Niederlage der Politik

Nach wochenlangen, nervenzehrenden Verhandlungen ist die Griechenlandkrise nun zunächst vollends implodiert. Tsipras kündigt ein kurzfristiges Referendum an, der Eurorat unterbricht die Verhandlungen und die EZB versucht, sich irgendwie aus der Misere zu ziehen.

Das Ganze ist zuvorderst eine Niederlage für alle politischen Entscheidungsträger.

Ich will die ganze Griechenlandkrise nicht en detail aufdröseln. Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass es für beide Seiten irgendwie eine Möglichkeit gegeben hätte, heil aus dieser verfahrenen Situation herauszukommen. Syriza hat vermutlich der ganzen europäischen Linken einen Bärendienst erwiesen, weil man sich in nur wenigen Monaten bemüht hat, jegliches vorhandene Porzellan zu zerschlagen. Gleichzeitig hat auch die Troika in fünf Jahren nicht verstanden, dass man nicht jahrelang eine ruinöse Politik betreiben kann, ohne eine Art Volksaufstand auszulösen. Der überwältigende Wahlsieg Syrizas war eigentlich schon die letzte Warnung, dass diese Politik in einer Demokratie nicht weiter durchgeführt werden kann.

Zunächst zu  Syriza: Ein Referendum ist eigentlich komplett unnötig. Tsipras & Co. sind nur knapp an einer absoluten Mehrheit vorbeigeschrammt, sie haben bereits ein Mandat für ihre Politik. Eine Entscheidung von solcher Tragweite ist beängstigend und es ist auch verständlich, dass diese junge Partei kalte Füße bekommt. Ein kurzfristiges Referendum hilft da aber auch nicht unbedingt weiter. Es ist schon verwaltungstechnisch fragwürdig, ob es gelingt. Normale Wahlen brauchen Wochen und Monate zur Vorbereitung. Dazu kommt: Die ganze Welt weiß, dass die griechische Bevölkerung am nächsten Sonntag etwas Wichtiges gefragt wird: nur die Frage kennt noch niemand. Noch unklarer als die wichtige Frage, über die nun abgestimmt werden soll, ist die Frage über die Auswirkungen. Ist Griechenland bei einem Nein raus aus dem Euro oder wird weiterverhandelt? Und bei einem Ja? Ist Syriza dann weg oder unterschreiben sie einfach? Oder passiert vielleicht einfach gar nichts und das ganze ist nur ein Zirkus, damit es mal etwas anderes zu berichten gibt?

Ich bin schon generell nicht die größte Freundin von Volksabstimmungen. Bei Entscheidungen von solcher Tragweite, ob man nun im Euro und der EU verbleiben möchte, kann es aber sinnvoll sein. Nur: so etwas muss vorbereitet sein. Alle müssen wissen, worum es geht. Wissen, was gefragt wird und vor allem wissen, was ihre Antworten dann für Konsequenzen haben. Im Grunde genommen hat Tsipras das ganze Instrument des Referendums sträflich missbraucht, er hat es als Verhandlungsmasse in den Ring geworfen. Er will das Volk befragen, gleichzeitig empfiehlt er aber, mit Nein zu stimmen (nochmal: ohne dass bisher jemand weiß, wie die Frage eigentlich lautet). Ja, wenn er sogar eine Empfehlung für die nicht vorhandene Frage hat: warum tut er es nicht? Er hat ein zweifelsfreies Mandat, das Volk hat eigentlich schon entschieden. Das ist als wenn die Frau Bundeskanzlerin mich am Wochenende im Streichelzoo beim Ziegenfüttern unterbricht, um mal eben nachzufragen, wie sie denn mit Griechenland verfahren soll. Wenn er das Mandat nicht annehmen möchte, hätte er genausogut einfach so hinwerfen können. Wir wählen nun mal Politiker, damit sie die politischen Entscheidungen treffen.

