In einem sind sich alle Kommentierenden der Landtagswahlen von Hessen und Thüringen einig: Deutschland rutscht nach rechts. Wir versuchen uns an einer ersten Einordnung.
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(Musik: Intro aus Accou – Sarabande BWV 1002 (Partita No.1 for violin solo in B-minor), Outro aus Accou – Bourree (I.S. Bach BWV 1002, Violin Partita No 1 in B minor))
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Shownotes:
Die Landtagswahl in Bayern am 9. Oktober 2023 markiert eine rechtsgerichtete Verschiebung im politischen Spektrum. Die AfD verzeichnet deutliche Gewinne und erreicht 14,6 Prozent, während die Ampelparteien (Grüne, SPD, FDP) zusammen nur noch etwa 25 Prozent der Stimmen erhalten. Die CSU behält ihre dominante Position bei 37 Prozent, während die Freien Wähler ebenfalls Zuwächse verzeichnen. Die AfD betrachtet die FDP als „entsorgt“. Die CSU gibt der Ampelkoalition die Schuld am Erfolg der AfD, während die Opposition die CSU für das Erstarken des rechten Randes verantwortlich macht. Die Wahlanalyse zeigt, dass die AfD Wähler von verschiedenen Parteien gewonnen hat, darunter CSU, FDP und Freie Wähler. Die Ampelparteien sind ratlos über den Trend nach rechts und diskutieren darüber, wie sie ihn stoppen können. Der politische Diskurs verkommt zunehmend zu Krawall, sowohl in der analogen als auch in der digitalen Welt. Die Unsicherheit über die Zukunft der Ampelkoalition ist spürbar, und einige CSU-Mitglieder ziehen es vor, in der Opposition zu bleiben. Die Wählerwanderung zwischen den Parteien wird detailliert analysiert. Insgesamt zeigt die Wahl, dass sich die politische Landschaft in Bayern deutlich verändert hat und neue Herausforderungen für die etablierten Parteien aufkommen. (Oliver Das Gupta, Spiegel)
Die Landtagswahlen in Hessen und Bayern haben bedeutende politische Verschiebungen gezeigt. Die AfD verzeichnete Erfolge, während die Ampelparteien (Grüne, SPD, FDP) an Zustimmung verloren. Marcel Lewandowsky, Politikwissenschaftler, analysiert, dass die Ampelregierung nun mit Problemen konfrontiert ist, insbesondere aufgrund negativer Berichterstattung und interner Konkurrenz. Er betont, dass die Unsicherheit und mangelndes Vertrauen in die Regierung zu Wahlerfolgen für Parteien führen können, die als kompetenter wahrgenommen werden. Migration war nicht das dominante Thema, sondern die wirtschaftliche Entwicklung. Nancy Faeser, Bundesinnenministerin und SPD-Spitzenkandidatin, steht nach ihrer Niederlage in Hessen im Fokus, und ihre politische Zukunft hängt von der medialen Resonanz und dem Umgang von Olaf Scholz ab. Lewandowsky schließt mit der Erkenntnis, dass Deutschland in einer dreifachen Spannung zwischen progressiven, bürgerlichen/konservativen und rechtspopulistischen/rechtsextremen Lagern verharrt, was die politische Landschaft unsicher macht. (Thomas Sabin, Focus)
Die AfD hat eine Geschichte der Radikalisierung, die auf Gründungsmitgliedern wie Bernd Lucke, Alexander Gauland und Hans-Olaf Henkel basiert. Die Partei, 2013 als bürgerlich und konservativ gegründet, erlebte 2015 und 2017 zwei radikale Veränderungen, als sie sich von Lucke und dann von Petry trennte. Der Artikel hebt hervor, dass die Radikalität bereits in den Gründungsjahren angelegt war. Hans-Olaf Henkel, ein Schlüsselfigur, präsentiert sich als Verfechter der Freiheit, indem er persönliche Anekdoten teilt, die auf Geringschätzung für staatliche Regeln und Ehrlichkeit hindeuten. Alexander Gauland, ein intellektueller Akteur, betont die Notwendigkeit von Nationalpathos und grenzt das „Volk“ gegen das „Fremde“ ab. Bernd Lucke nutzte Untergangsmetaphorik und schürte Ängste, indem er die „Altparteien“ als Feinde darstellte und eine alternative Bewegung vorschlug. Trotz ihrer anfänglichen bürgerlichen Fassade entwickelte sich die AfD zu einer radikalen Kraft, die von Verfassungsschutz überwacht wird. (Wibke Becker, FAZ)
„Das Gift der AfD ist in der Jugend angekommen“ (Interview mit Johannes Hillje)
Die AfD feiert sich als großer Gewinner bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen. AfD-Chefin Alice Weidel betont, dass ihre Rekordergebnisse ihre Politik rechtfertigen und deutet an, dass sie in Zukunft mitregieren will. Besonders bei jungen Wählern erzielt die AfD den zweiten und dritten Platz. Grüne in Bayern machen Ministerpräsident Markus Söder mitverantwortlich für den Rechtsruck und warnen davor, das Lied der Rechtspopulisten zu singen. Der Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje erklärt, dass das Gift der AfD in der Jugend angekommen sei. Rechtsextreme Einstellungen nehmen bei jungen Menschen zu, was sich im Wahlverhalten widerspiegelt. Hillje kritisiert, dass demokratische Parteien TikTok der AfD überlassen und betont, dass die Union ihre Wahlstrategien auf jüngere Zielgruppen ausrichten sollte, um ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen. (Jana Stäbener, FR)
