Die Annegret-Frage

Eine der berühmtesten Stellen aus Goethes Epos „Faust“ ist die so genannte Gretchenfrage: „Sag, wie hältst du’s mit der Religion?“ fragt das unschuldige Mädchen Gretchen den wollüstigen Wissenschaftler. Er antwortet ausweichend, aber eloquent, und sie nimmt es hin. Vorhang, Applaus, Verderben für Gretchen. Die Frage hat deswegen solche Berühmtheit erlangt, weil sie den Kern einer Beziehung und Identität betrifft. Solche Fragen werden auch in der Politik gestellt, oft von sich wandelnden Umständen. Die Gretchenfrage der SPD war stets eine doppelte, und sie hat nie eine Antwort darauf gefunden: „Sag, wie hältst du es mit Hartz-IV und der Linkspartei?“ Vor allem an letzterem zerbrach die SPD in Zeitlupe zwischen den Wahlen 2005 und 2017. Inzwischen sieht sich die CDU ihrer eigenen Version gegenübergestellt. In Anlehnung an die (noch) amtierende Parteivorsitzende möchte ich es die Annegret-Frage nennen: „Sag, wie hältst du es mit den Flüchtlingen und der AfD?“

Wie bei der SPD auch findet der Kern der politischen Auseinandersetzung um die Machtfrage statt, die Quelle allen Politischen. Und Macht in Deutschland bedeutet immer das Schmieden von Koalitionen (sieht man von der einzigen Ausnahme 1957 ab). In Deutschland gab es auf Bundesebene mehrere verschiedene Koalitionssysteme, die sich abgewechselt haben:

  • Die rechts bis bürgerlichen Koalitionen der Frühphase der BRD, in denen die CDU mit allen rechtsdemokratischen und bürgerlichen Parteien vom BHE bis zur FDP koalierte und bis auf die FDP alle Bündnispartner auffraß versus die SPD ohne Bündnispartner und KPD (1949-1957)
  • Die klassisch schwarz-gelbe Koalition (1961-1966 und 1982-2013) versus die SPD ohne Bündnispartner (1957-1966), die sozialliberale Koalition (1969-1982) und Rot-Grün (1987/1990-2005)
  • Die Großen Koalitionen (1966-1969, 2005-2009 und 2013-heute)

Diese Koalitionssysteme wurden immer durch die äußeren Umstände erzwungen. Ohne Koalitionspartner hat eine Partei Probleme. Die SPD etwa hatte keine realistische Machtperspektive, bevor die FDP mit ihr eine Koalition einzugehen bereit war. Genauso hatte die CDU ein Problem, als ihre Stimmenanteile 1969, 1972, 1976 und 1980 zwar jeweils die größten waren, ihnen aber ein Partner fehlte. Dementsprechend wichtig war es den Strategen der Partei immer, eine Machtperspektive zu besitzen – und auf die jeweiligen Umstände zu reagieren, auch wenn diese ungewöhnliche Maßnahmen erzwangen, etwa die Große Koalition oder Jaimaika. Wie die CDU (erfolglos) 1969 plakatierte: „Auf den Kanzler kommt es an.“

Die frühe CDU der bundesrepublikanischen Ära hatte wenig Probleme damit, mit Parteien des rechten Rands zu kalkulieren, etwa der Deutschen Partei oder dem BHE. Diese Ära wird sehr gerne totgeschwiegen und vergessen gemacht, um Schwarz-Gelb als Standardformation zu promoten, aber das Bündnis ist genauso wenig eine Konstante der BRD wie Rot-Grün. Franz-Josef Straußs späteres Bonmot „Rechts von uns ist nur die Wand“ kann die CDU erst seit der Konsolidierung dieser Wand 1961 sagen, als die letzten konkurrierenden rechten Parteien aus dem Bundestag verdrängt waren – genauso wie die SPD erst alleinig die Linke vertrat, seit die KPD keine Systemkonkurrenz mehr darstellte.

Bereits 1969 aber sah sich die CDU der Annegret-Frage zum nächsten Mal gegenüber. In den Jahren der Großen Koalition prosperierten nicht nur APO, SDS und RAF (mal verkürzt zusammengefasst), sondern auch der rechtsextreme Rand. Die NPD erzielte damals in vielen Ländern Wahlerfolge und schaffte laut den Umfragen den Einzug in den Bundestag. Tatsächlich scheiterte sie dann, vor allem dank der starken Polarisierung des Wahlkampfs auf die beiden Volksparteien, knapp an der 5%-Hürde. Aber innerhalb der CDU wurde damals hitzig darüber diskutiert, ob man mit der NPD koalieren solle oder gar müsse, wenn diese den Einzug schaffte. Schließlich teilte man gerade auf dem damals hitzig umkämpften Feld der Außenpolitik mehr Positionen mit der NPD als mit dem Koalitionspartner SPD.

Der Offenbarungseid blieb der CDU erspart. Die NPD versank zurück in der Bedeutungslosigkeit, und die nächste Regierungsperiode war die erfolgreiche Neuauflage des bürgerlichen Bündnisses von 1961-1966. Ab 1982 begab sich die BRD in die „neue Normalität“ der Zwei-Parteien-Bündnisse, die bis 2005 anhielt (und 2009-2013 noch einmal einen Indianer-Sommer erlebte). Seither ist das System volatiler geworden.

Diese Volatilität betraf erst einmal die SPD. Bei ihr was es die Oskar-Frage: Sag, wie hältst du’s mit der LINKEn? Und die Partei zerriss sich über die Fragestellung selbst. Zwischen 2005 und 2008 galt die Maxime, die Partei keinesfalls als Koalitionspartner zu akzeptieren. Es war der Versuch, sie wieder unter die 5%-Hürde zu drücken – ein Versuch, der gleichfalls in den 1980er gescheitert war, als die Partei versuchte, die aufkommende Konkurrenz der Grünen auszugrenzen und zu ignorieren.

In beiden Fällen musste die SPD sich die Gretchenfrage stellen, wie sie es mit der jeweiligen Konkurrenz hielt. War sie inakzeptabel? Oder war sie eine Machtoption? Die Grünen von 1983 waren es sicher nicht. Die Grünen 1987 ein Grenzfall. 1990 waren sie es; 1994 zog die SPD dezidiert in den rot-grünen Wahlkampf. Bezüglich der LINKEn tat sie sich bedeutend schwerer. Auf Bundesebene schloss die Partei bis 2017 ein Bündnis kategorisch aus; seither ist die Frage wegen der Machtarithmetik ohnehin nur noch akademisch. Trotz allem gestaltet sich ein potenzielles R2G-Bündnis wegen der außenpolitischen Positionen der LINKEn weiterhin als problematisch.

Auf Länderebene dagegen gestaltete sich die Problematik völlig anders. Die Vergangenheit der LINKEn als Regionalpartei (ostdeutsche PDS) bedeutete, dass sich Landesverbände deutlich vom Bundesverband und voneinander unterscheiden können. Das ist ein Phänomen, das auch andere Parteien kennen. Die CDU Baden-Württemberg würde die Grünen Berlins, mit deren örtlichem Landesverband sie reibungslos als Juniorpartner (!) koalieren, nicht mal mit der Kneifzange anfassen – und umgekehrt.

Nur ist das kein allzu leichtes Argument. Die SPD rannte in der zweiten Hälfte der 2000er Jahre beständig mit dem Kopf gegen die Wand dieser Falle, am eindrücklichsten in Hessen. War der Landesverband nun koalitionstauglich oder nicht? Das Hin und Her von Nein im Wahlkampf, dann dem OK aus der Parteizentrale (damals unter Kurt Beck), der konzertierten Kampagne besonders der Springer-Medien und dem anschließenden Desaster des Verrats der vier hessischen Abgeordneten verbrannte die Koalitionsoption auf Jahre. Erst Hannelore Kraft konnte das Modell auch im Westen mit ausgesuchten Landesverbänden (es bestand nie ein Zweifel, dass die Saarländische SPD nicht mit Lafontaine koalieren würde) etablieren.

Diese Geschichte hält für die CDU und ihren Umgang mit der AfD einige interessante Parallelen bereit. Genauso wie bei der SPD lehnt die Bundespartei Koalitionen auf Länderebene entschieden ab und untersagt dies ihren Landesverbänden auch (ohne das formal festlegen zu können; innerparteiliche Demokratie and all that). Gleichzeitig gibt es Teile der Basis, die keine Berührungsängste haben und eine Koalition mit dem radikalen Partner als Chance sehen, eine Fehlentwicklung der Partei zu korrigieren – in beiden Fällen die Bewegung in die diffuse Mitte. Wo SPD-Abgeordnete hofften, eine Abkehr von der Agenda2010 erreichen zu können, hoffen CDU-Abgeordnete heute, entschieden mit Merkels Modernisierungspolitik brechen zu können.

Die Gefahren sind ähnlich. Die Koalition wäre ein Dammbruch, sie schafft eine riesige Kontroverse und tonnenweise politische Munition für den Gegner. Gleichzeitig öffnet sie alle Tore für das offene Austragen des innerparteilichen Konflikts. Die SPD hat sich von diesem Dilemma nie erholt. Die permanente Koalitionsdiskussion delegitimierte die Agenda2010 in den Augen der Basis und der Wähler völlig, ohne je den tatsächlichen Bruch herbeiführen zu können; bis heute ist die Partei nicht Fisch oder Fleisch beim Thema und wird zwischen den Polen zerrieben. Dasselbe Schicksal droht der CDU über die Modernisierung mit der Koalitionsdebatte über die AfD.

Darüber hinaus ist die AfD aktuell aber auch nicht koalitionsfähig. Die Traumvorstellung etwa der Thüringer CDU-Basis ist es, sie als billige Mehrheitsbeschaffer für einen Machtwechsel nutzen zu können. Das Problem ist aber, dass dies einen krassen Bruch in der politischen Kontinuität erforderlich macht; eine solche Koalition ist, in den unsterblichen Worten Gustav Heinemanns, „ein Stück Machtwechsel“. Der Koalitionspartner ist nicht Mehrheitsbeschaffer, er ist Hebel für eine Neuorientierung der Partei, eine Neuorientierung, die die Partei gar nicht will. Die SPD ist an diesem Dilemma zerbrochen. Es ist fraglich, warum es der CDU da besser gehen sollte.

Dazu kommt das Problem, dass die AfD (noch) keine gemäßigten Landesverbände aufweist. Der thüringische Landesverband, mit dem Michael Heym so gerne koalieren würde, wird von einem ausgewiesenen Faschisten geführt und hat zahllose Rechtsextremisten in seinen Reihen. Der Landesverband Baden-Württemberg ist kontinuierlich zerrissen und duldet Holocaust-Leugner. Und so weiter. Es ist durchaus realistisch anzunehmen, dass einer oder mehrere dieser Landesverbände sich über kurz oder lang zu einem rechtsdemokratischen Verband entwickelt, ähnlich wie es die LINKE heute ist. Sicherlich am Rand des Spektrums, aber grundsätzlich demokratisch und koalitionsfähig.

Zu diesem Zeitpunkt wird die CDU mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Versuchung nicht mehr widerstehen können. Eine solche Koalition, die mit einer Partei der Gaulands geschlossen würde, wäre immer noch widerwärtig ins Extrem und potenziell enorm schädlich, aber sie wäre nicht so offensichtlich demokratiegefährdend und systemerschütternd wie die Idee, mit Faschisten zu koalieren.

Nimmt man sich aber die Entwicklung der SPD als Beispiel, wird diese Entscheidung möglicherweise gar nicht mehr die der CDU sein. Denn es könnte gut passieren, dass die Union zu diesem Zeitpunkt bereits gar nicht mehr stark genug ist, eine Zwei-Parteien-Koalition mit der AfD einzugehen. Sie müsste dann versuchen, schwarz-gelb-blaue Bündnisse zu schmieden – eine durchaus mögliche Konstellation, aber mit noch viel mehr Unwägbarkeiten und Instabilitäten gesegnet.

Und die permanente Koalitionsdebatte, die der CDU dadurch absehbar ins Haus steht, wird die Themen konstant auf der Tagesordnung halten. Die aktuelle Wadenbeißerei Friedrich Merz‘ gibt einen Vorgeschmack darauf, wie das aussehen könnte. Egal welche Entscheidung gefällt wird, ein signifikanter Teil der Partei wird unzufrieden sein. Und so wird die Partei zwischen den Polen langsam zerrieben. Wer sich für das „konservative Profil“ (das rapide zu einem durchsichtigen Codewort für rechtsradikale Politik wird) begeistert, findet in der AfD eine unverdünnte und (voraussichtlich wenigstens in manchen Ländern) wählbare Alternative. Wer die moderne Bürgerlichkeit mag, findet diese auch bei den Grünen (wenn deren Entwicklung so weitergeht wie bisher). Und wer sich für Marktwirtschaft und alles was dazugehört erwärmt, kann immer zur FDP zurückkehren.

Natürlich ist nichts davon sicher. Aber ich halte dieses Dilemma für sehr real, und es würde mich nicht wundern, wenn die Beschäftigung mit der jüngeren SPD-Parteigeschichte gerade zu den heißen Themen im Konrad-Adenauer-Haus gehört. Die CDU steht am Scheidepunkt ihrer Entwicklung, weg von der Volkspartei und hin zu einer, aber nicht der einzigen Partei auf der Rechten. Es ist eine Position, wie sie seit den Wahlen von 1953 nicht mehr gekannt hat.

