Der Trend zum fliegenden Standgericht

Ob in Fällen des Verdachts auf Steuerhinterziehung (Zumwinkel), der Vergewaltigung (Strauß-Kahn, Kachelmann) oder beim Verdacht auf Kinderpornographie (Tauss, Edathy)- bei Prominenten wird es immer mehr zum Trend, dass die Details des jeweiligen Falles in aller Öffentlichkeit besprochen und diskutiert werden, noch bevor der erste Tag im Gericht anberaumt worden ist. Adressat der Staatsanwaltschaft und Verteidiger ist nicht mehr der Richter, sondern „das Volk“, und der Kampf wird nicht nur um das spätere juristische Ergebnis im Gerichtssaal geführt, sondern gleichzeitig um den Sieg um „die öffentliche Meinung“. Dieser Trend ist Besorgnis erregend. Doch woher kommt er überhaupt?

Es hat sich in letzter Zeit als Muster erwiesen, dass die Presse noch vor oder gleichzeitig mit dem Beschuldigten vom Tatverdacht erklärt. Wenn man sich an Zumwinkel zurückerinnert, so waren die Pressewagen bei der Hausdurchsuchung zugegen, und bei Edathy wurden die Details des Durchsuchungsbeschlusses ebenfalls sofort bekannt. Ob die Personen schuldig sind oder nicht, spielt dafür erst einmal keine Rolle. Das zu klären ist Aufgabe eines Gerichts, und nicht einer Zeitung oder eines Fernsehsenders. Sieht man sich jedoch etwa diesen aktuellen NDR-Beitrag zum Fall Edathy an, fällt dabei auf, dass die Details des Falles – was wurde wo gefunden, wie ist das zu bewerten, etc. – im Interview mit einem Journalisten erörtert werden, als ob man sich bereits im Gerichtssaal befände.

Dabei ist zum jetztigen Zeitpunkt noch überhaupt nichts klar. Wer immer noch behauptet, dass eine Hausdurchsuchung nur in begründeten Verdachtsfällen bei schwerwiegenden Dingen stattfindet, muss in einem Märchenland leben – galt den Richtern doch in den letzten Jahren bereits der Verdacht auf heruntergeladene, urheberrechtlich geschützte MP3 als schwerwiegend genug. Es ist gut möglich, dass sich der Verdacht in Luft auflösen wird – nur wird Edathys Name bis dahin bereits so oft in kausaler Verbindung mit dem Wort „Kinderpornographie“ verbunden worden sein, dass das Ergebnis kaum mehr relevant ist. Was also geschieht hier eigentlich?

Letztlich sind diese Verlagerungen des Gerichtsprozesses auf die Zeit vor dem eigentlichen Prozess und von den Gerichten in die Medien eine Konsequenz zweier paralleler Entwicklungen. Die erste davon ist der durch das Internet massiv beschleunigte  Nachrichtenprozess: wer mit einer Meldung zu lange wartet, gerät ins Hintertreffen und verliert an Lesern, so die gängige Weisheit. So wird eine Meldung im Zweifel lieber schnell herausgehauen, um vor oder doch zumindest zeitgleich mit der Konkurrenz agieren zu können. Es handelt sich im Übrigen um ein Dilemma, das keinen Ausweg durch simple moralische Handlungsweise bietet: die Leser/Zuschauer wollen, das kann man an entsprechenden Statistiken problemlos ablesen, die Sensationsmeldungen haben. Erst einmal zu prüfen, vielleicht nicht zu veröffentlichen, wie es eigentlich ethisch korrekter Journalismus wäre, führt in den wirtschaftlichen Untergang. Da man nie wissen kann, ob die Konkurrenten nicht eben doch veröffentlichen, hat man keine andere Wahl, als selbst zuzuschlagen.

Dafür sind die Medien jedoch auf Informationen angewiesen, die belastbar sind und in diesen Fällen nur aus den Strafverfolgungsbehörden stammen können. Der Fall Zumwinkel war dafür ein herausragendes Beispiel: nur eine seriöse Quelle aus der staatsanwaltschaftlichen Bürokratie konnte so viele Medienteilnehmer zu der Hausdurchsuchung mobilisieren und die entsprechenden Hintergründe bieten. Dies scheint mir eine zweite Entwicklung zu sein, die die Rolle der Staatsanwaltschaft aus den USA nachvollzieht: dort ist der Auftrag der Anklage nicht, wie in Deutschland theoretisch noch der Fall, der Wahrheitsfindung zu dienen. Stattdessen muss es einzig um die Verurteilung gehen. Der juristische Kampf wird dabei dann auch immer an anderen Fronten fortgeführt.

In Deutschland dient dieser Kampf allerdings nicht der Verurteilung, denn wir haben keine Jury. Stattdessen schafft es von Anfang an eine Deutungshoheit der Anklage und wird vermutlich auch Auswirkungen auf die Performance der Angeklaten im Gerichtssaal haben. Eine Wiederholung von Ackermanns Victory-Geste von anno 2004 jedenfalls ist so ausgeschlossen. Rechtsstaatlichen Prinzipien aber entspricht dieses neue Verfahren kaum. Man kann sich auch nicht damit herausreden, dass es nur Prominente treffe, deren Berühmtheit die Rechtfertigung gebe. Zum einen haben besonders die Boulevardblätter keinerlei Probleme damit, Prominenz in aufregenden Prozessen gegebenenfalls einfach herzustellen, und zum anderen gilt die Unschuldsvermutung auch für Prominente – egal, wie wahrscheinlich es ist, dass die Tat begangen wurde. Irgendetwas bleibt schließlich immer hängen.

