Adrian Daub – What Tech Calls Thinking (Hörbuch)
Festzustellen, dass die großen Techkonzerne von Silicon Valley eine unglaublich große Rolle in unserem Alltag haben, ist wahrhaftig keine überragende Erkenntnis. obwohl Mark Zuckerberg, Jeff Bezos, Bill Gates und wie sie alle heißen allseits bekannte Figuren sind, ist weitgehend unergründet, wie sie denken und wer ihre großen Einflüsse sind. Adrian Daub von der Stanford-Universität in Kalifornien ist schon allein wegen der räumlichen Nähe zum Silicon Valley ein einleuchtender Kandidat dafür, das etwas näher zu untersuchen. In „What Tech Calls Thinking“ geht er diese Ideengeschichte des Silicon Valley nach, ohne dass man ihn – der Titel verrät es schon ein wenig – allzu großer Sympathie beschuldigen dürfte.
Das Problem des Untersuchungsgegenstandes macht Daub gleich zu Beginn im Vorwort deutlich. Die Betrachtung des Tech-Sektors wird meistens auf die großen, schillernden Figuren, wie ich sie auch eingangs aufgelistet habe, reduziert. Wie die große Masse der Beschäftigten im Silicon Valley denkt ist bislang komplett unerforscht. Die entsprechende soziologische Untersuchung, so Daub, muss erst noch geschrieben werden. Daub selbst allerdings überlässt diese Aufgabe anderen und bleibt bei den großen, bekannten Figuren. Eigentlich ein Text über geht, formuliert er noch zwei Thesen: das wäre einerseits die Bedeutung des College Dropouts als beherrschender Mythos und andererseits die Wurzeln des Tech-Denkens in der Counterculture der 1960er Jahre.
Den ersten Teil dieser Thesen beginnt er im Kapitel 1, „Dropouts“, zu erforschen. Er stellt fest, das viele der Gurus des Silicon Valley, etwa die Venturkapitalistin Elizabeth Holmes, in Ihrer Selbstdarstellung gerne den Collegedropout als elementaren Teil ihrer Unternehmendenkarriere darstellen, indem sie den persönlichen Einsatz für das jeweilige Unternehmen betonen. Daub Durchlöchert diesen Mythos aber sofort, indem er völlig zu Recht darauf hinweist, dass für diese Personen der Dropout keinerlei persönliches Risiko darstellte.
Stattdessen stellt er die These auf, dass die Techkapitalist*innen das College vielmehr als eine Art ersten Job sähen, indem man einige wertvolle Fertigkeiten erwerbe und dann, wenn man eine wahrgenommene Grenze erreicht hat, zu einem neuen Job wechselt – ganz so, wie ist die Lebensläufe dann später für die Unternehmen, in denen diese Leute arbeiten, widerspiegeln. Für Daub Ist diese Sichtweise auf das College allerdings ein grundsätzliches Problem, weil sie nicht die eigentliche Erfahrung des Studiums erlaube, das wesentlich ganzheitlicher angelegt sei. Stattdessen wird man einigen Ideen ausgesetzt und nimmt diese vielleicht auch auf, allerdings ohne die Tiefe, die ein echtes Studium mit sich bringen würde.
Das Missverständnis, dass der Dropout eine Kritik am universitären Umfeld wäre, räumt Daub direkt aus. Dies wird zwar oft zu rezipiert, würde von den Dropouts selbst aber nicht so gemeint sein. Vielmehr zeigten die Arbeitsumfelder, in die diese dann wechseln, eine tiefe Verbundenheit mit dem akademischen Umfeld: vom Google Campus zu Mark Zuckerbergs an eine WG erinnernde erste Kommandozentrale von Facebook würden die späteren Unternehmen bewusst oder unbewusst an Universitäten ausgerichtet. Auch würde das Prestige der Eliteuniversitäten und des Studiums generell stets benutzt. Der Dropout sei vielmehr eine Marketingmaßnahme: so etwa wird über Elizabeth Holmes‘ Zeit in Stanford wesentlich mehr gesprochen, weil sie das Studium dort abgebrochen hat, als wenn sie es regulär zu Ende gebracht hätte.
Zuletzt untersucht Daub das merkwürdige Verständnis der ersten Person Plural dieser Dropouts: Sie verwenden unglaublich gern diese Pluralform, meinten damit allerdings stets „Leute wie ich“. dies sei sehr gut ein Unternehmen wie Lyft, Uber und so weiter feststellbar, die alle eine vergleichsweise hohe Eintrittsschwelle besitzen und sowohl für wenig techaffine als auch begüterte Menschen unerreichbar seien.