 

Aber Syriza sitzt da ja nicht alleine am Tisch, sondern ebenfalls mit anderen Politikern, die sich mit Händen und Füßen weigern, politische Entscheidungen zu treffen. Klug wie sie sind, haben diese Politiker vor fünf Jahren schon die Troika gebildet als technokratisches Ungetüm, das sich in Verträgen und Zahlen vergräbt, ohne den Blick zu heben. „Um die Menschen kann sich ja die Politik kümmern, wir haben hier ja unsere Zahlen“ Das ist ungefähr das Gegenteil des Referendums, funktioniert aber genausowenig. Es ist nicht möglich, sich jahrelang in Zahlen und Technokratengeblubber zu verlieren, ohne die Situation der Menschen, die diese Zahlen betrifft, mit einzubeziehen. Dass da plötzlich Syriza mit am Tisch sitzt, zeigt das schon. Anstatt sich aber zu überlegen, ob man etwas anderes machen könnte, fühlte sich die Troika eher herausgefordert, jetzt erst recht den harten Hund zu markieren und darauf zu pochen, dass die Verträge einzuhalten sind und man weiteren Sparmaßnahmen zustimmen muss, was anderes ist nicht möglich. Selbst wenn Syriza allem nachgegeben hätte und ihre Unterschrift unter die Verhandlungen gesetzt hätte, hätte man das Problem nur weiter verschleppt. Die Griechen hätten den nächsten gewählt – egal ob links oder rechts – der sich gegen die Troika und weitere Sparmaßnahmen ausgesprochen hätte.

So unsinnig das Referendum auch ist, es hätte vielleicht auch für die Troika eine Möglichkeit dargestellt, aus der verfahrenen Situation auszubrechen. Man hätte die bisherigen Verhandlungen so nehmen können und sagen können, dass man zunächst mal abwartet, was die Bevölkerung sagt. Stattdessen hat man umgehend sämtliche Verhandlungen abgebrochen, – natürlich – jegliche Verantwortung von sich geschoben und den Griechen die Schuld in die Schuhe geschoben. Die Troika und mit ihr die Gesamtheit der europäischen Politiker sind nun zu beschäftigt damit, ihre Hände in Unschuld zu waschen und haben keine Zeit, um eine politische Lösung zu suchen. Die politische Verantwortungslosigkeit zeigt sich schon darin, dass alle Welt gestern auf die EZB geblickt hat, die plötzlich die Verantwortung sowohl für Griechenland als auch für die Eurozone an sich in Händen hielt und es würde mich nicht mal verwundern, wenn sie eigentlich gehofft hätten, dass Mario Draghi im Alleingang die Nothilfen für die Banken aufgehoben hätte und ihnen so die Entscheidung abgenommen hätte. Was Draghi allerdings nicht getan hat. Ebenso planlos wie Syriza, reagieren die europäischen Politiker. Was tut man jetzt? Und was tut man in einer Woche nach dem Referendum? Das ist genauso unklar, wie die Frage worüber denn überhaupt abgestimmt hat.

Die Griechenlandkrise ist heute und seit fünf Jahren eine politische Frage. Es ist nötig und eigentlich unumgänglich, sie politisch zu lösen. Stattdessen wirkt es wie ein Realexperiment, was wohl passiert, wenn sich alle gewählten Politiker einfach weigern, ihren Job zu erledigen. Die einen fragen das Volk, die nächsten vergraben sich in Zahlen und Gesetzestexten, die dritten warten auf die EZB und die vierten vermutlich auf irgendwelche Gerichte und alle zusammen erwarten irgendwo die rettende Lösung, für die sie eigentlich zuständig sind. Allen gemeinsam ist, dass sie die Verantwortung, die sie tragen, irgendwoanders hin transferieren und zumindest froh sind, dass sie irgendwem anders die Schuld für das ganze Chaos in die Schuhe schieben können.

Wenn sich die politischen Entscheidungsträger allerdings weigern, das zu tun, wofür sie gewählt worden sind, braucht sich niemand in Sonntagsreden hinzustellen und über Politikverdrossenheit zu weinen. Es ist nur natürlich, dass die Bevölkerung anfängt, sich zu fragen, wozu sie diese Politiker eigentlich wählt.

