Diesen Text habe ich am 01. November unter dem Eindruck der Landtagswahlergebnisse in in Thüringen für meinen Blog „Workingman’s Death“ geschrieben. Im Licht der aktuellen Diskussionen in den Kommentaren während der letzten Tage hier möchte ich ihn hier wiederveröffentlichen, weil er viele Fäden aufnimmt, etwa die Frage der Motivation der sich nach rechts radikalisierenden Menschen und die Frage der „Sorgen“ die man ernst nehmen soll und wie ich zu diesen Erklärungsansätzen stehe.
Die Ergebnisse der Landtagswahl in Thüringen sollten eigentlich nicht überraschen. Die Umfragen haben das Potenzial der Rechtsextremen erfasst, die Wahlen in Brandenburg und Sachsen hatten vergleichbare Ergebnisse gebracht. Doch als wäre das eine vollkommen neue Entwicklung geht das Rätselraten los, was denn diesen „Rechtsruck“ ausgelöst haben könnte: Arbeitslosigkeit, fehlende Anbindungen und kulturelle Angebote auf dem Land, der Wegzug von jungen Menschen und besonders Frauen usw.
Einiges davon stellt echte Probleme dar, allerdings tut die AfD nicht mal so, als wollte sie dafür Lösungen anbieten. Ihr kommt es allein darauf an, den Frust umzulenken. Vielleicht sollte man sich zuallererst mal mit der wahrscheinlichsten Variante beschäftigen: Die AfD-Wähler wählen eine rassistische und rechtsextreme Partei, weil sie selbst Rassisten sind und die rechtsextremen Inhalte gut finden.
Wir kennen das Spiel seit Jahren, dass versucht wird zu orakeln, warum die Menschen Rechtsextremisten wählen, deren Inhalte die angeblich gar nicht teilen. Die Umstände ließen ihnen gar keine andere Wahl, ist immer wieder zu lesen. (In nächster Zeit wird man vermutlich auch bei uns mehr über „Identitätspolitik“ lesen. Das ist aktuell nach Politcal Correctness das neue Narrativ der Rechten und ihrer Bauchrednerpuppen in den USA, das erklären soll, warum eigentlich die Linken am Erstarken der Rechten die Schuld tragen).
Und auch viele AfD-Wähler würden den Vorwurf, rassistisch oder etwa homophob zu sein, von sich weisen. Und das mag sogar stimmen. Einige dieser Menschen haben nichts gegen Minderheiten, solange die brav an „ihrem Platz“ bleiben.
Genau das hat sich aber in den letzten Jahren zunehmen geändert. Gruppen, über die man früher noch unwidersprochen Witze machen und auf die man herabsehen konnte, stehen einem jetzt auf Augenhöhe gegenüber. Sie verstecken sich nicht mehr oder kuschen, sondern fordern ihre Rechte selbstverständlich ein.
Objektiv hat sich dabei für die Mehrheitsgesellschaft nichts geändert. Ob gleichgeschlechtliche Paare heiraten können, könnte einem heterosexuellen Menschen eigentlich vollkommen egal sein. Einige scheinen aber mit den sich veränderten Dynamiken ihre Probleme zu haben.
In anglo-amerikanischen Sprachraum gibt es das Sprichwort: „A rising tide lifts all boats“ – die Flut hebt alle Schiffe an. Das entspricht etwa dem, was der Soziologe Ulrich Beck als den „Fahrstuhleffekt“ bezeichnete, womit er den Zuwachs des Lebensstandards in der Nachkriegszeit beschrieb. Was aber, wenn sich dadurch an der relativen Stellung im sozialen Gefüge nichts ändert oder diejenigen, die ohnehin mit einem Vorsprung ins Rennen gestartet sind, sich überdurchschnittlich verbessern und die Schere noch weiter auseinanderdriftet?
Genau das ist passiert und es ist ein Grund, dass der erhöhte materielle Lebensstandard die Lebensqualität schon eine Weile nicht mehr positiv beeinflusst, weil kein Statusgewinn damit verbunden ist. Wenn sich jetzt jede Familie in meinem Umfeld ein zweites Auto leisten kann, ist das kein Statussymbol mehr. Im Gegenteil, ich kann nur noch gleichziehen.
In dieser Situation erscheint Manchem die Emanzipation vieler Minderheiten wie ein Verlust von Status. Menschen, die bisher unter ihnen standen, egal wie intelligent, talentiert oder sogar erfolgreich sie waren, befreien sich aus der Rolle des Underdogs und ziehen gleich, ja überholen sogar Personen aus der Mehrheitsgesellschaft. Auch wenn sich deren alltägliches Leben überhaupt nicht geändert hat, haben sie das Gefühl, dass sie ihre relative Position verschlechtert hätte, weil nun weniger Menschen und Menschengruppen (automatisch) unter ihnen stehen (und durch eine Glasdecke daran gehindert werden, aufzuschließen).
Genau hier setzt die AfD an. Sie verspricht nicht, die Lebensverhältnisse der Menschen zu verbessern (ganz im Gegenteil würden große Teile ihrer politischen Ideen sogar den Schwächeren deutlich schaden), aber sie verspricht der Mehrheitsbevölkerung, dass man Minderheiten noch schlechter behandeln wird und das sich im sozialen Gefüge immer noch jemand unter ihnen befinden wird (und zwar egal, wie gut diese Personen sind oder wie sehr sie sich anstrengen).
Aber was folgt daraus? Ein wichtiger Schritt wäre eine Politik, die verhindert, dass Menschen Angst davor haben müssen, abzurutschen und am unteren Ende der Nahrungskette zu landen. Wer sich sicher sein kann, bedingungslos über ein solides Auskommen mit sozialer Teilhabe zu verfügen, muss weniger darauf bedacht sein, dass in der sozialen Hackordnung noch jemand unter ihm kommt.
Aber auch auf der anderen Seite, wo ein Teil der Gesellschaft immer weiter in schwindelnde Höhen entgleitet und einen für die Mehrheit unerreichbaren Lebensstil vorlebt (oder zumindest simuliert) sind Korrekturen nötig. Und nicht zuletzt müssen wir es schaffen, dass wir gesellschaftliches Prestige nicht mehr primär nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten verteilen.
Wer gute Aussichten hat, neben einer gesicherten materiellen Grundlage dauerhaft ein stabiles und wertschätzendes soziales Umfeld zu haben, ist hoffentlich weniger anfällig für die rechtsradikalen Rattenfänger.
Aber was folgt daraus? Ein wichtiger Schritt wäre eine Politik, die verhindert, dass Menschen Angst davor haben müssen, abzurutschen und am unteren Ende der Nahrungskette zu landen. Wer sich sicher sein kann, bedingungslos über ein solides Auskommen mit sozialer Teilhabe zu verfügen, muss weniger darauf bedacht sein, dass in der sozialen Hackordnung noch jemand unter ihm kommt.
Sozialtransfers alleine werden die Situation nicht ändern. Staat muss sichtbar bleiben, bzw. wieder werden. Es gibt Gemeinden in Ost- und Westdeutschland in denen der Staat überhaupt nicht mehr sichtbar ist. Keine Kindergärten, keine Schulen, keine Anlaufstelle der Verwaltung, keine Poizeistation. Die Menschen fühlen sich abgeschrieben, da haben es die Rattenfänger einfach.
Es gibt Sorgen, es gibt Ängste. Die Bürger fordern das Politik zuhört. In Sachsen hat es der Ministerpräsident vorgemacht. Unermüdlich ist er in jedes Dorf gefahren und hat Politik erklärt, hat Probleme besprochen, hat zugehört. Ergebnis: Ein Wahlsieg der AfD wurde verhindert. Auch hier braucht die Politik neue Ansätze. Der Bürger möchte eingebunden werden. Hier wird es neue Formate brauchen. Es ist ein Bündel von Maßnahmen die erforderlich sein werden die Antidemokraten zurückzudrängen. Ein paar Euro Hartz IV mehr wird es nicht richten.
Ich würde da in fast allen Punkten widersprechen.
Zum einen sehe ich keine Leistung des Ministerpräsidenten Kretschmer, wenn die AfD „nur“ 17,2 % hinzugewinnt. Dass „wir“ (also der Teil, der Gesellschaft, der die AfD nicht unterstützt) sich da etwas vormacht, ist ein großer Baustein des Problems. Vor einigen Jahren sollten wir uns noch freuen, dass die Rassisten es nicht in die Parlamente schaffen, dann dass sie es gerade so schaffen, dann dass sie nur um 10% lagen und jetzt, dass nur ein Viertel der Wähler im Osten ihnen die Stimme gibt? Wie lange noch, bi wir uns freuen, dass sie keine absolute Mehrheit in einem ostdeutschen Bundesland erhalten haben?
Es ist richtig, dass es abgehängte Regionen gibt und das wird sich in einer alternden und mittelfristig schrumpfenden Gesellschaft nicht verhindern lassen, wenn die Menschen dort wohnen bleiben wollen. Wenn es nicht genügend Kinder gibt, ergibt es keinen Sinn, Schulen oder Kindergärten zi betreiben (was natürlich auch wieder dazu führt, dass keine Familien mit Kindern dorthin ziehen werden).
Und es geht nicht um „ein paar Euro mehr Hartz IV“. Das ALG II ist eines der perversesten sozialpolitischen Phänomene der jüngeren Geschichte und ziemlich genau das Gegenteil eines sicheren und würdevollen Auskommens mit sozialer Teilhabe, weil das Drohunsszenario des kompletten Ruins ja gerade ein Kernstück sein soll.
@ TBeermann 30. November 2019, 14:59
Ich würde da in fast allen Punkten widersprechen.
Ich Dir auch .-)
Zum einen sehe ich keine Leistung des Ministerpräsidenten Kretschmer, wenn die AfD „nur“ 17,2 % hinzugewinnt.
Irgendetwas ist anders gelaufen, wenn in einem Bundesland, dass wie Sachsen sozialisiert wurde, derart andere andere Ergebnisse herauskommen.
Vor einigen Jahren sollten wir uns noch freuen, dass die Rassisten es nicht in die Parlamente schaffen…
Diese Etikettenkleberei ist des Öfteren eine Schwäche in Deiner Argumentation: Du redest nicht von der AfD, sondern von „Rassisten“, als seien nur und ausschließlich Rassisten in der Partei, Rassismus das einzige Wahlprogramm, und ausschließlich Rassismus die Ursache dafür, die AfD zu wählen.
Bleiben wir höflich: Die Situation ist weitaus komplexer als das.
… Wie lange noch, bis wir uns freuen, dass sie keine absolute Mehrheit in einem ostdeutschen Bundesland erhalten haben?
Die von Dir beschriebene Entwicklung und Befürchtung kann ich nachvollziehen / teile ich.
Aber genau das soltle ein Beleg dafür sein, dass nicht Rassismus die treibende Kraft hinter dem Erfolg der AfD ist, sondern etwas anderes. Was ich nicht ausschließen kann / vermute, ist, dass irgendwann der Rassismus fester Bestandteil der Wählergruppen wird, die die AfD wählen, aber das ist nicht die primäre Ursache, sondern eine Folge.
Wenn es nicht genügend Kinder gibt, ergibt es keinen Sinn, Schulen oder Kindergärten zi betreiben (was natürlich auch wieder dazu führt, dass keine Familien mit Kindern dorthin ziehen werden).
Letzteres ist entscheidend.
Das ALG II ist eines der perversesten sozialpolitischen Phänomene der jüngeren Geschichte und ziemlich genau das Gegenteil eines sicheren und würdevollen Auskommens mit sozialer Teilhabe, weil das Drohunsszenario des kompletten Ruins ja gerade ein Kernstück sein soll.
Eine Frage des Standpunkts. Ich finde es genauso pervers, wenn man sich aus Bequemlichkeit über die Gemeinschaft versorgen lässt, obwohl man auf eigenen Füßen stehen könnte. Der Zweck unserer Gesellschaft kann nicht sein, jeden „angemessen“ zu versorgen. Der Zweck sollte sein, jeden dazu in die Lage zu versetzen, sich selbst angemessen versorgen zu können. Das sind beide Seiten der gleichen Medaille.
