Die Rückkehr des guten Amerikas

Um 17:23 Uhr mitteleuropäischer Zeit ging die Meldung um die Welt, auf die unzählige Menschen, vor allem die Mehrheit der Amerikaner gewartet hat. Das global zu empfangende Network CNN verkündete nach einer beispiellosen Hängepartie am gestrigen Samstag den Wahlsieg des Demokraten Joseph Robinette „Joe“ Biden, Jr. zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Auf den Straßen Washington und zahlreichen anderen Orten brachen daraufhin die Dämme, Menschen tanzten auf den Straßen, Hupkonzerte wie sie nach dem Sturz einer Diktatur oder dem Gewinn einer Weltmeisterschaft üblich sind, zeugen von der großen Erleichterung, die viele ergriffen hatte. Der Sieg im Bundesstaat Pennsylvania brachte Biden mit seinen 20 Wahlmännern den fehlenden Eckstein, um sich die Präsidentschaft im Electoral College am 14. Dezember 2020 zu sichern. Eine düstere Phase der jüngeren amerikanischen Geschichte geht damit vorerst zu Ende.

Zur Lunchtime rief ich gestern Abend in Wellington, Florida an, 20 Autominuten entfernt von Mar-a-Lago in Palm Beach an, Wohnsitz des amtierenden US-Präsidenten. Seit vier Jahren wird die wunderschöne Gegend von den Starts und Landungen der Air Force One und der Unmenge an Sicherheitskräften drangsaliert. Auf dem Screen erschienen mein väterlicher Freund Norbert und seine reizende Frau Gunde, zwei Auswanderer aus Deutschland, die es in den Siebziger- und Achtzigerjahren zu einigem Wohlstand in den USA gebracht haben. Obwohl im Wählerregister „No Party Affiliation“ angegeben ist, waren die Parteipräferenzen doch nach dem Schema Mann / Republikaner, Frau / Demokratin über Jahrzehnte verteilt. Donald Trump hatte dies geändert und so konnte ich mir in diesen Stunden nichts Schöneres vorstellen, als mit meinen alten Freunden den Sieg des traditionellen Amerikas über die Wut eines empathielosen Milliardärs zu feiern. Es war der Moment, wo mein inzwischen hoch betagter Freund das erleben konnte, weshalb er einstmals ausgewandert war.

Den für den Fernsehzuschauer emotionalsten Augenblick lieferte CNN-Kommentator Van Jones, dem die Stimme brach und in Tränen ausbrach. „Wenn du Moslem bist, musst du dir keine Sorgen machen, ob dich der Präsident hier haben will. Wenn du Einwanderer bist, musst du dir keine Sorgen machen, ob dir der Präsident dein Baby wegnehmen oder ‚Dreamers‘ ohne Grund abschieben will.“ Damit sprach der farbige Politikwissenschaftler das schlimmste Verbrechen an, mit dem sich die USA unter Trump moralisch diskreditiert hatten. Hunderte Kinder wurden eingepfercht in Käfige, bis zuletzt trennte die US-Regierung insgesamt 900 Kinder von ihren Migranteneltern.

Zwei Jahrzehnte mit tiefen Krisen haben die Vereinigten Staaten grundlegend verändert. Krisen, obwohl global, die niemand so hart getroffen haben wie das Land mit angeborenen Optimismus in der DNA. Der Zusammenbruch der New Economy erschütterte den Glauben an eine schnell-evolutionäre Wirtschaft, in der es jeder mit Ideen zu etwas bringen könnte. Aus dem realwirtschaftlichen Crash folgte die Entstehung von Infrastruktur-Monopolen, welche längst Wettbewerbshütern dies- und jenseits des großen Teiches erhebliches Kopfzerbrechen bereiten. Google, Amazon, Facebook, Twitter, Instagram, eBay sind in ihren Märkten so dominierend, dass Wettbewerb und Konkurrenz praktisch ausgeschaltet sind.

Der 11. September 2001, ein sonniger Dienstag, steht für das historische Trauma der USA, das die Haltung der liberalen Einwanderergesellschaft zu Migranten, aber auch zur Definition von Verbündeten, nachhaltig veränderte. Es waren muslimische, geistige und echte Turbanträger, welche das erklärte Ziel verfolgten, das Land in die Steinzeit zu befördern. Das Ergebnis dieses Wahnsinns waren 3000 unschuldige Tote im World Trade Center und kriegerische Zerstörungen in Afghanistan und dem Irak. Die Kriege brachten weder den Bannerträgern noch der übrigen Welt neuen Frieden, sondern führten mit der wachsenden Kriegsmüdigkeit unter den Amerikanern zum Aufstieg von brutalen Regimen in Syrien, der Türkei und Libyen.

Das Epizentrum der globalen Finanzkrise lag ebenfalls in New York, Washington, San Francisco und Miami und beendete den Traum Millionen Amerikaner auf ein eigenes Heim. Hausbesitzer spürten die Macht entfesselter Finanzinstitute, welche langfristige Verträge als Variable Assets wie Schrauben oder Küchenpapierrollen empfanden und behandelten. Eine Grundschuld ist in den Augen einer finanzierenden Bank nichts weiter als ein Wertpapier, das wertsteigernd gehandelt werden kann. So verloren alle die Übersicht, was für Banken, Anleger und Eigenheimbesitzer oft mit einem Totalschaden endete.

Globalisierung und Bildungsrevolution trieben die Lebenswirklichkeiten der Menschen immer weiter auseinander, vergleichbare Puffer im Steuer- und Sozialsystem, wie sie in Europa in verschiedenen Formen existieren, sind in den USA nur schwach ausgebildet. Wenn Intelligenz, Bildung und unternehmerisches Geschick allein über Lebenschancen entscheiden, driften Welten zu Planeten auseinander. Die Küstenstaaten einerseits, die Fly-Over-States andererseits gehören beide zu Amerika, die Gefühlslage wirkt aber wie auf verschiedenen Kontinenten.

Der Aufstieg des politischen Populismus zeitigte nirgends solche Erfolge wie im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, der in der Präsidentschaft des Reality-TV-Stars Donald Trump nur gipfelte. Bereits unter George W. Bush ergriff diese Seuche der Demokratie mit der Tea Party Besitz von den Republikanern, drängte ihre Repräsentanten immer mehr ins Extreme. Doch auch auf der anderen Seite entwickelten sich die Demokraten weg von der Mitte der Gesellschaft, die immer rechter, liberaler und konservativer war als in Kontinentaleuropa, vor allem in Deutschland. Unter dem Einfluss der Linksliberalen bis hin zu erklärten Sozialisten wie Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez, aber auch Elizabeth Warren driftete die Demokratischen Partei weg von der Lebenswirklichkeit der Amerikaner in den Vorstädten und ländlichen Regionen hin zu einer Partei der Eliten. Das Ergebnis ist eine politische Karte der Countys, welche über das ganze Land verteilt rot bis tiefrot (der Parteifarbe der Republikaner) gefärbt ist mit meist nur blauen Einsprengseln. So beherrschen mehr als je die Cluster in New York, Massachusetts und Kalifornien das, was im Kernland des Amerikanischen gedacht und konsumiert werden soll.

Corona hat die Vereinigten Staaten erneut heftig durchgeschüttelt. Noch bevor im offiziellen Berlin Panik ob der weltweiten Pandemie ausbrach, kaperte das Virus die Zentren des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens der USA. Covid-19 und der Umgang damit zogen eine tiefe Furche durch die Gesellschaft. Mehr noch als andernorts wird im Geburtsland der modernen Demokratie gerungen, ob Freiheit oder Sicherheit (von Leben) der Vorrang zu geben ist. Es geht um Überzeugungen, nicht Einsichten, was für deutsche Ohren so fremd anmutet wie Geschichten über das Leben von Marsmännchen.

71 Millionen Amerikaner haben für einen Amtsinhaber gestimmt, der fast keinen Satz ohne Lüge herausbringt, und das, obwohl die führenden Wahlanalysten das Potential des Trumpismus längst ausgeschöpft sahen. Dennoch gelang es dem New Yorker trotz einer in vieler Hinsicht als desaströs empfundenen Amtszeit, weitere 8 Millionen Wähler von sich zu überzeugen. In weiten Teilen, angefangen in Montana im Nordwesten, gilt Donald Trump für oft 2 von 3 Wählern als der einzig wahre Präsident und Interessenvertreter ur-amerikanischer Werte. Das oft wutverzerrte Gesicht, offen Rassismus und Gewalt fordernd, spiegelt offensichtlich die Seelenlage breiter Milieus wieder. Milieus, zu denen sich auch mancher Schwarzer und Hispanic zugehörig fühlt. Bei Schwarzen, eigentlich besonders vom Trump’schen Rassismus betroffen, stieg die Zustimmung zum Präsidenten von 3% auf 12%.

Joe Biden zieht mit einer Rekordzustimmung von knapp 76 Millionen Wähler ins Weiße Haus ein, auch wenn er auf dem Weg dahin noch den einen oder anderen Trespasser aus dem Oval Office eskortieren müsste. So sehr die Zahlen eine hohe Legitimität des Demokraten dokumentieren, sollte nicht der Fehler früherer Jahre wiederholt werden. Auch 2004 bildete die Präsidentenwahl ein Plebiszit über einen hoch umstrittenen, von Millionen Bürgern verehrten wie von anderen verhassten Präsidenten. Damals erzielte der demokratische Bewerber John Kerry ebenfalls ein Rekordergebnis („John Kerry will bring home my son, alive“!). Damals scheiterte die Abwahl, weil George W. Bush trotz fingierter Kriegsgründe, was zum Tod von tausenden Amerikanern führte, triumphal wiedergewählt wurde. Ein Wahlsieg ist in einer Demokratie eben meist nicht der Zeitpunkt für Triumpf, sondern Demut.

Der President elect hat dies verstanden, mehr, es liegt in seiner politischen Natur. Was wie eine blaue Welle aussieht, ist eine knappe und haarige Angelegenheit gewesen. In Wisconsin (20.000 Stimmen), Pennsylvania (41.000 Stimmen), Georgia (10.000 Stimmen) und Arizona (18.000 Stimmen) siegte Biden mit weniger als einem Prozentpunkt Vorsprung, während der Erfolg von Trump in den Swing States Ohio und Florida mehr als eindeutig war. Wer auf den alten Spruch „Mehrheit ist Mehrheit“ und den Popular Vote verweist, hat das Wesen der Vereinigten Staaten nicht verstanden. Gerade heterogene Staaten mit sehr gemischten Bevölkerungsgruppen und multipolaren Meinungen sind auf eindeutige Ergebnisse angewiesen um eine zerstrittene Gesellschaft zu einen. Auf der anderen Seite droht die „Tyranny of the Minority“, wenn Entscheidungen zu stark zu Gunsten der Minderheit verschoben werden.