{ 10 comments… add one }
  • Kirkd 29. Juni 2015, 14:53

    Mich befremdet am meisten die Unfähigkeit, das Problem politisch zu lösen, oder eine Krise politisch zu managen, statt eskalieren zu lassen. Wenn Verhandlungen scheitern, kannes nicht sein, dass Europas Regierungen und Institutionen mit Beschimpfungen, Verleumdungen und ähnlichem um sich werfen. Ein Mitgliedsstaat befindet sich in einer schwierigen lage und alles übt sich in einseitigen Schuldzuweisungen.

    Frau Merkel scheint das auch gemerkt zu haben und heute nun wesentlich sachlicher eine Stellungnahme abgegeben. Herr Steinmeier war sich nicht zu Schade, von Geiselhaft zu sprechen.Aber so funktioniert das System. Kaum wird es eng, ist Frau Merkel weg, und nachdem jeder einmal empört geblökt hat, kommt von ihr ein vergleichsweise überlegtes Statement.

    Nicht nachvollziehen kann ich, warum alle darauf rumhaken, dass angeblich keiner wisse, worüber abgeestimmt werde. Die Alternativen sind Rettungspaket schlucken (wenn für diese Option gestimmt wird, gibt es keine Verhandlungsposition mehr, also in der jetzigen Gläubigerform) oder Staatspleite.

  • Ralf 29. Juni 2015, 18:08

    Die Frage ueber die beim Referendum abgestimmt werden soll, scheint beschlossen zu sein:

    http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/euro-krise-das-ist-der-abstimmungszettel-fuer-das-griechische-referendum-1.2543711

    Ein Referendum ist eigentlich komplett unnötig. Tsipras & Co. sind nur knapp an einer absoluten Mehrheit vorbeigeschrammt, sie haben bereits ein Mandat für ihre Politik. […] Ein kurzfristiges Referendum hilft da aber auch nicht unbedingt weiter […] Wenn er das Mandat nicht annehmen möchte, hätte er genausogut einfach so hinwerfen können. Wir wählen nun mal Politiker, damit sie die politischen Entscheidungen treffen.

    Da kann ich Dir nicht ganz zustimmen. Syriza ist als proeuropaeische Partei angetreten, mit dem Ziel, die wirtschaftlichen Probleme des Landes, anders als die Vorgaengerregierungen, endlich zu loesen. Jeder weiss, dass die immensen Staatsschulden nicht mehr zurueckgezahlt werden koennen. Jeder weiss, dass es keinen Sinn macht den Griechen immer mehr Kredite zu geben, damit sie die alten abbezahlen koennen. Jeder sieht wie katastrophal die Austeritaetspolitik in diesem armen Land gescheitert ist: Voellig ausser Kontrolle geratene Schulden, mehr als 25% Arbeitslosigkeit, mehr als 50% Jugendarbeitslosigkeit. Eine ganze Generation junger Menschen verdammt zu Armut und Elend. Syriza hat das Offensichtliche zum ersten Mal offen ausgesprochen und gehofft, dass die „Institutionen“ rational handeln wuerden. Dafuer hatte Syriza ein Mandat und nicht fuer einen einseitigen Euro-Austritt.

    Syriza hat wohl unterschaetzt, dass die Glaeubiger am Ende Griechenland aus politischen Gruenden scheitern lassen wuerden. Ein Entgegenkommen gegenueber den Griechen, wuerde linke Parteien in Europa staerken und ermuntern. Wenn der Ruf nach mehr Fairness und Augenmass in Griechenland erfolgreich waere, dann wuerde dieser Ruf auch in anderen Laendern lauter werden. In Spanien steht Podemos schon bereit. Auch in Portugal rumort es. Gleichzeitig wuerde ein Einknicken der Institutionen heissen, dass Merkel und der IWF offen das Scheitern ihrer Austeritaetspolitik eingestehen muessten. Die Mutti-Mythos waere dahin. Und all das nachdem man die Suedlaender jahrelang veraechtlich gemacht und zu Parasiten erklaert hat und damit rechtspopulistische und rechtsextreme Stimmungen geschuert hat – in Deutschland PEGIDA und die AfD, in Frankreich den Front National etc.. Jetzt wird man die Geister, die man rief nicht mehr los. Macht man in dem selbstgeschaffenen Stimmungsumfeld rationale Zugestaendnisse an Griechenland, heisst die naechste Praesidentin Frankreichs wohl Le Pen. Folglich mussen die Griechen weiterleiden, denn das ist politisch fuer die in den meisten EU-Laendern regierenden Konservativen und „Sozialdemokraten“ am wenigsten riskant. Wenn man Syriza einen Vorwurf machen kann, dann den, dass sie diese Dynamik nicht vorhergesehen haben.