Da die Regierung zu wenig tut, um Chancen zu bieten, klappt auch der andere Teil nicht – dass Hartz IV schlecht gemacht ist, habe ich hier ja schon öfter geschrieben. Aber man vergisst auch zu leicht die Situation, aus der heraus diese Reformen für nötig erachtet wurden; bestenfalls die Älteren unter uns (ab Stefan P. aufwärts 🙂 ) werden sich noch erinnern.
Irgendetwas ist anders gelaufen, wenn in einem Bundesland, dass wie Sachsen sozialisiert wurde, derart andere andere Ergebnisse herauskommen.
Wo siehst du da den großen Unterschied? Die AfD trennen in Thüringen und Sachsen gerade mal vier Prozent und in Sachsen ist sie ja sogar Stärker. Der Große Unterschied zwischen den beiden Bundesländern liegt in der Stärke der Linken.
Diese Etikettenkleberei ist des Öfteren eine Schwäche in Deiner Argumentation: Du redest nicht von der AfD, sondern von „Rassisten“, als seien nur und ausschließlich Rassisten in der Partei, Rassismus das einzige Wahlprogramm, und ausschließlich Rassismus die Ursache dafür, die AfD zu wählen.
Bleiben wir höflich: Die Situation ist weitaus komplexer als das
Das ist in meinen Augen der Kern dieser Partei und eben das einzige, was sie ihren Wählern „positiv“ verspricht. Der Rest in FDP auf Steroiden, was kaum noch jemanden hinterm Ofen hervor lockt.
Eine Frage des Standpunkts. Ich finde es genauso pervers, wenn man sich aus Bequemlichkeit über die Gemeinschaft versorgen lässt, obwohl man auf eigenen Füßen stehen könnte. Der Zweck unserer Gesellschaft kann nicht sein, jeden „angemessen“ zu versorgen. Der Zweck sollte sein, jeden dazu in die Lage zu versetzen, sich selbst angemessen versorgen zu können. Das sind beide Seiten der gleichen Medaille.
Da die Regierung zu wenig tut, um Chancen zu bieten, klappt auch der andere Teil nicht – dass Hartz IV schlecht gemacht ist, habe ich hier ja schon öfter geschrieben. Aber man vergisst auch zu leicht die Situation, aus der heraus diese Reformen für nötig erachtet wurden; bestenfalls die Älteren unter uns (ab Stefan P. aufwärts ) werden sich noch erinnern.
Das trifft auf die wenigsten Leistungsbezieher zu. Ich finde aber die Frage genau so wichtig, welche Tätigkeiten tatsächlich sinnvoll sind. Im Moment denken wir (als Gesellschaft) und ständig neue unsinnige Jobs aus, die letztendlich nicht zu viel mehr dienen, als zu rechtfertigen, dass die Menschen, die sie besetzen, Geld erhalten und damit Dinge kaufen. Arbeit ist kein Selbstzweck, auch wenn der deutsche Fetisch das leider übersieht.
Was die Situation vor der Agenda war, hat Hartz-4 eigentlich nur eine positive Veränderung gebracht: Die alte Sozialhilfe, bei der Menschen vollkommen ins Abseits gestellt und dort vergessen wurden, wurde abgeschafft. Leider aber eben nicht, um die Menschen tatsächlich auf dem Weg zu einer sinnvollen Arbeit, die ein Auskommen bietet zu unterstützen, sondern um sie in den nächstbesten Job zu pressen.
@ TBeermann 4. Dezember 2019, 18:36
Wo siehst du da den großen Unterschied? Die AfD trennen in Thüringen und Sachsen gerade mal vier Prozent und in Sachsen ist sie ja sogar Stärker. Der große Unterschied zwischen den beiden Bundesländern liegt in der Stärke der Linken.
Ja.
Das [=Rassismus] ist in meinen Augen der Kern dieser Partei und eben das einzige, was sie ihren Wählern „positiv“ verspricht. Der Rest in FDP auf Steroiden, was kaum noch jemanden hinterm Ofen hervor lockt.
Die AfD ist die einzige Partei in Deutschland, die „Deutschland und die Deutschen zuerst“ sagt. Das ist, wie immer man dazu stehen mag, eine sehr klare, starke Grundhaltung, die über FDP auf Stereoiden weit hinaus geht.
Rassismus, Euro, EU etc. sind Ausprägungen, die sich aus dieser Einstellung ableiten.
Im Moment denken wir (als Gesellschaft) und ständig neue unsinnige Jobs aus, die letztendlich nicht zu viel mehr dienen, als zu rechtfertigen, dass die Menschen, die sie besetzen, Geld erhalten und damit Dinge kaufen. Arbeit ist kein Selbstzweck, auch wenn der deutsche Fetisch das leider übersieht.
Erstaunliche Sichtweise, die ich in gewissem Umfang teile, und die ich von Dir nicht erwartet habe. Doch ich habe für das Vorgehen Verständnis. Kannst Du Dir einen Unterschied im Selbstwertgefühl vorstellen zwischen einer Person, die an Hartz IV hängt und von allen Nicht-Hartzern scheel angeschaut wird, und einer Person, die etwas für ihren Lebensunterhaltet leistet (selbst wenn Dritte nicht so genau verstehen, warum man diese Arbeit machen muss)?
Was die Situation vor der Agenda war, hat Hartz-4 eigentlich nur eine positive Veränderung gebracht: Die alte Sozialhilfe, bei der Menschen vollkommen ins Abseits gestellt und dort vergessen wurden, wurde abgeschafft. Leider aber eben nicht, um die Menschen tatsächlich auf dem Weg zu einer sinnvollen Arbeit, die ein Auskommen bietet zu unterstützen, sondern um sie in den nächstbesten Job zu pressen.
Da, wo sich Hartz IV von der vorigen Lösung unterscheidet, ist letztendlich die Situation zu ALG 2. Früher konnte sich der Betroffene nach Ablauf von ALG 1 hinstellen und erwarten, dass ihm das Arbeitsamt eine Stelle zu besorgen hat (wenn nicht, wurde er finanziell halbwegs ordentlich unterstützt). Heute geht ein Gutteil der Verantwortung, wieder in Lohn und Brot zu kommen, auf ihn über. Das Prinzip finde ich grundsätzlich richtig.
Erstaunliche Sichtweise, die ich in gewissem Umfang teile, und die ich von Dir nicht erwartet habe. Doch ich habe für das Vorgehen Verständnis. Kannst Du Dir einen Unterschied im Selbstwertgefühl vorstellen zwischen einer Person, die an Hartz IV hängt und von allen Nicht-Hartzern scheel angeschaut wird, und einer Person, die etwas für ihren Lebensunterhaltet leistet (selbst wenn Dritte nicht so genau verstehen, warum man diese Arbeit machen muss)?
Ja, kann ich. Aber auch das ist ja nicht zuletzt ein Resultat davon, dass uns der Vollzeitjob in 40-Stunden-Woche als die einzig legitime Lebensweise eingeimpft wird. Da ließe sich mit Motivation (ungleich Zwang) und eventuell einem öffentlichen zweiten Arbeitsmarkt sehr viel mehr Gesellschaftsdienliches machen. (In der „Schluss mit Wachstum“ gehe ich immer mal wieder darauf ein, dass meiner Ansicht nach die notwendige Arbeit auf möglichst viele Menschen verteilt werden sollte, damit jeder seinen Teil beitragen kann).
Da, wo sich Hartz IV von der vorigen Lösung unterscheidet, ist letztendlich die Situation zu ALG 2. Früher konnte sich der Betroffene nach Ablauf von ALG 1 hinstellen und erwarten, dass ihm das Arbeitsamt eine Stelle zu besorgen hat (wenn nicht, wurde er finanziell halbwegs ordentlich unterstützt). Heute geht ein Gutteil der Verantwortung, wieder in Lohn und Brot zu kommen, auf ihn über. Das Prinzip finde ich grundsätzlich richtig.
In diesem Satz liegt ein wichtiger Schlüssel für den letzten Abschnitt. Was Hartz-IV und vor allem die begleitende Kommunikation aus Politik und Medien erreicht haben, ist Arbeitslosigkeit zum persönlichen Versagen des Betroffenen umzudeuten und mit einem entsprechenden gesellschaftlichen Stigma zu versehen. Statt sich solidarisch zu zeigen und tatsächlich zu unterstützen, wird Druck ausgeübt und Schuld suggeriert. Das spiegelt sich auch im Umgang der Behörde mit dem angeblichen Kunden wieder, der vom ersten Moment an als potenzieller „Sozialbetrüger“ behandelt und mit Sanktionen bis zur Obdachlosigkeit und dem Verlust jeglicher Absicherung bedroht wird.
Das Ergebnis ist neben vielen dieser sinnlosen Tätigkeiten (der Anthropologe David Graeber hat seinem Buch zu diesem Phänomen den Titel „Bullshit Jobs“ gegeben) eine unglaubliche Entwertung von (Aus-) Bildungsabschlüssen und Talenten, weil die Menschen in den nächstbesten Job gezwungen werden.
Das Ergebnis ist neben vielen dieser sinnlosen Tätigkeiten (der Anthropologe David Graeber hat seinem Buch zu diesem Phänomen den Titel „Bullshit Jobs“ gegeben) eine unglaubliche Entwertung von (Aus-) Bildungsabschlüssen und Talenten, weil die Menschen in den nächstbesten Job gezwungen werden.
Dem stimmt ich vollkommen zu, so sehe ich das auch. Ich habe nie verstanden, was sich die Befürworter davon versprechen, jemand in einen JOb zu zwingen. Damit wird doch keiner zufrieden gestellt, der AG nicht, weil der AN nur mit halber Kraft arbeitet und der AN nicht, weil er überhaupt keinen Sinn und keine Erfüllung in der Arbeit findet und seine Talente brach liegen.
Das soll Fortschritt sein? Der müsste doch viel mehr bedeuten als nur ein paar zusätzliche technische Spielereien zu besitzen. Fortschritt in der Entwicklung des Menschen, das würde ich erwarten und mir wünschen. Mehr und besseres Miteinander, mehr gönnen können, mehr Empathie füreinander, Förderung der Talente jedes einzelnen.
Die Wirtschaft soll Mittel zum Zweck sein, ist aber Selbstzweck, das ist pervers.
Selbst wenn man Faktoren wie Empathie (die ja in Teilen des politischen Spektrums nicht gerne gesehen sind) ignoriert, werden da auch einfach Werte vernichtet. In diese Ausbildungen wurde vom Betroffenen und oft auch der Gesellschaft viel Zeit, Geld und Mühe investiert. Wenn derjenige dann in eine deutlich unterqualifizierte Stelle gedrängt wird, liegt das brach und nach ein paar Jahren ist die Ausbildung das Papier nicht mehr wert, auf dem das Zeugnis gedruckt wurde.
Die Jobs, in die du gezwungen bist, haben häufig nicht so viele Möglichkeiten des Performance-Unterschieds, und das Sanktionsregime von H4 garantiert quasi Furcht als Anreiz. Das war zumindest die Idee.
…das Sanktionsregime von H4 garantiert quasi Furcht als Anreiz. Das war zumindest die Idee.
Und was soll daran gut sein? Toller Anreiz, früher meinte man auch, das wäre für ein gute Kinererzieung unabdingbar. Furcht vor Prügel. Diese Haltung spricht ja auch heute aus vielen Dingen, Handels-Sanktionen dei nicht weniger tötlich wirken als echte Waffen, Militär das das Human (Widerspruch in sich selbst).
Warum sollte ein Gesellschaft es positiv finden, wenn Ausbildungen entwertet werden, wo doch sonst so viel Wert darauf gelegt wird?
Die Wirtschaft soll den Menschen dienen</b<, können wir das System mal wieder auf die Füsse stellen und die Prioritäten neu definieren?
Ich find’s völlig beschissen, ich sag nur, dass ist die Funktionsweise.
OK, kam so aber nicht rüber.
TBeermann 8. Dezember 2019, 20:07
In der „Schluss mit Wachstum“ gehe ich immer mal wieder darauf ein, dass meiner Ansicht nach die notwendige Arbeit auf möglichst viele Menschen verteilt werden sollte, damit jeder seinen Teil beitragen kann.
Ich sehe nicht den Widerspruch zu meiner Forderung, dass man im Rahmen seiner Möglichkeiten selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommen sollte. Solange wir in diesem Rahmen bleiben, und ein jeder mitbestimmen kann, ob er damit einverstanden ist, habe ich keine Einwände.
