Wider Steuererhöhungen: Warum wir heute nicht weniger Steuern zahlen

Ein Gastbeitrag von Stefan Pietsch

Ein junges Paar möchte zusammenziehen. Da sie sehr verliebt sind, beschließen sie, dass jeder nach seinen Möglichkeiten zum gemeinsamen Haushalt beiträgt. Er ist ein aufstrebender Ingenieur mit einem monatlichen Nettoeinkommen von 4.000 EUR, sie dagegen arbeitet als Krankenpflegerin für 2.000 EUR netto. Sie finden, dass sie sich inklusive Miete einen gemeinsamen Haushalt mit 1.500 EUR leisten sollten. Demgemäß wird er 1.000 EUR beisteuern, während sie nur 500 EUR in die gemeinsame Kasse einzahlen muss. Beide haben damit einen Steuersatz von 25% für sich festgelegt.

Nach einem Monat fällt ihr auf, dass die Kosten für ihre Monatskarte nicht berücksichtigt wurden. Außerdem stellen die regelmäßigen Ausgaben für ihre private Zusatzversicherung eine erhebliche Belastung dar. Sie argumentiert, dass sie eigentlich nur 1.500 EUR zur Verfügung habe. Aber auch er reklamiert Belastungen für sich von 500 EUR und so beschließen sie, den internen Steuersatz auf 30% anzuheben. Nun muss er 1.050 EUR zahlen, während sie 450 EUR aufbringen muss.

Kurze Zeit danach erhält er eine Gehaltserhöhung von 500 EUR netto und auch sie verbessert ihr Einkommen mit Sonn- und Nachtzuschlägen um ebenfalls 500 EUR. Allerdings, jetzt gibt es Streit beim jungen, verliebten Paar. Sehr heftig in der Wortwahl meint sie, dass ihre Zuschläge kaum als Einkommen gerechnet werden könnten, da diese nur ein Ausgleich für ihre unmöglichen Arbeitszeiten sei. Widerwillig stimmt er zu und sie legen mit 27% einen neuen Steuersatz fest. Nun zahlt er 1.100 EUR, während sie auf 400 EUR fällt.

Die Geschichte geht wahrscheinlich nicht gut aus, womit die Parallelen mit der deutschen Steuerpolitik enden. Auch in der heutigen Zeit trennen sich Bürger nicht von ihrem Staat mit einer geharnischten Protestnote, sondern still und manchmal heimlich. Immer wieder wurde in Deutschland die Einkommensteuer reformiert, die letzten großen Veränderungen fanden 1989 / 1990 und von 2001 bis 2005 statt. Kurz vor der Wiedervereinigung erhöhte der damalige Bundesfinanzminister Stoltenberg die Nominalbeträge im Einkommensteuergesetz und begradigte den Tarifverlauf. Gut ein Jahrzehnt später wählte der rot-grüne Kassenwart Hans Eichel eine andere Strategie und senkte die Steuersätze über den gesamten Tarifverlauf. Das war unter politischen Gesichtspunkten keine wirklich gute Idee. Zwar war das Ergebnis in beiden Fällen das annähernd Gleiche: der Großteil der Steuerzahler wurde kurzzeitig entlastet. Doch seitdem streitet das Land, ob höhere Einkommensbezieher überhaupt weniger Steuern zahlen dürfen.

Der Befund: Von 1990 bis 1995 lag der Eingangssteuersatz bei 19%, der Spitzensteuersatz dagegen bei 53%. Im Ergebnis lagen zwischen den beiden Enden der Kurve 34%-Punkte Steigung. Die letzte große Steuerreform von Rot-Grün änderte daran wenig, seit 2005 liegt zwischen der Anfangsbesteuerung mit 15% und der Spitze mit 42% ein Steigungswinkel von 27%-Punkten. Dabei ist die prozentuale Entlastung in beiden Bereichen des Tarifs annähernd gleich (17% zu 21%). Ist das steuerpolitisch so ungerecht, dass wir darüber bis zur nächsten Jahrzehntreform debattieren müssen?

Wie im Steuerrecht üblich, ist das allerdings nicht die volle Wahrheit. Seit 1995 bezahlen wir zum zweiten Mal in der Geschichte einen Solidaritätszuschlag, der seit 1998 bei 5,5% der Einkommensteuerschuld liegt. Damit steigt die Progression und der Unterschied zwischen der niedrigsten und der höchsten Besteuerung vergrößert sich. Und natürlich könnte man noch die sogenannte Reichensteuer berücksichtigen, die bei 250.000 Jahreseinkommen mit 45% greift. Doch es geht nicht um ein steuerrechtliches Seminar.

Die Befürworter von Steuererhöhungen simplifizieren meist einen äußerst komplexen Sachverhalt. Denn tatsächlich wurden im letzten Jahrzehnt nicht nur die Einkommensteuersätze gesenkt, sondern eben auch die Ausnahmen zusammengestrichen. Steuerexperten sprechen in einem solchen Fall von einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Der einzelne Effekt einer solchen Maßnahme ist schwer zu fassen, aber er lässt sich auf indirektem Wege festmachen.

Unter das Einkommensteuergesetz fallen in Deutschland nahezu alle Erwerbstätigen, nämlich sowohl Arbeitnehmer als auch 98% der Unternehmen. Nur Gesellschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit wie eine Aktiengesellschaft oder GmbH werden als Kapitalgesellschaft nach dem Körperschaftsteuergesetz besteuert. Wenn also die Steuersätze sinken, müsste folglich auch der Anteil, den wir an Einkommensteuer an den Staat abführen, geringer werden. Finanzwissenschaftler und Volkswirte nehmen hierzu als Messgröße das Verhältnis von Steuern auf Einkommen und Ertrag zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Nach OECD zahlten die Deutschen aber der zweiten Hälfte der 1970er Jahre über 10% ihres persönlichen Einkommens als Steuern an den Staat. Es waren die Jahre, wo es mit dem ehemaligen Wirtschaftswunderland langsam aber stetig bergab ging. 1990 wurden 9,6% gezahlt, bevor der Trend wieder nach oben ging und erneut zu wirtschaftlicher Stagnation führte.

Zu Beginn der Regierungszeit Gerhard Schröders wurden etwas über 9% an den Fiskus entrichtet, das waren die Jahre vor der letzten Steuerreform. Seit dem hat sich der Staat in seinem Appetit auf das Einkommen der Bürger keineswegs zurückgenommen, stetig ist der Anteil, den wir entrichten, gestiegen auf zuletzt 9,6%. Die These der Linken ist also falsch, dass dem Staat aufgrund der früheren Steuerreformen Mittel genommen worden seien. Und selbst wenn wir Kapitalgesellschaften betrachten, stimmt das Argument nicht, denn auch unsere GmbHs und AGs tragen heute mit 1,8% eher mehr als weniger zum Steueraufkommen bei.

Machen wir das Bild rund, in dem wir die individuelle Steuerbelastung beleuchten. Die neue Jahresberechnung der OECD sieht die deutschen Steuerzahler als mit am höchsten belastet an, dies gilt für Singles wie Verheiratete, Geringverdiener wie Spitzeneinkommen gleichermaßen. Ebenso ist das Argument falsch, die oberen Einkommen seien zu Lasten von Geringverdienern verschont worden. In den letzten Jahrzehnten hat die Konzentration der Einkommensteuer auf die oberen 50% der Steuerpflichtigen kontinuierlich zugenommen, die Entwicklung der Steuersätze hat an dem Trend nichts geändert, sondern ihn eher verstärkt.

Fazit: Die steuerliche Belastung der Einkommen und Gewinne ist heute nach wie vor außerordentlich hoch. Eine weitere fiskalische Verschärfung würde nach den historischen Erfahrungen Wohlstand und Prosperität bremsen. Die natürliche Grenze des Erträglichen ist erreicht. Eine längst angezeigte neue Steuerreform würde für mehr Wachstum sorgen. Leider ist die politische Stimmung nicht danach.