„Da ist schon ein gewisser Rechtsruck zu verzeichnen“ (Interview mit Claudia Ritzi)
Die Landtagswahlen in Hessen und Bayern markieren einen deutlichen Rechtsruck, insbesondere durch das starke Wachstum der AfD, die nun sogar in Hessen zur zweitstärksten Kraft aufsteigt. Die Ampelparteien (SPD, Grüne, FDP) verlieren hingegen an Zustimmung. Die FDP, trotz ihres Einflusses auf die Ampel, scheitert mit ihrer Strategie der Abgrenzung, was auf eine komplexe Dynamik in dem Dreierbündnis hinweist. Die AfD gewinnt im Westen an Zuspruch und wird nicht mehr nur als Ost-Phänomen betrachtet. Die Expertin Claudia Ritzi betont, dass die etablierten Parteien einen „gewissen Rechtsruck“ in der Gesellschaft erfahren. Dies zeigt sich auch in der Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Regierung, die nicht klassisch von der CDU, sondern vermehrt von der AfD als Protest-Partei aufgegriffen wird. Die Freien Wähler legen trotz eines Skandals zu, was auf einen möglichen gesellschaftlichen Rechtsruck hindeutet. Die politische Situation für die Ampelparteien im Bund wird komplizierter, da sie trotz unterschiedlicher Ziele zusammenarbeiten müssen. Insgesamt zeigt die Wahlanalyse, dass die politische Landschaft in Deutschland im Wandel ist, mit einer Stärkung rechtspopulistischer Kräfte und einer Herausforderung für etablierte Parteien, ihre Zusammenarbeit und Positionierung zu überdenken. (Claudia Deeg, SWR1)
Ampel-Koalition spektakulär abgewählt
Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen bedeuten ein Debakel für die Berliner Ampel-Koalition. Die FDP ist in Bayern aus dem Landesparlament geflogen und steht vor einem existenziellen Kampf. Die SPD fällt in Bayern in die Kategorie „Sonstige“, und die Grünen, als stabilste Ampelpartei, verlieren in beiden Ländern an Zustimmung. Dies wird als klares Misstrauensvotum gegenüber der selbsternannten „Fortschrittskoalition“ interpretiert. Die CDU, unter Boris Rhein, erlebt dagegen einen Triumph in Hessen, während Markus Söder in Bayern mit Stimmenverlusten konfrontiert ist. Die AfD erzielt solide Ergebnisse, während die Freien Wähler in Bayern zulegen, in Hessen jedoch scheitern. Das Ergebnis wird als mittleres Erdbeben betrachtet, das eine grundsätzliche Wende in der Migrationspolitik erfordert. Die Grünen, hauptverantwortlich für die selbstzerstörerische Entwicklung der Ampel, stehen vor der Herausforderung, ihre Kernklientel zu bedienen, die sich oft von pragmatischen Sozialdemokraten und FDP-Wählern unterscheidet. Die FDP, trotz guter Arbeit, wird erneut auf Landesebene abgestraft, und es wird bezweifelt, ob ein Turnaround in den nächsten zwei Jahren möglich ist. Die SPD erlebt mit Nancy Faeser einen Misserfolg in Hessen, und das Faeser-Experiment, auf ihre Prominenz zu setzen, ist grandios gescheitert. Migration wird als entscheidendes Thema identifiziert, das die Wahlen beeinflusst hat, und die Grünen erkennen die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Wende. (Alexander Marguier, Cicero)
Warum das Regieren für die Ampel schwieriger wird
Die Landtagswahlen 2022 in Deutschland hinterließen gemischte Spuren für die Ampelparteien. Die FDP erlitt erhebliche Verluste, insbesondere in Niedersachsen, wo sie die Fünf-Prozent-Hürde nicht überwinden konnte. Diese Niederlage belastete das Arbeitsklima in der Ampelkoalition, während die SPD gemischte Ergebnisse verbuchte und die Grünen Zuwächse verzeichneten. Die CDU, die auf eine Anti-Ampel-Stimmung setzte, verlor in Niedersachsen und insgesamt an Einfluss. Die FDP betonte nach den Wahlen die Notwendigkeit einer längeren Laufzeit der Atomkraftwerke, was zu Spannungen mit den Grünen führte. FDP-Chef Christian Lindner äußerte, dass die Ampel insgesamt an Legitimation verloren habe. Die Zukunft der Koalition wird in Frage gestellt, und die CDU sucht nach Lösungen für ihre Probleme. Die Grünen reagierten kritisch auf das Vorgehen der FDP und betonten vorherige Absprachen. Die CDU sah sich nach der Niederlage in Niedersachsen selbstkritisch. Der Generalsekretär Mario Czaja räumte ein, dass es der Partei nicht gelungen sei, in verschiedenen Bereichen, wie der Energiekrise, Lösungskompetenz zu zeigen. Die CDU-Chef Friedrich Merz spielte die bundespolitische Bedeutung der Wahl herunter, während die CDU insgesamt bei den Landtagswahlen 2022 geschwächt wurde. Insgesamt wirft das Ergebnis der Wahlen Fragen zur Stabilität der Ampelkoalition auf und stellt die CDU vor Herausforderungen in Bezug auf ihre Position und Problemlösungskompetenz. Der Fokus liegt auf der Suche nach einer gemeinsamen Position zu kontroversen Themen wie der Laufzeit der Atomkraftwerke, um die Handlungsfähigkeit der Regierung sicherzustellen. (Ann-Kathrin Büüsker, Nadine Lindner, Bastian Brandau, Anita Fünffinger, Martin Teigeler, Deutschlandfunk)
Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen haben klare Signale nach Berlin gesendet. Die Unzufriedenheit mit der Ampelkoalition ist deutlich spürbar, und die CDU hat wichtige Botschaften zu entschlüsseln. In Bayern kritisierte Markus Söder die Grünen scharf, betonend, dass ihr Weltbild nicht zu Bayern passe. Die FDP erlebte Demütigungen, was die Belastung der Ampelkoalition verstärkte. In Hessen profitierte CDU-Regierungschef Boris Rhein von seiner Zurückhaltung und gewann, während die SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser Schwierigkeiten hatte, ihre eigenen Anhänger zu überzeugen. Die AfD wird voraussichtlich in beiden Ländern als stärkste Kraft der Opposition agieren. Die Union erkennt die Unzufriedenheit, jedoch bringt die Ampelkrise ihr bisher keine Vorteile. Es bleibt eine Herausforderung, da wichtige Themen wie Wirtschaft, Klima und Migration eine Zusammenarbeit erfordern. Die Zeitenwende erfordert klare Ziele und Erklärungen, insbesondere zu Energieverbrauch und Verhaltensänderungen. Es ist entscheidend, dass die politischen Akteure die Sorgen der Bürger verstehen und darauf eingehen, um Vertrauen zurückzugewinnen und die Herausforderungen der Zukunft gemeinsam anzugehen. (Birgit Wentzien, Deutschlandfunk)
Bayerns erfolgreichster Verlierer
Markus Söder und die CSU erlebten bei den Landtagswahlen in Bayern einen Dämpfer, trotzdem bleibt die CSU stärkste Kraft. Der Kommentar von Anna Clauß betont die mangelnde Glaubwürdigkeit von Söder als Grund für das maue Wahlergebnis. Die CSU verlor an Boden, und Söder wird als Bayerns erfolgreichster Verlierer bezeichnet. Kritik richtet sich an Söders Wahlkampfstil, der sich zu sehr auf seine Person konzentrierte und nicht auf die Partei als Ganzes. Trotzdem scheint eine Revolte in der CSU gegen Söder unwahrscheinlich. Die mangelnde Glaubwürdigkeit, seine Rastlosigkeit und der Fokus auf persönliche Popularität werden als Faktoren genannt, die Söders Image beeinträchtigten. Die CSU wird aufgefordert, die Sehnsucht nach klaren Antworten zu bedienen und die Glaubwürdigkeitslücke zu schließen. (Anna Clauß, Spiegel)
Da ihr echt Schwierigkeiten habt, die freien Wähler zu verstehen, hier eine kurze „Geschichtsstunde“: Als Verband gibt es sie schon seit den 60ern mit dem Ziel, eine Koordination für unabhängige Kandidaten in der Lokalpolitik zu liefern. In Bayern kam ihnen da die Übermacht der CSU entgegen, weil FW-Kandidaten eine Möglichkeit war, auch in „Dörfern, wo die CSU ne Zaunlatte im Janker aufstellen kann und trotzdem gewinnt“ Gegenkandidaten zu liefern. Als die CSU trotz Amigo-Korruptionsaffäre 1993 die absolute Mehrheit bekommen hatte, gab der damalige Vorsitzende Armin Grein die Beschränkung auf Lokalpolitik auf und die FW stellten 1998 eine Liste für die Landtagswahl auf, scheiterten aber an der 5% Hürde. Der Wind drehte sich aber in der Zeit zwischen 2003 und 2008, als die CSU im Landtag eine 2/3-Mehrheit (sic) hatte – und diese für einige super-unpopuläre Maßnahmen (G8, Studiengebühren) und Großprojekte (3.Startbahn MUC, Donauausbau Niederbayern) genutzt hatte. In der Zeit strukturierten sich die FW als reguläre Partei und zogen 2008 (mit Aiwanger als Vorsitzenden) in den Landtag ein. Und das erklärt auch, warum das gesäßgeographische Koordinatensystem bei ihnen nicht funktioniert. Sie sind erratisch je nach dem, wie die Leute vor Ort ticken. Wenn Solarförderung „ihren“ Hausbesitzern nutzt, sind sie dafür, wenn eine Windanlage „ihren“ Waldanrainern nicht passt, sind sie dagegen. Als Kuriosität: Sie hatten mal erklärt (keine Ahnung ob das noch so ist), keinen Fraktionszwang auszuüben.
Sehr widersprüchlich. Ultralokale Landtagspartei, die den Sprung in andere Bundesländer und sogar den Bund schaffen will. Danke!
So widersprüchlich wie eine Anti-CSU Partei, deren einzige Machtoption die CSU ist – noch dazu in einem „Ober sticht Unter“ – Verhältnis.
Jepp
Das eigentlich Besondere im Bayernland ist da natürlich z. Zt. der Aiwanger, Hubsi. Der sorgt für Publizität, Zirkus und Krawall, was mehr als nur die halbe Miete ist. Indem der mit seiner Masche auch für überreichliche Prozente sorgt, ist der auch intern erstmal abgesichert. Dass das bleibt, glaub ich aber eigentlich nicht. Schaun mer mal.
Dass die FW auch in Rheinland-Pfalz und komischerweise in Bandenburg (bei den Ossis kann man mit allem rechnen) im Landtag vertreten sind (je sehr knapp über 5 %), haben auch Politikjunkies nicht unbedingt auf dem Radar. Der OberFWler im Mainzer Landtag ist ein gewisser Herr Dr. Streit. Von dem hört man nitt so arg viel^.
https://fw-landtag-rlp.de/fraktion/joachim-streit-mdl/
Die operieren halt mit altbackener konservativer Sacharbeit und wollen zuvörderst als seriös daherkommen. Auffallen um jeden Preis ist keinesfalls angesagt. Ferner ist die CDU in Rheinland-Pfalz ein zerstrittener Sauhaufen (geworden). Ferner ist da alles überwiegend ländlich-sittlich mit wenigen großen Städten. Passt also.
