Die Bundestagswahl 2021 – Ein Zwischenstand


Die Kür von Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten hat der SPD einen Startvorteil im Bundestagswahlkampf für 2021 verschafft. Wenigstens an einen meiner Ratschläge haben sie sich also gehalten. Grund genug für mich, eine Art Zwischenbilanz zu ziehen, bevor das alles wirklich los geht und die Ereignisse meine Analyse wieder hinfällig und veraltet machen. Ich will auch gar nicht groß Prognosen anstellen, wie die Dynamiken sich im kommenden Jahr verändern und welche Ergebnisse am Ende stehen werden, sondern stattdessen die Ausgangslage der Parteien analysieren. Was sind ihre Chancen und Ziele, worauf läuft es raus, welche Optionen haben sie und vor welchen Fallstricken müssen sie sich schützen?

Beginnen wir mit der SPD, das hat sie sich mit dem Scholz-Coup verdient. Warum Scholz, warum Coup? Der Mann war effektiv unvermeidbar. Die SPD hat gleich mehrere Probleme. Das erste ist die Frage, ob sie überhaupt einen Kanzlerkandidaten aufstellen will. Das ist keine selbstverständliche Frage; die Partei eiert in Umfragen unter 15%, während die Grünen – unverzichtbarer Partner für jede Kanzler-Option – bei über 25% rangieren. Will die Partei das Kanzleramt, muss sie dieses Mehrheitsverhältnis drehen.

Man hat sich also entschieden, den Führungsanspruch aufzustellen. Damit war Scholz gesetzt. Die SPD hat keine andere Wahl, egal wie wenig Scholz zum Führungs-Duo oder dem Anspruch, eine Politik links der Mitte in einer rot-rot-grünen Koalition (der einzigen, in der Scholz Kanzler werden könnte) zu bestreiten. Das liegt schlicht daran, dass die Partei keineN andereN PolitikerIn hat, der oder die über das Bekanntheitsprofil Scholz‘ verfügen würde. Fraktionschef Mützenich oder Familienministerin Giffey sind beide viel zu unbekannt; die Partei müsste massiv investieren, um das zu ändern – mit ungewissem Ausgang.

Dazu kommt, dass Scholz aktuell hohe Beliebtheitswerte hat. Wie auch die Zustimmungsraten zu Angela Merkel sind diese mit Sicherheit ein Effekt der Corona-Pandemie und daher überhöht und würden unter Wahlkampfbedingungen schnell zusammenschmelzen. Aber es gibt schlichtweg niemand anderen, der auch nur annähernd in Scholz‘ Bekanntheits- und Beliebtheitsregionen vorstößt, weswegen er der einzig mögliche Kandidat bleibt.

Seine Sprödheit und sein mangelndes Charisma allerdings könnten in dem Wahlkampf auch Vorteile werden. Ohne Angela Merkel an der Spitze der CDU ist es Scholz, der eine gewisse bodenständige Kontinuität ausstrahlen kann. Und die ist, das zeigen die Umfragewerte deutlich, aktuell sehr gefragt.

Das beißt sich auf den ersten Blick natürlich mit der Zielrichtung, ein rot-rot-grünes Bündnis anführen zu wollen. Aber tatsächlich besteht hier für die SPD eine Chance: mit einem Kanzlerkandidaten Scholz, der verlässlich-langweilige, bodenständige und halbwegs konservativ-mittige Positionen vertritt entsteht eine Art Anker, der Wählende, die sich nach diesen Merkmalen Merkel’scher Regierungspolitik sehnen, einen Fluchtpunkt gibt. Gleichzeitig kann das andere Personal, vor allem das Vorsitzendenduo Esken und Walter-Borjans, die linke Flanke abdecken.

Dieses Manöver ist extrem risikoreich, aber es ist gleichzeitig die einzige Chance, die die Partei hat. Das erfordert natürlich Geschlossenheit (sonst läuft es wie Peer Steinbrück 2013, und Esken und Walter-Borjans machen mit ihren Interviews hier gerade keine gute Figur) und die Bereitschaft Scholz‘, sich für diese Rolle herzugeben und nicht das eigene Kool Aid zu trinken, das gerade in den Medien in epischer Breite bereit gestellt wird. Er hat keine Chance, alleine das Blatt zu wenden und Kraft seiner Persönlichkeit die Wahl zu gewinnen. Dazu braucht er die Partei und das rot-rot-grüne Bündnis. Wenn er das versteht – und die anderen Beteiligten auch – hat die Partei eine kleine Chance, die CDU mit einer Flankenbewegung von links UND rechts zu attackieren.

Die Aussichten auf Erfolg sind gering – aber höher als mit den anderen Optionen, vermutlich. Viel hängt natürlich von den Partnern ab, an die sich die SPD damit kettet. Aber auch den Letzten dürfte klar geworden sein, dass eine Fortsetzung der Großen Koalition das Todesurteil der Partei wäre. Es gibt schlichtweg keine Alternative mehr zum Bekenntnis für Rot-Rot-Grün; die Schimäre einer Neuauflage von Rot-Grün ist nur noch lächerlich.

Wo wir von Partner sprechen, der unsicherste Kantonist in diesem Bündnis ist natürlich die LINKE. Seit 2005 ist es ein Mantra der SPD, dass die Partei nicht regierungsfähig sei. Im Weg stehen dabei vor allem ihre außenpolitischen Positionen, sprich: die Ablehnung von NATO und Westbindung und die ausgesprochene Diktatorenfreundlichkeit der Partei.

Weniger problematisch dürften die sozialpolitischen Positionen sein. Hier gibt es genügend Raum zum Kompromiss, und jedeR ArbeitsministerIn dieser Partei würde schnell genug durch die Kabinettsdisziplin eingerahmt werden.

Es besteht wenig Zweifel daran, dass die Partei hier Kompromisse eines Koalitionsvertrags mittragen würde. Zu sehr ist der Hunger nach einer Regierungsbeteiligung in der Partei nach nunmehr 15 Jahren angewachsen. Sie WILL regieren, und dazu müssen eben manche Kröten geschluckt werden.

Die Außenpolitik aber bleibt ein Problem. Zwar hat der regierungsorientierte Flügel der Partei zugesagt, hier bisher unvorstellbare Kompromisse eingehen zu wollen, aber der harte Kern ist weiterhin fundamental gegen den bundesrepublikanischen Konsens. Ich sehe das allerdings als kein so großes Problem, wie es auf den ersten Blick scheint.

Denn die LINKE wäre in einem rot-rot-grünen Bündnis der kleinste Partner. Das Außenministerium fiele also so oder so an entweder die SPD oder die Grünen. Das lässt das Problem der Abstimmungen im Bundestag, wo ein signifikanter Teil der Partei gegen die eigene Regierung stimmen würde. Jede rot-rot-grüne Koalition hätte aber eine schmale Mehrheit und könnte sich dies daher nicht leisten.

Aber: das erzwingt letztlich, die Außenpolitik mit den Stimmen der Opposition (sprich: der CDU) durchzuboxen. Es ist nicht so, als wäre das ein sonderlich neues Szenario. In der letzten schwarz-gelben Koalition sah sich Merkel mit genau diesem Problem konfrontiert, wo der radikale Flügel der FDP wie auch ihrer eigenen Partei gegen die eigene Außenpolitik stimmte – und nur die Stimmen der stets verantwortungsvollen SPD diese abstützten. Außer verletztem Stolz oder demokratischer Unverantwortlichkeit spricht nichts dagegen, dass die CDU die Fortsetzung ihrer eigenen Außenpolitik mit ihren Stimmen stützen könnte, so wie die SPD das 2009 bis 2013 tat. Das heißt, viel Vertrauen in die demokratische Reife der CDU zu setzen, die sich mit der Oppositionsrolle bekanntlich schwer tut. Aber es ist durchaus möglich.

Was ihre eigene Rolle im Wahlkampf angeht, so wird die LINKE vermutlich wenig Ungewöhnliches wagen. Die Partei ist seit Jahren in einem engen Band von +/- 8% der Wählerstimmen eingefangen und wird dieses auch weiterhin zu halten vermögen. Ihre Energien im Wahlkampf sind hauptsächlich nach innen gerichtet, auf den Richtungskampf derer, die eine Koalition befürworten, und derjenigen, die sie grundsätzlich ablehnen. Letztere allerdings haben in letzter Zeit mehrere Macht- und Richtungskämpfe verloren.

Die Regierungsfrage stellt sich dagegen für die Grünen überhaupt nicht. Bereits seit mehreren Jahren sehen sie sich als natürliche Regierungspartei, eine Rolle, die ihnen 2017 nur wegen der Flucht aus der Verantwortung durch die FDP verwehrt blieb. Schwarz-Grün ist die wahrscheinlichste Regierungskoalition, Grün-Schwarz eine zumindest vorstellbare. Rot-Rot-Grün ist eine Option, Grün-Rot-Rot ebenso. Für einen neuen Anlauf auf Jamaika steht die Partei ebenso bereit wie für die eher abwegige Ampel-Koalition. Keine Partei ist aktuell so offen wie die Grünen.

Und das ist offensichtlich Strategie. Mit bewundernswerter politischer Disziplin vermeidet die Partei seit Jahren jegliche programmatische Festlegung, die für die problematisch sein könnte. Das Veggie-Day-Trauma sitzt tief. Die Partei verweigert sich jeglicher Spekulationen über Kanzlerkandidaten, verweigert sich der Teilnahme an den Kulturkämpfen der Stunde (die sie AktivistInnen überlässt) und flüchtet sich in wohlige Allgemeinplätze, wo immer es um konkrete Politik geht.

Gleichzeitig fungiert Habeck als eine Art Thermometer und Blitzableiter. Er geriert sich als Kanzlerkandidat, ohne es zu sein, aber nicht so offensiv, wie Scholz das tat (dessen brennender Wunsch in jeder seiner Bewegungen sichtbar war), weswegen die Partei auch jederzeit Baerbock als Führungsfigur hervornehmen könnte, wenn dies notwendig wäre.

Diese Offenheit ist natürlich typisch Merkel. Sie hält die Möglichkeit aufrecht, in jeder beliebigen Koalition Schwerpunkte zu setzen. Gibt es aktuell irgendeine rote Linie, die die Grünen aufgestellt hätten und die eine der obigen Koalitionsoptionen ausschließen würde? Greifen sie irgendeinen ihrer möglichen Koalitionspartner an? Nicht einmal die FDP, die nur zu gerne mit Maximal-Brachialität nach allen Seiten fordert, bekommt mehr als ein mildes Kopfschütteln. Nur die AfD darf sich der Ablehnung der Grünen gewiss sein.

Die Gefahren für den Wahlkampf sind deutlich. Die Umfragewerte der Partei sind eine wilde Achterbahn. Zwar befindet man sich inzwischen stabil jenseits der 20%, aber die Position ist stets prekär; allzu fest ist der Grund (noch) nicht, auf dem die Partei wandelt. Dessen ist sie sich wohl bewusst, daher auch die Vorsicht. Aber der Regierungshunger ist, ähnlich wie bei der LINKEn, groß, und er wirkt wie ein Disziplinierungsinstrument.

Letztlich bleibt die Partei abhängig von den Launen des politischen Tagesgeschäfts. Wenn, wie 2019, eines ihrer Profilthemen wieder auf die Tagesordnung kommt – vor allem natürlich der Klimawandel – dann wird die Partei wieder aufsteigen. Geschieht das nicht, spielt sie defensiv, versucht, aktuelle Gewinne zu halten und eine solide Basis zu schaffen. Die Partei muss nehmen was kommt – und sie ist perfekt dafür aufgestellt.

Das Gleiche kann man von der FDP nicht behaupten. Nach ihrer triumphalen Rückkehr in den Bundestag 2017 ist sie erneut in einer tiefen Krise, kommt seit Monaten über die 5-6% in den Umfragen nicht hinaus und ist damit schwer gefährdet, erneut aus dem Bundestag zu fliegen. Angelastet wird das vor allem ihrem Vorsitzenden Lindner. In der Sache sicherlich zu Unrecht; so viel Einfluss hat eine Einzelperson nicht. In der politischen Dimension aber zu Recht.

Lindner hat die Partei auf sich zugeschnitten, führt sie als Figur, die alles überstrahlt. Das war eine Weile erfolgreich. Doch seit die geheime Suppe nicht mehr munden mag, fällt dies auch auf die Partei zurück. Die taktische Entscheidung, 2017 nicht in die Regierung zu gehen, hat sich als Fehler herausgestellt. In der Opposition konnte die Partei nicht das Profil halten, das sie sich 2017 erkämpfte, und Corona gab ihr den Rest.

Zudem stürzte die Partei mit dem Desaster von Thüringen 2019 in die Negativ-Schlagzeilen, das ihr bis heute anhängt. Das Irrlichtern von Lindner vornweg, aber auch von Figuren wie Kubicki, hat der Partei zwar neue Fans im Lager der VerschwörungsmythologInnen und Pegida-DemonstrantInnen eingebracht, aber nicht bei der eigentlich angestrebten Kernwählerschaft der Bürgerlichen, die sich nach stabil-konservativer Regierung sehnen. Diese sind in der Corona-Krise alle wieder zur CDU zurückgeströmt und haben die Partei in ungeahnte Höhen zurückgebracht.

Gleichzeitig ist die Botschaft der FDP inkonsequent. Lindner hat mehrfach angekündigt, 2021 für einen neuen Versuch mit Jamaika bereit zu stehen; gleichzeitig greift er aber permanent die Grünen massiv an und nur unwesentlich schwächer die Unionsparteien, von den ebenso langweilig-berechenbaren wie wirkungslosen Ausfällen gegen den „Sozialismus“ von SPD und LINKEn ganz zu schweigen. Vergleichsweise sanft geht man mit der AfD um, deren WählerInnen man nur allzu gerne abschöpfen würde – ein Spagat, den Lindner seit 2017 versucht, der aber von wenig Erfolg gekrönt ist.

Die FDP kämpft daher 2021 einmal mehr um das politische Überleben. Ich glaube nicht, dass sie tatsächlich aus dem Bundestag fliegen werden – die aktuellen Umfragewerte scheinen mir dafür zu corona-spezifisch, zu unsicher und wenig substanziell – aber wenigstens für Lindner selbst steht viel auf dem Spiel. Die Zerrissenheit der Partei, die einerseits in Thüringen, andererseits in seinem Konflikt mit seiner Generalsekretärin Teuteberg deutlich wurde, ist da auch keine große Hilfe.

Innerliche Zerrissenheit, sonst doch eine Provenienz der linken Parteien, ist auch der CDU nicht fremd. Der Versuch des Befreiungsschlags, mit einer Urabstimmung die Nachfolge Angela Merkels klären und so gestärkt in die kommende Bundestagswahl ziehen zu können, schlug gründlich fehl. Das knappe Ergebnis zwischen dem Kandidaten von vorgestern, Friedrich Merz, und der Kandidatin von Merkels Gnaden, Annegret Kramp-Karrenbauer, ließ die Partei zerrissen.

Kramp-Karrenbauers Scheitern schuf ein Vakuum, das nur wegen Corona und der Ersatz-Vorsitzenden Merkel bisher nicht zum Schaden der Partei aufgetreten ist. Aktuell verschleppt die Union die Frage um Vorsitz und Kanzlerkandidatur, die, wie die SPD einmal mehr beweist, keineswegs als Einheit begriffen werden muss. Das ist wenig verwunderlich, denn der Kampf um die Seele der Partei und ihre zukünftige Ausrichtung tobt hinter den Kulissen mit unverminderter Wucht.

Es ist das Glück der Union, dass Angela Merkel nicht für eine weitere Amtszeit zur Verfügung steht und nicht mehr Vorsitzende ist, weswegen die Regierung funktioniert und arbeitet und die Partei selbst für die Intrigantenkämpfe genug Energie übrig hat. Nicht, dass deren Personaltableau sonderlich erklecklich wäre.

Jens Spahn ist als Gesundheitsminister an die Kabinettsdisziplin gefesselt und hat schlicht alle Hände voll zu tun. Zudem hat er immer noch keine Hausmacht in der Partei. Norbert Röttgen hat zwar erklärt, kandidieren zu wollen, tut sich aber schwer damit, irgendwelche Menschen zu finden, die das für eine gute Idee halten. Friedrich Merz will unbedingt weiterhin Vorsitzender und Kanzlerkandidat werden, aber er ist Kandidat des rechten Teils der Partei, ist wegen Corona völlig in der Versenkung verschwunden und spürt gerade den Mangel an einer eigenen Hausmacht. Armin Laschet mangelt es ebenfalls nicht an Ambition, aber seine Fehlschläge in der Corona-Krise empfehlen ihn nicht eben für höhere Würden; dieses Schicksal teilt er mit seiner Amtsvorgängerin Hannelore Kraft. Bleibt CSU-Chef Markus Söder, der vor allem mangels Konkurrenz als verantwortungsvolles Staatsoberhaupt erscheint, aber als Bajuvare mit zweifelhaftem Ruf einen eigenen Sack Hypotheken auf dem Rücken schleppt.

Ich bin ziemlich sicher, dass die aktuellen Höhenflüge in den Umfragen von 40%+ eine Schimäre sind, die in einer Art Merkel-Nostalgie und Unterstützung einer im Großen und Ganzen kompetent agierenden Regierung in Krisenzeiten zu verdanken ist. Wenn der hässliche Kampf um die CDU-Spitze erst einmal voll beginnt – und irgendwann muss er das – wird dieses Bild verblassen, und die CDU wird wieder absinken – möglicherweise in die Regionen mit 2X%, in denen Kramp-Karrenbauer sich befand.

Wie Christian Odendahl in einem lesenswerten Thread ausgebreitet hat, gewann die CDU unter Merkel massiv Stimmen unter Frauen und MigrantInnen hinzu. Diese Stimmen sind Merkel-Stimmen. Ein Merz oder Laschet oder Söder würden sich zumindest sehr schwer tun, sie zu halten, vermutlich aber sie verlieren. Die Partei müsste diese auf ihrer rechten Flanke gut machen, aber die aktuelle Schwäche von AfD und FDP machen das zu einer schwierigen Strategie. Verschöbe der kommende Kandidat der CDU die Partei wieder nach rechts ist das keine Garantie für elektorale Erfolge, wie die SPD aus eigener bitterer Erfahrung berichten kann. Vielleicht wäre es nur ein Doping für FDP und AfD.

Letztlich aber ist es gerade  die Ungewissheit, die das Problem darstellt. Vielleicht kann Merz die CDU auch konsolidieren und eine solide schwarz-gelbe Mehrheit in die nächste Regierung führen. Das ist schlicht unklar. Für die CDU ist jede Entscheidung ein Sprung ins Dunkle, ins Ungewisse. Solche Phasen sind inhärent gefährlich.

Eher ungefährlich ist die Situation für die AfD. Sie teilt mit der LINKEn die relativ stabile, einstellige Komfortzone, in der sie sich bewegt. Es ist kaum vorstellbar, dass die Partei wieder aus dem Bundestag fliegt, aber genauso wenig vorstellbar ist, dass sie Ergebnisse jenseits der 15% erzielt. Die letzten beiden Jahre waren der hinreichende Beweis, dass die Partei davon abhängt, dass der öffentliche Diskurs – wie 2017 – ihre Prämissen und Themen teilt. Spricht man über Flüchtlinge und Migration, über Islam und Einwanderung, dann steigt die Partei in den Umfragen. Verweigert man ihr diesen Gefallen, sinkt sie ab.