Meine Eingangsthese, dass der Umgang mit der AfD die Gretchenfrage der CDU ist, hat damit noch einen weiteren, düsteren Unterton. Möglicherweise ist es für das Schicksal der Partei völlig egal, welche Entscheidung sie trifft, einfach, weil es keine guten Entscheidungen gibt. Ich bin der festen Überzeugung, dass diese Entscheidung für die Bundesrepublik von höchster Wichtigkeit ist, und ich hoffe, dass Paul Ziemiak und seine Gesinnungsgenossen die Oberhand behalten werden. Aber ich will nicht so vermessen sein zu behaupten, dass das die CDU retten könnte. Aber wenn die Partei mit ihrer Standhaftigkeit die BRD vor einem Abrutschen in den Totalitarismus bewahrt, wäre das nicht wenig. Es gibt schlimmere Sachen, die auf einem Grabstein stehen können.

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  • TBeermann 10. November 2019, 22:59

    Der große Unterschied ist, dass die Linke von Anfang an das vertreten hat, was die Sozialdemokraten nur wenige Jahre vorher auch noch vertreten hätten. Das hat ihr die SPD-Führung aus zwei Gründen nie verziehen:

    1. Wollten sie diese Inhalte möglichst aus dem politischen Diskurs verbannen.
    2. Machte das um so sichtbarer, wie sich die Zielrichtung der SPD verändert hatte.

    Das trifft aus Union und AfD nur bedingt zu. Einige Elemente wie der Stammtischrassismus, die Homophobie, die Ablehnung von Minderheiten und allem, was sich nicht der Norm unterordnen will oder kann, erinnern schon sehr an den „christlichen“ Mainstream früherer Tage, aber das war ja nicht der ursprüngliche Kern der AfD und auch nicht der Hauptaspekt der früheren Union.
    Aber selbst wenn, ist die AfD ja nicht eine etwas piefigere und kleinbürgerlichere CDU oder CSU.

    Ich rechne übrigens auch eher nicht mit einer Mäßigung der AfD. Bisher gehen alle Entwicklungen eher in die Gegenrichtung und wer sich innerparteilich mit den noch extremeren Flügeln anlegt, landet regelmäßig im Abseits.

    • Stefan Sasse 11. November 2019, 11:57

      Frag mal jemand von der Werteunion, die sagen dasselbe über die CDU.

    • Erwin Gabriel 11. November 2019, 18:11

      @ TBeermann 10. November 2019, 22:59

      Da hat Stefan Sasse Recht.

      Die Gründung der AfD unter Bernd Lucke war eine konservative Reaktion auf die Veränderung/Vernachlässigung der Wirtschafts- und Finanzpolitk der CDU unter Merkel – die Forderung ging nach einem „harten“ Euro; sollte der nicht erreicht werden, könne man ja auf die alte, „harte“ DM zurückgehen. Auch die heutige Wirtschaftspolitik der AfD ist von der Helmut Kohls nicht so sonderlich abweichend.
      Auch die Ablehnung von unbegrenztem Zuzug von Flüchtlingen (ich meine die um 2015 herum vertretenen Standpunkte) ist weitgehend deckungsgleich mit der Politik der Kohl’schen CDU.

  • sol1 10. November 2019, 23:20

    „…mit einer Partei der Gaulands…“

    Gerade Gauland ist eindeutig ein Rechtsextremist. Er hat in Brandenburg als Nachfolger einen lupenreinen Nazi (Andreas Kalbitz) aufgebaut, er hat das Parteiausschlußverfahren gegen Höcke von Anfang an hintertrieben, und seine Rhetorik ist NS-kompatibel – von der „Entsorgung“ politischer Gegner in Anatolien bis hin zur aktuellen Unterstellung, die Grünen würden beabsichtigen, den Morgenthau-Plan umzusetzen.

    Das Problem der CDU ist, daß ihr eine kurze Formel zur Beschreibung ihrer Ziele fehlt. Sinngemäß hat Bernd Ulrich vor ein paar Monaten geschrieben: Wer rot wählt, will soziale, wer grün wählt, will umweltfreundliche, und wer gelb wählt, will wirtschaftfreundliche Politik.

    Aber was will jemand, der schwarz wählt? Tatsächlich ist die CDU die einzige Partei, bei der es überhaupt vorstellbar ist, daß sie einmal mit dem Slogan „Keine Experimente“ in die Wahl ging. Die CDU ist „Default Deutschland“ (und die CSU „Default Bayern“).

    • Stefan Sasse 11. November 2019, 11:57

      Gauland ist, anders als Höcke, jemand der weiß, wie er einen grundgesetzkonformen, bürgerlich aussehenden Rechtsextremismus vertreten kann. Es hat schon seinen Grund, warum man Höcke als Faschist bezeichnen darf, aber (noch) nicht Gauland oder Kalbitz. Ich könnte gar nicht so viel fressen wie ich kotzen möchte eingedenk der Idee, dass so jemand wie Gauland auch nur in Sichtweite staatlicher Macht kommt, aber wenn die CDU mit der AfD koaliert, dann mit der Gaulands, nicht der Höckes. Das ist quasi die Gefahr dabei. Die bürgerliche Fassade vor der Nazi-Fratze.

    • Erwin Gabriel 11. November 2019, 18:19

      @ sol1 10. November 2019, 23:20

      „…mit einer Partei der Gaulands…“

      Auch hier bin ich bei Stefan Sasse. Ich halte Alexander Gauland (anders als Bernd Höcke) nicht für einen Nazi, eher für einen Opportunisten, der vermeiden will, dass ihn da gleiche Schicksal wie Bernd Lucke oder Frauke Petry trifft. Dementsprechend tritt er hart genug auf, um nicht davongespült zu werden. Er wäre für eine streng bürgerliche, stramm konservative Politik genauso zu haben wie früher ein Alfred Dregger.

      Ein Bernd Höcke will meiner Einschätzung nach der nächste ‚Führer‘ werden, und ist ähnlich unberechenbar wir sein Vorbild. Das ist eine ganz andere Nummer. Solange der was zu sagen hat, wäre eine Koalition für die CDU Selbstmord.

      • Stefan Sasse 11. November 2019, 18:30

        Ja, Gauland ist eher Hugenberg als Himmler. Der kann gut als nützlicher Idiot in die Geschichte eingehen.

  • Kining4711 11. November 2019, 12:50

    Die Union steht wahrscheinlich für keine andere Partei im Selbstverständnis für „seriöses“ Regieren – das Wort vom Kanzlerwahlverein kommt ja nicht von ungefähr. Daher finde ich die Bezeichnung „Default-Deutschland“ sehr gelungen. Man will die Umstände erhalten, wie Sie sind und mit solider Regierungspolitik punkten. Innovationen kommen vom Koalitionspartner und werden dann geschickt dem eigenen Wirken zugeschrieben (in der Regel kommt man dann noch immer zu passablen Stimmanteilen) und kann entsprechend mitregieren.

    In meinen Augen ist die erheblichste Herausforderung der CDU das Personaltableau – die Partei ist aus den 14 Jahren Merkel völlig ermattet – mit AKK ist eine Parteivorsitzende am Werk ohne eigene Hausmacht. Das war zwar bei Merkel nicht anders, aber Merkel sicherte der CDU die Regierungsbeteiligung, als ließ man Sie gewähren. Mit AKK ist es für die Union höchst Zweifelhaft, ob man mit Ihr eine Wahl gewinnen könnte und entsprechend steht die Frau unter Beschuss von Innen.
    Abgesehen von Laschet und Söder verfügt die Union über keine bundesweit bekannten Ministerpräsidenten. Ansonsten sind da eher Personen die viel wollen, deren politische Taten aber Sie nicht dafür qualifizieren, ein Schwergewicht zu sein. Im übrigen: bei den anderen Parteien sieht es da nicht viel besser aus: In meinen Augen hätte auf Seiten der SPD allenfalls Herr Weil noch am ehesten Kanzlerformat – aber für die SPD stellt sich demoskopisch gar nicht die Kanzlerfrage. Bei den Grünen stellt sich zwar die Frage, aber wirkliche Persönlichkeiten, den man den Job zutrauen würde sind dann doch nicht in Sicht.

    • Stefan Sasse 11. November 2019, 16:21

      Ich halte die strukturellen Faktoren für wesentlich bedeutender als das Personal. Auch mit einer feurigen Person an der Spitze kämpfte die CDU mit denselben Problemen.

  • Stefan Pietsch 11. November 2019, 14:25

    Keine der bisherigen Strategien waren oder sind geeignet, Rechtspopulisten einzugrenzen. Populismus ist typischerweise das Versagen der gemäßigten Politik. Dies lässt sich aktuell in Spanien beobachten. Ende 2016 rangierte die Neugründung VOX bei gerade 0,2%. Bei den Parlamentswahlen im April 2019 waren es bereits 10%, nur um wenige Monate später bei 15% zu liegen. Ähnlich vollzog sich Anfang des Jahrzehnts der Aufstieg der linkspopulistischen Podemos, die aber inzwischen im spanischen Establishment angekommen ist. Nur der Gründer Iglesias hat dies noch nicht mitbekommen.

    Und so zerfetzen sich die Linken ob des Führungsanspruchs und der Selbstüberschätzung des zwar gut aussehenden, aber völlig uncharismatischen Ministerpräsidenten Sanchez ob einer Regierungsbildung, die einfach nicht gelingen will. Auf der anderen Seite erstarken zwar die Konservativen etwas, stehen aber ob der vielen Korruptionsvorwürfe unter Generalverdacht. Inzwischen hat die rechtsradikale VOX im Parteiensystem eine Stellung erlangt, an der es sich nicht einfach mehr vorbeigehen lässt.

    In Österreich ist es dem konservativen Kanzler Sebastian Kurz gelungen, die FPÖ einzuhegen. Denn das Problem ist signifikant. Eine 6-8 Prozent-Partei lässt sich ignorieren. Doch wenn jede fünfte oder gar vierte Stimme auf Rechtspopulisten und weitere Anteile auf Linkspopulisten entfällt, sind Regierungsbildungen zunehmend nur noch unter Verrenkungen und Beschädigungen der demokratischen Strukturen möglich. Welche mittelfristige Strategie sollte denn eine Kenia-Koalition (CDU, SPD, Grüne) oder gar eine Tolerierung der Linkspartei durch die CDU folgen? Worin liegt das Ziel, nicht zuletzt in Hinblick auf die Bekämpfung der AfD? Glaubt irgendjemand allen Ernstes, mit solchen Verlegenheitslösungen ließe sich der Wut im Wahlvolk beikommen, die Populisten seit jeher groß gemacht haben?

    Noch heute wird auf der linken Seite des demokratischen Spektrums Willy Brandt ob seiner Ostpolitik gefeiert. Sein Slogan „Wandel durch Annäherung“, womit die Veränderung der sozialistischen Diktaturen gemeint war, und der heute von der Linkspartei so gerne auf das Putin-Regime übertragen wird, erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit. Natürlich gelten solche Weisheiten nur für das eigene Lager, in Bezug auf autokratisch Denkende von rechts ist eine Annäherungsstrategie vehement abzulehnen.

    Letztendlich gibt es nur zwei mögliche Wege. Entweder es gelingt in den nächsten 3-4 Jahren, die AfD erheblich auf einen Korridor von deutlich unter 10% zurückzudrängen oder Bündnisse mit den Blauen sind unausweichlich, soll die Demokratie nicht irreparablen Schaden nehmen. Derzeit würde ich eher Wetten auf die zweite Alternative annehmen.

    • Stefan Sasse 11. November 2019, 16:26

      Mir wäre neu, dass Willy Brandt für Koalitionen mit dem KBW argumentiert hätte. Deine Argumente könnten so gut sein, wenn du nicht die pathologische Notwendigkeit verspüren würdest, immer mit aller rhetorischen Kraft auf deine Hassgegner einzuschlagen.

      Zu deinen Punkten: Du schreibst, Kurz habe die FPÖ „eingehegt“. In Österreich hat diese Partei um ein Viertel der Wähler, was ist daran einhegen? Die AfD hat aktuell ein Wählerpotenzial zwischen 7-8% und 15%, zur Zeit näher an 15%. Wenn die jetzt auf 25% gehen und die CDU dann koaliert und wesentliche Forderungen umsetzt, ist das kein „Einhegen“. Die SPD hat die Grünen ja 1998 auch nicht „eingehegt“. Die CDU hat die FDP 2009 eingehegt, aber das war von beiden Seiten nicht geplant 😛

      Aber ernsthaft, ich gebe dir völlig Recht dass keine bisherige Strategie das Ziel, die Typen wieder aus den Parlamenten oder wenigstens in den einstelligen Prozentbereich zu kriegen, erfolgreich war. Wie mein Artikel, auf den du praktisch nicht eingehst, aber auch deutlich macht, halte ich den aktuellen Erfolg der Rechtspopulisten in praktisch allen westlichen Ländern für systemisch und strukturell bedingt. Ich glaube nicht, dass es allzuviel gibt, das getan werden kann, um ihn zu verhindern oder rückgängig zu machen. Ich fürchte, wir werden einfach warten und die Parteien solange einhegen müssen.

      • Stefan Pietsch 11. November 2019, 17:07

        Linke glauben doch daran, dass man durch Annäherung und Einlassung auf den anderen diesen verändern kann. Warum plädieren die Antifa-Kämpfer nicht auch bei der AfD für dieses Prinzip? Wohl, weil es doch eher fragwürdig ist. Am Ende passten sich die Befürworter dieser Strategie den sozialistischen Diktatoren an und nicht umgekehrt. Aber das nur am Rande.

