Rezension: Geoffrey Parker – Global Crisis. War, Climate Change and Catastrophe in the Seventeenth Century (Teil 3)

Geoffrey Parker – Global Crisis. War, Climate Change and Catastrophe in the Seventeenth Century (Hörbuch)

Teil 1 hier, Teil 2 hier.

Die gestiegene Machtstellung des Königs verdankte Ludwig im Übrigen auch Geschehnissen im Ausland. Sowohl die Ermordung osmanischer Sultane als auch die Hinrichtung Charles I. in England schockte Europa und sorgte dafür, dass der Adel die Reihen hinter dem Monarchen schloss. Um letzteres geht es denn auch im elften Teil, „The Stuart Monarchy: The Path to Civil War, 1603-1642“.

Parker nimmt sich mehr Zeit als gewöhnlich, um die Grundsituation zu beschreiben. Großbritannien war Anfang des 17. Jahrhunderts erst seit Kurzem ein (leidlich) geeintes Königreich. Tiefe Konfliktlinien durchzogen das Land, religiöser wie politischer Natur. Politisch rangen verschiedene Adelsfraktionen um die Macht, dazu der Adel mit dem reichen Bürgertum gegen das Königshaus, und zuletzt die Regionen selbst. Die Stuarts kamen ursprünglich aus Schottland und hingen dem presbyterianischen Glauben an, nicht der in England mehrheitlich vertretenen Kirche von England. Dazu hatten sie Beziehungen zu katholischen Ländern wie Frankreich und Spanien.

Irland indessen war überwiegend katholisch, hatte aber durch die englische Kolonisierung in den Städten und um Ulster starke protestantische Enklaven. Und England und Wales unterstanden der Kirche von England, was im unterentwickelten Wales aber allenfalls in den wenigen Zentren jemanden groß kümmerte, wo man ein ganz eigenes lokales Religionsgemisch unterhielt.

Wie alle Monarchen des 17. Jahrhunderts wollte auch Charles I. sich im Krieg einen Namen machen und betrachtete diesen als sein Hauptaufgabengebiet. Er war stark in der Pfalz involviert und suchte den Ausgang des Dreißigjährigen Krieges zu beeinflussen, doch die traditionellen englischen Mächtegruppen misstrauten den Habsburgern und drängten auf Krieg – den England denn auch führte. Charles bestand darauf, persönlich das Kommando zu übernehmen.

Soweit ähnelt viel dieser Geschichte der Situation in Frankreich. Die Unterschiede liegen einerseits darin, dass der Adel sich die Macht im Parlament mit dem Bürgertum teilte, anstatt dass die Opposition gegen den König inner-adelig in den paralaments ausgetragen wurde. Wesentlich entscheidender aber war die Inkompetenz des Königs. Charles verlor Schlacht um Schlacht, während er darauf bestand, ein persönliches Regiment zu führen (Wilhelm II. wäre stolz). Das kostete Unsummen, die der mathematisch nicht sonderlich begabte Herrscher ebenfalls nicht aufbringen konnte. Das Parlament aber wollte sie nicht bewilligen, führte Charles doch aus seiner Sicht die falschen Kriege.

Charles löste das Parlament, das mehr Mitspracherechte an der Regierung verlangte, auf und versuchte sich im Stil Louis XIII. und XIV. an einer absolutistischen Regierungsweise. Hätte er deren Kompetenz besessen, hätte das vermutlich auch geklappt, und die britische Geschichte wäre anders verlaufen. Stattdessen traf der König Fehlentscheidung auf Fehlentscheidung, zauderte, machte vorherige Beschlüsse rückgängig, brach sein Wort und untergrub seine Autorität. Dazu kam der Versuch, das in drei religiöse Bekenntnisse geteilte Reich unter eine einzige Religion zu zwingen – dazu noch die kleinste und am wenigsten verankerte. Stück für Stück manövrierte er das Land auf den großen Knall zu – den Bürgerkrieg, der ihn dann letztlich den Kopf kosten sollte.

Direkt zu Eingang des elften Teils, „Britain and Ireland from Civil War to Revolution, 1642-1689“, fragt sich Parker, welche Faktoren dazu führten, dass es zu diesem Extremereignis kam. Er listet eine ganze Litanei von „What-Ifs“ auf, von denen jede einzelne es vermocht hätte, den Untergang der Stuarts abzuwenden. Jedoch sieht er die strukturellen Faktoren – die politische und religiöse Spaltung, die Schwäche Charles‘ und deren Verschlimmerung durch die Kleine Eiszeit – als wesentlich ausschlaggebender, weswegen die „What-If“-Reihung auch nicht so relevant ist: der Bürgerkrieg sei das wahrscheinliche Ergebnis gewesen, weil die Konflikte friedlich kaum mehr lösbar waren.