Die AfD leidet zudem unter einem Flügel- und Führungskampf. Offen rechtsextremistisches Personal zwang das Bundesamt für Verfassungsschutz endgültig dazu, entgegen seiner Präferenzen eine Beobachtung der Partei zu starten. Es erzwang auch einen Parteiausschluss, der die ganze, chaotische Unprofessionalität der Partei offen legt.

Die AfD ist die eindeutigste Protestpartei im aktuellen Spektrum. Es ist unvorstellbar, dass sie 2021 in eine Regierung geht, selbst wenn manche Kräfte in CDU und FDP sich durchaus eine Koalition vorstellen könnten. Wie auch die LINKE richtet die AfD daher ihre Energien nach innen, auf die Befriedung ihrer Flügel, auf die Festigung der Parteistrukturen, kurz: auf die Defensive. Die Partei wird im Bundestag bleiben, sie hat eine verlässliche Basis (einen Luxus, den die FDP nicht hat). Ihr muss es darum gehen, eine gute Ausgangsstellung für die Legislaturperiode 2021-2025 zu bekommen, vielleicht im ersten Bundesland an die Regierung zu kommen und eine Balance zwischen ihren rechtsextremistischen Positionen und ihrem öffentlichen Auftreten zu finden, der den bürgerlichen Parteien genug Selbsttäuschung erlaubt, um die Nasen zuzuhalten und die Koalition einzugehen.

Das lässt uns mit vielen Aussichten auf mögliche Koalitionen. Ein großer Teil davon hängt entscheidend davon ab, wie sich die Richtungskämpfe innerhalb der CDU und der LINKEn (und, zu einem geringeren Teil, der FDP) entwickeln und wie dumm sich die SPD anstellen wird.

Mein Grundvertrauen darin, dass die Genossen schlechte taktische Entscheidungen treffen, unnötige Fehler begehen und glorreiche Eigentore schießen werden, ist quasi grenzenlos. Umgekehrt bin ich recht zuversichtlich, dass die Grünen einen disziplinierten Wahlkampf fahren werden, dessen Ausgang aber mehr oder weniger aus ihren Händen genommen ist und zu sehr von der Aufmerksamkeit und der Themenwahl der breiten Öffentlichkeit abhängt.

So oder so dürfte damit zu rechnen sein, dass 2021 die Ära Merkel endgültig endet – und damit auch die lange Phase schwarz-roter Koalitionen. Es dürfte spannend werden, und auch, wenn die obige Schilderung und das Verhalten vieler Parteien es nicht nahelegt, so werden doch Richtungsentscheidungen getroffen. Wie Deutschland künftig aussehen soll und welche Mehrheiten es prägen, wird 2021 deutlich werden – und wenigstens die nächsten Jahre bestimmen.

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  • Glaukon 11. August 2020, 13:47

    Als die SPD Scholz’ Kandidatur verkündete, ging meine Reaktion Richtung: „Haben die Lack gesoffen?“

    Ich hatte eigentlich durchaus damit geliebäugelt, nach langer Zeit wieder der SPD eine Chance zu geben, da mir zum einen die Arbeit einiger SPD-Minister/innen recht gut gefällt und mir beim Wählen der Grünen die Wahrscheinlichkeit zu hoch ist, am Ende doch wieder die Union zu kriegen, aber jetzt wähle ich die auf keinen Fall. Warum Scholz nach all den Skandalen, an denen er mindestens mittelbar beteiligt war, immer noch nicht hinreichend diskreditiert ist, ist mir ein völliges Rätsel.

    • Stefan Sasse 11. August 2020, 14:09

      Wie gesagt, Mangel an Alternativen.

      • EStz 13. August 2020, 21:35

        Die SPD hätte Kevin Kühnert ins Rennen schicken sollen. Klares, linkes Profil, kombinationsfähig mit den LINKEn und Grünen, und (selbst wenn er untergeht, aber das wird Olaf Scholz auch) ein Wahlkampf, der den Namen verdient.

        Wenn schon vorher weiß, dass man keinen Blumentopf gewinnt, kann man auch mal mutig sein.

        • Stefan Sasse 14. August 2020, 22:37

          Kevin Kühner hatte noch nicht mal ein Bundestagsmandat, geschweige denn irgendwo Regierungsverantwortung. Sorry, aber das ist Quark.

          • EStz 15. August 2020, 12:54

            Quark ist zu glauben, dass die SPD den nächsten Kanzler stellen könnte. Will man keinen Politikwechsel, ist Scholz der Richtige, aber gegen einen beliebigen Kandidaten der CDU zum Untergang verteilt.

            Will man einen Politikwechsel, dann ist Scholz der falsche Mann; dann müsste man auf Habeck setzen, und ein Angebot machen, das wirklich links ist, neu ist, und mehr als einen Tag lang die Nachrichtenspalten füllt. Ob das nun Kühnert ist (der ist zumindes bekant und linkerseits beliebt) oder ein anderer, der bei gleichem Bekanntheitsgrad ein ähnliches Profil erfüllt, ist egal.

            Die SPD will kein „weiter so“, sonst wäre Olaf Scholz Parteichef geworden. Und wenn die Partei ihn nicht als Chef will, warum sollte sie seine Politik als Kanzler mögen? So ist Scholz nur eine „lame duck“.

            • Stefan Sasse 16. August 2020, 08:51

              Sie können, wenn sie stärkste Partei werden. Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich.

  • Ralf 11. August 2020, 14:03

    Die Kür von Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten hat der SPD einen Startvorteil im Bundestagswahlkampf für 2021 verschafft.

    Ich kann nicht erkennen, was der SPD dieser „Startvorteil“ nutzen soll. Gut, sie bekommt jetzt ein paar wenig gelesene Zeitungsartikel im Sommerloch. Anschließend ist die Sache „Old News“. Wenn die großen Politik-Talkrunden nach der Sommerpause ins Fernsehprogramm zurückkehren, wird kein Mensch mehr von der SPD oder von Olaf Scholz sprechen.

    Warum Scholz, warum Coup? Der Mann war effektiv unvermeidbar.

    Da widerspreche ich Dir fundamental. Franziska Giffey hat absolut ausreichend Profil die SPD anzuführen. Und wenn Scholz‘ Umfragewerte abklingen, was sie sehr wahrscheinlich tun werden, wenn Covid-19 mit einem Impfstoff aus den News verschwindet, wird von dieser „Kanzlerkandidatur“ nicht mehr viel übrig bleiben. Nach Schröder (2005), Steinmeier (2009), Steinbrück (2013) und Schulz (2017) werden die Sozialdemokraten dann mit einem weiteren Zentristen in die Wahl ziehen, dazu mit einem ausgesprochen farblosen, und einem der mit Schwarzer Null, Haltung zu Hartz IV, Nähe zu Schröder und Schuldenbremse extrem vorbelastet ist.

    Giffey hat in der Regierung zwar ein Ministeramt inne, agiert aber eher an der Peripherie. Sie kann die Regierung deshalb eher „von außen“ angreifen als Scholz, der ein integraler Bestandteil des Kernkabinetts und damit immer an Merkels Seite ist. Jede Kritik von seiner Seite an der Arbeit der Regierung, werden Journalisten und die Opposition mit der Gegenfrage beantworten, dass er dann halt etwas ändern soll. Schließlich sitzt er doch bereits in einem der einflussreichsten Ministerien im Zentrum der Macht an den Schalthebeln. Es ist vorherzusehen, wie den Sozialdemokraten diese Dynamik auf die Füße fallen wird.

    Am Ende wird die Union einen charismatischen Kandidaten aufstellen, z.B. einen Markus Söder. Und die SPD wird mit der selbstgewählten Schwarzen Null dastehen. Einer Null, die 2021 nicht mehr vermittelbar gewesen wäre und deshalb unbedingt jetzt eine vorschnelle Festlegung ihrer Partei brauchte.

    und die ausgesprochene Diktatorenfreundlichkeit der Partei

    Wann lesen wir eigentlich mal ähnliche Formulierungen von Dir, wenn die zentristischen Parteien wieder mal von „unseren Partnern“ in Saudi Arabien, Ägypten oder China sprechen?

    • Stefan Sasse 11. August 2020, 14:12

      Der Vorteil ist, dass der Konflikt geregelt ist. Siehe auch der Teil zur CDU.

      Giffey kennen nach eigenen Angaben 55% der in Umfragen Befragten. Das ist nicht eben viel. Ich gebe Scholz ja auch nicht viel Chancen. Ich denke nur, dass er eine kleine hat. Gegen Söder hat er IMHO gar keine. Gegen Laschet schwierig. Merz wäre sein bestes Pferd.

      Die wollen nicht die deutsche Sicherheitsarchitektur im Bündnis mit denen suchen.

      • Ralf 11. August 2020, 14:24

        Bekanntheitsgrad spielt keine Rolle ein Jahr vor der Wahl. Sobald man einen Kanzlerkandidaten hat, wird dieser Kanzlerkandidat vor allen anderen in die Talkshows geschickt. Die Medien fokussieren automatisch auf die Kanzlerkandidaten. Giffey hätte innerhalb weniger Wochen praktisch 100% Bekanntheit gehabt.

        Die wollen nicht die deutsche Sicherheitsarchitektur im Bündnis mit denen suchen.

        Das ist zumindest mit Bezug auf Saudi Arabien und Ägypten falsch, die tatsächlich sehr eng an die westliche Sicherheitsarchitektur angekoppelt sind. Und selbst wenn sie das nicht wären, so sind diese brutalen Diktaturen enger Bestandteil der westlichen Wirtschaftsarchitektur.

        • Stefan Sasse 11. August 2020, 15:12

          Scholz hat offensichtlich Unterstützungsnetzwerke. Dafür ist Bekanntheitsgrad ja auch nur eine Chiffre.

          Nur sind wir nicht von denen abhängig.

          • Ralf 11. August 2020, 15:37

            Stärke von Unterstützungsnetzwerken und Bekanntheitsgrad sind keine Synonyme und oft noch nicht einmal korreliert. Angela Merkel hatte 2002 bedingt durch ihre Funktion als Parteivorsitzende z.B. einen hohen Bekanntheitsgrad, aber praktisch keinerlei Netzwerk in der Partei. Volker Kauder hatte in seiner Zeit als Fraktionsvorsitzender ein starkes Unterstützernetzwerk, war aber wohl nur Politik-Junkies namentlich bekannt.

            Wie definierst Du Abhängigkeit? Wir sind von Russland energiemäßig durchaus bedingt abhängig, genauso wie von Saudi Arabien. Auch sicherheitspolitisch besteht eine Abhängigkeit. Wir haben ein hohes Interesse an einer stabilen EU und an Stabilität an unseren EU-Außengrenzen.

            • Stefan Sasse 11. August 2020, 17:40

              Das ist natürlich wahr. Aber Scholz ist halt auch Ministerpräsident. Zwar nur in Hamburg, aber das hilft. Der hat die strukturellen Voraussetzungen für eine Kandidatur. Ich habe darüber bereits in der Vergangenheit geschrieben.

              Wir können unsere eigene Sicherheit nicht ohne die Mithilfe der USA garantieren. Der Ansatz der LINKEn ist, diese Abhängigkeit von Washington (die sie durchaus korrekt identifiziert) durch eine von Moskau zu ersetzen. Was ich für eine bescheuerte Idee halte.

              • Ralf 11. August 2020, 18:02

                Auch ich halte das für eine bescheuerte Idee. Allerdings sehe ich nicht, dass die LINKE eine Abhängigkeit von Moskau fordert. Eine solche Abhängigkeit wird vielmehr von der AfD und anderen Rechtspopulisten gesucht, da diese von Moskau aktiv finanziert und nicht selten organisiert werden. Die LINKE strebt vielmehr eine auf gegenseitige Rücksichtnahme ausgelegte Politik an, die Russland nicht ständig drangsaliert und bedroht und die die russische Einflusssphäre respektiert und im Gegenzug unsere eigenen Einflusssphären sichert.

                Im übrigen gibt es nicht nur die Alternativen „Abhängigkeit von den USA“ und „Abhängigkeit von Russland“, sondern es gibt den dritten Weg „Unabhängigkeit“. Der führt über die EU, über einen gemeinsamen Nuklearschutzschirm durch die Franzosen und über Investitionen in unsere Verteidigungskapazitäten anstelle des Aufbaus einer aggressiven, auf Angriff ausgelegten Interventionsarmee, die Deutschland dann in Timbuktu verteidigen soll.

                • Stefan Sasse 11. August 2020, 18:45

                  Korrekt, aber im Ergebnis wird es auf dasselbe rauslaufen. Und nein, Unabhängigkeit ist keine realistische Option.

                  • Ralf 11. August 2020, 19:02

                    Das ist keine realistische Option für heute. Aber es ist eine realistische Option für die folgende Dekade. Ausreichend nukleares Abschreckungspotential existiert übrigens bereits heute.

                    • Stefan Sasse 12. August 2020, 10:07

                      Das Problem ist nicht die theoretische Erreichbarkeit; die EU ist natürlich groß und prosperierend genug. Nur hat mindestens die Hälfte der Mitglieder völlig gegenläufige Interessen. Polen zum Beispiel, die baltischen Staaten oder Spanien halten zu den USA. Italien kettet sich zunehmend an China. Die Ungarn wenden sich Russland zu, weil dort ein verbündeter Autokrat ist, nicht wegen idealistischer Hoffnungen auf eine europäische Friedensarchitektur. Gleichzeitig fördert Russland aktiv blutige Diktaturen und Bürgerkriege an Europas Ostflanke. Wie soll das funktionieren, um Himmels Willen? Das ist Traumtänzerei.

                    • Ralf 12. August 2020, 10:20

                      Der Europäischen Union bleibt sowieso nichts anderes übrig als Ungarn und Polen zu ignorieren, zu isolieren und kaltzustellen und stattdessen das weitere Zusammenwachsen im Inneren in einer Kerngruppe der “Willigen” weiterzuführen. Das könnte z.B. die Eurozone sein. In dieser Eurozone, die ohnehin die wichtigsten und wirtschaftlich stärksten EU-Länder enthält, könnte man einen gemeinsamen nuklearen Schutzschirm basierend auf Frankreichs Arsenal einrichten und das Ganze mit einer gemeinsamen Verteidigungsarmee abrunden. Dass Italien sich derzeit merklich nach China orientiert, finde ich ebenso bedenklich wie Du, hat aber mit der asozialen, in der jüngeren Vergangenheit vornehmlich von den Deutschen betriebenen Europapolitik zu tun, die dem Land kaum eine Wahl gelassen hat. Gegenwärtig geht der Trend vorsichtig in die andere Richtung und sollte eine solide EU-Finanzierung über EURO-Bonds kommen, was meiner Meinung nach früher oder später ohnehin passieren wird, dann wird sich Italien auch wieder mehr nach Westen ausrichten. Das liegt also in unserer Hand und ist kein unüberwindbares Problem.

                    • Stefan Sasse 12. August 2020, 14:46

                      Frankreich will aber sein Atomarsenal nicht zur Verfügung stellen. Allein daran scheitert diese Idee bereits. Zudem ist es kein Ersatz für das amerikanische.

                      Zustimmung was Italien und Eurobonds angeht.

                    • Ralf 12. August 2020, 16:10

                      Woher weißt Du, dass Frankreich sein Atomarsenal nicht zur Verfügung stellen würde? Meines Wissens nach ist das nie ernsthaft diskutiert worden, geschweige denn, dass aktive Verhandlungen stattgefunden hätten. Peter Scholl-Latour hatte das mal in den Achtzigern vorgeschlagen. Danach ist das meiner Erinnerung nach nie aufgegriffen worden. Damals gab es im übrigen auch keinen Grund einen solchen Vorschlag aufzunehmen, denn die USA waren damals noch Europas Partner und hatten ähnliche Interessen und Werte wie wir.

                      Meine zweite Frage wäre, wie Du zum Schluss kommst, dass das französische Atomarsenal zur Abschreckung nicht ausreichen würde. Wieviele Male muss man den kompletten Planeten pulverisieren können, um einen Gegner wirksam abzuschrecken? Bisher ist meiner Einschätzung nach sogar Kim Jong-Un mit seinen paar Furzbomben recht erfolgreich darin sich Respekt von den Großmächten zu verschaffen.

                    • Stefan Sasse 12. August 2020, 16:35

                      Weil die Franzosen es explizit gesagt haben. Erst vor einem Monat oder so hat Macron es in einer Grundsatzrede wieder drin gehabt.

                      Kim muss auch nur sein eigenes Land mit den Atomwaffen schützen.

                    • Ralf 12. August 2020, 16:38

                      Wenn die Eurozone verteidigungspolitisch verschmelzen würde, müssten wir auch nur die Eurozone verteidigen.

                      Hast Du einen Link zu der Aussage von Macron?

                    • Stefan Sasse 12. August 2020, 18:18

                      Die hatten im Sicherheitshalber Podcast eine Analyse davon. Aber ich weiß leider nicht mehr welche. Er hat auf jeden Fall sinngemäß gesagt, dass Frankreich die force de frappe weiterhin als Eckpfeiler einer nationalen, souveränen Politik betrachtet. Das ist auch konsistent mit der französischen Haltung hier seit Beginn derselben.

                    • Ralf 12. August 2020, 16:51

                      Hier übrigens ein Bericht über eine Rede von Macron zum Thema französische Nuklearwaffen aus dem diesjährigen Februar:

                      https://www.politico.eu/article/emmanuel-macron-european-dialogue-french-nuclear-arms/amp/

                      Das liest sich wie das krasse Gegenteil dessen, wie Du den französischen Präsidenten verstanden zu haben scheinst …

                    • Stefan Sasse 12. August 2020, 18:19

                      Du musst aufmerksam lesen, was genau er sagt. Schlüsselphrase:
                      He proposed a “strategic dialogue, with interested European partners, on the role of French nuclear deterrence in our collective security.”

                      Französische Abschreckung als Rolle in der kollektiven Sicherheit. Es ist auch absolut konsistente französische Politik, die eigene Sicherheitspolitik mit der der EU kongruent zu machen zu versuchen. Die Deutschen haben das ja in Währungs- und Wirtschaftsfragen auch unternommen. Macht ja absolut Sinn.

                    • Ralf 12. August 2020, 18:35

                      Ein solcher Dialog ist doch der erste Schritt hin zu einer gemeinsamen Verteidigung. Und ein gemeinsames Unterhalten von Atomwaffen könnte durchaus im Interesse von Frankreich sein. In Großbritannien gibt es z.B. regelmäßig hitzige Debatten über die enorm hohen Kosten, die diese Waffen verursachen und viele möchten sie abschaffen. Eine gemeinsame europäische Finanzierung des Abschreckungspotentials und damit ein gemeinsam getragener Schutzschirm wäre in aller Interesse. Ich lese nichts in Macrons Rede, das dem fundamental widerspricht. Und wir reden hier ohnehin von Prozessen, die sich über längere Zeiträume entwickeln. Aber eine strategische Partnerschaft der Europäer untereinander ist wesentlich mehr in unserem Interesse als der verblassenden Liebe der USA hinterherzuhecheln, die auch nach Trump nicht wieder zu der engen Kooperation zurückkehren werden wie meinetwegen in Clintons Zeiten. Die EU hat einfach andere Interessen als die USA.