        Wenn Du das Parteienspektrum und den Kampf um Wählerstimmen als Markt begreifst, wird Dir klar, womit Du im Politischen haderst. Die Grünen waren 1980 ein neuer politischer Konkurrent, den man wie gut zwei Jahrzehnte später mittels Ignoranz wieder aus dem Markt drängen wollte. Machen die großen Player allenthalben. Das funktionierte bekanntlich nicht und so kam es mit den Jahren zu einer Koexistenz. Der Markt sozialistisch-grüner Heilsversprechen wurde neu verteilt, die SPD konnte diesen eben wegen auch der innerparteilichen Konflikte mit den Bastionen der Ruhrpott-Sozialdemokraten nicht glaubwürdig bedienen. Es kam somit zu Kooperationen, um das Kundenspektrum besser bearbeiten zu können.

        Auch die Merkel-CDU hat eine marktstrategische Entscheidung getroffen. Ursprünglich in der Annahme, Nationalkonservative hätten ja keine andere Wahl als bei der Union zu kaufen, trat ein neuer Anbieter auf den Markt. SPD und LINKE sahen die neue Konkurrenz schon gar nicht kommen und waren vielleicht am Ende auch froh, dass der Anbieter mit dem blauen Logo ihnen eine Kundschaft abnahm, auf die sie in der Vergangenheit nicht stolz waren. Das Problem allerdings dabei: der eigene Profit ist geschrumpft, der Wählermarkt ist nämlich ein Nullsummenspiel, sieht man von den Gewinnen durch die Aktivierung von Nichtwählern ab. Auch die Union wird ihren Markt und ihre Kundschaft neu sortieren müssen und eventuell Kooperationen eingehen. Auf der anderen Seite werden die Rechtspopulisten darüber nachdenken, ihre Angebotspalette zu erweitern und ihren Kunden exklusive Zugänge zu Premiumangeboten wie Regierungsbeteiligungen zu ermöglichen. Ob dies die Bedürfnisse der eigenen Klientel trifft, ist eine andere Frage.

        Das Nationalkonservative mit Schnittmengen zum Rechtsradikalen macht in den typischen Demokratien zwischen so 24 und 30 Prozent aus. Es ist die Frage, wer es bedient. Du findest es Bäh, aber ich würde auch nicht bei Kik kaufen. Als die Tories Argumente und Lösungsansätze der UK Independence Party (UKIP) aufnahmen, verringerten sie deren Wählerpotential. Für die USA forderst Du, die Republikaner müssten sich von den Trump-Anhängern und den Tea Party-Bewegten abgrenzen, doch damit würde die Partei ihre Mehrheitsfähigkeit verlieren.

        Merkel hat die CDU ein ganzes Stück verschoben. Nicht nur nach links in sozialdemokratische und alternative Milieus, sondern auch hin zu einer Zeitgeistpartei. Damit hat sich aber gleichzeitig Wählerschichten aufgegeben, denn eine Partei kann ihr Spektrum immer nur begrenzt dehnen. Der strategische Fehler war der Gleiche, den schon Gerhard Schröder Anfang des Jahrtausends beging, als er mit der Anschlussfähigkeit an konservative und wirtschaftsliberale Milieus glaubte, die SPD dauerhaft so positioniert zu haben, dass gegen sie keine Politik zu machen sei, weil die vernachlässigten, kleineren Wählergruppen ohne Wahlmöglichkeiten seien.

        • Stefan Sasse 11. November 2019, 17:51

          Letzter Versuch, durch deinen irrationalen Hass zu schneiden. Wir reden hier nicht von der Ostpolitik. Dass „Wandel durch Annäherung“ ein frommer Wunsch war, der sich nicht erfüllte, ist inzwischen eine hinreichend anerkannte Position der Geschichtswissenschaft. Nur reden wir nicht von der außenpolitischen Behandlung einer feindlichen Atommacht. Wir reden von der innerdeutschen Demokratie. Das letzte Mal, als ich nachgeschaut habe, hatte die AfD keine Atomwaffen und fiel die Antifa mehr durch Steineschmeißerei als außenpolitische Positionspapiere auf. Aber klar, versuch mit deinen billigen rhetorischen Tricks, Antifa-Schläger auf dieselbe Stufe wie Willy Brandt zu stellen, kein Problem. Ich stelle dann einfach Adenauer mit Hitler gleich oder ein ähnlicher Bullshit, wenn das das Niveau ist, auf dem du diskutieren willst.

          Gibt es eigentlich irgendwas, das bei dir ohne Markt-Analogie funktioniert? Deine ideologischen Scheuklappen erfordern echt, das System bei allem drüberzustülpen, egal was es ist. Anyway, das Ausgrenzen neuer Parteien funktioniert permanent. Du fällst hier dem Survivor’s Bias zum Opfer. Ja, die Grünen, die LINKE und die AfD haben sich trotz Ausgrenzung etabliert, aber eine dreistellige Zahl von Parteineugründungen hat das nicht geschafft, vom KBW zur Schill-Partei zu in jüngerer Vergangenheit den Piraten. Ausgrenzung ist ein höchst erfolgreiches Konzept in der überwiegenden Mehrheit der Fälle, was dir sowohl eine historische als auch eine politikwissenschaftliche Betrachtung der Dinge sagen würde. Aber dafür müsstest du halt mal über den Tellerrand hinausschauen.

          Die Tories verringerten das UKIP-Wählerpotenzial, indem sie die eine einzige Forderung von UKIP übernahmen. Gratulation. Die CDU kann auch die Nürnberger Gesetze wieder einführen, die verlorenen Ostgebiete in Polen erobern, alle Dunkelhäutigen aus Deutschland vertreiben und/oder in Lager stecken und die Linken in Gefängnisse stecken und foltern. Dann bräuchten wir auch die AfD nicht. Ich hoffe du siehst ein, warum ich das für keine attraktive Option halte.

          • Rauschi 11. November 2019, 18:05

            Wir reden hier nicht von der Ostpolitik. Dass „Wandel durch Annäherung“ ein frommer Wunsch war, der sich nicht erfüllte, ist inzwischen eine hinreichend anerkannte Position der Geschichtswissenschaft.

            Echt, da meinte ich, das wir gerade 30 Jahre Mauerfall gefeiert haben, das hat aber ganz bestimmt nichts mit der Ostpolitik zu tun gehabt, das kam durch die erfolgreiche Konfrontation, oder wie?
            Was die Geschichtswissenschaft so alles weiss, man staunt. 😛

            • Stefan Sasse 11. November 2019, 18:25

              Tatsächlich ist der Zusammenhang mittlerweile extrem umstritten, ja. Es gibt da keinen Konsens. Aber das frühere Narrativ, dass die Ostpolitik zu einer Öffnung des Ostens führte (dem Wandel hinter der Annäherung) ist vermehrt in die Kritik geraten.

              • Rauschi 12. November 2019, 09:38

                Aber das frühere Narrativ, dass die Ostpolitik zu einer Öffnung des Ostens führte (dem Wandel hinter der Annäherung) ist vermehrt in die Kritik geraten.
                Und zwar warum?
                Die Öffnung durch Nachrüstung leuchtet rein soziologisch nicht ein. Ist wie Gehorsam mit und ohne Prügelstrafe.

                • Stefan Sasse 12. November 2019, 12:49

                  Weil es schwer ist, Verbindungen zwischen Ostpolitik und Zusammenbruch des Ostblocks zu finden, recht schlicht.

                  • Rauschi 13. November 2019, 10:53

                    Man kann keine Verbindung finden, verstehe ich das richtig?
                    Also war der Zusammenbruch der Grund, warum sich die Wiedervereinigung so friedlich handhaben liess?
                    Man tut also so, als würde man die Entwicklung kennen, wenn es diese Entspannung nicht gegeben hätte?
                    Ich sage auch nicht, das die Entspannung die Ursache für den Zusammenbruch war, sondern vielmehr dafür, wie mit diesem umgegangen wurde.
                    Ist auch ziemlich einfach zu erkennen. was ich meine, da steht Öffnung, nicht Zusammenbruch.

                    Aber gut, wer das Feindbild erhalten will und Konfrontation für einen sinnvollen Umgang hält, dem ist dann eben nicht zu helfen.

            • Erwin Gabriel 11. November 2019, 18:33

              @ Rauschi 11. November 2019, 18:05

              [Dass „Wandel durch Annäherung“ ein frommer Wunsch war, der sich nicht erfüllte, ist inzwischen eine hinreichend anerkannte Position der Geschichtswissenschaft.]

              Echt, da meinte ich, das wir gerade 30 Jahre Mauerfall gefeiert haben, das hat aber ganz bestimmt nichts mit der Ostpolitik zu tun gehabt, das kam durch die erfolgreiche Konfrontation, oder wie?

              Ich glaube nicht, dass man das auf „entweder – oder“ herunterbrechen kann. Die Ostpolitik, da schließe ich mich an, hat einen Gutteil zur Entwicklung beigetragen; die Nachrüstung aber auch.

              • Stefan Sasse 11. November 2019, 19:01

                Das ist auch so ungefähr meine Sicht.

              • Rauschi 12. November 2019, 09:51

                Die Ostpolitik, da schließe ich mich an, hat einen Gutteil zur Entwicklung beigetragen; die Nachrüstung aber auch.
                Die NAchrüstung hat rein wirtschaftlich geschadet, weil das so teuer war und ist. Aber ohne Entspannung hätte die UDSSR wahrscheinlich wild um sich geschlagen, wie das so viele Staaten vor dem Untergang machen.
                Aber ganz sicher sich nicht einfach friedlich aufgelöst.
                Was für eine absurde Idee.
                Wie netter Umgang mit einem Nachbarn, der nicht allein wegen dem netten Umgnagton und Vorschussvertrauen wirkt, sondern nur, weil der Knüppel, den wir beide in der Hinterhand haben, immer grösser wird.
                Ist das denkbar? Ja, aber extrem abwegig.
                Das ist wie die neueste Taktik, Kommunikation und Konfrontation, das kann nicht wirken, weil die Wirmechanismen gegenläufig sind. So einfach kann man das erklären. Wenn das eine wirkt, kann das andere nicht wirken und umgekehrt. Soziologie und Psychologie.
                So irrsinnig wie Zuckerbrot und Peitsche, es wirkt immer nur eines.

          • Stefan Pietsch 11. November 2019, 18:10

            Wir sind beide keine Politologen und stellen uns keinem Wählervotum. Ich habe ein großes politisches Interesse daran, die AfD klein zu halten. Ich bin nicht daran interessiert, regelmäßig über Ergebnisse jenseits der 20% debattieren zu müssen. Andererseits halte ich es auch kaum für tolerabel, jeden vierten oder nur fünften Wähler auszugrenzen, weil mir seine Wahlentscheidung nicht gefällt. Ich finde ja sogar Stimmengewinne der Grünen nicht toll, aber ich habe gelernt damit zu leben.

            Ich möchte keine Demokratie und Regierungsbildung, wo Parteien sich nur noch zu dem Ziel zusammenfinden, eine andere Partei fernzuhalten. Entweder es gelingt, die AfD wieder zu nivellieren oder wir müssen lernen, mit ihr zu leben.

            Die Analogie zum Markt ist erstens nicht von mir und zweitens keine Analogie. Viele Politologen schauen unter dem Aspekt auf die politischen Verhältnisse. Ich finde es übrigens bemerkenswert, dass zwar die Union sich um den Aderlass zur AfD sorgt, nicht jedoch die SPD und die LINKE, obwohl sie ebenfalls Millionen Anhänger verloren haben. Offensichtlich will man jene nicht mehr bedienen, die jahrelang diesen Parteien ihre Stimme gaben und die nun dafür gesorgt haben, dass das linke Lager stark in der Minderheit ist.

            Du denkst wirklich, Ausgrenzung funktioniert? Doch nicht bei bestimmten Wählerschichten! Weder haben sich die Anhänger der Linkspartei noch die der AfD davon schrecken lassen, im Gegenteil, es hat sie gestärkt. Die Piraten haben sich selbst zerlegt, die wurden nicht ausgegrenzt, sondern zielten auf ein Milieu, wo man ein gewisses Maß an Professionalität erwartet. Das konnten die Piraten nicht bieten.

            Ansonsten sind die Eintrittsbarrieren für neue Parteien außerordentlich hoch. Für die Awareness ist nicht nur der Einzug in Regional- und Landesparlamente wichtig, sondern die Königsdisziplin, der Deutsche Bundestag. Die Freien Wähler taten sich lange schwer, überhaupt auf Landesebene Fuß zu fassen, von der Bundesebene sind sie noch Lichtjahre entfernt. Die AfD wie zuvor die Grünen und die LINKE haben diese Schwelle aber genommen. Und sind die Eintrittsbarrieren hoch, so ist es danach doch schwer, unterzugehen. Dazu muss man schon die Kürzel S.P.D. im Namen tragen.

            • Stefan Sasse 11. November 2019, 18:28

              Nun, ich habe Politikwissenschaften studiert, das gibt mir auf dem Feld glaube ich schon einen gewissen Vorsprung.

              Wie oft noch? Ich will nicht die Wähler ausgrenzen, sondern die Arschlöcher, die diese Wähler grenzen. Diese ständige Reflexbehauptung vom Wähler-Ausgrenzen ist euer Ding, nicht meins.

              Und ich lebe nicht mit Nazis, auch wenn sie ein Fixpunkt im Parteiensystem werden. Wie ich in meinem Artikel geschrieben habe sind Koalitionen auf der Rechten durchaus vorstellbar, wenn die AfD den Weg der LINKEn geht und zu einer zwar radikalen, aber demokratischen Alternative wird. Das ist aktuell nicht der Fall, und solange es das nicht ist, brauchen wir nicht über Koalitionen zu diskutieren, sondern über entschlossene Ausgrenzung.

              Ich habe bisher nie einen Politologen vom Markt reden hören, wenn es um Wahlen geht. Das ist eine Metapher aus anderen Bereichen.