{ 23 comments… add one }
  • Ralf 29. April 2014, 01:00

    Ja, diese gierigen Krankenschwestern sind wirklich eine Pest. Daran krankt das ganze System. Wollen die doch dem fleissigen Leistungstraeger, wie dem „aufstrebenden Ingenieur“ staendig ans wohlverdiente Geld. Und dann immer diese Ausreden, wie die „Sonderbelastungen“, nur wegen der schweren Knochenarbeit und den paar Nachtschichten und der Arbeit am Wochenende. Haette der Ingenieur die Beziehung doch nur frueher abgebrochen. Moeglicherwiese haette es dann fuer den neuen Porsche gereicht. Echt schade. Denn schliesslich wissen wir ja, nur Geld alleine macht gluecklich.

    […] womit die Parallelen mit der deutschen Steuerpolitik enden.

    Ich erkenne noch nicht mal den Anfang der Parallele. Steht die gierige Krankenschwester analog fuer die „Hartz IV-Schmarotzer“? Und der „aufstrebende Ingenieur“ fuer so arme, ausgebeutete Leistungstraeger wie Uli Hoeness?

    Auch in der heutigen Zeit trennen sich Bürger nicht von ihrem Staat mit einer geharnischten Protestnote, sondern still und manchmal heimlich

    Naja, das klingt schon so, als muesste man mit den armen Beuteln Verstaendnis haben. Wobei unter den Tisch faellt, dass die, die sich „still und heimlich trennen“ anstatt die Steuern zu zahlen, die sie der Gemeinschaft schulden, und deshalb ihr Geld lieber in der Schweiz und in Liechtenstein verbergen, Verbrecher sind. Diebe. Moralisch keinen Deut besser als der Bankraeuber mit der Pistole in der Hand. Und der gesellschaftliche Schaden, den die raeuberischen Anzug- und Krawattenliebhaber verursachen, ist in der Regel sogar erheblich groesser als der Schaden, den ihre sturmhaubentragenden Pendents bewerkstelligen.

    Die natürliche Grenze des Erträglichen ist erreicht

    Das kann man eigentlich nur noch mit einem Lachen zur Kenntnis nehmen. Die USA hatten teilweise Spitzensteuersaetze in ihrer Geschichte, die bei ueber 90% lagen und bis in die 80er Jahre hinein bei 70% und hoeher. Und die USA sind keineswegs zusammengebrochen, sondern es gab eine Aera des Wohlstands und der Gerechtigkeit. An motivierten Aufsteigern hat es dort uebrigens nie gemangelt, trotz hoeher Steuern.

    Von der Gerechtigkeit verabschieden wir uns in Deutschland allerdings, auch aus Gruenden des Steuerrechtes, immer weiter. Das sieht man etwa am stetig steigenden Gini-Koeffizienten:

    http://www.statistiker-blog.de/wp-content/uploads/2011/12/Gini.png

    Vielleicht haetten der aufstrebende Ingenieur und die Krankenschwester darueber mal sprechen sollen …

  • In Dubio 29. April 2014, 08:18

    Beide Personen stehen für typische Mitglieder der deutschen Mittelschicht, zwischen denen trotzdem ein gewisser Einkommensunterschied besteht. Weder Hartz-IV-Bezieher noch Uli Hoeneß sind Mittelschicht. Ich wollte zeigen, was anscheinend bei Ihnen nicht angekommen ist: egal, wie wir rechnen, irgendwie muss die Rechnung bezahlt werden. Ob wir dazu erstmal unsere Einkommen klein rechnen und dann einen hohen Prozentsatz nehmen oder umgekehrt, ist einerlei. Die Linken rufen, es muss diese Möglichkeiten geben, das Einkommen individuell zu ermitteln – nur um aufzuschreien, wenn sie merken, dass das die Wohlhabenderen viel besser können.

    Vier von fünf hinterzogenen Steuergeldern sind Beträge aus der Schwarzarbeit. Verstehe ich Sie richtig: schwarz arbeitende Bauarbeiter, die sich am Wochenende verdingen und Putzfrauen sind Schwerstkriminelle?

    Die USA hatten teilweise Spitzensteuersätze in ihrer Geschichte, die bei ueber 90% lagen und bis in die 80er Jahre hinein bei 70% und höher. Und die USA sind keineswegs zusammengebrochen, sondern es gab eine Ära des Wohlstands und der Gerechtigkeit.

    Die Mystik des Golden Age verbreitet sich jenseits der USA, seit dem Paul Krugmans Buch „Nach Bush“ erschienen ist. Die damals hohe Kriminalität von Schwarzen relativiert er allerdings selbst, um das schöne Bild nicht zu stören. Tatsächlich sah die Zeit doch etwas anders aus: Westeuropa holte nach dem Krieg dramatisch gegenüber den USA auf, wichtige Innovationen und Patentrechte lagen in Europa. Der wirtschaftliche Niedergang der USA zeigte sich dann in den 1970er Jahren.

    Zudem ist es immer bedenklich, so weit auseinander liegende Epochen in einer Größe miteinander zu vergleichen. Damals gab es beispielsweise viele große Konzerne wie Kodak, die den typischen Mittelklasseamerikaner mit massenhaften Bürojobs gut entlohnten. Schauen Sie sich dazu mal ein paar gute 60er Jahre Hollywoodstreifen wie „Das Apartment“ an. Das gibt es immer weniger, statt dessen verdient heute der Mittelklasseamerikaner sein Geld mit seinem an der Universität erworbenen Wissen und nicht mit einfacher Tätigkeit.

    Nebenbei scheint die Kernbotschaft nicht bei Ihnen angekommen: die Amerikaner mögen damals Steuersätze von 90% gehabt haben. Allein, es hat ihnen nicht wirklich etwas gebracht. Damals in den 1960er Jahren nahm der Staat 7,8% des BIP (also des Erwirtschafteten) als Income Tax ein, heute ist es bei weit niedrigeren Steuersätzen leicht mehr. Was könnte man daraus lernen? Kaum jemand hat damals die tatsächlichen Steuersätze gezahlt. Oder, wie es ein amerikanischer Think Tank formuliert:

    History has demonstrated that aggregated tax revenue is effected suprisingly little by changes in marginal tax rates. Since 1944, aggregate individual income tax receipts have remained within a tight band near 7.8% of GDP, despite the fact that top marginal tax rates have ranged from 91% to 28% over the same period.

    Einfache Frage: zahlen Sie lieber niedrige Steuern auf ihr gesamtes Einkommen oder hohe Steuern auf ausgewählte Teile Ihrer Einkünfte?

  • Manfred Peters 29. April 2014, 10:49

    „Ein junges Paar möchte zusammenziehen. Da sie sehr verliebt sind, beschließen sie, dass jeder nach seinen Möglichkeiten zum gemeinsamen Haushalt beiträgt. …“
    Kinder Mangelware, da nicht zu kalkulieren!
    Der Ghostwriter Rosamunde Pilchers für neoliberale Schmozetten bekommt ein Gesicht.
    Würde ich bei „Was Stefan Pietsch bietet“ ergänzen. 🙁

    • In Dubio 29. April 2014, 12:04

      … Kinder zahlen (meist) keine Steuern … Außerdem stehen Sie (ebenfalls meist) nicht am Anfang einer Beziehung … Sachliche Erwiderungen sind herzlich willkommen …

      Wer ist Rosamunde Pilcher?!

  • Frank Benedikt 29. April 2014, 17:30

    Sry, aber was ist das für eine Rechnung? Ein (zumindest angenommenes) Nettoeinkommen von 6.000 (in Worten: sechstausend) Euro? Damit bekämen dann sogar wir (meine Gefährtin und ich zusammen gut 2.000 Euro netto) in München eine Zwei-Zimmer-Wohnung für rund 1.000 Euro netto warm.

