Rezension: Bernhard Hennen/Robert Corvus – Die Phileasson-Saga 1: Nordwärts

Bernhard Hennen/Robert Corvus – Phileasson 1: Nordwärts (Hörbuch)

Die Phileasson-Saga gehört zu den großen Klassikern aus der Geschichte des Schwarzen Auges. Bereits zu Beginn der 1990er Jahre legte Bernhard Hennen den damals vierbändigen Abenteuerzyklus in einer Zeit vor, in der große Kampagnen im Pen&Paper-Bereich noch ein Kuriosum waren und erfand quasi im Alleingang einen großen Block der aventurischen Mystik, indem er den Hintergrund der Hochelfen in die Welt integrierte. Die Kampagne selbst wurde mehrfach neu aufgelegt; Ende der 1990er Jahre, dann 2009 und zuletzt 2015, was auf ihre anhaltende Beliebtheit schließen lässt. Zwischen 2016 und 2023 veröffentlichten Bernhard Hennen und Robert Corvus dann im halbjährlichen Zyklus in insgesamt 12 Bänden eine Romanversion der Kampagne, der mittlerweile mit der Veröffentlichung des 12. Bandes abgeschlossen ist. Ich habe mir den ersten Band nun besorgt und bin in die große Abenteuerfahrt zurückgekehrt. Meine eigene Betrachtung des Stoffes schiebe ich ans Ende dieser Rezension.

Die Saga beginnt im Jahr 1007BF. Wenn man sich klarmacht, dass wir aktuell 1046BF schreiben, sieht man, wie alt der Stoff bereits ist – sowohl in derischen als auch in irdischen Maßstäben. Die Geschichte beginnt mit dem Prolog, in dem der Magier-Lehrling Tylstyr eine Pause von seiner Ausbildung an der Schule der Hellsicht in Thorwal nimmt, um sein Heimatdorf Stainacker zu besuchen. Dort holen ihn, den ewigen Außenseiter, die Geister der Vergangenheit ein: sein Vater zwingt ihn, an einem Akt der Strandräuberei teilzunehmen, bei dem eine albernische Kogge aufgebracht und die Besatzung erschlagen wird. Noch schlimmer ist, dass einer der „Jungmannen“ eine Frau entführt, an der er sich mit den anderen vergeht. Als Tylstyr davon erfährt, will er sie befreien – aber sie kommt ihm zuvor, ermordet ihren Entführer und verschwindet, blutige Rache schwörend. Tylstyr kehrt mit großer Schuld beladen nach Thorwal zurück.

In Kapitel 1, „Die dunklen Nächte„, wird in Thorwal einer der Täter auf ähnliche Weise ermordet. Gleichzeitig kehrt der Entdecker Asleif „Foggwulf“ Phileasson von einer Güldenlandfahrt zurück. Hetfrau Garheld und die Travia-Hochgeweihte beschließen, eine Wettfahrt auszurufen, um Phileassons ewigen Streit mit seinem größten Rivalen, Beorn dem Blender, auszuräumen. 12 Aufgaben warten auf die beiden, die sie in einer in 80 Wochen zu bewältigenden Rundfahrt um Aventurien lösen müssen. Beide Kapitäne dürfen nicht ihre übliche Mannschaft nehmen, sondern müssen sie neu zusammenstellen – eine Chance für Außenseiter wie Tylstyr und seinen Freund Tjorne, der Serienkillerin zu entkommen, für den Elf Salarin, seine Suche nach den Göttern fortzuführen, den Ritter Eichwald, seiner Vergangenheit zu entkommen oder der Waldmenschenfrau Irulla…ihre Motivation bleibt unklar. Die Traviageweihte Shaya kommt als Schiedsrichterin wider Willen mit, nicht eben begeistert, den städtischen Herd zu verlassen.

In Kapitel 2, „Reisevorbereitungen„, nehmen Phileasson und Beorn ebendiese vor. Da sie nicht wissen, wohin die Reise führen wird, müssen sie auch alles vorbereiten. Phileasson gelingt es dank geschickter Nachforschungen herauszufinden, dass es in den Hohen Norden geht, ins Yetiland. Das bestätigt sich am Tag der Abreise: die erste Aufgabe wird das Fangen eines Mammuts im Yetiland sein, die zweite das Finden des legendären Himmelsturms. Das dritte Kapitel, „Auf See„, beinhaltet die Fahrt hinaus zu den Olportsteinen, bei denen die Besatzung zusammenwächst und erste nautische Gefahren überwinden muss. Eisberge, ein unheiliger Sturm und magische Phänomene machen ihnen das Leben schwer. Letztere wurden ihnen von Beorn auf den Hals gehext, der auf den Olportsteinen den Elf Galayne aufgegabelt hat, der mit dunklen Mächten im Bunde ist.

