Männer trainieren bei Bernd Lucke Ungleichheit in Thüringen und Chile – Vermischtes 31.10.2019

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Women At Ernst & Young Instructed On How To Dress, Act Nicely Around Men

The training was billed to participants as advice on how to be successful at EY, according to Jane, a training attendee and former executive director at the firm who’s in her early 40s. […] A long list of “Invisible Rules” for men and women on Page 13 paints a bleak portrait of contrasting communication styles. It says that women often “speak briefly” and “often ramble and miss the point” in meetings. By comparison, a man will “speak at length ― because he really believes in his idea.” Women don’t interrupt effectively like men. Women “wait their turn (that never comes) and raise their hands.” […] The so-called masculine traits included “Acts as a Leader,” “Aggressive,” “Ambitious,” “Analytical,” “Has Leadership Abilities,” “Strong Personality” and “Willing to Take a Stand.” The so-called feminine traits included “Affectionate,” “Cheerful,” “Childlike,” “Compassionate,” “Gullible,” “Loves Children” and “Yielding.” None of the feminine traits involved leadership ― ostensibly a focus of the training. […] Jane said the message was that women will be penalized, by both men and women, if they don’t adhere to feminine characteristics or if they display more masculine traits. And that if you want to be successful, you have to keep this in mind. […] Jane said that at the PPP training she attended last year, Clark coached the group in how to interact with men in the workplace ― advice that Jane wrote down in her notes and shared with HuffPost: 

  • Don’t directly confront men in meetings, because men perceive this as threatening. (Women do not.) Meet before (or after) the meeting instead.
  • If you’re having a conversation with a man, cross your legs and sit at an angle to him. Don’t talk to a man face-to-face. Men see that as threatening.
  • Don’t be too aggressive or outspoken.

“You have to offer your thoughts in a benign way,” Jane said, recalling the seminar. “You have to be the perfect Stepford wife.” It felt like they were being turned into someone who is “super-smiley, who never confronts anyone,” she said. (Emily Peck, Huffington Post)

Diese Fortbildung ist einfach der blanke Irrsinn. Eine einzige Ansammlung billigster Geschlechterklischees auf dem Level eines Herrenwitzes, verkauft als Erkenntnisse. Da bezahlen die Top-Leute der Top-Branchen hunderttausende von Dollar, um ihre Leute mit solcher gequirlten Kacke auszubilden und richten auch noch ihr ganzes Unternehmen danach aus. Und das sind diese angeblich so rational, pragmatisch agierenden, hochqualifizierten Götter der freien Wirtschaft, die um so vieles besser sind als der öffentliche Dienst. Wer mit so einer Fortbildung im öffentlichen Dienst aufschlagen würde, den würde man aus dem Raum lachen.

Und solche Indoktrination wird dann als natürliche Ordnung und/oder wirtschaftliche Realität verkauft. Erst drangsaliert man seine weiblichen Nachwuchskräfte in ideologischen Brainwashingseminaren, und dann bestätigt sich die Herrenriege gegenseitig nickend, dass die Frauen ja ohnehin kein Interesse an Führungspositionen hätten und, leider, leider, doch wieder ein weißer, geschniegelter BWL-Schnösel befördert werden müsse, mangels Alternativen, Sie wissen schon. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so zum Heulen wäre.

2) Von wegen „Nazi-Methoden“: Die falsche Inszenierung von Bernd Lucke als Opfer

Nun kehrt Lucke also an die Uni zurück, als wäre nichts gewesen. Dass ein gescheiterter Parteigründer und Prediger des reinen Wassers des Neoliberalismus selbst doch lieber den Wein des sicheren Beamtenverhältnisses trinkt, stößt einigen übel auf. Doch das geltende Recht räumt ihm diese Möglichkeit ein. Doch es wären von einer kritischen Öffentlichkeit durchaus Fragen zu stellen: Was hat einer, der sich politisch so verzockt hat, der die Bedrohung durch völkische Nationalisten in seiner Partei entweder nicht erkannt oder so lange geduldet hat, bis sie ihn hinfort jagten, jungen Studierenden beizubringen? Wie berufen ist jemand, „Makroökonomie“ zu unterrichten, dessen ökonomische Einschätzungen und Untergangsszenarien im Hinblick auf den Euro und den EU-Wirtschaftsraum– Stand heute – samt und sonders nicht eingetroffen sind? Auch Luckes wissenschaftliches Renommee ist umstritten. […] Dass dieser Jargon, dieses Kokettieren mit ethnischer Säuberung auf die Bühne der deutschen Politik zurückgekehrt ist, verdanken wir nicht zuletzt Bernd Lucke. Man mag sich ausmalen, was es für Studierende mit Migrationshintergrund heißt, bei einem zu studieren, der Flüchtlinge für „Bodensatz“ hält. Man mag sich hineinfühlen in diejenigen, deren berufliche Karrieren nun wieder vom Votum eines Bernd Lucke in Berufungskommissionen und Prüfungsausschüssen abhängen. […] Wo waren die ganzen Freiheitsmahner und Demokratiewächter eigentlich, als es darum gegangen wäre, Lucke zu konfrontieren? Nie wurde er von der medialen Öffentlichkeit für das zur Verantwortung gezogen, was er an Zerstörung von politischer Kultur in diesem Land angerichtet hat. Dafür, dass er eine Partei geschaffen hat, die das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlichster Herkunft und Ansichten in diesem Land infrage stellt. Um es mit Alexander Gauland zu sagen: Eine gestörte Vorlesung ist dagegen ein Vogelschiss. (Andre Reijsin, Übermedien)

Ich möchte gleich vorwegstellen, dass ich kein Fan der Blockade von Luckes Vorlesung an der Hamburger Uni bin. Aber der Untergang des Abendlandes ist es sicher nicht. Es ist ein Studentenprotest. Studentenproteste ohne Störung von irgendwelchen Vorlesungen oder des Universitätsbetriebs sind schlechterdings unvorstellbar. Dumme Protestaktionen zu machen ist quasi Teil der studentischen Erfahrung. Ich erinnere mich noch an unsere Proteste gegen die Einführung der Studiengebühren 2005. Das Eindringen in die Bannmeile des Landtags schien damals Höhepunkt strategischer Weisheit, und das Hineinbrüllen von „reiche Eltern für alle“ in irgendwelche Vorlesungen war bewundernswerter Aktionismus. In Baden-Württemberg steht die Demokratie und Wissenschaftsfreiheit noch.

Was Lucke erreichen will ist Selbstinszenierung und Selbstüberhöhung auf der einen und das Vergessenmachen seiner schmutzigen Vergangenheit auf der anderen Seite. Bisher hat Lucke noch keinerlei Aufarbeitung betrieben oder seine Verantwortung in der Etablierung von Rassismus und Rechtsextremismus im öffentlichen Raum thematisiert. Solange er sich als bürgerlicher Saubermann darzustellen versucht, werde ich sicherlich keine Krokodilstränen weinen, wenn er in der Öffentlichkeit nicht ohne Störung auskommt. Wer in der öffentlichen Arena mit Schmutz um sich wirft muss mit Echo rechnen. Aber Verantwortung für die eigenen Taten wird im bürgerlichen Bereich ja bekanntlich eher klein geschrieben.

3) „Narzissten trauen wir Führungspotenzial zu“ (Interview mit Tomas Chamorro-Premuzic)

ZEIT ONLINE: Das heißt, dass Unternehmen sich mehr Mühe geben müssten, das Führungspotenzial der Chefs richtig einzuschätzen. Gibt es eine Möglichkeit, schon im Vorstellungsgespräch zu erkennen, dass jemand ungeeignet ist?

Chamorro-Premuzic: Das geht, ist aber schwierig. Denn auch Narzissten und Psychopathen schneiden in Interviews sehr gut ab. Um zu vermeiden, dass unsere Intuition uns in die Irre führt, müssen die Fragen sorgfältig ausgewählt sein, sie müssen allen Bewerbern gestellt werden und die Antworten müssen nach einem vordefinierten Algorithmus ausgewertet werden. Wenn man jemanden nur als charismatisch bezeichnet, ist das nicht rational.