              Ich glaube ich habe deutlich gemacht, warum ich glaube, dass Ausgrenzung sehr gut funktioniert. Nicht immer. Aber meistens.

              • Stefan Pietsch 11. November 2019, 20:38

                Es gibt gerade eine sehr aktive Debatte auf Seiten der Grünen und der LINKEN, die Wähler der AfD auszugrenzen und mit diesen Bürgern nicht mehr zu sprechen. Unterstützt Du solche Ansinnen oder lehnst Du sie ab?

                Es ist dann nochmal eine andere Frage, ob Schichten und Milieus, zu denen ich gehöre, die Zusammenarbeit mit einer gemäßigten rechtspopulistischen Partei tolerieren würden. In der Tendenz lehne ich so etwas genauso ab wie ich gegen die Kooperation der SPD mit der LINKEN argumentiert habe.

                Nee, Du hast Ausgrenzung nur an Beispielen verargumentiert, wo eine gewisse Größe und Bedeutung noch nicht gegeben war. Die AfD sitzt mit wesentlichen Stimmanteilen in jedem Landesparlament, ist im Osten der Republik klar zweitstärkste Partei und ist Oppositionsführerin im Deutschen Bundestag. Da ist rein vom Blick auf die Zahlen und die Fakten eine Ausgrenzung eine wenig erfolgversprechende Strategie. Dazu ist sie undemokratisch.

                • Stefan Sasse 11. November 2019, 22:28

                  Ich habe kein Problem, mit Wählern der AfD zu sprechen, die nicht sagen, dass sie die Partei WEGEN Höckes Äußerungen wählen. Mit denen muss ich nicht mehr reden, das sind überzeugte Nazi-Wähler. Mit dem Rest kann und sollte ich reden, klar.

                  „In der Tendenz“ heißt was? So in der Theorie ja, aber eigentlich nicht? Kannst du das klarmachen?

              • Erwin Gabriel 12. November 2019, 01:56

                @ Stefan Sasse 11. November 2019, 18:28

                Wie oft noch? Ich will nicht die Wähler ausgrenzen, sondern die Arschlöcher, die diese Wähler grenzen.

                Das behauptest Du zwar öfter, aber so schreibst Du nicht.

                Diese ständige Reflexbehauptung vom Wähler-Ausgrenzen ist euer Ding, nicht meins.

                Ja,nee, is‘ klar 🙂
                Du schreibst sehr ausgrenzend, und wenn man Dich dann darauf hinweist, ist es „unser“ Ding.

                • Stefan Sasse 12. November 2019, 06:43

                  Dann erzähl mir mal bitte, wo ich die Wähler alle ausgrenze.

                  Ich darf daran erinnern, dass Stefan Pietsch gerade erst in einem Artikel alle Wähler der LINKEn zu faulen, unproduktiven Säcken erklärt hat.

                  • Stefan Pietsch 12. November 2019, 09:35

                    Ich habe zweierlei geschrieben:

                    1) Die LINKE wurde gewählt, weil sie für die Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen kämpft.

                    2) Einem (geringen) Teil der ALG-2-Empfänger sei nur durch Sanktionen beizukommen, um sie zur Kooperation zu bewegen.

                    Wenn Du in beiden Gruppen eine starke Identität siehst und alle Anhänger der LINKEN als Transferempfänger einschätzt, kommst Du zu der Wertung. Sonst nicht.

                    Es ist schließlich auch keine Beleidigung, festzustellen, dass ein Teil der FDP-Wähler so wählt, weil sie sich Steuererleichterungen versprechen. Beleidigend wäre, allen Anhängern der Liberalen zu unterstellen, sie würden so wählen, weil sie Steuerhinterzieher seien.

                  • Erwin Gabriel 12. November 2019, 13:43

                    @ Stefan Sasse 12. November 2019, 06:43

                    Dann erzähl mir mal bitte, wo ich die Wähler alle ausgrenze.

                    Soviel Zeit habe ich nicht.

                    Die Kurzfassung: Das tust Du jedes Mal, wenn Du forderst, dass man über die Themen der AfD nicht sprechen soll.

                    • Stefan Sasse 12. November 2019, 16:09

                      Und du tust das nicht, wenn du forderst, über Themen der LINKEn und Grünen nicht zu sprechen, oder wie? Ich muss doch nicht bereit sein, den öffentlichen Diskurs meinen Gegnern zu überlassen! Was ist denn das für ein Standard?

                    • Erwin Gabriel 13. November 2019, 14:52

                      @ Stefan Sasse 12. November 2019, 16:09

                      Und du tust das nicht, wenn du forderst, über Themen der LINKEn und Grünen nicht zu sprechen, oder wie?

                      Das tue ich doch gar nicht. 🙂

              • CitizenK 12. November 2019, 09:24

                „…nie einen Politologen vom Markt reden hören, wenn es um Wahlen geht“

                Du kennst die Theorie von Anthony Downs nicht? https://de.wikipedia.org/wiki/An_Economic_Theory_of_Democracy

                Bekanntermaßen bin ich kein Anhänger der Markt-Religion, aber dieser Ansatz ist nicht von der Hand zu weisen. Wenn man der Ansicht ist, dass die Repräsentanten den Wählerwillen umsetzen sollen, dann kann man dem einiges abgewinnen.

                • Sebastian 12. November 2019, 11:46

                  Ja, und da kommt auch die ganze spieltheoretisch orientierte Political Economy-PoWi her. Der Ansatz hat aber auch seine Grenzen. In dem Wikipedia-Artikel steht ein bisschen was dazu. Ein anderer Aspekt ist der einer wertemäßigen Identität der Parteien. Die SPD kann nur begrenzt AfD-WählerInnen ansprechen, da nationalkonservative Politik nicht zu ihrem Wertefundament gehört. Wenn sie es doch täte, würde sie (mindestens eine) andere Partei werden. In der LINKEN gab es diese Diskussion (in welchem Umfang sei dahingestellt…), und es hat in meiner Wahrnehmung auch an der Partei gezerrt.

                  • Sebastian 12. November 2019, 11:57

                    Nachtrag:
                    … bzw. weil sie auch nimmer die FDGO unterminieren wollen würde – je nachdem, über welche Wählersegmente der AfD wir reden. Das musste wohl sein.

                  • Stefan Pietsch 12. November 2019, 12:11

                    Der Punkt ist, dass die SPD viele ihrer Wähler mit ihrer ultraliberalen Haltung zur Migrationsfrage verschreckt hat, Wähler, die unmittelbar betroffen sind von der Zuwanderung bildungsferner Flüchtlinge.

                    Das Gleiche ereignete sich Anfang der Neunzigerjahre, als der Migrationsdruck die SPD zwang, einer von der Union forcierten Änderung des Asylrechtsartikels zuzustimmen. Diese Balance zwischen der Offenheit libertärer Milieus und den Schutzinteressen ihrer Basis musste die Sozialdemokratie immer aushalten. Nur hielt sie 2015 keine Balance, sondern schlug sich eindeutig in das grün-liberale Lager. Auch das kann man als einen der vielen strategischen Fehler der SPD beschreiben. Parteiführung und Funktionäre wissen immer, wie man es am besten nicht macht.

                  • Stefan Sasse 12. November 2019, 12:52

                    Gute Punkte.

                    • Sebastian 13. November 2019, 14:55

                      Der Moment gegenüber dem Währenden:

                      Die Linke war bisher der letzte Zufluchtsort für Migranten und Flüchtlinge aus dem Niedriglohnsektor. Wenn dieses parteipolitische Asyl nun auch von links rechtsextrem kontaminiert wird, dann wird es keine Linke mehr geben. Die Linke kann sich nicht vom Rechtsextremismus distanzieren und gleichzeitig linksnationalistisch sein. Dann kann sie sich gleich in der SPD auflösen. Die haben in den vergangenen 20 Jahren nämlich für geschlossene Grenzen gegenüber Flüchtlingen gesorgt und jede Asylrechtsverschärfung unterschrieben.

                      https://www.zeit.de/kultur/2019-11/sahra-wagenknecht-fraktionsvorsitz-die-linke-revolution/komplettansicht

                • Stefan Sasse 12. November 2019, 12:45

                  Nein, tatsächlich nicht. Danke für den Hinweis.

                • Erwin Gabriel 13. November 2019, 15:13

                  @ CitizenK 12. November 2019, 09:24

                  Ebenfalls Danke

          • Erwin Gabriel 11. November 2019, 18:25

            @ Stefan Sasse 11. November 2019, 17:51

            Letzter Versuch, durch deinen irrationalen Hass zu schneiden.

            Ich muss doch bitten…
            Was ist an dem beitrag von Stefan P. irrational und hasserfüllt?

            • sol1 11. November 2019, 19:16

              Ich sehe da nicht so sehr Haß, vielmehr die Drehscheibe von Edgar Wallace am Werk.

              • Stefan Pietsch 11. November 2019, 20:14

                Ich empfände es als angenehm, würden sie ad hominem-Angriffe und Verunglimpfungen unterlassen. Das gehört sich einfach in einer seriösen Debatte, deren Teil Sie im Augenblick nicht sind.

                • Stefan Sasse 11. November 2019, 22:24

                  Zustimmung, aber halte dich bitte auch selbst dran. Du teilst ständig und gehörig aus.

                • Erwin Gabriel 13. November 2019, 15:53

                  @ Stefan Pietsch 11. November 2019, 20:14

                  Ich empfände es als angenehm, würden sie ad hominem-Angriffe und Verunglimpfungen unterlassen. Das gehört sich einfach in einer seriösen Debatte, deren Teil Sie im Augenblick nicht sind.

                  Vielleicht orientieren die sich an einem falschen Vorbild? 🙂

        • sol1 11. November 2019, 19:19

          „…sondern auch hin zu einer Zeitgeistpartei….“

          Die Union war nie etwas anderes als eine Zeitgeistpartei.

          /// Klassisch Konservative sträuben sich so lange gegen notwendige Veränderungen, bis sie vergessen haben, warum. Dann finden sie eine konservativ klingende Begründung für den Wandel („Bewahrung der Schöpfung“ für Umweltschutz), deuten rückwirkend das eigene Schaffen um und hatten schon immer recht. ///

          https://www.spiegel.de/netzwelt/web/rezo-und-die-folgen-konservative-katastrophenkaskaden-kolumne-a-1272040.html

        • Ralf 11. November 2019, 19:45

          In Österreich ist es dem konservativen Kanzler Sebastian Kurz gelungen, die FPÖ einzuhegen.

          Nö. Bei der der Nationalratswahl 2017 startete Kurz‘ ÖVP mit 31,5% und die FPÖ mit 26,0%. Vor dem 17. Mai, als die Ibiza-Affäre bekannt wurde, lag die ÖVP in Umfragen bei etwa 33,5%. Die FPÖ lag bei etwa 23,0%. Da kann von Einhegen überhaupt keine Rede sein:

          https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/03/Austria_Opinion_Polling_2019-09-08.png

          Der Preis dafür war, dass Rechtsextreme das Innenministerium führen durften inklusive der Kontrolle von Polizei und Verfassungsschutz. Mit wenig vielversprechendem Ausgang. Siehe z.B. hier:

          https://www.diepresse.com/5685554/kickl-liess-uberwachungsstaat-prufen

          Und das ist genau das, was passiert, wenn man Rechtsextreme „einhegen“ will.

          Als die Tories Argumente und Lösungsansätze der UK Independence Party (UKIP) aufnahmen, verringerten sie deren Wählerpotential.

          Ja. Und wurden im Prozess selbst zu einer rechtsextremen Partei, die sich nicht mehr besonders eng an den Rechtsstaat gebunden sieht, demokratische Normen und das Parlament verachtet und deren gesamtes Regierungsprogramm eine riesige Lüge ist.

          Und das ist genau das, was passiert, wenn man Rechtsextreme „einhegen“ will.

          Für die USA forderst Du, die Republikaner müssten sich von den Trump-Anhängern und den Tea Party-Bewegten abgrenzen, doch damit würde die Partei ihre Mehrheitsfähigkeit verlieren.

          Bei den Republikanern gibt es das selbe Problem wie bei den Tories. Anstatt sich gegen die Radikalen der Tea-Party abzugrenzen, wurden die Extremisten einbezogen, um Mehrheiten herstellen zu können. In Ihren Worten wäre das dann eine „Einhegung“. Anschließend haben die Radikalen die GOP weitestgehend lahmgelegt und für einen noch extremeren Führer 2016 zum Übernahmekandidaten gemacht. Moderate Kräfte verließen in Massen das Boot: Parteiaustritte, Pensionierungen, Rücktritte. Heutzutage ist die GOP eine im Kern rechtsextreme Partei, in der selbst völlig durchgeknallte Spinner wie Donald Rumsfeld oder Dick Cheney wie vernünftiges Mittelmaß aussehen.

          Und das ist genau das, was passiert, wenn man Rechtsextreme „einhegen“ will.

          • Stefan Pietsch 11. November 2019, 20:26

            Die ÖVP hat 10%-Punkte innerhalb von 2 Jahren verloren, während sich die Stimmen auf Kurz‘ ÖVP konzentrierten. Das sind die Fakten. Sie machen, wenn es Ihnen passt, immer den gleichen Fehler, harte Zahlen in Wahlen mit Kalkulationen zu vergleichen. Das ist stets wenig seriös. Wenn, dann vergleichen Sie nur Umfrageergebnisse aus einer Quelle.

            Der Rest ist wie gehabt Ihre Wertung und Ihre Interpretation. Dem halte ich mein Demokratieverständnis entgegen. Danach ist es Aufgabe von Parteien in einer Demokratie, die relevanten Meinungen und Positionen einer Gesellschaft abzubilden. Die Definition von extrem definiert sich dabei in der Distanz zur Mitte der Gesellschaft – und nicht durch die eigene Distanz zu einem bestimmten Punkt wie Sie es stets handhaben.