Das wird klarer, wenn man sich die Rolle des Königs ansieht. Dieser lebte noch voll im Verständnis des Gottesgnadentums: sein Wille war Gesetz. Der Versuch des Parlaments, die königlichen Prärogative einzuschränken – vor allem das Recht, Krieg zu führen – war daher vollkommenes Anathema. Umgekehrt hatten sich im Parlament die Radikalen durchgesetzt, deren Forderungen – Durchsetzung einer Religion, praktische Entmachtung des Königs – einen Kompromiss unmöglich machten. Die Person des Königs selbst war dabei nicht hilfreich: er hatte ein gutes Verhältnis zu seiner Frau, deren Ratschlag er schätzte (schlecht), diese Frau war katholisch (noch schlechter) und dazu kam sie aus dem Ausland (am schlechtesten). Dergestalt erschien der König zunehmend als illegitim, und die Radikalisierung durch den Kriegsverlauf tat ihr Übriges.

Trotzdem war das Kriegsziel zu Beginn nicht die Abschaffung des Königtums und die Ausrufung der Republik. Dieses kam erst im eigentlichen Kriegsverlauf, als das Parlament auf einen „Rumpf“ von rund 150 Abgeordneten beschränkt wurde und sich zunehmend radikalisierte. Der Tod moderater Führer tat ebenso sein Übriges wie der Ausbau der Armee. Auffällig ist hier ein Muster, das sich auch in anderen krisengeschüttelten Reichen des 17. Jahrhunderts findet: eine stehende Armee, gut bewaffnet und organisiert, wird nicht bezahlt. Solange der Krieg tobt, ist das kein so großes Problem; die Armee finanziert sich aus Plünderungen. Aber als das Parlament die Armee auflösen will, ohne sie auszubezahlen, führt das zum erwartbaren Ergebnis, dass die bewaffneten Truppen den Aufstand proben.

Der Anführer dieses Aufstands ist Oliver Cromwell, der im Folgenden zum (erblichen) „Lord Protector“ wird und über den ersten (und einzigen) britischen Verfassungsprozess präsidiert. Für einige Jahre ist Großbritannien eine Republik. Diese Jahre fallen mit einer besonders kalten Zeit zusammen, in der die Ernteerträge deutlich sinken (und damit auch die Steuereinnahmen), während die Armee Krieg führt, um Schottland und Irland zu befrieden. Das gelingt auch; Parker erklärt das zum Gründungsmoment des British Empire.

Doch mit dem Tod Cromwells fällt alles auseinander. Sein Sohn Richard sollte theoretisch die Herrschaft übernehmen, doch seine Unterstützung ist sehr schwankend, und er begeht den fatalen Fehler, das Parlament neu wählen zu lassen und das Wahlrecht zu verbreitern. Wie so oft führt die Einbeziehung vormals ausgeschlossener Schichten aber zu einem Rechtsruck: die Wahlen werden von den Royalisten gewonnen, die die Stuart-Monarchie restituieren. Doch genauso wie Cromwell haben sich auch die Monarchisten verkalkuliert: die Stuart-Könige nehmen direkt den Versuch Charles I. wieder auf, eine absolute Monarchie zu etablieren, so dass 1688 ein weiterer Aufstand nötig wird: die „Glorious Revolution“ führt zur Invasion durch Wilhelm von Oranien, der eine Herrschaft mit fest zugesicherten Rechten des Parlaments begründet – und damit eine Herrschaftsform, die fundamental für den Erfolg des neuen britischen Empires und die Schaffung der modernen Welt werden würde.

Immer wieder kommt für die Zeit des Bürgerkriegs der Vergleich mit dem Dreißigjährigen Krieg auf. Die Zeitgenossen zogen diesen sehr gerne („Großbritannien geht den Weg Deutschlands“), und auch Parker scheut nicht davor zurück. Zwar war der Bürgerkrieg bei weitem nicht so lang und verheerend wie der in Deutschland; aber auch auf den britischen Inseln sterben Hunderttausende an den direkten Kriegsfolgen und sinkt die Bevölkerung durch die indirekten Folgen – eine gewaltige Steuerbelastung, sinkende Erträge, etc. – massiv ab. Wie in den anderen besprochenen Reichen auch werden die Folgen der Klimakrise der Kleinen Eiszeit durch die Handlungen der Herrschenden massiv verschlimmert, werden Krisen überhaupt erst existenzbedrohend, weil die Herrscher schlechte Entscheidung in Serie treffen.