    Ist das neuerdings ein Blog für „Besserverdiener“ oder wird hier noch die Lebenswirklichkeit wahrgenommen? Entschuldige, Stefan, nichts gegen Dich, aber das muß ich doch mal fragen.

    Armut wird zu einem Massenphänomen – selbst im ‚reichen Deutschland‘ – sind da versuchte Debatten wie diese, die wohl eher dem Erhalt des Besitzstands der Reste des „Mittelstands“ dienen könnten, wirklich ‚zielführend‘?

    LG
    Frank

    • In Dubio 29. April 2014, 18:30

      Die Beträge wurden der einfachen Rechnung wegen gewählt, wenn es Ihnen aus sozialen Gründen hilft, stellen Sie sich die Hälfte der Summen vor. Am Sachverhalt ändert das allerdings nichts.

      27 Millionen Menschen zahlen in Deutschland Einkommensteuer, es ist seit einem Jahrhundert die zentrale Gerechtigkeitsfrage und des spielt in jedem Wahlkampf eine Schlüsselrolle. Gerade haben zwei linke Parteien ihr Wahlziel deswegen nicht erreicht, weil sie Steuererhöhungen propagiert haben.

      Die Debatte über Armut dagegen ist zum Teil eine virtuelle, weil die Armut, die Sie meinen, in Relationen gemessen wird. Wir reden nicht deswegen von Armut in Deutschland, weil hier massenweise Menschen verhungern oder kein Dach über dem Kopf haben.

      Es ist verabredet, dass zeitnah eine Replik publiziert wird. Diskursiver Streit ist doch das Fleisch in der Suppe einer Demokratie. Oder finden Sie nicht?

    • Stefan Sasse 30. April 2014, 10:15

      Nun, auch Besserverdiener sind Wirklichkeit 😉 Davon abgesehen sind die Zahlen (Krankenschwester mit 2000 Euro ;)) ja eh nur der Übersichtlichkeit halber gewählt.

  • Ralf 29. April 2014, 21:05

    Gerade haben zwei linke Parteien ihr Wahlziel deswegen nicht erreicht, weil sie Steuererhöhungen propagiert haben.

    Keine Ahnung von wem sie hier reden. Falls etwa die Gruenen gemeint sind, die haben ihr Wahlziel in erster Linie deshalb nicht erreicht, weil ihnen unmittelbar vor dem Wahlgang eine schmutzige Paedophiliedebatte aufgezwungen wurde. Wenn man sich etwa die Forsa-Umfragen anschaut …

    http://www.wahlrecht.de/umfragen/forsa.htm

    … stellt man fest, dass die Gruenen seit dem 09.11.2011 bis etwa zwei Wochen vor der Wahl (04.09.2013) zwischen 11% und 16% pendelten, im Trend meist ziemlich nahe an 14%. Franz Walter veroeffentlichte Vorabergebnisse seiner Paedophiliestudie im August und September, wobei der Spitzenkandidat der Gruenen Juergen Trittin, und mit ihm die gesamte Partei, direkt angegriffen wurde. Entsprechend sind die Umfragen eingeknickt und die Gruenen landeten auf einem Tiefpunkt von 8.4%; ein Wert, von dem sie sich, seit die Vorwuerfe leiser geworden sind, wieder erholen. Ausserdem haben sich die Medien mit Begeisterung auf den Veggie-Day gestuerzt. Die Gruenen sind damit unmittelbar vor der Wahl bundesweit wieder und wieder laecherlich gemacht worden. In jeder Talkshow wurde darauf hingewiesen. Die geplanten Steuererhoehungen haben wesentlich weniger Aufmerksamkeit bekommen, sind kaum im Detail debattiert worden und sind im uebrigen im April 2013 beschlossen worden:

    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/parteitagsbeschluss-gruene-wollen-gutverdiener-zur-kasse-bitten-a-896908.html

    Damals lagen die Gruenen bei stabil 14-15% und auch drei Monate spaeter war das nicht anders (siehe Forsa oben ^^). Daraus laesst sich schliessen, dass die Steuervorschlaege die Zustimmung zu den Gruenen nicht negativ beeinflusst haben.

    Erst nach der Wahl haben Neoliberale alles umgedeutet, um es so erscheinen zu lassen, als wenn die Gruenen wegen ihrer Steuerplaene vom Buerger abgestraft worden waeren. Das Ziel ist wohl aehnliche Vorhaben fuer alle Ewigkeit zu blockieren.

    Wir reden nicht deswegen von Armut in Deutschland, weil hier massenweise Menschen verhungern oder kein Dach über dem Kopf haben.

    Wenn sie mal fuer ein paar Wochen die „relative Armut“ in Deutschland am eigenen Leib erfahren duerften, wuerden sie wohl anders reden.

    • In Dubio 29. April 2014, 22:28

      Sie liefern keinen direkten Beleg für Ihre These, dass für die Wahlniederlage der Grünen nicht die Steuerdebatte ursächlich war. Übrigens wurden die Vorschläge äußerst breit diskutiert – in den führenden Medien und in Talksendungen – und mit wissenschaftlichen Analysen flankiert. Wie intensiv hätten Sie denn eine Debatte? Stimmt, die Grünen bzw. deren Wähler waren keineswegs an einer Steuerdiskussion interessiert. Bei der Abstimmung, welche 10 Themen im Wahlkampf plakatiert werden sollten, fiel Steuern komplett durch.

      Seltsamerweise konnte ich direkt nach dem Beschluss der Grünen beim Sprengsatz prognostizieren, dass die Grünen mit ihrem Steuererhöhungskonzept Schiffbruch erleiden würden. Die Pädophilendebatte hatte ich nicht kommen sehen. Hm. Versuchen Sie den Gegenbeweis: wann hat mal eine Partei explizit mit Steuererhöhungen einen Wahlsieg eingefahren?

      Wenn sie mal für ein paar Wochen die “relative Armut” in Deutschland am eigenen Leib erfahren dürften, würden sie wohl anders reden.

      Solche Noten führen uns kaum weiter. Sie müssten mal ein paar mal den Spitzensteuersatz zahlen, dann wüssten Sie, wie es sich anfühlt, wenn Ihnen die Hälfte weggenommen wird. Oder: Alle Hartz-IV-Empfänger müssten 3 Monate in Bulgarien von der dortigen Stütze leben, um ein Gefühl für wirkliche Armut zu bekommen.

      Interessant ist, dass Sie und andere gar nicht die Kernthese angreifen: Warum wir heute nicht weniger Steuern bezahlen Drei im Bundestag vertretene Parteien hatten noch vor wenigen Monaten argumentiert, wir würden relativ wenig Steuern zahlen und gerade die oberen Einkommen seien im letzten Jahrzehnt massiv entlastet worden.

      • Stefan Sasse 30. April 2014, 10:16

        Ich denke auch dass für die Grünen-Niederlage in dem Ausmaß Pädophilie und Veggie-Day entscheidender waren. Es ging um die Verbotspartei, nicht um die Steuererhöhungspartei.

  • Ralf 30. April 2014, 01:35

    Sie liefern keinen direkten Beleg für Ihre These, dass für die Wahlniederlage der Grünen nicht die Steuerdebatte ursächlich war.