Was Hartz-IV und vor allem die begleitende Kommunikation aus Politik und Medien erreicht haben, ist Arbeitslosigkeit zum persönlichen Versagen des Betroffenen umzudeuten und mit einem entsprechenden gesellschaftlichen Stigma zu versehen.
Das war auch schon vorher so, dass Arbeitslosigkeit (gelegentlich zu Recht, gelegentlich zu Unrecht) oft als individuelles Versagen verstanden wurde. Da hat sich nichts geändert.
Statt sich solidarisch zu zeigen und tatsächlich zu unterstützen, wird Druck ausgeübt und Schuld suggeriert.
Diese Aussage ist nicht korrekt (sachlich falsch und außerdem populistisch). Wer seinen Job verliert, rutscht doch nicht anstandslos in Hartz IV. Davor steht ALG1, und das ist Solidarität und Unterstützung. Auch der „Rückfall“ auf Hartz-IV-Niveau ist Solidarität und Unterstützung (wenn auch aus Sicht vieler nicht hoch genug).
Das spiegelt sich auch im Umgang der Behörde mit dem angeblichen Kunden wieder, der vom ersten Moment an als potenzieller „Sozialbetrüger“ behandelt und mit Sanktionen bis zur Obdachlosigkeit und dem Verlust jeglicher Absicherung bedroht wird.
Wie bei praktisch jedem Gesetz erfolgen bei Nichtbeachtung Sanktionen. Die, die sich blöd verhalten, beeinträchtigen die, die sich korrekt verhalten. Über den Rest kann man gerne diskutieren.
Ich sehe nicht den Widerspruch zu meiner Forderung, dass man im Rahmen seiner Möglichkeiten selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommen sollte. Solange wir in diesem Rahmen bleiben, und ein jeder mitbestimmen kann, ob er damit einverstanden ist, habe ich keine Einwände.
Meine Antwort bezog sich auf die Frage des Selbstbewusstseins aufgrund von Arbeit. Daher die Erwiderung, dass es eben nicht darum geht, die Mehrheit mit Sozialleistungen ruhig zu stellen und darin zu parken.
Das war auch schon vorher so, dass Arbeitslosigkeit (gelegentlich zu Recht, gelegentlich zu Unrecht) oft als individuelles Versagen verstanden wurde. Da hat sich nichts geändert.
Dass es das Stigma in einem gewissen Umfang schon vorher habe, sehe ich auch, dass sich nichts geändert habe, halte ich für eine komplette Falschbehauptung. Wie da (auch und vor allem aus der sPD) Ressentiments geschürt und Stereotypen verstärkt wurden, kann man in meinen Augen eigentlich nur als grausam bezeichnen.
Diese Aussage ist nicht korrekt (sachlich falsch und außerdem populistisch). Wer seinen Job verliert, rutscht doch nicht anstandslos in Hartz IV. Davor steht ALG1, und das ist Solidarität und Unterstützung. Auch der „Rückfall“ auf Hartz-IV-Niveau ist Solidarität und Unterstützung (wenn auch aus Sicht vieler nicht hoch genug).
Das ALG I ist eine Versicherungsleistung. Dafür hat man eingezahlt und erhält dann im Bedarfsfall Bezüge. Die Solidarität der Gesellschaft greift er danach bzw. würde greifen, wenn sie es denn täte.
Es geht mit dabei nicht mal primär um die Höhe der Bezüge (auch wenn ich tatsächlich der Meinung bin, dass damit ein sozialer Grundbedarf kaum zu decken ist), sondern vor allem um den Umgang und wie der Staat in diesem Moment seinem Bürger gegenüber tritt.
Wie bei praktisch jedem Gesetz erfolgen bei Nichtbeachtung Sanktionen. Die, die sich blöd verhalten, beeinträchtigen die, die sich korrekt verhalten. Über den Rest kann man gerne diskutieren.
So einfach ist es halt nicht. Zum einen sind in diesem System viele Menschen, die tatsächlich in erster Linie Hilfe bräuchten, zum anderen war das System von Anfang (also nach Gestaltung des Gesetzes durch Bundestag und Bundesrat – in der Hartz-Kommission war der Fokus tatsächlich noch sehr viel mehr auf dem Fördern) auf maximalen Druck ausgelegt und nicht auf individuelle Betreuung. Dafür steht allein oft kein adäquat ausgebildetes Personal zur Verfügung (im Gegenteil nicht selten selbst nur befristet eingestellte Sachbearbeiter, die mit mehr Härte versuchen, ihren eigenen Job zu retten).
@ TBeermann 12. Dezember 2019, 20:29
… dass es eben nicht darum geht, die Mehrheit mit Sozialleistungen ruhig zu stellen und darin zu parken.
Das ist ja mein Reden seit langem: Man sollte, anstatt mit Sozialleistungen ruhig zu stellen, Chancen bieten.
Es geht mir dabei … vor allem um den Umgang, und wie der Staat in diesem Moment seinem Bürger gegenüber tritt.
Das hatte ich anders verstanden. Aber wenn das der Punkt ist, bin ich bei Dir.
Kning4711 30. November 2019, 14:42
Bin voll und ganz bei Dir.
Die erste Hälfte Deines Artikels („AfD-Wähler wählen die AfD, weil sie Rassisten sind“) und die zweite Hälfte Deines Artikels („AfD-Wähler wählen AfD, weil das soziale Gefüge der Gesellschaft auseinandergebrochen ist“) passen nicht zueinander und widersprechen sich.
Dabei ist meiner Erfahrung nach die zweite Hälfte deutlich näher an der Wahrheit. Wären tatsächlich ein Viertel der Menschen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg Rechtsextreme, dann bliebe zu beantworten, weshalb zuvor nicht bereits ein Viertel der entsprechenden Parlamente mit NPD-Abgeordneten, und davor mit Abgeordneten der Republikaner, besetzt war. Irgendetwas scheint mit der AfD ja anders zu sein.
Und hier scheint die AfD von etwas zu profitieren, was es früher nicht gab. Die neuen Nationalsozialisten ziehen Wähler ab von der CDU, von der SPD, von der LINKEn und sie gewinnen neue Unterstützer aus dem Segment der Nichtwähler hinzu. Aber diese Zuströme sind zu differenzieren.
In der CDU gibt es ein breites zuwanderungskritisches Spektrum. Da gibt es solche, die berechtigte Sorgen haben, welchen Einfluss massive Migration Geringqualifizierter auf unseren Arbeitsmarkt, unseren Wohnungsmarkt, unseren Sozialstaat und unser Bildungssystem hat. Diese Sorgen sind rational, die damit verbundenen gesellschaftlichen Probleme immanent und politisch passiert in Sachen konkreter Lösungsansätze sehr wenig. Diese so beschriebenen Zuwanderungskritiker sind wütend auf die Merkel’sche Aussitzpolitik und Trägheit, sie sind aber keine Ausländerfeinde. Diese Klientel läuft nicht zu den Nazis über, sondern wählt gewöhnlich weiter CDU in der Hoffnung auf eine Merz- oder Spahn-Kandidatur. Oder sie flüchtet zur FDP. Eventuell eine Minderheit sogar zu den Grünen, in der Hoffnung dass dort die Migrationsprobleme wenigstens ernstgenommen und thematisiert werden und man an echter Integration interessiert ist. Das andere Segment der Zuwanderungskritiker in der CDU sind – und das muss man leider so klar benennen – schlicht Ausländerfeinde. Menschen, denen es auf der Straße zu viele Kopftuchträger gibt. Menschen, die alle Griechen für faul, alle Zigeuner für Diebe und alle Araber für Vergewaltiger halten. Dieses xenophobe Segment hat die Konservativen in der Vergangenheit zunehmend verlassen und ist zur AfD übergelaufen. Und seien wir ehrlich: Die sind inhaltlich bei den Neonazis dort auch tatsächlich besser aufgehoben.
Auch von der LINKEn sind Wähler zur AfD gewechselt. Hier dürfte es sich jedoch um eine völlig andere Gruppe handeln. Die LINKE war lange eine Protestpartei, eine Partei, die sich gegen den Mainstream, gegen die etablierten Parteien definierte. Sie wurde von den Medien und von (fast immer westlichen) Politikern ausgegrenzt, verleumdet, verteufelt. Einen Großteil der Wähler schreckten diese Prozesse ab. Ein kleinerer Teil fühlte sich hingegen exakt deshalb von der LINKEn angezogen. In einer Zeit wie Mitte der 2000er Jahre, in der die etablierten Parteien zunehmend zu einem ununterscheidbaren Einheitsbrei verschmolzen, war die LINKE die einzige Opposition, die einzige Partei, mit deren Wahl man dem Establishment einen Denkzettel verpassen konnte. Diese Rolle als reine Protestpartei ist in den vergangenen Jahren immer kleiner geworden. Die LINKE war zunehmend an Regierungen beteiligt, regiert mittlerweile sogar ein Bundesland. Vor der AfD hat das Establishment heutzutage zurecht weit mehr Angst. Und so ist das Protestpotential nach und nach weitergezogen. Wer der Bundespolitik einen Denkzettel verpassen will, wählt heute oft nicht mehr die LINKE, sondern die AfD.
Der Abfluss von der SPD sowie der Zufluss aus dem Nichtwähler-Segment hin zur AfD dürfte wiederum andere Gründe haben. Die Sozialdemokraten hörten mit den Schröder-Reformen auf Sozialdemokraten zu sein. Mit Agenda 2010 und Hartz IV transformierte die SPD von einer Mitte-Links- zu einer neoliberalen Mitte-Rechts-Partei. Seither hat der kleine Mann zumindest im westlichen Parteiengefüge keine politische Vertretung mehr. Die LINKE hätte dieses Potential aufnehmen können, und für unsere Demokratie wäre das unsagbar besser gewesen, aber das Mobbing von Medien und Establishment gegen die LINKE hat das erfolgreich verhindert. Millionen Wähler wurden heimatlos, die SPD verlor dramatisch an Mitgliedern und viele Menschen verabschiedeten sich ganz aus dem politischen Prozess. Und stellten wohl auch zunehmend die Demokratie infrage, die augenscheinlich das Land an die Interessen der Wohlhabenden ausverkauft hatte, mit der Folge von Prekariat, Armut und Elend bei den Schwächsten. Als die AfD, und insbesondere der Höcke-Flügel auftauchte, hatten diese Wähler plötzlich wieder eine Alternative. Nationalsozialisten tragen nicht umsonst das „Sozialisten“ im Namen. Natürlich ist das programmatisch nicht mit dem Ultraneoliberalismus der ursprünglichen Parteigründer um Lucke und Henkel kompatibel. Aber was Kalbitz und Höcke vorschwebt, ist wesentlich näher an dem, was die NSDAP schon in den Dreißiger Jahren machte. Ein starker Sozialstaat für Volksdeutsche. Nur eben verbunden mit kriminellen Vernichtungsphantasien gegenüber Minderheiten und allem was nichtdeutsch war. Diese soziale Wärme nationalsozialistischer Ausprägung ist es was ehemalige Sozialdemokraten anzieht. Es ist auch die erschreckendste Tendenz, die uns aufhorchen lassen sollte.
Von den drei oben genannten Gruppen kann man die überzeugten Rassisten wohl aufgeben. Die bekommt man nicht wieder zurück ins demokratische Spektrum. Oder zumindest nicht zeitnah. Wähler, die sich wieder eine echte sozialdemokratische Partei wünschen hingegen, sind noch nicht völlig verloren. Klar, die SPD, die sich heute Abend Olaf Scholz an die Spitze wählen wird, hat keinerlei Glaubwürdigkeit mehr. Aber Grüne und LINKE machen von ihrer programmatischen Ausrichtung her durchaus Angebote und die Mainstreammedien sowie der politische Gegner sollten sich gut überlegen, ob Verteufelung und Diffamierung wie in der Vergangenheit hier die richtige Reaktion ist. Eine Grün-Rot-Rote Koalition, die dem kleinen Mann wieder Angebote macht, die soziale Schere schließt und den Sozialstaat wiederauferstehen lässt, wäre ein Projekt entsprechende Wähler von der AfD wieder abzuziehen. Und wenn die Menschen wieder das Gefühl haben ernstgenommen zu werden, wenn die Menschen wieder spüren, dass die Politik für sie, nicht gegen sie und stattdessen für die Interessen einer Handvoll Superreicher und Großkonzerne arbeitet, dann sinkt auch das Bestreben Protest zu wählen. Dann kann man auch viele Protestwähler wieder für die Demokratie gewinnen.