                    • Stefan Sasse 12. August 2020, 19:07

                      Ich mag mich natürlich irren, aber mein Kenntnisstand ist, dass Frankreich solche Ideen ablehnt (wie GB auch).

              • cimourdain 13. August 2020, 18:22

                Scholz hat sein Amt als erster Bürgermeister mit dem Wechsel ins Ministeramt abgelegt. Ich weiss eigentlich niemanden, der gleichzeitig Bundesminister und Ministerpräsident war.

                • Stefan Sasse 14. August 2020, 22:34

                  Ne, das ist schon richtig, aber mein Punkt ist, dass er das Personal hat. Als Schulz aus Brüssel rüberwechselte, tat er das praktisch alleine. Scholz wird eine ganze Latte langjähriger Mitarbeiter aus Hamburg mitgebracht haben, mit denen er arbeiten und auf die er sich verlassen kann.

      • cimourdain 12. August 2020, 06:55

        „Die wollen nicht die deutsche Sicherheitsarchitektur im Bündnis mit denen [Diktatoren] suchen.“ Genau genommen ist gegenwärtig die deutsche Sicherheitsarchitektur im Bündnis (NATO) mit der Diktatur Türkei (wenn man sie als Diktatur bezeichnen will).
        Auch mit Russland (Ziel deines dogwhistlings) sind wir beriets im Sicherheitsbündnis (OSZE) . Einen Beitrtt zu OVKS oder SOC plant m.W. niemand in der Linken.

    • R.A. 12. August 2020, 14:15
      • Stefan Sasse 12. August 2020, 14:59

        Sag ich ja.

        Aber mal abgesehen davon: KeinE PolitikerIn wird je durchgehend positive Presse haben.

      • Ralf 12. August 2020, 16:22

        Diese Affaire hat Frau Giffey überstanden. Ich kenne den Fall nur oberflächlich und habe mich mit ihrer Arbeit nicht persönlich beschäftigt. Mein Eindruck ist dennoch, dass hier keine Copy-Paste-Exzesse in Dimensionen gefunden wurden wie bei Guttenberg oder Koch-Merin. Man darf befürchten, dass man sehr, sehr viele Fälle wie diesen finden würde, wenn man mal wirklich systematisch in Doktorarbeiten aus dieser Zeit suchen würde, als Plagiat-Checks noch nicht standardmäßig durchgeführt wurden und die Entdeckungswahrscheinlichkeit folglich gering war. Aber wie auch immer. Frau Giffey ist – vermutlich wegen dieser früheren Verfehlungen – heute nicht SPD-Vorsitzende. Der Skandal ist aber mittlerweile ausgesessen. Und wenn sie im nächsten Frühjahr zur Kanzlerkandidatin ernannt worden wäre, hätte kein Mensch mehr darüber gesprochen …

        • Stefan Sasse 12. August 2020, 16:36

          Ich habe von der Affäre zum ersten Mal hier in den Kommentaren erfahren, aber: Giffey ist halt nicht eben Politikerin der ersten Reihe. Wäre sie Kandidatin, würde so was unweigerlich nach vorne und ins Licht gezerrt.

          • Ralf 12. August 2020, 16:39

            Ja. Aber nicht nachdem die Affaire bereits überstanden ist … ^^

        • R.A. 12. August 2020, 19:28

          „Diese Affaire hat Frau Giffey überstanden. “
          Als Ministerin ja. Da wird heute ja nicht mehr so genau hingeschaut.

          Aber bei einer Kanzlerkandidatur wäre das ein idealer Steinbruch für die Wahlkampfgegner. Schließlich geht es nicht nur um Copy&Paste, sondern um recht massive Vorwürfe, ihre Arbeit wäre inhaltlich dürftig.

          • Ralf 12. August 2020, 21:00

            Die inhaltliche Dürftigkeit ist ziemlich egal. Erstens liegt sowas meist im Auge des Betrachters und zweitens dürfte die Öffentlichkeit herzlich wenig Interesse am akademischen Für und Wider einer wissenschaftlichen These entwickeln. Im übrigen wären Sie lebenslang beschäftigt, wenn Sie jedem Doktor, dessen Arbeit inhaltlich dürftig ist, seinen Titel wegnehmen wollten. Das einzige, was wirklich schwer wiegt, gerade bei einem Politiker, ist Betrug und Unehrlichkeit. Bei krassen Fällen fängt das an dann auch die Öffentlichkeit zu interessieren. Insbesondere wenn sich die Betrüger offensiv als “Leistungsträger” präsentiert haben. Und die eher gehobene akademische Wählerschaft hat da nochmal eine andere Meinung als der einfache Arbeiter oder Angestellte, dem der Elfenbeinturm herzlich gleichgültig ist. Oder anders ausgedrückt: Diese Skandale wirken heftiger bei CDU und FDP und werden als weniger bedeutend im linken Spektrum wahrgenommen. Wie gesagt, es sei denn, es handelt sich um wirklich krasse Fälle.

            Frau Giffey hätte also insgesamt relativ wenig zu befürchten gehabt. Und Angriffspunkte bietet nun wirklich jeder. Ist ja nicht so, als wenn mir zum Thema Scholz nicht gleich mehrere Punkte einfallen würden. Dummerweise handelt es sich bei diesen Punkten allerdings um Dinge, die gerade der Wählerschaft, die eventuell an einem Rot-Rot-Grünen Bündnis interessiert sein könnte, sehr wichtig sind. Wesentlich wichtiger als eine schlecht geschriebene Doktorarbeit.

  • Stefan Pietsch 11. August 2020, 15:39

    Zu den Weisheiten des Lebens gehört: wer zu allem offen ist, kann nicht ganz dicht sein. Was einige nicht wenige so bei den Grünen sehen. Überhaupt sich nicht festlegen macht es in Situationen, wo es hart auf hart kommt, oft schwer zu bestehen. Gerade deswegen ist in der Coronakrise keine andere Partei so abgeschmiert wie die Ökos. Ausgerechnet bei den Grünen verzichtest Du auf die Verwendung eines Deiner Lieblingsbegriffe, die Du sonst dort mitgibst, wo Du nicht gerade sympathisierst.

    Die Grünen, das haben wieder die letzten Wochen gezeigt, sind eine Projektionsfläche mit begrenzter Substanz. Einfach so mal 40% der eigenen Supporter binnen Wochen zu verlieren, zeugt nicht von echter Bindung. Die Grünen sind ein Label um sich gut und modern zu fühlen. Der Inhalt interessiert da nur bedingt. Denn Fakt ist auch, dass die Partei des Robert Habecks in den Jahren nach der Bundestagswahl nie an der Urne die Umfragen bestätigen konnte.

    Du schreibst, es wäre ein Vorteil, dass die SPD ihren Kanzlerkandidaten so früh benannt habe. Das haben viele Parteistrategen und Politologen auch schon mal anders gesehen. Du selbst lieferst ja auch keine Begründung. Das reißt hoffentlich nicht ein. 😉

    Je länger jemand im Feuer steht ohne dass eine Entscheidung ansteht, desto mehr wird die Figur entzaubert. Man muss nicht auf die Schulz-Sternschuppe verweisen, aktuell gilt dies für den vermeintlichen Charismatiker Robert Habeck. Wenn man schon so eine Theorie vertritt, sollte man doch einen Moment Vor- und Nachteile abwiegen. Leider erfahren wir darüber nichts.

    Tatsächlich ist Olaf Scholz nichts anderes als eine Pappfigur, hinter der sich ein Gebräu sammelt, das in seinen Vorstellungen von der großen Mehrheit rundherum abgelehnt wird. Es ist ein Trick. Scholz selbst hat immer gepatzt, wenn es auf ihn ankam. Die G20-Krawalle in seiner Stadt Hamburg sah er nicht kommen, faselte was von, die Leute würden es nicht merken, und agierte dann, als Hamburg brannte, hilflos. Das Gleiche nun im Angesicht eines implodierenden DAX-Unternehmens. Hier ist er nicht nur mit einem Gesetz involviert, das vor über einem Jahrzehnt von ihm mit angeschoben und über den grünen Klee gelobt wurde, sondern er versagt auch vor der Entscheidung, die verantwortliche Aufsichtsperson zu feuern, obwohl der Chef der Bafin vor dem Parlament falsche Angaben machte.

    Die Einschläge sind inzwischen ziemlich nah am Bundesfinanzministerium und einige CDU-Abgeordnete werden Freude daran haben, den Möchtegern-Kanzler in einem Untersuchungsausschuss vor sich herzutreiben und sein „Macher“-Image zu zertrümmern. Ausgerechnet die wesentliche Schwachstelle der Person Scholz lässt Du völlig unerwähnt. Vergessen oder einfach nicht auf dem Schirm?

    Möglicherweise hast Du Dir auch einfach die Haltung der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken zu eigen gemacht. Auf die Frage, wie man die wegen Angela Merkel zur CDU geströmten Wähler gewinnen möchte, antwortete sie lapidar: Merkel tritt nicht mehr an. Wohl wahr, aber deswegen werden Frauen Mitte 30 in guter Position als Bilanzbuchhalterin oder Key Account nicht automatisch zur SPD wechseln. Das scheinst auch Du zu unterstellen. Eine 32jährige, die gerade mit ihrem Mann ein Eigenheim erworben hat, wird wohl nicht in die Fänge einer Mietbremsen-Koalition wechseln, sondern dann doch lieber den Alt-Konservativen Friedrich Merz wählen.

    Einerseits bezweifelst Du seit Jahren, dass die Union etwas von der AfD gewinnen könnte. Andererseits scheint es Dir normal, dass die Rechtsradikalen in den letzten Monaten 6%-Punkte in den Umfragen verloren haben. Irgendwo müssen die hingegangen sein. Ich gebe Dir einen Tipp: SPD und Grüne haben davon nicht profitiert. Und ich kenne keinen in Union und FDP, der Lust hat, mit der AfD zu koalieren. Was Du verbreitest ist Schmonsens.

    Es macht für die Grünen wenig Sinn, derzeit die Liberalen zu attackieren, schließlich lassen sich da kaum Prozente holen. Umgekehrt macht es für die FDP-Führung sehr wohl Sinn, die Grünen unter Beschuss zu nehmen, schließlich sind den ehemaligen Alternativen Zustimmungswerte in den letzten Jahren ziemlich kampflos zugeflossen. Und die Union hat sich in der Coronakrise nicht zuletzt zu Lasten der Liberalen genährt. Da darf man ja wohl mal was sagen dürfen.

    • Stefan Sasse 11. August 2020, 17:48

      Ich habe die Begründung mitgegeben, was das Problem der Grünen ist. Aber du musst das natürlich nicht lesen, um abfällige Kommentare zu machen. You do you.

      Die Begründung für die Kandidatur habe ich in einem eigenem Artikel beschrieben und den auch noch mal verlinkt. Erneut: es ist da. Aber gerne, mach deine abfälligen Bemerkungen.

      Was gibt es denn bei Scholz zu entzaubern? Der Mann ist so langweilig wie ein alter Leitz-Aktenordner. Im Gegensatz zu Schulz gibt es keinen Hype, außer ein bisschen in den Leitmedien. Aber die schreiben den doch nur hoch, weil Sommerloch ist und sie ihn wieder stürzen wollen. Klar, die Gefahr, die du beschreibst, besteht natürlich. Aber welchen Vorteil sollte es der SPD bringen, ein dreivierteljahr lang dem Gegner die Munition zu geben, von Führungschaos zu reden und die Gefahr einer Kandidatur Eskens an die Wand zu malen? Nein, der Move ist sinnvoll.

      Ich halte auch wenig von Scholz. Aber die SPD ist so am Ende, dass eine Figur wie er als Hoffnungsträger gelten muss. Letztlich ist Scholz eine 1:1 Reinkarnation von Peer Steinbrück. Aber im Gegensatz zu Steinbrück ist er weise genug, den R2G-Pfad zu öffnen. Das allein macht den Unterschied.

      Ich hatte die von dir beschriebene Schwachstelle nicht auf dem Schirm, weil in dem Moment, in dem sie relevant wird, die SPD das Hauptziel bereits erreicht hat: Relevant zu sein. Denn solche aufwändigen Demontagen machst du mit Gegnern, nicht Opfern 😉

      Ich weiß nicht, was Eskens Position ist, deswegen kann ich sie mir auch nicht zu eigen machen. Dass du sie mir unterstellst, ist für dich ja eh nur eine Variante, nicht „du doofer Linker“ schreiben zu müssen. Das ist natürlich gut für die ästhetische Abwechslung, geht aber in der Substanz nicht darüber hinaus. Davon abgesehen: Mietbremsen sind ein Thema in Berlin. Im Rest der Republik kommt das nur in konservativen Kreisen als Aufregerthema vor, und die wählen so oder so nicht SPD.

      Die AfD hat die Leute hauptsächlich ans Nichtwählerlager verloren.

      Die FDP nimmt ALLE unter Beschuss, das ist das, was ich beschreibe. Die gerieren sich als Oppositionspartei à la LINKE oder AfD. Aber was wollen wir mit drei von denen? Gut, die LINKE macht gerade einen auf staatsmännisch, von daher wird ein Platz frei. Schauen wir mal, wie es hält. Aber wenn du als FDPler in einem Satz sagst, dass die Forderungen von Kevin Kühnert von Andreas Scheuer umgesetzt werden, sorry, dann hast du jeglichen intellektuellen Anspruch an der Türklinke abgegeben.

      • Stefan Pietsch 11. August 2020, 18:43

        Die Leute mögen Scholz. Na ja, weit mehr als die SPD, was bedingt schwer ist. Er ist der letzte verbliebene Wählbare. Das sagt alles über die Partei. Und Stefan, bisher ist niemand außer Dir auf die Idee gekommen, Saskia Esken als kommende Kanzlerkandidatin zu sehen. Das erscheint selbst im Konrad-Adenauer-Haus als zu absurd.

        Scholz hat immerhin schon Wahlen gewonnen, sogar mit absoluter Mehrheit. Ich weiß nicht, wem das zuletzt mit rotem Parteibuch geglückt ist, so gut bin ich nicht in Geschichte. Und die Sehnsucht der Deutschen nach einem Kanzler mit Glamour-Faktor ist überschaubar, sonst hätten es Helmut Kohl und Angela Merkel nie an die Schalthebel der Macht geschafft. Und schon gar nicht so lange. Also der Leitz-Ordner (was ist das eigentlich?) ist ausdrücklich ein Kompliment.

        Wichtiger ist, dass Scholz der machtloseste Kandidat der Geschichte werden dürfte. So unhöflich wie Esken/Walter-Bojans war nicht einmal Oskar Lafontaine, als er die Nominierung Schröders verkünden musste. Sechzehn geschlagene Minuten stand der Kleine König zwischen den Linken und hatte keinen Redetext. Was dem Land tatsächlich blüht und wofür der Hanseate in Demut geht, machen Esken und Walter-Bojans ja in jedem Interview deutlich. Niemand in den linken Parteien hat begriffen, dass die deutsche Wirtschaft durch das tiefste Tal der Nachkriegsgeschichte geht, ein Großteil der Unternehmen auf der Kippe steht und man zur Zeit Vermögensteuern und -abgaben und höhere Einkommensteuersätze so benötigt wie ein junges, verliebtes Paar Syphilis.

        Wenn Scholz in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss an die Wand genagelt wird, hat die SPD ihr Ziel erreicht? Auch eine originelle Sichtweise. Jedenfalls hat Esken der breiten Mitte, die bisher Merkel zugeneigt war, kein Angebot zu machen, außer dem, einen Pappkameraden aufzustellen. Du schreibst ja auch an einer Stelle, ein Erfolg Friedrich Merz‘ würde der SPD schon von selber die Frauen zutreiben. Das ähnelt dem Statement von Esken am Sonntag.

        Die Nicht-Wähler werden in Umfragen nicht gezählt. Von daher ist Deine These unzutreffend. Der Kuchen muss 100 (%) ergeben und da gibt es eine Wanderungsbewegung. Wie Du zu Deiner These kommst, wüsste ich allerdings schon gern. Glaskugel?

        Bitte, ein Oppositionspartei hat als vornehmste Aufgabe, die Regierung zu kritisieren, schlag‘ bitte mal im Handbuch für gute Parlamentsarbeit nach. Von daher sind die Grünen derzeit nicht das, was man eine „gute“ Opposition nennen könnte. Die parlamentarische Kritik bezüglich des Wirecard-Skandals, adressiert an die Politik, kommt hauptsächlich aus der FDP. Und das, Stefan, ist alles andere als unseriös. Dass sich in Deutschland einfach mal so ein DAX-Konzern unter staatlicher Aufsicht pulverisieren kann, ist eine Skandal erster Güte und der Politik nichts anderes einfällt als mit dem Finger auf ein paar kriminelle Vorstände zu zeigen. Wenn Du das mit dem Populismus der AfD und der LINKEN gleichsetzt, hast Du auch erheblich an Niveau verloren.

        Wieder was gelernt: Als Ministerpräsident gewählten Abgeordneten den Mittelfinger zu zeigen und die reichsten 1% nicht zu erschießen, sondern einer „nützlichen Verwertung“ zuführen, ist heute Staatskunst? Echt, Stefan, schlag‘ mal in Deinen verstaubten Tutorials den Begriff „Niveau“ nach.

        • Stefan Sasse 11. August 2020, 18:49

          Ich meinte das doch auch so? Wo ist denn jetzt der Dissens?

          Du kennst Leitz-Ordner nicht?!?!? https://www.otto-office.com/de/Leitz-Ordner-1080-CO2-neutral/49041/p?pid=BAG14-001-UUdDNCAAAAAA-10-011001-49041SZ&pshoptype=b2c

          Die AfD hat ihren größten Stimmengewinn aus dem Nichtwählerlager bestritten. Da ist es nicht fernliegend anzunehmen, dass diese notorisch unzuverlässige Wählergruppe genau dahin wieder zurückgeht. Du brauchst halt unbedingt die These, dass das Wanderungsbewegungen in deinem Sinne wären, aber die Realität hilft dir da leider nicht.

          • Stefan Pietsch 11. August 2020, 20:56

            Es ist ein Stilelement von mir, manchmal bei gern verwendeten Begriffen die Frage zu stellen, was / wer das sei. Deutlich wird die Ironisierung dadurch, dass der Begriff / Person absolut bekannt sein muss. Es gibt keinen Finanzchef oder auch Finanzer, der Leitz-Ordner nicht kennt. Jede Finanzabteilung ist trotz dem Drang nach dem papierlosen Büro zugestellt davon.

            Du hältst die Grünen für eine großartige Partei, weil sie sich bemüht für nichts zu stehen bzw. wahrgenommen zu werden, eben als Projektionsfläche zu dienen. Dieses Bild ist bei den Grünen so falsch wie bei keiner anderen Partei. Sowohl die Parteispitze als auch der Kreis der Mitglieder hat extrem detaillierte Vorstellungen, wie eine „moderne“ Gesellschaft auszusehen und wie sich alle zu verhalten haben. Ariane hat dieses Denken vor einigen Tagen unbeabsichtigt auf den Punkt gebracht. Durch Wahlen werde das Recht geschaffen, in die private Lebensführung anderer Menschen einzugreifen. So etwas nenne sich Demokratie. Ich denke, das beschreibt das Denken in diesen Milieus sehr genau, Veggie’s Day steht nur als Begriff zur Umschreibung.