    Keine Ahnung wie direkt ein Beweis fuer Sie sein muss. Die Gruenen haben den Vorschlag gemacht, die Steuern zu erhoehen. Damals kurz nach dem Parteitag ist das in den Medien auch in der Tat thematisiert worden, weil es eine der wichtigsten Richtungsentscheidungen war. Und die Zustimmung/Ablehnung der Gruenen ist anschliessend absolut stabil gewesen. Fuer Monate hat sich nichts geaendert. Waere Ihre These richtig, dass die Gruenen bei der Wahl fuer ihr Steuerkonzept abgestraft wurden, dann haette es direkt nach dem Parteitag einen Aufschrei beim Waehler geben muessen und die Umfragewerte haetten einbrechen muessen. Das war nachweislich nicht der Fall. Und spaeter, kurz vor der Wahl, ist das Thema Steuererhoehungen kaum noch diskutiert worden. „Ganz direkt“ zeigt das, dass es offensichtlich keinen Zusammenhang zwischen Steuererhoehungsplaenen und Zustimmungswerten bei den Gruenen gab.

    Das Abstuerzen kurz vor der Wahl muss man also anders erklaeren. Und da der Einbruch der Umfragewerte ziemlich genau parallel zur Eroeffnung der Paedophiliedebatte stand, bei der der Parteivorsitzende und mehrere prominente Mitglieder der Gruenen unter Druck kamen, ist auch voellig klar, was das Absacken bewirkt hat. Auch wenn das nicht in ihre Geschichtsschreibung passt, weil es eben nicht das ist, was Neoliberale hoeren wollen.

    wann hat mal eine Partei explizit mit Steuererhöhungen einen Wahlsieg eingefahren?

    Mit Ankuendigungen von Steuererhoehungen macht man sich selten Freunde. Das hat aber nichts damit zu tun, dass der Waehler gerne Ihren neoliberalen Sparstaat haette. Denn wenn man den Waehler fragt, ob er gerne die Schulen, in denen der Putz von den Waenden broeckelt, renoviert sehen moechte, sagt er ja. Wenn er gefragt wird, ob wir mehr Lehrer einstellen sollen, sagt er ja. Wenn er gefragt wird, ob wir mehr Polizisten einstellen sollen, die sichtbar auf der Strasse patroullieren und fuer unsere Sicherheit sorgen, sagt er ja. Wenn er gefragt wird, ob wir in Technologie, Forschung und unsere Universitaeten investieren sollen, dann sagt er ja. Die Liste liesse sich endlos fortfuehren. Leider neigt der Waehler aber oft zur Unlogik. Denn parallel zu all den schoenen Dingen, die er sich vom Staat wuenscht, verlangt er auch noch Steuersenkungen. Das funktioniert in der Praxis natuerlich nicht (oder fuehrt zu immer mehr Verschuldung). Dennoch bin ich fest davon ueberzeugt, dass wenn der Waehler vor die klare Alternative gestellt wuerde, sich entweder fuer den schlanken neoliberalen Sparstaat oder den teuren umsorgenden Wohlfahrtsstaat zu entscheiden – mit allen positiven und negativen Folgen (!), der Wohfahrtstaat gewaehlt wuerde. In der Praxis wird diese Frage allerdings nie gestellt. Schon deshalb nicht, weil die Neoliberalen dem Waehler mit Unterstuetzung der grossen Leitmedien jedesmal das selbe Maerchen auftischen: Dass der Waehler eben beides haben kann, den Wohlfahrtsstaat, der sich um alle kuemmert UND Steuersenkungen. Und obwohl diese „Trickle-Down“-Luege, derzufolge Steuererleichterungen fuer Reiche letztlich auch beim „kleinen Mann“ positiv ankommen, seit Jahren peinlich gescheitert ist, faellt der Waehler trotzdem immer wieder drauf rein. Bei dem Propaganda-Trommelfeuer von Spiegel, BILD, FAZ & Co allerdings auch kein grosses Wunder.

    Sie müssten mal ein paar mal den Spitzensteuersatz zahlen, dann wüssten Sie, wie es sich anfühlt, wenn Ihnen die Hälfte weggenommen wird.

    Ich sehe soviel Armut um mich herum, dass das wirklich meine allerkleinste Sorge ist. Wer gut verdient, kann auch die Haelfte abgeben. Da Sie sich in der Vergangenheit ja immer wieder so positiv ueber das Christentum geaeussert haben, darf ich Ihnen vielleicht Matthaeus 19,24 ans Herz legen.

    Alle Hartz-IV-Empfänger müssten 3 Monate in Bulgarien von der dortigen Stütze leben, um ein Gefühl für wirkliche Armut zu bekommen

    Der Satz ist wirklich bemerkenswert respektlos. Ich habe nicht den Eindruck, dass Sie irgendeine Ahnung haben von den Sorgen der Hartz IV-Empfaenger. Wie weh es tut, wenn man seinem Kind kein Weihnachtsgeschenk, kein Geburtstagsgeschenk kaufen kann. Wenn man von der Hand in den Mund lebt und nicht weiss wie man im naechsten Monat ueber die Runden kommen soll. Wenn man Freundschaften und Bekanntschaften nicht mehr aufrecht erhalten kann, weil das Geld fuer gemeinsame Unternehmungen fehlt. Wenn die Menschen sich vor Scham immer nur eingeladen werden zu koennen und nie etwas zurueckgeben zu koennen, immer weiter in Einsamkeit zurueckziehen. Wenn Kontakte abgebaut werden und Beziehungen zerbrechen. Wenn die Einrichtung ihrer Wohnung immer maroder wird und man nichts ersetzen kann. Wenn Kleider zunehmend zu Lumpen werden, aber das Geld fuer den Neukauf fehlt. Was sind dagegen die Sorgen des Besserverdieners, selbst wenn er die Haelfte seines Gehaltes als Steuern fuer die Gemeinschaft geben muss, solange er trotzdem ein bequemes Mittelklasseleben fuehren kann? Tut mir leid, ich kann da nur den Kopf schuetteln.

    Drei im Bundestag vertretene Parteien hatten noch vor wenigen Monaten argumentiert, wir würden relativ wenig Steuern zahlen und gerade die oberen Einkommen seien im letzten Jahrzehnt massiv entlastet worden.

    Dass die oberen Einkommen massiv entlastet worden sind, ist ein Fakt. Sie schreiben doch selbst, dass der Spitzensteuersatz von 53% auf 42% gefallen ist. Ausserdem muss ich Ihnen, da Sie ja vermutlich eher in der Klasse des „aufstrebenden Ingenieurs“ als in der der gierigen Krankenschwester zu verorten sind, wahrscheinlich nicht erklaeren, dass besonders Wohlhabende den groessten Teil ihres Einkommens oft nicht aus regulaerer Arbeit beziehen, sondern aus Kapitalertraegen und von der Einkommenssteuer folglich nur marginal betroffen sind.

    • In Dubio 30. April 2014, 08:12

      Ab Sommer 2013 begann der Stern der Grünen langsam zu sinken, im April hatte man das Wahlprogramm beschlossen, ab da erst begann die breite öffentliche Diskussion. Erst Anfang September 2013 veröffentlichte der Politologe Walter erste Ergebnisse zu seiner Untersuchung, da hatten sich die Stimmen für die Grünen jedoch bereits in der Nähe des tatsächlichen Wahlergebnisses eingependelt. Klar, keine Frage, die Debatte war für die Alternativen nicht hilfreich und hat zusätzlich abgeschreckt. Ursächlich für das schlechte Abschneiden war sie jedoch nicht.

      Wir driften ab, deswegen möchte ich das Thema eingrenzen. Dennoch haben Sie mir einige Anregungen gegeben, über die Usancen des Wohlfahrtsstaates zu schreiben. Nur soviel: Wenn Sie die Frage positiv besetzt nach Polizisten und Lehrern fragen, bekommen Sie natürlich eine positive Response. Die bekommen Sie selbst in den USA. Wenn Sie jedoch fragen, ob die Leute es richtig finden, dass der Staat die Hälfte der Mittel für Hartz-IV allein für die Verwaltung der Bedürftigen aufwendet und wenn Sie fragen, ob die Bürger bereit sind, mehr Steuern zu zahlen, damit mehr Beamte im Finanzamt beschäftigt werden können und dafür, dass öffentlich Angestellte 20% ihrer Arbeitszeit wegen Krankheit fehlen – dann bin ich sicher, wird Ihre Frage anders beantwortet. Und dies erklärt, warum die Leute nicht mehr Steuern zahlen wollen.