Ob Joe Biden überhaupt sein Wahlprogramm umsetzen kann, hängt derzeit an zwei Stichwahlen zum Senat im Bundesstaat Georgia ab, der traditionell den Republikanern zuneigt. Nur wenn die Demokraten beide umkämpfte Sitze gewinnen können, würde es zu einem Patt in der ersten Kammer des Kongresses kommen, bei dem die Stimme der zukünftigen Vizepräsidentin Kamala Harris entscheiden würde. Ansonsten wäre die Macht des neuen Präsidenten von Beginn an eingeschränkt, seine Möglichkeiten beschränken sich bei einem oppositionellen Senat auf das Regieren mithilfe der Executive Orders, auf die Außen- und Sicherheitspolitik.

Die Wahlen zum Kongress haben deutlich gezeigt, dass die meisten Amerikaner eine tiefe Skepsis gegenüber den steuer- und gesundheitspolitischen Plänen der Demokraten hegen. Die Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama genossen noch einen Vertrauensvorschuss, die Wähler statteten sie mit gesetzgebender Mehrheit im Kongress aus. Für Biden wird das Regieren aus heutiger Sicht ungleich schwerer.

Das sind Fingerzeige. Nicht die politische Linke hat die Präsidentschaftswahl gewonnen, die Mitte der Amerikaner, immer noch breit und einflussreich, hat für Vernunft gesorgt und die lärmende, wütende und dysfunktionale Präsidentschaft von Donald Trump beendet. Die Republikaner wurden dabei nicht abgestraft für die kritiklose, ja in Teilen begeisterte Unterstützung eines Mannes, der die Prinzipien Amerikas brach, der in jedem Satz lügt, Verschwörungstheoretiker in seinen Reihen duldet und offen Rassismus und Frauenverachtung huldigt. Sie sind mit zusätzlichen Sitzen im Repräsentantenhaus belohnt worden und besitzen gute Chancen, ihre Mehrheit im Senat als Gegenpol zum Weißen Haus zu verteidigen. Schlechte Aussichten für eine grundlegende Erneuerung.

Die einstmals so stolze Präsidentenpartei ist in ihrer Spitze eine Ansammlung von Opportunisten, Karrieristen und Rechtsextremisten. Zunehmend in die Minderheit gedrückt, schlägt sie um so radikaler um sich. Bisher gibt es keine Anzeichen, dass sie die großen Chancen erkennt, welche die Wähler ihr aufgezeigt haben. Trotz eines Präsidenten, der wenig für Schwarze, aber auch Hispanics übrig hatte, kamen aus diesen Gruppen die größten Zuwächse. Nicht jede Minderheit neigt automatisch den Demokraten zu. Obwohl schon George W. Bush das Potential erkannte, das gerade die spanisch sprechenden Milieus für die GOP bieten, haben sich die Republikaner hier wenig geöffnet.

Die Wahl Bidens bedeutet die Rückkehr zu einem Amerika, das spätestens 2016 untergegangen schien. Optimistisch, stolz auf die Nation ohne Selbstzweifel, zivilisiert und liberal, wenn es um den Umgang mit Minderheiten ging. Ein Amerika, in das ich mich schon vor meiner ersten Zeit dort 1996 verliebte. Ein Amerika, mit dem ich mitgeweint habe, als islamistische Terroristen Symbole dieser so liberalen, offenen Gesellschaft zu zerstören drohten. Ein Amerika, das Würde und Vorbild des Westens verkörpert, Anziehungspunkt und Sehnsuchtsort für unzählige Menschen auf dieser Erde. Joe Biden steht für dieses gute Amerika.

Der alte Mann aus Delaware strahlt mit jeder Faser „Dignity“ aus. Er wird versuchen, eine Renaissance der Beziehungen mit Europa einzuleiten, die vor rund dreißig Jahren George H.W. Bush mit Partners in Leadership beschrieb. Die als zukünftige Verteidigungsministerin gehandelte Michèle Flournoy hat bereits erkennen lassen, dass sie Angela Merkel als ein Hindernis auf diesem Weg sieht. Die wichtigste Nation Europas hat es sich nach der Wiedervereinigung gemütlich gemacht.

Es ist der Europäischen Union und es ist Deutschland zu wünschen, diese zweite Chance, welche die Präsidentschaft Bidens bietet, zu ergreifen. Viele hat die Entscheidung der Amerikaner glücklich gemacht, nicht nur in der Politik, auch bei ganz normalen Menschen war Erleichterung bis hin zu tiefer Freude spürbar. Joe Biden bringt die Würde ins Weiße Haus zurück.

 

With full hearts and steady hands, with faith in America and in each other, with a love of country — and a thirst for justice — let us be the nation that we know we can be.

A nation united.

A nation strengthened.

A nation healed.

The United States of America.

God bless you.

And may God protect our troops.

 

Joe Biden – President elect

{ 55 comments… add one }
  • Jens Happel 8. November 2020, 19:54

    Hmm. Vielleicht klappts ja hier mit dem streiten.

    Ich bezweifele, dass sich unter Biden signifikant etwas ändern wird.

    Das außenpolitische Vorgehen gegen China und Russland, hat über beide Parteien hinweg eine Mehrheit. Der Versuch die EU zu schwächen liegt im Interesse Amerikas. Deswegen auch die ständige Einmischung der USA in Osteuropa. Auch Biden wird uns lieber sein Fracking Gas aufdrücken als uns zu erlauben NorthStream fertig zu bauen.

    Außenpolitisch hat Trump immerhin keinen neuen Krieg angefangen. Das war das erste Mal, dass ein Präsident keinen Krieg angezettelt hatte. Was da mit Biden passieren wird, mal sehen.

    Der Umgang mit den Einwanderen war schon unter Obama ruppiger geworden. Obama schickte soviele illegale Einwanderer zurück, wie kein Präsident vor ihm. Er führte auch das völkererchtswidrige morden mit Drohnen ein.

    Ich denke der Ton wird konzilianter in der Sache wird sich nichts wesentliches ändern. Vielleicht schafft Biden es etwas mehr Steuergerechtigkeit herzustellen. Ohne Mehrheit im Senat wird das aber auch schwierig.

    Ich warte mal ab. Mich hat die Wahl diesmal relativ kalt gelassen. Schon vom Wechsel von Bush zu Obama war ich im Nachgang enttäuscht. In der Sache fand ich Trump nicht so katastrophal wie er hier dargestelllt wurde. Reagan hatte innenpolitisch in den USA mehr gewütet wie Trump. Er hat es nur in wesentlich geschmeidigere Worthülsen verpackt.

    Ich warte mal ab. Interessant wird es sein, ob er dem Paris Abkommen wieder beitreten wird. Und wie er das zu Hause dann durchgesstzt bekommt.

    Gruß Jens

    • Stefan Pietsch 8. November 2020, 21:29

      Du unternimmst zumindest gute Ansätze. 😉

      Allein wenn der Sound aus dem Weißen Haus auf Normallautstärke heruntergedimmt würde, wäre dies ein toller Fortschritt. Ich habe es einem Freund schon vor Wochen geschrieben (der Economist übrigens auch, die hatten mein Skript): es ging bei dieser Wahl um weit mehr als Sachpolitik. Es ging um Prinzipien, um unsere Institutionen, um das, was zivilisierten Umgang auszeichnet. Es ging darum, wieder einen Mann an die Spitze unseres Gemeinwesens zu stellen, der dafür auch die charakterliche Eignung mitbringt.

      Amerikanische Medien haben den Test gemacht: Trump hat ziemlich wenige seiner Wahlversprechen erfüllt oder teilerfüllt. Die Quote lag meiner Erinnerung nach bei 24%, üblich sind doppelt so hohe Werte. Seine Anhänger feiern ihn ja schon wegen 8 km neuen Zaun, den er zu Mexiko hat bauen lassen.

      China und Russland auf eine Ebene zu stellen, wirkt inzwischen surreal. Es gilt der Satz von Barack Obama, Russland sei eine Regionalmacht und damit eine Angelegenheit der Europäer. Die Amerikaner wollen eine Arbeitsteilung, wonach sich die EU um die Probleme in ihrem Hinterland kümmern muss, wozu auch der Nahe Osten zählt. China ist Sache der USA und eine der wenigen Pluspunkte der Trump-Administration.

      Nord Stream ist nicht nur Streitpunkt mit den Vereinigten Staaten, sondern auch mit den europäischen Partnern. Deutschland ist bei dieser strategischen Frage völlig isoliert.

      Amerikaner betrachten Steuern nicht so wie wir, das weißt Du doch eigentlich. Und es ist der Bereich, wo Biden wahrscheinlich wird am wenigsten bewirken können, da er erstens nicht über die notwendige Mehrheit im Senat verfügt und zweitens, selbst wenn dies durch die Stichwahlen in Georgia noch erreichen würde, nicht automatisch alle demokratischen Senatoren hinter sich bekäme. Denn anders als in Deutschland vertreten Senatoren nicht Parteiinteressen, sondern die ihres Bundesstaates – zumindest soweit sie sich damit die Wiederwahl sichern. Da die meisten Amerikaner anders als wir Deutschen keine libidinöse Beziehung zu Steuern pflegen, stehen die Karten tendenziell schlecht.

      Staaten, die ein liberales Einwanderungsgesetz haben, müssen entsprechend rigide gegen illegale Immigration vorgehen. Das ist so weit absolut in Ordnung. Doch wenn Kinder ihren Eltern weggenommen und in Käfige gesperrt werden, sind sämtliche zivilen Grenzen weit überschritten.

      Wir haben unterschiedliche Erinnerungen an Reagan, aber ich will nicht Deine Jugend und Unerfahrenheit für einen politischen Vorteil ausnutzen. 🙂 Seine Rede an der Berliner Mauer finde ich längst großartig. Ich mochte Reagan in der Nachbetrachtung. In der Gefahr stehe ich bei Trump nicht.