Es ist Kapitel 4, „Im Reich des Wals„, in dem der Plot richtig in Fahrt kommt. In Olport trifft die verzögerte „Seeadler“ Phileassons auf den Nandus-Geweihten Vascal und dessen Nichte Leomara, die irgendwelchen Mächten als Medium dient. Trotz der Bedenken der abergläubischen Thorwaler nimmt Phileasson sie mit. Die Fahrt endet schließlich im Eis vor Yetiland, der „Insel der Schneeschrate“, von wo aus die Geschichte in Kapitel 5, „Auf dem Packeis„, weitergeht. Mit Eisseglern macht sich die Besatzung auf, um ein Mammut („zweizwahniger Kopfschwänzler“) zu finden und zu fangen. Beorns Mannschaft, dank des mittels Blutmagie beschworenen Sturms fast eine Woche voraus, trifft auf eine Gruppe Schneeschrate, die von seiner blutdurstigen und goldgierigen Mannschaft ihrer Felle wegen attackiert wegen. Dies bringt der Gruppe die Feindschaft der die Insel bewohnenden Yetis ein, kostet vier Männer das Leben und verzögert die Gruppe.

Phileasson kann in Kapitel 6, „Das Volk des Schnees„, dagegen den Konflikt ohne Tote befrieden und sich die Freundschaft der Schneeschrate verdienen, die ihn dafür sicher durch das Eis zu ihrem Lager bringen, in dem „Mutter Galandel“, eine Auelfe, die Gruppe trifft. Galandel versuchte einst, den Himmelsturm zu finden, scheiterte aber und verdankt ihr Überleben den Schneeschraten, denen sie seither hilft. Sie unterstützt auch die Gruppe in ihrer Suche, die sie in Kapitel 7, „Das Tal der Donnerwanderer„, in eben jenes führen wird. Dieses durch Geysiere erwärmte Tal weist einen Dschungel und damit reichhaltige Vegetation und Tierwelt auf, zu der auch eine Herde Mammuts gehören. Beorn, der vor Phileasson das Ziel erreicht, kann ein Mammutkalb fangen, weswegen Phileasson ihn auszustechen beschließt und ein ausgewachsenes Mammut fängt. Dank der Magie der Elfen und cleveren Ideen gelingt dies auch. Galandel beschließt, trotz düsterer Vorahnungen der Gruppe beim Erreichen des Himmelsturms zu helfen. Ein altes elfisches Artefakt in ihrem Besitz hilft im letzten Kapitel, „Die zweite Aufgabe„, den Weg zum Himmelsturm gewiesen zu bekommen.

Ich habe ein ambivalentes Verhältnis zur Phileasson-Saga. Ich habe zweimal versucht, das Ding zu spielleitern, und beide Male ging es daneben. Einmal kamen wir immerhin bis zur neunten Aufgabe, das andere Mal brachen wir bereits bei der sechsten oder siebten ab. Allerdings habe ich auch mit der ersten Neuauflage gespielt und kann nur für diese sprechen. Ich werde an den relevanten Stellen auf meine Erfahrungen Bezug nehmen, soweit ich mich erinnern kann. Das Ganze ist jetzt schon 20 Jahre her.

Überhaupt, Jahre her. Man merkt der gesamten Story ihr Alter an. Das beginnt bereits bei solch offensichtlichen irdischen Anleihen wie der 80-Wochen-Rundfahrt mit PHILEASson FOGGwulf als Hauptcharakter, seinem Sidekick Ohm Follker (der Barde mit der Leier) und der arg konstruierten Rahmenhandlung einer Wettfahrt, die gleichzeitig irgendwie mit göttlich-magischen Questen verbunden ist – man sollte nie allzu hart darüber nachdenken, weil es insgesamt nur wenig Sinn ergibt. Manches, wie die Bedingung des „ihr dürft eure eigene Crew nicht verwenden“, ist offensichtlich der Abenteuerstruktur geschuldet (irgendwie müssen die Spielendencharaktere ja integriert werden), aber letztlich tritt der Beginn des Abenteuers in Thorwal und die ganze thorwal’sche Kultur schnell in den Hintergrund.

Auch der Handlungsverlauf ist ein wenig merkwürdig, da das Pacing eines Abenteuers nicht unbedingt dem einer klassischen Geschichte entspricht. Die Vorbereitungsperiode etwa zieht sich ziemlich. Die Fahrt durch das Eis ist ziemlich gut und spannend erzählt, während die Episode in Olport dann eher ein Info-Dump ist: Exposition, Exposition, Exposition. Solche Episoden zerreißen den Handlungsfaden immer wieder. Am problematischsten ist das Finale der Geschichte, weil das Fangen des Mammuts so absurd ist, dass es Kopfschmerzen bereitet. Ich erinnere mich daran, dass das im Tabletop-Abenteuer schon keine besonders gelungene Episode war; auch im Roman kann nie Ernsthaftigkeit aufkommen, weil jede Faser schreit, dass nichts von dem Geschehen Sinn macht. Von Beginn an ist die Geschichte wesentlich interessanter, wo sie auf den kosmischen Rahmen verweist – der aber in einem Konflikt zu der Wettbewerbsidee steht. Es wird noch interessant sein zu sehen, ob dieser grundsätzliche Widerspruch in den kommenden Romanen besser aufgelöst werden kann.