Den größten Fehler, den man machen kann, ist hingegen auf Konfrontation zu setzen. Dann igeln sich die neuen AfD-Wähler in ihren zunehmend abgeschotteten Radikalisierungsblasen ein und was dann folgt, ist ideologische Verhärtung. Anschauungsmaterial liefern hier die USA, wo es tatsächlich nur wenige Wochen nach der Trump-Wahl gebraucht hat, um Familien, Kollegen, Freunde und Nachbarn irreversibel zu trennen und menschliche Beziehungen irreparabel zu zerstören. Ein ganzes Land brach einfach abrupt auseinander. Dank der harten gesellschaftlichen Ächtung von Trump-Wählern, liegt die Zustimmung für den Präsidenten im Volk hoch genug und stabil, dass es durchaus vorstellbar ist, dass er nächstes Jahr wiedergewählt werden könnte. Weil durch Konfrontation und Ächtung alle Brücken zurück für die Verirrten abgebrochen worden sind.
Lass uns nicht den selben Fehler machen!
@ Ralf,
Ich halte Deine Analyse für deutlich überzeugender als die on TBeermann.
Das war allerdings auch schon wahr, bevor du sie gelesen hast. Und das ist ja mein Punkt, wir bestätigen uns dauernd die Analyse, die wir vorher schon hatten.
@ Stefan Sasse 1. Dezember 2019, 09:34
Und das ist ja mein Punkt, wir bestätigen uns dauernd die Analyse, die wir vorher schon hatten.
Wie man es nimmt – Deine Analyse bestätige ich Dir nicht.
Zwei Punkte sollten klar sein:
1) Offenbar hat die AfD aus allen politischen Ecken geräubert, nicht nur rechts. Die Idee, dass die AfD nur ein Sammelbecken für rechte Fremdenfeinde sind, die sich jetzt erst in die Öffentlichkeit trauen, scheint nicht zu greifen.
2) Das von Dir oder TBeermann propagierte Vorgehen, die AfD auszugrenzen, als asozial darzustellen, hat die verlorenen Schäfchen nicht in die Herde zurückgetrieben, sondern eher den gegenseitigen Effekt ausgelöst.
Damit sind in jedem Falle die Thesen von Dir oder TBeermann widerlegt, (bzw. eine Bestätigung der Analyse, die Ihr hattet, macht angesichts der Fakten keinen Sinn mehr. Wiederum verläuft die Entwicklung etwa so, wie Ralf das beschreibt, wie einige andere das beschreiben, wie ich das schon seit Jahren befürchtet bzw. vorhergesagt habe.
Ralfs Rat, nicht auf Konfrontation zu gehen, findet Bestätigung in der US-Entwicklung nach der Bekanntgabe der Demokraten, Trump einem Impeachment-Verfahren zu unterziehen. Klare Fronten, praktisch nichts Vermittelndes dazwischen. Die Demokraten, so ist zu befürchten, haben auf diesem Weg die kommende Wahl bereits verloren.
1) Ist auch nicht meine These.
2) Wie gesagt, widerlegt ist da gar nichts. Belegt auch nicht.
Sie schreiben: “ etwa die Frage der Motivation der sich nach rechts radikalisierenden Menschen und die Frage der „Sorgen“ die man ernst nehmen soll.”
Man sollte da etwas differenzieren; Ich habe etwas Bauchschmerzen mit nach “rechts radikalisierenden Menschen”
Keine Frage, die NPD ist rechtsradikal aber unbedeutend.
Ebenso wird es ein paar Spinner bei der AfD geben; aber die sind im Grossen und Ganzen auch nicht sehr relevant.
Der doch beträchtliche Zulauf bei der AfD kommt von Wählern die früher CDU/SPD/ FDP und sogar Grüne und auch Blutrot gewählt haben. Waren das immer “Nazis”? Die wachsenden Zahlen bei der AfD- das ist ja keineswegs schon am Ende- kommen doch von dem wachsenden Frust und der Enttäuschung der vornehmlich bürgerlichen Wähler die “die Schnauze voll haben” von Gartenzwerg -und Rumpelstilzchen Politik. Der allgemeine Tenor der “Etablierten”, die Afd, die ihnen ja die Wähler abgenommen hat- zu verunglimpfen führt letztlich zum Gegenteil..
Die Union hat den bürgerlichen Rassismus ja lange vertreten. Nehmen wir mal Roland Koch, die „Kinder statt Inder“ Geschichte von Jürgen Rüttgers, diversen Ausfällen aus Bayern usw.
Die Linke passt auf den ersten Blick nichts ins Bild, aber das würde ich so interpretieren, dass die Linke tatsächlich eine Protestwahl war, aber die wenigsten Wähler haben Marx gelesen und eine Räterepublik gefordert. Die gleichen rassistischen und homophoben etc. Sprüche wie heute haben nicht wenige davon aber sicher damals auch schon von sich gegeben.
Aber „schon immer Nazis“ waren ja nicht mal die „echten“ Nazis. Natürlich führt ein Weg da rein und zumindest potenziell auch wieder ein Weg da raus. Aber wie hat man denn die ursprünglichen Nazis von ihrem kleinen Weltherrschaftstrip runter geholt? Indem die Alliierten ihre Sorgen mal so richtig ernst genommen haben?
Die NSDAP hatte zwischen 1930 und 1932 auch einen ungeheuren Wählerzuwachs von allen Parteien, das waren logischerweise auch nicht alle immer Nazis. Das behauptet ja auch niemand, das ist ein reines Strohmannargument.
Es gibt einen Unterschied zwischen 44 und 16 Prozent. Die AfD hat in den letzten Jahren sowohl deutlich von Union wie LINKE als auch von Nichtwählern (die zuvor überproportional LINKE und SPD gewählt haben) Stimmen gewonnen. Das waren langjährige Wähler dieser Parteien.
Klar, gerade bei der SPD ist man froh, keine vermeintlichen verkappten Nazis mehr in den Reihen zu haben. Lieber 15 statt 21 Prozent, so das Motto. Seit Anfang der Neunzigerjahre führten gerade Linke ins Feld, wie sehr der Zuwachs an Nichtwählern an der Legitimation von Wahlen rüttele – kein Wunder, schließlich waren SPD und LINKE überproportional von Wahlenthaltungen betroffen.
Nun, wo diese Wähler zurückkehren, gelten sie als Nazis, weil sie aus Sicht der Linken das Falsche wählen. Demoskopen haben sich nie solche Illusionen über die Gruppe der Nichtwähler gemacht, wie das im linken Spektrum anzutreffen war. Frustriert und wütend, so charakterisierte sie mal ein bekannter Forscher. Die AfD ist da die Partei, die für solche Menschen etwas im Programm hat.
Wäre es also nicht einmal an der Zeit, dass Linke endlich, endlich mal erwachsen werden und sich mit der Welt, wie sie ist, anfreunden? Ach nee, die SPD hat ja gerade beschlossen, zur K-Gruppe (K für Kinder) zu werden. Es werden wieder einmal Konservative und Liberale sein müssen, die das Schiff am Laufen halten.
Nur ist das Einzige, was die AfD für diese Menschen im Programm hat, das was ich in meinem Text beschreibe: „Wir werden andere so klein halten, dass ihr immer noch jemanden in der Nahrungskette unter euch finden werdet“.
Ansonsten würde die von der AfD vorgeschlagene Politik die Situation gerade der vom Abstieg bedrohten Menschen nur noch schlimmer machen.
Abgesehen davon noch zum letzten Absatz: Wie lange war die CDU noch mal mit dem Suchen einer neuen Vorsitzenden beschäftigt? Und das Beste, was sie aus dem Hut zaubern konnten, war eine drittklassige Provinzpolitikerin, die seitdem keinen Fettnapf ausgelassen hat.
Und in den laufenden und vorangegangenen Legislaturperiode war es vor allem die SPD, die relativ unaufgeregt die Regierungsgeschäfte erledigt hat, deren (bescheidene) Erfolge Angela Merkel ans Revers geheftet hat, während die Union vor allem durch Friendly Fire aufgefallen ist.
@ TBeermann 1. Dezember 2019, 19:16
Nur ist das Einzige, was die AfD für diese Menschen im Programm hat, das was ich in meinem Text beschreibe: „Wir werden andere so klein halten, dass ihr immer noch jemanden in der Nahrungskette unter euch finden werdet“.
Ja. In diesem Punkt stimme ich zu. Und mich erschreckt erheblich, wie gut das funktioniert.
Zu Kramp-Karrenbauer: Die Dame ist auch nicht meine erste Wahl. Aber zu sagen, dasss sie jeden Fettnapf mitgenommen hat, kann nur jemand sagen, der alles für einen Fettnapf hält. Der Unterschied zwischen ihr und dem grünen Führungsduo ist, dass man letzerem die gelegentlichen Entgleisungen nachsieht (der Zeitgeist – hat man ja früher der CDU gegenüber genauso gemacht, und die Linken ständig hingehängt).
Und die SPD? Nun ja, da bin ich bei Stefan P: Kindergarten. Es wäre ehrlicher gewesen, Kevin Kühnert zu wählen. Der wird das dann das nächste Mal.
Der stand halt nicht zur Wahl.
Und ich habe glaube ich schon drüber geschrieben, dass AKK unfair behandelt wird.
Ja. In diesem Punkt stimme ich zu. Und mich erschreckt erheblich, wie gut das funktioniert.
Ich finde das nicht mal wirklich überraschend, dass diese „Strategie“ grundsätzlich greift. Ein „Wir“ gegen „die anderen“ – am liebsten noch von Außen – zu etablieren, war schon immer ein recht einfacher Weg, Anhänger zu gewinnen und zusammen zu schweißen. Was diese Situation speziell macht, ist das die AfD bisher wirklich praktisch nichts verspricht, was das Leben der Menschen verbessern könnte.
Zu Kramp-Karrenbauer: Die Dame ist auch nicht meine erste Wahl. Aber zu sagen, dasss sie jeden Fettnapf mitgenommen hat, kann nur jemand sagen, der alles für einen Fettnapf hält. Der Unterschied zwischen ihr und dem grünen Führungsduo ist, dass man letzerem die gelegentlichen Entgleisungen nachsieht (der Zeitgeist – hat man ja früher der CDU gegenüber genauso gemacht, und die Linken ständig hingehängt).
Ach komm, ihre Kommentare zu FFF, ihre unglückliche Kommunikation beim Rezo-Video, der hochnotpeinliche Auftritt bei dieser Karnevalssitzung mit Nachtreten gegen Minderheiten (was sie ja auch vor ihrer Wahl immer schon gerne gemacht hat), das Vorpreschen in der Syrienfrage ohne jede Absprache in der Koalition oder mit den Alliierten. Und das ist nur, was mir jetzt spontan einfällt.
@ TBeermann 4. Dezember 2019, 18:20
… ihre Kommentare zu FFF …
… konnte ich halbwegs nachvollziehen
… ihre unglückliche Kommunikation beim Rezo-Video …
.. war zugegebenermaßen sehr unglücklich; aber einer musste was sagen, und sie war die neue Parteichefin
… der hochnotpeinliche Auftritt bei dieser Karnevalssitzung mit Nachtreten gegen Minderheiten (was sie ja auch vor ihrer Wahl immer schon gerne gemacht hat) …
… habe ich anders wahrgenommen als Du
… das Vorpreschen in der Syrienfrage ohne jede Absprache in der Koalition oder mit den Alliierten …
… war nicht ganz formvollendet, aber in der Sache richtig; opponiert haben nur die Türkei und die SPD; UN, NATO und EU würden mitgehen, wenn wir durchziehen würden (und könnten!)
Und das ist nur, was mir jetzt spontan einfällt.
Na gut. Ich vermute auch, dass es nicht besser wird, wenn ich nochmal nachdenke 🙂
Hanni Hartmann 30. November 2019, 20:40
Sie schreiben: “ etwa die Frage der Motivation der sich nach rechts radikalisierenden Menschen und die Frage der „Sorgen“ die man ernst nehmen soll.”