ZEIT ONLINE: Und welche rationalen Faktoren machen jemanden zu einem guten Chef?

Chamorro-Premuzic: Lernfähigkeit, emotionale Intelligenz, soziale Kompetenz und Integrität. Ein kompetenter Chef ist jemand, der einen Haufen Menschen dazu bringt, ihre persönliche Agenda beiseitezulegen, um etwas zu erreichen, das sie alleine nicht schaffen könnten. Kompetente Führungskräfte sorgen dafür, dass sich die Teammitglieder vertrauen, alle sich einbringen und zusammen Leistungen bringen, mit denen sie andere Teams übertreffen. […] 

ZEIT ONLINE: Was können Frauen in Unternehmen tun, damit sie selbst in Führungspositionen kommen?

Chamorro-Premuzic: Diese Frage – die ich immer wieder höre – ist nicht die richtige. Das eigentliche Problem ist das System. Ratschläge wie: Sei selbstbewusst! Bring dich ein! Bau dir eine Marke auf! Oder: Lean in – wie es das Buch der Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg sagt –, können bei einzelnen Personen wirken, aber sie verstetigen ein System, das sich zu sehr auf die falschen Funktionen konzentriert. Die richtige Frage wäre: Was sollen wir tun?

ZEIT ONLINE: Gut. Was sollen wir also tun?

Chamorro-Premuzic: Wenn Sie es kompetenten Frauen leichter machen wollen, befördert zu werden, sollten Sie damit beginnen, es für inkompetente Männer schwieriger zu machen. Denn die belegen leider viele Plätze, die sowohl von kompetenten Frauen als auch von kompetenten Männern besetzt werden könnten. (Maria Mast, ZEIT)

Das Fundstück hier passt gut zu Fundstück Nummer 1. Die Freie Wirtschaft hebt absurd bescheuerte ideologisch motivierte Werte aufs Podest und erklärt diese dann zum Naturgesetz. Dabei zeigt die Forschung beständig in eine andere Richtung. Aber die Selbstreproduktion ist deutlich stärker. Narzissten und aggressiv-dominant auftretende Chefs ziehen ebenso narzisstische und aggressiv-dominant auftretende Nachfolger heran. Und da Aggression männlich konnotiert ist, werden tendenziell männliche Führungskräfte rekrutiert. Auch hier bietet der öffentliche Dienst mit seinen völlig anders strukturierten Beförderungsmodellen ein interessantes Gegenmodell, das die Privatwirtschaft einmal zur Kenntnis nehmen sollte, wenn sie über den eigenen ideologischen Schatten springen können.

4) Worte, die vergiften

„Aber Sprache dichtet und denkt nicht nur für mich, sie lenkt auch mein Gefühl, sie steuert mein ganzes seelisches Wesen, je selbstverständlicher, je unbewusster ich mich ihr überlasse“, schreibt Victor Klemperer in „LTI – Notizbuch eines Philologen“, und ergänzt: „Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ Vielleicht haben sich wirklich viele den Worten unbewusst überlassen und nicht bemerkt, wie sie nach und nach alles vergiften, wie die Rede von der „politischen Korrektheit“, wie Arsen, nach und nach alles zerstört. […] Das Fatale ist nicht allein, dass dies genau der politischen Absicht der rechtsextremen Bewegungen und ihrer politischen Marionetten entspricht. Der Trigger-Begriff des „politisch Korrekten“ (ähnlich wie der der „Umvolkung“ oder des „Genderwahns“) war immer schon Kern jenes Product-Placements, das das eigene antidemokratische, völkisch-autoritäre Dogma unbemerkt ins Herz der Gesellschaft transportieren wollte. Da ist es nun angekommen. Alice Weidel und Björn Höcke können sich gelassen zurücklehnen, weil der rhetorisch-affektive Kitt zwischen den rechtsradikalen Fanatikern und der bürgerlichen Mitte jetzt auch ohne ihr Zutun wirkt. […] Deshalb reicht es nicht, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nur dann zu registrieren, wenn gerade ein terroristischer Anschlag verübt wurde, es reicht nicht, „Nie wieder“ zu deklarieren, wenn im Alltag immer wieder jene Hierarchisierungen von Menschen als „echte“ oder „unechte“, als „von hier“ oder „Gesindel“, als „zugehörig“ oder „anders“ toleriert werden. Es reicht nicht, sich auf einmal für Rassismus und Antisemitismus zu schämen, wenn im Alltag schamlos all jene alleingelassen werden, die sich ihm in Schulen oder Vereinen, in Kirchen oder Clubs entgegenstellen. All die vollmundigen Erklärungen und Maßnahmen gegen rechtsradikale, völkische Fanatiker nützen nichts, wenn gleichzeitig all jene Bürgerinnen und Bürger herablassend bespöttelt werden, für die Respekt vor anderen keine elitäre Zumutung, sondern eine soziale Selbstverständlichkeit bedeutet. Es ist trostlos, dass das Plädoyer für universale Menschenrechte, für rechtsstaatliche Institutionen und politische Vernunft mittlerweile als radikale, randständige Position gilt. (Carolin Emcke, Süddeutsche Zeitung) 

Ich habe hier im Blog immer wieder darauf hingewiesen, wie problematisch es ist, Sprache und Framing der Rechten zu übernehmen. Das betrifft gerade Begriffe wie „Genderwahn“ oder Ähnliches. Wie Emcke überzeugend darstellt, hat ihre Legitimierung durch die Verwendung eben nicht rechtsextremer Akteure – wie sie hoffentlich alle Leser dieses Blogs sind – eine toxische Wirkung.

Das entspricht nicht einem Sprach- und Diskussionsverbot. Für alle diese im rechtsradikalen und rechtsextremen Spektrum verwendeten Phrasen gibt es Entsprechungen oder wenigstens Umschreibungen, mit denen man die Übernahme und Normalisierung vermeiden kann.

Ich schreibe auch nicht von Begriffen wie „Revolution“ oder „Klassenkampf“ oder bezeichne die Besetzung des Hambacher Forsts als „gesellschaftliche Notwehr“ oder solchen Blödsinn, weil ich die Legitimation des spinnerten linken Rands ebenso vermeiden will wie meine Assoziation damit. Das geht manchmal nur um den Preis, sich von etwas distanzieren zu müssen, dem man eigentlich zustimmt. Aber damit gilt eben umgekehrt auch: Wer das nicht tut, der macht sich gemein mit dem extremen Rand, der hat kein Problem mit der Assoziation. Und muss sich die entsprechenden Angriffe auch gefallen lassen.

5) “How Will You Pay For It?” Is the New “But Her Emails”

Every Democratic candidate is stuck in between two unsavory positions on healthcare: either open yourself to unfair GOP attacks by proposing the same sort of system that gives people better care at lower cost in nearly every developed country in the world, or avoid those attacks but promote a half-measures plan that doesn’t actually solve the cost problem. But whether one takes the cautious and ineffectual Biden approach, the cagey Warren approach, or the open yet politically risky Sanders approach, everything is predicated on the notion that a candidate’s healthcare plan must be paid for. Meanwhile, Trump and the GOP have blown open a nearly $1 trillion dollar deficit hole, a 26% increase from 2018 despite benefiting from an economy that is running at full tilt by traditional metrics. They’ve done this mostly through a combination of giant tax cuts for corporations and the wealthy, as well as through huge increases to the military budget and handouts to make up for Trump’s self-inflicted trade war. None of this Republican spending was paid for, any more than the Reagan tax cuts were, or the Bush tax cuts, or the invasion of Iraq, or any of the other federal largesse Republicans have doled out over the decades to wealthy corporations, shareholders, military contractors, fossil fuel interests and industries disproportionately benefiting their rural/exurban white male base. Not only was none of it paid for, there was barely any debate over paying for it, either in the halls of Congress or on the campaign trail. The Republican debates in 2016 featured nary a word about how to pay for their tax cut and spending proposals. Despite the power of the supposed Tea Party, none of the GOP candidates were forced back to the policy table to add pay-fors to their plans. (David Atkins, Washington Monthly)

Der Analyse von Atkins ist wenig hinzuzufügen. Die Democrats sind gut beraten, diese Angriffe zu ignorieren. Sie sind nichts weiter als Ablenkungsmanöver. Niemand ist daran interessiert, wie die Gesundheitsreformen bezahlt werden sollen. Jeder, der diese Frage stellt, will einfach nur, dass der jeweilige Kandidat erklärt, die Steuern erhöhen zu wollen. Die Journalisten wollen das, weil sie dann ihre billigen Schlagzeilen haben und wochenlang die gleichen Texte schreiben können, die sie immer schreiben; die Republicans wollen es aus dem gleichen Grund, aber sie müssen dann nicht mal mehr arbeiten. Es ist eine völlige Scheindebatte, die das Messen mit zweierlei Maß deutlich zeigt. Keine Sau fragt je Konservative, wie sie ihre Pläne zu finanzieren gedenken.