      Leider scheinen Sie von meinem Beitrag nur die Überschrift gelesen zu haben. Er ist weitgehend wertneutral. Ich habe dargelegt, dass wir heute so hohe Steuern zahlen wie im Mittel der letzten 40 Jahre.

      Dass die oberen Einkommen massiv entlastet worden sind, ist ein Fakt. Sie schreiben doch selbst, dass der Spitzensteuersatz von 53% auf 42% gefallen ist.

      Nein. Nehmen Sie den zweiten Absatz oben. Finden Sie, dass das Pärchen nach der Neufestsetzung mehr „Steuern“ zahlt? Nein, der Steuersatz war zwar von 25% auf 30% gestiegen, jedoch, allein die Berechnungsweise hat sich geändert. Genauso wäre es bei umgekehrter Konzeption. Warum machen Sie nicht, wie in Mathematik gelernt, die Gegenprobe zu Ihren Thesen? Der Einfachheit halber habe ich Sie Ihnen sogar aufgeschrieben. Auch wenn wir die Steuersätze senken, sinkt die Belastung im historischen Kontext nicht. Wo ist dann die von Ihnen behauptete steuerliche Entlastung? Weder liefern wir weniger von unserem Einkommen als Steuern ab, noch zahlen die oberen 50% der Einkommensbezieher weniger. Also, Gegenbeweis von Ihnen: wo ist die Steuerbelastung gelandet, wo sehe ich sie in den gesamtwirtschaftlichen Zahlen?

      Außerdem werden Sie politisch: nicht allein für die Spitzenzahler wurden die Steuersätze gesenkt, sondern für alle Einkommensteuerzahler. Die Tarifabsenkung ist prozentual für alle Gruppen annähernd gleich gewesen.

      Ich bin weder „aufstrebender Ingenieur“ noch gierige Krankenschwester (tatsächlich ist von einer wertneutralen „Krankenpflegerin“ die Rede). Ich beziehe auch den größten Teil meines Einkommens aus Erwerbsarbeit. Doch selbst wenn dem nicht so wäre, müsste ich auf alles, was ich regelmäßig beziehe, „personal income tax“ zahlen, ggf. „corporate tax“. Wie Sie es auch drehen und wenden und eventuell Stepptanz aufführen: wenn es eine Steuerentlastung gab, so müsste diese sich im Verhältnis Tax / GDP (BIP) widerspiegeln. Auch Kapitalerträge fallen unter die Einkommensteuer (Personal Income Tax).

      Sie sind respektlos und fordern Respekt ein. Soweit jemand hohe Einkommen bezieht, kann er auch die Hälfte abgeben. Sie interessiert es dabei nicht, welche Anstrengungen jemand unternehmen muss, um genau das zu erreichen.

  • Ralf 30. April 2014, 16:52

    Soweit jemand hohe Einkommen bezieht, kann er auch die Hälfte abgeben. Sie interessiert es dabei nicht, welche Anstrengungen jemand unternehmen muss, um genau das zu erreichen.

    Genau. Interessiert mich ueberhaupt nicht. Ich muss beruflich auch unheimlich viele Anstrengungen unternehmen. Wichtig ist nicht wieviel jemand abgeben muss, sondern wieviel jemandem zum Leben bleibt. Wenn genug bleibt, um ein angenehmes Mittelklasse-Leben fuehren zu koennen, eine schoene Wohnung einzurichten, ein Auto zu haben und einmal im Jahr in den Sommerurlaub zu fahren, sehe ich nicht wo das Problem liegt.

  • In Dubio 30. April 2014, 19:39

    Nach meinem Abitur habe ich (damals noch) 15 Monate Wehrdienst abgeleistet. Damals höhnten die Jungs mit mittlerer Reife und Ausbildungsplatz in der Tasche über uns, die nach der Bundeswehrzeit studieren wollten. Während wir auf die Uni gehen, verdienen sie längst jahrelang ihr eigenes Geld. Das könnten wir nicht aufholen, wie blöd wir eigentlich seien.

    Bis Mitte 20 hatte ich ein sehr geringes Einkommen zur Verfügung und ging neben dem Studium jobben. Meine Studentenbude bestand aus einem Zimmer. Danach habe ich für ein mittleres Einkommen 60, 70 Stunden die Woche und teils in der Nacht in der Wirtschaftsprüfung geschuftet, um mir ein gutes praktisches Fundament zu legen. Weit überdurchschnittlich habe ich erstmals mit Anfang 30 verdient. Das bezahle ich mit einem hohen Erwerbsrisiko, extrem hoher Verfügbarkeit und Verantwortung für andere Menschen – inklusive für ihre Fehler den Kopf hinzuhalten.

    Ja, ich verdiene mein Einkommen, denn ich erziele es am Markt durch Anbieten und Verhandeln. Kein Gewerkschafter erpresst es mit streikpolitischen Maßnahmen und arbeitsrechtlichen Mätzchen, kein Kündigungsschutzgesetz verhindert den Rausschmiss.

    Und deswegen, weil ich es niemand anderem als mir selbst zu verdanken habe, deswegen darf ich auch den Anspruch haben, etwas mehr als die Hälfte übrig zu behalten, wenn der Fiskus zugeschlagen hat. Deswegen darf ich mehr als den Anspruch haben, ein „angenehmes Mittelklasse-Leben“ zu führen und einen Sommerurlaub zu genießen.

    Das Problem ist, dass Sie mir das nicht gönnen. Aber das war nicht das Thema. Sie können die These nicht widerlegen, dass wir heute so viele Steuern zahlen wie in den letzten 40 Jahren üblich, weil es eine tatsächliche Entlastung nie gegeben hat. Es gibt keinen Anhaltspunkt, dass die Wohlhabenderen weniger zahlen, eher das Gegenteil. Dennoch ist Ihnen das nicht genug, ohne dass Sie es näher begründen. Das Elend dieser Welt, und sei es nur von Menschen, die ihr Leben in der Passivität eingerichtet haben, ist dafür keine hinreichende Begründung.

  • Ralf 30. April 2014, 22:37

    Damals höhnten die Jungs mit mittlerer Reife und Ausbildungsplatz in der Tasche über uns, die nach der Bundeswehrzeit studieren wollten. Während wir auf die Uni gehen, verdienen sie längst jahrelang ihr eigenes Geld. Das könnten wir nicht aufholen, wie blöd wir eigentlich seien.

    Genau aus diesem Grund erhalten Arbeitnehmer mit abgeschlossenem Studium in der Regel auch ein deutlich hoeheres Gehalt, auch verbunden mit Aufstiegschancen, die jemand, der „nur“ eine Ausbildung gemacht hat, nicht hat. Mir faellt es deshalb schwer zu glauben, dass Sie heutzutage wirklich finanziell schlechter dastehen als die damaligen Jungs mit mittlerer Reife und Ausbildung. Auch wenn Sie die Haelfte Ihres Gehaltes an Steuern abfuehren. Wo also ist das Problem? Leistung macht sich doch offensichtlich bezahlt.

    Danach habe ich für ein mittleres Einkommen 60, 70 Stunden die Woche und teils in der Nacht in der Wirtschaftsprüfung geschuftet, um mir ein gutes praktisches Fundament zu legen. Weit überdurchschnittlich habe ich erstmals mit Anfang 30 verdient. Das bezahle ich mit einem hohen Erwerbsrisiko, extrem hoher Verfügbarkeit und Verantwortung für andere Menschen – inklusive für ihre Fehler den Kopf hinzuhalten.