      Dem Pariser Abkommen werden die USA unter Biden sehr bald wieder beitreten, zumal das in die Kompetenz des Präsidenten fällt. Ja, da ist noch das Ratifizierungsthema, aber ich bin ziemlich sicher, dass Biden dafür im Senat eine Mehrheit erhalten wird. Senatoren wie Mitt Romney werden dafür sorgen. Mit dem Iran-Abkommen wird das nicht so einfach, zumal da die Interessen sehr verschieden sind.

      Biden hat mich nicht begeistert. Er hat mich in den letzten Tagen begeistert und ich war emotional gebunden wie beim Sieg von Clinton wie dem von Obama. Es war ein sehr ehrlicher Artikel von mir, gekrönt von der digitalen Feier mit meinen Freunden in Wellington.

      • Jens Happel 9. November 2020, 14:05

        Klappt wieder nicht so richtig 😉

        Dein Absatz 1 und 2 unterschreibe, ich.

        Bei Absatz 3, bin ich skeptisch. In die Ukraine Politik hat sich die USA sehr heftig eingemischt, ganz klar mit dem Ziel Russland weiter zu isolieren.

        NordStream nicht zu bauen, wäre total gaga für Deutschland. Letztlich geht es den USA darum, der Ukraine, durch die die bisherigen Pipelines laufen ein Pfand in der Hand halten zu lassen, damit sie doch noch irgendwo Gegendruck zu Russland aufbauen zu können. Indem sie drohen, das Gas nicht durch zu lassen. Im Falle des nicht Bauens von Nord Stream zahlt die Zeche am Ende der deutsche Verbraucher, der dann nicht günstiges und übrigens unter ökologischen Aspekten besseres Erdgas von Russland beziehen kann, sondern wesentlich teureres von den USA, dass mit CO2 schädlichem Fracking gewonnen wird.

        Die USA haben ein Händchen darin, die Kosten für ihre strategischen Machtspiele anderen aufzubürden. Die bisherigen Sanktionen gegen Russland treffen vor allem Finland und Deutschland. Die USA kann weiterhin günstiges Erdöl von Russland kaufen, was sie auch reichlich tut. Die USA haben so gut wie keine Einbussen druch die Sanktionen gegen Russland. Ich bezweifele, dass ein Biden irgendwas ändern wird.

        Bei der Sachlage Iran, siehst du das ja ähnlich.

        Zu den Steuern, auch kein Widerspruch. Nur kann er auch nicht zaubern. Wie er ohne neue Schulden, irgendwo muss das Geld ja her kommen, etwas von seinen innenpolitischen Wünschen wird finanzieren können, sehe ich nicht. Und ich wette, den Republikaneren fällt gerade wieder ein, dass Staatsschulden ganz schlimm sind, also zumindest wenn ein demokratischer Präsident sie machen will. Ohne Steurerhöhung für die Superreichen ODER neue Staatschulden wird das alles nicht gehen.

        Wir haben unterschiedliche Erinnerungen an Reagan, aber ich will nicht Deine Jugend und Unerfahrenheit für einen politischen Vorteil ausnutzen.

        Ich meine wir hätten festgestellt, dass ich ein Jahr älter bin. Wenigstens auf körperlich sollten wir uns einigen können.

        Seine Rede an der Berliner Mauer finde ich längst großartig. Ich mochte Reagan in der Nachbetrachtung. In der Gefahr stehe ich bei Trump nicht.

        Letzteres Zustimmung. Ersters, das ist die Außenpolitik von Reagan. Die war in der Tat erfolgreich. Innenpolitisch hat er zwar Wirtschaftswachstum geschaffen, aber den Grundstein für die jetzigen Probleme gelegt. Durch seine Politik wurden die Gewerkschaften de fact entmachtet. In der Folge entkoppelten sich für große Teile der Bevölkerung realen Lohnwachstum vom realen Wirtschaftswachstum vom. Die Kosten für eine Collegeausbildung bezogen auf ein Durchschnittsgehalt sind z.B. explodiert

        https://www.forbes.com/sites/camilomaldonado/2018/07/24/price-of-college-increasing-almost-8-times-faster-than-wages/?sh=6d4bf82966c1

        Im folgen Link ist ein animierter Chart und da kannst sehen, dass ab 1980 die Löhne für fast alle Amerikaner gesunken sind. Und Reagan Steuersenkungen im wesentlichen dem obersten % zu gute kam.

        https://www.nytimes.com/interactive/2017/08/07/opinion/leonhardt-income-inequality.html

        Kein Präsident konnte oder wollte in der Folge daran etwas ändern. Obamas Job Wunder gab es fat ausschließlich im Niedriglohnsektor, Kellner, Pförtner, Sänger und Tänzer (aka Verkäufer) bei Walmart.

        Hinzu kommt, dass die in der Nytimes gezeigten Einkommensunterschiede sich nicht homogen über die USA verteilen.

        In den Flyover States und in den Staaten mit ehemaliger Schwerindustrie fielen die größten Einkommensverluste (immer bzogen auf das reale Bip-wachstum) an. Im Silikon Valley und and der Wall Street die größten Gewinne. Die derzeitige Spaltung der USA sowohl geografisch als bei den Einkommen fing mit Reagan an.

        Gruß Jens

        • Stefan Pietsch 9. November 2020, 17:04

          Die USA haben punktuell auf dem Höhepunkt der Maidan-Demonstrationen geheimdienstlich in der Ukraine operiert, das galt aber für viele Dienste. Minsk I und II sind Abkommen zwischen der EU und Russland, was die Position der Vereinigten Staaten dokumentiert, dass die Ukrainekrise Sache der Europäer sei.

          Nord Stream ist eine bilaterale Angelegenheit, was schwierig ist, da die Energiepolitik zunehmend eine Sache der Europäischen Union ist. So einfach kannst Du es Dir nicht machen. Russland wollte mit Gas die Ukraine immer zu seinem Satrapen machen. Ich halte das nicht für eine unterstützenswerte Politik.

          Die Amerikaner haben seit dem 2. Weltkrieg überproportional hohe Kosten für die Sicherheitspolitik des Westens geschultert. Die Europäer haben bisher nichts gebacken bekommen, wenn etwas in ihrem Hinterhof passierte, nicht die Befriedung des Balkans, nicht die Sicherstellung der territorialen Integrität eines europäischen Staates, nicht den Stopp eines Bürgerkrieges in Syrien, nicht die Verhinderung des Abdriftens von Staaten in die Autokratie oder gar Diktatur (Türkei, Polen, Ungarn). Ohne das Eingreifen der USA würde heute noch auf dem Balkan gemordet. Also, wir sollten irgendwann schon zeigen, dass wir erwachsen sind, Verantwortung übernehmen und für Ordnung in unserem Laden sorgen können. Ich stimme Dir nur zu: mit Merkel wird das nichts mehr. Jetzt verspricht die Kanzlerin dem neuen Präsidenten wieder einiges. Wenn man bei Merkel eines weiß: viele ihrer Versprechen haben sich nie erfüllt.

          Wer sagt denn, dass Biden seine innenpolitischen Wünsche umgesetzt bekommt, für die er Steuererhöhungen benötigt? Er kann nicht einfach ein billionenschweres Investitionsprogramm auflegen, dazu reicht die Machtbefugnis der Executive Orders nicht. Frag‘ nach bei dem Mauerbauer Trump. Richtig ist, dass die USA sich in einer sehr schweren haushaltspolitischen Situation befinden. Die Geschichte lehrt jedoch, dass Schuldenberge nicht durch Steuererhöhungen abgetragen werden.

          Ich hab‘ ein so tolles Zitat gebracht und Du hast es nicht verstanden. 🙁

          Ich sehe das völlig andersherum. 1985 / 1986 trieb Gorbatschow den amerikanischen Präsidenten mit immer neuen Abrüstungsvorschlägen vor sich her. Reagan war Getriebener, nicht Handelnder. Die öffentliche Meinung stand auch hinter Michal Gorbatschow, selbst in den USA. Reagan hat zwar den Kalten Krieg gewonnen, den Übergang aber nicht gestaltet.

          Wie Margaret Thatcher in Großbritannien trieb der die Wirtschaft in eine nie gekannte Liberalisierung mit Finanzkapital, Risikokapital und unternehmerischer Freiheit. Das trieb zuerst die Staatsverschuldung, das ist richtig. Nach einer Übergangsphase (hier George Bush I, dort John Major) verfolgten die charismatischen Nachnach-Folger Clinton und Blair eine Politik der sanften Haushaltskonsolidierung durch schleichende Steuererhöhungen, ohne die Innovationskraft ihrer Volkswirtschaften zu schädigen. Am Ende standen in ihren Amtszeiten mehrere Jahre der Haushaltsüberschüsse. Doch die moderaten Steuererhöhungen bei brummenden Konjunkturen und starken Wachstumsschüben waren eben nur möglich, weil zuvor die Vorarbeit geleistet worden war. Das belegt die Duplizität der Entwicklungen.

          Die USA haben einen hohen Anteil Geringqualifizierter. Das Ergebnis sind niedrige Lohneinkommen. Ich bringe da immer das Beispiel mit meinen Schilderhochhaltern: die Amerikaner sichern ihre Baustellen und regeln den Verkehr mit Hilfskräften, die entsprechende Anweisungen geben. In Deutschland tun das keine Menschen, sondern Behelfsampelanlagen. Nur, diese Menschen, die in den USA Schilder hochhalten und den Mindestlohn erhalten, die gibt es auch hier. Nur halten die keine Schilder hoch, sondern sind mit Dödelfernsehen beschäftigt. Sag‘ mir, was sinnvoller ist.

          Vor so 15 Jahren hatte ich eine Studie in den Händen, die im internationalen Vergleich die Akzeptanz von hohen Steuern untersucht hat. Wenig überraschend war diese in den skandinavischen Staaten außerordentlich hoch, in den angelsächsischen Ländern niedrig. Die Forscher kamen dabei zu dem Ergebnis, dass die Unterschiede nicht kulturell begründet waren, sondern ihre Ursache in der Heterogenität der Gesellschaften hatten. Kurz gesagt weiß ein Geringverdiener in Norwegen, dass seine Abgaben guten Sachen zugute kommen. Er ist ja eng dran. In den USA ist der schwarze Arbeiter skeptisch, dass seine Steuern dazu dienen, Erleichterungen für ihn selber oder Bekannte durchzusetzen. Er vermutet und erwartet eher, dass Steuern dazu da sind, die Bürger auszunehmen.