6) William Taylor’s testimony should be game over for Trump

For those who might be inclined to believe that „we do that all the time,“ in the now-infamous words of soon-to-be-under-the-bus Mulvaney, and for the 46 percent of Americans who told New York Times pollsters that this is more or less what they expect of government officials anyway, it is worth a reminder that even by the incredibly lax standards of a city overrun by lobbyists, grifters and rent-seekers, Trump and Giuliani’s Ukraine plot was both illegal in a legal sense and totally insane as a foreign policy. It was illegal because it violated the Federal Election Campaign Act’s prohibition on soliciting a thing of value (dirt on Biden and the Democrats) from a foreign national, and it would be so even if Hunter Biden spent 2015 stuffing his pants with laundered Ukrainian cash, which he did not. In less dry terms, the nonsense investigations that Trump’s henchmen sought from Zelensky would have immediately destroyed Joe Biden’s campaign and led to endless, negative speculation about the DNC, all based on a pile of b.s. so high it would eclipse Trump Tower. It is an incredible abuse of power, the act of a madman drunk on his power and operating with the not-unreasonable belief that his impunity is total and timeless, a crook who surrounds himself with other crooks who are too dumb to get away with their crimes. […] The bigger picture is this: The president of the United States is a corrupt, oafish criminal willing to twist American foreign policy to benefit his re-election prospects, and willing to brazenly violate the law and abuse the powers of his office to do so. In a sane country with properly functioning political institutions and parties, this maniac would be forced to slink out of the White House tomorrow and hold his arms out for the handcuffs. That he still has, as of today, the support of both his congressional sycophants as well as the enthusiastic admiration of his rank-and-file voters suggests that this country is much more vulnerable to a slow-motion authoritarian takeover than even the most alarmist critics suspected at the outset of this nightmare presidency. (David Farris, The Week)

Es lohnt sich immer wieder darauf aufmerksam zu machen, wie krass die Verfehlungen Trumps sind und wie eindeutig seine Schuld. Es ist nur für das Thema völlig belanglos. Wie ich in meinem Artikel zum Thema beschrieben habe, ist das Impeachment ein politischer Prozess, kein juristischer. Alles, was zählt, sind Mehrheitsverhältnisse. Das Vorgehen der Republicans im Allgemeinen und Trumps im Speziellen ist es, alle mit sich hinunter in den Dreck zu ziehen.

Es ist republikanische Strategie seit spätestens Ronald Reagan, die politischen Institutionen, in denen man selbst arbeitet, zu sabotieren und mit Schmutz zu bewerfen. Das Ansehen des Kongresses als Institution ist im mittleren einstelligen Prozentbereich! Das ist kein Zufall, sondern eine mittlerweile jahrzehntelange Strategie von rechts. Ihr Versuch ist es, alle Seiten als gleich schmutzig, gleich verwerflich darzustellen.

Deswegen ist der weit verbreitete Politik-Zynismus („alle korrupt“, „alle lügen“) auch so zersetzend. Den Rechten hilft es, weil sie lügen und korrupt sind, und sie können es mittlerweile so offen tun, weil wegen des permanenten Bothsiderismus ohnehin jeder immer das Schlimmste annimmt. Wenn man sich mit den Schweinen im Schlamm wälzt, werden alle schmutzig, aber den Schweinen gefällt es so. Die alte Weisheit bleibt wahr.

7) If Anyone Should Be Complaining About Unfair Political Attacks It’s Hillary Clinton

This is also why, other than the importance of congressional fiscal responsibility, few canards are more sacred to mainstream elites than the political independence of the Federal Reserve. Ask any mainstream economist or economics reporter why it’s bad for the Fed to obey President Trump’s whims, and the answer you’ll get is: if politicians controlled the Fed’s monetary policy, we’d get runaway inflation. The theory here is that elected officials cannot be trusted to manage the competing priorities of jobs versus price stability. The task must be given to well-trained technocrats — i.e. the officials at the Fed. What no one notices is that the logic justifying the Fed’s design and role also just happens to completely negate the logic behind demanding balanced budgets from Congress. If Congress ever threw caution to the wind and just massively deficit spent, driving us past full employment and into a serious bout of inflation, the Fed could always step in and hike interest rates — shaving just enough demand off the top to keep the economy trucking without pitching into overheating. In short, if giving the central bank political independence and control over interest rates is a good idea that works, it cannot simultaneously be the case that Congress needs to adhere to „fiscal discipline.“ The whole point of setting up the Fed this way is to inoculate the economy against willy-nilly fiscal excess — to remove the need for congressional discipline. Let’s return to our hypothetical Warren scenario: She wants to pass Medicare-for-all. When reporters ask how she’ll pay for it, she could simply respond, „I won’t. I’m going to finance the whole thing with deficits, and the Fed can do whatever it needs to do to keep inflation in check.“ That would be a 100-percent serious and legitimate response. (Jeff Spross, The Week)

Ich erinnere an meinen Artikel über MMT, in dem ich darauf hingewiesen habe, wie diese Theorie (die vor allem von Bernie Sanders‘ ökonomischer Beraterin Stephanie Kelton populär gemacht wurde) für die Progressiven dieselbe Funktion einnehmen kann, wie es das Gerede von der Laffer-Kurve und dem selbsttragenden Aufschwung seit mittlerweile 40 Jahren für die Konservativen tut. In dem Moment, in dem die Medien und die Öffentlichkeit diese Argumentationslinie als möglich akzeptieren, löst sich das politische Problem der Staatsverschuldung und Programmfinanzierung in Luft auf.

Ich wiederhole noch einmal meine Einschätzung aus dem Artikel damals: Ich habe keine Ahnung, wie tragfähig das ökonomisch ist. Politisch allerdings bietet es einen so attraktiven Ausweg aus dem aktuellen Dilemma, dass es an ein Wunder grenzte, wenn nicht in näherer Zukunft ein Kandidat darauf zurückgreift. Artikel wie der obige mögen erste Zeichen einer Trendwende sein.

9) Und nun wieder gaaanz viel zuhören

Nun ist es vielleicht im Einzelnen müßig zu klären, woher die mentalen Verwahrlosungen stammen, die einen dazu bringen, für eine offen rassistische und offen antidemokratische Partei zu stimmen, nur weil der Bus nicht kommt oder ein Windrad den freien Blick auf eine Kuhwiese trübt. In etlichen Kommentaren zur Thüringen-Wahl aber wurde eine offensichtliche Erklärung einfach verworfen, indem es dort hieß: Knapp 24 Prozent hätten für die AfD gestimmt, obwohl an ihrer Spitze ein Rechtsextremer steht, als sei dies ein Beweis für die dramatische Lage des Seelenhaushalts, aus der heraus sich diese 24 Prozent nicht anders zu helfen wüssten. Dass sie allein deshalb für Höcke stimmten, weil er ein Rechtsextremer ist, scheint den Kommentatoren wohl zu abwegig gewesen zu sein. Den einen womöglich aus unerschütterlicher Gutmütigkeit, den anderen womöglich aus kalkuliertem Opportunismus, der in der AfD-Wählerschaft bloß verirrte Menschlein sieht, die fürderhin noch potenzielle Wähler, Zuschauer oder Leser sein könnten. Wenn man selbst nur eine Idee hätte, welches Angebot man ihnen machen müsste. Seit einiger Zeit hat sich im Umgang mit der AfD und ihrer Klientel die sozialtherapeutische Vorstellung eingeschliffen, man müsse einfach „mehr zuhören“ und der Fall erledige sich von selbst. Kaum eine Floskel ist in den vergangenen Jahren so hyperinflationär strapaziert worden wie die vom „Reden“ und die vom „Zuhören“. Sie suggeriert nicht nur, hier gehe es vor allem um fehlgeleitetete Befindlichkeiten und um akutes Emotionsmanagement und weniger um manifeste Gesinnungen. Sie suggeriert auch, der große Zuspruch der AfD sei vor allem das Produkt eines zuvor verfehlten Kommunikationsprozesses der anderen Parteien und nicht etwa der eines geglückten der AfD selbst. Diese autorisiert Ressentiments, sie legitimiert einen Du-darfst-Rassismus, den offenbar viele schon mit sich herumgetragen haben könnten. (David Hugendick, ZEIT)