            Die Tea Party vertritt einen gewichtigen Teil der US-Gesellschaft – ob es Ihnen nun gefällt oder nicht. So wie es zulässig ist, dass sich die SPD an jene Partei annähert um sich Mehrheitspotentiale zu erschließen, die einstmals die Sozialdemokratie unterdrückte, die die Erben der Mauermörder und des versteckten Parteivermögens ist, so legitim ist das Festhalten der GOP an der Tea Party.

            In Spanien gab es binnen kurzer Zeit eine deutliche Verschiebung von der bürgerlich-gemäßigten Ciudadanos zur rechtspopulistischen VOX. Die beste Strategie kann ja wohl kaum sein, mit einer Ausgrenzungsstrategie zu versuchen, diese Wähler wieder zurückzuholen.

            • Ralf 11. November 2019, 21:17

              Die ÖVP hat 10%-Punkte innerhalb von 2 Jahren verloren, während sich die Stimmen auf Kurz‘ ÖVP konzentrierten.

              Ich vermute mal Sie meinen hier die FPÖ. Und in dem Fall ist Ihre Rechnung völlig abstrus. Den Einbruch der Stimmen bei den Rechtsextremen hat nicht Kurz‘ Einhegung bewirkt, sondern ein Mega-Korruptionsskandal, der das Land so heftig erschütterte, dass die Regierung daran zerbrach. Nur Tage vor der Wahl, als sich die FPÖ-Umfragen schon wieder nach oben drehten, brach dann der nächste Strache-Skandal über die Partei herein, was dann das endgültige Absacken am Wahltag bewirkte. Das alles zu einem natürlichen Produkt einer klugen Einhegungsstrategie zu erklären, ist sagenhaft realitätsfern.

              Die Tea Party vertritt einen gewichtigen Teil der US-Gesellschaft

              So riesig ist dieser Teil der Gesellschaft garnicht. Die Wahlergebnisse der GOP haben lange Zeit unter den Spe­renz­chen der Tea-Party-Spinner gelitten. Wichtige Senatsrennen wie 2010 in Nevada (Sharron Angle) oder 2012 in Missouri (Todd Akin) gingen verloren, weil umprofessionelle Clowns außer Kontrolle gerieten. Und wenn Ihr Demokratieverständnis so für die rechten Staatsverächter brennt, denen man Repräsentation zugestehen soll, dann sollte da in Ihrem Herzen eigentlich auch ein Stückchen Demokratieverständnis für die wesentlich größere Wählergruppe Mitte-Rechts sein, die Dank Donald Trump in den USA jetzt keinerlei politische Repräsentation mehr hat.

              an jene Partei annähert um sich Mehrheitspotentiale zu erschließen, die einstmals die Sozialdemokratie unterdrückte, die die Erben der Mauermörder und des versteckten Parteivermögens ist

              Begraben Sie mal Ihren Hass und machen Sie sich auf die Suche nach einem Argument. Solchen Unsinn liest man langsam nur noch mit Mitleid …

          • Stefan Sasse 11. November 2019, 22:24

            EXAKT DAS.

          • Erwin Gabriel 12. November 2019, 01:52

            @ Ralf 11. November 2019, 19:45

            Früher hat die CDU die Rechte eingehegt. Das hat leidlich gut funktioniert. Die Ruppig-Rechten hatten ihren Alfred Dregger, die Extremen gingen nicht zur Wahl oder blieben in der Regel unter der 5-%-Hürde.
            Im Gegensatz dazu hat die SPD die LINKE ausgegrenzt. Tolles Ergebnis für alle Beteiligten. Wie man sieht, macht sich die CDU auf den gleichen Weg.

            Nicht falsch verstehen: Eine Koalition mit Höcke sollte nicht in Frage kommen. Aber jahrelang Leute beleidigen und ausgrenzen, nicht zuhören, und sich dann wundern, dass sich dann wundern, dass so viele sich radikalisert haben und sich offenbar inzwischen mit dem einzigen Umfeld identifizieren, dass ihnen zugehört hat, zeugt von einer schmerzhaften Naivität.

            Mag sein, dsas das Kind inzwischen im Brunnen liegt. Aber es ist da nicht hineingeklettert, sondern wurde regelrecht hineingeschmissen von Angela „nun sind sie halt da“ Merkel.

            • Ralf 12. November 2019, 07:57

              Aber jahrelang Leute beleidigen und ausgrenzen, nicht zuhören

              Was Du “beleidigen” und “ausgrenzen” nennst, ist lediglich, dass die Mitte endlich nicht mehr höflich schweigt, wenn Menschenverachtendes geäußert wird, sondern gottseidank mittlerweile den Mund aufmacht und offen widerspricht. Dass das den Sensibelchen rechtsaußen nicht passt, ist logisch. Ist aber Teil des politischen Diskurses. Get used to it.

              • Stefan Sasse 12. November 2019, 08:55

                Ich verstehe dieses Mimimimimimi auch nicht. Stefan Pietsch beleidigt seit Jahren mich und andere hier im Blog als „Linke“ und was weiß ich und grenzt uns aus, ohne dass ich mich deswegen in meiner Meinungsfreiheit eingeschränkt sehen würde. Das ist das, was ich auch in Artikel beschrieben habe: Ich bin das seit mittlerweile über 15 Jahren gewohnt. Für euch ist das eine neue Erfahrung. Wie Ralf sagte: get used to it.

                • Stefan Pietsch 12. November 2019, 09:20

                  Ist „Linker“ seit neuestem ein Schimpfwort? Es gab mal einen Vorsitzenden der SPD wie der Linkspartei, der ein Buch mit dem Titel „Das Herz schlägt links“ veröffentlichte.

                  Ich denke, es ist eher eine Beleidigung, jemanden als Egoisten abzutun, weil er eine bestimmte Partei wählt oder für eine bestimmte politische Maßnahme eintritt. Und es ist sicher beleidigend, jeden als Nazi abzukanzeln, der eine bestimmte Partei wählt. Und es hat einen beleidigenden Charakter, jedem mit einem „Mimimimimimi“ aus dem Kindergarten zu begegnen, das für „Heulsuse steht, nur weil man sich eine bestimmte Tonalität nicht gefallen lassen will.

                  Umgekehrt geht mancher ja schon an die Decke, wenn man darauf hinweist, dass bestimmte Besteuerungsprinzipien in den Finanzwissenschaften als „sozialistisch“ umrissen werden – wohlgemerkt als wissenschaftlicher Terminus. Wer ist da Mimimimimimi?

                  • Ralf 12. November 2019, 09:41

                    Und es ist sicher beleidigend, jeden als Nazi abzukanzeln, der eine bestimmte Partei wählt.

                    Sie mögen den Begriff Strohmann nicht, aber Sie machen’s schon wieder …

                    • Erwin Gabriel 13. November 2019, 16:02

                      @ Ralf 12. November 2019, 09:41

                      [Und es ist sicher beleidigend, jeden als Nazi abzukanzeln, der eine bestimmte Partei wählt.]

                      Sie mögen den Begriff Strohmann nicht, aber Sie machen’s schon wieder …

                      Das ist kein Strohmann, sondern genau der Punkt, den ich meinte: Man hängt jemanden den Begriff „Rechter“ oder „Nazi“ an und haut dann mit der Moralkeule auf den Rechten bzw. Nazi ein, statt sich mit den Argumenten auseinanderzusetzen. Gerade Dir sollte das Prinzip doch geläufig sein.

                    • Ralf 14. November 2019, 22:01

                      Das ist kein Strohmann, sondern genau der Punkt, den ich meinte: Man hängt jemanden den Begriff „Rechter“ oder „Nazi“ an und haut dann mit der Moralkeule auf den Rechten bzw. Nazi ein, statt sich mit den Argumenten auseinanderzusetzen.

                      Hier im Blog hat niemand jemanden einen Nazi genannt und auch AfD-Wähler sind nicht pauschal alle als Nazis bezeichnet worden. Aber offensichtlich ist diesen Wählern gleichgültig, dass sie eine Nazi-Partei in die Parlamente wählen. Also werden sie damit leben müssen, dass sie dafür kritisiert werden.

                      Der Begriff „Rechter“ ist etwas völlig anderes als der Begriff „Nazi“ und in einer völlig anderen Kategorie. Konservative sollten mit dem Begriff kein Problem haben. Konservative, die mich laufend „einen Linken“ nennen, obwohl ich mich eigentlich ziemlich mittig finde, sollten da ganz besonders tolerant sein. Im übrigen wirst Du an Deinen Aussagen gemessen und Reaktionen auf Deine Posts beziehen sich auf Deine Kommentare, nicht auf Deine Person.

                      Und man kann mir ja nun viel vorwerfen, aber dass ich mich nicht inhaltlich mit Deinen Argumenten auseinandersetze, das nun wirklich nicht. Ansonsten gilt das gleiche wie für jeden hier. Du hast keinen Anspruch darauf, dass Dir nicht widersprochen wird. Du hast keinen Anspruch darauf, dass Deine Aussagen nicht kritisiert werden. Diesen Blog gibt es nach meinem Verständnis schließlich für den gegenseitigen Austausch und nicht um ein weiteres widerspruchsfreies Biotop für sensible Rechte bereitzustellen.

                    • Stefan Sasse 14. November 2019, 22:03

                      Exakt mein Punkt.

                • Erwin Gabriel 13. November 2019, 15:39

                  @ Stefan Sasse 12. November 2019, 08:55

                  Ich verstehe dieses Mimimimimimi auch nicht.

                  Anscheind schon, Du jammerst ja auch ständig herum, und beschwerst Dich immer wieder.

                  Stefan Pietsch beleidigt seit Jahren mich und andere hier im Blog als „Linke“ und was weiß ich und grenzt uns aus, ohne dass ich mich deswegen in meiner Meinungsfreiheit eingeschränkt sehen würde.

                  „Links“ mag, wenn man es als Beleidigung verstehen will, ein wenig mit „weltfremd“ hinterlegt sein. „Rechts“ bedeutet inzwischen „Nazi-Supporter“, „Rassist“ und anderes.

                  Ich bin das seit mittlerweile über 15 Jahren gewohnt.

                  Wie gesagt, und beschwerst Dich noch heute.

                  Für euch ist das eine neue Erfahrung.

                  Da mag etwas dran sein. Das liegt aber nicht daran, dass ich ein radikalisierter Rechter geworden bin, sondern in der Regel an fehlenden Argumenten der Gegenseite. Die rutscht gelegentlich auch etwas Entsprechendes raus, aber wenn ich maule, legst Du Argumente nach (so auch hier). Andere machen das nicht, sondern machen das aus Spaß, aus Böswilligkeit, aus mangelnder Intelligenz oder aus Blödheit.

                  Wie Ralf sagte: get used to it.

                  Er ist der Populist von uns beiden, nicht ich. Er sollte sein Verhalten ändern. Er zeigt ja oft genug, dass er argumentieren kann, und kriegt dann auch Argumente als Antwort. Deswegen verstehe ich diese Bullshit-Kommentare von ihm eigentlich nicht.

                  • Stefan Sasse 13. November 2019, 16:09

                    Touche.

                    Ich bin sicher, dass wir immer Gründe finden, warum die Beleidigungen der anderen weniger schlimm sind als die, die wir empfinden. Aber das macht sie nicht ungeschehen.

                    Ok, aber das ändert ja nichts am Sachverhalt.

                    Auch hier gilt: Vom eigenen Standpunkt aus sieht das immer so aus. Als ich noch radikal links war, sah ich dir andere Seite auch so. Heute betrachte ich die Wutbürger und Dieselfans so. Ist normal und menschlich.

                    • Erwin Gabriel 14. November 2019, 23:07

                      @ Stefan Sasse 13. November 2019, 16:09

                      Ich bin sicher, dass wir immer Gründe finden, warum die Beleidigungen der anderen weniger schlimm sind als die, die wir empfinden.

                      Ich habe nicht unbedingt Dich im Auge, Du reisst Dich meistens zusammen. Und meines Wissens habe ich Dich noch nicht beleidigt (wenn überhaupt, kam eine blöde Bemerkung als Reaktion auf eine blöde Bemerkung von Dir).

                    • Stefan Sasse 15. November 2019, 06:39

                      Wollte ich auch nicht als persönliche Kritik verstanden wissen; ist eine allgemeingültige Beobachtung.

              • Erwin Gabriel 13. November 2019, 15:30

                @ Ralf 12. November 2019, 07:57

                Was Du “beleidigen” und “ausgrenzen” nennst, ist lediglich, dass die Mitte endlich nicht mehr höflich schweigt, wenn Menschenverachtendes geäußert wird, …

                Natürlich nicht. Mal wieder sprichst Du über etwas anderes als ich, und wie immer stelle ich mir die Frage, ob Du nicht verstehen willst oder kannst, wovon ich rede. Nicht, dass es im Ergebnis einen Unterschied macht.

                Zu sagen, dass Deutschland Zuwanderung braucht, aber nicht automatisch jeden aufnehmen sollte, der sich auf den Weg hierher macht, ist außerdem nichts Menschenverachtendes. Zu fordern, dass Kinder, die in die Grundschule kommen, ausreichend Deutsch können sollten, ist auch nichts Menschenverachtendes. Für solche Aussagen als als Rechtsextremer oder Rassist abgestempelt zu werden, ohne das man die genannten Argumente berücksichtigt, ohne dass man das Problem versteht oder sich um eine Lösung bemüht, hat nichts mit „offen widersprechen“ zu tun, sondern beweist eine ideologisch geprägte Unwilligkeit (Unfähigkeit?) zu kompetenter Diskussion.