    Jetzt ist Tsipras in einer komplett verfahrenen Lage. Er wurde gewaehlt dafuer, dass er das Spardiktat der Troika beendet. Das einzige Angebot, das er von der Troika aber bekommen hat, ist dass das Spardiktat brutal weiter fortgesetzt wird. Von „Investitionsprogramm“ oder „sozialem Kompromiss“ kann ueberhaupt keine Rede sein. Siehe dazu z.B. hier:

    http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/euro-krise-was-die-glaeubiger-griechenland-wirklich-angeboten-haben-1.2542597

    Syriza bleiben nur noch zwei Moeglichkeiten. Sie koennen die Bedingungen der Troika annehmen und damit, genauso wie die griechischen Vorgaengerregierungen, alle ihre zentralen Wahlversprechen brechen. Das waere so ziemlich das Ende von Demokratie. Wenn Parteien grundsaetzlich ihre Waehler betruegen und das Gegenteil dessen umsetzen, was sie versprochen haben, kann man die entsprechende Schau-Demokratie auch beenden, denn dann sind Wahlen nur noch ein teures Theater. Oder Syriza kann die Bedingungen der Troika ablehnen und aus dem Euro austreten. Dafuer hat die Partei aber kein Mandat: Sie waren wie gesagt angetreten den Euro zu verteidigen. Und die Experten sind sich einig, dass ein Euro-Austritt eine beispiellose wirtschaftliche und soziale Katastrophe nach sich ziehen wird. Die Katastrophe ist durch die Verschuldungspolitik der Vorgaengerregierungen bedingt, die Syriza nicht zu verantworten hat und durch die Austeritaetspolitik der Troika bedingt, die Syriza ebenfalls nicht zu verantworten hat. Im Gegenteil. Syriza wollte endlich reinen Tisch machen. Aber wenn sich Tsipras jetzt nicht Erpressungspolitik der EU und IWF beugt, und Griechenland aus dem Euro faellt, wird er fuer die folgende Katastrophe verantwortlich gemacht werden. Und Schuldigen, die die Lage wirklich verbockt haben, werden sich die Haende reiben. Ich habe deshalb Verstaendnis dafuer, dass Syriza ein Referendum ins Spiel bringt.

    Meine Prognose ist, dass genug Angstpropaganda gemacht werden wird, dass die Griechen letztlich gegen ihre Regierung mit JA stimmen werden. Tsipras wird zuruecktreten und es wird zu Neuwahlen kommen. Diejenigen, die Griechenland mit ihrer Verschuldungspolitik in der Vergangenheit ins Elend gestuerzt haben werden knapp gewinnen. Dazu werden die Linksextremisten und die Neonazis der Goldenen Morgenroete massiv dazugewinnen. Griechenland wird wirtschaftlich weiter in den Abgrund taumeln. Die soziale Katastrophe wird voellig ausser Kontrolle geraten. Wie die Weimarer Republik an ihrem Ende, wird Griechenland politisch zunehmend unregierbar werden, mit einer immer schmaler werdenden Mitte, die von immer staerker werdenden Extremisten aus beiden Richtungen erdrueckt wird. Das Land wird am Ende voellig in Instabilitaet und Chaos versinken. Vielen Dank Frau Merkel!