    Kein Mensch behauptet Sie sollten fuer Ihre Muehen mit Armut belohnt werden. Aber Sie sagen ja selbst, dass Sie wirtschaftlich ueberdurchschnittlich erfolgreich sind. Es geht Ihnen also finanziell gut. Fuer Ihr Risiko und Ihre Leistung werden Sie also offensichtlich belohnt. Auch wenn Sie die Haelfte Ihres Gehaltes als Steuern abfuehren. Wo also ist das Problem?

    Ja, ich verdiene mein Einkommen, denn ich erziele es am Markt durch Anbieten und Verhandeln.

    Der Begriff „verdienen“ hat mehrere Meinungen. Falls gemeint ist, dass Sie Ihr hohes Gehalt „moralisch“ verdienen, dann moechte ich darauf hinweisen, dass Moral nichts mit Markt zu tun hat. Die ruecksichtslosen Banker, denen wir die Finanzkrise und den fast voelligen Zusammenbruch des globalen Wirtschaftssystems zu verdanken haben, haben ihr Gehalt auch am Markt „verdient“. Und haben einen katastrophalen Job gemacht. Und sind trotzdem mit Taschen voller Geld aus der Situation rausgekommen, teilweise sogar mit Millionen Extraboni. Umgekehrt kann die Krankenschwester am Markt nur ein kuemmerliches Gehalt heraushandeln, leistet aber dennoch unter Umstaenden einen bewundernswerten und extrem harten Job. Aus ihrem Misserfolg am Markt laesst sich nicht schliessen, dass sie „moralisch“ weniger verdient.

    Und deswegen, weil ich es niemand anderem als mir selbst zu verdanken habe, deswegen darf ich auch den Anspruch haben, […]

    Das ist leider voelliger Unsinn. Sie verdanken Ihren Erfolg in allererster Linie purem Glueck. Waeren Sie im Hungerland Aethiopien, im Buergerkriegsland Angola oder im bettelarmen Bangladesh geboren, waeren Sie heutzutage nicht ein erfolgreicher Geschaeftsmann, sondern moeglicherweise bereits verhungert, ein auf Almosen angewiesener Krueppel oder ein sehr kleine Broetchen backender Reisbauer. Aber selbst im reichen Deutschland geboren zu sein, ist keine Garantie fuer Erfolg. Es ist ein enormes Glueck in einer anstaendigen Mittelklasse-Familie aufzuwachsen, die den Wert von Bildung und Kultur schaetzt, in der den Kindern abends bei den Hausaufgaben geholfen wird und in der sich die Eltern Buecher und Lehrmaterial leisten koennen. Genauso gut haetten Sie in eine voellig asoziale Familie hineingeboren werden koennen, in der der Vater gewalttaetig und alkoholabhaengig ist und die Mutter Heroin nimmt, wenn sie nicht gerade im Knast sitzt. In dem Fall waere aus Ihnen kein erfolgreicher Geschaeftsmann, sondern moeglicherweise ein Kleinkrimineller, ein Stricher oder ein Penner geworden. Und auch mit der Familie hoert das Glueck nicht auf. Die richtigen Freunde wollen gefunden werden. Mein bester Freund in der Grundschule z.B. fand die falschen Freunde. Etwa zu dem Zeitpunkt als ich mein Einserabitur nach Hause brachte, verstarb er an einem goldenen Schuss irgendwo in der Gosse. Die richtigen Vorbilder wollen gefunden werden: Lehrer, Pfarrer, Fussballtrainer, Jugendarbeiter. Und wenn es dann mit der Schule geklappt hat, braucht man das Glueck, den richtigen Einstieg zu finden. Dazu zaehlt etwa den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft in einer Situation vorzufinden, in der eine Anstellung gefunden werden kann oder in der sich die Gruendung einer Firma lohnt. Waeren Sie in Griechenland aufgewachsen, wuerde Ihnen heute Ihre ganze schulische Leistung nichts nutzen. Bestenfalls wuerden Sie irgendwo in einem Praktikum geparkt. Wahrscheinlich wuerden Sie hoffen einen der begehrten Staatsarbeitsplaetze zu finden, die Sie heute so sehr verabscheuen, um irgendwie ueber die Runden zu kommen und eine Familie ernaehren zu koennen. Und dann braucht man das Glueck die richtigen Kontakte zu finden. Wer eine Firma gruendet braucht etwa zuverlaessige Kunden und eine stetige Auftragslage. Also Glueck, Glueck, Glueck.

    Und nicht nur Glueck brauchen Sie, sondern Sie sind auch abhaengig von der Leistung der vielen, vielen anderen Buerger in Deutschland. Gerade waehrend Ihres Werdegangs von Kindheit bis zum Ende des Studiums. Leistungen zu denen Sie damals wahrscheinlich keinen Cent beigesteuert haben. Das faengt an mit einer Infrastruktur, von planierten Strassen, oeffentlichen Verkehrsmitteln, Vereinen, Jugendheimen, Schulen, Lehrern, oeffentlichen Bibliotheken und Universitaeten. Und das geht bis hin zu einer tollen Sicherheitsinfrastruktur, etwa Polizei und Feuerwehr; etwas was einem erst dann auffaellt, wenn man sich ploetzlich an einem Ort befindet, an dem all das keine Selbstverstaendlichkeit mehr ist. Auch Krankenhaeuser muesste man nennen. Wenige, wahrscheinlich auch Sie nicht, haetten es bis in ihre Dreissiger geschafft, ohne zumindest einige Male die Hilfe von Aerzten, Krankenschwestern etc. in oeffentlichen Krankenhaeusern wahrzunehmen und dabei eine Krankenversicherung zu nutzen, in die man als Kind nie selbst etwas einbezahlt hat, aus der man aber nimmt und nimmt und nimmt. So viel man eben braucht.

    Das soll Ihre Leistung alles nicht schmaelern. Ich behaupte nicht, dass Sie zu Ihrem Erfolg nicht auch einen Beitrag geleistet haben. Aber niemand hat alles allein geschafft. Sie profitieren von enormem Glueck und der enormen Leistung Ihrer Mitbuerger. Und nicht alle haben so viel Glueck wie Sie. Also nur anstaendig, dass Sie auch ordentlich Steuern zahlen, damit die Infrastruktur, von der Sie profitiert haben, auch fuer zukuenftige Generationen verfuegbar bleibt. Damit irgendwann das naechste Kind aus armer Familie eine genauso steile Erfolgskarriere hinlegen kann wie Sie.

    Das Problem ist, dass Sie mir das nicht gönnen.

    Das ist das kleinste Problem. Ich ueberbewerte Ihre Ansprueche lediglich nicht so enorm wie Sie. Der Staat muss die Dinge aus meiner Sicht so regeln, dass es der Allgemeinheit zugute kommt und dass alle Menschen ein lebenswertes Leben haben koennen. Nicht nur Sie allein. Deshalb heisst es abwaegen. Etwas Verzicht wird Sie wohl nicht ins Unglueck stuerzen. Ein kleines bisschen mehr wird dem Hartz IV-Empfaenger hingegen, ganz erheblich weiterhelfen.

    Das Elend dieser Welt, und sei es nur von Menschen, die ihr Leben in der Passivität eingerichtet haben, ist dafür keine hinreichende Begründung.

    Diese pauschale Behauptung Leistungsempfaenger haetten sich ihr Leben in der Passivitaet eingerichtet, bewegt sich nahe an der Beleidigung. Viele der Betroffenen haben Jahrzehnte gearbeitet. Haben gearbeitet genau wie Sie. Und dann hatten sie Pech. Ihre Firma hat dicht gemacht und sie waren zu alt, um noch eine neue Anstellung zu finden. Solche Faelle gibt es zu tausenden. Diese Menschen nicht in bitterer Armut dahinrotten zu lassen, ist eine Kernaufgabe des Staates.