                Und ja, damit meine ich auch Dich.

                Ist aber Teil des politischen Diskurses. Get used to it.

                Zumindest da stimme ich zu: Diese populistischen Methoden sind von links- und rechtsaußen Teil der alltäglichen politischen Auseinandersetzung (der Begriff „Diskurs“ passt hier nicht mehr) geworden. Und sie nerven mich von links und rechts gleichermaßen.

                • Ralf 14. November 2019, 22:09

                  Zu sagen, dass Deutschland Zuwanderung braucht, aber nicht automatisch jeden aufnehmen sollte, der sich auf den Weg hierher macht, ist außerdem nichts Menschenverachtendes.

                  Weder habe ich jemals behauptet, dass Deutschland jeden Migranten aufnehmen sollte, der sich auf den Weg hierher macht, noch habe ich den gegenteiligen Standpunkt menschenverachtend genannt.

                  Zu fordern, dass Kinder, die in die Grundschule kommen, ausreichend Deutsch können sollten, ist auch nichts Menschenverachtendes.

                  Kein Mensch hat hier die Forderung, dass Kinder bei Schulantritt die deutsche Sprache beherrschen sollten, jemals menschenverachtend genannt.

                  Für solche Aussagen als als Rechtsextremer oder Rassist abgestempelt zu werden, ohne das man die genannten Argumente berücksichtigt, ohne dass man das Problem versteht oder sich um eine Lösung bemüht, hat nichts mit „offen widersprechen“ zu tun

                  Kein Mensch hat Dich wegen der beiden obigen Punkte als einen Rechtsextremen oder einen Rassisten bezeichnet.

                  • Erwin Gabriel 19. November 2019, 01:40

                    ^^

    • Erwin Gabriel 11. November 2019, 18:22

      @ Stefan Pietsch 11. November 2019, 14:25

      Keine der bisherigen Strategien waren oder sind geeignet, Rechtspopulisten einzugrenzen. Populismus ist typischerweise das Versagen der gemäßigten Politik.

      Zustimmung

    • Ralf 11. November 2019, 20:07

      Populismus ist typischerweise das Versagen der gemäßigten Politik.

      Das greift viel zu kurz. Dass sich die großen Parteien alle in die Mitte bewegt haben, hat viel damit zu tun, dass sich die Ränder ausgedünnt haben. Sowohl die klassische Arbeiterklientel, die die SPD gewählt hat, als auch die kernigen Konservativen auf dem Land, die die CDU gewählt haben, sind zahlenmäßig dramatisch geschrumpft. Das Leben ist urbaner, moderner, mittiger geworden und die großen Parteien haben die Wähler da abgeholt, wo sie zu finden waren.

      Außerdem hat das Schrumpfen der Volksparteien zum großen Teil auch ganz einfach strukturelle Gründe. Kirchen, die die Gläubigen zur CDU trieben und Gewerkschaften, die die Arbeiter zur SPD trieben, verlieren immer weiter an Macht und sinken in die Bedeutungslosigkeit. Die Bindung der Menschen an Organisationen, auch Vereine und Parteien, nimmt stetig ab. All das verringert die Stammwählerschaft, wovon kleinere Parteien jetzt viel stärker als früher profitieren können. Und Perioden langer Regierungsverantwortung führen beim Wähler letztlich fast immer zu Ermüdungserscheinungen. Die Dauer-Große Koalition und die bald 16 Jahre währende Kanzlerschaft von Angela Merkel leisten beide ihren aktiven Beitrag die Umfragewerte für die Volksparteien einbrechen zu lassen.

      All diese Effekte bereiten ein positives Umfeld für Populisten, in dem diese wachsen und gedeihen können. Auch dann, wenn die großen Volksparteien hervorragende Regierungsarbeit leisten würden.

      Das soll nicht heißen, dass die Volksparteien nicht auch Fehler gemacht haben. Zumindest machtstrategisch. Ohne die Flüchtlingswelle säße Merkel sicher fester im Sattel, als sie es heute tut. Fraglich ist, ob sich diese Welle hätte verhindern lassen. Aber in der Retrospektive lässt sich diese Frage nicht beantworten. Und auch die SPD würde heute besser dastehen, hätte Gerhard Schröder die Partei nicht mit der Agenda 2010 ruiniert. Aber das Aufkommen der Populisten nur dem Regierungsversagen der großen Parteien zuzuschreiben, wird der Realität nicht gerecht und übersieht wesentliche strukturelle Aspekte des sich verändernden politischen Umfelds, für die CDU und SPD rein garnichts können.

      • Stefan Pietsch 11. November 2019, 20:31

        Das Leben ist urbaner, moderner, mittiger geworden und die großen Parteien haben die Wähler da abgeholt, wo sie zu finden waren.

        Das bilden Sie sich ein. Das lässt sich zwar in Tendenzen in Wählerbefragungen bestätigen, nicht jedoch als starke Umwälzung.

        Außerdem hat das Schrumpfen der Volksparteien zum großen Teil auch ganz einfach strukturelle Gründe.

        Es gehört zur Normalität, dass Wähler sterben. Es ist kein Naturgesetz, keine neuen Wählerschichten zu finden. Dazu müsste man jedoch mehr Flexibilität an den Tag legen als davon zu reden, was 1970 angeblich sozialdemokratisch war.

        Ich wiederhole mich: schauen Sie über den Tellerrand. VOX ist Ausdruck eines Problems in Spanien. Aufstieg und Fall der FPÖ signalisieren ebenso ein Problem wie ein seriöses Politikangebot (eben durch Sebastian Kurz).

        • Ralf 11. November 2019, 21:36

          Das bilden Sie sich ein. Das lässt sich zwar in Tendenzen in Wählerbefragungen bestätigen, nicht jedoch als starke Umwälzung.

          Für diese Theorie sehe ich keine Belege. Stattdessen sehe ich viele Belege für die Modernisierung der Gesellschaft. Meine Großmutter lebte zum Beispiel vor 40 Jahren in einem kleinen Dorf. Dort gab es fast nur Kuhweiden und Bauernhöfe. Kaum Wohnhäuser. Ein einziges Geschäft. Der ganze Ort wirkte, als sei die Zeit stehen geblieben. Heutzutage ist das Dorf zu einer modernen Stadt gewachsen. Jeder hat Internetanschluss. Über die Autobahn ist man in 20 Minuten in der nächsten Großstadt. Das Leben ist völlig urbanisiert. Freie Weiden findet man kaum noch. Dafür Wohnblöcke. Ähnlich dürfte es überall in Deutschland aussehen. Und mit dem Internet kommt die moderne Welt, die Internationalität, englischsprachige Sendungen in jeden Haushalt. Konservative Strukturen werden aufgebrochen. Und lederhosentragende, schuhplattelne Hinterwäldler gibt es immer weniger. Deshalb musste sich die CDU verändern.

          Es gehört zur Normalität, dass Wähler sterben. Es ist kein Naturgesetz, keine neuen Wählerschichten zu finden.

          Nein, kein Naturgesetz. Aber ohne den Vorteil der Stammwähler ist man eben nur eine Partei im gleichberechtigten Wettbewerb mit vielen anderen Parteien. Kein Wunder, dass da weniger vom Kuchen bleibt.

          Ich wiederhole mich: schauen Sie über den Tellerrand. VOX ist Ausdruck eines Problems in Spanien.

          VOX ist das Produkt der Ausschließeritis der demokratischen Parteien, die sich aus machttaktischen Gründen weigerten eine Koalition einzugehen. Die Selbstparalyse der Demokraten gibt dann den Rechtsextremen Recht, die ohnehin schon immer gewusst haben, dass das Parlament eine Schwatzbude ist und die Parlamentarier nichts auf die Reihe kriegen. Gerade in Thüringen sollte man sehr genau auf das Ergebnis in Spanien schauen.

          Aufstieg und Fall der FPÖ signalisieren ebenso ein Problem wie ein seriöses Politikangebot (eben durch Sebastian Kurz).

          Wie jetzt bereits mehrfach dargelegt und mit Quellen belegt, ist das Unsinn. Die FPÖ ist über einen Mega-Skandal gestolpert und nicht von Sebastian Kurz klein-regiert worden.

        • Stefan Sasse 11. November 2019, 22:26

          Ich sage doch schon die ganze Zeit, dass das Erstarken der Rechten überall stattfindet. Egal welche Strategie die Regierung fährt, ob sie „unreguliert“ Flüchtlinge ins Land gelassen hat oder nicht. Das spricht alles stark für strukturelle Ursachen.

        • CitizenK 12. November 2019, 11:29

          Wie kann man den Katalonien-Konflikt in Spanien übersehen/ ausblenden, nur um seine Theorie bestätigt zu sehen? Einen Groß-Konflikt, in dem gewählte Vertreter des (katalanischen) Volkes wegen „Landesverrat“ zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.

          • Stefan Pietsch 12. November 2019, 12:04

            Die Erklärung der Separation wie die Veranstaltung eines nicht den gesetzlichen und demokratischen Kriterien genügenden Volksentscheides sind und waren Verbrechen gemäß dem spanischen Strafgesetzbuch. Das wussten auch die Separatisten um Carles Puigdemont, der ja nicht grundlos ins europäische Ausland flüchtete. Eine Straftat löst sich nicht deswegen in Luft auf, weil der Täter ein Abgeordneter eines Regionalparlaments ist.

            Bei der Wahl am letzten Sonntag wurde Ciudadanos abgestraft. Die Partei hat ihren Ursprung in Katalonien, zählt sich jedoch eindeutig zum bürgerlichen Lager mit dem natürlichen Koalitionspartner Partido Popular (PP). Diese hat jedoch im Katalonien-Konflikt eine harte Haltung eingenommen. Der Parteichef der Ciudadanos, Rivera, rechnete sich selbst Chancen auf den Ministerpräsidentenposten aus, weshalb er nicht zuletzt Sanchez eine klare Absage erteilte.

            Sanchez wiederum benötigte die Stimmen der Unidos Podemos, die im Gegenzug eine Regierungsbeteiligung verlangte. Zudem sieht sich Professor Iglesias dem Sozialisten Sanchez als intellektuell so überlegen an, dass er kein echtes Interesse an einer Koalition mit der PSOE hatte.

            VOX, welche die weitreichenden Autonomierechte für die Regionen ablehnt, profitierte von der verfahrenen Lage. In der traditionell klaren Frontstellung zwischen dem konservativen und dem linken Lager, das immer nur eine Regierungspartei hervorbrachte, die von den kleineren Parteien toleriert wurde, zählt die VOX zu den natürlichen Koalitionspartnern der PP. Von daher kann mit das Wählervotum auch als Abstrafung für den indifferenten und Katalonien zuneigenden Kurs der Ciudadanos werten.

            Nur denke ich, dass dies für deutsche Verhältnisse weit zu kompliziert ist, um sie in einem Kommentar darzustellen.

      • Erwin Gabriel 13. November 2019, 15:51

        @ Ralf 11. November 2019, 20:07

        Das greift viel zu kurz. Dass sich die großen Parteien alle in die Mitte bewegt haben, hat viel damit zu tun, dass sich die Ränder ausgedünnt haben.

        Deie Antwort greift zu kurz. Früher hat die CDU von weit rechts bis Mitte links gereicht, und die SPD von weit links bis Mitte rechts. Wenn sich die potentielle Wähleschaft innerhalb dieser Spektren bewegt hat, hätte sie ‚ihre‘ Partei nicht verlassen brauchen.

        Sowohl die klassische Arbeiterklientel, die die SPD gewählt hat, als auch die kernigen Konservativen auf dem Land, die die CDU gewählt haben, sind zahlenmäßig dramatisch geschrumpft. Das Leben ist urbaner, moderner, mittiger geworden und die großen Parteien haben die Wähler da abgeholt, wo sie zu finden waren.

        Wenn CDU und SPD die Wähler da abgeholt haben, wo sie zu finden waren, warum haben sie dann ihre Wähleranteile halbiert bzw. gedrittelt – bei gleichzeitig leichtem Rückgang der Wahlbeteiligung (bei Bundestagswahlen um 90% in den 70er Jahren, aktuell etwa 75%)? Und warum gehen die verluste nicht in die Mitte (etwa zur FDP), sondern nach links (Grüne) oder rechts AfD)?

        • Ralf 13. November 2019, 21:43

          Früher hat die CDU von weit rechts bis Mitte links gereicht, und die SPD von weit links bis Mitte rechts. Wenn sich die potentielle Wähleschaft innerhalb dieser Spektren bewegt hat, hätte sie ‚ihre‘ Partei nicht verlassen brauchen.

          Möglicherweise würde das stimmen, wenn sich die Parteienlandschaft nicht fragmentiert hätte und wenn die großen Parteien ihre Bindekraft behalten hätten. Es ist aber anders gekommen. Und als Merkel Kanzlerin wurde, hatte sich links eine LINKE fest etabliert. In der Mitte hatten sich die Grünen festgesetzt, als die einzige Partei, die noch wuchs und neue Mitglieder, und zwar vor allem junge Mitglieder, hinzugewann. Die SPD war nach Mitte-Rechts gerutscht und versuchte die moderaten CDU-Wähler abzuwerben. Und die Konservativen standen vor der Wahl den neuen Mitte-Parteien das politische Zentrum zu überlassen und sich auf den xenophoben Spießbürger-Trachtendorfverein am rechten Rand zurückzuziehen. Hätte die CDU das gemacht, wäre sie heute eine 15%-Partei. Eben das Potential, das jetzt bei der AfD ist. Oder die Alternative war sich in einem polarisierenden politischen Umfeld, in dem man nicht mehr wie früher weite Spektren abdecken konnte, auf die Rückeroberung des Zentrums zu konzentrieren und dafür den verhältnismäßig kleinen Rand zu verlieren. Genau das hat die CDU gemacht, die SPD dadurch verzwergt, die Grünen in Schach gehalten und vier Bundestagswahlen hintereinander gewonnen. Man muss schon ziemlich mutig sein, das als eine verfehlte Strategie zu bezeichnen …

          Wenn CDU und SPD die Wähler da abgeholt haben, wo sie zu finden waren, warum haben sie dann ihre Wähleranteile halbiert bzw. gedrittelt – bei gleichzeitig leichtem Rückgang der Wahlbeteiligung (bei Bundestagswahlen um 90% in den 70er Jahren, aktuell etwa 75%)? Und warum gehen die verluste nicht in die Mitte (etwa zur FDP), sondern nach links (Grüne) oder rechts AfD)?