Kapitel 2, „Content„, taucht tiefer in die Counterculture ein. Der Denker, den Daub uns jetzt vorstellt, ist Marshall McLuhan. Er war einer der ersten Medienwissenschaftler und formulierte die einflussreiche Idee von „das Medium ist die Botschaft“. Auch die Idee des „global village“ und der Begriff des „Surfens“ sind von ihm – wohlgemerkt in den 1960er Jahren! McLuhan kokettierte stets damit, falsch verstanden zu werden, und schrieb seine Texte voller Anspielungen, intertextuelle Bezüge und Fremdworte. Auf diese Art und Weise wurde er zu einer Projektionsfläche, auf die man alle möglichen Vorstellungen anwenden konnte und sich zugleich auf einen großen Denker berufen.
Dadurch wurde McLuhan zu einer Art enfant terrible seiner Zunft und verkörperte eine Anti-Establishment-Haltung, die auf die Counterkulture natürlich unglaublich attraktiv wirkte. Die zentrale Botschaft McLuhans, dass das Medium die Botschaft sei, war eine bewusste Abkehr von der Literaturwissenschaft, die üblicherweise ja den Inhalt große Bedeutung beizumessen pflegt. Stattdessen legte er das Gewicht auf das Medium: er erklärte, das dieses gewaltigen Einfluss auf die Art unseres Inhaltskonsums besitze. Es macht einen Unterschied, ob man eine Geschichte liest oder ihre Verfilmung ansieht.
Daraus leitete sich die Vorstellung ab, dass der Inhalt komplett unwichtig sei. Wer verstanden habe, wie das Medium funktioniert, war allen anderen Gesprächspartner*innen sofort überlegen. diese scheinbare intellektuelle Überlegenheit ist natürlich für junge Menschen generell attraktiv, für die Counterculture aber im Besonderen. Sie war ungeheuer misstrauisch gegenüber der neuen Technologie des Fernsehens und gegenüber der Werbung, weil diese direkt zum Establishment gehörten und von ihm kontrolliert wurden. McLuhan bot daraus einen Ausweg: mit dem einzigartigen Verständnis des Mediums konnte man es einerseits „verbessern“ und andererseits gegen seine Besitzenden wenden.
Auf diese Art wurde die Counterculture zu einem Spiegelbild der Konservativen: wo diese die Gegenwart schlecht fanden und eine goldene Vergangenheit beschworen, fand sie die Gegenwart schlecht und beschwor eine goldene Zukunft, in der alles besser werden würde. Das enthob die späteren Tech-Gurus auch gleichzeitig von jeder Verantwortung für ihre Erfindungen, weil es aus dieser Medientheorie eine systemische Notwendigkeit ableitete. Wenn allerdings etwas systemisch ist, bin ich selbst nicht verantwortlich.
Auf diese Art wurde auch jede Art von der Schaffung von Inhalten abgewertet. Die neuen Plattformen betrachten Content als reine Füllmasse und bezahlen diejenigen, die ihn bereitstellen, oftmals nicht einmal. Ein spannender Nebeneffekt dieser Entwicklung ist, dass die Erschaffung von Content, früher eine männliche Domäne, dadurch zunehmend verweiblicht wurde. Die Counterculture war aber auch jeher eine männliche Domäne gewesen. Ein weiterer Aspekt dieser Entwicklung war, dass die neuen Plattformen sich als für den Content nicht verantwortlich gerierten. während eine Zeitung für das, was sie druckt, verantwortlich gemacht werden kann, gilt das für Veröffentlichungen auf Facebook, Twitter oder WordPress dezidiert nicht. Die Zerstörung alte Strukturen ist so auf zahlreichen Ebenen verantwortungsfrei.
Ein in Tech-Zirkeln allgegenwärtiger Begriff wird in Kapitel 3, „Genius„, untersucht. Ihn führt Daub auf Ayn Rand zurück. Rand hasste zwar die Counterculture, aber die Counterculture ihrerseits liebte sie, schon allein, weil Rand die Jugend und Disruption verherrlichte. In ihren Büchern glorifizierte sie außerdem Egoismus und Kapitalismus. Daub wirft ihr allerdings vor, in ihrer Analyse komplett jegliche zugrundeliegenden kollektiven Strukturen von der Familie über den Staat und die daraus resultierenden Abhängigkeitsverhältnisse zu ignorieren und misszuverstehen, weswegen ihre gesamte Theorie letztlich auch nie funktionieren könne. Das ist allerdings für die Übernahme zentraler Konzepte durch die Tech-Gurus auch irrelevant.