Die wachsenden Zahlen bei der AfD- das ist ja keineswegs schon am Ende- kommen doch von dem wachsenden Frust und der Enttäuschung der vornehmlich bürgerlichen Wähler die “die Schnauze voll haben” von Gartenzwerg- und Rumpelstilzchen Politik. Der allgemeine Tenor der “Etablierten”, die Afd, die ihnen ja die Wähler abgenommen hat- zu verunglimpfen führt letztlich zum Gegenteil.
Ich hätte das nicht „Gartenzwerg- und Rumpelstilzchen-Politik“ genannt, aber ja, das sehe ich genauso.
Das Problem mit allen Betrachtungen dieser Art ist, dass wir schlicht noch keine ordentliche Zahlenlage haben, auf der diese Analysen fußen können. Kai Arzheimer ist da noch am nächsten dran. Aber für mich lesen sich diese Analysen und Kommentare immer so, dass der Wahlerfolg der AfD auf genau das zurückzuführen ist, was man selbst schon immer glaubte:
– Wer Hartz-IV und die Agenda2010 ablehnt, sieht die Konsequenz dort.
– Wer die Flüchtlingspolitik ablehnt, sieht sie dort.
Und so weiter.
Siehe eine Deutung, die eher meiner gleicht, hier:
https://twitter.com/starcaztle/status/1200673663726575616
Aber auch hier gilt: who knows?
Wenn man diese Umfragen für bare Münze nimmt, dann sind die Mehrheit der AfD-Wähler hart ideologisierte Neonazis, die sich nach einem neuen Führer sehnen. Wenn dem so ist, ist meine Frage, weshalb wir bei den Wahlen in der Vergangenheit nicht 25% Stimmenanteil für die NPD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg bekommen haben? Die NPD versuchte doch auch sich eine bürgerlichere Maske aufzusetzen und vertrat all die radikalen Standpunkte, die in Deiner Umfrage zur Sprache kommen. Selbst wenn die Wähler sich vielleicht nicht öffentlich dazu bekennen wollten, waren sie doch in der Wahlkabine alleine. Da hätten sie doch ganz einfach ihr Kreuz bei der NPD machen können. Haben sie aber nicht. Meiner Meinung nach, weil die Mehrheit der AfD-Wähler diese Standpunkte entweder nicht teilt oder zumindest nicht mit einer ausreichenden Leidenschaft teilt, dass es die Wahlentscheidung dominieren würde (i.e. andere Themen sind wichtiger). Falls Du anderer Meinung bist, würde ich gern hören, weshalb Du glaubst, dass uns in der Vergangenheit Parlamente mit einem Viertel NPDler erspart geblieben sind.
Es geht in diesem Kontext weniger um die Super-Reichen, sondern darum, dass die Flüchtlinge Geld und Wohnungen kriegen, ohne „eingezahlt“ zu haben.
Anekdote: In einer Bürgerversammlung einer Großstadt in Rheinland-Pfalz meldete sich eine ältere Dame zu Wort: Ob angesichts der vielen Flüchtlinge auch noch Wohnungen für arme Leute wie sie da seien. Daraufhin wurde sie heftig ausgebuht.
„Besorgte Bürger“ ist bei „Progressiven“ ja inzwischen ein Un-Wort. Das könnte ein Fehler sein.
Nun, „besorgte Bürger“ wurde halt auch zu einer Chiffre für „gewalttätige Rassisten“ gemacht. Hätte man den Begriff nicht großzügig dafür gebraucht Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte zu relativieren, wäre der Begriff nicht so verbrannt. Wenn jemand „besorgter Bürger“ sagt, sehe ich Pegida. Das ist halt Framing, und das funktioniert in beide Richtungen.
Die NPD wurde immer konsequent ausgegrenzt. Die AfD nicht. Wie du siehst, stimmen unsere Argumentationen immer. Das ist genau das, was ich kritisiere bzw. bemerke.
Wie du siehst, stimmen unsere Argumentationen immer.
😀
Die AfD wurde auch in gewisser Weise ausgegrenzt. Lange Zeit wurde sie grundsätzlich nicht zu TV-Debatten oder Elefantenrunden eingeladen. Heutzutage wird sie zuweilen eingeladen, aber behandelt wie die Pariahs, die sie sind: Eingehegt von Moderatoren, die sie kaum zu Wort kommen lassen, ständig abwürgen und mit weitaus mehr Feindlichkeit befragen als alle anderen Gäste. Nicht das ich mich beschwere. Ist halt einfach nur eine Beobachtung. In den meisten Medien wird ebenfalls gegen die AfD angeschrieben.
Die BILD-Zeitung macht zwar keinen direkten AfD-Wahlkampf, hilft aber mit ihrer Hetze und Vorurteilen den braunen Genossen. Allerdings ist nicht offensichtlich wieso die NPD damals davon nicht genauso profitiert hat wie die AfD heute. Einzig die FAZ hat sich von der NPD deutlicher abgegrenzt als von der AfD. Aber erklären wir das Phänomen des Erfolgs der AfD jetzt wirklich monokausal mit der Unterstützung durch die FAZ? Der ungebildete Pöbel, der die AfD wählt, konsumiert meist eh andere Medien.
Kurzum, bei der Ausgrenzung hat es zwischen NPD und AfD weniger Unterschied gegeben, als Du nahelegst. Zumindest seit sich die AfD von ihren ehemaligen Gründern getrennt hat. Trotzdem ist die NPD wie so viele rechtsextreme Gruppierungen zuvor wieder in sich kollabiert, während die AfD ein Viertel der Sitze in ostdeutschen Landesparlamenten besetzt. Das mit gelungener gegenüber gescheiterter gesellschaftlicher Ausgrenzung zu erklären, ist aus meiner Sicht nicht überzeugend.
Gerade bei der TV Präsenz würde ich widersprechen.
Gerade am Anfang wurde sie als Professorenpartei verhätschelt, obwohl schon Lucke sehr bald hart nach rechts abgebogen ist. Dass sie nicht in den Elefantenrunden saß, ist vollkommen normal, den dort sind nur die in den jeweiligen Parlamenten vertretenen Parteien vertreten.
In „normalen“ Talkshows waren sie aber lanmge weit mehr präsent, als es ihr Stimmanteil (oder ihre inhaltliche Relevanz) rechtfertigen würden, ganz abgesehen davon, dass man ihnen den Gefallen getan hat, Flüchtlinge/Migranten/Ausländer zum Kernthema (gefühlt) jeder zweiten Sendung zu machen, als gäbe es keine anderen Probleme. So wurde das natürlich auch rech schnell zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung.
Sehe ich auch so.
@ TBeermann 30. November 2019, 21:56
Gerade am Anfang wurde sie als Professorenpartei verhätschelt, …
Am Anfang war sie das auch.
… obwohl schon Lucke sehr bald hart nach rechts abgebogen ist.
Nicht bös gemeint, die Nachfrage: „hart rechts“ aus Sicht eines Linken, oder „hart rechts“ aus der Mitte beurteilt? Der Prozess war fließend, der Knack nach „hart“ rechts kam nach meiner Wahrnehmung mit dem Abgang von Frauke Petry, bzw. kurz davor.
Ich hatte auch das Gefühl, der harte Schwung nach rechts kam erst nach Lucke, aber es gab bereits vorher den Trend.
@ Stefan Sasse 2. Dezember 2019, 18:17
Ich hatte auch das Gefühl, der harte Schwung nach rechts kam erst nach Lucke, aber es gab bereits vorher den Trend.
Ja, natürlich, sonst wäre Lucke nicht gegangen (worden).
self-evident, so gesehen^^
Am Anfang war sie das auch.
Vielleicht für einen winzigen Moment, wobei da auch überwiegend Menschen ihre Titel für Aussagen auf Feldern nutzen wollten, auf denen nicht gerade ihre Expertise lag. Aber ja, einen Augenblick lang haben sie Kritik an der damaligen Politik in der Griechenlandkrise geäußert, die diskutabel war.
Nicht bös gemeint, die Nachfrage: „hart rechts“ aus Sicht eines Linken, oder „hart rechts“ aus der Mitte beurteilt? Der Prozess war fließend, der Knack nach „hart“ rechts kam nach meiner Wahrnehmung mit dem Abgang von Frauke Petry, bzw. kurz davor.
Ich würde sagen, generell „hart rechts“. Lucke sprach zum Beispiel von „Entartung der Demokratie„, sprach von Flüchtlingen als „Bodensatz“ oder nutze das Narrativ der „Altparteien„. Schon zu seiner Zeit waren Begriffe wie „Multikulti-Umerziehung“ Teil des offiziellen AfD-Sprachgebrauchs.
Mein Eindruck war damals, dass er sich für einen kurzen Moment tatsächlich für so eine Art charismatischen Volkstribun hielt und dachte, die Geister, die er mit seinen Dogwhistles rief lenken und kontrollieren zu können. Dass er dann als erster davon aus der Partei gespült wurde, ist zwar unter dem Ironieaspekt ganz amüsant, aber die Rolle des seriösen „Konservativen“, die er jetzt (auf die Vergesslichkeit der Menschen setzend) gerne einnehmen würde, sollte man ihm nicht gewähren.
Da schau mal an, bin ich direkt drauf reingefallen.
@ TBeermann
Lucke sprach zum Beispiel von „Entartung der Demokratie“, sprach von Flüchtlingen als „Bodensatz“ oder nutze das Narrativ der „Altparteien“ .
Ich hätte zumindest die ersten beiden Begriffe deutlich anders gewählt, halte aber die Richtung dieser Aussage für zutreffend. Ich bin sowohl der Meinung, dass sich die Regierung weder um da kümmert, was die Bevölkerung will, noch um das, was sie braucht, sondern sich im eigenen Saft wälzt.
Ich bin auch der Meinung, dass mit den Flüchtlingen viele Menschen ins Land kamen, die von ihrer (Aus)Bildung her nicht geeignet sind, in unserem System zu bestehen , es sei den, sie bewegen sich im absoluten Billiglohn-Sektor oder gehen gleich in Hartz IV.
Ich vermute, dass Lucke mit solchen Sprüchen (insofern ist „Dog Whistle“ nicht von der Hand zu weisen“) versucht hat, auf die sich anbahnende Entwicklung der Partei zu reagieren, um sich an der Spitze zu halten; es ist ihm nicht gelungen, und er hat sich später nie wieder auch nur annähernd derart geäußert. Er ist weder Nazi noch Rechtsextremer, sondern ist in Schuhen durch die Gegend gestolpert, die mindestens zwei Nummern zu groß waren für ihn.
Das tun sie alle, das ist ja mein Punkt. Aber Intention ist sekundär. Die Schuhe waren Hugenberg und von Papen auch zwei Nummern zu groß. Den Salat hatten wir trotzdem.
Trotzdem stieß er die Entwicklung maßgeblich mindestens mit an und hat damit einen Prozess in Gang gesetzt, der noch nicht abgeschlossen ist und bei dem ich mir sehr unsicher bin, wo er enden wird.
@ Stefan Sasse 3. Dezember 2019, 22:08
Aber Intention ist sekundär.
Zustimmung. Das Ergebnis zählt.
@ TBeermann 4. Dezember 2019, 18:37
Trotzdem stieß er die Entwicklung maßgeblich mindestens mit an und hat damit einen Prozess in Gang gesetzt, der noch nicht abgeschlossen ist …
Ich sehe, dass nicht von ihm die Initiative ausging, aber das er die erkannte Entwicklung nutzen wollte. Und „gut gemeint“ heißt eben nicht „gut gemacht“.
Insofern stimme ich zu. Lucke hat, mit welcher Intention auch immer, erheblichen Anteil an diesem Schlamassel.
Das Problem mit der Ausgrenzung sehe ich differenzierter. Ob die Partei selbst niedergeschrieben wird oder nicht spielt nicht die entscheidende Rolle; ihre Themen wurden permanent legitimiert. Man denke nur an „Oder soll man es lassen?“ Die NPD hatte nie den Vorteil, dass haufenweise Artikel geschrieben und komplette Kanzlerduelle um ihre Themen geführt wurden, à la „Wir finden die NPD nicht gut, aber ob alle Ausländer raus sollen müssen wir schon diskutieren“.
Die Themen der AfD sind legitim. Das ist ja die Krux mit Populisten.