Mit diesem länglichen Überblick schließt Parker den Teil des Buches ab, in dem er die wahrhaft katastrophalen Zeiten der besprochenen Reiche liegen. Im letzten Teil der Darstellung lenkt er den Blick auf jene Gegenden, die halbwegs glimpflich durch die Krise des 17. Jahrhunderts kamen. Denn die Kleine Eiszeit und der damit verbundene Bevölkerungsrückganf betrafen zwar vermutlich die ganze Welt (für das südlich der Sahara gelegene Afrika und Australien fehlen jegliche Daten und können keine Aussagen getroffen werden), aber nicht überall reagierten die Herrscher mit immens teueren Kriegen und steigenden Steuern auf die Geschehnisse.

Der zwölfte Teil, „The Mughals and their neighbors“, wirft den Blick auf Indien. Dort herrschten die muslimischen Mughal-Herrscher über ein Reich von 2000 Meilen Länge mit sicherlich 100 Millionen Einwohner*innen. Zwar sanken auch hier die Ernteeinträge wegen des ausbleibenden Monsuns, herrschten Hungersnöte und führten die Herrscher verheerende Kriege. Parker beschreibt etwa blutige Thronfolgekriege zwischen den Kindern der alternden Herrscher, die gegeneinander und gegen ihre Väter Krieg führten – mal mit, manchmal ohne Erfolg. Eine andere, besonders blutige Episode ist Krieg in Afghanistan, mit den bekannten Folgen: zehntausende Tote, verheerte Landstriche, gigantische Kosten – und keinerlei Gewinne. Der „graveyard of empires“ wird auch im 17. Jahrhundert seinem Ruf gerecht.

Doch was die Mughal-Herrscher von ihren bislang beschriebenen Gegenstücken unterscheidet ist ihre aktive Reaktion auf die Hungersnot. Anstatt die Steuern zu erhöhen, senkten die Mughal sie, und anstatt die Leute einfach verhungern zu lassen, richteten sie Suppenküchen und Speicher ein – eine Art Proto-Sozialstaat. Und, oh Wunder, das sorgte dafür, dass sich das Leid in Grenzen hielt. Dazu lösten die Mughal ein Problem, dass die krisengeplagteren Herrscher der vorherigen Kapitel vor unlösbare Probleme stellte: sie hielten die Staatsfinanzen in Ordnung. Parker ist in den Details leider sehr vage, aber ausgangs des 17. Jahrhunderts hinterließen die Mughal trotz teurer Kriege eine gefülltere Staatskasse als sie vorgefunden hatten – einzigartig in der restlichen Geschichte, und das, ohne ihre Bewohner*innen in die Existenznot zu treiben.

Noch besser war Indonesien für die Klimakrise des 17. Jahrhunderts gerüstet: die relative Nähe zum Äquator sorgte dafür, dass das Archipel auch in Dürre und Kälteperioden genug zu bewirtschaftendes Land besaß. Wie auch Sri Lanka litt Indonesien unter menschengemachten Katastrophen, in diesem Fall einem Kolonialkrieg zwischen Niederländern und Portugiesen. Parker nimmt diesen zum Anlass, die relative administrative Leistungsfähigkeit beider Nationen herauszustreichen: die kleinen Niederlande waren trotz ihrer relativ schlechten geografischen Lage in der Position, Indonesien und Teile der indischen Kolonien Portugals zu erobern, das kaum in der Lage war, das relativ nahe Brasilien zurückzuerobern. Diese Kriege verheerten die Inseln, aber wenigstens hielten sich die Effekte des Wetters in Grenzen.

Gänzlich anders gelagert ist der Fall des Iran: obwohl das Land auch in guten Zeiten unter Dürre leidet, kam es verhältnismäßig gut durch die kleine Eiszeit und ihre Extremwettereignisse (Starkwinde, Dürre, sinflutartige Regenfälle, der Iran hatte alles). Das dünn besiedelte Land überlebte hauptsächlich dank der Schwäche seiner Nachbarn (die Osmanen und Russen), aber auch das war, wie wir bisher sehen konnten, keinesfalls garantiert. Stattdessen überrascht Parker mich als unkundigen Leser damit, dass der Iran zu jener Zeit einen hohen Grad an Meinungsfreiheit besaß (den er freilich, wohl korrekt, als Schwäche des Staates identifiziert – ein Trend des 17. Jahrhunderts), einen hohen Grad an Frauenrechten und, vor allem, sehr liberale Verhütungs- und Abtreibungsregeln. Im Iran war Abtreibung normal, die Apotheker hatten entsprechende Mittel, und es war selbst aus wirtschaftlichen Motiven erlaubt. Dadurch entging Iran der Überbevölkerung im 15. Jahrhundert, die dann mit der Klimakrise die malthusische Falle auslöste – zumindest in der Erzählung Parkers; mir fehlen hier jegliche Kenntnisse, um das gegenprüfen zu können.