Hugendicks Argumentation ist ebenfalls eine, die ich seit längerem hier vertrete. Ich hasse diese Infantilisierung der Wähler, als ob die alle zu blöd seien zu sehen, für was sie da ihre Stimme abgeben. Es ist völlig irrelevant, wie angepisst jemand ist und wie berechtigt die Wut auf die generellen Umstände sein mag. Nazis zu wählen ist keine akzeptable Alternative, ist kein Denkzettel, ist zu verachten. Die 24% der Thüringer Wähler, die ihre Stimme einer Neonazi-Partei gegeben haben, geben ein Bekenntnis gegen die pluralistische Demokratie ab. Ich höre diesen Leuten zu. Sie sagen „ja“ zu Gewalt, „ja“ zu Diktatur, „ja“ zu Unterdrückung, „ja“ zu Rassismus, „ja“ zu Sexismus. Wie lange soll ich ihnen noch zuhören?

10) Chile Is a Victim of Its Own Success

But the question inevitably follows: If Chile is so successful, why are the streets exploding in rage? One possibility is that the common metrics cited above simply miss some important elements of social or economic failure. Chileans might be feeling more economically precarious. They may feel that a narrow elite dominates the political process and denies them a true voice. Or they might simply care a lot about prices of certain daily goods, such as train tickets. Alternatively, protests like Chile’s might simply be an outgrowth of the rise of social media. In his book “The Revolt of The Public and the Crisis of Authority in the New Millennium,” former CIA analyst Martin Gurri theorizes that social media has made large protests so easy to start that essentially any reason for discontent — anger about history, a vague feeling of being cheated by elites, disappointment with government’s failure to live up to grand promises — now tend to spill into the streets. But it’s possible that Chile’s very success during the past three d ecades is what’s driving discontent now. Although Chile’s growth was fast for 22 years, it has slowed down recently, possibly due to falling commodity prices. In 2018, real per capita income was only 5% higher than in 2013. And most of the drop in inequality ended by 2006. A generation raised on expectations of steadily rising living standards, burgeoning freedom and increasing equality might be enraged that those expectations weren’t fulfilled. This idea, called a revolution of rising expectations, has been used to explain protests and revolutions across the centuries, from the French Revolution to the unrest of the 1960s and 1970s. It implies that rapid bursts of progress followed by pauses tend to stoke uprisings. Chile may well be a victim of its own success. If that’s the case, Chile has little option but to wait out the unrest. (Noah Smith, Bloomberg)

Ich habe diese Theorie mittlerweile an mehreren Stellen gelesen, und sie klingt grundsätzlich sehr überzeugend. Ich denke, die Anwendung lohnt sich auch auf Ostdeutschland. Geht man rein von statistischen Indikatoren aus, geht es der Bevölkerung dort unzweifelhaft besser als 1990, geht es ihnen besser als 2000, geht es ihnen besser als 2010. Die Zahlen zeigen beständig nach oben, der Aufbau Ost ist grundsätzlich eine Erfolgsgeschichte. Aber: So was passiert halt nicht in einem Vakuum. Der Mensch vergleicht sich doch immer mit den Nachbarn, und den Menschen in Westdeutschland geht es deutlich besser als denen im Osten, und das Gesamtdeutsche, ja, fast weltweite Phänomen eines erlahmenden Aufschwungs trägt massiv zur Unruhe bei. Was Smith hier vorschlägt – einfach abwarten – ist vermutlich tatsächlich das Einzige, was man tun kann. Die Frage ist nur, ob Demokratie und Rechtsstaat diese Wartezeit überleben. Siehe auch Fundstück 11 zum Thema.

11) Chile: The poster boy of neoliberalism who fell from grace

While Chile leads Latin America in GDP per capita, it also leads it terms of inequality. In 2015, its level of income inequality was higher than in any other Latin American country except for Colombia and Honduras. It exceeded even Brazil’s proverbially high inequality. The bottom 5% of the Chilean population have an income level that is about the same as that of the bottom 5% in Mongolia. The top 2% enjoy the income level equivalent to that of the top 2% in Germany. Dortmund and poor suburbs of Ulan Bataar were thus brought together. Chilean income distribution is extremely unequal. But even more so is its wealth distribution. There, Chile is an outlier even compared to the rest of Latin America. […] Such extraordinary inequality of wealth and income, combined with full marketization of many social services (water, electricity etc.), and pensions that depend on the vagaries of the stock market have long been “hidden” from foreign observers by Chile’s success in raising its GDP per capita.  But the recent protests show that the latter is not enough. Growth is indispensable for economic success and reduction in poverty. But if there Is no social justice and minimum of social cohesion, the effects of growth will dissolve in grief, demonstrations, and yes, in the shooting of people. (Branko Milanovich, Global Inequality)

Eine andere Interpretation der chilenischen Krise findet sich hier. Für Branko Milanovic ist Ungleichheit der Quell des Übels. Wo Smith in Fundstück 10 noch betont, dass die Ungleichheit gegenüber der Pinochet-Zeit stark abgenommen habe – ein Teil des Erfolgs, der in seinem Artikel angesprochen wird – betont Milanovic, wie hoch sie immer noch ist. Vermutlich arbeiten beide Faktoren zusammen. Denn diese riesigen Ungleichheiten mit einer schmalen Klasse von Superreichen und einer armen Bevölkerung finden sich oft auf der Welt.

Relevant ist ja vielmehr, dass es nach oben ging – aber eben nicht genug und nicht für alle. Der Erfolg Chiles bringt diese Ungleichheiten, die durch den Erfolg geringer werden, ja überhaupt erst aufs Tablett. Es ist der gefährlichste Punkt für solche Gesellschaften: Zum ersten formuliert eine neu entstandene Mittelschicht Forderungen und Erwartungen, die es vorher nicht gab, und zeigt sich massiv enttäuscht, wo diese nicht erfüllt werden können. Das steht einigen Staaten der Welt, wie etwa China oder Indien, noch aus.

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  • Ariane 31. Oktober 2019, 11:34

    zu 1)
    Ich muss ja gestehen, dass ich lachen musste. Das trauriglustige ist ja, dass solche Stereotype immer ganz ernst vorgetragen werden und die wahnwitzigen Widersprüche gar nicht mehr auffallen. Männer sind total themenfokussiert, egal was passiert. Außer irgendwo ist ein Fitzelchen Haut zu sehen, dann verwandeln sie sich in sabbernde Tiere ohne Selbstkontrolle.
    Genauso sind sie die starken, aggressiven Leadership-Helden – aber bloß nicht kritisieren, sonst kriegen sie nämlich Angst!!

    zu 2 und 4)
    Ich gebe dir recht, aber es ist nicht nur problematisch, die Sprache zu übernehmen, es ist auch die Themenpriorisierung.
    Der Lucke ist mir echt egal, aber ich war ehrlich erschrocken, wie extrem die „bürgerliche Presse“ da aufgesprungen ist und einen Alarmismus verbreitet hat, als wenn die ganze Demokratie kurz vor dem Abgrund steht, weil LuckeLindner nicht in Ruhe vorlesen können (danach ihren Kram aber zur besten Sendezeit im Fernsehen runterspulen) und das parallel zu einem Wahlkampf in Thüringen, in dem quasi jeder Spitzenkandidat mit dem Tod bedroht wurde. Was bei Lichte betrachtet viel problematischer für Demokratie/Meinungsfreiheit ist, in der Presse aber ziemlich unter ferner liefen abgehandelt wurde.