  • Ariane 29. Juni 2015, 21:00

    @King
    Nicht nachvollziehen kann ich, warum alle darauf rumhaken, dass angeblich keiner wisse, worüber abgeestimmt werde. Die Alternativen sind Rettungspaket schlucken (wenn für diese Option gestimmt wird, gibt es keine Verhandlungsposition mehr, also in der jetzigen Gläubigerform) oder Staatspleite.
    Kurz gedacht schon, aber das wird ja nicht die Referendumsfrage (wie Ralf schreibt, ist jetzt immerhin die Frage bekannt). Und wir wissen nicht, obs normal mit dem Rettungspaket weitergeht bei einem Ja oder ob Griechenland sofort und direkt pleite ist bei einem Nein.

    @Ralf
    Syriza hat das Offensichtliche zum ersten Mal offen ausgesprochen und gehofft, dass die “Institutionen” rational handeln wuerden. Dafuer hatte Syriza ein Mandat und nicht fuer einen einseitigen Euro-Austritt.
    Nein, das ist Quark. Das war natürlich ihr Programm und ihre Wahlversprechen. Aber sie wurden mit ziemlich überwältigender Mehrheit ins Amt gewählt, also haben sie für alles ein Mandat. Das ist als würdest du sagen, Angela Merkel hätte nach ihrer Wahl nur ein Mandat für die Ausländermaut.
    Und die Referendumsfrage ist eben nicht mal eben „Euro-Austritt Ja oder Nein?“. Das wäre ok, weil die Frage und die Konsequenz zumindest eindeutig wäre.
    Die Frage lautet aber „Hey, wollt ihr das Verhandlungsergebnis von dann und dann? (siehe 100seitigen Anhang).“ Und sorry, aber das ist technokratischer Blödsinn. Da blickt niemand mehr durch, es ist eigentlich keine simple Ja/Nein-Antwort und was genau bei einem Ja oder auch Nein passiert, weiß auch niemand. Mal abgesehen davon, dass das Angebot eigentlich gar nicht mehr auf dem Tisch liegt oder die ganze Situation bis Sonntag vielleicht schon komplett anders aussieht.

    Ich sehe die Schuld auch nicht alleine bei Syriza, ich halte es auch von der Troika für komplett falsch, sie so in die Ecke zu drängen und überhaupt nicht nach anderen Lösungen Ausschau zu halten. Genau wie ich das ganze Programm für absolut bescheuert halte – keine Frage.
    Nur ich halte diese Referendumsidee vielleicht noch irgendwie verständlich, macht es in meinen Augen trotzdem nicht besser. Und hey, die Wahl ist noch nicht lange her, Syriza hatte so ziemlich das bestmögliche Wahlergebnis. Natürlich haben sie das Mandat. Sowohl in der Form, als dass sie hätten unterschreiben können als auch selbst „Nein“ zu sagen. Beides hätte einen Aufruhr entfacht und sicherlich viele Kritiker auf den Plan gerufen, aber unpopuläre Maßnahmen gehören in diesem Job nun mal dazu. Das Mandat dazu hätte er aber zweifelsfrei gehabt und ich schätze es wäre auch vernünftiger, vielleicht sogar demokratischer gewesen als eine überhastete und völlig chaotische Volksentscheidung, die das Land erst recht in die Krise stürzt. Mal abgesehen davon, dass es bisher auch nicht so wirkt, als ob Tsipras aus rein demokratischen Gründen auf das Referendum verfallen ist. Er hat es als Verhandlungsmasse in den Ring geworfen. Das ist in meinen Augen nun mal alles andere als ein Sieg der Demokratie, das ist purer Missbrauch.

    Und ja, ich glaube auch, dass die restlichen europäischen Staaten darauf wiederum nicht klug reagiert hätten. Man kann von dem Referendum halten was man will, es ist zumindest (hoffentlich) dazu geeignet, den gordischen Knoten zu durchtrennen und eine Entscheidung in irgendeine Richtung zu erzwingen. Das kann auch eine Chance sein. Mal gucken, ich weiß ehrlich gesagt selbst nicht, ob ich eher auf ein Ja oder auf ein Nein hoffen soll und ich glaube nicht, dass eine der beiden Lösungen für die griechische Bevölkerung irgendwie positiv ist.

  • Ralf 29. Juni 2015, 21:23

    Mal abgesehen davon, dass es bisher auch nicht so wirkt, als ob Tsipras aus rein demokratischen Gründen auf das Referendum verfallen ist.