Die Idee des Genies, die sich in Romanen wie „The Fountainhead“ oder „Atlas Shrugged“ findet, wird auch im Silicon Valley gerne reproduziert. Daub zeigt dies anhand der Filme von Pixar, die häufig objektivistische Ideen enthalten. Am offensichtlichsten ist dies wohl bei „The Incredibles“ der Fall, er kapriziert sich aber vor allem auf „Ratatouille“. Obwohl der Dialog des Filmes behauptet, dass „jeder kochen kann“, zeigt die Handlung eindeutig, dass es dazu außerordentlicher Begabung bedarf. Die Idee ist als nicht so sehr, dass jeder ein Genie sein kann, sondern dass alle Milieus Genies hervorbringen können. Dieser Geniekult erhielt in der Counterculture eine tiefe Verankerung und wurde in die Tech-Welt transportiert.
Dort entstand eine neue Arbeitsästhetik: neue Arbeitsformen wie das Coding für Amazon wurden überhöht, während andere wie das Fahren für Uber nicht einmal mehr als Arbeit akzeptiert wurden, sondern stattdessen in den Bereich des Hobbys und Lebensstils abgedrängt wurden. Ein interessantes Detail sind auch hier wieder die Genderdynamiken: im 19. und frühen 20. Jahrhundert war Coding eine wenig angesehene Frauenarbeit. Erst die neue Tech Industrie ja machte es zu einem attraktiven, gut bezahlten und sicherlich nicht zufällig männlich konnotierten Job.
In Kapitel 4, „Communication„, wendet sich Daub dem Phänomen des Trolls zu. Über den etwas merkwürdigen Umweg des New-Age-Gurus Huxley, der die Einnahme von Drogen zur Erweiterung des Bewusstseins und der Kommunikation predigte und damit einen zentralen Einfluss auf die Counterculture ausübte, gelangt eher zu der Vorstellung, dass Kommunikation eine Art transzendenter Vorgang sei, der seine ganz eigene inhärente Wertigkeit besitze. Diese Idee ist selbstevidenterweise für den Tech-Sektor eine beherrschende. Kommunikation schließlich ist das tägliche Brot praktisch aller sozialer Netzwerke.
Daub beschreibt, inwiefern diese Trennung von Kommunikation von ihrem Inhalt üblicherweise vonstattengeht und besonders auf Plattformen wie Twitter konstituierend ist. Seine Erzählung zeigt, wie die Behauptung von Kommunikation im Internet häufig als Substitut für echte Kommunikation benutzt wird. Die performative Reaktion, selbst bei Statements, bei denen keinerlei Reaktion erforderlich ist – oder gerade dann – ruft Widerstand hervor, an dem der Troll wächst. Auf diese Art generiert er Aufmerksamkeit, wo eigentlich überhaupt kein Potential für eine solche bestanden hatte.
Ein anderes Phänomen ist das des bewussten Missverständnisses, oder, genauer, der Konstruktion von scheinbaren Missverständnissen. Was Daub meint sind Äußerungen, deren Ziel das performative enttäuscht Sein ist. Sein Beispiel ist das berühmte geleakte Google-Memo von 2017, in dem ein Mitarbeiter die fehlende Diversität des Unternehmens auf biologische Ursachen zurückführte und somit klar rassistische und misogyne Narrative bediente. Er behauptete später in einer gewissen kognitiven Dissonanz, sowohl falsch verstanden worden zu sein – daher Daubs Behauptung – als auch, das mangelnder Unternehmenserfolg in diesem Missverständnis und dem Verweigern einer Debatte begründet liege.
Dies ist aus Daubs Sicht kompletter Unsinn. Nicht nur ist hier keinerlei Debatte intendiert, sondern alleine das sich verletzt fühlen aus der Ablehnung einer Reaktion seitens der Zielgruppe. Daub formuliert das ganze polemisierend zugespitzt, dass es um eine mitfühlende Erwähnung in einer Kolumne von David Brooks in der New York Times gehe. auch inhaltlich mache es wenig Sinn, da Google offensichtlich in höchstem Maße erfolgreich ist. Inwieweit also die Übernahme offen rassistischer Positionen den Unternehmenserfolg steigern sollte, bleibt völlig unklar; da eine ernsthafte Debatte über den Sachgegenstand allerdings auch nie intendiert war, sondern die Ablehnung und das „Gotcha“ der angeblich verweigerten Debatte danach, ist das auch irrelevant.