    zu 9)
    Ich hasse diese Zuhörfloskel, ich weiß auch gar nicht, wer damit angefangen hat, aber sie hat sich mittlerweile total verselbständigt. Da weiß doch gar keiner mehr, was überhaupt gemeint ist. Als wären Politiker und Presse dazu verpflichtet, bei jedem Bürger zu klingeln, um sich mal alle Sorgen und Ängste anzuhören wie so eine kostenlose Privattherapie. Und dann tun die das auch noch – man kann die ganzen Reportagenreisen und Zuhör-Wahlkämpfe gar nicht mehr zählen! – und wenn wir mal ehrlich sind, bleibt da wenig Substanzielles übrig. Ich will die strukturellen Probleme ja gar nicht kleinreden, aber dass dann immer die fehlende Apotheke im Dorf herhalten muss, um irgendwelche Naziwähler aus ihrer Verantwortung zu entlassen, ist kompletter Unfug. Ich wohne drei Schritte von der norddeutschen Tiefebene entfernt mit genau denselben Problemen und die AfD ist trotz fehlender Apotheken auf dem tiefsten Wert in Deutschland.

    • derwaechter 31. Oktober 2019, 12:33

      1)
      Pragmatisch ist der Rat nicht zu viel Haut zu zeigen allerdings nicht dumm. Man kann das Richtig oder Falsch finden, aber wer als Rechnungsprüfer ernst genommen (von Frauen oder Männern) werden will sollte auf Minirock oder tiefen Ausschnitt verzichten. Auf Goldkettchen und aufgeknöpftes Hemd übrigens auch.

      Das ist eine interessante allgemeine Frage. Sollten solche Kurse Tipps geben die Funktionieren oder sollen sie auf eine Idealwelt hinarbeiten, die es so noch nicht gibt.

      • Ariane 31. Oktober 2019, 13:58

        Ja, nur dummerweise lautete der Rat nicht: „Zieht euch businessmäßig an, um seriös zu wirken“, sondern „Frauen zeigen bitte gar keine Haut, weil sonst Leute irritiert werden (vornehmlich die superfokussierten Mänenr)“

        Das ist eine interessante allgemeine Frage. Sollten solche Kurse Tipps geben die Funktionieren oder sollen sie auf eine Idealwelt hinarbeiten, die es so noch nicht gibt.
        Also sowas sollte am besten weder angeboten noch nachgefragt werden, da kommen nur alle mit 50% weniger IQ wieder raus.

        Aber gut, gibt ja auch Tipps/Kurse nach dem Motto: „Frauen müssen aggressiver werden, dann sind sie genauso erfolgreich wie Männer“
        Ist nicht so dramatisch, aber ich persönlich sehe auch da schon Probleme.
        Zum einen „philosophisch“, weil man damit die männlich geprägte Businesswelt, in der Aggressivität per se super ist, einfach immer weiterspinnt.
        Und zum zweiten rein praktisch, weil das so nicht funktioniert und man einfach gegen die nächste Wand läuft. Das Problem ist nicht (nur), dass Frauen weniger aggressiv sind, sondern dass weibliche und männliche Aggressivität komplett unterschiedlich wahrgenommen werden. Und dann kommt die einzelne Frau aus so einem Kurs und muss feststellen, dass sie jetzt gar nicht als toughe, durchsetzungsstarke Führungspersönlichkeit anerkannt wird, sondern als hysterisch durchgeknallte Schreckschraube verschrien ist.
        Das sind halt gesellschaftliche Probleme, die man nicht mal eben auf einen Einzelnen runterbrechen kann.

        • Stefan Pietsch 31. Oktober 2019, 16:45

          In den USA gilt seit jeher der Grundsatz, dass Männer immer in Anzug und langem Hemd beim Mandanten aufzutreten haben. Also nix mit „damit Männern den Frauen nicht in den Ausschnitt klotzen“. Ein bisschen mehr Niveau, Ariane!

        • derwaechter 31. Oktober 2019, 19:32

          Ja, nur dummerweise lautete der Rat nicht: „Zieht euch businessmäßig an, um seriös zu wirken“,

          Doch, genau so lautet er. Es heisst nicht keine kurzen Röcke sondern nicht zu kurze Röcke. Es heisst nicht kein Makeup sondern nicht zu viel Makeup.

        • Stefan Sasse 2. November 2019, 08:48

          Exakt!

      • Stefan Sasse 2. November 2019, 08:46

        Das Problem ist nicht der Tip. Wenn ich einen Leitfaden für Männer rausgebe und da rein schreibe, dass es für die Karriere hinderlich ist, in der Nase zu pulen und laut zu furzen, würdest du auch nicht denken „Oh, richtig, danke für den Tipp“ sondern irritiert schauen, warum da jemand glaubt, dir so zu unterstellen, dass du das ständig machen würdest.

        • derwaechter 2. November 2019, 10:25

          Du wirst es (vielleicht) nicht glauben, aber Dresscode ist ein Bestandteil von Einführungkursen (ich habe selbst bei zwei grossen Unternehmensberatern gearbeitet). Viele nehmen das dankbar an tragen dann keine Motivkrawatten, bunte Socken oder Jeans am Casual Freitag (so als Beispiel das mit kurzem Rock vergleichbar wäre).

          Und glaube mir, viel Makeup oder zu kurze Röcke kommt deutlich häufiger vor als Pulen und Furzen.

          • Stefan Sasse 2. November 2019, 15:58

            Ok, dann nehmen wir einfach mal das Beste an. Der ganze Teil zum Verhalten alleine bleibt ja aber problematisch genug, und das färbt halt meine Wahrnehmung der Dresscode-Geschichten.

            • Stefan Pietsch 2. November 2019, 16:17

              Wirtschaftsprüfungsgesellschaften akquirieren fast ausschließlich Uni-Absolventen. Das ist die Nachwuchsschmiede. Und warum ist es so schwer vorstellbar, dass dort 23, 24jährige junge hübsche (okay, streiche das hübsch, habe ich in der WP praktisch nie angetroffen) Frauen auftauchen, die während des Uni-Betriebs im Sommer in Hot Pants und Miniröcken auf dem Campus herumgelaufen sind und vielleicht nicht automatisch wissen, dass sexy und jung sich nicht in einer Branche vertragen, wo man im Auftreten auf etwas Dezentes setzt?

              In dem Job haben es junge Leute in ihren Zwanzigern meist mit Leuten zu tun, die als Mitte Vierzig- und Mitte Fünfzigjährige einen gewissen Wert auf Seriosität legen und ohnehin schon Schwierigkeiten haben, einen 25jährigen Jungspund als Prüfer zu akzeptieren. Nicht ohne Grund sind die einfachen Prüfer bei den Abschlussbesprechungen zwar meist dabei, haben aber oft keinen Redetext.

              Sie können sich ihren Berufseinstieg natürlich noch ein bisschen schwerer machen, in dem sie Euren lockeren Ansichten folgen.

              • Ariane 3. November 2019, 00:03

                Jetzt hängt euch doch nicht so an den Klamotten auf. Ich fands hauptsächlich lustig, weil immer stand, dass Männer so superfokussiert sind, weil ihre Gehirne Waffeln sind. Und Frauen haben die Cupcakegehirne und plaudern in ihren Präsentationen halt so unmotiviert über dies,das und jenes.
                Und kurz darauf folgt eine recht lange Liste mit weiblicher Kleidung, die selbst für die besten Waffelgehirne irritierend und ablenkend wirkt.
                Eigentlich schreiend komisch, aber traurigerweise ist das ja deren voller Ernst.

    • derwaechter 31. Oktober 2019, 13:39

      Zu 2 und 4)
      Lucke wollte keine politischen Rede halten sondern an einer Vorlesung. Ich finde es sehr problematisch, wenn Leute aufgrund ihrer politischen Positionen an der Ausübung ihres Berufs gehindert werden.