    Da bin ich ganz bei Dir. Das Referendum hat aus meiner Sicht den folgenden Zweck: Entweder stimmt die Bevoelkerung mit NEIN und es kommt zum Grexit. Die wirtschaftlichen Folgen werden dann zumindest in den ersten Jahren verheerend sein. Aber Tsipras wird geltend machen koennen, dass er das Volk vor der Entscheidung befragt hat und dass die Griechen mehrheitlich diesem Kurs folgen wollten. Oder die Bevoelkerung stimmt mit JA. Dann kann Tsipras in Wuerde abtreten ohne sich des Waehlerbetrugs schuldig zu machen. Die Suppe werden dann voraussichtlich die Parteien ausloeffeln muessen, die nach Neuwahlen oben stehen (sehr wahrscheinlich eine grosse Koalition aus Nea Dimokratia und Pasok und moeglicherweise weiteren Parteien). Da dies die Parteien sind, die durch ihre Verschuldungspolitik das Chaos erst angerichtet haben, ist das auch einigermassen fair. Diese Parteien werden nach Annahme der Sparpakete dann auch verantwortlich sein (und verantwortlich gemacht werden!), wenn Griechenland wirtschaftlich und sozial in der Katastrophe versinkt.

    Eine weniger wahrscheinliche Variante ist dass die Griechen mit NEIN stimmen und die Troika zur Besinnung kommt und sich doch noch auf einen faireren Kompromiss einlaesst, um das Auseinanderbrechen der Eurozone zu verhindern. Dies waere das Best-Case-Szenario, das allerdings eher unwahrscheinlich ist. In dem Fall waere Tsipras der grosse Sieger.

    Aber sie wurden mit ziemlich überwältigender Mehrheit ins Amt gewählt, also haben sie für alles ein Mandat.

    Du sprichst von einem politischen Mandat, waehrend ich ein moralisches Mandat meine. Dass der Wahlgewinner immer das „Recht“ hat, nach der Wahl alle seine Wahlversprechen zu brechen, ist natuerlich klar. So stelle ich mir allerdings Demoratie nicht vor. Syriza ist als proeuropaeische Partei angetreten und hat im Wahlkampf versprochen Griechenland unter menschlicheren Bedingungen im Euro zu halten. Das war nicht irgendein Nebenpunkt, sondern der Kern des Wahlkampfs. Sollte sich jetzt herausstellen, dass „menschlichere Bedingungen“ und „im Euro halten“ im Widerspruch zueinander stehen, ist es nur fair, wenn das Volk erneut befragt wird. Zu argumentieren, dass Syriza ein Mandat fuer den Euro-Austritt hat, obwohl Syriza ausdruecklich vor der Wahl versprochen hat, Griechenland in der Eurozone zu halten, ist wenig ueberzeugend.

  • Kirkd 30. Juni 2015, 04:44

    @ Ariane
    Die Frage ist in der Tat Rettungspaket schlucken geworden, Oder?
    War nicht wirklich schwer.

  • Ariane 1. Juli 2015, 14:55

    @Ralf
    Zu argumentieren, dass Syriza ein Mandat fuer den Euro-Austritt hat, obwohl Syriza ausdruecklich vor der Wahl versprochen hat, Griechenland in der Eurozone zu halten, ist wenig ueberzeugend.