Bei den Themen Eurokrise und Flüchtlingskrise griffen die Rechten Themen auf, wo die Mehrheiten im Bundestag konträr zur dominierenden Position in der Bevölkerung standen. Das gleiche Spiel nun bei der Klimarettung. Populismus ist das Versagen des Bürgertums und die sie tragenden Parteien. Keiner der Parteien von Union, SPD, Grüne und FDP war es möglich, das grassierende Unbehagen in der Wählerschaft aufzunehmen. Das ist nun mal nicht die Schuld der AfD.
Wir werfen dem Hai nicht vor, dass er das Meer vom Kadaver säubert und nicht dem Wolf, dass er das schwache Wild reißt. Trotzdem genießen diese Tiere wenig Sympathie. Zur Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts sind sie aber notwendig.
Schießen an der Grenze ist NICHT legitim. Menschen bewusst ertrinken lassen ist NICHT legitim. Den Holocaust leugnen ist NICHT legitim.
Schießen an der Grenze ist nicht legitim.
Sag‘ das mal einigen in der ehemaligen SED-Staatspartei. Dort glauben das immer noch welche. Ansonsten ist das Schießen an der Grenze auf Unbewaffnete keine politische Forderung der AfD. Ich habe dazu in das Wahlprogramm der Partei zur Bundestagswahl 2017 geschaut – was ich Dir an dieser Stelle übel nehme. Es steht nicht drin, dass zur Verteidigung der Landesgrenzen auch auf Flüchtlinge geschossen werden darf. Das nächste Mal schaust Du rein, bevor Du solche Behauptungen lostrittst. Und es stimmt weder, dass dies in Talksendungen als legitime Forderung aufgemacht noch dort zum Konsens erhoben wurde.
Menschen bewusst ertrinken lassen ist nicht legitim
Im Grunde das Gleiche – siehe 1). Genauso gut könnte ich die Grünen zu Holocaust-Leugnern und Demokratiefeinden erklären, weil einige NGOs (oder deren Gründer) so argumentieren und diese NGOs wiederum mit den Grünen sympathisieren und dort weitgehend ihre politische Heimat gefunden haben.
Den Holocaust leugnen ist nicht legitim.
Gehört zu 1) und 2). Das Wort „Holocaust“ kommt im Wahlprogramm der AfD überhaupt nicht vor. Ich habe das überprüft.
P.S.: Das Programm verlinke ich nicht, kann sich jeder selber suchen.
Wer redet denn von der DDR?! Hat hier irgendjemand eine fucking Diktatur verteidigt?! Was soll denn der Blödsinn? Beatrix von Storch hat das gefordert. In der AfD-Basis ist die Forderung völlig normal. Mir wäre neu, dass sich die Partei je davon distanziert hätte. Es steht nicht exakt in diesen Worten im Programm? So the fuck what?! Lies mal die AfD-Positionen zur Bundeswehr, hör denen mal zu!
15% der AfD-Wähler bezeichnen Auschwitz als Lüge. FÜNFZEHN PROZENT. Das sind keine vereinzelten Irren. Mach die Augen auf! Und deine widerlichen, ekligen Vergleiche mit den Grünen kannst du dir sonstwohin stecken. Du hast sie doch nicht mehr alle.
Blätter noch mal zurück. Du hast behauptet, die Themen der AfD wären legitimiert worden und erzählst selbst den Blödsinn , dass Einzelpositionen oder nur Äußerungen ein politisches Thema ergäben.
Ich verstehe (und teile) ja Deine tiefe Abneigung gegen die AfD. In der politischen Analyse ist sie jedoch nicht hilfreich.
P.S.: Diesmal hatte ich die Grünen vor Überzogenem in Schutz genommen.
@ Stefan Sasse 1. Dezember 2019, 18:45
Schießen an der Grenze ist NICHT legitim.
Das hängt von der Situation ab. Auf Flüchtlinge zu schießen, weil sie Flüchtlinge sind, gehört definitiv NICHT in den legitimen Bereich. Auf jemanden zu schießen, der beim illegalen Grenzübertritt der Aufforderung von Polizei oder Grenzschutz, stehenzubleiben und sich auszuweisen, nicht reagiert und davonläuft, muss in jedem Land der Welt mit den Konsequenzen leben, die in den jeweiligen Gesetzen niedergelegt sind.
Menschen bewusst ertrinken lassen ist NICHT legitim.
Zustimmung.
Sich mit Absicht in Lebensgefahr bringen, um einen ansonsten illegalen Aufenthalt in einem anderen Land und die Versorgung im dortigen Sozialsystem zu erzwingen, ist ebenfals NICHT legitim.
Den Holocaust leugnen ist NICHT legitim.
Zustimmung
1) Nein. Mit exakt diesem Argument hat die DDR ihre Mauerschützen verteidigt und sie sich in den Prozessen, und zu recht lassen wir das nicht durchgehen.
2) Hier gilt dasselbe. Ein schlechter Akt macht nicht einen anderen wett. Wir erlauben der Polizei auch nicht, gesetzeswidrig Verbrecher zu foltern, weil sie was verbrochen haben. Flüchtlinge, die sich rechtswidrig in Gefahr begegeben, müssen trotzdem gerettet werden.
3) Danke 🙂 ^^
@ Stefan Sasse 8. Dezember 2019, 21:18
Mit exakt diesem Argument hat die DDR ihre Mauerschützen verteidigt …
Das ist nicht vergleichbar. Die einen wollten raus, die anderen rein. Und wer sich der Polizei zu entziehen versucht, muss mit Konsequenzen rechnen.
Wir erlauben der Polizei auch nicht, gesetzeswidrig Verbrecher zu foltern, weil sie was verbrochen haben.
Anderes Thema
Flüchtlinge, die sich rechtswidrig in Gefahr begegeben, müssen trotzdem gerettet werden.
Wenn ich über die Meer schippere und sehe jemandenim Wasser treiben, hole ich ihn/sie an Bord – soweit Zustimmung.
Aber die tatsache, dass der- oder diejenige sich an einer bestimmten Stelle ins Meer stürzen will, zwingt mich nicht, dahinzuschippern.
Der tödliche Schuss wird nicht angewandt, wenn sich jemand einfach nur dem Zugriff der Polizei entzieht.
Naja, im Originalargument wurde das deutlich vermengt.
Nein, das behaupte ich auch nicht. Ich sage nur, dass wir es tun sollten. Aber MÜSSEN tust du das natürlich nicht.
„Der Hai“ tötet auch arglose Schwimmer am Strand, und „der Wolf“ reißt auch Schafe im Pferch.
Argumentativer Schuss ins neoliberale Knie, Herr Pietsch.
Der Hai tötet Schwimmer aus Versehen, obwohl sie nicht zu seinem Beuteschema gehören.
Was damit gesagt werden sollte: jedes natürliche System hat „Reinigungsmechanismen“. Populisten wachsen dort, wo es Fehlentwicklungen gibt. Und die Fehlentwicklungen in unserer Demokratie wie marktwirtschaftlichem System sind ja unübersehbar. Auch solche Bewegungen wie F4F basieren auf solchen Fehlentwicklungen. Die Bewegung hat keine echten, funktionierenden Lösungsansätze (das ist ja mein Vorwurf, so wie die AfD entsprechende Vorwürfe kassiert), aber sie drückt ein Problem aus, das von Politik und Parlamentarismus in der Vergangenheit weitgehend ignoriert wurde.
Das gilt es nicht nur auszuhalten, sondern, wenn daraus demokratisch relevante Gruppen erwachsen, darauf zu reagieren und demokratische Lösungen zu entwickeln.
Mit dem letzten Satz bin ich einverstanden. Aber: die AfD ein „Reinigungsmechanismus“?
Hai und Wolf als Vergleich aus der Natur bereiten mir große Bauchschmerzen. Vielleicht wissen Sie noch aus dem Geschichtsunterricht, wer das Ideal des „freien herrlichen Raubtiers“ propagierte?
Nicht die AfD speziell, aber Populisten an sich. Sie versimplifizieren komplexe Probleme. Das spricht einerseits Menschen an, gleichzeitig geben diese aber regelmäßig zu Protokoll, dass sie sich von der populistischen Partei ihrer Wahl keine echten Lösungen versprechen.
Die Kompetenzwerte von Lega, AfD, Boris Johnson, FPÖ liegen selbst bei den eigenen Anhängern deutlich ohne jenen, die andere Parteien erzielen können. Der Hai ist nicht die Lösung, macht aber auf Defizite aufmerksam.
@ Stefan Sasse 1. Dezember 2019, 09:34
Ob die Partei selbst niedergeschrieben wird oder nicht spielt nicht die entscheidende Rolle; …
Nur insofern, dass die AfDler begannen, sich einzuigeln
… ihre Themen wurden permanent legitimiert.
Jein.
Natürlich war die Flüchtlingsdebatte in aller Munde, nicht nur bei der AfD. Aber dass Flüchtlinge ein Thema waren, lag nicht an der AfD, sondern an der Situation.
Und es wurde keinesfalls kontrovers und ergebnisoffen diskutiert, sondern stets in der Tonalität: „wer nicht so offen denkt wie wir, ist ein rechter Fremdenfeind und wahrscheinlich auch Nazi“.
Eine seriöse Diskussion hätte sein müssen: Was müssen wir tun? Was können wir tun? Was schaffen wir? Was schaffen wir nicht? Was sollten wir unbedingt lassen? Wo liegen Risiken? Wie gehen wir damit um?
Diese Diskussion wird bis heute nicht sachlich geführt, sondern ist von beiden Seiten durch moralisierende Standpunkte geprägt.
… à la „Wir finden die NPD nicht gut, aber ob alle Ausländer raus sollen müssen wir schon diskutieren“.
Das habe ich auch zur AfD nie gehört und nie gesehen; bestenfalls als überspitzter Standpunkt, damit man umso besser dagegen vorgehen kann.
Ich hab auch kein Problem damit die Flüchtlinge zu diskutieren, aber es war deren Framing, innerhalb dessen es geschah.
@ Stefan Sasse 2. Dezember 2019, 18:18
Ich hab auch kein Problem damit die Flüchtlinge zu diskutieren, aber es war deren Framing, innerhalb dessen es geschah.
Allein der Begriff „Flüchtlinge“ zeigt, dss es NICHT das framing der AFD war, sondern das Framing von Linken und Grünen, denen Angela Merkel, Sigmar Gabriel und viele andere folgten.
Inwiefern?
@ Stefan Sasse 2. Dezember 2019, 18:18
[Allein der Begriff „Flüchtlinge“ zeigt, dss es NICHT das Framing der AFD war, sondern das Framing von Linken und Grünen, denen Angela Merkel, Sigmar Gabriel und viele andere folgten.]
Inwiefern
Wer aus einem Kriegsgebiet flüchtet, ist ein Flüchtling mit Anspruch auf subsidiären Schutz – soll heißen, dass der zurückmuss, wenn sich die Situation ändert.
Wer aufgrund politischer oder religiöser Einstellungen, aufgrund seines Geschlechts oder seiner sexuellen Orientierung etc verfolgt wird, ist Asylant, und hat Anspruch auf Asyl.
Wer hierherkommt, um seinen Lebensstandard zu verbessern, ohne dass die ersten beiden Fälle gegeben sind, ist ein Einwanderer. Erhält er die Erlaubnis dazu, ist er ein legaler Einwanderer, wenn nicht, ist er ein illegaler Einwanderer.
das Framing ist gewesen, dass alle, die zu uns kamen (vom syrischen Kriegswaisen über Asylanten über illegale Einwanderer hin bis zum Rumänen, die sich im Rahmen der Flüchtlingskrise eine teure medizinische Behandlung verpassen ließ, die er daheim nicht hätte erreichen können), Flüchtlinge sind, die Anspruch auf Asyl haben.
Da ist soviel falsch dran (juristisch, wohlgemerkt). Aber die Regierung hatte aus nachvollziehbaren Gründen kein Interesse, zu differenzieren.
Die Leute aus Syrien waren erstmal alle Flüchtlinge. Dass es auch illegale Einwanderer gibt, und Asylbewerber, das ist sicherlich richtig. Aber ich glaube du wirst nicht abstreiten, dass das Gros „echte“ Flüchtlinge sind, oder?
@ Stefan Sasse 12. Dezember 2019, 22:04
Die Leute aus Syrien waren erstmal alle Flüchtlinge.
Fast (=99,9%) 🙂
Dass es auch illegale Einwanderer gibt, und Asylbewerber, das ist sicherlich richtig.