  • In Dubio 1. Mai 2014, 08:10

    In der Beschreibung der Ausgangslage sind wir wahrscheinlich nicht weit auseinander. Ich habe lange genug im Ausland gearbeitet, um vergleichen zu können. Aber ich mokiere mich nicht gegen das Steuerniveau, das können Sie oben nicht herauslesen. Da steht kein Wort von Steuersenkungen oder Leistungseinschränkungen. Was Sie rauslesen können – und im Schlussstatement prägnant steht – ist: kein Mehr und Selbstbeschränkung.

    Erfolg ist mitnichten das Ergebnis von Glück. Ich konnte in den letzten 20 Jahren beruflich bedingt viele Lebensläufe studieren, aus den CVs ist immer ersichtlich, warum jemand da und nicht wo anders steht. Erfolg ist das Ergebnis zahlreicher Entscheidungen. Die einen treffen in Summe viele falsche, die anderen viele richtige Entscheidungen. Was Sie nicht beantworten, ist, warum jemand mit einem höheren Steuersatz bestraft werden soll, weil er richtige Entscheidungen getroffen hat und der andere mit einem niedrigeren belohnt, weil er auf sein Glück vertraute. Wenn Sie Glück besteuern wollen, dann müssen Sie bei Spielgewinnen beginnen. Die sind nämlich steuerfrei.

    Damit will ich keineswegs für eine Flat Tax plädieren. Nur Ihr Argument passt nicht. Deutschland besteuert mit am höchsten (Abgabenlast), wir bekommen allerdings auch viel dafür. Vielleicht ist das Preis / Leistungsverhältnis nicht optimal, anderswo ist es allerdings nicht zwingend besser.

    Ansonsten stimmt keineswegs, was Sie schreiben. Aber dazu müsste ich meine persönlichen Verhältnisse aufdecken und das will ich natürlich nicht. Nur soviel: ich musste mich in meinem Leben weitgehend ohne große Unterstützung durchkämpfen. Weder ist es so, dass ich ein hohes Einkommen wegen Nachhilfe noch sonstiger Unterstützung erreicht hätte.

    Klar, gerade wir (West-) Europäer denken bei Verdiensten gerne in moralischen Kategorien. Allein, selbst wenn wir die Gelegenheit dazu haben, sind wir selten bereit, den Preis dafür zu zahlen. So stürmen Konsumenten wie wild Billigketten wie Primark, weil sie modische Wegwerfprodukte offerieren. Es gibt also nur den Preis / Verdienst, den ein anderer für meine Leistung zu zahlen bereit ist. Und dieser wird offen in Verhandlungen bestimmt.

    Ich habe früher gegenüber meinen Eltern auch argumentiert, sie seien das, was sie sind, weil sie in dieses Land eingebettet seien. In Afrika hätten die Menschen nicht diese Chance. Ich kenne also das Argumentationsmuster. Bezogen auf Afrika stimmt das sicher. Aber schon in Bezug auf Griechenland scheitern Sie. Die gut ausgebildeten Griechen sind häufig im Ausland, wie auch Niederländer, Österreicher oder Finnen. Diese Länder sind zu klein, um allen Menschen mit großem Potential ausreichende Entfaltungsmöglichkeiten zu geben. Ich z.B. komme auch aus dem ländlichen Raum, mein Einkommen kann ich jedoch nur in anderen Regionen erzielen. Wer viel erreichen will, muss mobil sein. An diesem Allgemeinplatz kommen Sie nicht vorbei.

    Die Leistungen, von denen ich profitiert habe, sind vor Jahrzehnten geschaffen worden. Teilweise wurden sie auf Pump finanziert, für die Schulden zahlen ich heute noch Zinsen. Wenn Sie Geld für Schulen, Kindergärten und sonstige Infrastrukturmaßnahmen einklagen, damit anderen das Gleiche widerfährt, dann müssen Sie die Menschen erstmal anregen, Kinder zu bekommen. Mit 1,3 Kindern pro Frau sind solche Ausgaben eine unsinnige Wertanlage. Tatsächlich müssen wir heute die Infrastruktur schaffen (und tun das ja bereits), in der wir selbst als Alte gut leben können. Das ist aber etwas völlig anderes.

    Viele der Betroffenen haben Jahrzehnte gearbeitet. Haben gearbeitet genau wie Sie. Und dann hatten sie Pech. Ihre Firma hat dicht gemacht und sie waren zu alt, um noch eine neue Anstellung zu finden. Solche Fälle gibt es zu tausenden.

    Das ist ein Mythos von Sozialromantikern, nicht von Praktikern und Ökonomen. Langzeitarbeitslose rekrutieren sich aus drei Gruppen, die der Alten, Alleinerziehende und Geringqualifizierte. Auf die Gruppe der 50-64 jährigen trifft noch am ehesten zu, was Sie schreiben, wobei ein signifikanter Teil überhaupt kein Interesse mehr an Erwerbsarbeit hat, wie vor ein paar Jahren ein DIW-Studie offenbarte. Die anderen beiden Gruppen dagegen haben meist nur temporär ein Unternehmen von innen gesehen, sie sind meist schon sehr früh dauerarbeitslos geworden. Diese Problemfälle, keine Frage, haben wir gesellschaftlich gezüchtet und züchten sie immer noch. Dies zu vermeiden, das ist die eigentliche sozialpolitische Aufgabe.

  • Ralf 1. Mai 2014, 16:01

    Aus den vielen Punkten greife ich mir mal folgendes heraus:

    Wenn Sie Geld für Schulen, Kindergärten und sonstige Infrastrukturmaßnahmen einklagen, damit anderen das Gleiche widerfährt, dann müssen Sie die Menschen erstmal anregen, Kinder zu bekommen. Mit 1,3 Kindern pro Frau sind solche Ausgaben eine unsinnige Wertanlage

    Zunaechst werden wir die Menschen nur dann „anregen“ mehr Kinder zu bekommen, wenn wir diesen Familien eine anstaendige Zukunft bieten koennen. Das bedeutet weniger Flexibilitaet, weniger Mobilitaet, mehr soziale Sicherheit. In der gegenwaertigen Zeit sind Kinder Karrierekiller und Armutsfaktor Nummer 1. Ist ja schliesslich kein Zufall, dass, wie Sie ja selbst schreiben, Alleinerziehende so stark ueberrepraesentiert sind, in der Gruppe der Hartz IV-Empfaenger. Man kann eben nicht beides haben: Erwarten dass jeder Arbeitnehmer fuer immer geringeren Reallohn immer mehr Ueberstunden leistet, heute in Luebeck, morgen in Muenchen, uebermorgen in Dresden verfuegbar ist und gleichzeitig keinen Kuendigungsschutz hat; und dann verlangen, dass der Arbeitnehmer Kinder grosszieht und sich liebevoll um sie kuemmert, viel Zeit in ihre Erziehung investiert, mit Hausaufgaben hilft etc., um das Kind auf den richtigen Weg zu bringen. Das funktioniert halt in der Praxis nicht. Potentielle Eltern entscheiden sich dann entweder gleich gegen eigene Kinder. Oder rutschen als Folge der Kinder in die Armut oder landen auf dem beruflichen Abstellgleis. Die neoliberale, schnelle Welt ohne Sicherheit und ausreichendes soziales Netz, das einen auch dann auffaengt, wenn man mal einen Fehler gemacht hat und eine zweite Chance gibt, ist eine Welt ohne Kinder. Und eine Welt mit Armut. Genau die Welt, die wir heute haben.