Ein weiteres ernsthaftes Problem ist die Schreibe selbst. Das betrifft einmal die Dialoge. Der typische DSA-Stil kommt bisweilen sehr hölzern herüber, und die Stilwechsel von dem Verwenden altmodischer Begriffe und gestelzter Sprachkonstruktion zu plötzlichen Vulgarismen wie „verrecken“, die dann einer Elfe in den Mund gelegt werden, sorgt für kognitive Dissonanz. Dialoge insgesamt sind, zumindest im ersten Band, nicht gerade eine Stärke Hennens und Corvus‘.

Eine weitere Schwäche sind die Kämpfe und Actionszenen. Auch diese orientieren sich eher an der Dramaturgie eines typischen Abenteuers, dienen eher der Auflockerung, als dass sie an relevanten Stellen kommen würden. Entsprechend dröge und überlang sind sie auch. Keiner der Kämpfe offenbart irgendetwas über die Charaktere, wie es gute Kampfszenen tun, und die Verläufe sind auch nicht sonderlich spannend. Das Grundproblem aller Rollenspiele, Treffer mit Lebenspunkt- und Schadenspunktsystemen zu haben und diese in sinnige Narrative zu übersetzen, kommt auch hier zum Tragen. Leute werden getroffen, was mal schlimm ist und mal nicht. Genauso sind Verletzungen mal nur Kratzer und mal lebensbedrohlich, je nach Erfordernissen der Autoren, weniger nach interner Konsistenz. Dazu ziehen sie sich wie Leder.

Ein weiteres Problem dieses Romans ist der Subplot um Fiana, die als Zidaine bei Beorn anheuert. Dass Tjylstyrs und Tjornes Nemesis bei Beorn anheuern würde ist einer der vorhersehbarsten Plottwists. Das alleine ist kein Problem, aber die platte Ausführung des „Vergewaltigung macht dich hart“ und die Rückkehr des Opfers als Profikiller-Racheengel ist…problematisch, um es einmal milde zu sagen, und obwohl die Geschichte einen Großteil des Prologs und Tylstyrs Binnenhandlung einnimmt, passiert nie etwas damit. Das ist offensichtlich Setup für die kommenden Romane, führt aber an dieser Stelle zu einem eher unbefriedigenden Leseerlebnis.

Beorn ist zudem als Antagonist merkwürdig blass und farblos. In diesem Band (Rezensionen anderer Portale sprechen davon, dass sich das bessert) ist er ein eindimensionaler, offensichtlicher Bösewicht. Es bleibt unklar, worin seine Anziehungskraft auf seine Mannschaft besteht, und seine Fehler sind so verdammt offensichtlich, dass man ihn schütteln möchte; hier haben die Autoren allzu oft den Daumen auf der Schicksalswaage, und angesichts der anstehenden Unterwerfung unter den Willen Pardonas bin ich skeptisch, wie viel besser das werden wird.

Ein letzter Kritikpunkt folgt aus den Genannten und betrifft die Länge: für den Umfang des Romans passiert recht wenig; viele Seiten werden mit vergleichsweise mundänen und repetitiven Elementen gefüllt. Hier wäre weniger mehr gewesen, und angesichts der zunehmenden Länge der Romane schaue ich dem Fortgang etwas zwiespältig entgegen. Auch ist die Wahl einer auktorialen Erzählhaltung eine verpasste Chance. Ein personaler Erzähler hätte angesichts der Doppelstruktur der beiden Crews und der vielen verschiedenen kulturellen Hintergründe ein spannenderes Gesamtwerk ergeben können; so wird allzu oft in „Let me tell you about my character“-Manier die Hintergrundgeschichte ausgebreitet.

Was eine Stärke des Bandes ist, ist das Worldbuilding. Hennen und Corvus sind sehr gut darin, die Welt greifbar zu machen und die Gefahren, die aus der Natur erwachsen, hervorragend aufzubauen. Der Hohe Norden ist eine sehr gut fühlbare Landschaft, und auch Thorwal ist in den Szenen, die den Raum zum Atmen bekommen, ein lebendiges Setting. Ich hoffe, dass die Beiden mit besserem character building auf diese Erfolge aufbauen werden. Wenigstens den Himmelsturm will ich noch lesen, weil ich daran gute Erinnerungen aus dem eigentlichen Abenteuer habe – wenigstens für das Potenzial der Geschichte, wenn nicht für die Ausführung. Aber dazu später mehr.

{ 2 comments… add one }
  • Kning4711 22. Dezember 2023, 10:40

    In unserer DSA Spielrunde ist die Phileasson-Saga nach wie vor der König der Kampagnen – ich hab sie als Spieler erlebt und es war ein grandioses Erlebnis. Sicherlich waren einige Teilabenteuer besser und andere schlechter. Aber insb. dieser erster Band hatte einen grandiosen Einstieg.
    Unser damaliger Spielleiter hat da echt sein Herzblut auf dem Tisch gelassen und wir hatten eine Menge Spaß.
    Ich finde DSA Romane ohnehin sehr schwierig, gerade wenn Sie Abenteuer nacherzählen, die man selber gespielt hat. Da vermischt sich eigene Erinnerung mit der Sicht des Autors.

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