Aber ich glaube du wirst nicht abstreiten, dass das Gros „echte“ Flüchtlinge sind, oder?
Nein; für einen kurzen Zeitraum waren es hauptsächlich syrische Flüchtlinge, die Hilfe benötigten. Wiederum waren zuviele Rumänen, Armenier, Afghanen, Afrikaner etc. dabei, um diesen Anteil zu ignorieren.
Das alte Thema mit den nicht durchgeführten Kontrollen …
@ Stefan Sasse 30. November 2019, 19:28
Die NPD wurde immer konsequent ausgegrenzt. Die AfD nicht.
Aber sicher. Von Einordnungen der etablierten Parteien als Nazis, Rechte, Nationalisten, als moralisch unanständig abqualifiziert, bei Parteitagen von linken und grünen „Gegen“-Demonstranten bespuckt, geschlagen, mit faulem Obst beworfen – das volle Programm.
Die DVU hat 1998 in Sachsen-Anhalt 12,9 % bekommen – und die war eine reine Retortenpartei, die ihren Erfolg nur deswegen nicht konsolidieren konnte, weil sie sich in kürzester Zeit heillos zertritt.
Die AfD hat sich ebenfalls heillos zerstritten. Der Gründer wurde aus seiner eigenen Partei gemobbt. Seine Nachfolgerin trat unmittelbar nach der Bundestagswahl 2017 im Streit mit dem Rest der Parteispitze zurück. Mehrere AfD-Landtagsfraktionen haben sich nur Tage nach dem Einzug ins Parlament völlig zerlegt. Auch in diesem Aspekt beeindrucken mich also die Unterschiede zwischen der AfD und anderen rechtsextremen Parteien nicht besonders …
Ich denke ähnlich wie @Stefan Sasse, der Unterschied ist, dass der AfD relativ lange nicht der Ruch des Unappetitlichen angehangen hat. Selbst jetzt spielen die Medien ja nach jedem neuen Totalausfall immer noch komplett überrascht und fragen, wo das nun plötzlich herkommt.
@ TBeermann 30. November 2019, 21:59
Ich denke ähnlich wie @Stefan Sasse, der Unterschied ist, dass der AfD relativ lange nicht der Ruch des Unappetitlichen angehangen hat.
Das ist definitiv eine andere Realtität, als ich sie wahrgenommen habe.
Hm, ich weiß nicht. Ich sehe das ähnlich wie Stefan, die Datenbasis ist so gering und chaotisch, dass irgendwie alles etwas zutrifft, aber alles auch irgendwie zu kurz gesprungen ist. Am Ende kann jeder sein Lieblingsthema hineinprojezieren und hat vermutlich irgendwie recht.
Meiner Meinung nach krankt die ganze Sache schon daran, dass es die Prämisse voraussetzt, dass an Afd-Wählern irgendetwas ganz Besonderes ist. Dass sie irgendwie mehr, wichtigere oder besondere Sorgen haben.
Das glaube ich aber nicht, den meisten Kram findet man hoch und runter im gesamten politischem Spektrum und das auch nicht erst seit 10 Jahren. Abstiegsangst findet man doch überall, genauso wie das diffuse Gefühl, dass die Politik abgehoben ist und den Kontakt zum normalen Volk verloren hat oder ganz allgemeine Politikverdrossenheit.
Ich meine, kann sich auch nur irgendjemand vorstellen, so ein Gewese um die verbliebenen SPD-Wähler zu machen? Und mal ganz genau zu analysieren, warum sie diese Partei wählen und ob sie vielleicht ganz besondere Betreuung und Aufmerksamkeit brauchen? Gleiches gilt für die FDP, CDU & Co. Das passiert nicht, weil das natürlich auch Quatsch ist.
Aber kaum wählen die Leute durchgedrehte Nazi-Parteien, soll alle Welt losrennen und diese armen Menschen mal kräftig drücken. Nö sorry ohne mich. Die haben sich ganz freiwillig die Afd als ihre parlamentarische Vertretung ausgesucht und müssen es dann halt aushalten, mit der Afd in einen Topf geworfen zu werden und genauso bekämpft zu werden wie die Partei. Hier eine künstliche Trennung aufzubauen erscheint mir eher schädlich.
Exakt das.
Es stimmt ja nicht, dass der Verlust von SPD-Wählern kein Thema war. Im Gegenteil: sowohl die Partei-Linke als auch deren Konkurrenz machte lange darauf aufmerksam, dass die Sozialdemokratie so viele Anhänger an das Lager der Nichtwähler (und an die LINKE) verliere. Das Willy-Brandt-Haus reagierte darauf ab so 2010 mit einem deutlichen Linksschwenk. So bekam der eigentlich sehr bürgerliche Kandidat Peer Steinbrück das sozialistischste Programm seit knapp zwei Jahrzehnten aufgedrückt.
Natürlich unterscheidet sich die Wählerschaft der AfD deutlich von denen der anderen Parteien. In ihren Einstellungen bilden sie große Schnittmengen zur Gruppe der Nicht-Wähler, zumindest zu denen, wie sie vor 10 Jahren von Demoskopen beschrieben wurden. Überspitzt gesagt haben die Nichtwähler mit der AfD wieder ein Gesicht bekommen. Und das ist keineswegs so schön, wie die Jammerbilder in den Nullerjahren das gezeichnet haben.
Ich finde es tatsächlich als heuchlerisch, mit Verweis auf das Anwachsen des Nicht-Wählerlagers jahrelang eine „sozialere“ Politik einzufordern und sie als Zeichen der Ablehnung einer angeblich neoliberalen Politik nebst Arbeitsmarktreformen ins Feld zu führen und andererseits es zu kritisieren, wenn diese sich bei ihrer Rückkehr neue Parteien suchen. Bürger, die nicht ihrer staatsbürgerlichen Pflicht wie dem Recht nachgehen, ihre Repräsentanten zu wählen, sind oft nicht die sympathischsten Zeitgenossen.
Es stimmt ja nicht, dass der Verlust von SPD-Wählern kein Thema war. Im Gegenteil: sowohl die Partei-Linke als auch deren Konkurrenz machte lange darauf aufmerksam, dass die Sozialdemokratie so viele Anhänger an das Lager der Nichtwähler (und an die LINKE) verliere.
Natürlich, aber es wird anders darüber geredet. Ich hab letztes Mal die SPD gewählt, aber deswegen steht doch niemand bei mir auf der Matte, um mal ganz genau meine Sorgen und Nöte zu analysieren, genausowenig wie jemand auf die Idee kommt, du als FDP-Wähler bräuchtest irgendwie eine Art Sonderbetreuung.
Bei der AfD wird das Fass aber ständig aufgemacht, da ist der Subtext immer, dass es einen besonderen Verzweiflungsgrad braucht, um die AfD zu wählen. Ich halte das für einen gefährlichen Trugschluss.
Natürlich unterscheidet sich die Wählerschaft der AfD deutlich von denen der anderen Parteien.
Nein, tut sie eben nicht. Hier, ich hab extra eine bundesdeutsche Untersuchung mit Vergleichen zu anderen Parteien herausgesucht: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-08/afd-waehler-terrorbekaempfung-integration
Die meisten AfD-Wähler sind männlich, älter als 30 Jahre, durchschnittlich gebildet, und verdienen gut.
Das ist eher die Beschreibung des Supernormalos als dass man dort die verzweifeltsten Menschen der Republik vermuten würde.
Und dann gibts ja noch eine zweite Ebene, nämlich die Frage, ob es überhaupt irgendwelche guten Gründe geben kann und ob es wirklich besser oder nur weniger schlimm ist, wenn ein arbeitsloser Östler in einem gottverlassenem ostdeutschem Dorf die AfD wählt oder ein gutsitutierter Professor aus Berlin-Mitte.
Als Wähler der etablierten Parteien gibt man kein Votum gegen „das System“ ab, weswegen man dafür auch keine besondere Beachtung erhält.
Indirekt ist hier was Interessantes dazu: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-12/sozialdemokratie-arbeiterklasse-spd-afd-die-gruenen
@Stefan Sasse: Vielleicht ein Kandidat für das Vermischte…
[Natürlich unterscheidet sich die Wählerschaft der AfD deutlich von denen der anderen Parteien.]
Nein, tut sie eben nicht.
Sowohl Dein Link als auch jede demoskopische Wählernachbefragung ergibt, dass sich AfD-Anhänger sehr wohl von jenen anderer Parteien unterscheiden. Sie sind weit pessimistischer, autoritätsgläubiger und demokratiefeindlicher eingestellt als der Durchschnitt. Kurz: frustriert und wütend.
Wenn ein Unternehmen regelmäßig einen Gewinn von 1 Million Euro erwirtschaftet, versetzt dies das Management nicht gerade in Aufregung. Doch wenn er in einem Jahr auf Null fällt, ist Polen offen. Als die Linkspartei in der zweiten Hälfte der Nullerjahre ihren Wähleranteil bis 2009 auf 12% mehr als verdoppeln konnte, beeinflusste das natürlich die Politik aller konkurrierenden Parteien bis auf die FDP, mit der keine Schnittmengen bestehen. Die Verlängerung des Arbeitslosengeldbezuges für ältere Erwerbslose wie die Erhöhung des Schonvermögens im Hartz-IV-Bezug wären anders nicht gekommen. Nicht zuletzt die Linkspartei propagierte damals, Regierungspolitik aus der Opposition heraus zu betreiben. Als 2013 dann der Anteil der LINKEN auf 8% fiel, sich seitdem darauf eingependelt hat bzw. inzwischen rückläufig ist, war dies bei der Konkurrenz eingepreist und löste keinen Anpassungsdruck mehr aus.
Seit 2017 haben wir die umgekehrte Situation. Die AfD konnte ihren Wählerstimmenanteil auf 16% mehr als verdreifachen. Da am Ende nur 100% verteilt werden, wurden diese anderen Parteien weggenommen. Die heutige Lethargie mutet seltsam an, denn wenn 16% der Wählerstimmen anders verteilt werden, tut dies irgendjemanden weh.
Ehrlich gesagt ist mir egal, wie die 16 Prozent auf ein Niveau von 8% heruntergedimmt werden. Wenn einige meinen, dies würde – anders als vor einem Jahrzehnt bei der linken Konkurrenz – durch Ignorieren gelingen, soll mir das recht sein. Nur muss man sich dafür ein Zeitfenster setzen. Wenn es in dem Zeitraum nicht gelingt das Ziel zu erreichen, den „regierungsuntauglichen“ Anteil zu verringern, muss eine andere Strategie erfolgen. Für diese Variabilität und der Zielverfolgung scheinen aber viele nach meinem Eindruck nicht bereit, die einfach die Partei nebst ihren Anhängern verteufeln wollen.
Bürger, die nicht ihrer staatsbürgerlichen Pflicht wie dem Recht nachgehen, ihre Repräsentanten zu wählen, sind oft nicht die sympathischsten Zeitgenossen.
Genau, es steht ja auch im GG, nur der sympatische Teil des Volkes sollte wählen, wenn die anderes es nicht tun, umso besser.
Als wäre Sympathie und Antipathie nicht etwas durch und durch Subjektives.
Auch Menschen im Anzug, die wählen, sind nicht immer sympatisch, wie Sie eindrücklich beweisen
„… aushalten, mit der Afd in einen Topf geworfen zu werden“
Ja, aber das wird denen nichts ausmachen. Das Problem haben WIR, wenn die mit ihren Stimmen Höcke und Kalbitz in Machpositionen bringen.
@ CitizenK 2. Dezember 2019, 15:29
Zustimmung.
@ Ariane 2. Dezember 2019, 00:21
Meiner Meinung nach krankt die ganze Sache schon daran, dass es die Prämisse voraussetzt, dass an AfD-Wählern irgendetwas ganz Besonderes ist. Dass sie irgendwie mehr, wichtigere oder besondere Sorgen haben.
Hm, eine Einschätzung, die ich nicht teilen kann.
Der Unterschied, den ich sehe, ist eher der, dass sich früher praktisch jede halbwegs relevante politische Position in irgendeiner Form in den Parteien abgebildet hat. Das hat sich seit der ersten Merkel-Groko deutlich verändert.
