieren.

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