Wann hat eine Parteineugründung Erfolg?

Die Piraten sind politisch effektiv tot. Die AfD steht zumindest in einem harten Abwehrkampf. Wer noch einen Überblick über die vielen Neubildungen, Bündnisse und Brüche auf der extremen Rechten hat, ist um diese Expertise zu beneiden. Die einzigen beiden erfolgreichen Neugründungen in der Geschichte der BRD, die sich etablieren konnten, sind Grüne und LINKE, und die LINKE konnte im Osten auf eine voll ausgebaute Partei-Infrastruktur zurückgreifen, die den Westen (erfolglos) massiv unterstützen konnte. Was also braucht es, um sich zu halten? Die Antwort wird vielen wahrscheinlich nicht gefallen.

Was es braucht, sind Personen, die ihre Parteien einem Machtdiktat unterwerfen. Das sind Otto Schily und vor allem Joschka Fischer bei den Grünen, und das war Oskar Lafontaine für die LINKE. Sie alle wissen, dass man sich von Idealen wenig kaufen kann, jedenfalls abseits von gut klingenden Parteitagsbeschlüssen. Das sollte man nicht voreilig mit einem völligen Aufgeben von Idealen verwechseln. Es geht darum, zwischen langfristigen und kurzfristigen Zielen zu unterscheiden und die Machbarkeit einfließen zu lassen. Die völlige Aversion weiter Teile der LINKEn gegenüber einer Zusammenarbeit mit der SPD oder Regierungsbeteiligungen generell gehört dazu. Auf was hoffen diese Leute? Die Absolute Mehrheit? Eine Revolution? Beides ist illusionär und garantiert die Irrelevanz ihrer Partei – und nicht die Regierungsbeteiligung, wie oft fälschlicherweise behauptet wird.

Gehen dabei liebgewonnene Ziele und Ideale über Bord? Sicherlich. Aber – Newsflash – das gleiche passiert der anderen Seite auch. Man nennt das Kompromiss. Und wenn man sich nicht klar macht, dass das Aushandeln von Kompromissen in einem Rahmen des Machbaren stattfindet, dann wird man am Ende mehr verlieren als wenn man seine Erwartungen anpasst. Sowohl Piraten als auch LINKE haben dies schmerzhaft erfahren müssen. Die LINKE wurde immer wieder bei der Regierungsbildung übergangen, weil ihre Maximalforderungen von zu vielen Abgeordneten und Parteimitgliedern als sine qua non angesehen wurden, um eine stabile Regierungsmehrheit zu gewährleisten, und die Piraten ergaben sich in Träumereien einer idealen Demokratie mit Basisbeteiligung, anstatt sich der Tatsache zu stellen, dass das ein Langzeitziel ist, das sich nur im Verbund mit anderen (in der viel geschmähten Koalition) Schritt für Schritt umsetzen ließe. Im Beharren auf Maximallösungen richtete sich die Partei zugrunde.

Dies geht beständig mit einem Verschliss des Kompromisse und Lösungen suchenden Führungspersonals und einem Aufstieg von Radikalen einher, die die Parteiagenda und ihr Außenbild bestimmen. Wir konnten das in den westdeutschen LINKE-Verbänden ebenso beobachten wie bei den Piraten, deren interne Konflikte jeden Politikvorschlag überschatteten, weil – getreu dem Ideal – keinerlei koordinierende Instanz vorhanden war, die solche Konflikte eindämmen und unter dem Teppich halten konnte. Ihre Ideale haben die Piraten nicht verraten. Darüber sind sie irrelevant geworden. Stattdessen haben andere Parteien, allen voran die SPD, den verbreiteten Wunsch nach Basisdemokratie aufgegriffen und in mit der parlamentarischen Demokratie vereinbare Bahnen gelenkt. Dies hätte die Aufgabe und der Erfolg der Piraten sein müssen. Sie haben ihn stattdessen im Wolkenkuckucksheim verschwendet. Das gleiche Phänomen auf der LINKEn hat es Peer Steinbrück erlaubt, als Vorkämpfer gegen die globalen Finanzmärkte aufzutreten. Wer die Macht nicht will, überlässt sie den anderen. Piraten wie Linke haben das eindrücklich bestätigt. Schily, Fischer und Lafontaine dagegen haben es verstanden.

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  • Aerar 26. Februar 2014, 13:13

    Ich glaube, das ist das grundlegende Problem der Wahl zwischen Inhalten und (prominenten) Köpfen. Meiner Meinung braucht eine neugegründete Partei ein Kernthema, das sie von anderen Parteien differenziert und das eine gewisse Anhängerschaft hat. Wichtig ist es dann von vornherein eine grundlegende Einigkeit über die wesentlichen Inhalte und insbesondere auch alle Nebenthemen zu erzielen, um späteren Flügelkämpfen zuvorzukommen. Erst, wenn das gegeben ist, braucht es Köpfe, die in der Lage sind die Anliegen der Partei nach außen zu repräsentieren und nach innen zu ordnen.
    Eine junge Partei, die ihren eigenen Findungsprozeß zu lange vertagt, wird später meist nicht die Kraft haben, ihn zu überstehen. Da helfen auch keine Köpfe mehr. Oder kurz gesagt, bei einer dauerhaften neuen Partei müsste meiner Meinung nach Einigkeit vor Wachstum stehen.