          Du siehst das auch bei uns. Die Bereitschaft, für die Integration der DDR zu zahlen, war über außerordentlich lange Zeiträume sehr hoch. Eine solche Akzeptanz gibt es jedoch nicht, wenn es darum geht, Flüchtlingen und eventuell Illegalen die Integration zu ermöglichen.

        • Johnson 10. November 2020, 15:45

          Yo Jens,

          Quick question: How do you think natural gas is being produced in Russia? And do you really believe that Russia has has more stringent environmental standards than the US, Canada, or any other Western oil and gas producer?

      • Erwin Gabriel 9. November 2020, 19:32

        @ Stefan Pietsch 8. November 2020, 21:29

        Allein wenn der Sound aus dem Weißen Haus auf Normallautstärke heruntergedimmt würde, wäre dies ein toller Fortschritt.

        Naja, toll …

        Auf der einen Seite stimme ich Dir zu, auf der anderen Seite wird sich nichts Maßgebliches ändern. Wir profitieren wirtschaftlich schon seit Jahrzehnten enorm von einer Weltordnung, zu der wir nichts Relevantes beitragen (ich würde zumindest die Aufziehpuppen-Sätze von Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Heiko Maas genauso wenig als relevant einstufen wie unsere NATO-Beiträge oder gar die militärischen Fähigkeiten der Bundeswehr). Auch Europa, dass von uns immer wieder finanzielle und konstruktive Führung einfordert, wird ebenfalls spätestens seit dem Amtsantritt Angela Merkel regelmäßig enttäuscht; zu viele EU-Mitgliedsstaaten reagieren inzwischen auf Deutschland recht offen mit Arroganz, Frust, Hohn oder Verachtung.

        Was wird sich durch eine Washingtoner Regierung mit Normal-Lautstärke ändern? Für uns nicht viel, außer, dass die Ausrede „Trump ist doof“ nicht mehr zieht. Wir werden liefern müssen, schneller und stärker als zuvor

        Es gilt der Satz von Barack Obama, Russland sei eine Regionalmacht und damit eine Angelegenheit der Europäer. Die Amerikaner wollen eine Arbeitsteilung, wonach sich die EU um die Probleme in ihrem Hinterland kümmern muss, wozu auch der Nahe Osten zählt.

        Wenn „Europa“ sich um die Problemfälle „Russland“ oder „Naher Osten“ kümmern sollen, dann nur nach Anweisung aus Washington: Wir sollen die amerikanische Politik auf unsere Kosten, mit unseren Mitteln umsetzen. Das war schon zu Zeiten des Kalten Kriegs nicht ganz einfach, als die USA den Ostblock als einen Block wahrnahmen, während wir Europäer deutliche Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten wahrnehmen konnten. Heute ist die Situation fast schlechter, da Russland selbstbewusster und rücksichtsloser auftreten kann als das lahmende, hoffnungslos zerstrittene Europa.
        Und Obamas Hinterhof-Aussage bezog sich, wenn ich mich recht erinnere, auf die Bewältigung der Flüchtlingskrise; ein Problem, dass er maßgeblich mit geschaffen hatte, aber dessen Lösung ihn nicht die Bohne interessierte.

        China ist Sache der USA und eine der wenigen Pluspunkte der Trump-Administration.

        Dem zweiten Teil stimme ich zu. Aber solange die us-chinesischen Auseinandersetzungen ein kalter Wirtschaftskrieg sind, wird eine Wirtschaftsmacht von der Größe und Bedeutung Deutschlands über kurz oder lang Stellung beziehen müssen. Einmal mehr: Die Ausrede „Trump“ zieht nicht mehr.

        Nord Stream ist nicht nur Streitpunkt mit den Vereinigten Staaten, sondern auch mit den europäischen Partnern. Deutschland ist bei dieser strategischen Frage völlig isoliert.

        Ich halte es für einen groben Fehler, sich in einem derartig wichtigen Bereich von Rußland abhängig zu machen. Ich halte es auch für einen groben Fehler, ein vereinbartes und so weit fortgeschrittenes Projekt abzubrechen, weil von „Freunden“ (mit starken wirtschaftlichen Eigeninteressen) Einwände kommen. Tja, Angie, das kannst Du nur noch falsch machen.

        Staaten, die ein liberales Einwanderungsgesetz haben, müssen entsprechend rigide gegen illegale Immigration vorgehen. Das ist so weit absolut in Ordnung. Doch wenn Kinder ihren Eltern weggenommen und in Käfige gesperrt werden, sind sämtliche zivilen Grenzen weit überschritten.

        Zumindest hier haben wir 100 % Deckung.

        Dem Pariser Abkommen werden die USA unter Biden sehr bald wieder beitreten, zumal das in die Kompetenz des Präsidenten fällt.

        Ja. Alle werden sooo happy und erleichtert sein. Und das Ergebnis wird auf das Gleiche hinauslaufen wie beim „starken“ Engagement der deutschen Regierung.

        Ganz allgemein zu Joe Biden: Ich bin da grundsätzlich bei Stefan Sasse, der an anderer Stelle schrieb, dass Biden eine Projektionsfläche darstelle, mit der ein jeder andere Erwartungen, Hoffnungen und Vorstellungen verbinde. Die wahrscheinliche Gemeinsamkeit wird sein, dass alle enttäuscht werden. Davon ab klingt das für mich schon sehr plausibel, was Jens da schreibt.

        • Stefan Pietsch 9. November 2020, 23:04

          Erwin, ich bin derzeit in Honeymoon mit meiner alten Liebe USA.

          Als die Bundeskanzler heute Joe Biden zusagte, Deutschland würde sich in die Pflicht nehmen lassen, rollte ich mit den Augen. Angela Merkel hat schon viel versprochen. 2003 stand sie fest an der Seite der Vereinigten Staaten, zumindest in einem amerikanischen Essay. 2005 versprach sie Steuererleichterungen und eine Gesundheitsreform. Danach legte sie sich als Klimakanzlerin ins Zeug, 2009 freute sie sich über ihre Lieblingskoalition, während 2013 ein einfaches „Sie kennen mich“ reichen musste. Nach dem Fan-Foto mit Greta Thunberg möchte sie die deutschen Klimaziele, die bisher nicht erreicht wurden, sogar noch übererfüllen. Man sollte vorsichtig sein, wenn Angela Merkel einem etwas zusagt, frag‘ nach bei Peer Steinbrück und Siegmar Gabriel. Oder Anette Schavan, die alle für ihre weitere Karriereplanung auf ein Wort der Kanzlerin gebaut hatten.

          Die USA hatten sich in den Neunzigerjahren lange aus dem Jugoslawien-Konflikt herausgehalten und sie lassen die Europäer auch gegenüber Russland mal machen. Vorsichtig formuliert finde ich unsere Politik nicht zwingend. Vielleicht liegt es eben an dem fehlenden Druck aus Washington.

          Obama hat den Bürgerkrieg in Syrien geschaffen? Na, Erwin, ich weiß nicht.

          Deutschlands Exportwirtschaft setzte in den letzten 20 Jahren zu stark auf den Wachstumsmarkt China. Obwohl ich mal für einen Maschinenbauer gearbeitet habe, der 50-70% seines Geschäfts in dem Riesenreich machte, muss ich sagen: das ist völlig ungesund und macht uns in unangenehmer Weise abhängig von einem Regime, das unseren Werten und Überzeugungen diametral entgegensteht. Und dann verkaufen wir unsere Interessen noch an Peking und die Technologie noch gleich mit.

          Mit Nord Stream binden wir uns über Jahrzehnte an ein Land, das in den vergangenen 10 Jahren völlig aus dem Ruder gelaufen ist ohne Aussicht auf Besserung. Das sollten wir auch kurz vor Beendigung des Projekts noch einmal genau überlegen. Und außerdem bin ich es leid, dass wir uns dauernd als tolle Europäer gerieren, aber Sonderwege im Dutzend gehen.

          Ich halte bekanntlich das Pariser Abkommen für weniger weitreichend als Kyoto. Aber es ist die beste gemeinschaftliche Verabredung, die wir haben für ein notwendiges globales Ziel. Die USA sind in vielen Bereichen sehr umweltfreundlich, die Bundesstaaten sind oftmals geradezu vorbildlich. Auf ein überwölbendes Framework ist nicht schlecht.

          Ich denke mit der Projektionsfläche machen wir es uns wieder mal (zu) einfach. Joe Biden hat offensichtlich noch eine Mission, bevor er abtritt. Und er hat (sehr) ernste Absichten. Das zu unterschätzen hielte ich für so fatal, wie wir 2016 diesen Reality-TV-Darsteller unterschätzt haben.

          • Erwin Gabriel 10. November 2020, 13:04

            @ Stefan Pietsch 9. November 2020, 23:04

            Erwin, ich bin derzeit in Honeymoon mit meiner alten Liebe USA.

            Bei Schmetterlingen im Bauch leidet das Denkvermögen 🙂
            Gib Deiner alten Liebe einen Kuss von mir, und bestell schöne Grüße

            Als die Bundeskanzler heute Joe Biden zusagte, Deutschland würde sich in die Pflicht nehmen lassen, rollte ich mit den Augen. Angela Merkel hat schon viel versprochen.

            Wenn ich Merkels Versprechungen höre, möchte ich mir eher etwas Anderes rollen. Gottseidank bin ich Nichtraucher. Nun ja,
            sie hat es leicht; sie wird die Zusagen nicht mehr einhalten müssen.

            Die USA hatten sich in den Neunzigerjahren lange aus dem Jugoslawien-Konflikt herausgehalten …

            … und sind erst eingeschritten, als Europa das Morden nicht mal ansatzweise unterbinden konnte. Wir lebten damals hinter München, knapp 300 km vom Schlachten entfernt. Das war schrecklich, und ich war so dankbar für Bill Clintons Engagement.

            … und sie lassen die Europäer auch gegenüber Russland mal machen.

            Nun, zumindest würden sie gerne, da stimme ich zu. Aber wer sind diese „Europäer“? Ich sehe nur zerstrittene Einzelinteressen, keine klare Linie.

            Vorsichtig formuliert finde ich unsere Politik nicht zwingend.

