Wenn es was zu sagen gibt, aber der Stoff nicht für einen ganzen Artikel reicht, dann kommt es ins Vermischte. Here we go. Heute zum Thema NSA/BND-Affäre, Ferguson und Demokratie und Qualitätsjournalismus. BND-Affäre: Als Opfer hat man’s leichter
Um zu verstehen, warum es vielleicht ganz gut ist, dass Deutschland die Türkei ausspioniert, muss man die Nachricht vom Wochenende nur mit einer anderen aktuellen Debatte zusammenbringen: der Frage, ob Deutschland oder andere westliche Staaten die Kurden im Nordirak mit Waffen beliefern sollen, damit diese sich gegen die islamistischen Kämpfer des IS verteidigen können. Was, fragen Skeptiker, wenn diese Waffen in den falschen Händen landen? Zum Beispiel in denen der PKK, die laut EU-Definition immer noch als terroristische Organisation gilt, und jahrzehntelang in der Türkei gegen die Regierung gekämpft hat. Genau um dieses Risiko einschätzen zu können, dürften Informationen helfen, die der BND vermutlich auch über Kurden in der Türkei gesammelt hat. Seit 2009, so berichtete der Spiegel, steht das Land auf der Liste der Zielländer des BND. Seitdem sind einige gute Gründe für die Überwachung des Bündnispartners hinzugekommen: der Bürgerkrieg in Syrien, in den auch deutsche Islamisten ziehen, und zwar durch die Türkei. Zudem kann der türkische Premier Recep Tayyip Erdoğan mit seinem politischen Kurs nicht mehr als Vertrauter oder gar Freund der deutschen Bundesregierung gelten.
Die unerträgliche Heulerei in der NSA-Affäre (siehe mein Beitrag dazu hier) kommt jetzt als Bumerang nach Deutschland zurück. Denn genauso wie die USA gute Gründe haben, in Deutschland zu spionieren, hat Deutschland gute Gründe, in der Türkei zu spionieren. Wie wir für die USA ist die Türkei für uns ein NATO-Partner an der Peripherie, eine bedeutende Regionalmacht, der man nicht so ganz vertrauen kann, weil sie eben auch ihre eigenen Interessen hat und eine eigene Politik fährt. Der oben verlinkte Zeit-Artikel hat gute Gründe dafür, die Türkei auszuspionieren (die Situation mit ISIS und den Kurden ist nur einer davon), und die Reaktion der türkischen Regierung auf die Enthüllungen ist quasi ein Spiegelbild der deutschen. Botschafter einbestellen, sich beklagen, Backen aufblasen, feststellen, dass man den Verbündeten so krass brüskieren dann doch nicht kann, langsam abebben lassen. Auch die Qualifizierungsversuche der ZEIT (die NSA ist böser, weil sie anlasslos alles überwacht) macht da keinen großen Unterschied mehr, wie Lenz Jacobsen am Ende des Artikels auch eingestehen muss: letztlich haben in Sachen Geheimdienste eben alle Dreck am Stecken, und der moralische High-Ground, auf den die Deutschen sich zurückgezogen haben, war in Wahrheit eher sehr, sehr dünnes Eis. Und das ist jetzt gebrochen, und der Platscher, den es gemacht hat, ist ziemlich groß. Es wird Zeit, endlich zu einer realistischen Sicht auf Geheimdienste zu kommen. Anlasslose Massenüberwachung der Bürger im Stil der NSA gehört in der Tat unterbunden, und wenn die Amerikaner dies nicht freiwillig tun, so muss der BND eben zu einer seiner Hauptaufgaben schreiten, der Spionageabwehr. Dass Geheimdienste allerdings sensible Institutionen aushorchen, auch bei Verbündeten von gewisser Bedeutung und fragwürdiger Loyalität, ist eben Standard. Und entweder man sorgt dafür, dass die Loyalität nicht mehr fragwürdig ist – was kein Weg ist, den ich empfehlen oder propagieren würde – oder man lebt eben damit und tut sein Bestes, die resultierenden Probleme zu beseitigen. Den Kopf weinend in den Sand zu stecken und so zu tun als ob man ein unschuldiges Opfer sei sollte aber allenfalls ein bitteres Lachen provozieren.
Die Anklage gegen Perry ist ungeheuer lächerlich (Englisch)
They say a prosecutor could get a grand jury to indict a ham sandwich, and this always seemed like hyperbole, until Friday night when a Texas grand jury announced an indictment of Governor Rick Perry. The “crime” for which Perry faces a sentence of 5 to 99 years in prison is vetoing funding for a state agency. The conventions of reporting — which treat the fact of an indictment as the primary news, and its merit as a secondary analytic question — make it difficult for people reading the news to grasp just how farfetched this indictment is. Travis County District Attorney Rosemary Lehmberg — a Democrat who oversees the state’s Public Corruption unit — was arrested for driving very, very drunk. What followed was a relatively ordinary political dispute. Perry, not unreasonably, urged Lehmberg to resign. Democrats, not unreasonably, resisted out of fear that Perry would replace her with a Republican. Perry, not unreasonably, announced and carried out a threat to veto funding for her agency until Lehmberg resigned.