Eine Krawallschachtel wie der Hubsi ist bei den FWlern eigentlich eher ein Fremdkörper. Die Aporie ist halt: Entweder seriös und klein-klein oder heftig trommeln und jede Menge Laufkundschaft ködern. Und in Norddeutschland besteht FWmäßig wenig kommunale Basis, anders als seit anno dunnemals in Deutsch Südwest und in Bayern. Und viele FW-Kommunalos von der alten Schule sehen die Expansion in die große weite Welt eh kritisch; da gibt’s jede Menge Streit diesbezüglich. Ich sach mal spekulativ: Aus FW auf Bundesebene wird wohl nichts.
Wenn auch nur die Hälfte davon stimmt, dann ist Aiwanger ein weit besserer Politiker, als ihm medial zugeschrieben wird. Eine solche Partei zusammenzuhalten ist nämlich keine Kleinigkeit.
Daher ja auch meine Verwunderung. Can’t make heads or tails of it.
Danke für die Hintergründe, erinnert mich ein bisschen an den parlamentarischen Arm der Wutbürger, die Bürger in Wut in Bremen.
Ich meine aber auch – wie Dennis auch schreibt – dass die FW hier in der Gegend irgendwo mit auf dem Wahlzettel standen, aber unter ferner liefen und die auch nicht wirklich alle vergleichbar waren, zumindest bei weitem nicht so krawallig wie Aiwanger. Immerhin hat er sie jetzt bundesweit bekannt gemacht, aber viel Chancen auf Bundesebene sehe ich da auch nicht.
Habt ihr euch mal Gedanken gemacht, ob nicht grundsätzlich „rechtes Denken“ als gesamtgesellschaftlicher Trend auch in progressiven Kreisen eine Wurzel dieser Tendenz ist? Beispiele, was ich meine:
1) Identitätspolitik: Fragmentierung der Gesamtgesellschaft in unterschiedlich zu behandelnde Gruppen führt zu Ingroup-Outgroup Denken.
2) Sündenböcke: Statt grundsätzlichem Struktur- oder Politikversagen, werden in der Politkommunikation immer Schuldige präsentiert: Die Vor- oder Vorvorgängerregierung, Putin, die Generation bla etc.. Bei diesem blame-game waren „Die Fremden“ immer schon die letzten Verlierer.
3) rechte Sprache: Politische Debatten voller „Anschreworte“. Zum einen die Inflation von „Nazi“ und „Faschist“, zum anderen „Kriegstreiber“ „Lumpenpazifist“ etc.
3a) Sogar direkter Rückgriff auf die LTI ist wieder salonfähig, wenn es nur „gegen den richtigen geht“. Ich habe hier im Forum in ein paar konkreten Fällen darauf hingewiesen.
4) Die Sicht der Restwelt als Feind: Typisch hier Borels Metapher von Europa als Garten, der von Dschungel umgeben ist.
5) Innere wie äußere Militarisierung – müssen wir nicht drüber reden.
Nein, es ging uns ja vornehmlich um die Partei AfD und nicht irgendwelches Denken an sich. Außerdem ist jeder für seine politische Stellung selbst verantwortlich, ich halte überhaupt nichts davon, dass Linke an Rechten schuld sind oder umgekehrt.
Mal abgesehen davon passen deine hier aufgeführten Punkte doch genauso auf rechtes Denken, ich sehe hier eigentlich nichts genuin Progressives oder finden Rechte neuerdings Sündenböcke oder extreme Sprache doof?
Das ist doch genau mein Punkt. Das sind alles typisch „rechte“ Argumentationsmuster. Wenn alle politischen Richtungen (ich möchte eben jenseits der Parteiarithmetik denken) so reden, verschiebt sich das Overton-Fenster in diese Richtung.
Banales Bild: Nimm je ein rotes, grünes, gelbes und schwarzes Bauklötzchen und lege sie alle auf eine Linie. Lege rechts abseits ein blau-braunes Klötzchen. Wenn die ersten vier Klötze nach rechts verschoben werden, rückt der Schwerpunkt des gesamten Systems nach rechts, ohne dass der rechte Klotz sich bewegen muss.
Oh Verzeihung, hab ich tatsächlich komplett falsch verstanden^^
Ja, passt ja auch die Diskussion aus dem anderen Strang dazu, ob die Gesellschaft nun besonders gespalten ist oder nicht. Oder mein Einstieg im Podcast, dass es Kalkül ist bei progressiven Regierungen die Stimmung krisenhafter zu verkaufen. Das spielt bei einer zunehmenden Polarisation sicherlich eine Rolle.
Andererseits finde ich das immer schwierig, ganz konkret mit Wahlergebnissen zu verknüpfen, weil da oft so verdammt viel mehr hineininterpretiert wird als da ist und da immer ne Leerstelle bei den Gründen ist.
1) Das ist ein anderes Phänomen. Schließlich ist die Spaltung ja nicht intendiert (anders als bei rechten Ingroup-Outgroup-Teilungen), der Gruppe ist der Zutritt grundsätzlich offen. Im ERGEBNIS ist der Unterschied allerdings oft durchaus akademisch, ja.
2) Sündenböcke sind ein Phänomen ohne jede Gesäßgeografie.
3) Dito.
4) Sehe ich nicht.
5) Die Linke will Militarisierung…?