          Also zunächst mal sind die Grünen keine linke Partei mehr, sondern ziemlich exakt die politische Mitte des Landes. Und die Verluste gehen dorthin, weil keine andere Partei soviel Zulauf von jungen Menschen hat und in der Vergangenheit hatte, wodurch sich die positiven Wahlergebnisse über Jahre hinweg aufgebaut haben. Die Verluste der CDU gehen auch logischerweise zu AfD und Grünen, weil die beiden Parteien am klarsten formulieren, was sie anders haben möchten, als es gegenwärtig ist. Die Grünen wollen ein bunteres Land, ein vertieftes Europa und soziale Gerechtigkeit. Die AfD hingegen will ein abgeschottetes Deutschland, eine Rückabwicklung der EU und Turbo-Kapitalismus. Die CDU steht paralysiert zwischen diesen beiden Positionen und streitet darüber, wohin sie gehen soll. Und blutet zunehmend Wähler in beide Richtungen ab, die wissen wo sie hin wollen.

          Die Verringerung der Wähleranteile der CDU liegt im Übrigen an der Fragmentierung des Parteienspektrums. Du kennst das von zuhause. Je mehr Menschen in einem Haushalt wohnen, desto weniger bekommt jeder einzelne von der Geburtstagstorte. Früher wurde der Kuchen nur zwischen SPD und CDU verteilt, mit vielleicht ein paar kleinen Krümeln für die FDP. Heutzutage wird der Wählerkuchen zwischen sechs Parteien verteilt. Es ist mathematisch nicht möglich, dass zunehmend mehr Parteien die Fünfprozenthürde überspringen, während die Volksparteien keine Wähler verlieren.

  • Dennis 11. November 2019, 15:55

    Zitat Stefan Sasse: 
    „Die SPD etwa hatte keine realistische Machtperspektive, bevor die FDP mit ihr eine Koalition einzugehen bereit war. “

    Oh, darüber haben Wehner und diverse weitere SPDler aber ganz anders gedacht: Die Große Koalition ab 1966 (die war sogar riesengroß, über 90 % der Mandate) nutzen und etwas machen, was zu diesem Zeitpunkt auch die CDU dringend wollte: Die FDP qua Mehrheitswahlrecht wegharken. Von dieser Idee hat sich die SPD allerdings beim Parteitag 1968 wieder verabschiedet; offiziell wurde die Maßnahme „verschoben“. Keine Ahnung, ob das klug war.

    Zitat:
    „Genauso hatte die CDU ein Problem, als ihre Stimmenanteile 1969, 1972, 1976 und 1980 zwar jeweils die größten waren,“

    Gruß vom Beckmesser: Stimmet für 1972 nitt.

    Zitat:
    „Die frühe CDU der bundesrepublikanischen Ära hatte wenig Probleme damit, mit Parteien des rechten Rands zu kalkulieren, etwa der Deutschen Partei oder dem BHE.“

    Es gab in den Ländern diverse Koalitionen SPD/BHE. Ausrufezeichen. Das weist darauf hin, dass das RechtsLinksding in seiner Schablonenartigkeit schon immer ’n bissl zu kurz griff. Dank BHE kam es beispielsweise zum bisher einzigen SPD-Ministerpräsidenten im Nachkriegs-Bayern. Im Übrigen war die Klientelpartei BHE von Adenauer nitt unbedingt begeistert und stand außenpolitisch der SPD deutlich näher. „Vertriebenenpolitisch“ war die SPD durchaus aktiv und für den BHE interessant.

    Zitat:
    „Die Traumvorstellung etwa der Thüringer CDU-Basis ist es, sie als billige Mehrheitsbeschaffer für einen Machtwechsel nutzen zu können.“

    In Thüringen sind wir ja schon einen Schritt weiter: Die AfD wäre in diesem Fall der Nummer EINS gegenüber der kleineren CDU. Schauder, Horror, aber so isses halt.

    Das Problem is ja IMHO, dass anders als in den geschilderten Geschichten von anno dazumal (ab 1949) die an die 70 Jahre existierende Grundeinstellung nunmehr abgestellt ist. Es gibt nicht mehr zwei dominante Säulen mit wechselndem Kleinkram nebenher, der wiederum mal so und mal anders eine der Säulen stützt. In der neuen Welt des großen Durcheinanders muss man sich erstmal zurechtfinden, was älteren Herrschaften wie mir nicht so leicht fällt^.

    Aber das Gretchen fragt ja bezüglich der Welt von gestern^: Die Wiederbelebung des langweiligen Volksparteikonzeptes wäre also nicht das Schlechteste, was indes der gesellschaftliche Wandel (jedem seine Extrawurst, irgendwas mit „Wut“ und seine „spannende“ – das Lieblingswort der Saison – Spezialpartei) faustisch bis auf weiteres verhindert. Erst mal geht gar nix außer Durchwursteln. Schaun mer mal.

    • Stefan Sasse 11. November 2019, 16:29

      Die SPD entschloss sich gegen die diskutierte Einführung des Mehrheitswahlrechts, als sie die ersten Entwürfe (die in Koalition mit der CDU erstellt worden waren) durchgerechnet hatte. Das Mehrheitswahlrecht hätte, so die damalige Analyse, in einem strukturkonservativen Land wie Deutschland für eine Dauerregierung der CDU gesorgt. Quasi wie in England mit den Tories. Ich denke, das war sehr klug.

      1972 ist ein Freud’scher, da hast du völlig Recht. Mea culpa.

      Danke für die Hinweise zum BHE, da hast du sicher Recht.

      Genau darauf wollte ich ja hinweisen: die verändernde Machtarithmetik zwingt die CDU dazu, andere Koalitionsformen auszuprobieren. Die AfD ist da eine verlockende Alternative, ungefähr so, wie Zucker eine verlockende Alternative zu Gemüse als Hauptnahrungsbestandteil ist.

  • cimourdain 11. November 2019, 18:16

    Parteitaktisch interessante Erwägung, aber leider springt die Grundfrage in deinem Artikel in meinen Augen zu kurz: Diese sollte nicht nach der AfD gerichtet sein ( was in der Gretchen-Analogie sowas wie „Wie hältst du es mit Mephistopheles“ wäre) sondern die Frage, wie sie es mit den Reaktionären, die mit einigen gesellschaftlichen Entwicklungen, die auch von der CDU getragen wurden, nicht zufrieden sind, hält.

    Die Flüchtlingsfrage war ja ‚nur‘ der letzte Tropfen : Atomaustiegsaustiegsausstieg, Wehrpflicht, Islam-gehört-zu-Deutschland, gleichgeschlechtliche Ehe, Frauenquote…, schon vor 2015 waren viele in der CDU mit diesem Kulturwandel sehr unzufrieden und sind dann, als sich ein probater Sündenbock gefunden hat, auf den AfD-Zug aufgesprungen.

    Was in meinen Augen für (eigentlich gegen) die CDU eine Lösung wäre, die die AfD kleinhielte: Ein Bundesweite-CSU-Schisma. Damit könnte sich eine sich eine Partei gründen, die diese grenzwertigen Stammtischsprüche, die früher auch von CDU ( Dregger, Geissler, Koch ) gekommen sind, nutzt, ohne in den Faschismus abzugleiten. Die Rest-CDU könnte sich als Mitte-Partei inszenieren, die auch für wirtschaftspolitisch Konservative, die sich gesellschaftlich progressiv sehen, wählbar ist. Und es gäbe – wenn man nicht doch rechtsextrem ist – keine Entschuldigung mehr, AfD zu wählen.

    • Stefan Sasse 11. November 2019, 18:30

      Eine interessante Fragestellung, das ist richtig. Mir ging es allerdings um Koalitionspolitik, daher der Fokus auf die AfD. Schreib gerne den Komplementärartikel zu den Reaktionären; ich veröffentliche ihn.

    • sol1 11. November 2019, 19:13

      „Was in meinen Augen für (eigentlich gegen) die CDU eine Lösung wäre, die die AfD kleinhielte: Ein Bundesweite-CSU-Schisma.“

      So etwas ginge allerdings nicht ohne Zerwürfnisse ab, die das Lager rechts der Mitte dauerhaft schwächen würden – weswegen ja auch mittlerweile die CSU von der Taktik abgerückt ist, die Berliner Koalition ständig nach rechts zu zerren.

      Eine Entlastung in den Ländern könnte die Etablierung von Ablegern der Freien Wähler (die in meinem obigen Schema „Default Bayrische Provinz“ sind) bringen (in Brandenburg haben sie es ja in den Landtag geschafft). Diese könnten jene unzufriedenen Landbewohner an sich binden, die derzeit ein Teil des AfD-Potentials bilden.

      • cimourdain 12. November 2019, 20:28

        Die freien Wähler können zwar die Landbevölkerung mitnehmen, aber ob sie die breite frustrierte Mitte mitnehmen können, kann ich mir nicht vorstellen. Die gut 10%, die sie in Bayern erzielen, halte ich von dem angesprochen Milieu her für ein ziemlich ausgeschöpftes Potential.

        Und was eine komplette Parteineugründung angeht, bin ich skeptisch, da sehr viele dieser abgespaltenen liberal-konservativen Gruppen nach rechts abgeglitten sind : ASP, BfB, die Freiheit…

  • Erwin Gabriel 11. November 2019, 18:43

    @ cimourdain 11. November 2019, 18:16

    Die Flüchtlingsfrage war ja ‚nur‘ der letzte Tropfen : Atomaustiegsaustiegsausstieg, Wehrpflicht, Islam-gehört-zu-Deutschland, gleichgeschlechtliche Ehe, Frauenquote…, schon vor 2015 waren viele in der CDU mit diesem Kulturwandel sehr unzufrieden und sind dann, als sich ein probater Sündenbock gefunden hat, auf den AfD-Zug aufgesprungen.

    Grundsätzliche Zustimmung, aber …

    Die AfD marginalisierte bis zur Flüchtlingskrise 2015 still und leise vor sich hin. Die haben erst mit der unkontrollierten, ungesteuerten Zuwanderung Dampfdruck auf den Kessel gebracht – mit freundlicher Unterstützung von Frau Merkel und Herrn Gabriel, die (parallel zur Ignoranz vernünftiger Einwände und unter Beschimpfung des wählenden Publikums) der Partei „nationalistisches“ Verhalten unterstellten und auf diesem Weg den ganzen rechtsextremen Vollpfosten erklärten, dass es sich lohnt, dort sein Kreuzchen zu machen.

    PS: In Deiner Liste fehlt vielleicht noch das Thema „Globalisierung“, mit entsprechender Ausweitung der prekären Arbeitsverhältnisse.

    • Stefan Sasse 11. November 2019, 19:03

      Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass eine „stärker gesteuerte“ Flüchtlingsaufnahme (wie auch immer das hätte realistisch klappen sollen) die AfD aufgehalten hätte. Eine sozial moderierte Agenda2010 hätte 2005 auch nicht die LINKE verhindert. In beiden Fällen war die Lücke eh schon da, es brauchte nur die entschlossenen Akteure, die sie nutzen konnten (hier Lafontaine, da Gauland).

      • Erwin Gabriel 12. November 2019, 02:07

        @ Stefan Sasse 11. November 2019, 19:03

        Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass eine „stärker gesteuerte“ Flüchtlingsaufnahme (wie auch immer das hätte realistisch klappen sollen) die AfD aufgehalten hätte.

        Das glaube ich auch nicht.

        Die Grenzen gegen alle Zusagen komplett aufzumachen, niemanden zu kontrollieren, auch die nicht, die sich offenbar zu Unrecht hier aufhielten, der Polizei zu untersagen, die Grenzen zu schützen bzw. Kontrollen durchzuführen, bei phasenweise 100.000 Ankömmlingen pro Monat von „einzelnen Menschen“ zu sprechen, dann auch noch die Länder und Politiker verurteilen, die die Balkan-Route schließlich schlossen, andersmeinende Bürger beleidigen und diskriminieren, während man offensichtlich überhaupt keinen Plan hat, wie man mit der Situation umgeht – das hat die AfD groß gemacht.

        Als die Agenda 2010 kam, gab es die PDS schon.

        • Stefan Sasse 12. November 2019, 06:44

          Die Grenzen wurden nicht geöffnet. Die waren immer offen. Das nennt sich das Schengen-Abkommen. Merkel hat sie nicht geschlossen.

          Und 2015 gab es auch die AfD schon, das ist kein Argument.

          • Stefan Pietsch 12. November 2019, 09:29

            Es ist keine Schengen-Politik, Grenzgänger einfach durchzuwinken, die erkennbar ohne Ausweispapiere und ohne Mitgliedschaft der EU einreisen. Vielleicht solltest Du mal in die Schweiz fahren, da wirst Du sehr wohl punktuell kontrolliert. Und Du wirst mit Sicherheit rausgefischt, wenn Du zuvor einen Parkverstoß begangen hast. 🙂

            Wegen solcher Lappalien kontrolliert ein Schengen-Staat und Du erzählst, die Grenzen seien 2015 nicht geöffnet gewesen? Stefan, bleib‘ mal auf dem Teppich!