      • Ariane 31. Oktober 2019, 14:10

        Ja, aber eine nicht stattgefundene Vorlesung ist weder ein Berufsverbot noch eine Gefahr für die Demokratie. Wenn die Leute nicht von alleine die Lust verlieren, dann muss man zur Not den Saal polizeilich räumen lassen und die Studenten vor der Uni einen Demo-Raum zuweisen.
        Das passiert bei Sitzblockaden alle Nase lang und niemand kommt auf die Idee, in einer Castorblockade eine allgemeine Demokratiegefahr herauszulesen.

        • derwaechter 31. Oktober 2019, 19:26

          Die dritte in Folge!

          Dieses Gerede vom Ende der Demokratie ist doch ein Strohmann. Die ernsthaften Kritiker bemängeln dass die Proteste überzogen sind und sich gegen den Professor Lucke anstatt den Politiker richten.
          Und da ist m.E. was dran. Es ist nicht gut wenn eine Vorlesung unter Polizeischutz stattfinden muss.

          Wenn das auf beiden Seiten wirklich Schule macht ehemaligen Politikern ihre Berufsausübung zu erschweren wird es aber tatsächlich ein Demokratieproblem. Aber so weit sind wir Gott sei dank noch nicht.

          • Ariane 3. November 2019, 00:57

            Und da ist m.E. was dran. Es ist nicht gut wenn eine Vorlesung unter Polizeischutz stattfinden muss.

            Ja, aber es ist halt doch etwas komplizerter. Ich sehe die Luckeproteste auch kritisch. Genauso wie Pegida-Kundgebungen oder Demos gegen ein Windrad in 20km Entfernung oder sowas.
            Nur: Auch bescheuerte Proteste sind natürlich von der Meinungs- und Versammlungsfreiheit abgedeckt. Und werden aus gutem Grund meist nur organisatorisch reglementiert, was zb Orte angeht.

            Wenn das auf beiden Seiten wirklich Schule macht ehemaligen Politikern ihre Berufsausübung zu erschweren wird es aber tatsächlich ein Demokratieproblem. Aber so weit sind wir Gott sei dank noch nicht.

            Ja, aber sorry ich möchte mich hier nochmal wiederholen. Ist nicht schön, aber hat null mit echten, aktuellen Schwierigkeiten zu tun. Es sind halt paar Hansel, die einen Raum blockieren.
            Es schockiert mich wirklich zutiefst, wie krass die Presse da gerade (u.a. mit diesem Aufhänger) Amok läuft. Ist ja nicht so, als hätten wir auf dem Gebiet nicht auch ganz aktuelle, echte Probleme. Da findet sich dann nämlich auf Seite 23 völlig trocken und unaufgeregt, dass Roth und Özdemir ernsthafte Todesdrohungen bekommen, dass zig Spitzenkandidaten in Thüringen bedroht und erpresst werden, dass Walter Lübcke nicht allein auf Todeslisten stand, sondern noch 100 weitere Personen, usw. usf.
            Und ich muss zugeben, dass ich mit dieser Gleichzeitigkeit und dieser völlig unterschiedlichen Priorisirung in den Medien echt nicht gut klarkomme.

        • Stefan Sasse 2. November 2019, 08:48

          Meine Rede.

      • Stefan Sasse 2. November 2019, 08:48

        Wie gesagt, ich finde den Protest bescheuert. Nur diese völlig überdrehte Wahrnehmung, dass da die Meinungsfreiheit tödlich bedroht sei, halte ich für deutlich übertrieben.

    • Stefan Sasse 2. November 2019, 08:44

      100% Zustimmung zu allem.

  • derwaechter 31. Oktober 2019, 11:54

    EY ist ein riesiger Laden in dem es eine Menge verschiedener Menschen mit sehr verschiedenen Ansichten gibt und die von Land zu Land (meiner Erfahrung nach sogar von Büro zu Büro) sehr unterschiedlich geführt werden.
    Aus einem Bericht abzuleiten, die „richten auch noch ihr ganzes Unternehmen danach aus“ ist m.E. quatsch.

    Ich würde vermuten, dass dieser Kurs (wie die meisten anderen Kurse die man so besuchen darf) sehr wenig Einfluss auf irgendetwas haben. Aber das ist ein anderes Thema…

    Ich kann mir nicht Helfen aber diese Truppe hier soll „weibliche Nachwuchskräfte in ideologischen Brainwashingseminaren“ drangsalieren um der „Herrenriege“ dabei zu Helfen Frauen aus Führungspositionen fern zu halten?

    https://www.facebook.com/MarshaClarkAndAssociates/photos/rpp.228762813917676/1618274974966446/?type=3&theater

    Mir erscheint das ganze wie ein ziemlicher dünn recherchierter Aufhänger für einen Shitstorm.

    Ich bin außerdem über „geschniegelter BWL-Schnösel“ gestolpert. Meinst du etwa Aussehen (geschniegelt = Schicker Anzug, gute Schuhe, konservativer Haarschnitt etc.?) spielt bei der Beförderung eine Rolle? Würdest Du Männern die bei EY weit kommen wollen raten, auf ihr Aussehen zu achten? See my point? 😉

  • derwaechter 31. Oktober 2019, 12:56

    Zu 2)
    „Was Lucke erreichen will ist Selbstinszenierung und Selbstüberhöhung“

    Meinst Du damit, Lucke steuert oder provoziert die Proteste irgendwie selbst?

    Aus dem Artikel:

    „Man mag sich ausmalen, was es für Studierende mit Migrationshintergrund heißt, bei einem zu studieren, der Flüchtlinge für „Bodensatz“ hält.“

    Ich habe das mal nachgelesen bei sueddeutsche.de. Er sprach damals nicht von Flüchtlingen sondern Einwanderern ohne Sprachkenntnisse und Bildung. Der Begriff „Bodensatz“ ist scheiße und dafür gab es ordentlich Kritik. Aber ansonsten würde ich vermuten, dass viele der „Studierende mit Migrationshintergrund“ der Analyse auch zustimmen. Oder meint der Autor etwa alle Menschen mit Migrationshintergrund dächten gleich?

    „Wo waren die ganzen Freiheitsmahner und Demokratiewächter eigentlich, als es darum gegangen wäre, Lucke zu konfrontieren? Nie wurde er von der medialen Öffentlichkeit für das zur Verantwortung gezogen, was er an Zerstörung von politischer Kultur in diesem Land angerichtet hat.“

    Hat der Autor in den letzten Jahren mal Zeitung gelesen, den Fernseher angemacht oder soziale Medien verfolgt?

    • Stefan Sasse 2. November 2019, 08:47

      Wozu, seine studentischen Widerparts sind ja doof genug, ihm die Bilder zu geben. Ich sage nur, dass er politisch ausnutzt, dass seine Vorlesungen gestört werden und Teil der Empörungsmaschinerie ist, nicht nur ihr Gegenstand.

      • derwaechter 2. November 2019, 10:27

        Verstehe. Da könnte was dran sein. Ich dachte er wäre gar nicht mehr politisch aktiv

        • Stefan Sasse 2. November 2019, 15:58

          Das mag er sich wünschen, aber so einfach funktioniert das halt nicht. Du kannst nicht in den Porzellanladen gehen, alles zerschlagen und dann sagen „So, ich geh dann mal, und belästigt mich nicht weiter“.

          • derwaechter 2. November 2019, 21:31

            Doch! Der (ehemalige) politische Gegner sollte die Politik eben nicht ins unpolitische Privatleben (inkl. Berufsleben) tragen. Das ist ja genau der Punkt!

            • Erwin Gabriel 2. November 2019, 23:17

              @ derwaechter
              Zustimmung zu allen Punkten. Lucke hat die AfD als Alternative zur Wirtschafts- und Finanzpolitik von Merkel gegründet, nicht als ausländerfeindliche Partei. Und anders als Gauland ist er den Weg nach rechtsaußen nicht mitgegangen, sonst wäre er nicht geschasst worden.

              @ Stefan Sasse
              Es ist wahr, dass die AfD inzwischen die rechtsextremen Figuren einsammelt. Aber das die Partei in diese Position gerückt wurde, ist Frau Merkel DEUTLICH mehr zu verdanken als einem Herrn Lucke.