            Wer sind Sie, und was haben Sie mit Stefan P. gemacht? Soviel Zurückhaltung von Dir bin ich nicht gewohnt. Oder machen das die Schmetterlinge …

            Obama hat den Bürgerkrieg in Syrien geschaffen? Na, Erwin, ich weiß nicht.

            Nein, habe ich nicht gesagt. Der Bürgerkrieg ging, als Sache zwischen den Syrern und ihres Präsidenten, ohne ihn los. Ich sagte nur, dass seine Politik im Irak dafür gesorgt hat, die DAESH so groß und mächtig zu machen, dass sie sich in Syrien und im Irak ausbreiten und den „Islamischen Staat“ gründen konnte, und dass Obama diese Islamisten anfangs mit Waffen und Geheimdienst-Informationen unterstützt hat.

            Und dann verkaufen wir unsere Interessen noch an Peking und die Technologie noch gleich mit.

            Dass dieses große Land nicht unsere Standards hält, da kann man wenig machen; wir können nicht alle auf unseren Weg zwingen. Aber an China verkauftes, dort geklautes oder zur Verfügung gestelltes Know-how ist weg. Das ist aus meiner Sicht der eigentliche Horror.

            Mit Nord Stream binden wir uns über Jahrzehnte an ein Land, das in den vergangenen 10 Jahren völlig aus dem Ruder gelaufen ist ohne Aussicht auf Besserung.

            Mag komisch klingen, aber ich halte Putin für vergleichsweise berechenbar und harmlos. Soll heißen: verglichen mit allem, was nach ihm kommen könnte.

            Ich denke mit der Projektionsfläche machen wir es uns wieder mal (zu) einfach. Joe Biden hat offensichtlich noch eine Mission, bevor er abtritt. Und er hat (sehr) ernste Absichten. Das zu unterschätzen hielte ich für so fatal, wie wir 2016 diesen Reality-TV-Darsteller unterschätzt haben.

            Ich habe ein paar Leute auf Joe Biden angesprochen; ein jeder sieht ihn anders. Er war die letzten fast 50 Jahre Teil des Systems, ist nie durch besondere, eigene Gedanken aufgefallen. Das soll jetzt, im Alter von 77 Jahren, anders werden?
            Ich sag’s ja: Schmetterlinge …

            Ich setze viel größere Hoffnungen auf Kamela Harris. Sie hat ebenfalls viel Empathie, und ein viel klareres Weltbild. Sie hat den Job als Obamas Justizministerin abgelegt, um Senatorin zu werden, und wenn Du ihr bei den Anhörungen zugeschaut hast, konntest Du den messerscharfen Verstand und hohen Intellekt der Frau sehen. Die hat einen Plan.

            Bin neugierig, ob beim nächsten Mal Michelle Obama oder Kamela Harris das Rennen machen werden. Aber ich sehe (außer vielleicht Mitt Romney 🙂 ) keinen männlichen Demokraten von entsprechendem Format.

            • Stefan Pietsch 10. November 2020, 17:14

              Ich habe es schon einige Male beschrieben: als der Flugzeugträger Theodore Roosevelt in der Adria Position bezog und die Jets aufstiegen, war endlich nach Jahren Schluss mit dem Morden auf dem Balkan. Dafür müssen wir den Amerikanern wieder einmal unendlich dankbar sein. Solch einen Effekt haben die Europäer mit ihrer untauglichen Diplomatie nie hinbekommen.

              Die Europäer sind die EU, die sich seit längerem bemüht, einheitliche außenpolitische Positionen zu formulieren. Das Bemühen ist der Brüsseler Zentrale und den Regierungschefs nicht abzusprechen.

              Mag komisch klingen, aber ich halte Putin für vergleichsweise berechenbar und harmlos.

              Putin holt das Maximum an machtpolitischen Ergebnissen heraus. Das muss nicht unbedingt gut sein. Er agiert nur nicht selbstmörderisch, lässt aber dafür tausende andere umbringen. Unbestreitbar sollte sein, dass Russland unter Putin keine wesentlichen Entwicklungsschritte mehr zu einer zivilen, modernen Gesellschaft unternommen hat. 20 Jahre sind nicht nur eine sehr lange Zeit im Regieren eines Landes, in diesem Fall war es auch eine verlorene Zeit. Wo soll Russland, das sich bestenfalls als Schwellenstaat beschreiben lässt, 2030 stehen? Nach wie vor findet sich Russland nicht unter den Top-50-Nationen nach Pro-Kopf-Einkommen, die Schritte waren zu klein.

              Im 20-Jahres-Vergleich liegen China mit fast einer Verfünffachung, Äthiopien (+318%), Rumänien (+317%) oder Kambodscha (+270%) deutlich in ihrer Entwicklung vor Russland mit +240%, die Platz 16 im Wachstum schafften. Doch im Zeitraum der letzten 10 Jahre schafft man mit +23% nur Platz 107. Mit anderen Worten: Putin hat 10 Jahre Stagnation in einem auf Wachstum angewiesenen Land zu verantworten. Eine wirtschaftliche Katastrophe. Was genau sollte also unter einem Nachfolger schlechter werden? Gelingt nicht ein Kurswechsel, wird der Vielvölkerstaat in den nächsten 10 Jahren implodieren.

              Er war die letzten fast 50 Jahre Teil des Systems, ist nie durch besondere, eigene Gedanken aufgefallen.

              Ja, ich glaube das war das, was ich hervorgekehrt habe. Biden verkörpert das alte, traditionale Amerika. Die USA waren immer dann besonders erfolgreich, wenn die Politik das Wirtschaftsgeschehen nicht gestört, sondern durch niedrige Steuern, liberale Arbeitsmarktgesetze und eine offene Handelspolitik unterstützt hat. Zu den einen wird Biden gezwungen sein, das andere liegt in seinen politischen Überzeugungen. Die USA werden wieder offener und aufgeschlossener für neue Impulse sein und die internationalen Partnerschaften wiederbeleben. Mehr erwarte ich nicht, das reicht absolut und wäre eine hervorragende Leistung.

              Die Mehrheit schätzt geistige Überflieger nicht, was meinst Du denn, warum Trump 71 Millionen Stimmen erhalten hat? Kamala Harris polarisiert und steht dem linken Parteiflügel (zu) nah. Sie wird genau hieran arbeiten und mehr Mainstream werden müssen, um 2024 eine Chance zu haben.

              Michelle Obama will nicht in die Politik. Das hat sie schon vor vier Jahren deutlich gemacht. Was ist übrigens mit Pete Buttigieg?

  • Floor Acita 8. November 2020, 22:40

    Ich stimme vlt wenig überraschend fast dem ganzen Artikel zu. Was die Einstellung der Amerikaner zu Steuern angeht, bitte ich jedoch darum folgendes Ereignis mit zu berücksichtigen… https://www.businessinsider.com/arizona-voted-to-tax-wealthy-to-pay-for-public-schools-2020-11

    2018 waren bereits ähnliche Volksabstimmungen bzgl ‚minimal wage‘ erfolgreich, die ebenfalls traditionelle Einstellungen in Frage stellten…

    • Stefan Pietsch 9. November 2020, 11:23

      Vorsichtig ausgedrückt halte ich es für bedenklich, die Mehrheitsentscheidung in einem relativ kleinen Bundesstaat, der nicht repräsentativ für das Land strukturiert ist, als beispielgebend anzusehen.

      Die Amerikaner haben keine ablehnende Haltung zur Erhöhung des Mindestlohns, was selbst ökonomisch gut begründet ist. In Ländern mit geringem sozialen Netz markieren Mindestlöhne eine tatsächliche Einkommensuntergrenze und ersetzen sozialpolitische Maßnahmen. In den USA liegt die Lohnuntergrenze deutlich niedriger als in Deutschland im Vergleich zum Durchschnittseinkommen. Negative arbeitsmarktpolitische Konsequenzen sind daher weit weniger zu erwarten als wenn der Mindestlohn den mittleren Einkommensgruppen angenähert ist.

      Sind übrigens Positionen und Ansichten, die ich bereits 2007 geschrieben habe, ich bin da also nicht schlauer geworden. 😉

      Wenn Sie mir schon zustimmen – hat Ihnen der Stil zugesagt?

      • Floor Acita 11. November 2020, 12:15

        „Wenn Sie mir schon zustimmen – hat Ihnen der Stil zugesagt?“

        An dieser einen Stelle (/dieses eine Mal?) haben wir leider tatsächlich gar kein Konfliktpotential 😉

        • Stefan Pietsch 12. November 2020, 10:20

          Darum ging und geht es mir nicht. Ich kann mit Meinungskonflikten hervorragend leben, so lange sie im Rahmen festgelegter Regeln ausgetragen werden. Was ich fragte war der erzählerische Stil, hier die Wahl aus einer sehr persönlichen Warte zu schreiben. Oder eher das Analytische mit der Obendraufsicht?

    • Jens Happel 9. November 2020, 14:08

      Guter Link! Danke!

    • CitizenK 9. November 2020, 15:46

      Interessant auch, dass die Steuererhöhung für die Wohlhabenden exklusiv einem bestimmten, anerkannten Zweck zugute kommen soll. Das stärkt die Akzeptanz bestimmt. Warum ist das in Deutschland nicht möglich?

      • Floor Acita 9. November 2020, 16:29

        Die Frage ist tatsächlich, ob das eine Einzelerscheinung wahr oder sich das Konzept durchsetzt. In Amerika können solche ‚ballot measures‘ durchaus Trends setzen. So hat sich die Drogenpolitik durch solche Massnahmen signifikant verschoben und auch die letztendlich liberale LGBTQ Politik hat so ihren Anfang genommen…

        Allerdings haben Republikaner bereits 2-fach bestimmte Grenzen aufgeweicht / Normen gebrochen? Erfolgreiche Abstimmungen zur Begrenzung von Wahlkampf-Finanzierung wurden nicht umgesetzt und per Gesetz für zukünftige Abstimmungen ausgeschlossen. In South Dakota perfiderweise begleitet mit einem tweet der Parteiführung, der ein Bild von mit Hummer und Champagner anstossenden Lobbyisten angehängt war…

      • Stefan Pietsch 9. November 2020, 17:09

        Dagegen steht das Grundgesetz. Steuern sind Finanzmitteln, welche dem allgemeinen Haushalt zufließen und nicht zweckgebunden sind. Ansonsten gibt es das Mittel der Gebühren und Beiträge. Der Umgang mit dem Soli zeigt in allen Facetten, wie problematisch eine Zweckbindung ist. Begründet mit den Kosten der Einheit, wurden anderen Gebietskörperschaften die eigentlich vorgeschriebenen Anteile an der Steuer vorenthalten. Doch die Steuer entwickelte sich nicht mit dem Bedarf, sondern entgegengesetzt. Je mehr die Vereinigungskosten sanken, desto höher wurden die Einnahmen der Steuer. Als der Zweck ganz entfiel, war es dem Staat nicht mehr möglich, die damit ebenfalls entfallene Steuer abzuschaffen.