    Und was die „unsinnige Wertanlage“ angeht, ist das wirklich ein trauriger Ausdruck fuer Kinder. Kinder sind keine Aktie, die man abstoesst, wenn sich der erhoffte Gewinn nicht einstellt. Wir als Gesellschaft haben eine moralische Verpflichtung kuenftigen Generationen und auch den Schwachen der gegenwartigen Generation gegenueber. Wir schreiben doch auch den Krebskranken nicht einfach ab, weil der statistisch wegen zu erwartendem baldigen Ableben eine „unsinninge Wertanlage“ darstellt. Ich kann da bei Ihrer Wortwahl nur den Kopf schuetteln.

  • In Dubio 1. Mai 2014, 18:01

    Es klingt alles so logisch, was Sie schreiben, doch nehmen wir das Geschichtsbuch zur Hand:

    Zunächst werden wir die Menschen nur dann “anregen” mehr Kinder zu bekommen, wenn wir diesen Familien eine anständige Zukunft bieten können.

    Anscheinend sind dazu die meisten westlichen Länder mit Ausnahme Frankreichs und den USA (ausgerechnet!) seit 40 Jahren nicht mehr in der Lage. Doch würden Sie ernsthaft behaupten, die wirtschaftlichen Verhältnisse mit der damals noch vorherrschenden Hausfrauenehe seien seit 1970 so unsicher und fordernd, also seit 2 Generationen? Und wie verträgt sich das mit der Geburtenrate in den USA, wo angeblich weit größere wirtschaftliche Unsicherheit bei den Beschäftigten herrscht? Ihr Argument hätte bei einer Momentbetrachtung seine Berechtigung. Wir betrachten aber keine Momente.

    Die Krux übrigens ist, dass der Kündigungsschutz nichts mit der Arbeitsplatzsicherheit zu tun hat. Die Schweizer verzichten weitgehend darauf, dennoch fühlen sich die Menschen im Alpenstaat weit sicherer an ihrem Arbeitsplatz.

    Ähnliches gilt für den Anteil von Alleinerziehenden: vielleicht erklären Sie mal, warum in Ost-Deutschland die Quote mit 15% (so um den Dreh) doppelt so hoch ist wie im Westen (und zwar seit der Wiedervereinigung) und warum sie in beiden Teilen des Landes kontinuierlich steigt, obwohl 90% der Alleinerziehenden direkt in die Armutsfalle laufen?

    Erklärbar ist das für mich nicht mit ökonomischen Umständen, zumindest, so sie mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängen. Eine Erklärung findet sich vielleicht in Mentalitäten (soll es bei Menschen geben) und ökonomischen Anreizen durch das Sozialsystem.

    Sicher, Menschen mit Maschinen zu vergleichen, ist nicht nett. Ein solcher Vergleich macht aber deutlich, wohin Fehlentwicklungen führen. Und nur bei klarer Analyse kann es eine klare Problemlösung geben. Jeder Betriebswirt lernt: ein Fehler lässt sich leicht und zu geringen Kosten am Anfang der Entstehung beseitigen und die Beseitigung von Fehlern vermindert den Ausschuss. Lassen wir Fehler während der Produktion bestehen und verschieben es ans Ende der Produktionskette oder gar nach Auslieferung der Ware, so wird jede Problembeseitigung unverhältnismäßig teuer.´

    Wir wissen heute, dass wir einen signifikanten Anteil Langzeitarbeitsloser haben, die niemals produktiv ins Erwerbsleben eingebunden werden können. Und zwar deshalb, weil wir die frühzeitige „Reparatur“ versäumt haben.

    • Ralf 1. Mai 2014, 19:19

      Ich gebe Ihnen Recht, dass die Kinderlosigkeit im Westen nicht monokausal ist. Aber das Wegbrechen von sozialer Sicherheit und wirtschaftlichem Auskommen ist eben einer der Gruende. Gerade fuer gut ausgebildete Frauen, die viel Zeit und Muehe in ihre berufliche Entwicklung gesteckt haben, ist das vorhersehbare Karriereaus im Fall einer Schwangerschaft wohl einer der Hauptgruende fuer die Zurueckhaltung bei Kindern. Und die Mittelschicht fuerchtet sich heutzutage vor nichts mehr als vor dem wirtschaftlichen Absturz. Wer will denn da noch Kinder in die Welt setzen, wenn man nicht weiss, ob man in einem Jahr noch Arbeit hat.

      In bildungsfernen Schichten hingegen wird schon von vornherein erst gar keine Karriere mehr erwartet. Wo soll man denn mit einem Hauptschulabschluss heute noch Karriere machen? Als ich in den 80ern aufwuchs, gab es, gerade auch beim Staat, viele einfache Taetigkeiten, wie Postbote, Muellmann, Bahnschaffner oder Hausmeister in einer oeffentlichen Schule, mit denen man trotzdem ein Einkommen erzielen konnte, das fuer die Mittelschicht reichte. Heute sind alle diese Berufe Armutsberufe. So nah dran an Hartz IV oder als sogenannter Aufstocker mittendrin in Hartz IV, dass berufliche Hoffnungen schon von vorneherein abgewuergt werden. Da hoffen dann halt viele auf Verwirklichung im familiaeren Bereich. Und da in unserer Zeit alles instabiler ist als frueher, nicht nur die Arbeitswelt sondern auch Beziehungen, zerbricht letztlich in vielen Faellen die Familie. Ist beim Vater dann aufgrund fehlender Chancen auf dem Arbeitsmarkt (siehe oben) nichts zu holen, bleibt die Alleinerziehende ueberfordert zurueck.

  • In Dubio 1. Mai 2014, 20:03

    Welche Gründe heute zur Kinderlosigkeit führen, darüber lässt sich in Teilen nur philosophieren. Auf der Hand liegen die kulturellen Unterschiede. Amerikaner scheinen nach meiner Beobachtung deutlich besser mit der wirtschaftlichen Unsicherheit fertig zu werden als Westeuropäer. Eine Rolle spielt wahrscheinlich auch das soziale Umfeld: in Amerika sind Kinder noch die Normalität und Status für eine Familie. Das gilt in Deutschland längst nicht mehr. In meinem unmittelbaren Umfeld z.B. wollen ein paar Frauen keine Kinder. Nicht wegen der Karriere und nicht wegen der Unsicherheit (zumal sie entweder in der Ausbildung sind oder sich nicht sorgen müssen). Einfach, weil ihnen die Mühe zu gr0ß ist.

    Meine Haltung: wir sind auf der Welt nicht nur zu unserem Vergnügen, sondern um unseren Möglichkeiten entsprechend etwas weiterzugeben. Leider ist das längst keine allgemeingültige Haltung mehr.

    Sie haben recht mit den Berufen, aber das ist ein Fakt und nicht mit politischem Fingerschnibsen zu ändern. Und alle Indizien deuten eher darauf hin, dass bei steigenden Löhnen diese Berufe verschwinden als dass sie in nächster Zeit für ein auskömmliches Einkommen sorgen könnten. Aber Sie haben mich schon wieder auf ein Thema für einen Artikel gebracht. Sie sind wirklich inspirierend!

  • Ralf 1. Mai 2014, 21:01

    Sie sind wirklich inspirierend!

    Na wenigstens das … 😉

  • Manfred Peters 1. Mai 2014, 22:02

    „Aber Sie haben mich schon wieder auf ein Thema für einen Artikel gebracht.“
    Das ist eine Drohung! 🙁
    Lieber Gott gebe dem Mann eine vernünftige Beschäftigung. Als „Kopfjäger“ ist er offensichtlich nicht ausgelastet.

  • Dieser Artikel macht noch einmal klar wie wichtig es ist, alles
    genau zu besprechen bevor man beschließt
    zusammenzuziehen. Die Einkommenssteuer kann stark
    variieren und somit fällt die Höhe der Steuern manchmal sehr
    hoch aus.

Leave a Comment

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.