              Und so sehr Dir die Sprüche zum Thema „Zuhören“ zum Hals heraushängen, so sehr ist doch richtig, dass man es damals und bis heute versäumt hat, Diskussionen etwa über Europa oder die Zuwanderung offen zu führen.

              Was mir niemand erzählen kann, ist, dass ein Viertel der Bevölkerung Nazis sind, die auf einmal aus ihren Löchern gekrochen kommen.

              • derwaechter 2. November 2019, 23:40

                „Was mir niemand erzählen kann, ist, dass ein Viertel der Bevölkerung Nazis sind, die auf einmal aus ihren Löchern gekrochen kommen.“

                Ich möchte das auch nicht glauben, bin mir da aber manchmal gar nicht so sicher. Natürlich nicht im Sinne von aktiven Nationalsozialisten, aber von der prinzipiellen Einstellung her, wieso nicht?
                Die heutigen Wählern sind schliesslich nur zwischen einer und drei Generationen vom dritten Reich entfernt, und da gab es bekanntlich viele Nazis in unserem Land. Ist da nicht vielleicht mehr hängen geblieben als man wahr haben möchte?

                • Ariane 3. November 2019, 01:05

                  Doch! Der (ehemalige) politische Gegner sollte die Politik eben nicht ins unpolitische Privatleben (inkl. Berufsleben) tragen. Das ist ja genau der Punkt!

                  Naja, ein bisschen muss ich Stefan da schon recht geben. Er kann auch nicht alles haben.
                  Wenn er sein unpolitisches Privatleben haben will, darf er dann auch keine Interviews geben, in denen er sein „Problemchen“ mit der Judenverfolgung vergleicht. Und auch zwischen seinem Mandat und seiner Vorlesung hat er reichlich – und sehr politische – Interviews gegeben. Er kann halt nicht selbst entscheiden, ab wann er keiner Person des öffentlichen Interesses mehr ist.

                  • derwaechter 3. November 2019, 10:34

                    Ich bleibe dabei, dass man ihn dann nicht unmittelbar in seinem Privatleben sondern bei seiner politischen Tätigkeit konfrontieren sollte.

                • Ariane 3. November 2019, 02:07

                  Die heutigen Wählern sind schliesslich nur zwischen einer und drei Generationen vom dritten Reich entfernt, und da gab es bekanntlich viele Nazis in unserem Land. Ist da nicht vielleicht mehr hängen geblieben als man wahr haben möchte?

                  Ich persönlich glaube übrigens nicht, dass Nazizahlen so stark schwanken, sondern halte es für sehr wahrscheinlich, dass eine recht hohe Zahl ( ja auch so zwischen 20-30%) der Bürger rassistische, antisemitische oder faschistische Einstellungen haben, die sich nur unterschiedlich in den Wahlergebnissen ausdrücken. Gibt ja immer wieder Studien, wo dann alle ganz erstaunt sind, wie hoch die Zahl an antisemitischen Einstellungen sind oder wieviele Leute sich wieder einen starken Führer wünschen.

                  Ob die Leute so etwas laut sagen oder die AfD wählen, hängt dann eben davon ab, ob das gerade besonders geächtet oder eher wohlwollend betrachtet wird, von der Prioritätensetzung bei der Wahlentscheidung, von Personen und noch zig anderen Dingen. Aber ich glaube die Einstellung an sich ändert sich nicht so gravierend wie Wahlergebnisse.

                  • Stefan Sasse 3. November 2019, 08:57

                    Was Leute davon abhält, die Nazis zu wählen, ist das Tabu. Wenn das wegbricht…

              • Stefan Sasse 3. November 2019, 08:53

                Es waren auch nicht alle Wähler der NSDAP Nazis. So was habe ich nie behauptet. Aber alle Wähler der NSDAP haben Nazis gewählt. Und als sie einmal an der Macht waren, war der Unterschied nur noch ethisch relevant, nicht mehr politisch.

            • Stefan Sasse 3. November 2019, 08:54

              Ich sehe deinen Punkt auch. Und ich bin ziemlich hin- und hergerissen, neige aber gerade tatsächlich eher in eure Richtung. Wie gesagt, ich bin sowieso kein Freund der Proteste, ich sehe sie nur nicht als etwas, das die Grundfesten der Gesellschaft erschüttert. Wir kriegen gleichzeitig die Meldung von Morddrohungen gegen Claudia Roth, wo aus irgendeinem Grund weniger Aufhebens gemacht wird als eine studentische Splittergruppe. Das ist doch beknackt.

              • Erwin Gabriel 3. November 2019, 22:15

                @ Stefan Sasse 3. November 2019, 08:54

                Wir kriegen gleichzeitig die Meldung von Morddrohungen gegen Claudia Roth, wo aus irgendeinem Grund weniger Aufhebens gemacht wird als eine studentische Splittergruppe.

                Wer derart Gewalt androht oder ausübt, ist ein Gewalttäter. Der sollte danach behandelt werden. Die Gründe – Politik, Religion, Sport etc – sind mir dabei egal.

  • derwaechter 31. Oktober 2019, 13:26

    5)
    „Keine Sau fragt je Konservative, wie sie ihre Pläne zu finanzieren gedenken.“

    Google mal „will republican tax cuts pay for themselves“
    Bei mir kommt da ein Haufen von Artikeln die genau das infrage stellen, mit anderen Worten, das tun was angeblich keine Sau tut.

    Und ich erinnere mich auch vage an den ein oder anderen Einwand, wie denn bitte schön die Borderwall finanziert werden solle 😉

  • CitizenK 31. Oktober 2019, 19:28

    9) Schönenborns Befragungen ergaben, dass viele die AfD wählten, nicht weil sie sie gut, sondern weil sie die anderen so schlecht fanden.

    Das ist gewiss nicht im Sinne einer rational überlegten Entscheidung von Citoyens (des „Souveräns“, wie Herr Pietsch zu sagen pflegt), aber auch nicht das bewusste Wollen eines Faschisten. Den nimmt man halt in Kauf., weil kurzsichtig oder affektgesteuert.

    Dumm und problematisch genug, aber vielleicht doch nicht ganz bewusst „Nazis wählen“. Oder bin ich hier zu blauäugig?

    • Floor Acita 1. November 2019, 12:25

      „Den nimmt man halt in Kauf“ „Nazis wählen“
      Ist das nicht das Gleiche..? Nicht das Gleiche wie „Nazi sein“, aber Taten haben nunmal Konsequenzen – nicht nur die gewünschten – und wir sind sowieso für alle verantwortlich. Aber hier sind die Konsequenzen ja sogar absehbar, so mansie denn sehen will, korrekter müsste es also m. E. sogar lauten „nimmt man halt billigend[!] in Kauf“…

    • Stefan Sasse 2. November 2019, 08:49

      Zu blauäugig, schon alleine, weil auch „aus anderen Motiven Nazis wählen“ alarmierend ist.

      • Erwin Gabriel 2. November 2019, 23:30

        @ Floor Acita / Stefan Sasse

        Solange alle „Bonner“ Parteien derart deckungsgleiche Politik betreiben, während die Wählerschaft durchaus differenzierte Meinungen zu vielen Themen hat, werden sie sich weiter marginalisieren, und Parteien wie die AfD profitieren.

    • Ariane 3. November 2019, 01:55

      Dumm und problematisch genug, aber vielleicht doch nicht ganz bewusst „Nazis wählen“. Oder bin ich hier zu blauäugig?

      Ja, vielleicht ein bisschen zu blauäugig. Obwohl ich selbst auch meist den Begriff Naziwähler oder ähnliches verwende. Weil ich auch nicht glaube, dass
      24% der Thüringer so krasse Faschisten wie Höcke sind (vllt selbst etwas blauäugig^^)

      Nur: Im Ergebnis ist das eben scheißegal. Und jeder Erklärversuch und jede Relativierung macht es nur schlimmer und trägt zur Verharmlosung bei.
      Wer da sein Kreuz macht, hat sehr deutlich überhaupt keine Probleme mit faschistischen, menschenfeindlichem, rassistischem Dreck und es machts nicht besser, wenn man selbst noch nicht ganz auf Höcke-Niveau gelandet ist.