            Wir haben wahrscheinlich sehr unterschiedliche Meinungen, was Scholz aus Parteiensicht repräsentieren soll. Schröder war ein klares Angebot an die Mittelschicht, glaubhaft. Der Niedersachse galt nicht nur als durchsetzungsstark, er konnte den Wahlkampf stark auf seine Person ausrichten. Das hat später schon bei Steinbrück nicht geklappt, als die Parteifunktionäre deutlich nach links gerückt waren. Steinbrück reklamierte noch „Beinfreiheit“. Das wagt Scholz nicht. Er lässt kaum Zweifel, den Zielen der Parteispitze nicht im Wege stehen zu wollen, so er nur die Kanzlerschaft bekommt.

            Dabei hat der Finanzminister durchaus höchst unterschiedliche Vorstellungen für seine Wunschkoalitionen. Scholz präferiert gegen die Umfragen Rot-Grün, wobei die SPD 25% (15% der Umfragen plus 10% Kandidatenbonus) und die Grünen 20% bringen sollen. Bei günstiger Konstellation könnte das für eine Mehrheit reichen. Sollte das nicht funktionieren, wäre seine Präferenz eine Ampel. Das es dazu kommt, ist aus heutiger Sicht unwahrscheinlich, zu klar haben sich die Parteifunktionäre für das Linksbündnis positioniert, notfalls unter Führung der Grünen (Saskia Esken).

            Während also die Wähler glauben sollen, Berlin sei kein Testfeld für die Bundesrepublik, wird es in den linken Parteien genau so gesehen. Zu Deinem Glauben, die Mietpreisbremse sei nur ein Thema der Hauptstadt: Alle drei würden das Konzept sehr gerne auf alle Großstädte Deutschlands ausweiten.

            Du arbeitest rein mit Annahmen, um dann eine These wie eine feststehende Tatsache aufzustellen. Umfragen sind bereits sehr unsicher. Diese dann noch ohne Belege und Indizien zu interpretieren führt zu einem reinen Wunschkonzert. Noch dazu sind Deine Annahmen falsch. Zwar gewann die AfD viele Nichtwähler, doch die waren nicht immer in dem Status. Der typische Nichtwähler wählt mal und mal nicht. Einen Fakt unterschlägst Du ebenso: die Politik Angela Merkels erst in der Euro- später in der Flüchtlingskrise hat ungewöhnlich viele ursprüngliche Unionsanhänger ins Lager der Nichtwähler getrieben, nachzulesen in den Wahlanalysen. Das viel nur deswegen nicht weiter auf, weil die SPD noch mehr Wähler verlor. Eine naheliegende Schlussfolgerung wäre von Dir gewesen anzunehmen, diese wären in der Krise in den Schoß ihrer präferierten Partei zurückgekehrt. Ich mache mir das nicht zu eigen, schließlich halte ich Spekulationen auf diesem Erkenntnisniveau für zu unzuverlässig.

            Fake 2: Laut mehrjährigen Umfragen zeigten AfD-Wähler eine vergleichsweise geringe Bindung und Überzeugung in ihre Partei. Sie wurde jedenfalls 2013 und 2017 gewählt, um der ungeliebten Kanzlerinnenpolitik eins auszuwischen.

            Fake 3: Verschwörungstheorien, Protestwähler und „Wutbürger“ haben in der Coronakrise durchaus Konjunktur. Die Annahme, dieser Kreis habe sich deutlich verringert, liegt jedenfalls nicht auf der Hand. Dennoch sinkt die Zustimmung zur AfD deutlich. Das muss Gründe haben, was meist mit geänderten Prioritäten der Befragten zu tun hat.

            Wie gesagt, Du zeigst wenig Skepsis, wenn Dir etwas zupass kommt und projizierst dieses Verhalten auf mich.

            • Stefan Sasse 12. August 2020, 10:15

              Ich halte die Grünen nicht für eine „großartige Partei“, sondern bescheinige ihnen, eine effektive politische Strategie gefunden zu haben. Genauso wie Merkel mit asymmetrischen Demobilisierung, oder die AfD mit ihrem Säen von Hass 2017. Effektive politische Strategie. Das ist schlicht Analyse und keine Wertung.

              Dass du die Grünen ablehnst verstehe ich völlig, und das ist dein gutes Recht. Aber JEDE Partei will in die Lebensführung von Menschen eingreifen. Und Wahlen determinieren, ob sie das im Rahmen der bestehenden Gesetze und Verfassung tun können.

              Ich denke, Scholz hat deswegen auch den erfolgversprechenderen Ansatz als Steinbrück: die Idee der Beinfreiheit führt völlig in die Irre. Du kannst keinen Wahlkampf gegen die Partei machen. Wenn Scholz klug ist, lässt er sich als Projektionsfläche und Vehikel der Partei aufstellen.

              Die Ampel scheitert an der FDP, nicht an SPD und Grünen. Ich würde Rot-Grün auch vor R2G bevorzugen, aber wie realistisch ist das? Unter den gegebenen Bedingungen reicht es bestenfalls für R2G. Und in der Realität werden Wahlen geschlagen und Regierungen gebildet, nicht im Traumland.

              Ich gehe ja davon aus, dass die Union viele ihrer seit 2017 weggebluteten Wähler wieder gewonnen hat. Dass die aktuellen Umfragen nur eine Momentaufnahme mit wenig Aussagekraft für 2021 sind, habe ich zigmal geschrieben, deine Unterstellung, ich würde es anders sehen, entbehrt jeder Grundlage.

              Zu Fake 2 (ich nehme an du meinst Fakt): Genau das sage ich doch?

              Fake 3: Ich habe die Erklärung dafür gegeben: Die Themen der AfD haben keine Konjunktur. Davon abgesehen sind die Covidioten und Verschwörungsspinner eben eine winzige Minderheit. Auch wenn aktuell ihnen eine völlig unangemessene Bühne gegeben wird, weil nichts aus 2017 gelernt wurde.

              • Stefan Pietsch 12. August 2020, 12:00

                Im Branding gilt die Grundregel, das Image eines Unternehmens / Produkts nicht entgegen den tatsächlichen Verhältnissen zu setzen. Doch genau das tun die Grünen, was Du als „effektive politische Strategie“ bezeichnest.

                Die Grünen, das ist die gegenwärtige Strategie, ist Projektionsfläche für alles. Behutsame Industriepolitik à la Winfried Kretschmann, sozialstaatliche Freigiebigkeit à la Robert Habeck, unbegrenzte Großzügigkeit bei Migranten à la Katrin Göring-Eckhardt, Verbotsgebote à la Anton Hofreiter. Grün für Jedermann, pardon Jederfrau. Mit einem Kreuz bei den Grünen kann sich derzeit jeder modern fühlen. Nur: jede Strategie trägt nur bedingt.

                Aber jede Partei will in die Lebensführung von Menschen eingreifen.

                Das ist Quatsch. Es besteht ein Unterschied, ob Politik den öffentlichen Raum oder auch das Privatleben seiner Bürger gestalten will. Diktatorische Parteien erheben den allumfassenden Anspruch. Liberale und Konservative erheben eben nicht den Anspruch, bis in den Bereich der Unverletzlichkeit der Wohnung einzugreifen. Wenn „Progressive“ die private Aufteilung der Hausarbeit von staatlicher Seite beeinflussen wollen, dann ist das genau dieser Übergriff. Auch der Veggie’s Day steht dafür: Das Angebot von Kantinenessen betrifft nur das Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Beide Parteien vereinbaren frei, unter welchen Bedingungen die Mitarbeiter verpflegt werden können. Viele Unternehmen unterbreiten erst gar nicht solche Angebote, was den privaten Charakter unterstreicht. Und so ließe sich das fortsetzen. Die Grünen haben sich bisher selten um die Verfassungskonformität ihrer Ideen geschert. Selbst in Regierung wie in Berlin haben sie ein Gesetz mitverabschiedet, dass nach Ansicht der meisten Juristen verfassungswidrig ist. Aber man kann’s ja mal probieren. Zumindest FDP und Union legen ein solches Laissez faire nicht an den Tag.

                Die Ampel scheitert an der FDP, nicht an SPD und Grünen.

                Klar, wenn Parteien nicht zusammenkommen, liegt das an einer. Tatsächlich ist nicht vorstellbar, wie die Steuererhöhungs- und Enteignungsphantasien auf links mit den steuer- und rechtstaatspolitischen Vorstellungen der Liberalen zusammen gehen sollen. Da ist ein unüberbrückbarer Graben dazwischen.

                Der Ansatz der SPD-Spitze läuft darauf hinaus, Stimmen aus dem eigenen Lager, von der LINKEN und den Grünen zu gewinnen. Das ist ein Win-Lose-Konzept. Zur Erinnerung: R2G liegt derzeit bei 41%, es müssen also erhebliche Stimmenzugewinne aus dem gegnerischen Lager hinzukommen. Ich sehe nicht, welche Wechselwähler die drei Parteien ansprechen wollen. Dir war das in der Vergangenheit auch weitgehend egal. Nach dem Motto: irgendjemand wird sie schon wählen. Im ZDF-Sommerinterview brachte das ein prominentes SPD-Mitglied gegenüber Saskia Esken auf den Punkt: sie vertritt einfach ihre privaten politischen Vorstellungen und meint, alle würden ihr dann schon folgen.

                Ich gehe ja davon aus, dass die Union viele ihrer seit 2017 weggebluteten Wähler wieder gewonnen hat. Dass die aktuellen Umfragen nur eine Momentaufnahme mit wenig Aussagekraft für 2021 sind, habe ich zigmal geschrieben, deine Unterstellung, ich würde es anders sehen, entbehrt jeder Grundlage.

                Nein, ich unterstelle Dir nichts. Die Union hat von allen Parteien in den vergangenen Monaten gesammelt, nicht zuletzt von den Grünen. Aber die Ökos hatten sich zuvor ja auch von der Union genährt. Klar sollte eigentlich sein: die Grünen haben diese Stimmen nicht sicher und diese Menschen werden im Wahlkampf konkretere Antworten haben wollen als solche, die Frage des Kanzlerkandidaten würde sich nicht stellen, man entscheide nach Inhalten etc.

                Zu Fake 2 (ich nehme an du meinst Fakt)

                Nein, Fake. Du hast angeführt, die AfD-Wähler gingen einfach irgendwann dauerhaft in die Diaspora namens Nichtwähler. Das ist kein Automatismus. Zwar unterscheiden sich diese Milieus deutlich von den übrigen. Aber die Nach-Merkel-Ära wird möglicherweise einiges neu sortieren.

                Die Themen der AfD haben keine Konjunktur. Davon abgesehen sind die Covidioten und Verschwörungsspinner eben eine winzige Minderheit. Auch wenn aktuell ihnen eine völlig unangemessene Bühne gegeben wird, weil nichts aus 2017 gelernt wurde.

                Also manchmal wundere ich Dich über Dein Demokratieverständnis. Außerhalb Deiner Kreise würde niemand behaupten, Migration sei kein>/em> großes politisches Thema. Und wenn das so ist, müssen Medien darüber berichten, informieren, Diskussionen zulassen.

                Du behauptest also, die Anzahl unzufriedener, aufgehetzter Bürger sei rückläufig? Interessante Sichtweise. Aber Dein einziger Beleg scheinen die schwindsüchtigen Zustimmungswerte der AfD zu sein.

                • Stefan Sasse 12. August 2020, 14:55

                  Wir werden sehen, ob das Konzept erfolgreich sein wird oder nicht. Zweifelsohne aber ist es ein Konzept. Und in der Vergangenheit haben breite Koalition in Wahlen oft Erfolge gebracht. Ich glaube, dein Hass auf die Grünen verstellt dir nur den Blick auf die Analyse. Du willst nicht, dass sie erfolgreich sind, also dürfen sie es nicht sein.

                  Da es beim Veggie-Day um Kantinen des öffentlichen Diensts ging, wären die Grünen der Arbeitgeber gewesen. Aber erneut, dein blinder Hass lässt dich da eh jedes Maß vermissen.

                  Es ist die FDP, die seit 2005 einer Ampel kontinuierlich die Absage erteilt hat. Ob in BaWü 2016, ob im Bund, ob in anderen Bundesländern. Google mal „Ampel“, und du findest lauter „FDP schließt Ampel aus“-Artikel. Erneut, es passt dir ideologisch nicht in den Kram, ist aber halt so.

                  Ich habe keinen Zweifel, dass die Grünen die Leihstimmen von der Union nicht sicher haben. Aber das schreibe ich im Artikel ja auch.

                  Ich habe nie behauptet die gingen dauerhaft dahin? Nur ist es Quatsch anzunehmen, dass alle Wählerbewegungen zwischen Parteien stattfinden würden. Ein Großteil findet zwischen Nichtwählern und Wählern statt.

                  Ich zweifle nicht an deinem Demokratieverständnis, was daran liegen mag, dass ich abweichende Meinungen im Rahmen der Verfassung für legitim halte. Ich fürchte, da unterscheiden wir uns.

                  • Stefan Pietsch 12. August 2020, 18:52

                    Genauso könnte ich Dir Hass auf die FDP unterstellen. Lassen wir das lieber. Ich verweise immer gerne auf die Wählernachbefragung von 2009. Dort gaben 2/3 an die Grünen gewählt zu haben, weil sie „für die Umwelt“ seien. Bei keiner anderen Partei wurde so ein hoher Einzelwert gemessen, bei keiner anderen Partei war die Begründung für die Wahlentscheidung so unspezifisch. Ich glaube nicht, dass sich die Verhältnisse zu heute wesentlich geändert haben.

                    Bei genauer Betrachtung haben Grüne und Liberale kaum Schnittmengen bei den Wählern, wenn man davon absieht, dass beide Wählergruppen relativ begütert sind. Grüne sind eindeutig Städter, Liberale werden vor allem in den Speckgürteln der Großstädte gewählt. FDP-Anhänger sind leistungsorientierte Mate rialisten mit hohem Drang zur wirtschaftlichen Selbständigkeit, Grüne klar Postmaterialisten mit großem Glauben in die Leistungsfähigkeit des Staates und überproportional in Beamtenjobs. Diese Milieus haben wenig Gemeinsamkeiten.

                    2005 wollte Rot-Grün die FDP als Vehikel zur Fortsetzung einer gescheiterten Koalition. Dagegen stand Westerwelle bei seinen Wählern im Wort. Wenn Du den Liberalen vorwirfst, die Ampel sei damals an der FDP gescheitert, dann hat der Vorwurf an die Grünen, sie hätten schon damals Jamaika verhindert, mindestens die gleiche Substanz. Immerhin war das bürgerliche Lager, wenn auch knapp, Wahlsieger. Aber so einen Vorwurf erhebst Du ja nicht, schließlich sind die anderen die Grünen-Hasser.

                    Immer, wenn die Grünen die Möglichkeit hatten, entschieden sie sich für Linksbündnisse, so zuletzt in Bremen, obwohl die Union den Wahlsieger stellte. Machen wir uns nichts vor, die Grünen sind nicht liberal und nicht wirklich bürgerlich. Im Zweifel gehen sie lieber mit der Linkspartei als mit den Konservativen.

                    Die meisten Wählerwanderungen finden zwischen den Parteien statt, nicht über den Umweg Nichtwähler. Stefan, lies mal Wahlanalysen!

                    In einer Demokratie muss offen und transparent über Probleme gesprochen werden. Ich kann mich nicht erinnern, dass Konservative oder Liberale in den vergangenen 20 Jahren nur einmal bei einem Thema gesagt hätten, man dürfe es nicht thematisieren, weil man sonst anderen in die Hände spielen würde. Linke sagen das andauernd. Die Meinung, Deutschland habe 2015-2017 zu viele Migranten aufgenommen die sehr viele Probleme im Bereich der Gewaltkriminalität verursachen würden, liegt im Rahmen der Verfassung. Für Dich ist es, siehe oben, unsagbar. Bitte um Neujustierung Deiner Ansichten.

                    • Stefan Sasse 12. August 2020, 19:10

                      Ich werfe der FDP nicht vor, 2005 eine Ampel verhindert zu haben. Das träfe allenfalls für 2009 zu, weil die SPD zwischen 2005 und 2009 aggressiv um sie warb, ist aber angesichts des Zustandekommens von Schwarz-Gelb hirnrissig. Und seit 2009 hat die SPD ihren Kurs geändert und ist für die FDP (aktuell) kein Partner.

                      Die Grünen sind eine durch und durch liberale Partei, wenngleich wir vermutlich unterschiedliche Lesarten des Begriffs haben.

                      Dass Liberale und Konservative Themen nicht diskutieren wollen soll doch wohl ein Scherz sein?

                    • sol1 16. August 2020, 00:07

                      “ Stefan, lies mal Wahlanalysen!“

                      Lies *du* mal Wahlanalysen!

                      Gerade bei einer Partei wie der AfD sind die Wanderungsbewegungen, die zwischen ihr und den Lagern der Nichtwähler und der Wähler der „Sonstigen“ stattfinden, von elementarer Bedeutung:

                      https://wahl.tagesschau.de/wahlen/2017-09-24-BT-DE/wanderung_embed.shtml

                    • Stefan Sasse 16. August 2020, 08:58

                      Eben.

                  • R.A. 12. August 2020, 19:35

                    „Da es beim Veggie-Day um Kantinen des öffentlichen Diensts ging“
                    Nein. Das war die Rückzugsposition, nachdem die Grünen mit ihrer allgemeinen Veggie-Pflicht zu viel Gegenwind bekamen.

                    „Es ist die FDP, die seit 2005 einer Ampel kontinuierlich die Absage erteilt hat.“
                    Es gab schon in den 90er Jahren eine Ampel in Bremen, es gab immer wieder Ampel-Koalitionen auf kommunaler Ebene und seit 2016 gibt es die in Rheinland-Pfalz. Es gab auch diverse Ampel-Verhandlungen, und die sind nicht an der FDP gescheitert.

                    Das Problem ist halt, daß die Gegensätze zwischen Grünen und FDP sehr groß sind, die deutlich größten zwischen den Parteien des demokratischen Spektrums. Deswegen ist es nicht nur selten und schwierig eine Ampel zu bilden, meistens geht es auch anschließend schief.

                    • Stefan Sasse 12. August 2020, 21:47

                      Ich rede ja auch vom Bund. Und da waren die Grünen seinerzeit gar nicht Thema, die waren ja auch zu unwichtig. Die Kompatibilität zwischen SPD und FDP beherrschte die Fragestellung, auch zurecht. Das ist heute eine andere Dynamik.