    Die Mandatsfrage ist jetzt natürlich sehr theoretisch. Er ist demokratisch mit fast einer absoluten Mehrheit gewählt. In meinen Augen hat er dadurch nun mal für alles ein Mandat. Genau wie er das Mandat für Kapitalverkehrskontrollen hat. Es liegt einfach daran, dass sonst kein anderer da ist, der ihm die Entscheidung abnehmen kann, obwohl er so tut, als wenn das Referendum dieses Problem löst. Aber dazu ist die Frage zu kompliziert, die Zeit zu kurz und die Auswirkungen viel zu unklar. Wer soll denn so eine fundierte Entscheidung treffen? Ich weiß nicht mal, ob die Texte die im Referendum erwähnt werden allgemein zugänglich auf Griechisch vorliegen und vermutlich verstehen selbst studierte Volkswissenschaftler nicht mal eben eine vorläufige Schuldentragfähigkeitsanalyse.
    Das Land ist eigentlich schon pleite und jetzt ist erst recht Chaos ausgebrochen, mittendrin wird gefragt ob vielleicht doch weiterverhandelt wird und was am Sonntag und Montag geschieht, weiß auch niemand.
    Tsipras meint, er will bei einem Ja vielleicht zurücktreten. Unterschreibt er vorher noch? Oder gehen erstmal Monate ins Land, bis jemand anderes gewählt wird? Bis dahin ist Griechenland doch eh schon wieder dreimal pleite.
    Bei einem Nein will er keine Sparmaßnahmen aber auch nicht freiwillig austreten, rechtlich gesehen kann ihn auch niemand rauswerfen. Das ist ja noch chaotischer.

    Wie man es dreht und wendet, ich halte das nun mal nicht für verantwortungsbewusste Politik. Ich glaube – egal wie er sich entschieden hätte – es wäre besser gewesen, er hätte die Entscheidung selbst getroffen. Das hätte er entweder durchziehen können oder sein Wahlversprechen brechen können. Klar hätte das Ärger gegeben, aber es behauptet ja auch niemand, dass das ein leichter Job ist.

  • Ralf 1. Juli 2015, 17:36

    […] sonst kein anderer da ist, der ihm die Entscheidung abnehmen kann, obwohl er so tut, als wenn das Referendum dieses Problem löst. Aber dazu ist die Frage zu kompliziert, die Zeit zu kurz und die Auswirkungen viel zu unklar. Wer soll denn so eine fundierte Entscheidung treffen? Ich weiß nicht mal, ob die Texte die im Referendum erwähnt werden allgemein zugänglich auf Griechisch vorliegen und vermutlich verstehen selbst studierte Volkswissenschaftler nicht mal eben eine vorläufige Schuldentragfähigkeitsanalyse.

    Das selbe Problem, dass Waehler die Probleme ueber die sie abstimmen sollen inhaltlich nicht verstehen, hast Du bei jeder Bundestagswahl. Oder sind die deutschen Waehler etwa Experten fuer Wirtschaft, Soziales, Aussen- und Verteidigungspolitik? Am Ende entscheiden die meisten nicht orientiert an Fakten und Fachwissen, sondern nach Bauchgefuehl und orientiert an persoenlicher Beliebtheit, Tradition (Stammwaehler), Stammtisch und BILD.

    Dahingegen ist die Situation in Griechenland beim Referendum wesentlich klarer. Die Menschen stimmen nicht ueber ein ganzes Sammelsurium an Themen ab, sondern lediglich ueber einen ganz schmalen Bereich. Ohne die Plaene wirklich im Detail zu kennen, zeichnet sich ein Bild ab, in dem die Glaeubiger ein „Weiter so“ fordern, also die Fortsetzung genau der Politik, die Griechenland in den vergangenen Jahren in den Abgrund gefuehrt hat, mit explodierenden Schulden, immer hoeherer Arbeitslosigkeit und sozialem Elend. Allerdings fuerfte das voellig verarmte Land unter diesen quaelenden Bedingungen im Euro bleiben. Tsipras hingegen fordert ein „Nein“. Das wird zumindest mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit den Austritt aus dem Euro bedeuten und vorhersehbar eine schockartige wirtschaftliche Katastrophe ausloesen. Ob und wie sich das Land danach erholen wird, darueber gibt es unterschiedliche Meinungen. Manche sagen es wird bald wieder besser werden, andere meinen Griechenland wird dauerhaft zum Dritte Welt-Land und zu einem unregierbaren Failed State werden.

    Das ist die Wahl, die die Menschen haben. Armut fuer Generationen, aber wenigstens ein kleines bisschen Sicherheit nicht voellig in den Abgrund zu rutschen. Oder eine schockartige Katastrophe mit der Chance auf wirkliche Besserung hinterher, aber eben auch dem Risiko fuer immer im Elend zu versinken.