    • Ariane 26. Februar 2014, 13:38

      Hm, aber wie soll das gehen? Keine neuen Mitglieder reinlassen? 10 Leute mit einer gemeinsamen Idee finden und dann zusperren? Eine neue Partei, die in den Bundestag will, muss doch wachsen und mit mehr Leuten wird es immer Konflikte geben, weil jeder seine Ideen einbringen will (das ist ja auch irgendwie das Wesen einer Partei). Ich glaube, da ist es nicht möglich, auf Wachstum zu verzichten.

      • Aerar 26. Februar 2014, 15:54

        Das ist natürlich ein Dilemma. Aber eine neue Partei birgt ja immer die Gefahr von Radikalen, Wirrköpfen, Karrieristen und Utopisten überlaufen zu werden, die zwar ein gewisses Wachstum bringen, aber letztlich ihre eigenen Ziele verfolgen. Am Ende wird die neue Partei diese Interessen jedoch nur schwerlich bündeln und nutzen können. Darum ist es vielleicht einen Versuch wert, zunächst eine sehr kleine homogene Partei zu gründen und in dieser die politischen Eckpunkte festzuzurren, bevor man offensiver nach Mitgliedern wirbt. Das hätte den Vorteil, dass neue Mitglieder dann auch wissen, worauf sie sich einlassen, wenn die Partei in sich gefestigt an die Öffentlichkeit tritt. Zusperren wird vermutlich nicht so leicht gehen, aber wenn man zuerst kleine Brötchen bäckt, ist man vielleicht auch erst mal nicht so interessant als Sprungbrett für Personen von außen und kann sich erst mal in Ruhe im kleinen Kreis finden.

        • Ariane 26. Februar 2014, 16:53

          Für mich schließt sich das ein bisschen aus, dann wäre vielleicht ein Verein geeigneter als eine Partei. Die Piraten hatten so gesehen doch ganz gute Vorraussetzungen, einen klar umrissenen Kernbereich, auf den sich die meisten einigen konnten. Eine Partei braucht ja begeisternde Ideale, um die Menschen mitzureißen, eine uninteressante Partei wählt auch niemand. Für mich ist eher die Frage, wo genau die Knackpunkte waren, dass dann alles schief lief. Klar das Ideal der Basisdemokratie und „jeder kann überall mitreden“ waren auch für die Freaks eine Einladung zum Überrennen. Ich weiß aber nicht, ob das schon der alleinige Grund war. Dazu kommt noch das generelle Misstrauen den Führungsfiguren gegenüber, das Aufreiben in Kleinstkonflikten usw. Irgendeine Machtdiktat-Figur hätte sich da ja nie durchgesetzt.

          • Aerar 26. Februar 2014, 21:09

            Klar, ein Verein wäre da besser geeignet, aber es wäre dann eben auch nur ein Verein. Ich weiß auch nicht, ob so ein homoger Parteiaufbau funktionieren würde. Aber das Problem der Piraten etwa, war imho eben gerade die Uneinigkeit in den Themen. Man hatte zwar ein starkes gemeinsames Kernthema, wo wohl auch relativ weitgehend Einigkeit war, aber dafür weite Felder, die komplett offen waren und bei denen dann nicht nur alle Extremansichten vertreten wurden, sondern man sich ja noch nicht einmal darüber einig war, ob man sich überhaupt zu diesen Themen positionieren soll. Dazu kam, und das stärkt dann wieder das Argument des Artikels, eine Uneinigkeit bei den Köpfen. Zum Einen wollte man wohl keinen auf ein Podest stellen, zum Anderen aber am Besten auch keinem was verbieten. Da entsteht natürlich auch personell keine klare Struktur und man hört dann meistens die, die am lautesten schreien (so wie jetzt beim „Bombergate“ – welches allerdings wiederum nur ein solches Streitthema werden konnte, weil eine klare inhaltliche Positionierung fehlte). Das führt dann natürlich zu Verärgerung, Misstrauen und Resignation. Ich glaube darum immer noch, dass eine Partei zuerst eine klar definierte inhaltliche Positionierung braucht, zu der sich alle Parteimitglieder zu einem hohen Prozentsatz bekennen können. Dazu gehört vielleicht im weiteren Sinne eine Parteietikette, die den Umgang untereinander grob absteckt. Alte Parteien haben so etwas durch lange Erfahrung, neue müssen sich das erst erarbeiten und ein bisschen Vorarbeit, bevor man die kritische Masse erreicht, kann ja vielleicht nicht schaden 🙂

        • Stefan Sasse 26. Februar 2014, 22:27

          Die Piraten hatten ein Kernthema – Netzpolitik. Nur brachte das niemals über 5%. Wollten sie nicht ein effektiver Verein im Gewand einer Partei bleiben, praktisch die politische Außenstelle des CCC, mussten sie sich wandeln. Und klar ziehen diese Gründungen immer Spinner an. Nur muss man die eben entweder wieder rausschmeißen oder aber mundtot machen, sonst definieren sie die Außenwirkung der Partei. Und dafür haben die Piraten nie Mechanismen entwickelt, was überhaupt erst zur Administratorkratie im Falle #Bombergate geführt hat.