                    • Ariane 12. August 2020, 22:05

                      Das lustige ist, dass es mittlerweile ziemlicher Konsens ist, dass wir in Kantinen gesünderes und besseres Essen brauchen (ob Veggie oder nicht). Die Frage ist doch mittlerweile völlig obsolet (außer bei der BILD meinetwegen, die machen sich aber auch Sorgen, ob das Schnitzel denn Covid hat)^^

                      Das Problem ist halt, daß die Gegensätze zwischen Grünen und FDP sehr groß sind, die deutlich größten zwischen den Parteien des demokratischen Spektrums

                      Das liegt aber eher daran, dass die FDP sich so extrem als Anti-Grüne positionieren, in SH regieren die ja harmonisch. Und gerade was „moderne Themen“ angeht, passen die eher zusammen beide als mit der Union. (und teils der SPD/LINKEn).
                      Ich glaube auch nicht, dass die FDP mit Lindner diesen Widerspruch aufgelöst bekommt, die ketten sich an eine Merz-Union, aber das ist das größte Gegenteil von ihrem modernen Image, das man sich nur denken kann. (Der Typ will E-Mail-Adressen für Schüler!). Eigentlich hat die Lindner-FDP die alte CSU-Rolle übernommen, während Söder mit den Grünen regiert und gegen die AfD kämpft.
                      Kann man ja machen, aber ich finde diese Entwicklung doch immer wieder aufs Neue erstaunlich^^

                    • R.A. 13. August 2020, 09:10

                      „dass es mittlerweile ziemlicher Konsens ist, dass wir in Kantinen gesünderes und besseres Essen brauchen“
                      Diesen Konsens gibt es nicht, weil in sehr vielen (wahrscheinlich den meisten) Kantinen das Essen gesund und gut ist.

                      „Die Frage ist doch mittlerweile völlig obsolet“
                      Nein. Denn die eigentliche Frage ist, ob die Politik (und speziell die Grünen) das Recht haben, sich in die private Lebensführung einzumischen.
                      Es stört niemand, wenn Habeck und Co. gerne vegetarisch essen und das auch öffentlich erzählen. Dito für viele andere private Gewohnheiten.

                      Aber kritisch wird es, weil sie regelmäßig versuchen diese ihre persönliche Gewohnheit per Gebot oder Verbot als staatliche Maßnahme durchzudrücken.
                      Da ist dann vor allem bei FDP-Wählern der absolut neuralgische Punkt erreicht. Auch der vegetarisch lebende Liberale lehnt einen staatlich verordneten Veggie-Day ab.

                      „Das liegt aber eher daran, dass die FDP sich so extrem als Anti-Grüne positionieren“
                      Das liegt daran, daß die Grünen viel mehr als alle anderen Parteien ins Privatleben hineinregieren wollen und da setzen dann die liberalen Abwehrreflexe ein.
                      Umgekehrt ist aber auch die FDP für die Grünen Feindbild Nummer Eins.

                      „Und gerade was „moderne Themen“ angeht, passen die eher zusammen beide als mit der Union.“
                      Das sind nur sehr wenige Themen und die sind auch nicht wirklich auf der Tagesordnung. Wenn es ums praktische Regieren geht spielen die Gemeinsamkeiten fast keine Rolle.

                      „Ich glaube auch nicht, dass die FDP mit Lindner diesen Widerspruch aufgelöst bekommt“
                      Das hat nichts mit Lindner zu tun. Das liberale Beharren auf individueller Entscheidungsfreiheit ist die absolute Basis der FDP-Arbeit. Jeder Vorsitzender vertritt das.

                      „Der Typ will E-Mail-Adressen für Schüler!“
                      Und? Das ist vielleicht unnötig, aber auf jeden Fall unkritisch.

                    • Ariane 13. August 2020, 10:37

                      Essen in der Kantine ist keine individuelle Entscheidung, es geht ja eben nicht darum, was man in seiner eigenen Küche isst.
                      Es geht darum, die Kriterien zu erweitern, so dass nicht nur Finanzoptimierung eine Rolle spielt, das ist eine normale politische Entscheidung.

                      „Und gerade was „moderne Themen“ angeht, passen die eher zusammen beide als mit der Union.“
                      Das sind nur sehr wenige Themen und die sind auch nicht wirklich auf der Tagesordnung.

                      Bürgerrechte sind auf der Tagesordnung, aber halt nicht bei der FDP und der Union.
                      Dieses Ketten an die Union ist völlig widersinnig für eine Partei, die ein junges, modernes Image will.

                      „Der Typ will E-Mail-Adressen für Schüler!“
                      Und? Das ist vielleicht unnötig, aber auf jeden Fall unkritisch.

                      Das ist ne Aussage aus den 90ern. Heutzutage haben alle eine Email-Adresse, weil man die fürs Smartphone braucht.
                      Normale PCs sind im Privatgebrauch gerade bei Jugendlichen schon überholt. Es ist ne Nonsens-Aussage.

                    • Stefan Pietsch 13. August 2020, 11:25

                      Essen in der Kantine ist keine individuelle Entscheidung, es geht ja eben nicht darum, was man in seiner eigenen Küche isst.

                      Da Kräuseln sich ja die Fußnägel. Eine Kantine ist ein freiwilliges Angebot des Arbeitgebers zur Bewirtung der Mitarbeiter. Umgekehrt ist kein Mitarbeiter verpflichtet, das Angebot anzunehmen. Viele tun dies auch nicht, sondern verzichten auf Verpflegung oder gehen andersweitig essen.

                      Typisch links: alles ist öffentlich.

                    • Ariane 13. August 2020, 11:35

                      Das würde doch auch so bleiben. Wenn die Kriterien geändert werden, ist immer noch niemand verpflichtet, den Kram auch zu essen.

                      Typisch rechts: Aus dem jetzigen Zustand den Normalzustand machen und aus jeder Änderung eine Zwangsverpflichtung, die Demokratie, Wohlstand und Freiheit gefährdet.

                    • TBeermann 13. August 2020, 11:31

                      OK Boomer.

                    • Stefan Pietsch 13. August 2020, 11:43

                      Ob ein Unternehmen Essen anbietet oder es unterlässt, ist eine absolut freiwillige Sache. Und wenn dies freiwillig ist, dann entscheidet das Unternehmen selbst über das Angebot.

                      Und wenn es jeden Tag nur Bratwürste gibt, dann ist das so. Jedem Mitarbeiter steht es frei, zu nächsten Pommesbude, REWE oder Schnellimbiss zu gehen und sich dort (ohne Zwangsauflagen) selbst zu versorgen.

                      Unternehmen mit angeschlossener Kantine haben ein Eigeninteresse, den Mitarbeitern Essen anzubieten, welches gewünscht wird. Schließlich bezahlen sie dafür und betreiben ein Zuschussgeschäft. Da bedarf es keiner behördlichen Auflage, wo der Staat mitentscheidet, was den Leuten zu munden hat.

                    • R.A. 13. August 2020, 11:45

                      „Essen in der Kantine ist keine individuelle Entscheidung“
                      Aber selbstverständlich ist sie das. Es gibt in der Regel verschiedene Angebote, aus denen wähle ich individuell aus. Oder bleibe weg, wenn mir die Angebote nicht passen (z. B. am Veggie Day).

                      „das ist eine normale politische Entscheidung.“
                      Überhaupt nicht. Eine Kantine ist ein privates Unternehmen mit privaten Kunden. Was da angeboten wird geht die Politik überhaupt nichts an.

                      „Bürgerrechte sind auf der Tagesordnung“
                      In Deutschland sind sie fast kein Thema mehr, weil sie längst durchgesetzt sind und gesetzlich geschützt sind. Es gibt derzeit eine Diskussion über die Angemessenheit der Corona-Maßnahmen bzw. die Verhältnismäßigkeit bei der Einschränkung von Bürgerrechten. Aber das ist ein aktuelles Spezialthema.

                      „Dieses Ketten an die Union ist völlig widersinnig“
                      Es gibt kein Ketten an die Union, die Union macht ja inzwischen im wesentlichen grüne Politik – nur weniger dogmatisch.
                      Grundsätzlich hat die FDP nur die Wahl zwischen verschiedenen Übeln (wenn sie überhaupt die Wahl hat). Mit einem Scholz könnte sie besser koalieren als mit Merkel – aber natürlich nicht, wenn der das Programm der SPD-Linken durchsetzen muß.

                      „Heutzutage haben alle eine Email-Adresse“
                      Eine private. Es ging m. w. um eine Schuladresse, so wie Erwachsene meist eine zweite Adresse im Büro haben.
                      Auf jeden Fall ein völlig unwichtiges Thema – das entscheidet keine Koalitionen.

                    • Ariane 13. August 2020, 14:25

                      In Deutschland sind sie fast kein Thema mehr, weil sie längst durchgesetzt sind und gesetzlich geschützt sind.

                      Ok Boomer! Weißte, vielleicht sind deine Bürgerrechte geschützt, meine aber nicht?
                      Kann ich mich frei über einen Schwangerschaftsabbruch informieren? Oh
                      Kann ein Gynäkologe auf seiner Homepage schreiben, dass er Schwangerschaftsabbrüche narkosefrei durchführt? Oh
                      Ist ein Schwangerschaftsabbruch weiterhin immer illegal? Oh
                      Werden gerade etliche Gynäkologen verklagt und ist die Informationsfreiheit (ein Grundrecht!) eingeschränkt? Oh.

                      Ist ja schön, dass deine Bürgerrechte nur durch ne Pandemie-Maßnahme eingeschränkt sind, die meinte ich nicht! Ich meinte auch keine Geschwindigkeitsbegrenzung, die ja auch kurz vor Freiheitsberaubung ist.
                      Aber schön, dass den Grünen unterstellt wird, in private Entscheidungen eingreifen zu wollen, während die Rechtsliberalkonservativen natürlich die super-Freiheitlichen sind. Dass ich nicht lache! Die FDP kann drei Kreuze machen, dass die Kanzlerin die Ehe für alle abgeräumt hat, bevor das Thema auch komplett bei den Grünen gelandet ist.

                    • R.A. 13. August 2020, 11:50

                      „Typisch rechts: Aus dem jetzigen Zustand den Normalzustand machen“
                      Der jetzige Zustand ist normal, weil Anbieter und Kunden frei entscheiden können. Entspricht den Vorgaben des Grundgesetzes und den Bürgerrechten.

                      “ und aus jeder Änderung eine Zwangsverpflichtung“
                      Nicht aus jeder Änderung. Wohl aber bei Änderungen, die eine Zwangsverpflichtung bedeuten.
                      Und es ist eine (letztlich GG-widrige) Zwangsverpflichtung, wenn irgendwelche Politiker privaten Gastronomen vorschreiben, was sie anzubieten haben.

                    • Ralf 13. August 2020, 12:49

                      Eine Kantine ist ein privates Unternehmen mit privaten Kunden. Was da angeboten wird geht die Politik überhaupt nichts an.

                      Was in einer Kantine angeboten wird, und noch mehr was bundesweit in allen Großkantinen zusammengenommen angeboten wird, hat bedeutende gesundheitspolitische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Konsequenzen. Das Angebot ungesunden Essens führt z.B. zum Konsum ungesunden Essens und der Konsum ungesunden Essens führt zu hohen gesamtgesellschaftlichen Kosten, die wir alle gemeinsam tragen müssen. Die Reduzierung von Fleischkonsum wiederum hilft die Klimaziele zu erreichen, was umgekehrt bedeutet, dass wenn wir den Fleischkonsum nicht reduzieren, wir andere Maßnahmen ergreifen werden müssen; Maßnahmen, die aller Wahrscheinlichkeit nach wirtschaftlich teuer sein werden und Arbeitsplätze kosten werden.

                      All dies bedeutet natürlich nicht zwingend, dass der Staat Kantinen regulieren MUSS. Es bedeutet auch nicht, dass ein Veggie-Day eingeführt werden MUSS. Aber Überlegungen dahingehend sind plausibel und sowohl dem Kantinenbetreiber als auch dem Kunden zumutbar. Davon dass das Kantinenessen “reine Privatsache” sei, kann keine Rede sein.

                    • Ariane 13. August 2020, 14:27

                      Davon dass das Kantinenessen “reine Privatsache” sei, kann keine Rede sein.

                      Meistens gibt es auch sehr strenge Vorgaben finanzieller Natur, welches Catering man dafür nimmt. So frei wie hier dargestellt ist, sind die Unternehmen da eben nicht.

                    • Stefan Sasse 14. August 2020, 22:32

                      Es gibt letztlich praktisch nichts, was „reine“ Privatsache ist. Die meisten Entscheidungen haben irgendwie Einfluss auf andere. Die Frage ist ja lediglich, ob es verhältnismäßig ist, dass der Staat reguliert. Üblicherweise nein. Aber die Argumentation „rein privat“ ist eine Nebelkerze.

                    • Stefan Pietsch 13. August 2020, 14:51

                      Schön alles vermischen, alles hängt ja mit allem zusammen.

                      Kantine und Catering sind nicht das Gleiche. Eine Kantine wird üblicherweise vom Unternehmen des Arbeitgebers selbst betrieben, die Beschäftigten sind Angestellte des Unternehmens, die Kosten werden nach Personal- und Sachkosten ausgewiesen. In solchen Fällen bietet das Unternehmen typischerweise mehrere Gerichte nach Preisklasse und Vorlieben an. Finanziell sind es reine Zuschussbetriebe.

                      Beim Catering wird ein externes Unternehmen mit der Bewirtung beauftragt. Der Caterer ist Auftragnehmer. Der Auftrag erfolgt auf Basis Kostendeckung für den Arbeitgeber. Ein Caterer bietet typischerweise nur ein oder wenige Gerichte an und ist daher nicht so komfortabel wie eine Kantine.

                      Es gibt natürlich Mischformen der Geschäftsbesorgung. Aber: getrennte Sachen, getrennt zu diskutieren. Und erst recht, wenn es dann mit Philosophien daher kommt a la „enge Vorgaben“.

                    • Stefan Pietsch 13. August 2020, 15:03

                      Das Angebot ungesunden Essens führt z.B. zum Konsum ungesunden Essens und der Konsum ungesunden Essens führt zu hohen gesamtgesellschaftlichen Kosten, die wir alle gemeinsam tragen müssen.

                      Kurze Frage zum Nachdenken: Wozu führt das heimische Kochen ungesunden Essens? Gibt es da Unterschiede?

                      Das ist der Unterschied zwischen Liberalen und Sozialisten: Sozialisten wollen mit den Mitteln des Ordnungsrechts (Du hast zu tun) einen besseren Menschen bilden. Der Liberale lässt die Wahl. Die Mittel der Wahl sind Preisgestaltung (Internalisierung von externen Kosten), Aufklärung, Erziehung. Wenn jemand dennoch seine Gesundheit schädigen will, sei’s drum. Doch dann kommt der gütige Sozialist und nimmt alle Kosten, die der Schädiger verursacht hat, auf seine Kappe. Diabetes 2 und alle sonstigen Krankheiten der Moderne verursacht durch ungesunden Lebenswandel werden übernommen. Im Gegenzug nehmen sich die Gesellschaftsdesigner jedoch das Recht den Bürger zu leiten.

                      Mal angenommen, das vegane Angebot wird nicht angenommen. Neben dem ohnehin defizitären Geschäftsbetrieb hat der Arbeitgeber ob des Weglaufens der Mitarbeiter zu McDonald an Donnerstagen das Problem, nicht einmal den typischen Umsatz zu haben, sondern weniger und dafür die gleichen Fixkosten für Personal und Miete. Spätestens dann könnte so mancher Arbeitgeber die Lust daran verlieren, eine Kantine als Zuschussbetrieb zu betreiben, wo er nicht das Essen anbieten kann, was die Mitarbeiter wollen, sondern was sich ein Bürokrat und ein paar Weltverbesserer ausgedacht haben. Dann gehen die Leute vermehrt zur Fastfood-Kette um die Ecke.

                      Was folgt dann? Dann müssen die Fastfood-Ketten natürlich in ihrem Geschäftstrieb eingeschränkt werden. Vorgaben sind notwendig. An manchen Tagen dürfen sie kein Fleisch anbieten, was im Grunde auf ein Betreibungsverbot hinausläuft.

                      Es ist wie immer: Einmalige ordnungsrechtliche Eingriffe führen zu weiteren Eingriffen, weil das Ordnungsrecht die Anpassungen der Bürger nicht mitdenken kann. Eingriff über Eingriff, aber ja nur zum Wohl aller.

                    • Ralf 13. August 2020, 15:21

                      Kurze Frage zum Nachdenken: Wozu führt das heimische Kochen ungesunden Essens? Gibt es da Unterschiede?

                      Ja, gibt es. Das heimische Kochen ist nicht praktikabel zu regulieren. Und die meisten Menschen würden einen solchen Schritt auch nicht für verhältnismäßig halten.

                      Was die Gefahr angeht, dass die Kantine Kunden verlieren könnte, wenn sie an einem Tag der Woche vegetarische Kost anbietet, mag das so sein. Ausgesprochen wahrscheinlich ist das meiner Meinung nach aber nicht. Und in anderen Situationen lässt man das als Gegenargument gewöhnlich auch nicht gelten. Die Alkoholpromillegrenze beim Autofahren nimmt den Wirten z.B. vermutlich auch Geschäft weg. Viele Bars, Gaststätten und Biergärten hätten womöglich noch das ein oder andere Bier mehr verkauft, wenn diese Grenze nicht existieren würde. Letztlich ist es eben immer eine Abwägungsfrage.

                      Deshalb behaupte ich ja auch nicht, dass ein Veggie-Day unter allen Umständen unbedingt eingeführt werden muss. Verschiedene Bürger kommen bei der Abwägung von Gesundheit und Klimazielen auf der einen Seite und der Freiheit Essensangebote nicht zu regulieren auf der anderen Seite zu unterschiedlichen Ergebnissen. Das ist auch gut so. Dafür gibt es unterschiedliche Parteien. Ich wehre mich lediglich gegen die Aussage, der Staat hätte “natürlicherweise” in dieser Frage nichts zu suchen. Das ist eben nicht der Fall. Und letztlich ist alles immer ein Trade-Off. Ganz vereinfacht ausgedrückt heißt weiterhin viel billiges Fleisch in Kantinen dann eben hohe Abgaben für uns alle für ein immer teureres Gesundheitssystem, sowie Mehrkosten für uns alle durch hohe CO2-Steuern. Denn das Gesundheitssystem und den Klimaschutz müssen wir so oder so finanzieren. Und konfrontiert mit diesen Alternativen greift dann womöglich auch das eine oder andere FDP-Mitglied zum Sellerieschnitzel.

                    • Stefan Pietsch 15. August 2020, 16:41

                      @Ralf

                      Das heimische Kochen ist nicht praktikabel zu regulieren.

                      Fleisch ist ungesund und klimaschädlich, aber da wir es in der Kantine regulieren können und zu Hause nicht, behandeln wir es unterschiedlich. Das wäre so als wenn Sie in der Großstadt das Überfahren einer roten Ampel mit Führerscheinentzug bestrafen, auf dem Land aber ungeahndet lassen. Dort ist es schließlich nur mit großem Aufwand zu verfolgen.

                      Was die Gefahr angeht, dass die Kantine Kunden verlieren könnte, wenn sie an einem Tag der Woche vegetarische Kost anbietet, mag das so sein.

                      Das wird so sein, weil nun mal nicht jeder vegetarisch mag. Was wiederum zur Folge hat, dass weniger im Betrieb und mehr bei McDonald essen. Das wiederum wird möglicherweise zur Folge haben, dass mehr Unternehmen auf eine Kantine verzichten. Käme es so, wäre dies ein klassisches Eigentor und würde weitere Eingriffe nach sich ziehen. Und das ist immer so.

