Debatte: Die Politik des Klimawandels – Annäherung an ein ungeliebtes Thema

Die Grünen und die FDP haben ihre Programmentwürfe für die kommende Bundestagswahl vorgestellt. Im Entwurf der Grünen steht an vorderster Stelle die Reaktion auf den Klimawandel und die weitere Steuerung der Energiewende und die Entwicklung einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft. Die FDP steht dem bislang eingeschlagenen Weg kritisch gegenüber. Genug Anlass für eine Diskussion.

Jan: “Why is the environment so boring?” fragte neulich Kevin Drum, links-ökologischer Blogger des amerikanischen Politmagazins Mother Jones provokant. Diese Frage stellte er sich aus einer Haltung der Sorge, denn, (das wusste auch Luhmann schon vor 30 Jahren), moderne Umweltfragen sind nicht als rein naturwissenschaftliches Phänomene verständlich, sondern nur als mediale und politische Kommunikation der Gesellschaft über diese. Anlass für Drums Frage war die Einstellung des Umweltblogs der New York Times, das wohl aus Mangel an Interesse und Klickzahlen beendet wurde.

Was ich glaube: Das Thema Klima ist zuletzt oft nur deshalb langweilig gewesen, weil es in endlosen, ermüdenden Konflikten zwischen Climate-Hawks und Leugnern zerrieben wurde. Doch diese haben wir ja zumindest hier in Deutschland weitgehend hinter uns gelassen. Außerdem schalten viele Menschen auch ab, so glaube ich, weil das Thema nur selten gute Nachrichten bereithält und man sich als Individuum hilflos fühlt. Deshalb schlage ich vor, wir bewegen uns in der Debatte auf die Frage zu, was als Gesellschaft klimapolitisch machbar, wünschbar und sinnvoll ist und nicht, was moralisch von Individuen gefordert werden sollte.

Theophil: Dass der Klimawandel existiert und dass er vom Menschen beeinflusst wird, ist gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Konsens. Während der Diskussion um das Wahlprogramm der FDP erhielten Kritiker der Theorie des menschengemachten Klimawandels eine klare Abfuhr.

Über die wahrscheinlichen Folgen und die daraus abzuleitenden Handlungen besteht weiterhin und — aufgrund der Unsicherheit jeglicher Prognosen — notgedrungen Dissens.

Jan: Eine Unsicherheit in den Prognosen gibt es tatsächlich, aber die bisherigen scheinen im Lichte neuester Erkenntnisse alle eher zu vorsichtig und optimistisch gewesen zu sein. Bei Beibehaltung des momentanen Kurses wird die Erde schon in wenigen Jahrzehnten in vielen Regionen unbewohnbar werden – darüber ist der wissenschaftliche Konsens größer als oft in der Öffentlichkeit dargestellt. Und selbst bei radikalem Umsteuern könnte eslängst zu spät sein.

Das Unsicherheitsargument eher auf der optimistischen Seite zu verorten und als Vorwand für Nicht-Handeln ins Feld zu führen, scheint mir eine grob fahrlässige Verharmlosung zu sein und damit nur unwesentlich besser als Klimawandel-Leugnung selbst.

Theophil: Sowohl die prognostizierte Entwicklung des Klimas als auch die Entwicklung unseres Wohlstands sind aus Prinzip unsicher. Die Unsicherheit in den Prognosen des IPCC hat sich in den letzten Jahren nicht verringert, obwohl oder weil die Klimamodelle komplexer geworden sind. Aber ich halte den wissenschaftlichen Konsens nicht für eine Verschwörungstheorie und stimme Dir zu, dass die Unsicherheit aller Prognosen eher ein Argument für das Handeln ist, da die Entwicklung auch schlimmer als erwartet werden könnte. Im Umgang mit einem System, das relativ unüberschaubar ist, werde selbst ich natürlich konservativ.

Die lokalen Auswirkungen des Klimawandels sind nicht nur unsicher, sondern wahrscheinlich auch sehr unterschiedlich. Die Industrieländer haben den Großteil des CO2 ausgestoßen, könnten sich aber an den Klimawandel relativ gut anpassen, wenn sie nicht sogar profitieren könnten. Gleichzeitig kalkulieren die Entwicklungsländer bisher, dass ihr Wohlstand schneller wächst, als sich ihre Umwelt aufgrund des Klimawandels verschlechtert.

Wie würdest Du die internationale Interessenlage beschreiben?

Jan:Die Interessenslage beim Thema Klimapolitik ist – von der kleinsten bis zur globalen Ebene – superkomplex und widersprüchlich. Subjekte, Zeitpunkte und Orte von Ursache und Wirkung fallen auseinander. Oft wird ja auf etwa die USA oder China verwiesen: Solange die nichts unternähmen, würde es sich auch für ein relativ kleines Land wie Deutschland nicht wirklich lohnen. Die Kosten seien hoch (stimmt), der Beitrag zu einer globalen Reduktion des CO2-Ausstoßes gering (stimmt auch).

Nur wird das natürlich wiederum als Argument überall anders auch vorgebracht – was es insgesamt ziemlich absurd erscheinen lässt. Der Klimawandel gleicht also einem Gefangenendilemma: Die Handlungsanreize für den einzelnen sind nicht besonders groß, doch nur gemeinsam lässt sich das Problem (vielleicht) lösen.

Übrigens ist der Verweis auf China nicht unbedingt empirisch gerechtfertigt. Mal von der Ein-Kind-Politik abgesehen, die allein unvorstellbare Mengen Co2 sparen dürfte, investiert China enorm in Windkraft, öffentlichen Verkehr und auch Atomkraft.