Das fünfte Kapitel, „Desire„, stellt uns den französischen Philosophen René Girard vor. Dieser gehört ebenfalls zum Dunstkreis der Stanford Universität, in der er seit 1981 lehrte. zuvor war er in Frankreich zu einer milden Prominenz gekommen. Was Daub sehr verwundert ist, dass Girard ein Einfluss auf Persönlichkeiten wie Peter Thiel war, der normalerweise wenig Geduld oder positive Gefühle für akademische Spitzenpersonen hegt. Und doch ist Girard der einzige Professor, über den Thiel nicht nur ausnehmend positiv spricht, sondern dessen Ideen er auch über seine Stiftung aktiv zu verbreiten versucht.
Girards große These ringt Daub nicht eben viel Begeisterung oder Bewunderung ab: er erklärte sämtliche Wünsche für mimetisch, also als Kopien bereits vorhandener Wünsche. Warum dies für Leute wie ihn, Zuckerberg und Co so einleuchtend und überzeugend war, braucht keine nähere Erklärung. Nur ist die Feststellung, dass wir uns in unseren Wünschen an anderen orientieren laut Daub derart offensichtlich, dass sie kaum besondere Erwähnung wert ist. Umgekehrt ist Girards Verabsolutierung dieser Idee nicht besonders nützlich: es kann gar nicht sein, dass alle Wünsche immer Derivate von anderen sind, da irgendjemand am Anfang der Kette stehen muss.
Aber darum geht es auch nicht wirklich. Für Daub liegt ohnehin ein Missverständnis zugrunde. Girard war kein Optimist. er betrachtete die Wünsche der Menschen und ihre mimetische Natur als Grund für beständige Konflikte untereinander. Thiel hingegen betrachtete es beinahe messianisch: für ihn bestand die wahre Qualität und das große Potential von Silicon Valley darin, diese Wünsche zu antizipieren und zu erfüllen. Die wahre Kunst jedoch sieht Daub in der Fähigkeit, solche Wünsche überhaupt erst zu erschaffen. In dem weitverbreiteten Werbenarrativ, eine Unzufriedenheit mit einem lächerlich kleinen Detail unseres Lebens zu schaffen – als Beispiel nimmt er die fundamental überflüssige Existenz eines Geräts zum Schneiden von geschälten Bananen – und dies ist dann mit großem Tramtram zu „lösen“.
Hier spricht er Silicon Valley religiöse Natur zu: es werde die Sprache religiöser Revivals gesprochen und ein schier messianischer Duktus erhalten. Das ist zwar nicht im Sinne Girards, aber der hat den Vorteil sich nicht mehr wehren zu können.
Kapitel 6, „Disruption„, wendet sich dem wohl bekanntesten und weitreichendsten Schlagwort des Silicon Valley zu. Seine Herkunft ist nicht besonders mysteriös: die Idee der schöpferischen Zerstörung von Joseph Schumpeter, die ironischerweise ausgerechnet auf Marx und Engels zurückgeht, postuliert eine Fähigkeit des Kapitalismus, durch ständige Disruption die Probleme, die Marx und Engels analysiert haben – die Kapitalakkumulation auf Seiten der Kapitalisten, die Monopolbildung und die Armut der Beschäftigten – immer wieder aufzuschieben. Was Schumpeter jedoch auch sagte, und was Daub dem Silicon Valley zu ignorieren vorwirft, ist, dass Schumpeter die schöpferische Zerstörung nicht als etwas rein Positives, Verheißendes ansieht. Für ihn legte sie vielmehr erneut den Keim für die Selbstzerstörung des Kapitalismus: so positiv die schöpferische Zerstörung für das Wirtschaftssystem ist, so unerträglich ist sie für die darin arbeitenden Menschen. Für Schumpeter kann daher kein Zweifel daran bestehen, dass der Sozialismus in Form staatlicher Intervention, Regulierung und Sozialsystemen komplementär wirken muss.
Diese Aspekte spielen allerdings für Silicon Valley keine Rolle. Hier wird stattdessen das Narrativ des Genies auf die schöpferische Zerstörung aufgepfropft, die wiederum aus der Erfüllung von Wünschen resultiere. Wie üblich spielt dabei wenig Rolle, wer eigentlich zerstört und wer zerstört wird. Das Musternarrativ stelle die Zerstörung von Blockbuster durch Netflix dar, und es ist auch ein hervorragendes Beispiel für diese Kräfte im Marktgeschehen.