    So schwer ist es eigentlich nicht das Referendum zu verstehen, oder?

    Aber wenn man sich diese beiden schrecklichen Alternativen anschaut, wenn man nur die Wahl zwischen Pest und Cholera hat, dann finde ich es richtig, wenn man sich wenigstens ein Mandat des Volkes holt. Ganz egal wie Griechenland sich entscheidet, die naechsten Monate und Jahre werden fuerchterlich werden. Die Buerger des Landes sollten ihren Weg wenigstens selber bestimmen und ihrer Regierung die klare Legitimation in die Hand geben, die sie jetzt in dieser Lage braucht. Das ist aus meiner Sicht Demokratie.

  • Ralf 5. Juli 2015, 22:59

    Diejenigen die sich in den vergangenen Tagen gewundert haben, ob das griechische Referendum Sinn macht, duerften heute eines Besseren belehrt worden sein.

    Vor dem Referendum war unklar, wie sich die Griechen im Zweifel entscheiden wuerden, ob sie das Risiko eines Grexit in Kauf nehmen wuerden, um die unseligen Sparprogramme zu beenden. Die „Institutionen“ und deutsche Politiker zeigten immer wieder stolz auf die angeblich wachsende Zahl der JA-Sager. Noch gestern waren die Medien voll davon. Auf der Basis dieser Spekulationen haetten die „Institutionen“ ihre repressiven Forderungen weiter durchpeitschen koennen und das ganze auch noch irgendwie „Demokratie“ nennen koennen. Auch hier im Blog ist ja schon darueber gestritten worden, wie schwammig der Begriff „Mandat“ ist und was es eigentlich wirklich heisst, wenn eine „Regierung ein Mandat hat“. Damit ist jetzt Schluss. Die Unklarheiten sind beseitigt. Dass scheinen auch die verantwortlichen Technokraten in der EU begriffen zu haben. Anders waere es kaum zu erklaeren, dass ein Politiker wie Sigmar Gabriel ein so deutliches Votum des griechischen Volkes in einer demokratischen Wahl (und bei dieser Wahlbeteiligung) allen Ernstes als das „Abreissen aller Bruecken“ bezeichnet. Die Verzweiflung muss schon gross sein.

    Denn heute sind wir schlauer. Fast zwei Drittel der Griechen lehnen, die EU-Sparprogramme ab und wollen sie beenden. Koste es was es wolle. Noch nicht einmal in einem einzigen Wahldistrikt gab es eine Mehrheit fuer die Glaeubiger. Und das beruecksichtigt noch nicht die mit Sicherheit nicht wenigen Waehler, die die Sparprogramme ebenfalls fuer falsch halten, denen aber in den vergangenen Tagen so viel Angst gemacht worden ist, dass sie ihr Kreuz beim JA gemacht haben. Tsipras hat jetzt ein glasklares Mandat. Das war der Sinn des Referendums! Egal zu welcher Loesung es jetzt kommt, den Willen des griechischen Volkes wird man nicht wie frueher ignorieren koennen: Weil man jetzt nicht mehr spekulieren kann ueber diesen Willen, sondern statt dessen harte, kristallklare und belastbare Zahlen hat. Genau das haben die Verantwortlichen in der EU, allen voran die Deutschen, so gefuerchtet. Deshalb wurde mit allen Mitteln versucht, das Referendum zu verhindern. So wie beim letzten Mal.

    Heute war ein grossartiger Tag fuer die Demokratie!  

      

  • Am_Rande 6. Juli 2015, 18:24

    Ja, eine Niederlage der Politik.

    Eine Niederlage des Politischen Prinzips.

    „Do ut des“ oder „Do, as you are told“.

    „Do ut des“ – das ökonomische Prinzip.
    Es galt in einer EWG, als der deutsche Tourist für griechischen Wein, griechische Sonne und griechisches Flair freiwillig und gerne seine harte DM hergegeben hat.

    „Do, as you are told“ – das politische Prinzip.
    Es gilt in einer EU, in der die Machthaber in Berlin dem griechischen Volk befehlen wollen, welche Gesetze in ihrem Staat zu herrschen haben.

Leave a Comment

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.