                      Die Alkoholpromillegrenze beim Autofahren nimmt den Wirten z.B. vermutlich auch Geschäft weg.

                      Wieso? Das setzte voraus, dass es wirklich signifikant Menschen gibt, die Alkohol trinken und besoffen Auto fahren wollen. Zwei Freiheiten kombiniert. Beim Veggies Day wird aber nur die Einschränkung eines Freiheitsrechts betrachtet. Daher ist der Vergleich schief.

                      Ich wehre mich lediglich gegen die Aussage, der Staat hätte “natürlicherweise” in dieser Frage nichts zu suchen.

                      Hat er auch nicht. Ihn geht es nichts an, was ich esse. Schließlich geht es ihn auch nichts an, wie ich wohne, in einem Ein-Zimmer-Apartment oder in einem 50-Zimmer-Haus. Sie müssen nun zwingend Einspruch erheben, schließlich nimmt ein 50-Zimmer-Haus für eine Person anderen Platz weg. Sie sehen, wo wir mit Ihren Ansichten hinkommen.

                    • Ralf 15. August 2020, 18:07

                      @ Stefan Pietsch

                      Das wäre so als wenn Sie in der Großstadt das Überfahren einer roten Ampel mit Führerscheinentzug bestrafen, auf dem Land aber ungeahndet lassen.

                      Na und? Gesetze enthalten meist willkürliche Elemente. Warum dürfen Sie in Deutschland erst ab 18 Jahren Auto fahren? In anderen Ländern gibt es andere Altersschwellen …

                      Was wiederum zur Folge hat, dass weniger im Betrieb und mehr bei McDonald essen. Das wiederum wird möglicherweise zur Folge haben, dass mehr Unternehmen auf eine Kantine verzichten.

                      Das sind eine ganze Menge Hypothesen, die Sie hier aneinanderreihen. Bei uns z.B. wäre die nächste Imbissbude 1-2 km weit weg. Bei meiner letzten Arbeit wäre es eine ähnliche Distanz gewesen. Und meist gehen mehrere Kollegen zusammen essen. Unwahrscheinlich dass sich da einer alleine abseilt oder dass alle 20 Minuten hin zu einem Imbiss und 20 Minuten zurück laufen wollen, wenn die Kantine im selben Gebäude ist. Ein vegetarischer Tag kann übrigens verschiedene Gerichte enthalten, die für fast alle etwas bieten: Falafel vom Grill, ein frischer Salat, eine Gemüsesuppe, ein Linseneintopf oder süße Pfannkuchen wären z.B. eine Kombination, wo selbst ich etwas finden würde, und ich bin passionierter Fleischesser und Grillfreund.

                      Wieso? Das setzte voraus, dass es wirklich signifikant Menschen gibt, die Alkohol trinken und besoffen Auto fahren wollen.

                      Nicht unbedingt besoffen, aber eben mehr als 0,5 Promille. Da bin ich sehr optimistisch, dass sich sehr viele finden würden, die gern noch das eine oder andere Bier zusätzlich trinken würden.

                      Ihn geht es nichts an, was ich esse

                      Da finden wir nicht zueinander. Die Gründe habe ich oben genannt. Was alle Bürger des Landes zusammengenommen essen, hat enorm große Auswirkungen auf die Gesellschaft und ist folglich nicht nur Privatsache.

                    • Stefan Pietsch 15. August 2020, 18:42

                      Na und? Gesetze enthalten meist willkürliche Elemente. Warum dürfen Sie in Deutschland erst ab 18 Jahren Auto fahren? In anderen Ländern gibt es andere Altersschwellen …

                      Der Punkt war, dass Sie es rechtfertigen, wenn ein Bürger unter sonst gleichen Bedingungen an einem Ort darf was andernorts verboten ist. Das ist Willkür.

                      Ja, die Gewährung von Rechten sind Konventionen. Warum gibt es in Deutschland die Begrenzung auf 18 Jahre? Weil wir zufällig ab diesem Alter auch die Volljährigkeit zuerkennen. Damit verbunden ist die Geschäftsfähigkeit und die volle Strafmündigkeit (ich weiß, Ausnahme). Alles gilt ab der gleichen Grenze. Genau deswegen bin ich auch dagegen, das Wahlalter davon abweichend abzusenken. Rechte und Pflichten gehören zusammen.

                      Das sind eine ganze Menge Hypothesen, die Sie hier aneinanderreihen.

                      Klar, bestreite ich auch nicht. Ist auch nicht mein Prinzip. Ich sage auch nicht, dass es so kommen muss. Nur Ihre statische Präsentation ist weltfremd. Sie nehmen einen Eingriff (Einführung Veggies Day) vor. Die Änderung von Bedingungen, erst recht durch den Staat, führt immer zu Verhaltensänderungen. Diese Verhaltensänderungen haben wiederum Auswirkungen.

                      Typischerweise nutzen zwischen 30 und 80 Prozent der Belegschaft die Kantine. Sicher eine große Spannbreite. Relevant ist, dass nie alle Mitarbeiter das Angebot annehmen, sie verpflegen sich in irgendeiner Form anders. Die Einschränkung von Angeboten führt in freien Gesellschaften fast nie dazu, dass sich die Konsumenten einschränken, sondern selbst neue Angebote suchen, die ihren Bedürfnissen entsprechen (Substitution).

                      ich bin passionierter Fleischesser und Grillfreund.

                      Zumindest da sind wir nicht auseinander. 😉

                      Nicht unbedingt besoffen, aber eben mehr als 0,5 Promille.

                      Sie behaupten, es gäbe einen Anspruch, zwei Rechte in Kombination zu nutzen. Dem ist nirgends so. Sie dürfen in den USA sowohl eine Waffe erwerben als auch einen Menschen erschießen. Was Sie nicht dürfen, ist, dies in beliebiger Kombination zu tun.

                      So steht es jedem Bürger frei, sich zu betrinken (oder mehr als 0,5 Promille) als auch Auto zu fahren. Nur setzt das Führen eines Kfz die Fahrtauglichkeit voraus. Jedem steht es genauso frei, die Fahrtauglichkeit zu erringen, zu erhalten als auch zu verlieren.

                      Da finden wir nicht zueinander.

                      Das war auch nicht zu erwarten. 🙂

                      Was alle Bürger des Landes zusammengenommen essen, hat enorm große Auswirkungen auf die Gesellschaft und ist folglich nicht nur Privatsache.

                      Das ist der springende Punkt. Das Verhalten der Summe aller mag für die Gesellschaft schädlich sein. Die Schlussfolgerung ist dennoch nicht zulässig, dass damit das Verhalten des Einzelnen automatisch auch schädlich ist. So ist Rauchen für die Gesellschaft von großem Schaden – frühe Sterblichkeit, Gesundheitskosten, Beeinträchtigungen. Helmut Schmidt hat geraucht wie ein Schlot. Dennoch kann man nicht automatisch sagen, dass er mit seinem Verhalten die Gesellschaft geschädigt hätte. Er ist immerhin über 93 geworden und hat noch in hohem Alter Steuern und Sozialbeiträge gezahlt.

                      Ich verstehe unter diesem Aspekt nicht, warum Sie es so vehement ablehnen, Menschen die sich unvernünftig verhalten, an den Folgekosten ihres Tuns zu beteiligen. So ist Diabetes 2 fast ausschließlich durch ungesunde Lebensweise bedingt und verursacht jährlich über 35 Milliarden Euro an Kosten. Diese werden fast vollständig von der Solidargemeinschaft übernommen.

                      Sie wollen das nicht ändern, sondern sagen, weil wir als Gemeinschaft diese Kosten übernehmen, haben wir ein erhebliches Mitspracherecht bei Deiner Lebensführung. Doch das heißt das Pferd von hinten aufgezäumt auf Kosten der individuellen Freiheit.

                    • Ralf 15. August 2020, 22:40

                      Der Punkt war, dass Sie es rechtfertigen, wenn ein Bürger unter sonst gleichen Bedingungen an einem Ort darf was andernorts verboten ist. Das ist Willkür.

                      Ja, aber ich habe damit kein Problem. So wie ich kein Problem damit habe, dass das Wahlalter bei 18 liegt. Meinetwegen könnte es auch bei 16 liegen. Oder bei 21. Es muss halt irgendwo liegen. Und wo es zum Liegen kommt ist immer Willkür. Egal ob es mit der Altersschwelle für den Führerschein, der Strafmündigkeit und der Geschäftsfähigkeit zusammenfällt. Alle diese Schwellen könnten auch bei 17 Jahren zusammenfallen, oder bei 19. Die Grenze, auf die wir uns geeinigt haben, ist Willkür. Und das ist so auch in Ordnung.

                      Nur Ihre statische Präsentation ist weltfremd. Sie nehmen einen Eingriff (Einführung Veggies Day) vor. Die Änderung von Bedingungen, erst recht durch den Staat, führt immer zu Verhaltensänderungen. Diese Verhaltensänderungen haben wiederum Auswirkungen.

                      Klar. Nur ist gegenwärtig nicht abzusehen, ob diese Auswirkungen groß oder klein wären. Und es ist auch nicht klar, ob die Auswirkungen in die Richtung gingen, die Sie nahelegen. Möglicherweise werden die Auswirkungen sein, dass mehr Menschen sich einmal in der Woche vegetarisch ernähren.

                      Wann immer der Staat (oder der Arbeitgeber oder das Familienoberhaupt etc.) etwas reguliert, lohnt es sich nach einiger Zeit zu überprüfen, ob die angestrebten Ziele erreicht worden sind oder nicht. Falls nicht, passen intelligente Regulatoren ihre Regulation an oder nehmen sie zurück. Ein Beispiel wäre etwa die Prohibition in den USA.

                      [ich bin passionierter Fleischesser und Grillfreund.]

                      Zumindest da sind wir nicht auseinander.

                      Das ist doch mal schön … 🙂

                      Nur setzt das Führen eines Kfz die Fahrtauglichkeit voraus.

                      Ja, aber was ist „Fahrtauglichkeit“? Das entscheidet der Staat per Gesetz. Als ich meinen Führerschein gemacht habe, waren Fahrtauglichkeit 0,8 Promille. Heute sind es 0,5 Promille. Geändert haben sich nicht die Menschen bzw. deren Alkoholtoleranz, sondern der Promille-Schwellenwert. Auch darin liegt viel Willkür. Nicht jeder ist bei 0,5 Promille gleich fahrtauglich und so manch gestählter Trinker fährt mit 1,0 Promille immer noch weit besser und sicherer als der halbblinde 80jährige Greis ohne Reaktionszeit aber mit grauem Führerschein als Papierheft.

                      Das ist der springende Punkt. Das Verhalten der Summe aller mag für die Gesellschaft schädlich sein. Die Schlussfolgerung ist dennoch nicht zulässig, dass damit das Verhalten des Einzelnen automatisch auch schädlich ist.

                      Ist beim Trinken und Autofahren wie gesagt genauso. So mancher Autofahrer fährt auch mit 1,0 Promille noch ausreichend gut. Regulation hat nicht den Anspruch dem einzelnen gerecht zu werden. Es geht nur um zwei Fragen:

                      1) Ist der regulative Eingriff verhältnismäßig?

                      2) Führt der regulative Eingriff zum angestrebten Ziel?

                      Ich habe Verständnis, wenn Sie in diesem Fall die erste Frage mit „nein“ beantworten. Das ist dann halt Ihre Meinung. Und die Meinung ist auch weder absurd noch unnachvollziehbar. Sie ist halt nur nicht die „natürlicherweise einzig richtige“ Meinung. Ich habe z.B. eine andere Meinung und denke, ich kann meine Meinung auch schlüssig begründen.

                      Die zweite Frage können wir, wenn wir ehrlich sind, beide nicht beantworten. Bislang gibt es in Deutschland keinen Veggie-Day. Möglicherweise wird es nie einen geben. Was für Auswirkungen ein Veggie-Day haben würde, kann man aber erst dann sicher sagen, wenn einer eingeführt worden ist. Bis dahin ist alles nur Spekulation.

                      Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich aber folgende Geschichte erzählen. Beim Grill unserer Cafeteria stand ab irgendwann plötzlich ein Schild, das die Kalorien einer Portion Pommes Frites den Kalorien von ein paar Selleriestauden gegenüberstellte. Daneben standen kleine Töpfe mit vorabgepackten Sellerie. Da man 10-15 Minuten am Grill stand, schaute man wieder und wieder auf dieses Schild. Ich mag Pommes Frites sehr viel lieber als Sellerie, aber in 60-70% der Fälle hab ich ein schlechtes Gewissen bekommen und trotzdem die Sellerie genommen. War für meine Gesundheit sicher gut! Irgendwann verschwand dann das Schild. Die Salattheke ist direkt hinter dem Grill. Ich hätte mir jederzeit Sellerie von dort nehmen können. Und ich wusste ja jetzt um die Kalorien. Aber seitdem das Schild weg war, hab ich nur noch Pommes genommen. So sind Menschen halt. Es ist absolut möglich aus meiner Sicht, dass ein gut kommunizierter Veggie-Day – wenn es eine gute Auswahl an Menüs gibt – angenommen würde von der Mehrheit der Kunden.

                    • sol1 16. August 2020, 00:10

                      /// „Da es beim Veggie-Day um Kantinen des öffentlichen Diensts ging“
                      Nein. Das war die Rückzugsposition, nachdem die Grünen mit ihrer allgemeinen Veggie-Pflicht zu viel Gegenwind bekamen. ///

                      Das ist glatt gelogen:

                      „Öffentliche Kantinen sollen Vorreiterfunktionen übernehmen. Angebote von vegetarischen und veganen Gerichten und ein „Veggie Day“ sollen zum Standard werden.“

                      https://de.wikipedia.org/wiki/Kontroverse_um_den_Veggietag

                    • Stefan Sasse 16. August 2020, 08:58

                      Natürlich ist es das.

                    • Stefan Pietsch 16. August 2020, 11:26

                      Und es ist auch nicht klar, ob die Auswirkungen in die Richtung gingen, die Sie nahelegen. Möglicherweise werden die Auswirkungen sein, dass mehr Menschen sich einmal in der Woche vegetarisch ernähren.

                      Um das klarzustellen: ich habe nicht eine Richtung nahegelegt, sondern dass es zu Anpassungsprozessen kommen wird. Ob tatsächlich ob Auflagen mehr Menschen vegan essen, dürfte jedoch sehr zweifelhaft sein. Größeren Einfluss als Verbote und Verordnungen hatten immer Aufklärungsmaßnahmen. Auch das Rauchen wurde nicht durch Werbeverbote zurückgedrängt, sondern in dem bereits in Schulen über die Gefahren aufgeklärt wurde. Deswegen ist die Zahl der jugendlichen Einsteiger stetig zurückgegangen, deswegen gab es immer weniger Konsumenten. Und keine Maßnahme war so wirksam im Kampf gegen die Droge Heroin wie Buch und Film „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“.

                      Wann immer der Staat (oder der Arbeitgeber oder das Familienoberhaupt etc.) etwas reguliert, lohnt es sich nach einiger Zeit zu überprüfen, ob die angestrebten Ziele erreicht worden sind oder nicht.

                      Woraus leiten Sie eigentlich das Recht zum Eingriff ab? Das Recht auf (regelmäßigen) Fleischkonsum lässt sich z.B. aus der Vertragsfreiheit ableiten. Durch den Kauf und Verzehr eines Rindersteaks wird nicht das Grundrecht eines anderen berührt. Es gibt keinen verfassungsrechtlichen Ansatz für eine Einschränkung.

                      Das ist nicht trivial, wie die verfassungsrechtlichen Debatten über die Corona-Beschränkungen zeigen. Und da geht es um weit unmittelbarerer Gefahren.

                      Ja, aber was ist „Fahrtauglichkeit“? Das entscheidet der Staat per Gesetz.

                      Nein. Das steht am Ende. Am Anfang steht das Schlangenlinienfahren oder der Unfall. Erst danach greifen die gesetzlichen Bestimmungen.

                      Ich bin auch mit 2,2 Promille noch fahrtüchtig. Nur habe ich es noch nie ausprobiert. 🙂

                      Die zweite Frage können wir, wenn wir ehrlich sind, beide nicht beantworten. Bislang gibt es in Deutschland keinen Veggie-Day.

                      Die erste Frage lautet, ist das propagierte Ziel überhaupt im Rahmen der Verfassung und der Grundrechte zulässig. Dann kommt die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel und dann die Geeignetheit. Da sind also ein paar Fragen vorgeschoben. Die Grünen haben sich jedoch erst gar nicht die Mühe gemacht, eins und zwei zu begründen.

                      Ich esse inzwischen einmal die Woche als Mahlzeit einen Salat und ein bis zweimal Sushi. Nicht, weil es mir eine staatliche Institution ans Herz legt, sondern weil ich aufgeklärt bin, an meiner Gesundheit Interesse habe, in meiner sexuellen Ausstrahlung attraktiv bleiben will, ein langes Leben anstrebe und ich nebenbei Sushi-Fanatiker bin. 🙂

                    • Ralf 16. August 2020, 14:12

                      Größeren Einfluss als Verbote und Verordnungen hatten immer Aufklärungsmaßnahmen.

                      Das wage ich sehr zu bezweifeln. Gerade gegenwärtig in der Coronakrise sehen wir zum x-ten Mal was passiert, wenn man sich auf die Vernunft und das Gemeinschaftsgefühl der Menschen verlässt… ^^

                      Aber im Grunde möchte ich Ihnen garnicht harsch widersprechen. Auch ich denke, dass freiwillige Veränderungen grundsätzlich besser und nachhaltiger sind als per Gesetz erzwungene. Wenn etwas mittels Aufklärung und persönlicher Motivation erreicht werden kann, dann ist dieser Weg immer vorzuziehen. Ich hatte ja oben mein eigenes Kantinenbeispiel genannt. Auch da ging es ja um Freiwilligkeit.

                      Der Fairness halber sollten wir uns aber erinnern, dass auch das damalige Wahlprogramm der Grünen von Aufklärung sprach und vom Schaffen von Angeboten. Ohne Angebote kann der Kunde eben auch nicht freiwillig wählen. Selbst die explizite Passage über den Veggie-Day ließ offen, ob hier per Gesetz und Verbot oder über Aufklärung und Anregung agiert werden sollte. Es wurde lediglich ein wolkiges Ziel vorgegeben, dass nämlich angestrebt werden sollte, dass viele Menschen zumindest an einem Tag in der Woche vegetarisch essen. Wenn man in Betracht zieht, dass Wahlprogramme qua ihrer Natur polarisierend sind und nicht spätere Kompromisspositionen in einer möglichen Regierung darstellen, dann ist der reale Output, der aus einer solchen Stelle des Programms folgen könnte eher moderat: Man könnte es so zusammenfassen, dass Kantinen gutes vegetarisches Essen als Alternative anbieten sollten und dass echte Anstrengungen unternommen werden sollten, dass dieses Essen vom Kunden auch positiv aufgenommen wird. Hier zur Erinnerung nochmal die Stelle aus dem Programm der Grünen, die sich wirklich harmlos liest, wenn man nicht fanatisch auf einen Verbots-Veggie-Day fixiert:

                      [Pro Kopf und Jahr essen wir Deutsche rund 60 Kilo Fleisch. Dieser hohe Fleischverbrauch birgt nicht nur gesundheitliche Risiken. Er erzwingt auch eine Massentierhaltung, die auf Mensch, Tiere und Umwelt keine Rücksicht nimmt. Deshalb fordern wir mehr Verbraucheraufklärung zu den gesundheitlichen, sozialen und ökologischen Folgen des Fleischkonsums. Öffentliche Kantinen sollen Vorreiterfunktionen übernehmen. Angebote von vegetarischen und veganen Gerichten und ein „Veggie Day“ sollen zum Standard werden. Wir wollen ein Label für vegetarische und vegane Produkte.]