Daub kritisiert allerdings, dass Tech die Eigenschaft hat, sich stets in der Rolle des Underdogs zu präsentieren. Was im Falle von Netflix noch Sinn machen mag, wird spätestens albern, wenn Google gegen ein Magazin mit 40 Mitarbeitenden steht. Auch fragt Daub skeptisch, inwieweit die prekär lebenden Taxifahrenden eine monopolistische, durch Uber schöpferische zerstörte Monopolstellung ausübten oder inwieweit kleine Innenstädtische Gewerbe ja gegen den Underdog Amazon standen. Das Narrativ passt hier objektiv nicht zu den Vorgängen.
Das Narrativ ist jedoch für die Abwehr der von Schumpeter prognostizierten Regulierung elementar notwendig: nur wenn etwas radikal neu und andersartig ist, lässt sich legitimieren, dass der Staat sich heraushalten solle. Ein beliebiges anderes Taxiunternehmen schließlich hat dieselben Standards einzuhalten wie die Konkurrenz, die es zerstört. In zahlreichen Fällen, wie etwa bei Elizabeth Holmes, braucht es sogar die offizielle staatliche Intervention zugunsten des Unternehmens, um es überhaupt wirtschaftlich überlebensfähig zu machen. Diese wahlweise als symbiotisch oder parasitär zu sehende Verbindung wird jedoch von Silicon Valley hartnäckig geleugnet. Sie ist auch zutiefst unfair: das Recht auf Disruption (auch und gerade durch staatliche Intervention und Regulierung beziehungsweise ihr bewusstes Fehlen) liegt ausschließlich bei Tech. Dass etwa die Opfer der Disruption ebenfalls ein Recht darauf hätten, sich zu organisieren und zurückzuschlagen und ihrerseits die Techstrukturen schöpferisch anzugehen, wird von Silicon Valley mit Verve abgelehnt.
Diese Asymmetrie in den Rechten findet sich auch in Kapitel 7, „Failure„. Die Vorstellung, das Scheitern elementar zu Silicon Valley gehört, ist ihm Mythos der Tech-Industrie fest eingegraben. Die Idee des fail better lässt sich problemlos komplementär zur schöpferischen Zerstörung des vorangegangenen Kapitels lesen. In dieser Vorstellung ist das schnelle Scheitern eine Besonderheit des Silicon Valley, die seine große Innovationskraft begründet. Dazu gehört selbstverständlich, dass ein solches Scheitern nicht negativ ausgelegt werden darf. Stattdessen wird es als eine Art Chance gesehen, etwas gelernt zu haben, was den Gescheiterten dann umso wertvoller für zusätzliche Unternehmungen mache.
Auf der einen Seite ist das vor allem ein Mythos: es gibt zahlreiche Geschichten von Scheitern, die in keinerlei Neuschöpfung enden und es schlichtweg nicht in die Geschichtsbücher schaffen. Im Endeffekt ist hier also ein survivor’s bias am Werk.
Für Daub wesentlich relevanter allerdings ist, dass dieses Scheitern eine unglaubliche privilegierte Angelegenheit ist. Selbst Mark Zuckerberg hat dies zugegeben, als er in einem öffentlichen Auftritt erklärte, das ohne ein Sicherheitskissen das Risiko des Scheiterns überhaupt nicht eingegangen werden könne. Die Ideologie des Scheiterns in Silicon Valley ist also eine der wohl situierten oberen Mittelschicht, die es sich überhaupt leisten kann, für einige Monate etwas auszuprobieren. Für die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten lohnt sich das Ganze dagegen nicht; sie stehen am Ende mit vielen unbezahlten Überstunden und wertlosen Unternehmensanteilen da.
Und das ist, wenn sie Glück haben und zu der elitären Schicht der Arbeitnehmer*innen gehören, die in Silicon Valley als wertvoll gelten. Auch hier weiß Daub wieder auf die Genderdynamiken hin: bei jedem gescheiterten Unternehmen gibt es Dienstleistungspersonal, dass daraus weder Chancen noch Lerneffekte ziehen kann und dem vor allem Unsicherheit und Verluste bleiben und das in der Struktur der Branche überwiegend weiblich ist. Dasselbe gilt natürlich für Migrationshintergrund und das Entstammen aus weniger privilegierten Klassen.