2) Klassisch ist in den politischen Erklärungsmustern, dass die Linke Probleme eher strukturbezogen (und sei es nur das supersimple „Der Kapitalismus ist schuld“) sieht, die Rechte eher personen- oder gruppenbezogen betrachtet.
3) „Don’t mud-wrestle a pig. Both get dirty, the pig enjoys it“
4) Natürlich – fang mal beim Begriff „Systemkonkurrent“ an.
5) Die „Linke“ (Partei) zugegebenermaßen nicht, zwei gesäßgeographisch als links bezeichnete Parteien schon (siehe meine Antwort unten)
2) Ja, da gehe ich mit.
3) Ja.
4) Häh?
5) Da widerspreche ich dir entschieden.
4) Ich habe mir das Borrell-Zitat nochmal rausgesucht. Das ist die beste Zitierung auf die Schnelle:
„Europe is a garden. We have built a garden. Everything works. It is the best combination of political freedom, economic prosperity and social cohesion that the humankind has been able to build – the three things together,“ Borrell said during the event.
„The rest of the world,“ he went on, „is not exactly a garden. Most of the rest of the world is a jungle, and the jungle could invade the garden.“
Also wenn das nicht eine Steilvorlage an die rechte Flanke ist, weiss ich auch nicht.
„The rest of the world,“ he went on, „is not exactly a garden. Most of the rest of the world is a jungle, and the jungle could invade the garden.“
Also wenn das nicht eine Steilvorlage an die rechte Flanke ist, weiss ich auch nicht.
Ist die von ihm benutzte Beschreibung aus Ihrer Sicht faktisch falsch?
Ich antworte mal auch wenn du mich nicht fragst: Nope, ist sie nicht. Nur die Metapher des Dschungels ist unglücklich.
Jepp, stimme ich dir zu.
5) finde ich lustig. Es gibt nicht mehr Militär, nicht mehr Uniformen im Inneren, keine Wehrpflicht, keinen schulischen oder universitären Wehrunterricht, keine bewaffneten Milizen, eine zu 80% bequemlichkeitspazifistische Gesellschaft etc. Und trotzdem imaginieren Sie eine „Militarisierung“. In Deutschland. Wie integriert man eigentlich solche Traumbilder ohne irgendeine Art von unterstützenden Fakten in das eigene Weltbild?
Gruss,
Thorsten Haupts
Haben Sie die letzten Jahre unter dem Kyffhäuser geschlafen ?
Wir haben
– Die höchsten Militärausgaben Europas
– 5 militärfreundliche Parteien im Bundestag („Querfront“ von AfD bis Grüne)
– Eine Journalistenschaft, die praktisch durchgängig in die Wehrkundetagung SiKo „embedded“ ist
– regelmäßige Werbeblocks für Rüstungsgütern in den Hauptnachrichten
und Sie schwadronieren über “ schulischen oder universitären Wehrunterricht“, eine IDee, die so abseitig totalitär ist, dass ich mir das F-Wort schwer verkneife. Aber dieser Kommentar zeigt wenigstens, wie sehr die Wertmaßstäbe verschoben wurden.
Aha. Also in Medien und Politik gibt es (vorwiegend rein verbale) vorübergehende Unterstützung dafür, die Bundeswehr wieder in einen kampffähigen Zustand zu versetzen, und Sie legen das unter „Militarisierung“ ab. Schön zu wissen, wie niedrig die Messlatte liegt. Wenige Zentimeter über´m Boden.
Gruss,
Thorsten Haupts
Die SPD militärfreundlich? Das ist News.
Schau nicht auf mediale Klischees oder die Rhetorik sondern auf konkrete policies. Hat der SPD-Kanzler für die Bedürfnisse des Militärs die Verfassung geändert ? Hat die SPD-geführte Regierung das Militär sowohl vom Spargebot aller Ressorts als auch von der Reportpflicht zumKlimaschutz ausgenommen ?
Ist irgendetwas davon auch nur entfernt als „Militarisierung“ zu bezeichnen?
WAS sonst ? Mehr Geld, Sonderrechte, Nichtkontrolle. Alles zentrale real existierende Punkte.
Oder fängt für dich wie für Herrn Haupts oben Militarisierung erst an, wenn Handgranatenwerfen in schulischen Wehrlagern gelehrt wird.
Wenn der Bundestag mehr Geld für Schulen über ein Sondervermögen beschlösse, wäre das auch keine Verschulung Deutschlands. Militarisierung ist eine Durchdringung der Gesellschaft durch das Militär mit militärischen Werten, davon ist nichts, niente, nada zu sehen.
Exakt. Militarisierung ist hier eine absolut unzutreffende Beschreibung.
Deine Sichtweise hat den Nachteil nicht messbar zu sein. Die wissenschaftliche Methodik Indexbildung orientiert sich an harten Zahlen: Militärausgaben, Militärpersonal, Schwere Waffen.
https://gmi.bicc.de/ranking-table
Die Zahlen des BICC sind von 2021 – da lag D im unteren Mittelfeld. Was denkst du wohl, wie sie sich 2022ff entwickeln ?
Dass die Militärausgaben steigen ist doch völlig klar, ist ja erklärte Politik. Ich weise nur dein Deutungsschema zurück.
Ich halte diese Fixierung auf “wer ist die zweitstärkste Partei?” oder “wer ist Oppositionsführer?” im gegenwärtigen Kontext für absurd. Die AfD liegt sowohl in Hessen als auch in Bayern ziemlich gleichauf mit anderen Parteien, die alle so zwischen 14 und 19 Prozent bekommen haben. Fünf Prozent hin oder her repräsentieren praktisch die Schwankungsbreite innerhalb derer Glück, Pech, das Wetter, ein Last-Minute-Ereignis den Wahlausgang entscheiden. Da einen signifikanten Unterschied zu konstruieren zwischen den Parteien, die so dicht aneinander liegen, ist aus meiner Sicht nicht sachdienlich.