In Texas kann man gerade mal wieder gut beobachten was passiert, wenn man Politik über die Gerichte macht. Die oppositionellen Demokraten strengen ein Amtsenthebungsverfahren gegen Gouverneur Rick Perry an, weil der angeblich seine Macht missbraucht habe. Es geht um ein Veto, das möglicherweise im Dienst seiner politischen Freunde geschah. Chait – nicht gerade ein enger Verbündeter der Republicans – bezeichnet dies völlig zu Recht als lächerlich und warnt ebenso zurecht vor einer Kriminalisierung von Politik. Hier handelt es sich um einen politischen Konflikt, der das Zeug zu einem politischen Skandal haben könnte. Aber solche Dinge werden über politische Prozesse und die Medien geregelt (und gegebenenfalls über einen Rücktritt) und nicht über Gerichte. Die auch in Deutschland zunehmende Tendenz, politische Konflikte über die Judikative zu lösen, sprengt effektiv den demokratischen Rahmen. Die Judikative wählt man nicht, den Gouverneur schon. Also entscheidet das auch an den Wahlurnen.
Mein persönlicher Rekord im Surfen auf „Focus Online“ liegt bei etwa zehn Minuten. Länger halte ich es da nicht aus. „Focus Online“ ist der Ein-Euro-Laden des deutschen Journalismus. Die ramschige Resterampe, auf der man alles findet, was selbst Klickfängern wie Bild.de zu billig war. „Focus Online“ haut alles raus. Raus, raus, raus, irgendwer wird schon draufklicken. Gerade bei medialen Großereignissen setzt „Focus Online“ — hartnäckig wie kaum ein Medium sonst — auf die So-viel-wie-geht-Taktik. Anfang vergangenen Jahres, nach dem Amoklauf im US-amerikanischen Newtown, veröffentlichte „Focus Online“ in der ersten Woche nach der Tat 45 Artikel — nicht mal Bild.de hatte mehr zu bieten. Und dann diese Schlagzeilen: „Mutter des Amokläufers hatte Angst vor dem Weltuntergang“. „Schulkrankenschwester sah den Killer auf sich zukommen“. „Amokläufer nannte seine Mutter nur ‚Excuse Me’“. Solcher Quatsch, permanent.
Das Bildblog nimmt den Anspruch von Focus Online, ein Medium des Qualitätsjournalismus zu sein, anhand einiger Beispiele gekonnt auseinander. Generell ist die ständige Behauptung, dass die Leitmedien „Qualität“ abliefern und der Rest eben „nur“ Meinung ablädt Unsinn. Genauso wie die oben diskutierte Moralisierung bei der Abhördebatte dürfte auch dies sich für die Leitmedien als Bumerang erweisen. Wenn Medien wie Focus Online für sich das Label „Qualitätsmedien“ beanspruchen können, dann ist es völlig wertlos. Oder will das FAZ-Feuilleton mit FocusOnline-Panorama in einem Atemzug genannt werden? Tja, das werden sie jetzt.
Wie die Weißen ihre politische Macht in Ferguson bewahrt haben, und warum (Englisch)
These kind of tactics depend crucially on an atmosphere of public apathy and mass indifference to local politics. Americans are asked to vote in a baffling array of elections (in addition to a school board and a town council, a Ferguson resident must vote for a district attorney, a county executive, a county council, two state legislators, a governor, a lieutenant governor, an attorney general, a secretary of state, a state auditor, a state treasurer, two US Senators, one member of the US House of Representatives, and a bunch of judges) and the level of information and enthusiasm about most of them is low. As Zachary Roth has written, typically, fewer than 15 percent of eligible voters cast ballots in municipal elections in Ferguson. Ian Milhiser observes that the low turnout is in part a consequence of the city choosing to hold municipal elections in April of odd-numbered years.
Vox erklärt, wie die genauen Verhältnisse (siehe hier) von der völligen Unterrepräsentanz der Schwarzen in einer 67% schwarzen Community zustandegekommen sind. Es ist eine typisch amerikanische Geschichte: einige starke Interessengruppen (in diesem Fall ein Gewerkschaftsbündnis mehrheitlich weiß geprägter Gewerbe) sorgt für eine hohe Wahlbeteiligung der Interessengruppe und drängt damit die unorganisierte Mehrheit aus dem Rennen. Wir haben ähnliche, wenngleich lange nicht so scharf ausgeprägte Probleme auch in Deutschland (etwa die Volksabstimmung in Hamburg über eine längere Grundschulzeit), aber in den USA werden sie durch ein Element massiv verstärkt: die große Menge demokratisch legitimierter Posten. Die Einwohner von Ferguson müssen über eine Vielzahl verschiedener Posten abstimmen und Kandidaten dafür bestimmen, was für den Durchschnittsbürger einen kaum akzeptablen Aufwand darstellt. Die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen liegt daher nicht bei 30-40% wie bei uns, wo ich im Zweifel immerhin die Parteiliste abnicken kann. Stattdessen liegt sie bei 12-15%. Und da ist der hohe Mobilisierungsgrad der organisierten Interessengruppen bereits drin! Da das amerikanische Demokratieverständnis zudem eine „winner takes it all“-Mentalität pflegt, die dem Machtmissbrauch der Exekutive und Legislative, wenn sie einmal gewählt sind, nur wenige Schranken setzt (siehe Gerrymandering), wir die Wahlbeteiligung noch künstlich niedergedrückt. In Ferguson sorgten die herrschenden Klassen (anders kann man das nicht nennen) dafür, dass Wahlen in ungeraden Jahren im April stattfinden. Da Kongress- und Präsidentschaftswahlen in geraden Jahren im November sind, ist das maximal weit voneinander entfernt und sorgt so für ebenso maximale Demobilisierung. Dies ist nur ein weiterer Fall wo mehr Demokratie im Endresultat zu wesentlich weniger Demokratie führt und sollte all denen, die glauben mit mehr Wahlen auch ein Mehr an Partizipation erreichen zu können, eine deutliche Warnung sein.