                      Woraus leiten Sie eigentlich das Recht zum Eingriff ab?

                      Ich bin kein Jurist und leite nichts ab. Aber ich bin optimistisch, dass es in einem Land, in dem Gurt- und Helmpflicht gelten, Alkoholgrenzen für die Fahrtüchtigkeit vorliegen und in dem in Bars und Gaststätten nicht geraucht werden darf, rechtlich durchsetzbar ist, das Angebot von Großkantinen zu regulieren, solange die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt.

                      Das steht am Ende. Am Anfang steht das Schlangenlinienfahren oder der Unfall. Erst danach greifen die gesetzlichen Bestimmungen.

                      Nein, die gesetzlichen Bestimmungen stehen am Anfang. Wenn Sie am Steuer sitzen und von der Polizei angehalten werden und Ihnen wird ein Alkoholpegel von über 0,5 Promille nachgewiesen, haben Sie ein Problem. Egal ob Sie Schlangenlinien gefahren sind oder einen Unfall gebaut haben.

                      Die erste Frage lautet, ist das propagierte Ziel überhaupt im Rahmen der Verfassung und der Grundrechte zulässig.

                      Siehe oben. Die Antwort auf diese Frage ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit „ja“.

                      Ich esse inzwischen einmal die Woche als Mahlzeit einen Salat und ein bis zweimal Sushi. Nicht, weil es mir eine staatliche Institution ans Herz legt, sondern weil ich aufgeklärt bin, an meiner Gesundheit Interesse habe, in meiner sexuellen Ausstrahlung attraktiv bleiben will, ein langes Leben anstrebe und ich nebenbei Sushi-Fanatiker bin.

                      Das ist doch erfreulich. Dann wird es Ihnen ja auch im Worst Case-Szenario unter einem grünen Terrorregime ab 2021 gut gehen und Sie werden gesund und sexuell ausstrahlend sein.

                    • Stefan Pietsch 16. August 2020, 23:11

                      Ohne Angebote kann der Kunde eben auch nicht freiwillig wählen.

                      Glauben Sie wirklich nicht, dass Kantinenbetreiber weit, weit eher wissen, was ihre Kundschaft wünscht als ein paar 25jährige, die es geil finden, ins Wahlprogramm ihre Vorstellung von guter Lebensführung und Ernährung zu schreiben? Meinen Sie auf den Menüzetteln der Woche stehen vor allem solche Gerichte, welche die Mitarbeiter eigentlich nicht essen wollen?

                      Das wesentliche Problem von Kantinen ist nicht die Essensauswahl, sondern Preise und Kosten. Über 5 Euro pro Gericht wird es zunehmend schwer, Essen an die Mitarbeiter zu bringen. Unter 5 Euro wird es schwer hochwertiges Essen ohne nennenswerte Verluste anzubieten.

                      Man könnte es so zusammenfassen,
                      dass Kantinen gutes vegetarisches Essen als Alternative anbieten sollten

                      Wie kommen Grüne eigentlich darauf, dass das nicht bereits so ist und durch nette Tipps aus der Politik dringendst anempfohlen werden müsste? Erinnern Sie sich übrigens noch an die Sätze zu vorher? Preise und Kosten? Fleischlose Gerichte sind günstiger, damit unter Berücksichtigung der Preiserwartung der Kundschaft (Mitarbeiter) besser geeignet einen Ausgleich von Preisen und Kosten herzustellen. Das ist das wirtschaftliche Motiv. Nur, wenn nur ein geringer Teil vegan wünscht, bringt es auch nichts, das überproportional anzubieten.

                      Aber ich bin optimistisch, dass es in einem Land, in dem Gurt- und Helmpflicht gelten, Alkoholgrenzen für die Fahrtüchtigkeit vorliegen und in dem in Bars und Gaststätten nicht geraucht werden darf, rechtlich durchsetzbar ist, das Angebot von Großkantinen zu regulieren, solange die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt.

                      Ich fürchte, wir werden niemals bei der Unterscheidung von mittelbaren und unmittelbaren Gefahren zusammenkommen. Was passiert, wenn Sie ohne Helm mit 20 km/h gegen eine Wand knallen? Bestenfalls Kopfschmerzen, meist schlimmer. Der Schutz ist unmittelbar.

                      Was passiert, wenn Sie kommende Woche jeden Tag ein Rindersteak essen? Wahrscheinlich gar nichts, aber vielleicht können Sie am Sonntag keine Kuh mehr sehen ohne Mu zu sagen. Irgendwann, in 25 Jahren, wird ein Arzt ihnen ob Ihrer anhaltenden Magenbeschwerden sagen, dass ein Teil ihres Darms hinüber ist. Leider wird er nicht in der Lage sein zu lokalisieren, welches der 8000 Steaks nun schlecht war. Mittelbarer Schaden, nicht zurechenbar wie eine Hauswand.

                      Nein, die gesetzlichen Bestimmungen stehen am Anfang.

                      Machen Sie doch mal die Probe aufs Exempel. Fahren Sie mal mit 1 Promille an einer Polizeistreife vorbei. Die Wahrscheinlichkeit, angehalten zu werden, dürfte weit unter 1 Promille liegen. Fahren Sie jedoch in Schlangenlinien, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit auf 82%. Der Rest entfällt auf Beamte, die im Dienst schlafen.

                      Wir lernen: die Fahruntüchtigkeit bemisst sich zuerst am Verhalten, nicht an der gesetzlichen Norm.

                      Dann wird es Ihnen ja auch im Worst Case-Szenario unter einem grünen Terrorregime ab 2021 gut gehen

                      Ich habe Hoffnung, dass die FDP 30% erreicht und den Grünen die Party verdirbt. 🙂

                    • Ralf 17. August 2020, 07:23

                      Glauben Sie wirklich nicht, dass Kantinenbetreiber weit, weit eher wissen, was ihre Kundschaft wünscht als ein paar 25jährige, die es geil finden, ins Wahlprogramm ihre Vorstellung von guter Lebensführung und Ernährung zu schreiben?

                      Doch, dass glaube ich. Nur wenn die Auswahl des Angebots allein entlang der wirtschaftlichen Interessen des Kantinenbetreibers läuft, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass Gesundheit und Klimaschutz hintan stehen werden. Andernfalls würden wir garnicht über einen Veggie-Day diskutieren.

                  • Stefan Pietsch 16. August 2020, 09:58

                    Gut, dann überprüfen wir mal die Aussage:
                    Nur ist es Quatsch anzunehmen, dass alle Wählerbewegungen zwischen Parteien stattfinden würden. Ein Großteil findet zwischen Nichtwählern und Wählern statt.

                    Gemäß dem Link über die Wanderungsbewegungen 2013 zu 2017 sind 29,3 Millionen Wähler zwischen diesen beiden Wahlen gewechselt. Hiervon sind 3,5 Millionen Wähler verstorben, die nicht in der Auswertung nicht zu zählen sind. Es verbleiben folglich noch 25,8 Millionen Wanderungen zu und von Parteien. Hiervon haben 11,2 Millionen Bürger entweder zuvor keine Stimme abgegeben oder sind zu Nichtwählern mutiert.

                    11,2 Millionen bezogen auf 25,8 Millionen Wählerwanderungen sind 43%. Zweifellos gewichtig, aber nicht „der Großteil“.

                    • sol1 16. August 2020, 11:57

                      Die Diskussion nahm ihren Ausgang von dieser These:

                      „Die AfD hat ihren größten Stimmengewinn aus dem Nichtwählerlager bestritten. Da ist es nicht fernliegend anzunehmen, dass diese notorisch unzuverlässige Wählergruppe genau dahin wieder zurückgeht.“

                      Und die wird tatsächlich von den Zahlen gestützt.

                    • Stefan Pietsch 16. August 2020, 23:15

                      Nein. Ich habe zitiert, worauf ich geantwortet habe. Niemand bezweifelt, dass die AfD sich stark aus dem Lager der Nichtwähler gelabt hat. Die AfD ist aber weder typisch noch alle Parteien. Verallgemeinerungen sind anhand des Beispiels unzulässig.

              • R.A. 12. August 2020, 13:02

                „Die Ampel scheitert an der FDP, nicht an SPD und Grünen.“
                Aber überhaupt nicht. SPD/Grüne müssen nur das FDP-Programm akzeptieren und sich auf die Übernahme einiger Ministerposten beschränken – schon steht die Koalition.
                Wenn sie das nicht tun, ist das „Flucht vor der Verantwortung“, wie anno 2017 bei Jamaika.

                „Ich gehe ja davon aus, dass die Union viele ihrer seit 2017 weggebluteten Wähler wieder gewonnen hat.“
                Sehe ich nicht. Wenn der Corona-Krisenbonus weg ist, sind alle Gründe (plus einige mehr) noch da, die damals die Wähler von der CDU weggetrieben haben.

                „Die Themen der AfD haben keine Konjunktur.“
                Weil sie von Corona überdeckt wurden. Ansonsten hätte alleine die Stuttgarter Eventszene der AfD ein paar Umfragepunkte beschert. Und solche Vorfälle werden sich natürlich auch nächstes Jahr wiederholen.

                „Davon abgesehen sind die Covidioten und Verschwörungsspinner eben eine winzige Minderheit.“
                Nur eine kleine Minderheit der Demonstranten sind „Covidioten“ (schon interessant, daß hate speech dieser Art völlig akzeptiert wird, wenn es gegen „rechts“ geht).
                Und neben den Leuten die zur Demo gehen gibt es Millionen weitere, die wg. der Corona-Maßnahmen extrem unzufrieden sind. Und das überlagert die sonstigen Parteipräferenzen. Wenn der Job weg ist, sind die Kriterien für die nächste Wahlentscheidung völlig andere als 2017.

                „Auch wenn aktuell ihnen eine völlig unangemessene Bühne gegeben wird“
                Das ist Unfug. Noch mehr ausgrenzen und wegreden können die Medien die AfD bzw. ihre Themen nicht, ohne den Rest Glaubwürdigkeit zu verlieren.

                Früher hieß es ja links: „Die revolutionärste Tat ist laut zu sagen, was ist“.
                Heute wird daraus: „Dem was ist darf man keine unangemessen Bühne geben“.

                • Stefan Sasse 12. August 2020, 14:58

                  Weil sie von Corona überdeckt wurden. Ansonsten hätte alleine die Stuttgarter Eventszene der AfD ein paar Umfragepunkte beschert. Und solche Vorfälle werden sich natürlich auch nächstes Jahr wiederholen.

                  Ja, exakt. Aber der Grund ist doch völlig egal für die Tatsache, dass es passiert ist. Corona hat auch die FFF-Thematik überschattet, was stark zum Nachteil der Grünen war. Das schreibe ich ja im Artikel. Gegen so was kannst nichts machen. Ist halt Politik und öffentliche Meinung.

                  Nur eine kleine Minderheit der Demonstranten sind „Covidioten“ (schon interessant, daß hate speech dieser Art völlig akzeptiert wird, wenn es gegen „rechts“ geht).

                  Hat nichts mit rechts zu tun, die Globuli-Fraktion marschiert da ja auch mit. Aber Leute, die auf Demos behaupten, die Elite esse Kinder und trinke ihr Blut und ähnlichen Bullshit bezeichne ich als Idioten. Oder forderst du die intellektuelle Debatte mit denen?

                  • R.A. 12. August 2020, 19:41

                    „Hat nichts mit rechts zu tun, die Globuli-Fraktion marschiert da ja auch mit.“
                    Wurde aber in den Medien fast nicht erwähnt. Besonders bei den Staatssendern wurden die Demos konsequent als rechtsextrem geframed.

                    „Aber Leute, die auf Demos behaupten, die Elite esse Kinder und trinke ihr Blut und ähnlichen Bullshit bezeichne ich als Idioten.“
                    Völlig zu Recht.
                    Aber das einzelne Typen und nicht repräsentativ für die Demonstranten insgesamt. Und wenn Esken „Covidioten“ sagt, dann meint sie die ganze Bewegung, nicht nur die Freaks, die im Fernsehen vorgeführt werden.

                    Ich finde das schon krass. Ich habe die Demos selber nicht mitgemacht, weil ich inhaltlich ziemlich das Gegenteil vertrete. Aber ich kenne einige Leute die dort mitgelaufen sind. Und die sind völlig vernünftig und mit denen kann man auch reden.
                    Aber komischerweise schafft es die versammelte Journaille nicht, mal ein Statement von solchen Leuten zu bringen. Damit würden sie sich ja ihr schönes Horrormärchen kaputtrecherchieren.

                    • Stefan Sasse 12. August 2020, 21:49

                      Ich hab dich schon mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass Begriffe wie „Staatssender“ rechtsradikale Kampfbegriffe sind, auf die du verzichten solltest, weil du sonst diese Positionen vertrittst. Wenn du nicht in die rechte Ecke gestellt werden willst, solltest du da auch draußen bleiben. Des Weiteren stimmt deine Aussage natürlich nicht.

                      Ich bin fasziniert davon, woher du genau weißt, was Esken so meint.

                    • Ariane 12. August 2020, 23:18

                      Esken ist eigentlich ein hochinteressanter Fall, die hat mich ja schon zum Fan gemacht, weil sie völlig in diese Nahles-Rolle reingerauscht ist (keine Ahnung, ob das beabsichtigt ist, aber strategisch hat sie die Rolle ja angenommen).

                      Würde echt gerne mal ne Innensicht lesen (das läuft übrigens ganz gut, wirkliche News werden da wenig durchgestochen, das mit Scholz kam ja auch überraschend).
                      Insgesamt hab ich immerhin das Gefühl, dass da durchaus etwas koordinierter vorgegangen wird als früher. (NOCH schlechter war natürlich eh nicht mehr möglich). Das Sommerinterview war total merkwürdig, die haben ja hauptsächlich ihren Twitterfeed gelesen (Hagenheister als SPD-Pseudointellektueller war ja die Kröunung, ich lach immer noch^^).
                      Auch Kühnert hat echt starke Statements abgegeben. Und die ReLiKo genötigt, ihn zu verteidigen.

                      Insgesamt sag ich mal, nachher sind die doch nicht die größten Trottel weit und breit (was auch an der Konkurrenz liegt)^^

                    • R.A. 13. August 2020, 09:15

                      „dass Begriffe wie „Staatssender“ rechtsradikale Kampfbegriffe sind“
                      Das ist völlig falsch.
                      Das ist ein sachlich zutreffender Begriff, der schon seit vielen Jahren verwendet wird (auch von mir) und das hat nichts damit zu tun, daß vor kurzem auch Rechtsradikale den Begriff verwenden.
                      Es kann einfach nicht sein daß wir uns von der AfD die Wortwahl vorschreiben lassen und plötzlich alles aus unserem Wortschatz tilgen, was von irgendeinem AfDler gesagt wurde.

                      „Ich bin fasziniert davon, woher du genau weißt, was Esken so meint.“
                      Ich gehe davon aus daß Esken das meint, was sie sagt.
                      Und sie hat nicht formuliert „unter den Demonstranten gibt es auch Covidioten“ oder ähnlich, sondern sie hat „Covidioten“ als allgemeine Beschreibung dieser Demos verwendet.

                    • Stefan Sasse 14. August 2020, 22:30

                      Ich kenne den wirklich nur aus diesem Spektrum. Hast du Beispiele, wo der abseits der Ränder verwendet wird?

                    • sol1 16. August 2020, 00:14

                      „Aber komischerweise schafft es die versammelte Journaille nicht, mal ein Statement von solchen Leuten zu bringen.“

                      Mal abgesehen davon, daß „Journaille“ noch so ein rechtsradikaler Kampfbegriff ist – die Stimmen, die Dunja Hayali auf der Berliner Demo ungeschnitten eingeholt hatten, beweisen sehr wohl, daß die überwältigende Merhehit dort aus Spinnern bestand.

                    • Stefan Sasse 16. August 2020, 08:59

                      Er schreibt auch von „Staasmedien“.

                    • Stefan Pietsch 16. August 2020, 10:11

                      Ich hab dich schon mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass Begriffe wie „Staatssender“ rechtsradikale Kampfbegriffe sind, auf die du verzichten solltest, weil du sonst diese Positionen vertrittst.

                      Mal eine Gegenfrage: wie würdest Du ARD und ZDF sonst bezeichnen? Die Finanzierung erfolgt aus steuerähnlichen Gebühren unabhängig von der Nutzung und in einem international sonst unbekannten Umfang. Die Leitung wird von den führenden Parteien bestimmt, die Sender werden in der Form öffentlichen Rechts geführt und unterliegen der Gerichtsbarkeit des Verwaltungsrechts. Das sind nicht nur Indizien, das sind die Ausschlusskriterien, die nur staatlichen Institutionen vorbehalten sind. Natürlich sind ARD und ZDF Staatsmedien und das war immer so gewollt.

                      Das wäre genauso, als wenn Du die taz nicht als links und die F.A.Z. nicht als konservativ bezeichnen dürftest, sie könnten ja zu Kampfbegriffen mutieren.

                    • Ralf 16. August 2020, 10:16

                      Mal eine Gegenfrage: wie würdest Du ARD und ZDF sonst bezeichnen?

                      Öffentlich-Rechtliche Sender.

                  • Stefan Pietsch 16. August 2020, 10:21

                    Ja, aber „öffentlich-rechtlich“ heißt Staat. Das öffentliche Recht gilt nur für staatliche Institutionen und ist dem Privatrecht entzogen. ARD und ZDF können nicht vor einem einfachen Amtsgericht wegen Leistungsverletzung verklagt werden – so wie auch die Bundeskanzlerin nicht vor einem Amtsgericht verklagt werden kann.

                    Damit sind ARD und ZDF Staatssender.

                    • Ralf 16. August 2020, 10:26

                      Die Ausdrucksweise bestimmt, ob man im Diskurs als sachlicher Teilnehmer oder als Repräsentant des braunen Randes wahrgenommen wird. Wer permanent bekannte Dog Whistles benutzt, darf sich dann nicht wundern, wenn er letzterer Kategorie zugeordnet wird, vor allem wenn es immer wieder und offensichtlich absichtlich geschieht.

                    • Stefan Pietsch 16. August 2020, 11:06

                      Würden Sie es ablehnen, das Jugendamt oder die Bundesagentur für Arbeit als „staatliche Behörde“ zu bezeichnen? Ihre Position hierzu bestimmt die Konsistenz Ihrer Meinung.

                      Der Begriff der Staatsmedien ist keine Erfindung der AfD. Die Existenz von ARD und ZDF ist übrigens im Rundfunkstaatsvertrag festgelegt. Die F.A.Z. schreibt z.B. zu den Fernsehgebühren:

                      Trotz großer Anstrengungen und jährlich 8 Milliarden (!) Euro wird das Publikum des ersten und des zweiten Staatssenders immer älter.
                      https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/fernsehgebuehren-staatsmedien-15087727.html

                      Die altehrwürdige F.A.Z., ein U-Boot des Rechtsextremismus?