Wer der Zweitstärkste ist oder wer der Oppositionsführer ist, war früher mal wichtig – weil der Zweitstärkste bzw. der Oppositionsführer traditionell der Top-Herausforderer für den amtierenden Regierungschef bei der nächsten Wahl war. Wer der Zweitstärkste ist, ist manchmal auch heute noch wichtig, wenn z.B. eine CDU-Regierung in einer Wahl gegen SPD und Grüne antritt und ein Sieg der Opposition entweder Rot-Grün+ oder Grün-Rot+ zur Folge haben könnte. Also dann wenn zwei Oppositionskandidaten gegeneinander antreten, die beide plausible Kandidaten für das Regierungsamt sind.
Aber die AfD würde selbst dann nicht bayrischer oder hessischer Ministerpräsident werden, wenn sie eine relative Mehrheit bekäme. Und sie ist – zumindest in diesen westlichen Bundesländern – Lichtjahre von einer relativen Mehrheit entfernt. Folglich ist völlig gleichgültig wer in Bayern und Hessen Zweitstärkster hinter der CDU bzw. der CSU ist oder wer “Oppositionsführer” ist.
Wir sollten die AfD hier nicht künstlich stärker darstellen als sie ist und als bedeutende politische Kraft adeln in Regionen der BRD, wo sie diese Bedeutung nicht hat.
Das ist ein Missverständnis, uns ging es nicht um den ideellen Status des Herausforderers, sondern um parlamentarische Rechte, die sich anhand des Stimmenanteils ergeben (hier logischerweise der Opposition), da gibt es Unterschiede ob eine Oppositionspartei 5% oder 15% der Stimmen hat.
Die stärkste Oppositionspartei hält zb immer die erste Gegenrede, auch bei Ausschüssen und noch wichtiger Untersuchungs-Ausschüssen ist das wichtig.
https://www.br.de/nachrichten/bayern/landtagswahl-bayern-afd-oppositionsfuehrer-landtag-ausschuesse-vizepraesident-untersuchungsausschuss,TsC5JLw
Hier ist zum Beispiel eine Aufstellung für den bayerischen Landtag und Oppositionsrechte (auch wichtig: ob SPD und Grüne ohne Hilfe der AfD einen U-Ausschuss beantragen können – zum Glück ja)
Es geht also nicht um Regierungsbildungen oder relative Mehrheiten, sondern parlamentarische Rechte, die alle Parteien im Parlament haben und für die parlamentarische Arbeit von Bedeutung sind.
Die stärkste Oppositionspartei hält zb immer die erste Gegenrede, auch bei Ausschüssen und noch wichtiger Untersuchungs-Ausschüssen ist das wichtig.
Ist das in der Praxis echt so wichtig? Es schaut sich doch schon kein Mensch die Debatten im Bundestag an – obwohl die wenigstens noch bei Phoenix übertragen werden. Bei den Landesparlamenten wüsste ich noch nicht mal, ob es überhaupt einen Sender gibt, wo man da zuhören kann. Dasselbe gilt für Untersuchungsausschüsse. Medienwirksame Skandale, die Aufmerksamkeit bringen, können die Parteien auch ohne Oppositionsführerstatus erzeugen. Es ändert sich also meiner Meinung nach nicht viel …
Nun, ich würde parlamentarische Rechte der Opposition nicht unwichtig nennen, nur weil sie im Allgemeinen wenig bekannt sind. Wir können uns den Luxus leisten, sie als unwichtigen Firlefanz abzutun, weil sie in einem Parlament voller Demokraten wenig zur vollen Anwendung kommen (ich erinnere hier auch an Stefans exzellente Artikel zu Normen, die ich leider gerade zu faul bin zu verlinken).
Es ändert sich aber fundamental, wenn dort Parteien vertreten sind, die sich daran explizit nicht gebunden fühlen. To say the least.
Wir nehmen im Podcast ja auch Bezug auf den Artikel von Ploss, deswegen verlinke ich den hier mal:
https://www.stern.de/politik/afd–was-wir-im-umgang-mit-den-extremisten-aendern-muessen-33903152.html
Und er sitzt als Abgeordneter ja selbst dem Missverständnis auf und meint, es wäre das Recht der AfD im Präsidium vertreten zu sein. Dem ist halt nicht so, sie haben nur das Recht sich der Wahl zu stellen. Normalerweise spielt das nur keine Rolle, weil – Normen! – auch die Oppositionsvertreter durchgewunken werden
ich würde parlamentarische Rechte der Opposition nicht unwichtig nennen
Ich auch nicht. Mein Punkt ist nicht, dass die parlamentarischen Rechte der Opposition unwichtig sind, sondern dass innerhalb der aus immer mehr Parteien bestehenden Opposition die besonderen Rechte des Oppositionsführers unwichtig geworden sind.
Nun, ich würde parlamentarische Rechte der Opposition nicht unwichtig nennen, nur weil sie im Allgemeinen wenig bekannt sind.
Richtig. Öffentlich irrelevant aber für das Funktionieren der Maschinerie „Parlament“ bedeutend. Plus eine Anmerkung zu U-Ausschüssen: Sie haben Möglichkeiten, die selbst den besten Medien nicht zur Verfügung stehen. Für Skandalisierung irrelevant, da hat Ralf Recht, aber wichtig, um die Prozesse und Entwicklungen nachzuvollziehen, die zu einer Entscheidung, zu Regierungshandeln, geführt haben.