Der Kommentar zur Überwachung ist viel zu pauschalisierend. Da sollte man doch bitte differenzieren, wer wen überwacht und wem man danach tatsächlich „Heulerei“ unterstellen kann.
Wenn die Five-Eyes die deutsche Bevölkerung ausspionieren und der BND Zugriff auf diese Daten hatte und hat, so ist das ein hochgradig undemokratischer Komplex. Bürgern, die sich darüber beschweren, „Heulerei“ zu unterstellen, ist – gelinde gesagt – reaktionärer Bullshit.
Dass hingegen die jetzige und die letzten zwei deutschen Regierungen ihr unsägliches Theater abzogen, als herauskam, dass Merkels Handy und sicherlich noch einiges mehr abgehört wurde, kann man ruhig als „Heulerei“ bezeichnen.
Und wie stellst du dir eigentlich genau vor mit der Spionageabwehr durch den BND? Wen soll er vor Spionage schützen und wie? Und was qualifiziert historisch eigentlich den BND, dass du ihm das Vertrauen schenkst, dies tatsächlich durchzuführen?
Nur um das klarzustellen – ich schreibe auch im Artikel, dass die NSA-Überwachung eine Sauerei ist. Als „Heulerei“ bezeichne ich nur dieses „Mimimimimimi unter Freunden überwacht man sich nicht“, denn das ist einfach Quatsch. Und mein Vertrauen für den BND reicht soweit, wie ich ihn werfen kann. Mein Argument ist, dass seine Aufgabe auch Spionageabwehr ist – und offensichtlich versagt er da total, so wie der Verfassungsschutz total bei der Aufgabe versagt hat, Bürger vor extremistischem Terror zu schützen. Die Geheimdienste gehören so was von entrümpelt, aufgeräumt und unter vernünftige parlamentarische Kontrolle gestellt. Aber die grassierende Vorstellung, man müsse sie komplett abschaffen, oder eben dieses moralinsaure „alle sind böse außer wir“ kann ich nicht mehr hören.
Ok, dann sind wir in dem Punkt der „Heulerei“ einig.
Bei der Spionageabwehr sollte man auch wieder unterscheiden, wer ausspioniert wird. Dass der BND nicht jeden Bürger gegen eine Einzelüberwachung fremder Dienste schützen kann, ist praktisch offensichtlich und ja auch nicht seine Aufgabe. Wogegen durchaus etwas unternommen werden kann, ist die Massenüberwachung. Aber hier sehe ich nicht, was der BND dazu beitrage kann – ganz abgesehen von der Tatsache, dass er gerade auf der exakt anderen Seite steht. Hierfür muss man im Softwarebereich Open-Source-Projekte massiv weiterentwickeln – ok, beratend könnten die Dienste hier helfen, aber das ist unrealistisch -, sichere Infrastrukturen bauen (ohne durch Geheimverträge zugestandene Abhörstellen) usw. usf.
Aber auch einen Spionageschutz durch den BND bei Politikern, Richter, Staatsanwälten, Militärs etc. sehe ich sehr kritisch, denn durch seine fachlichen Kompetenzen kann er somit wieder diejenigen, die ihn kontrollieren sollen, erpressen.
Dies ist ohnehin das fundamentale Problem, und ich finde, dass es vor diesem Hintergrund durchaus gerechtfertig ist, die Frage aufzuwerfen, inwiefern die jetzige Geheimdienststruktur – und, auch wenn du es nicht mehr hören kannst, darüberhinaus die Existenz von Geheimdiensten – mit Rechsstaatlichkeit vereinbar ist. Ist der Schaden, den sie angerichtet haben und anrichten, nicht größer als der Nutzen, den sie erbringen? Ich weiß, dass das eine extrem schwierige Frage ist, aber ich denke, dass darüber eine Diskussion zu führen ist.
Ja, das ist durchaus legitim. Ich denke aber, dass es grundsätzlich Aufgaben gibt, für die es schlicht Geheimdienste braucht – und wenn es nur die Abwehr anderer Geheimdienste ist. Dass der BND seinen Job nicht gut macht, brauchen wir nicht diskutieren. Das ändert aber nichts an der grundsätzlichen Notwendigkeit.
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