Daub kritisiert die Scheiternsideologie als glorifizierte Version von Popphilosophieplakaten in college dorm rooms, Was wiederum sehr gut zu den Thesen am Eingang des Buchs passt. Die Kehrseite dieses Scheiterns ist der Erfolg, der im Silicon Valley oft willkürlich und unvermittelt zuschlägt. Nur wenige haben ihn, aber die, für die er kommt, werden davon völlig überrascht und überfahren. So oder so ist es gerade der Willkürsaspekt, den Daub hervorhebt und mit dem er sein Buch beschließt.
Ich hatte meine Schwierigkeiten mit der Lektüre dieses Buches. Mein erstes Buch von Daub war Cancel Culture Transfer (hier rezensiert) gewesen, und dessen klare Struktur und ausführliche Quellenlage hat mir sehr gefallen. Demgegenüber ist dieses Werk eher ein sehr langes Essay, das zwar eine Struktur durch die sieben Oberbegriffe aufweist – die auch sinnvoll gewählt sind, weil sie das Phänomen des Selbstverständnisses von Silicon Valley gut beschreiben – aber innerhalb dieser Kapitel wild zwischen verschiedenen Denkern, Ideen und Abschweifungen hin und herspringt. deswegen bin ich mir auch ganz und gar nicht sicher, ob ich immer alles richtig verstanden und hier korrekt wiedergegeben habe. Es fiel mir schlichtweg schwer, zu folgen.
Das liegt natürlich auch am Gegenstand. Die Philosophie scheint es sich zur Regel gemacht zu haben, möglichst kompliziert und undurchdringbar zu sein. Für mich war es seit jeher schwierig, in Theorien zu denken, ob bei den Politikwissenschaften, die ich tatsächlich studiert habe, oder eben bei der Philosophie, die ich nur von peripheren Berührungen kenne. Dass Daub die philosophischen Theorien im Endeffekt nur in ihrem Missverständnis durch die Tech-Gurus bespricht, macht dies nicht einfacher.
Auf der anderen Seite ist das Buch allerdings eminent lesbar, weil Daubs ätzender Sarkasmus inhärent unterhaltsam ist. Er macht aus seiner Abneigung gegenüber Silicon Valley und seinen Protagonist*innen keinerlei Hehl, und diese Art des Kämpfens mit offenem Visier ist auf der einen Seite intellektuell wenigstens ehrlich und auf der anderen Seite, wie gesagt, äußerst unterhaltsam.
Ich weiß nicht, ob ich so weit wie er darin gehen würde, die Tech-Gurus zu verdammen, weil ihr offensichtlicher Erfolg und ihr destruktives Potential schwer wegzudiskutieren ist. Ich habe immer wieder das Gefühl, dass Daub der Versuchung nachgibt, sie kleinzureden, um seine eigene Einstellung umso besser dagegenstellen zu können.
das soll nicht heißen, dass viel von seiner Kritik nicht berechtigt wäre. Von den Genderdynamiken über die Missachtung der unteren Schichten zur völlig verantwortungslosen Haltung beim Thema Disruption über die exzessive Nutzung staatlicher Regulierung beziehungsweise der Verhinderung derselben zum eigenen Gewinn hin zu der teilweise unerträglichen Stilisierung von Leuten wie Steve Jobs oder Elon Musk, die ein bisschen Statuen stürzen als Gegengewicht einfach brauchen, gibt es genügend relevante und lesenswerte Aspekte des Buchs. Dazu kommt seine geringe Länge, so dass es, wie man im Englischen sagt, doesn’t overstay its welcome. Ein letzter Hinweis am Rande betrifft das Hörbuch: der Leser lehnt sich voll in den ätzenden, sarkastischen Tonfall, was je nach eigener Veranlagung ein Argument für oder gegen das Hören des Hörbuchs ist. Ich würde Interessierten in jedem Fall raten, die Hörprobe auszuprobieren.
Ich kann hier ja nur Deiner Darstellung folgen, aber bei mir hinterlässt sie den starken Geschmack von: Jemand hat eine klare Vorstellung von der Welt und stülpt diese ohne solide Herleitung und stringente Argumentation seinem Untersuchungsgegenstand über, ohne den Untersuchungsgegenstand selbst überhaupt näher zu kennen. Mein Fazit – nicht lesens-/hörenswert.
Gruss,
Thorsten Haupts
ich fand manche sachen sehr spannend, wie etwa diese herkunft von techideologie aus der counter culture. aber insgesamt hat’s mich enttäuscht.