Gruss,
Thorsten Haupts
Genau!
Ich fürchte, diese Spitzfindigkeiten spielen keine Rolle. Scholz ist wegen eines knappen Prozents Kanzler. Merkel wurde es unter ähnlichen Umständen 2005. Ob du zweiter oder dritter bist ist wichtig.
Das ist doch genau das, was ich gesagt habe. Wenn mehr als ein Kandidat eine plausible Chance hat Regierungschef zu werden, dann ist wichtig, wer Erster und wer Zweiter wird. Wenn aber der Wahlsieger – wie z.B. in Hessen – 35% hat, der Zweite aber nur 18% – und wenn darüber hinaus alle eine Koalition mit dem Zweiten ausschließen, insbesondere eine Koalition, die von dem Zweiten geführt würde – dann ist der besondere Status des Zweiten völlig wertlos.
Diesen wertlosen Status trotzdem ständig zu betonen, redet die AfD nur weiter stark und dient deren Narrativ.
Erneut, ich sehe das anders. Narrative und Eindrücke sind wichtig. Zweiter oder Dritter macht in der Wahrnehmung einen enormen Unterschied, genauso wie das Etikett des Oppositionsführers.
Wiederum -> Das ist genau mein Punkt.
Framing matters. Und im gegenwärtigen Fall hilft das Framing der AfD noch stärker, noch einflussreicher, noch demokratiezersetzender zu werden. Wir bereiten hier aktiv den nächsten Erfolg der Nationalsozialisten vor.
Und wir tun das ohne Not. Denn politisch ist der zweite Platz und der Oppositionsführerstatus in diesem konkreten Fall völlig gleichgültig. Eine völlig gleichgültige Position dennoch laufend zu betonen – so wie das auch die Medien wieder und wieder und wieder gemacht haben – trägt nicht zur Information der Bürger bei (eigentlich die Aufgabe der Medien), konstruiert aber eine Verzerrung der politischen Bedeutung des Wahlergebnisses und präsentiert die Faschisten als starke Alternative in Wartestellung.
(Und es führt natürlich zu höheren Absatzzahlen der Medienprodukte, weil negatives Messaging und Schreckensszenarien zu mehr Lesern bzw. Zuschauern führen …)
Das Ding ist: du tust so, als würde da irgendwo eine Entscheidung zu diesem Framing zentral getroffen, die man anders treffen könnte. Das ist aber nicht der Fall. Ich halte das schlichtweg für einen Fakt: Leute framen das so, sehen das so. Das ändern zu wollen ist praktisch aussichtslos und auch gar nicht so hilfreich, weil man es auch gegen die AfD verwenden kann, wenn sie bei den nächsten Wahlen auf den dritten Platz verwiesen werden.
Nö – gegen die AfD wird das garantiert niemand verwenden, weil man mit negativen Schreckensmeldungen eben mehr Profit macht als mit positiven Nachrichten.
Dass nirgends “zentral” über Framing entschieden wird ist klar. Aber früher gab es eben einen Konsensus in den Medien, dass man Nazi-Parteien nicht stark redet. Dieser Konsensus existiert nicht mehr. Dank des Drucks des Internets und der privaten, profitgetriebenen Natur der Medien, wird das veröffentlicht, was Kohle macht. Anstand und Ethik sind nicht mehr wichtig. Insofern alles wie erwartet.
Ein kleiner Blog wie Deiner ist aber eigentlich nicht diesen Profitzwängen unterworfen und zieht seine Attraktivität aus der sachlichen Diskussion. Deswegen ist für mich nicht ersichtlich, weshalb man hier Narrative fördern sollte, die den Faschisten helfen, ohne dass dazu eine objektive Notwendigkeit besteht …
Selbstverständlich. Wenn die AfD in einem oder zwei Jahren eine Reihe von 12-15% einfährt und auf den dritten bis vierten Plätzen landet, wird das definitiv die Schlagzeilen bestimmen.
Ich sehe nicht, dass früher ein solcher Konsens bestanden hätte.
Da mein Blog auch keine Nazis stärkt, weil er so klein ist, ist es auch egal.
Doch, der Konsens bestand durchaus. Er musste nämlich a) nie einem Stresstest standhalten, dafür waren die „Nazi“-Parteien zu klein. Und b) kann Ralf sich offenbar nicht erklären, warum so viele Leute seinem privaten Urteil nicht folgen, die AfD zu Nationalsozialisten zu machen. Wenn man dem Urteil NICHT folgt, besteht der Konsens nach wie vor.
Warum so viele Leute meinem Urteil nicht folgen, kann ich schon sehen. Auch 1933 haben viele Wähler der NSDAP die Partei nicht wegen ihrer Weltkriegs- und Ausrottungspläne gewählt, sondern weil sie das Gefühl hatten, das Land bräuchte einen radikalen Neuanfang, bei dem alles Bestehende erstmal niedergebrannt werden muss, bevor etwas großes Neues entstehen kann, wo dann alle Probleme magisch gelöst sind. Das Niederbrennen hat auch gut geklappt. Nur das große Neue hat sich leider als nicht ganz so top erwiesen, wie erhofft.
Auch 1933 haben viele Wähler der NSDAP …
Vollkommen irrelevant für die im Raum stehende Frage – nämlich, ob es sich bei der AfD um eine Nazi-Partei handelt. Die Antwort darauf ist einfach – nein.