Ja, es gab auch früher Zuwanderungs-Skepsis; aber da gab es einen konservativen Flügel der CDU, der das irgendwie aufgenommen und kanalisiert hat. Nicht nur, dass die CDU unter Merkel das nicht mehr integrieren wollte, sie ließ auch in kürzester Zeit über eine Million Menschen weitgehend unkontrolliert ins Land, ohne Anstalten zu machen, den Zustrom zu stoppen.
Aber kaum wählen die Leute durchgedrehte Nazi-Parteien, soll alle Welt losrennen und diese armen Menschen mal kräftig drücken.
Das war keine durchgeknallte Nazi-Partei, sondern ein professoral angehauchter, konservativer Wirtschafts-Wahlverein, der mit fachlich kompetenten, aber farblosen Führern wie Hans-Olaf Henkel oder Bernd Lucke keine Wurst vom Teller ziehen konnte.
Und nein, drücken soll man die Leute nicht. Aber sich argumentativ (nicht ideologisch!) mit denen auseinandersetzen sollte in einer Demokratie drin sein.
… und müssen es dann halt aushalten, mit der AfD in einen Topf geworfen zu werden und genauso bekämpft zu werden wie die Partei.
Cooles Schema. Ich trete jemanden in den Hintern, und wenn er schreit, haue ich ihm einen rein, weil er geschrien hat.
Die meisten Leute, die die AfD wählen, wählen die nicht, weil sie den neuen Adolf wollen, sondern weil sie sehen, wie trostlos, uninspiriert und wie wenig lösungsorientiert die Politik der Regierung Merkel ist.
professoral angehauchter, konservativer Wirtschafts-Wahlverein, der mit fachlich kompetenten, aber farblosen Führern
Naja, also dieser professoral angehauchte Wirtschaftsverein hat von der ersten Sekunde an ganz am rechten Rand gefischt, weil denen natürlich klar war, dass eine FDP auf Speed niemals die Fünfprozenthürde nehmen würde und man – vorsichtig gesagt – noch ein paar “andere” Leute brauchte für den politischen Erfolg. Und was dann passiert ist, ist im Zauberlehrling gut beschrieben …
@ Ralf 2. Dezember 2019, 23:01
Naja, also dieser professoral angehauchte Wirtschaftsverein hat von der ersten Sekunde an ganz am rechten Rand gefischt …
Das ganz würde ich streichen, weil eine Wirtschaftspartei nie ganz am rechten Rand angesiedelt ist. Ansonsten Zustimmung: Die Gründung der AfD ist eine Reaktion rechter Politiker auf die Kappung des rechten Flügels in der CDU.
Und was dann passiert ist, ist im Zauberlehrling gut beschrieben …
🙂 Treffend
Die meisten Leute, die die AfD wählen, wählen die nicht, weil sie den neuen Adolf wollen, sondern weil sie sehen, wie trostlos, uninspiriert und wie wenig lösungsorientiert die Politik der Regierung Merkel ist.
Ach ich weiß nicht, mir ist das kein Trost. Denn am Ende wählen der Hitlerjünger und der frustrierte Mensch beide eine teilweise rechtsextreme Partei. Und die AfD als ihre parlamentarische Vertretung ist nun mal das einzige, was wir sehen. Die Wähler an sich bleiben auch mit hundert Studien eine heterogene, unbekannte Masse.
Deswegen plädiere ich auch dafür, hier nicht ständig eine künstliche Trennung zwischen Wähler und Partei aufzubauen. Natürlich überschneiden sich nicht alle Wünsche einer Partei mit denen der Wähler, das ist aber immer so. Es gibt auch keine Partei, die nur genau das will, was ich will.
Aber wenn ich deiner Argumentation folge, landen wir irgendwann in total absurden Regionen. Dann soll ich bitte keine AfD-Wähler mehr rechtsextrem nennen, nur weil die eine rechtsextreme Partei wählen. Das ist doch beknackt.
Exakt mein Problem.
@ Ariane 3. Dezember 2019, 11:23
Ach ich weiß nicht, mir ist das kein Trost.
Mir doch auch nicht
Aber wenn ich deiner Argumentation folge, landen wir irgendwann in total absurden Regionen. Dann soll ich bitte keine AfD-Wähler mehr rechtsextrem nennen, nur weil die eine rechtsextreme Partei wählen. Das ist doch beknackt.
Wir diskutieren diese Situation hier ja schon länger, und es war stets meine Befürchtung, dass die erfolgte rabiate Ausgrenzung von Zuwanderungsgegnern diese in die AfD treibe, und dass dort dann eine Radikalisierung stattfindet. Genau das ist passiert, und passiert ständig weiter.
Die Zeit mag kommen, wo ein jeder AfD-Wähler entweder die Partei wieder verlässt oder rechtsextrem geworden ist. Was mich bewegt, ist, die durch die Ausgrenzung ausgelöste Flucht in die AfD-Blase möglichst zu verhindern. Ich habe das jetzt ein paarmal beobachten können, und finde das schlimm.
Abstiegsangst findet man doch überall, genauso wie das diffuse Gefühl, dass die Politik abgehoben ist
Naja, Abstiegsangst findet man nicht überall homogen in der gleichen Intensität und auch das Gefühl, dass die Politik abgehoben ist, ist mancherorts weniger diffus. Das ist eben auch das Kernargument, dass Stefan Sasse übersieht bei seiner Herleitung des Rechtsrucks.
So haben die erfolgreichen, wirtschaftsstarken Bundesstaaten New York und Kalifornien z.B. nicht Trump gewählt. Wer Trump gewählt hat, sind die desolaten Staaten des Rustbelt. Und in England hat nicht das erfolgreiche London für den Brexit gestimmt, sondern der deindustrialisierte, verarmte Norden. Und in Deutschland ist die AfD nicht in München oder Stuttgart stark, sondern im entvölkerten Osten und im verfallenden Ruhrgebiet.
Die mediale Ausgrenzung oder Nichtausgrenzung der AfD ist aber weitestgehend homogen. Das Ruhrgebiet hat nicht anderes Fernsehen, nicht anderes Internet als Stuttgart. Wie also soll Ausgrenzung diese Konzentrationen an Rechtswählern erklären?
Aber das widerspricht sich doch nicht? Die desolaten Regionen sind anfällig, und die mangelnde Ausgrenzung sorgt dafür, dass die AfD als akzeptable Alternative gilt (in reichen Regionen ist das weniger nötig, aber die Abgehängten wählen sie mangels Ausgrenzung auch hier). Wie du siehst, funktioniert das Argumentationssystem.
Nun, die regionale Ausprägung von Rechtsextremismus und das Pattern, dass es immer gerade die abgehängten, oft ehemals wohlhabenden Teile des Landes sind, die anfällig sind, legt ziemlich nahe, dass meine Theorie richtig ist. Dass Deine Theorie zusätzlich auch noch richtig ist, ist möglich, aber ohne Beleg … 😉
Ich meine, zu mehr will ich mich auch nicht hinreißen lassen. Ich habe schon oft genug betont, dass es nicht den EINEN Grund gibt, warum der Rechtsextremismus jetzt in die Parlamente einzieht.
@ Stefan Sasse 3. Dezember 2019, 08:12
… dass es nicht den EINEN Grund gibt, warum der Rechtsextremismus jetzt in die Parlamente einzieht.
Darauf können wir uns einigen.
Zu dem Artikel und der Diskussion möchte ich auch meine 3 Cent beisteuern:
a) Der Anteil an Personen mit mehr oder weniger geschlossen rechtsextremen Weltbild war bereits in den 80er/90er Jahren (SINUS-Studie) und 2000ern ( Heitmeier ) ziemlich stabil bei 10-15%. Diese waren früher zu einem Gutteil Nicht- oder Unions/FDP-Wähler. Heute haben sie eine erfolgversprechende Partei, die auf sie zugeschnitten ist.
b) von den übrigen AfD-Wählern glaube ich weniger, dass sie mit dieser Partei sympathisieren, weil sie in diesem Masse Fremden- und Demokratiefeindlich sind, sondern dass sie erstmal aus Wut und Frust über die bestehende Politik mit der AfD sympathisieren. Hier spielen die reale und gefühlte Vernachlässigung der ‚normalen Leute‘ durch die Politik eine Rolle, Sozialneid nach unten sowie die Angst davor, bei zukünftigen Veränderungen (wieder einmal) den kürzeren zu ziehen. Dann, wenn sie in dieser Denkschiene verhaftet sind, radikalisiert sich das politische Denken von selbst (confirmation bias, Filterblasen)
c) Die AfD hat ideologisch zwei unterschiedliche Kerne, die entgegengesetzte wirtschafts-und sozialpolitische Vorstellungen haben: Zum einen die neoliberal-nationalkonservative Linie von Storch/Weidel, und zum anderen der völkische Höcke/Kalbitz Flügel. Der Kitt, der diese Gruppen zusammenhält und für die Verbindung zu den in b) bezeichneten Enttäuschten sorgt, sind drei Ressentiments, die in den öffentlichen Äußerungen der Partei vorkommen: 1)Fremdenfeindlichkeit sowie verwandte Codes( Antiislamismus , Antiziganismus,…) . 2) Ein Hass auf alles, was von ihrer Warte aus zu „Links“ oder „Grün“ ist und rhetorisch gerne zum „linksgrünversifften“ Popanz/Strohmann aufgebläht wird. 3) Machtergreifungsfantasien („Aufräumen“) gegen die Institutionen, die im obigen Sinne zu „links“ (lies liberal) sind: Regierung , Parlament, Presse (staatlich wie privat) und unabhängige Gerichte.
Warum haben bzw. geben dann LINKE und SPD proportional gerechnet viele Stimmen an die AfD ab? Das kann nach Ihren 3 Cent nicht sein.
Ost-LINKE: Weil die da „Establishment“ sind. Die geben aber auch weniger ab, IIRC.
West-LINKE: Weil es als Protestwähler ein stärkeres Signal aussendet, AfD zu wählen. Im Gegensatz zur LINKEn gibt es vielleicht sogar irgendwann mal eine reale Machtperspektive. Verlockend…
Die SPD: Weil sie sich zu einer Akademikerpartei gewandelt hat, die einem großen Teil ihrer alten Stammklientel zu liberal geworden ist, meint Yascha Mounk: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-12/sozialdemokratie-arbeiterklasse-spd-afd-die-gruenen/komplettansicht
Passt schon zu Aspekten b) und c).
Ich weiß nicht. Dieser Wandel war ja schon in den 1960er Jahren, und damals sorgte er erst für den durchschlagenden elektoralen Erfolg der Jahre 1969+.
Ich vermute mal, Du beziehst Deine Antwort auf die SPD.
Lies den Artikel, genau darauf wird auch diskussionswürdig eingegangen. Das Argument ist: Die SPD konnte damals eine Koalition von Arbeitern und progressiven Akademikern schmieden, weil sie beiden Gruppen glaubhaft vermitteln konnte, dass ihre wirtschafts- und sozialpolitischen Ideen in deren Interesse seien. Mittlerweile seien diese Wählergruppen allerdings quasi entlang der Trennlinie „normalitär“ vs. progressiv/liberal bis zur Verfeindung gespalten, sodass die alte Strategie nicht mehr funktioniert. Man könnte da natürlich gegen einwenden, dass man der Sache vielleicht mit noch mehr „ökonomischem Populismus“ doch wieder beikommen könnte.
Oh, da stimme ich völlig zu. Ich denke nur dass das ein unlösbares Dilemma ist.
[ich beziehe mich wegen guten Zahlenmaterials und keiner Verfälschung durch lokale Effekte auf die Bundestagswahl 2017 ( https://wahl.tagesschau.de/wahlen/2017-09-24-BT-DE/wanderung_embed.shtml ) ] Der Schlüssel ist Frustrationswahl. Dass die Entfremdung der SPD-Führung von den Anhängern bei der Partei ein Push-Faktor ist, ist glaube ich kaum bestreitbar ( Wobei die Zahlen immer noch belegen, dass ein Sozialdemokrat eher stirbt, als zur AfD zu welchseln). Und die LINKE ist in den neuen Ländern staatstragend genug, um als ‚Systempartei‘ wahrgenommen zu werden. Grund für einen Protestwähler, sihch davon abzuwenden.
Viel spannender ( und nebenbei meinen Thesen zuträglich ) ist die Tatsache, dass es – trotz deren Radikalisierung – fast keine Wählerwanderung von der AfD weg zu andere Parteien gab.