        • FS 10. November 2020, 10:42

          „Dagegen steht das Grundgesetz“
          Das stimmt m.W. nicht. Zunächst: die Legaldefinition von Steuern, auf die Sie hier verweisen findet sich in §3 Abs.1 S.1 AO und nicht im Grundgesetz. Und die Abgrenzung von Gebühren und Beiträgen bezieht sich nicht auf die Zweckbindung, sondern auf das Prinzip der faktischen (Gebühren) oder möglichen (Beiträge) Inanspruchnahme einer Leistung des Staates.
          https://www.gesetze-im-internet.de/ao_1977/__3.html

          Was Sie aber meinen ist das Gesamtdeckungsprinzip (Non-Affektation).
          https://de.wikipedia.org/wiki/Gesamtdeckungsprinzip
          Wie sie in dem Artikel nachlesen können, hat das seine Grundlage im §7 Haushaltsgrundsätzegesetz, nicht im Grundgesetz.

          • Stefan Pietsch 10. November 2020, 11:18

            Ja, es ist bei genauerer Betrachtung komplizierter. Die Verfassung schränkt die Zweckbindung („Ergänzungsabgabe“ für vorübergehenden Finanzbedarf) ein, die von mir zitierte Formulierung (allerdings kein direktes Zitat!) findet sich in der AO. Hätte die Dinge hier nur weniger überschaubar gemacht. Wem das zu lax ist, sorry, drüber hinweglesen.

      • Erwin Gabriel 9. November 2020, 19:48

        @ CitizenK 9. November 2020, 15:46

        Warum ist das in Deutschland nicht möglich?

        Hmm, warte mal, da gab es doch etwas, dass sich Solidaritätszuschlag nannte. 1991 mit fester Stimme ausgerufen, um die Infrastruktur im Osten zu stärken („und für die Finanzierung des Irakkriegs“ wurde schon deutlich verhaltener in die Kameras genuschelt), und auf ein Jahr beschränkt, wurde dieser Solidaritätsbeitrag drei Jahrzehnte mit steigender Tendenz (Gesamteinnahmen 2018: fast 19 Mrd. Euro) festgeschrieben, einfach deshalb, weil den Linken eine „Steuererhöhung für Wohlhabende“ aus Prinzip so gut gefiel.

        Wie lautete noch mal Deine Frage?

        • CitizenK 9. November 2020, 21:17

          Fehlt die Akzeptanz – im Gegensatz zum Beispiel aus USA – nur wegen des Stils (hatten wir hier schon oft) oder auch wegen des Inhalts? Wie hättest Du die Wiedervereinigung finanziert?

          • Erwin Gabriel 10. November 2020, 13:59

            @ CitizenK 9. November 2020, 21:17

            Fehlt die Akzeptanz – im Gegensatz zum Beispiel aus USA – nur wegen des Stils (hatten wir hier schon oft) oder auch wegen des Inhalts?

            Wegen der offensichtlichen Lügerei, Trickserei, der vielen gebrochenen Versprechungen und der Gier – ich dachte, das hätte ich klargemacht?

            Den Solidaritätsbeitrag zur Kriegsfinanzierung einzusetzen und den Aufbau Ost vorzuschieben, ist schon eine Unverschämtheit erster Güte. Und dass der Irak-Krieg gemeint war, sieht man an der ursprünglich geplanten Begrenzung auf ein Jahr. Selbst, wenn damals der Zustand des Ostens nicht so gut bekannt war, wusste doch jeder, dass die blühenden Landschaften nicht in 12 Monaten erreichbar sein würden.

            Besonders perfide: Überhaupt „Zwecke“ vorzutäuschen bei einer nicht zweckgebundenen Steuer, und das Ganze „Beitrag“ statt „Steuer“ zu nennen, dokumentiert, dass dieser Betrug und Diebstahl (so empfinde ich das persönlich) von vorne bis hinten geplant war.

            Und wenn man den Besserverdienenden und Wohlhabenden schon eine zusätzliche Last auferlegt und diese anfangs auch klaglos geschultert wurde, kann man auch mal „Danke“ sagen. Stattdessen wurde denjenigen, die nach Jahrzehnten der Abzockerei auf die Einhaltung der geleisteten Versprechungen drängten, Gier und unsolidarisches Verhalten vorgeworfen. Von der FDP abgesehen war sich keine Partei zu schade, die Moralkeule gegen die „Reichen“ zu schwingen, und ein großer Teil der linken Bevölkerung suhlte sich wohlig in dem Gedanken, dass der „Soli“ zwar nach allen bei der Einführung genannten Kriterien nicht mehr zulässig war, aber die „Reichen“ trotzdem zur Kasse gebeten wurden.

            Selten ist mir das weitverbreitete und offenbar tief verankerte Neid-Denken der Deutschen klarer zu Bewusstsein gebracht worden.

            Wie hättest Du die Wiedervereinigung finanziert?

            Mit einem zweckgebundenen Solidaritätsbeitrag nur für den Aufbau, on top, ohne Kürzung/Streichung der sonst für den Zweck vergebenen Haushaltsmittel. Und nach dem Osten hätte ich im Westen weitergemacht, im Ruhrpott, in den großen Städten, mit den Schulen, mit dem digitalen Ausbau.
            Auch ich hätte regelmäßig die Bevölkerung darüber aufgeklärt, welche Ziele und Fortschritte erreicht wurden – übertrieben formuliert: strahlende Kinderaugen, die sich für ihr neues Schulzimmer oder ihre neuen Notebooks bedanken.

            • CitizenK 10. November 2020, 16:10

              Dem Fettgedruckten (List der Vernunft ;-)?) bin ich einverstanden. Das mit dem Neid und der Gier kann ich nicht nachvollziehen. Aus Deiner Sicht gehöre ich auch zu den „Linken“ – und ich habe nicht nicht „wohlig gesuhlt“.

              Auch auf meinen Abrechnungen findet sich bisweilen ein „Soli“. Das erzeugt bei mir aber nicht diesen tiefsitzenden Groll, sondern eher „wenn’s für einen guten Zweck ist“. Deshalb bitte ich Dich um eine verlässliche Quelle für die Behauptung „Kriegsfinanzierung“ via Soli.

              • Erwin Gabriel 10. November 2020, 19:37

                @CitizenK 10. November 2020, 16:10

                Das mit dem Neid und der Gier kann ich nicht nachvollziehen. Aus Deiner Sicht gehöre ich auch zu den „Linken“ – und ich habe nicht nicht „wohlig gesuhlt“.

                Die Gier bezog sich auf die Politiker in Berlin, und zum Neid schrieb ich nicht, das alle Linken so waren, sondern nur ein großer Teil. Da zähle ich alle zu, die sinngemäß in die Richtung argumentiert haben, dass „die Reichen“ nicht entlastet werden dürfen.

                Deshalb bitte ich Dich um eine verlässliche Quelle für die Behauptung „Kriegsfinanzierung“ via Soli.

                Reicht das so: Der Solidaritätszuschlag (umgangssprachlich „Soli“) ist eine Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer. Ursprünglich 1991 befristet auf ein Jahr, besteht diese Abgabe nun seit fast 3 Jahrzehnten. Sie wurde eingeführt, um die verschiedenen „Mehrbelastungen […] aus dem Konflikt am Golf […] auch für die Unterstützung der Länder in Mittel-, Ost- und Südeuropa […] und die Kosten der deutschen Einheit“ zu finanzieren.

                Wenn Du dachtest, dass der Solidaritätsbeitrag für einen guten Zweck sei, obwohl es eine zusätzliche Steuer war, die prinzipbedingt nicht zweckgebunden sein kann, hat das Marketing von Helmut Kohl geklappt.

                Es war einfach nur eine Steuererhöhung, um die erwarteten enormen Kriegskosten zu wuppen, und, äh, haben wir noch etwas, was sich besser verkaufen lässt? Ach ja, den Aufbau Ost. Und als die 12 Monate und (viel später) auch schon Irak-Krieg und Aufbau Ost vorbei und geschultert waren, behielt man es bei, weil Solidaritätsbeitrag so gut klang und zur Umverteilung von Mitte oben nach Mitte unten beitrug.

                Das erzeugt bei mir aber nicht diesen tiefsitzenden Groll, …

                Mein „tiefsitzender Groll“ ist der Lügerei und der Verarsche durch Kohl, Schröder und Merkel geschuldet, und der aufrechten Empörung vieler naiver Linker, denen die Tatsache, dass „die Reichen“ dran waren, wichtiger war als die Tatsache, dass damit u.a. ein Krieg finanziert und gelogen wurde, dass sich die Balken biegen.

                Wie gesagt, gegen einen derart zweckgebundenen Solidaritätsbeitrag hätte ich keine Einwände gehabt.

                Aber die Zweckgebundenheit falsch vorzutäuschen und eine auf 12 Monate begrenzte Steuer einzuführen die dann 30 Jahre Bestand hat und ab einer gewissen Einkommensschicht immer noch weitergeführt werden soll, macht mich frustriert und wütend.

                • CitizenK 10. November 2020, 20:16

                  Das war mir so nicht bekannt, kein Ruhmesblatt. Danke für die Info.

            • Floor Acita 10. November 2020, 16:32

              Äh, sorry, aber jetzt muss ich doch nochmal reingrätschen…

              Den Soli bezahlen doch alle, oder? Den zahlen doch nicht nur Reiche..?

              • Stefan Pietsch 10. November 2020, 17:17

                Nein. Untere Einkommen sind schon heute praktisch ausgenommen. Ab 2021 zahlen nur noch die oberen 10%.