{ 7 comments… add one }
  • Kirkd 13. Februar 2014, 15:14

    Man könnte hier noch Nadja al Benaissa, Hoenness, Schwarzer und die frisch gekürte Person der Zeitgeschichte, Gurlitt, nennen.

    Letztlich geht es um zwei Punkte:
    – die Ermittlungsbehörden müssen Mechanismen zum besseren Geheimnisschutz entwickeln und verankern
    – der Schutz von Tätern, Beschuldigten und Opferngegenüber der Presse
    Letzteres ist deutlich schwieriger, da man gleichzeitig die Pressefreiheit nicht einschränken will. Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass noch in den 90ern eine Figur wie „Mehmet“ möglich war, also ein überführter (!) Täter, der in der Presseberichterstattung nicht mit seinem wirklichen Namen genannt wird.

  • QuestionMark 13. Februar 2014, 15:36

    Die Informationen sind von Internen durchgestochen worden um Vertuschung zu verhindern. Das geht leider nicht mehr anders.
    Es hat in der Vergangenheit wiederholt Fälle gegeben in denen Beamte entsprechende Informationen bezüglich prominenter mutmaßlicher Straftäter vertraulich behandelt hatten. In diesen Fällen bestand dann immer die Gefahr das eine seriöse Strafverfolgung von der politischen Oberschicht verhindert wird. (s.a. Steuerfahnder-Affäre; Rudolf Schmenger usw.)

    • Stefan Sasse 13. Februar 2014, 18:53

      Guter Punkt.

      • In Dubio 14. Februar 2014, 09:15

        Überhaupt nicht! Erstens hat die Politik aus gutem Grund die Aufsicht über Behörden, das kann man für Staatsanwaltschaften nicht einfach ausklammern. Macht führt immer auch zu Machtmissbrauch, deswegen stehen die Ankläger unter politischer Kontrolle.

        Leider haben Politiker inzwischen zu sehr Angst, Staatsanwaltschaften über ihr Ministerium zu leiten. Das verleitet Ermittler immer mehr dazu, sich aufzuplustern, wie im Falle Zumwickel, Ackermann oder zuletzt Wulff geschehen.

        Über die Steuerfahndungsaffäre (damit ist wohl Hessen gemeint) kennen wir auch nur die Position der in den Ruhestand geschickten Beamten, die mit ihrer Version der Geschichte inzwischen viel Geld neben ihren Pensionen verdienen. Doch gerade die Überzeugung in den Rechtsstaat sollte uns lehren, vor einer Meinungsbildung beide Parteien zu hören. Nur ist die politische Leitung zur Verschwiegenheit über das Beamtenverhältnis verpflichtet.

        Zweitens: Gerade in den bekannten Fällen wurden die Informationen durchstochen, als alles längst seinen ordentlichen Gang genommen hatte. Hoeneß Haus war durchsucht worden und er selbst nur noch auf Kaution auf freiem Fuß. Alice Schwarzer hatte längst ihre Selbstanzeige gemacht und neue Steuerbescheide erhalten. Hier machen sich Beamte mehr und mehr wichtig, statt einfach seriös ihren Job zu machen.

        • Stefan Sasse 14. Februar 2014, 20:56

          Wollte damit nicht meinen Artikel revidieren, das erklärt lediglich das Verhalten etwas. Ähnlich wie bei der Steuerfahnderaffäre, dass Hessen nichts davon hat, Unternehmen zu verprellen, weil Mehreinnahmen über Länderfinanzausgleich verloren gehen. Erklärt, aber entschuldigt nicht.

  • Gerald Fix 14. Februar 2014, 08:51

    Dies ist kein neues Phänomen. Auch z.B. die Harden-Eulenburg-Affäre wurde in der Presse behandelt, bevor es jemals justitiabel wurde.

    Neu sind die Geschwindigkeit und die Effektivität, mit der sich Nachrichten verbreiten, und die Unmöglichkeit, eine freifliegende Nachricht jemals wieder einzufangen.

    Früher ging das: Mit Pressezensur (und auch der kleinen Schwester der Zensur, dem Pressekodex) konnte der Kreis der Informierten klein gehalten werden. Heute geht das nicht mehr und man kann für diese Zäsur sogar ein Datum festmachen: 1996. Damals hat die Staatsanwaltschaft versucht, deutsche Provider dazu zu zwingen, den holländischen Provider XS4ALL abzuklemmen, weil der die in Deutschland verbotene Zeitung ‚Radikal‘ verbreitet hat. Drei Tage nach dem Versuch gab es bereits über hundert Spiegelungen der Seite und weitere drei Tage später konnte man sich als Normalbürger vor dem Scheiß nicht mehr retten.

    „Was einmal gedacht wurde, kann nie mehr zurückgenommen werden“. Dürrenmatts Physiker Möbius wusste das schon.

    • Stefan Sasse 14. Februar 2014, 20:57

      Ja, darauf wollte ich im Endeffekt mit hinaus und hab vergessen zu genauer im Artikel zu elaborieren.

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