            • Stefan Sasse 12. November 2019, 12:47

              Es gibt an der deutschen Grenze keine Kontrollen. Merkel hat 2015 keine eingeführt. Es gab keine „Grenzöffnung“, die waren vorher schon offen. Bleib du mal auf dem Teppich.

              • Stefan Pietsch 12. November 2019, 13:06

                Die Öffnung der europäischen Binnengrenzen setzt eine wirksame Kontrolle der europäischen Außengrenzen voraus.

                Nach dem europäischen Recht und im Einklang mit der Genfer Flüchtlingskonvention können sich weder Asylsuchende noch Flüchtlinge im völkerrechtlichen Sinne oder subsidiär Schutzberechtigte ein Zufluchtsland ihrer Wahl aussuchen. Innerhalb der EU entscheidet grundsätzlich das Unionsrecht darüber, welcher Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist und in welchem Staat die Antragsteller sich sodann aufhalten dürfen. Diese Ausgestaltung führt dazu, dass Mitgliedstaaten, die eine EUAußengrenze unterhalten, in einer besonderen Verantwortung stehen. Sie haben einerseits die Außengrenze zu sichern, die Einreise zu kontrollieren und mögliche Asylverfahren zu bearbeiten und andererseits die Antragsteller bis dahin unterzubringen.

                Anders als die dargestellte Rechtslage vermuten lässt, hat sich die Wirklichkeit bereits vor der Zuspitzung der Migrationskrise im Sommer 2015 entwickelt. Während man angesichts der Rechtslage erwarten würde, dass die Hauptlast der Asylanträge in den Mitgliedstaaten der EU anfallen, die im Mittelmeerraum eine Außengrenze unterhalten (wie etwa Griechenland, Italien oder Spanien), so wurden tatsächlich im Jahr 2013 in Griechenland 8.225 Anträge, in Italien 27.130 Anträge und in Spanien 4.500 Anträge gestellt. Im gleichen Zeitraum wurden in Deutschland 127.000 Antragsteller gezählt.

                In vielen Fällen wurden bereits vor der Zuspitzung der Krise im Sommer 2015 auch in stabilen Mitgliedstaaten wie Italien ankommende Einreisewillige ohne die vorgeschriebene Registrierung weitergeleitet,109 so dass – in Deutschland angekommen – der erstaufnehmende Staat nicht mehr festgestellt werden kann und deshalb eine Rücküberstellung ausgeschlossen ist. Hinzu kommt, dass in einzelnen Mitgliedstaaten wie Griechenland sog. systemische Mängel des Asylsystems vorliegen, die es Deutschland aus Rechtsgründen verbieten, dorthin zurück zu überstellen.

                (..) Doch um eine Feststellung kommt man auch beim besten Willen, pauschale Verantwortungszuweisungen zu vermeiden, nicht herum: Das geltende europäische Recht nach Schengen, Dublin und Eurodac wird in nahezu systematischer Weise nicht mehr beachtet, die einschlägigen Rechtsvorschriften weisen ein erhebliches Vollzugsdefizit auf.

                Der Bund steht angesichts des praktischen Scheiterns des europäischen Grenz- und Aufenthaltsregimes in der Pflicht zu unverzüglichem Handeln. Vor diesem Hintergrund ist es dem Bund verwehrt, den von unkontrollierter, zumindest im Verfahren teilweise gesetzwidriger Einreise betroffenen Bundesländern entgegenzuhalten, eine Änderung des Systems sei aus europapolitischen Gründen zurzeit nicht möglich. Den Bund trifft eine besondere Verantwortung auch im föderalen Verhältnis zu den Ländern eine derart elementare Frage unverzüglich einer politischen oder im Vertragsverletzungsverfahren auch rechtlichen Lösung zuzuführen, die geeignet ist, die gravierenden Mängel zu beseitigen oder bei einem aktuellen Fehlschlag eines solchen Lösungsversuchs in Eigenvornahme eine vorläufige, wirksame Grenzsicherung wieder aufzunehmen.

                Das Bundesministerium des Inneren hat vor diesem Hintergrund systemischer Mängel das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angewiesen, generell von Überstellungen Asylsuchender nach Griechenland abzusehen und die Schutzgesuche im nationalen Verfahren zu prüfen (Selbsteintrittsrecht).

                Fazit:
                Der Bund darf zur Sicherung der Staatsgrenzen Hoheitsrechte auf die Europäische Union übertragen, bleibt aber im Falle des nachweisbaren Leistungsverlusts europäischer Systeme in der Gewährleistungsverantwortung für die wirksame Kontrolle von Einreisen in das Bundesgebiet. Der Bund ist aus verfassungsrechtlichen Gründen im Sinne der demokratischen Wesentlichkeitsrechtsprechung nach dem LissabonUrteil des BVerfG verpflichtet, wirksame Kontrollen der Bundesgrenzen wieder aufzunehmen, wenn das gemeinsame europäische Grenzsicherungs- und Einwanderungssystem vorübergehend oder dauerhaft gestört ist.
                https://www.bayern.de/wp-content/uploads/2016/01/Gutachten_Bay_DiFabio_formatiert.pdf

                Der Bund hat eigene Hoheitsaufgaben auf andere Staaten übertragen. Als diese – nicht zuletzt unter Mitwirkung des Bundes – nicht mehr funktionierten, war er verpflichtet, diese Hoheitsaufgaben selbst wahrzunehmen. Die Weigerung, die Grenzen nur für jene offen zu halten, die einen legalen Aufenthaltstitel besitzen, kann man umgangssprachlich als „Grenzöffnung“ charakterisieren.

    • cimourdain 12. November 2019, 20:15

      Um im Dampfdruckbild zu bleiben: Der Druck hatte sich in meiner Sicht eben schon lange aufgebaut, einerseits durch bewusste politische Entscheidungen ( meine Beispiele), andererseits auch durch den Unwillen/die Unfähigkeit der Regierungen Merkel, Dinge wie die Globalisierung, Bankenkrise oder Währungspolitik im Sinne der konservativen Bevölkerung zu gestalten oder abzufedern. Dann ist mit der Flüchtlingskrise ein Moment gekommen, als die Politik eine klare Entscheidung getroffen hatte, die genau nicht in ihrem Sinn war. Das hat das Ventil bei vielen einfach zum Platzen gebracht.
      Analog ist ja auch der Schröder Frust bei der SPD zwar unter der Chiffre „Hartz4“ geführt, beinhaltet aber Verärgerung über viele weitere Themen ( kapitalgedeckte Rente, Unternehmenssteuerreform, liberalisierter Arbeitsmerkt, Kosovokrieg…). Aber Hartz4 ist eben das, was nicht mehr zähneknirschend hingenommen wurde.

  • Ralf 11. November 2019, 20:28

    Ich glaube, dass die Bundes-CDU und die CDU in den westlichen Bundesländern kein Interesse an Koalitionen mit der AfD haben kann. Eine CDU, die so weit nach rechts rutscht, dass sie mit der AfD koalieren kann, hat es viel schwerer mit den Grünen oder der SPD koalitionsfähig zu bleiben und verliert damit massiv politische Optionen. Eine CDU, die mit der AfD koalieren kann, schreckt auch Wähler der Mitte ab und treibt die weiter den Grünen zu. Klar, vielleicht bekommt man den ein oder anderen Wähler dafür von der AfD zurück, aber wenn man anschließend die AfD für eine Mehrheit braucht ist damit nichts gewonnen („kommunizierende Röhren“). Das heißt, dass eine CDU, die mit der AfD koalitionsfähig sein will, nach dem erdrutschartigen Verlust moderater Wähler nur noch Schwarz-Gelb oder Schwarz-Blau-Gelb machen kann. Beides könnte arithmetisch schwierig werden.

    Bei den Ostverbänden der CDU sieht das möglicherweise anders aus. Aber auch da stellt sich die Frage, ob ein Mike Mohring wirklich als der kleinere Partner unter dem Faschisten Höcke dienen will. Eventuell steckt gerade in unkonventionellen Bündnissen hier eine Chance. Eine Links-CDU-Regierung in Thüringen würde z.B. die kleineren demokratischen Oppositionsparteien stärken, während die AfD ihr Wählerpotential vermutlich bereits so ziemlich weitestgehend ausgeschöpft hat. Die FDP könnte einiges an enttäuschten CDU-Wählern auffangen. SPD und Grüne könnten enttäuschte LINKE-Wähler auffangen. Beim nächsten Mal würde es dann möglicherweise entweder für Rot-Rot-Grün oder für Mosambik unter CDU-Führung reichen. Von da aus könnten sich LINKE und CDU wieder mehr konventionell profilieren. Da lägen also für beide Partner Chancen drin. Und die AfD könnte man eventuell mit der Zeit einfach auswachsen …

    • Stefan Sasse 11. November 2019, 22:25

      Genau auf diese Dynamik wollte ich im Artikel raus. Dasselbe Problem hat ja die SPD auch.

    • sol1 12. November 2019, 00:09

      „Eine Links-CDU-Regierung in Thüringen würde z.B. die kleineren demokratischen Oppositionsparteien stärken…“

      Ja – aber eben auf Kosten der Linken und der CDU. Und letztere würde für ihre Kehrtwendung noch nicht einmal mit dem Ministerpräsidentenposten belohnt.

      „…während die AfD ihr Wählerpotential vermutlich bereits so ziemlich weitestgehend ausgeschöpft hat.“

      Was sich mit Zahlen belegen läßt:

      https://www.insa-consulere.de/wp-content/uploads/2019/07/Potentialanalyse_Th%C3%BCringen_Mai2018_page-0003-1024×768.jpg

    • Erwin Gabriel 12. November 2019, 02:14

      @ Ralf 11. November 2019, 20:28

      Ich glaube, dass die Bundes-CDU und die CDU in den westlichen Bundesländern kein Interesse an Koalitionen mit der AfD haben kann. Eine CDU, die so weit nach rechts rutscht, dass sie mit der AfD koalieren kann, hat es viel schwerer mit den Grünen oder der SPD koalitionsfähig zu bleiben und verliert damit massiv politische Optionen.

      Merkel hat die die CDU so geschmälert, dass sie nur rechts, mittig oder links positionieren kann. Unter Kohl war die Union so breit aufgestellt, dass sie beides konnte. Alfred Dregger und Franz-Josef Strauß für die stramme Gesinnung, Norbert Blüm und Rita Süsmuth für das mitfühlende soziale Herz, und in der MItte der schwarze Riese aus Oggersheim. Heute gibt es keinen namhaften rechten Flügel mehr (Friedrich merz ist konservativ und wirtschaftlich orientiert, aber nicht rechts; links sitzt vielleicht Peter Altmeier, der sich blamiert wo er kann, und zu sehr unter dem Pantoffel der Kanzlerin steht. Und in der Mitte die blasse Zwergin aus der Uckermark.

      • Stefan Sasse 12. November 2019, 06:45

        Ich halte das für ein Gerücht. Kohl wurde von der Parteirechten beständig dafür kritisiert, beliebig und mittig zu sein. Die Kritik der jeweiligen Parteiränder ist IMMER, dass die Partei zu mittig und beliebig ist. Logisch, sonst wären es ja nicht die Ränder.

        • Ralf 12. November 2019, 08:00

          Genau.

        • Stefan Pietsch 12. November 2019, 09:23

          Kohl wurde nur von der CSU, namentlich Franz-Josef Strauß, und später von den Wirtschaftsliberalen kritisiert, für die er später kaum noch etwas im Köcher hatte. Von Dregger, Kanther und anderen ist mir kein offener Affront in Erinnerung.

          • Erwin Gabriel 14. November 2019, 23:14

            @ Stefan Pietsch 12. November 2019, 09:23

            Von Dregger, Kanther und anderen ist mir kein offener Affront in Erinnerung.

            Geht mir genauso.

        • Erwin Gabriel 14. November 2019, 23:13

          @ Stefan Sasse 12. November 2019, 06:45

          Ich halte das für ein Gerücht. Kohl wurde von der Parteirechten beständig dafür kritisiert, beliebig und mittig zu sein.

          Von Norbert Blüm und Rita Süsmuth ging das auch. Aber genau das War ja das Schema: Die Partei-Rechten gaben Laut, die Partei-Linken gaben laut, und blieben so für ihre Wählerschaft hörbar. Und die Gegenseite stellte fest, dass sich Kohl nicht hin- und her zerren ließ. Hat funktioniert, auch bei Schmidt und Schröder.

  • sol1 12. November 2019, 00:59

    Interview mit Gerhart Baum zum Thema (7:30 min):

    https://www.youtube.com/watch?v=fX787Yk82qw

  • Stefan Sasse 12. November 2019, 09:20

    Ich hab grad keinen besseren Ort für den Link, weil es mir das Vermischte nicht lohnt. Rainer Hank von der FAZ verkündet in diesem Artikel ernsthaft:
    „Die Wurst ist in Deutschland ein Kulturgut. Doch wer zugibt, gern Wurst zu essen, stößt fast schon an die Grenze des Sagbaren.“

    https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/hanks-welt-warum-die-metzgereien-in-deutschland-sterben-16477561.html

    Ihr habt doch echt einen an der Klatsche. „Grenzen des Sagbaren“, my ass. ICH ESSE WURST.

    Wahnsinn, was bin ich für ein Held, Querkopf, Märtyrer der Meinungsfreiheit.

    Vollidioten, echt. Und dafür wird jemand bezahlt.

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