Weiter geht’s in Teil 4.

{ 6 comments… add one }
  • Thorsten Haupts 14. Februar 2023, 09:18

    Addendum zur Mugahl-Herrschaft in Indien: Ein Konter zu der klimatischen Entwicklung waren gross angelegte, staatlich geförderte oder betriebene Bewässerungsprojekte, die die Ernteerträge erheblich steigerten. Indien scheint zu der Zeit nach den mir vorliegenden Informationen ein Nettoexporteur von Nahrungsmitteln gewesen zu sein und verfügte – was in regional begrenzten Hungersituationen ebenfalls hilft – über ein vom Staat betriebenes und für die damalige Zeit gut ausgebautes Strassennetz. Last but not least war das Mughal-Empire pro Kopf damals sehr wahrscheinlich wohlhabender, als jeder europäische Staat.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

  • cimourdain 14. Februar 2023, 14:15

    Britische Inseln:
    Ein paar Framings deiner Besprechung möchte ich zurecht rücken:
    1) Reihenfolge (da ist die Anordnung deiner Absätze etwas missverständlich) James I – Bürgerkrieg – Cromwell – Restauration der Monarchie – glorious revolution.
    2) Der wesentliche Unterschied zwischen dem englischen Bürgerkrieg und dem dreißigjährigen Krieg war, dass der eine (trotz der komplizierteren Konfessionsproblematik) zwischen zwei klar unterscheidbaren Parteien stattfand und der andere ein ‚jeder gegen jeden‘ verschiedener Warlords war.
    3) Unter Cromwell war England keine Republik sondern eine (Militär) Diktatur. Bemerkenswert, wie der Widerstand gegen die monarchische Autokratie zur ideologischen führte.
    4) Es kommt nicht rüber, wie tief sich diese Zeit in das irische Nationalbewusstsein gegraben hat. Der religiös-politische Schnitt zu den Protestanten unter William III und der erste Jakobiteraufstand dagegen in das irische Nationalbewusstsein wirken bis heute nach, so tragen die Loyalisten in Ulster immer noch gerne demonstrativ das Orange des Hauses Oranje.
    5) Umgekehrt kam in Schottland zu diesem Zeitpunkt die Integration mit England: erst die Personalunion, dann ebenfalls Spaltung im Bürgerkrieg (der dort als Teil des Kriegs der drei Königreiche gesehen wird), schließlich Akzeptanz auch der neuen Dynastie durch das Parlament. Und der Staatsbankrott durch die Panama-Compagnie Ende des Jahrhunderts hat den Weg zur kompletten Union freigemacht.

    Moguln / Safawidenreich:
    Sollte man eigentlich in engem Zusammenhang mit dem Osmanischen Reich sehen (Das Khanat Buchara zählt in meinen Augen auch in die Kategorie). Alles drei sind imperiale Staaten, die in dieser Zeit eine Blüte hatten. In allen dreien war ein relativ aufgeklärter und liberaler Islam vorherrschend. Dieser war womöglich Katalysator für Technologieoffenheit (‚gunpowder empires‘), weite (Export)handelsnetze und effiziente (wenn auch korrupte) Administration der Provinzen. Wie der Zusammenhang zwischen dem Ende dieser Blütezeit und der Abschottung des Islam ist, wäre ein interessantes Thema. Vielleicht hat jemand dazu eine gute Leseempfehlung?

    Indonesien:
    Der wesentliche Aspekt dieser ‚effizienten‘ Organisation war der Aufbau eines zentralen schwer bewaffneten und befestigten Handelsstützpunktes (Batavia) und der Aufbau weiterer Cashcow-Kolonien drum herum. Die Banda-Inseln sind ein besonders unrühmliches Beispiel, wo das Muskatmonopol durch Genozid und Bewirtschaftung der Plantagen durch importierte Sklaven erzeugt wurde.

    • Stefan Sasse 14. Februar 2023, 14:34

      1) Danke!
      2) Korrekt.
      3) Völlig richtig.
      4) Ja, das fiel dem Zusammenfassen zum Opfer. Das Ding ist eh schon absurd lang 😀
      5) Beschreibt er alles. Siehe 4)

      Moguln: Gute Frage.

      Indonesien: Yes!

      • cimourdain 14. Februar 2023, 18:57

        4/5) Buchbesprechung by Peter Jackson 😉

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