      Und ich finds auch gefährlich, wenn die AfD-Wähler immer ein Extra-Mitleidstränchen bekommen, als hätten genau die 24% nun ein ganz besonderes schweres Los, das sie zu ihrer Wahlentscheidung treibt. Das klingt immer so nach Notwehr.
      Das ist totaler Quatsch: die anderen 75% leben doch nicht auf einer Insel der Glückseligkeit. „weil alle anderen Parteien doof sind“ – Ja meint denn irgendwer, 75% der Thüringer sind mit den Parteien zufrieden? Vermutlich begründen 98,9% aller Wähler überall ihre Wahlentscheidung damit, dass die anderen noch schlimmer sind. Dass 75% nicht die AfD wählen, liegt doch nicht daran, dass die ein leichteres Leben mit weniger Sorgen haben.

  • CitizenK 2. November 2019, 17:06

    @ Stefan Sasse (als Geschichtslehrer)

    Dass er gerichtsfest als Faschist bezeichnet werden darf, kontert Geschichtslehrer Höcke (auf der Pressekonferenz nach der Thüringen-Wahl) kühl: Dass sei eine Verharmlosung, weil die Leute nicht wüssten, was Faschismus wirklich sei.

    Und: Weil viele Leute nicht einmal mehr rudimentäre Geschichtskenntnisse hätten, und weil Begriffe nicht mehr trennscharf gebraucht würden, bedeuteten sie nichts mehr.

    Auch in „progressiven“ Kreisen nicht ganz unbekannt, das Argument. Eine Herausforderung auch für den Geschichtsunterricht.

    • Stefan Sasse 2. November 2019, 19:09

      Höcke ist ein Faschist.

      • Erwin Gabriel 2. November 2019, 23:33

        @Stefan Sasse

        Höcke ist ein Faschist

        Sehe ich auch so

  • cimourdain 3. November 2019, 08:22

    1) Eigentlich ist der ganze HuffPo Artikel eine schönes Beispiel für die aufgeputschte Aufregerkultur, die wir haben – analog zu den vielen Kita-Schweinefleisch oder Wintermarkt Aufregern. Was ist denn geschehen ? Eine Teilnehmerin an einem Empowerment-Seminar hat dieses als sexistisch empfunden und ist deswegen an die Öffentlichkeit gegangen, weder haben die anderen etwas dazu gesagt noch Ernest& Young – eine Firma, die keinen sechsstelligen Betrag zahlt, damit ihre Mitarbeiterinnen wie 60er-Jahre Bürohäschen wirken, sondern diese sollen Mandanten gegenüber seriös und kompetent wirken.
    Konkret sah das Seminar so aus : EIn Teil Problemdiagnose ( Typisch männliche und weibliche Kommunikationsstrategien – Daher sind die Ausrisse mit den Klischees. Danach etwas über die Businessuniform (m/w), die man diskutieren kann (siehe oben), die sich aber nun mal in dieser Branche seit 150 Jahren praktisch nicht geändert hat. Un dann ein Teil Praxis ( Wie gehe ich mit Sexismus und ‚männlicher‘ Kommunikation um ) mit Rollenspielen und Szenarioübungen – und den hat die Teilnehmerin wohl in den falschen Hals bekommen.

    • derwaechter 3. November 2019, 10:39

      Genauso so ist es. Viel Lärm um (fast) nichts.

      Das mit den Klischees habe ich auch so gelesen. Die werden nicht unbedingt gutgeheissen sondern beschrieben. Und dass es sie gibt steht ja wohl ausser Frage.

  • Lemmy Caution 5. November 2019, 22:14

    Zu Chile:
    Der chilenische UCLA Ökonomie Professor brachte es 2016 in einem Mostrador Interview auf den Punkt: “la derecha no admite que el modelo se agotó y la izquierda que fue exitoso” (die Rechte gibt nicht zu, dass das Modell ausgelaugt ist und die Linke gibt nicht zu, dass es erfolgreich war)
    Seit 2011 löste sich die Soziale Übereinkunft zum Modell auf. Irgendwann musste das überkochen.
    Das ganze war am Donnerstag gestartet und ich habe es ansatzweise erst Samstag Abend mitbekommen und dann detaillierter in der Nacht vom Sonntag auf Montag. Befand mich mit einer Chilenin auf einer Rio de La Plata Reise und die Internet-Verbindung im Tigre Delta kannst Du vergessen. Zumindest dort, wo wir waren.
    Der zentrale Punkt ist, dass ein überwiegender Teil der Bevölkerung über alle Schichten die eigentlich widerwärtigen Zerstörungen als Signal für einen massiven Protest guthießen: Es kann echt nicht so weiter gehen. Die Regierung hat das irgendwann verstanden.
    Nirgendwo sind Elemente eines fundamentalistischen Neoliberalismus wie das Subsidiaritätsprinzip mit so viel Eifer umgesetzt worden wie in Chile: Es funktioniert in Chile auf Dauer nicht.
    Die Preissteigerungen haben wohl in den letzten Jahren den Medianlohn überholt. Teilweise wird hier in den Medien behauptet, in Chile gäbe es „Deutsche Preise“. Das stimmt so auch nicht. Die Webseite Expatistan kommt bei einem Berlin – Santiago de Chile Vergleich auf +39% höhere Preise für Berlin. Ich halte diese Zahl für realistisch. 50% der chilenischen Beschäftigten verdienen knapp unter 500 Euro oder noch weniger. Der Mindestlohn liegt bei knapp unter 400 Euro. Rechnen wir die Preisunterschiede ein, kämen wir auf knapp 700 Euro für Berlin im Monat. Nach über 30 Jahren praktisch konstanten und teilweise hohem BIP Wachstum ist das… echt irgendwie ernüchternd. Die Mietpreise für 40 qm in der Provinz liegen bei etwa 260 Euro, Santiago: 380 Euro. Dann lebst Du in einer armen aber sicheren Gegend. Die Renten und das Gesundheitssystem sind dann die eigentliche Katastrophe.
    Ich glaube irgendwie bestimmt an Marktwirtschaft, nur ist das eben nicht alles.
    Medikamente sind oft teurer als in Deutschland. Das Rentensystem AFP schüttet auch deshalb so geringe Renten aus, weil auf eine Lebenserwartung von 110 Jahren berechnet wird. Die Sozialleistungen könnten auch damit gesteigert werden, wenn bei Einkünften für Parlamentarier und viele Staatsangestellten gespart würde. Die verdienen nämlich oft mehr als ihre deutschen Kollegen. Die Umverteilung des Steuersystems auf den Gini wurde in einer Studie für Deutschland auf 0,22 und für Chile auf 0,02 berechnet. Es gäbe vermutlich eine besser funktionierende Wirtschaft, wenn Wirtschaftsverbrecher nach ihrer Verurteilung tatsächlich mal mit Gefängnis und nicht mit einem Ethik-Kurs bestraft würden.
    Es gäbe verdammt viel Spielraum, um das Leben vieler Chilenen besser zu machen.
    Die Mittelschicht ist das oft mehr von der Haltung als ökonomisch: Man hungert sich im eigenen Haus durchs Monatsende statt zu protestieren.

    Viele größere Unternehmen haben sich nun zu Lohnsteigerungen bereit erklärt. Das Unwohlsein geht sehr weit nach oben und ich glaub denen, dass es keine Show ist. Nur arbeiten 80% der Chilenen bei Kleinen und mittelständischen Unternehmen.
    Chile konnte in den letzten Jahren immer neue Märkte öffnen. Auch für ökologisch unbedenkliche Produkte wie Kirschen und Blaubeeren. Ich kenn eine Frau, die mit Blaubeeren super Geld verdient und mich auf Geschäftsreise in Deutschland besucht. Nur muss man dafür erstmal Land erben. Der Aufstieg in technischere Produktionszweige fällt schwer. Codelco versucht Investoren zu überzeugen, Lithium Batterien in Chile herzustellen… und scheitert, weil zu weit weg von den großen Märkten.

    Für den aktuell sehr ernsthaften Diskurs um realistische Soziale Reformen in Politik und Wirtschaft nehme ich die nimmermüden ca 1000 Steine- und Mollischmeisser in Santiago, Valparaíso und Concepción gerne in Kauf. Ich halte das für einen guten Deal.

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