  • Jörg Mutke 26. Februar 2014, 13:17

    Ich glaube die Argumentation greift – so richtig sie ist – zu kurz. So weit ich das überblicke gilt der Befund, dass neue Parteien es sehr schwer haben sich durchzusetzen, für alle stabilen westlichen Demokratien. Und das dürfte sozialpsychologische Gründe haben, die aber mit der hier geführten Diskussion durchaus im Zusammenhang stehen. Bei aller Kritik an bestehenden Verhältnissen ist den meisten Mensche die Notwendigkeit von Kompromissen und -Achtung: Schimpfwort – Realpolitik klar. Daher werden sich gemäßigte und eher rational orientierte Personen, die sich politisch engagieren wollen, oft innerhalb der etablierten Parteien engagieren und versuchen, von innen heraus etwas zu ändern. Für Besserwisser, die glauben nur ihre Sicht auf die Welt sei legitim, sind hingegen Parteineugründungen attraktiv, da sie dort relativ leichter mit ihren Positionen Gehör finden und sich nicht gegen etablierte Strukturen durchsetzen müssen. Die neuen Medien dürften das Ganze noch verstärken, weil jeder für seine noch so abstruse Ansicht schnell ganz viele Likes und Followers findet und sich einbilden kann, die berühmte schwiegende Mehrehit stünde ja hinter ihm. Das dabei auch Menschen mit untergehen, die berechtigte und wichtige Veränderungsanliegen in die Gesellschaft tragen wollen und würden, ist schade, aber wohl systemimmanent.

  • Ariane 26. Februar 2014, 16:20

    Ich stimme der These schon zu, nur “ Personen, die ihre Parteien einem Machtdiktat unterwerfen“ scheint mir arg extrem. Sowas funktioniert ja nur, wenn die Personen charismatisch und integer genug sind, um genügend Unterstützer für ihre Linie zu finden, es ist also kein Unterwerfungsprozess.
    Ich glaube, was heute ein Problem – gerade bei den Piraten – ist, dass die gesellschaftlichen Ideale sich davon entfernen, weg von Führungsfiguren, weg von realpolitischen Kompromissen, hin zur Basisdemokratie und möglichst reinen, unverwässerten Idealen, deswegen weiß ich nicht, ob so eine Parteineugründung überhaupt noch funktionieren könnte. Das klappt ja nicht mal bei Lucke und der AfD (zum Glück wohlgemerkt), obwohl die immerhin so eine Führungsfigur hat und als rechtskonservative Partei noch unbefleckter von progressiven Idealen ist. Kann Lucke das einfach nicht oder woran liegts?

    • Stefan Sasse 26. Februar 2014, 22:31

      Man sollte das auch nicht einseitig auf die Köpfe reduzieren. Da spielen noch völlig andere Mechanismen hinein. Im Falle der AfD liegt das daran, dass die Partei eben nicht nur ein Machtzentrum hat, sondern mindestens zwei (Lucke und Adam). Dazu laufen da ja im Hintergrund entsprechende Netzwerkprozesse. Die Partei startete als eine nationalliberale, eher klassisch liberale Partei und hat sich rasant in Richtung konservativer Rechtspopulismus gewandelt. Diese Wandlung ist aber nicht Luckes Wandlung – der wurde innerhalb seiner eigenen Partei entmachtet, weswegen er ja auch konsequenterweise einen teilweisen Rückzug durchgeführt hat.
      Bei den Piraten gab es so was wie Flügel, die miteinander um die Macht ringen konnten, ja nicht einmal. Da konnte jeder Depp mit Geltungsdrang als „Stimme der Partei“ auftreten. Das ist etwas, was bei der AfD nicht passiert. Die sind gut darin, ihre extremen Ausleger einzudämmen.

  • Maniac 27. Februar 2014, 10:41

    Genau dieses Dilemma, für das Wachstum zunächst alle möglichen Spinner anziehen aber diese zu einem guten Zeitpunkt auch wieder loswerden zu müssen, zeigt exzellent die dritte Staffel der Politserie Borgen (Gefährliche Seilschaften). Überhaupt werden Deine Thesen über Parteineugründungen, Stefan, von dieser 3. Staffel der sehr guten Serie bestätigt. Ist sie etwa in Deine Überlegungen eingeflossen?

    btw. Mich wundert, dass Borgen bisher weder bei nerdstream noch hier irgendeine Reaktion von Dir erhalten hat. Dabei dürfte die dänische Serie doch eigentlich genau in Dein Beuteschema fallen…

    Gruß, M.

    • Stefan Sasse 27. Februar 2014, 17:23

      Sie fällt hinein, aber ich habe sie bislang nicht gesehen. Sie ist allerdings „in der Warteschleife“. Derzeit schaue ich Sons of Anarchy.

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