                Der Soli war immer weit progressiver angelegt als der normale Steuertarif. So war er de facto immer eine Reichensteuer, da sich das Aufkommen auf die oberen 10% (bei der Einkommensteuer verteilt sich das Aufkommen fast vollständig auf die oberen 50%) konzentriert und geringere Einkommen eher symbolische Beträge zahlen.

  • Stefan Sasse 9. November 2020, 09:20

    Ich habe Gedanken, aber die bringe ich in meinen eigenen Artikeln zum Thema unter 🙂 Daher halte ich mich hier mal raus.

    • Stefan Pietsch 9. November 2020, 09:26

      Davon gehe ich aus. 🙂

    • Erwin Gabriel 10. November 2020, 14:08

      @ Stefan Sasse 9. November 2020, 09:20

      Ich habe Gedanken, aber die bringe ich in meinen eigenen Artikeln zum Thema unter Daher halte ich mich hier mal raus.

      Bin gespannt …

  • Kning4711 9. November 2020, 12:26

    Ich bin der Überzeugung, dass bei vielen europäischen Regierungen (und auch bei jenen im asiatisch-pazifischen Raum) viele Steine vom Herzen gefallen sind, dass man nicht mit einer weiteren Trump-Administration im Weißen Haus interagieren muss. Für Deutschland wäre meine Einschätzung, dass man ohnehin keinen Plan-B gehabt hätte und eine Wiederwahl Trumps Kanzleramt und Auswärtiges Amt ratlos zurückgelassen hätte.

    Ein kleiner Teil von mir bedauert deswegen auch die Wahl Bidens, da uns eine Wiederwahl Trumps aus der Komfortzone katapultiert hätte und Deutschland gezwungener Maßen zu einer neuen Außen- und Sicherheitspolitik hätte finden müssen. So könnte sich dieser notwendige Neuorientierungsprozess erneut verzögern.

    Am Ende des Tages freut mich aber die Wahl von Biden und ich hoffe, dass er Wege einschlagen kann, die Versöhnung der Lager innenpolitisch voranzutreiben. Es wird eine Herkulesaufgabe und ich sehe insb. die GOP noch nicht bereit in dieser Sache proaktiv mitzuarbeiten. Gleichsam sollten sich auch die Demokraten hüten den Erfolg zu überreißen, denn der Trumpismus ist lange noch nicht besiegt und könnte 2024 stärker denn je zurückschlagen. Außenpolitisch erhoffe ich mir eine Wiederaufnahme des Multilateralismus und erste Signale Bidens weisen ja schon in diese Richtung.

    Gleichwohl darf es für Deutschland und die EU kein Grund sein, sich in die Hängematte zu legen. Eine Definition unserer außen-und sicherheitspolitischen Zielsetzungen ist überfällig, ebenso zu definieren, welchen Stellenwert die NATO gegenüber der GASP der EU einnehmen soll.

  • Erwin Gabriel 9. November 2020, 19:53

    @ Kning4711 9. November 2020, 12:26

    Ich bin der Überzeugung, dass bei vielen europäischen Regierungen (und auch bei jenen im asiatisch-pazifischen Raum) viele Steine vom Herzen gefallen sind, dass man nicht mit einer weiteren Trump-Administration im Weißen Haus interagieren muss.

    Diejenigen Staaten, die sich in der Region von China bedroht fühlen (=alle außer Nordkorea), waren wohl dankbar für die feste Unterstützung. Dem weint nicht nur Benjamin Netanjahu eine Träne hinterher.

    … da uns eine Wiederwahl Trumps aus der Komfortzone katapultiert hätte und Deutschland gezwungener Maßen zu einer neuen Außen- und Sicherheitspolitik hätte finden müssen. So könnte sich dieser notwendige Neuorientierungsprozess erneut verzögern.

    … eine Definition unserer außen-und sicherheitspolitischen Zielsetzungen ist überfällig, ebenso zu definieren, welchen Stellenwert die NATO gegenüber der GASP der EU einnehmen soll.

    So etwas von richtig! Volle Zustimmung!

    • Kning4711 10. November 2020, 11:30

      [i]Diejenigen Staaten, die sich in der Region von China bedroht fühlen (=alle außer Nordkorea), waren wohl dankbar für die feste Unterstützung. Dem weint nicht nur Benjamin Netanjahu eine Träne hinterher.[/i]

      Würde ich unterschreiben für Taiwan, Vietnam, Philippinen, Indonesien und Hong Kong – würde ich weniger sagen für Südkorea, Japan oder Australien, da diese Länder durch das von Trump gestoppte Handelsabkommen ordentlich vor den Kopf gestoßen wurden. Japan ist ein interessanter Kandidat, da diese ähnlich wie Deutschland dem Vorwurf ausgesetzt sind, zu wenig für die eigene Landesverteidigung bzw. den Unterhalt amerikanischer Truppen zu tun.

      Die unter Obama forcierte Entwicklung wird sich aber fortsetzen, Amerikas Rivale ist China, insofern wird sich auch die amerikanische Außenpolitik weiter aus den asiatischen Raum fokussieren – insofern wäre es dringend geboten, dass die Europäer diese Leerstelle insb. gegenüber Russland, Afrika und dem Nahen Osten dringend füllen.

  • Erwin Gabriel 10. November 2020, 14:19

    @ Kning4711 10. November 2020, 11:30

    Würde ich unterschreiben für Taiwan, Vietnam, Philippinen, Indonesien und Hong Kong – würde ich weniger sagen für Südkorea, Japan oder Australien, da diese Länder durch das von Trump gestoppte Handelsabkommen ordentlich vor den Kopf gestoßen wurden.

    Südkorea war und ist für alles dankbar, was den nördlichen Bruder einfängt. Bei Japan stimme ich zu; die bekommen die gleichen Vorwürfe wie wir, aus dem gleichen Grund, mit der gleichen Ursache.

    An Australien /Neuseeland hatte ich nicht gedacht, aber die dürften, so vermute ich, mit ihrer Haltung zu den USA ähnlich wie Kanada unterwegs sein. Dahin habe ich aber keine Kontakte.

    Amerikas Rivale ist China, insofern wird sich auch die amerikanische Außenpolitik weiter auf den asiatischen Raum fokussieren – insofern wäre es dringend geboten, dass die Europäer diese Leerstelle insb. gegenüber Russland, Afrika und dem Nahen Osten dringend füllen.

    Ja, da stimme ich zu. Aber ich kann „die Europäer“ nicht sehen, sondern sehe Deutschland, Frankreich, England etc., jedes Land mit einer eigenen und damit unmaßgeblichen Einzelmeinung. Wenn man sich einigen könnte, wäre Russland wäre unsere Kragenweite“.

    Afrika halte ich für sehr schwierig. Liegt direkt vor unserer Haustüre, ist aber chinesische „Spielwiese“. Und hier kommt (aufgrund der kolonialen Geschichte die Zerrissenheit Europas noch stärker zum Tragen. Aber auch hier fehlen mir Wissen und Informationen, um mich halbwegs kompetent zu äußern.

    • Floor Acita 10. November 2020, 16:48

      Wie von Ihnen selbst bereits mehrfach richtig geschrieben, hat die Verlagerung auf den pazifischen Raum ja bereits unter Obama begonnen. M.E. wird das auch unter Biden so weitergehen. Trump’s Politik ist ja von enormer Unstetigkeit gekennzeichnet, daher bin ich mir alles andere als sicher ob a) seine Politik gegenüber China tazsächlich überhaupr richtig war (seine Intentionen vielleicht, aber sein eher planlos wirkendes Handeln?) noch b) wie seine Politik bei US Alliierten im pazifischen Raum tatsächlich ankam / ankommt. Die Taiwanesen die ich persönlich kenne, in dem Fall tatsächlich eher unpolitische Menschen mit grosser Sorge vor China, scheinen eher froh zu sein, dass Trump weg ist. Das sind natürlich nur Anekdoten, haben Sie Zahlen etc? Und was Südkorea angeht… Hat Trump nicht letztendlich eine Entspannungspolitik gegenüber Nordkorea gefahren / ihn machen lassen? Er hat jedenfalls mehrfach öffentlich erklärt, er hätte sich in Kim Jong-un verliebt. Und dann waren da diese merkwürdigen Briefe in denen sich der Koreaner bei Trump bedankt und ihn „seine Exzellenz“ nennt. Und die angeblich daraufhin milde Haltung Trumps ihm gegenüber. Ob das Seoul tatsächlich so toll fand..? Ich weiss nur, dass wenn Obama auch nur eines dieser Dinge gemacht hätte, die Reps hätten ihn in der Luft zerrissen und das Ende der westlichen Welt am Horizont aufziehen sehen…

      • Erwin Gabriel 10. November 2020, 20:19

        @ Floor Acita 10. November 2020, 16:48

        … ob a) seine Politik gegenüber China tatsächlich überhaupt richtig war (seine Intentionen vielleicht, aber sein eher planlos wirkendes Handeln?) …

        Ich hatte mich auf seine Intention bezogen; aber ja, sein Handeln wirkte nicht wirklich konsequent, zielgerichtet und planvoll.

        … noch, wie seine Politik bei US Alliierten im pazifischen Raum tatsächlich ankam / ankommt.

        Auch hier liegen Sie richtig: Was die Leute sagen und was sie denken, sind zwei Paar Schuhe. Ich glaube, dass die meisten Länder für den Schutz Amerikas viel Schlucken würden, aber ich muss zugeben, dass sie eher die verhaltende, vordergründig höfliche Sprache schätzen.

        Zu Südkorea: Die haben Angst vor der Unberechenbarkeit von Kim Jong-un, und verstehen sehr wohl, dass hinter Nordkorea China steht – ein Konkurrent in nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch militärisch hoffnungslos überlegen. Soweit ich das verstanden habe, gab es keine Einwände gegen Trumps Flirterei mit Kim.

        Nicht, dass ich die täglich im Dutzend kennenlerne, aber die Asiaten, die ich kenne, stehen irgendwie total auf Berechenbarkeit.

        Mag also sein, dass meine Einschätzung nur „offensichtlich“ war, und Ihre etwas tiefer schürft. Danke für den Denkanstoß.