Gruss,
Thorsten Haupts
@ Ralf 17. Oktober 2023, 11:02
Auch 1933 haben viele Wähler der NSDAP die Partei nicht wegen ihrer Weltkriegs- und Ausrottungspläne gewählt, sondern weil sie das Gefühl hatten, das Land bräuchte einen radikalen Neuanfang, bei dem alles Bestehende erstmal niedergebrannt werden muss, bevor etwas großes Neues entstehen kann, wo dann alle Probleme magisch gelöst sind.
1933 war 15 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs (der gleiche Abstand, den wir heute zu 2006 haben). In diesen 15 Jahren gab es 15 Kanzler (Hitler mitgerechnet 16), gab es Inflation, Massenarbeitslosigkeit, Freikorps, Massenkrawalle, besonders in den Städten heftige Kämpfe zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten. Und Du glaubst allen ernstes, dass die deutsche Bevölkerung erstmal „einen radikalen Neuanfang, bei dem alles Bestehende erstmal niedergebrannt werden muss“, bräuchte? Au weia.
Die Leute wollten endlich wieder ihren Freiden, um in aller Ruhe den verlorenen Weltkrieg verdrängen zu können.
Die Leute wollten endlich wieder ihren [Frieden]
“Die Leute” haben weder damals noch heute als homogene Gruppe existiert, die “etwas wollte”. Die einen Leute wollten halt das eine und die anderen Leute wollten das andere.
Aber dass ausgerechnet die NSDAP-Wâhler ihre Ruhe und ihren Frieden wollten, ist eine steile These. Und es passt überhaupt nicht zu den Brandreden der führenden Nazis damals gegen das System und auch nicht zu der brachialen Gewalt gegen Menschen durch die SA.
Nachvollziehbar. Aber das ist ja genau der Punkt: man muss aufpassen, was man aus den Wünschen macht.
@ Ralf 17. Oktober 2023, 20:33
“Die Leute” haben weder damals noch heute als homogene Gruppe existiert, die “etwas wollte”. Die einen Leute wollten halt das eine und die anderen Leute wollten das andere.
Sei nicht immer so anstrengend. Die Nazis wollten an die Macht, die Kommunisten wollten an die Macht, die Sozialdemokraten wollten das Schlimmste verhindern (ohne den Kommunisten oder Nazis in die Hände zu spielen), und das Bürgertum, dem man ja so gerne nachsagt, Hitlers Steigbügelhalter zu gewesen zu sein, wollte wieder Ruhe.
Die Kommunisten haben ihre Ziele verfehlt, die Sozialdemokraten haben ihre Ziele verfehlt, und die Nazis haben sie erreichen können, weil das kaiserlich geprägte Bürgertum seine Ruhe wollte und Hindenburg folgte.
Wenn Du Dich jetzt besser fühlst …
Weshalb Du meine Gefühle ins Spiel bringst, bleibt Dein Geheimnis.
Dafür wie es kommen konnte, dass das Bürgertum angeblich seine Ruhe wollte, dann aber aktiv einen systemfeindlichen Krakeler und Ex-Putschisten mit Privatarmee an die Spitze des Landes wählte, bleibst Du weiterhin jede Erklärung schuldig.
Weil es so gut ins Thema passt: „Die Anstalt“ plädiert sehr deutlich und klar argumentiert für ein AfD-Verbotsverfahren. Als „Mindestgewinn“ kann man sich darüber grusel-amüsieren, wie unsympathisch von Wagner den Maximilian Krah spielt:
https://www.zdf.de/comedy/die-anstalt/die-anstalt-vom-10-oktober-2023-100.html
Ich glaube die Frage nach dem Verbotsverfahren stellt sich aktuell nicht (krieg auch immer die Krise, wenn ich da Petitionen zu sehe, das ist ja keine Abstimmungsfrage, sondern hat zurecht sehr hohe Hürden)
Btw verwechsel ich auch noch immer den Krall und den Krah und bin immer verwirrt, wer da jetzt ne neue Partei machen will oder nach Europa. Die sind ja beide gruslig.
Als ich mich in früheren Jahren darüber aufregte, dass die CDU nach links driftet, hieß es, dass die gesamte Gesellschaft nach links driftet, dass frühere links also jetzt die Mitte sei. Nun geht es zurück; müsste dann nciht die Argumentation lauten, dass die Mitte nach rechts rückt, mithin „rechts“ als die neue Mitte ist?
Du erwartest bitte keine Konsistenz in DER Argumentation, oder 🙂 .
@ Thorsten Haupts 16. Oktober 2023, 19:27
Du erwartest bitte keine Konsistenz in DER Argumentation, oder .
Nein, eigentlich nicht. Wollte trotzdem raus …
Ja, das ist mit Sicherheit nicht falsch. Ich denke, wir sind gerade in einer Backlashphase.
Ich finde das gar nicht so leicht zu unterscheiden, weil ich glaube, dass Parteien und Medien ihre Strömungen sehr viel schneller wechseln als die ganze Gesellschaft allgemeine Wertevorstellungen (sprich keine einzelne Wahlentscheidung). Die auch höchstselten nur in die eine oder andere Richtung gehen.
Mir würden hier zb zwei – ich nenns mal – Realitätsanpassungen der Parteien einfallen, die wirklich auf Jahrzehnte zurückgehen und dann noch mit tagesaktuellen Politikentscheidungen zusammenfielen.
Da war zb die CDU mit moderner Familienpolitik und der Ehe für alle
und SPD und Grüne, die ihre Pazifismus-Überreste ziemlich komplett aufgegeben haben.
In diesen fundamentalen Fragen sind also beide Seiten eher in die Mitte gerückt