Aber selbst wenn andere Länder das Problem noch nicht in dem Maße angehen, wie wir uns das wünschen würden oder wie es nötig wäre, gibt es, so wie Cass Sunstein das hier für die USA ausgeführt hat, gute Gründe für unilaterales Handeln in der Klimafrage: Etwa technologischen Vorsprung, Unabhängigkeit von Rohstoffimporten und eine Vorbildfunktion für andere Staaten.

Theophil: Die individuellen Handlungsanreize sind auch deshalb so klein, weil das ausgestoßene CO2 beim Verursacher keine Kosten erzeugt. Das macht die Reduktion des globalen CO2 Ausstoßes quasi zur Mutter aller globalen Probleme.

Wir sehen, dass Länder handeln, so lange ihre eigene Bevölkerung betroffen ist. Chinareduziert seinen Schadstoffausstoß weil die gesundheitlichen Kosten von schlechter Luft und verschmutzter Umwelt hoch sind. Der Kohlendioxid-Ausstoß in den USA sinkt, weil die USA ihre Abhängigkeit vom Nahen Osten reduzieren wollen. Deutschlands CO2 Ausstoß ist heute auf dem Niveau, das 1980 Westdeutschland allein erreichte. Das BSP ist in dieser Zeit um 75% gestiegen.

Unilaterales Handeln genügt, um lokale Umweltverschmutzung zu stoppen, so wie es die Industrieländer in den vergangenen Jahrzehnten vorgemacht haben. Aber ein einseitiges Vorgehen gegen den Klimawandel bleibt wirkungslos.

Die wesentliche Fragen sind: Werden die Entwicklungsländer sich internationalen Abmachungen unterwerfen, auch wenn sie wirtschaftlich noch nicht aufgeschlossen haben, weil sie selbst die höchsten Kosten des Klimawandels zu tragen haben? Wären die USA und China dann bereit, sich überhaupt einem internationalen Abkommen anzuschließen, oder es sogar anzuführen, oder bestehen sie auf vollständiger Unabhängigkeit? Wäre überhaupt ein internationales Abkommen nötig, wenn die EU, Japan, demnächst China und vielleicht danach die USA den CO2 Ausstoß besteuern?

Jan: Die internationalen Abkommen der letzten Jahre, ja Jahrzehnte waren relativ wirkungslos, selbst hartgesottene Klima-Advokaten haben nach den letzten Fehlschlägen ja die Sinnhaftigkeit dieser Megaveranstaltungen in Frage gestellt. Und selbst wenn bei den Abkommen relativ ehrgeizige Ziele beschlossen würden, gäbe es ja noch längst keine Möglichkeiten, deren Durchsetzung in den einzelnen Ländern zu erzwingen. Wer sollte das auch machen?

“Die Welt braucht bessere Technik” habe ich neulich als Motto in einem Katalog des Elektronikriesen Saturn gesehen. Natürlich klingt diese Forderung geäußert von einer solchen Institution des Massenkonsums in diesem Kontext etwas schräg, wenn nicht zynisch, aber im Grunde hat Saturn da nicht unrecht. Ich spreche natürlich nicht vom neuesten 100 Herz 40 Zoll Flatscreen, sondern von erneuerbaren Energien, intelligenten Netzen und Effizienz-Technologien. Denn damit können auch die ärmsten Regionen Fortschritte in der Lebensqualität erzielen, ohne ihren CO-Ausstoß massiv zu erhöhen.

Diese Technologien zu entwickeln sollte jedoch die Aufgabe und Verantwortung des Westens und der reichen Nationen sein. Erstens, weil sie es können, zweitens weil natürlich die gesamte industrielle Entwicklung, die erst zu unseren heutigen Problemen geführt hat, eine Erfindung des Westens ist. Wir waren immer Vorbild für die Entwicklungsländer, was Wohlstand und Konsum angeht. Dieser Vorbildfunktion sollten wir auch jetzt wieder gerecht werden und zeigen, dass eine akzeptable Lebensqualität und Nachhaltigkeit sich nicht ausschließen. Dann werden auch andere mitziehen.

Theophil: Das heißt wir sind uns im Prinzip einig: Die Industrieländer reduzieren individuell ihren Ausstoß, aber insgesamt ist es wahrscheinlich nicht genug, weil niemand zahlen möchte, ohne dass alle mitziehen. Die Chancen auf eine internationale Einigung sind weiterhin schlecht, solange die Interessen der Entwicklungsländer so stark divergieren. Der Ausweg ist technologischer Fortschritt in den Industrieländern. Dagegen habe ich nie etwas einzuwenden.

Was das konkret bedeutet und welche unterschiedlichen Vorstellungen es davon gibt, werden wir in den nächsten Wochen an den Wahlprogrammen für die Bundestagswahl 2013 diskutieren können. Wir beginnen sinnvollerweise mit dem Wahlprogrammentwurf der Grünen.

Jan: Ich bin nicht ganz sicher, ob wir uns wirklich einig sind. Denn ich würde auch eine weitreichende Umgestaltung unseres Steuersystems nach Klimamaßstäben befürworten und kleinere Freiheitseinschränkungen noch für akzeptabel halten, um den landesweiten CO2-Ausstoß zu senken. Welche Differenzen es da gibt, lässt sich in einer Debatte über das klimapolitische Programm der Grünen sicher gut herausarbeiten.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf dem Oeffinger Freidenker. Bitte hinterlasst Kommentare dort.

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