        • Floor Acita 11. November 2020, 12:21

          „Mag also sein, dass meine Einschätzung nur „offensichtlich“ war, und Ihre etwas tiefer schürft. Danke für den Denkanstoß.“

          Mag sein, ist EINE Möglichkeit – so ist Ihre Interpretation! Ich will mir hier auf keinen Fall Objektivität anmassen…

          Jetzt hatte ich gewartet das sagen zu können wo wir / obwohl wir uns nicht einig sind, aber jetzt muss es raus: Ich schätze Sie wirklich sehr als Diskussions- / Sparringspartner hier! Sie sind einer der wenigen, wenn nicht der einzige, „rechts“ von der Mitte, der mich tatsächlich zum Nachdenken bringt / anregt meine Überzeugungen in Frage zu stellen. Zumindest habe ich das Gefühl „die andere Seite“ besser zu verstehen…

    • Kning4711 10. November 2020, 17:50

      Afrika halte ich für sehr schwierig. Liegt direkt vor unserer Haustüre, ist aber chinesische „Spielwiese“.

      Und genau das müssen wir ändern. Ich kann mich gut erinnern wie der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler hier versucht hat den Blick der Öffentlichkeit für den Kontinent zu sensibilisieren. Leider griff in der aktiven Politik niemand die Initiative geregelt auf. Zwar haben inzwischen ein halbes Dutzend Bundesministerien eine Afrika-Strategie, aber diese ist weder in ein gemeinsames Korsett deutscher Auußenpolitik, geschweige denn unserer europäischen Partner eingebunden und bleibt daher Stückwerk, die unsere afrikanischen Partner eher verwundert zurücklässt.
      Die Bevölkerung auf dem Kontinent wächst rasant. Bis 2050 wird sie sich auf 2.5 Milliarden verdoppeln. Und schon jetzt hat der Kontinent die weltweit jüngste Bevölkerung. Über die Hälfte der Afrikaner sind 18 Jahre oder jünger. Unsere Perspektive verengt sich aber viel zu sehr auf „Fluchtursachenbekämpfung“ statt auf die ökonomischen und sicherheitspolitischen Möglichkeiten.

      Natürlich aufgrund des kolonialen Erbes keine leichte Kiste, aber auf der anderen Seite ist dieses Erbe nicht nur als Bürde zu begreifen, sondern könnte auch Chancen bieten…

      • Stefan Sasse 10. November 2020, 18:22

        Völlig deiner Meinung.

      • Erwin Gabriel 10. November 2020, 20:24

        @Kning4711 10. November 2020, 17:50

        Allgemeine Zustimmung.

        Ich kann mich gut erinnern wie der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler hier versucht hat den Blick der Öffentlichkeit für den Kontinent zu sensibilisieren.

        Ja. Köhler wird immer wieder ziemlich unterschätzt.

        Problematisch ist nicht nur die allzu einseitige Wahrnehmung des schwarzen Kontinents als „Lieferant“ unerwünschter Flüchtlinge, sondern auch die unterschiedlichen Interessen Italiens, Spaniens, Frankreichs, Belgiens etc.

        Das unter einen Hut zu bringen und zu einer wirksamen, gemeinsamen europäischen Politik zu verschmelzen, scheint mir angesichts der aktuellen Lage unmöglich.

        • Stefan Sasse 10. November 2020, 20:47

          Ich denke, wir unterschätzen Köhler nicht in seinen Fähigkeiten als BuPrä. Er war einfach der falsche Mann für den Posten. Aber dass er was auf dem Kasten hat, keine Frage.

          • TBeermann 11. November 2020, 08:51

            Köhler war so etwas wie die Triumphgeste der Wirtschaftsliberalen.

            Die SPD war noch an der Macht, war gerade dabei ihre Existenzberechtigung durch die Agenda 2010 selbst in Frage zu stellen, Union und FDP hatten im Bundesrat die soziale Komponente weitgehend aus den Entwürfen geschliffen und dann setzte man der Regierung noch einen Bundespräsidenten vor die Nase, dessen Hauptbotschaft war: „Das war alles noch viel zu wenig“

            • Stefan Sasse 11. November 2020, 10:47

              Jo, ich sag ja, politisch gesehen nicht die beste Wahl.

            • Erwin Gabriel 11. November 2020, 12:09

              @TBeermann 11. November 2020, 08:51

              Köhler war so etwas wie die Triumphgeste der Wirtschaftsliberalen.

              So wie damals Walter Scheel …
              Dass Du von so einem eingeschränkten Weltbild keine Kopfschmerzen kriegst …

              • TBeermann 11. November 2020, 13:23

                Ich weiß nicht mal so wirklich, was du mit diesem Beitrag sagen willst.

          • Erwin Gabriel 11. November 2020, 12:08

            @Stefan Sasse 10. November 2020, 20:47

            Ich denke, wir unterschätzen Köhler nicht in seinen Fähigkeiten als BuPrä. Er war einfach der falsche Mann für den Posten.

            Na gut, da gehen die Meinungen auseinander. Walter Scheel fand ich albern, Karl Carstens uninspiriert, Richard von Weizsäcker war ein großartiger moralischer Wegweiser; Roman Herzog hat es zumindest in die richtige Richtung versucht; Johannes Rau war irgendwie evangelisch und sonst sehr wenig; Horst Köhler hatte einen Plan und feste Werte, richtig gut; von Christian Wulff war ich ein großer Fan, vor allem wegen seiner Integrationsbemühungen und seiner Lindauer Rede; Joachim Gauck war ein aufgeblöasener Vollpfosten, und Frank-Walther Steinmeier ist eine Ansammlung von Worthülsen.

            Meiner Meinung nach sollte ein Präsident Ecken und Kanten haben, aufrütteln, unbequeme Dinge ansprechen (schade, dass bei Christian Wulff dieser „Skandal“, der sich als noch weit unbedeutender entpuppte als Clintons Email-Affäre, dazwischenkam).

            Zurück zu Köhler:Ich fan den als BuPrä klasse.

            • Stefan Sasse 11. November 2020, 12:35

              Ich empfand Köhler zu sehr als parteiisch, was Beermann hier angesprochen hat. So ein In-your-face Typ. Aber ich war damals auch hart links, das mag meine Einschätzung getrübt haben. Ich war ebenfalls sehr positiv gegenüber Wulff, fand Gauck furchtbar und Steinmeier passabel. Worthülsen, ja, aber wenigstens repräsentiert er das Land und nicht sich selbst. Das ist nach Gauck ein Fortschritt. Rau und seine Vorgänger habe ich nicht bewusst erlebt.

              • Erwin Gabriel 17. November 2020, 19:12

                @Stefan Sasse 11. November 2020, 12:35

                Ich war ebenfalls sehr positiv gegenüber Wulff, fand Gauck furchtbar und Steinmeier passabel. Worthülsen, ja, aber wenigstens repräsentiert er das Land und nicht sich selbst. Das ist nach Gauck ein Fortschritt.

                Das ist ein nachvollziehbares Argument. Ich werde meine Meinung zu Steinmeier auf „neutral“ korrigieren.

            • Kning4711 11. November 2020, 17:19

              Zurück zu Köhler:Ich fan den als BuPrä klasse.
              Volle Zustimmung, ich habe Ihn auch als einen guten Präsidenten empfunden. Innenpolitisch gefangen, da er eigentlich für eine andere Koalition stehen sollte, die am Ende regiert hat (Kabinett Merkel I, statt ein Bündnis Schwarz-gelb)
              Seine Ausführungen zu Afrika sind nach wie vor höchst lesenswert – seine Tragik ist sicherlich, dass er es in diesen sechs Jahren seiner Amtszeit nicht geschafft hat, dass das politische Berlin ihm zuhört.

              Gauck war ein guter Repräsentant Deutschlands nach Außen. Er hat demokratische Grundwerte wie Rechtsstaat und Menschenrechte zur Grundlage einer gelingenden Globalisierung erklärt und auch keine Probleme diese Haltung in Russland, der Türkei oder in China vertreten.
              Nach Innen hin war er leider eher an Anerkennung interessiert statt unangenehme Fragen zu stellen. Insbesondere was die Integration der Ostdeutschen in unsere Demokratie angeht, bleibt das eine verpasste Chance.

              Steinmeier schätze ich für seine Bürgernähe und dem Versuch Brücken zu bauen. Aber für meinen Geschmack geht er da aus Angst vor Polarisierung zu wenig Risiko. Der Grat zwischen Spaltung und Wachrütteln ist sehr schmal, für meinen Geschmack könnte Steinmeier sich hier mehr trauen…

              Von Rau weiß ich auch nicht mehr viel – aber in guter Erinnerung ist mir seine Rede nach dem Amoklauf an einer Erfurter Schule. Er war ein Mahner und dem Menschenanstand in der Politik ein wichtiges Anliegen war.

              • Stefan Sasse 11. November 2020, 17:33

                Letztlich ist eine Beurteilung von BuiPräs auch schwierig. Das Amt hat so wenig formale Kompetenzen, so wenig öffentlichen Raum, da sind die Ansprüche nicht hoch. Und gleichzeitig gibt es nichts, womit du wirklich grandios sein kannst.

                • Kning4711 11. November 2020, 21:49

                  Letztlich ist eine Beurteilung von BuiPräs auch schwierig.
                  Absolut, aber ich denke schon, dass es Präsidenten gibt deren Wirken mehr nachhallt, als andere. Gerade weil dem Bundespräsidenten nur die Macht der Rede. Einige können für sich in Anspruch nehmen Debatten losgetreten und damit Veränderungen bewirkt zu haben.

                  • Stefan Sasse 11. November 2020, 22:33

                    Ja, aber das ist selten. Ich meine, Weizsäcker mit dem 8. Juli. Herzog mit Ruck. Wenn man großzügig ist Wulff mit Islam und Heinemann mit Machtwende. That’s it. Für 71 Jahre ist das ne nicht sonderlich große Zahl losgetretener Debatten.

                    • Erwin Gabriel 17. November 2020, 19:16

                      @ Stefan Sasse 11. November 2020, 22:33

                      Weizsäcker mit dem 8. Juli. Herzog mit Ruck. Wenn man großzügig ist Wulff mit Islam und Heinemann mit Machtwende. That’s it.

                      Wenn mal (Weizsäcker und Herzog außen vor) ein interessantes Thema vorgetragen wurde, ducke sich Berlin weg und schwieg es tot.

                    • Stefan Sasse 18. November 2020, 11:24

                      Wie meinen?
                      Denke aber es wäre generell eine fruchtbare Diskussion, sich über die Funktion und Ideale des BuPrä zu unterhalten.

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