                    • Ralf 16. August 2020, 11:25

                      Wenn Sie mit Glatze, Bomberjacke und Springerstiefeln auf die Straße gehen, wird man Sie für einen Skinhead halten. Obwohl für sich genommen weder Glatzen, noch Bomberjacken, noch Springerstiefel belastet sind.

                      Wer sich immer wieder Dog Whistles aus dem rechtsextremen Spektrum bedient, wird irgendwann für einen Rechtsextremen gehalten werden.

                    • Stefan Pietsch 16. August 2020, 11:36

                      Ist Sascha Lobo ein Punk? Ist die SPD-Vorsitzende Saskia Esken eine Linksextremistin, weil sie sich selbst als „Antifa“ bezeichnen, also sich mit autonomen Strömungen identifiziert, von deren rund 100 die Hälfte vom Verfassungsschutz beobachtet wird?

                      Nochmal: ist die F.A.Z. rechtsextremistisch oder würden Sie eine solche Begriffswahl für zulässig erachten?

                    • Ralf 16. August 2020, 11:39

                      Es geht um das Gesamtbild. Und ja, wenn ich Sascha Lobo sehe, ist mein erster Gedanke “Punk”.

                    • Dennis 16. August 2020, 13:09

                      @ Stefan Pietsch

                      Der Konsistenz Ihrer nicht vorhandenen juristischen Kenntnisse würde es gut tun, wenn Sie zur Kenntnis nähmen, dass

                      a) öffentlich-rechtlich und

                      b) staatlich

                      keine deckungsgleichen Begriffe sind.

                      Die Bundesagentur für Arbeit sowie die Jugendämter sind Behörden des Staates. Erstere ist eine Bundesbehörde. Letztere sind i.d.Regel Behörden der Land- und Stadtkreise, die ihrerseits staatliche Gebietskörperschaften darstellen.

                      Ganz puristisch könnte man indes auch die kommunalen Gebietskörperschaften – isoliert betrachtet – als „nicht staatlich“ kennzeichnen, sondern als Untergliederung der staatlichen Bundesländer mit Selbstverwaltungsberechtigung und von den Ländern sozusagen verliehenen Kompetenzen.

                      Für die nicht-staatlichen öffentlich-rechtlichen Körperschaften gilt das öffentliche Recht anstelle des Privatrechtes. Das ist die Besonderheit und die wesentliche Eigenschaft. Allein dieser Sachverhalt bewirkt noch keinen „Staat“. Der Zentralrat der Juden in Deutschland (= Körperschaft des öffentliches Rechts) macht das Judentum deshalb nicht zur Staatsreligion. Bei den Zeugen Jahovas (= Körperschaften des öffentlichen Rechts in einigen Bundesländern) ist das auch nicht so.

                      Okay, okay, ich hab ja nichts dagegen, wenn man das in Absicht von Polemik namentlich bei den Rundfunkanstalten nicht so genau nimmt, geschenkt. Indes sind das keine rechtlichen Argumente, sondern Gerede halt. Passt ja auch gut zur „versammelten Journaille“. „Versammelt“ kann ja nur heißen: Die sind sich alle einig, gegen uns.

                      Solche Betrachtungen waren früher mal vorzugsweise links-außen, heute offenbar „liberal“.

  • cimourdain 11. August 2020, 18:27

    Scholz ist ein gutes Beispiel für das von dir in anderem Zusammenhang ins Spiel gebrachte Peter-Prinzip: Kein Charisma, keine Beliebtheit, dafür deutliche Fehlleistungen im Amt ( Cum-Ex Verschleppung , vergurkte Finanztransaktionssteuer schwaches Klimapaket). Nur ist der Seeheimer Kreis, der ihn zu verantworten hat, beileibe kein reiner Männerbund.

    • Stefan Sasse 11. August 2020, 18:46

      Ich sprach von Verbindungen die er hat, nicht, dass die gut seien 😉

  • cimourdain 12. August 2020, 07:12

    Warum wird eigentlich akzeptiert, dass die S-PD nur 1/26 ihres Talentpools nutzt ? S-charping, S-chröder, S-teinmeier, S-teinbrück, S-chulz, S-cholz, wäre da eine Quote für andere Anfangsbuchstaben nicht angebracht ? Saskia Es-ken steht als Wildcard unter Beobachtung.

  • Dennis 12. August 2020, 10:30

    Zitat Stefan Sasse zur CDU:
    „Versuch des Befreiungsschlags, mit einer Urabstimmung die Nachfolge Angela Merkels klären und so gestärkt in die kommende Bundestagswahl ziehen zu können, schlug gründlich fehl. “

    Urabstimmung gab’s doch gar nicht.

    Zitat:
    „Vielleicht kann Merz die CDU auch konsolidieren und eine solide schwarz-gelbe Mehrheit in die nächste Regierung führen. Das ist schlicht unklar“

    Es ist ja vieles unklar und man muss mal abwarten, aber dieses Szenario kann man IMHO ruhigen Gewissens ausschließen. Wenn z.Zt. noch irgendwas fehlt um die FDP unter Wasser gehen zu lassen, dann ist das ein Kandidat Merz.

    Die eigentlichen Koalitionsmacher sind natürlich eh AfD und FDP. Wenn beide verschwinden sollten, gibt’s RRG (Buchstaben gemäß Kommutativgesetz^) bzw. je größer die AFDFDP-Präsenz, desto unwahrscheinlicher wird RRG. Natürlich werden die ihren Wahlkampf jeweils auf diese Aussage abstellen, spannend wird sein, inwieweit die sich wechselseitig kannibalisieren.

    Grünens wiederum kommen ins Schwitzen, sich ggf. zwischen RRG und CDU entscheiden zu müssen.

    Bei sechs Parteien und komplexen Wechselwirkungen ist das Spiel jedenfalls nicht langweilig, is ja auch schon was. An ne Minderheitsregierung könnte man auch noch denken. Dass der Bundestag „strukturell“ wieder so ausschaut wie der jetzige kann ja auch gut sein.

    Zitat:
    „Für die CDU ist jede Entscheidung ein Sprung ins Dunkle,“

    Stimmt. Zumal die K-Frage für die Union im Grunde die einzige wirklich ernsthafte Frage ist. Es geht dabei um den Erfolg, auf den man SPD-seitig zu Gunsten des programmatischen Purismus offenbar gerne auch mal verzichtet.

    Merkel wurde 2013 von ihren Leuten in dem Himmel gehoben, später wurde es bekanntlich schwieriger^. Die Frage dabei: Ist links-mittig mit einer ordentlichen Portion Ökologie besser als-rechts-mittig möglichst ohne Öko? interessiert die Unionisten dabei nicht wirklich ernsthaft. Umso ernsthafter ist die Frage: Was ist erfolgversprechend bzw. offensichtlich erfolgtragend? Das ist deren großer Vorteil gegenüber den Sozen: Man zerfleischt sich nicht in Programmfragen.

    Söder in Bayern zum Beispiel macht eine Öko-Volksinitiative, die eigentlich gegen die Staatsregierung schießen will und draußen im Lande (© Kohl) eine erstaunlich große Unterstützung erfährt, kurzerhand zum eigenen Gesetz im Landtag und das Ding ist erledigt. So läuft das.

    • Stefan Sasse 12. August 2020, 14:48

      Warum sollte Merz der FDP schaden…? Das ist mir völlig unklar.

      Ich glaube, wenn die Grünen tatsächlich den Luxus haben, zwischen Schwarz-Grün und R2G entscheiden zu können, werden zwei Merkmale ausschlaggebend: die CDU-Spitze und die Mehrheitsverhältnisse.

      Ich bin der Überzeugung, dass die CDU nicht hinter Merkel zurück kann, auch wenn Stefan und R.A. das anders sehen.

      • Dennis 12. August 2020, 15:59

        Zitat Stefan Sasse:
        „Warum sollte Merz der FDP schaden…? Das ist mir völlig unklar

        Merz wäre der perfekte FDP-Vorsitzende. Sa was wünscht sich deren Publikum. Er is aber anderweitig verheiratet, motiviert das FDP-Publikum ggf. also zum Fremdgehen bzw. zum Wieder-nach-Hause-gehen – eingedenk der Tatsache, dass die FDP wesentlich auf temporärer Pacht- und Leihbasis unterwegs ist.

        • Stefan Sasse 12. August 2020, 16:34

          Oder erst recht zum Wählen, um schwarz-gelb zu garantieren? Sehe beide Möglichkeiten.

          • Ariane 12. August 2020, 22:14

            Da stimme ich Dennis zu, ich glaube Merz würde eher Stimmen aus dem FDP-Lager abziehen als von der AfD. Und bei der FDP braucht es nicht viel, um die gleich ganz aus dem Bundestag zu kegeln (was echt doof wäre, weil die dann auch gleich ohne realistische Koalitionsoptionen dastehen würden, wenn sie die AfD weiterhin ausschließen)

            Wenn Scholz der SPD-Merkel ist (gott, jetzt mach ich das auch schon) ist Merz der Anti-Merkel. Die Kombination würde sicherlich am meisten durcheinander bringen, das wäre höchstspannend, aber völlig unvorhersehbar. Merz würde ne totale Fluchtbewegung auslösen, vermutlich zu Scholz und/oder den Grünen – je nach Progressivitätsgrad.

  • R.A. 12. August 2020, 10:59

    „Dazu kommt, dass Scholz aktuell hohe Beliebtheitswerte hat.“
    Demnächst nicht mehr. Einerseits wird ihn die Wirecard-Affäre zerlegen. Und andererseits wird nach der Corona-Krise die Wirtschaftskrise kommen. Und dann wird sich zeigen, daß sein „Wumms“ ein Rohrkrepierer war.
    Scholz wird es wie Schulz gehen. Erst einmal ein bißchen Boom, dann kommen Mißerfolge, dann kommt die interne Demontage, am Ende nur noch Mitleid.

    „wegen der Flucht aus der Verantwortung durch die FDP“
    Jetzt hör‘ doch auf mit dieser lächerlichen Propagandalüge. Die Jamaika-Verhandlungen sind an grüner Maßlosigkeit geplatzt, läßt sich an den Verhandlungspositionen und -ergebnissen doch eindeutig nachweisen. Keine Partei kann in eine Regierung eintreten, um nur das Programm einer anderen Partei umzusetzen.

    „So oder so dürfte damit zu rechnen sein, dass 2021 die Ära Merkel endgültig endet – und damit auch die lange Phase schwarz-roter Koalitionen.“
    Beides wahrscheinlich, aber nicht sicher.

    Generell werden alle diese Überlegungen schon bald komplett überholt sein. Die ganzen Überbrückungsmaßnahmen mit Kurzarbeit etc. haben die Pleitewelle nur aufgeschoben, die wird massiv kommen. Zu viele Betriebe haben seit Monaten krass reduzierte Einnahmen, die Reserven sind bald aufgebraucht und eine Rückkehr zu den Vor-Corona-Umsätzen ist noch lange nicht zu erwarten. Und jede Pleite setzt natürlich andere Firmen unter Druck.
    Eine Rezession im zweistelligen Bereich und einige neue Millionen Arbeitslose werden nicht nur Scholz zur Makulatur machen, sondern alle Wahlkampfkonzepte.

    • Stefan Sasse 12. August 2020, 14:51

      Scholz‘ Schicksal: Sehr wahrscheinlich, aber wie unterscheidet ihn das von den anderen KandidatInnen?

      Flucht aus der Verantwortung: Ich kann nichts dafür, dass dir die Realität nicht passt. Darin seid ihr doch sonst angeblich immer zu Hause. Verantwortung übernehmen und so, waren das nicht bürgerliche Kernwerte?

      Schwarz-Rot: Das wäre echt krass wenn sie das fortsetzen…

      Rezession: Korrekt.

      • R.A. 12. August 2020, 19:44

        „aber wie unterscheidet ihn das von den anderen KandidatInnen?“
        Scholz hat mehr Wahlkampf-verwertbare Affären und Probleme am Hals. Aber ich gebe Dir recht, daß kaum ein anderer SPD-Kandidat möglich war.

        „Verantwortung übernehmen und so, waren das nicht bürgerliche Kernwerte?“
        Sicher. Aber Verantwortung kann man nur übernehmen, wenn man auch gestalten kann. Einfach nur die Mehrheit für grüne Politik zu sichern wäre das absolute Gegenteil von verantwortlich gewesen.

        • Stefan Sasse 12. August 2020, 21:49

          Nun, so oder so war es ein taktischer Fehler, das hat Lindner ja mittlerweile eingesehen.

  • Lemmy Caution 12. August 2020, 23:51

    Das Venezuela Thema spielt für die Deutsche Politik keine wirkliche Rolle, trotzdem haben wir so etwas wie eine Verantwortung. Die Solidarität-mit-Maduro Position hat seit Anfang Juli ein weiteres Problem: Der bekannte links-akademische Dissident Nicmer Evans ist nun auch politischer Gefangener. Dazu zumindest offiziell Funkstille von der Solidarität-mit-Maduro Fraktion. In Unkenntnis möglicher nicht öffentlich gemachter Aktivitäten könnte ich nun subjektiv daraus schließen: Ich kann nicht ausschließen, dass die möglicherweise bereit sind, ihre eigenen Leute zu opfern.
    Und nein: Parteien mit solchen Rändern halte ich in einer Deutschen Regierung für völlig unnötig. Dafür sind die Alternativen schlichtweg zu wenig bitter.
    Innerhalb der Linken gibt es da durchaus unterschiedliche Positionen. Der für mich ansonsten weitgehend unmögliche Raúl Zelik hat mit seiner Promotion des Buchs von Stefan Peters via Rosi Luxemburg Stiftung einen kompetenten Kontrapunkt gesetzt. Zu einer wirklich Aufarbeitung des Themas hat das natürlich nicht geführt. Ist strukturell übrigens ganz ähnlich wie mit der außen links Koalition Frente Amplio in Chile, die ich übrigens aus anderen Gründen wählen würde, hätte ich dort Wahlrecht.
    Völlig konträre Positionen können nicht aufgelöst werden, also redet man nicht drüber. Für Venezuela als Land/Gesellschaft/Wirtschaft wirkt das absolut katastrophal.
    Ein klares Statement der letzten Unterstützer in Europa könnte effektiver wirken als noch eine weitere Wirtschaftssanktion. Ich sehe so etwas wie eine historische Präzedenz: Ohne die klare Positionierung der Reagan-Administration für einen politischen Wandel, hätte das Pinochet Regime möglicherweise das Referendum 1988 gewonnen oder es hätte das Ergebnis einfach ignoriert. Asiaten ist es egal, was in Europa/Nord-Amerika über sie geredet wird. Lateinamerikanern deutlich weniger.

    • cimourdain 13. August 2020, 18:33

      In der Sache hast du sicher recht, aber Aussenpolitik wird ein Neben-nebenthema dieser Wahl sein. Und Lateinamerika selbst interessiert die meisten doch – wenn überhaupt – nur um sich pro oder contra USA zu äussern.
      Aber wenn wir bei dem Thema sind: Hast du Infos zu Bolivien ? Ich befürchte, dass die auf genau die gleiche Art Niedertemperatur-Bürgerkrieg zusteuern wie Venezuela.

      • Lemmy Caution 14. August 2020, 09:07

        In Venezuela gibts keinen Bürgerkrieg sondern eine Humanitäre Katastrophe. Es existierte niemals eine Opposition in Waffen. Oppositionelle Bewegungen innerhalb werden vom effektiv arbeitenden Geheimdienst schnell aufgespürt. Viele der Gefolterten sind Armee-Angehörige. Die atemberaubende Opferzahl von 6.800 durch Sicherheitskräfte außergerichtlich Erschossene in 18 Monaten (Bachelet-Bericht) betrifft übrigens weitgehend Mitglieder krimineller Banden.

        Zu Bolivien bin ich nicht gut informiert, obwohl ich mit einem Halb-Bolivianer zusammen arbeite. Der interessiert sich aber nicht für Politik.
        Morales erschien mir neben Lula da Silva als ein fähiger Politiker, jedoch verlor dessen Projekt immer mehr an Energie. In der letzten Wahl hat er dann ja allenfalls einen sehr knappen Sieg errungen oder er hat knapp verloren und die Wahlbehörden haben das zu einem knappen Sieg umgedreht. In jedem Fall ist er in der letzten Wahl von 70% auf etwa 50% abgestürzt. Die sogenannte „Übergangsregierung“ erscheint mir unfähig und überfordert.
        Wirkliche Bürgerkriege passen für mich nicht in den Zeitgeist: Die Leute wissen letztlich um die Kosten und Argentinien wird alles versuchen das zu verhindern, allein schon wegen der zu erwartenden Flüchtlinge. Die Straßenbesetzungen passen zu der seit den 50ern eher extrovertierten Tradition der politischen Willenskundgebung. Von einer Teilung des Landes in Hochland/Tiefland redet auch niemand.
        Die Zukunft Boliviens ist für mich ein absolutes Rätsel.

        • Ariane 15. August 2020, 04:52

          Danke für die Ergänzungen! Ich hatte da neulich eine Diskussion drüber, die Außenpolitik ist sowieso ne Katastrophe. Aber es liegt meiner Meinung auch daran, dass das ständig mit dem links/rechts-Gegensatz und altem „Kalten-Kriegs-Gehabe“ vermengt wird.

          Siehe die Nähe der CSU, AfD und Teilen der FDP zu Ungarn, Polen und Russland. Dagegen steht die LINKE mit Venezuela oder China (und auch Russland, schön dass sich da alle einig sind. Seufz)

          Es bräuchte glaube ich eine allgemeine Auseinandersetzung mit Demokratie, unabhängig davon, zu welchem Lager die gehören, stattdessen werfen sich beide Seiten am liebsten Nähe zu Protofaschisten vor. Was ja stimmt, aber die Parteien müssten das mal innerparteilich klären, wie sie allgemein zur Demokratie (Pressefreiheit, Polizeigewalt, etc) stehen. Diese Widersprüche setzen sich dann auch in den Positionen der Partei und der deutschen Außenpolitik fort.

          Siehe auch den Konflikt zwischen Griechenland und Türkei, bei dem Frankreich jetzt anscheinend alleine den Schiedsrichter spielt. Das ist völlig wirr. Belarus steht auch auf der Kippe und ich glaube nicht, dass die EU irgendwie einen Plan hat, damit umzugehen. Und Südamerika hat man komplett anderen überlassen. Das ist alles eine ziemliche Tragödie. 🙁

  • CitizenK 13. August 2020, 15:52

    Die haben tatsächlich noch nicht realisiert, dass JEDE politische Maßnahme in das sogenannte Privatleben eingreift.

    • Stefan Sasse 14. August 2020, 22:33

      My point exactly. Wichtig ist halt: in wessen. Praktisch niemand hat ein Problem damit, wenn in das Privatleben ANDERER Leute eingegriffen wird, das sieht man ja ständig, gerade auch an den Positionen der „Privat-Fans“ wie Stefan oder R.A.

      • Ariane 15. August 2020, 04:44

        Jep, das ist ja auch die Aufgabe von Politik, die das Zusammenleben von sehr vielen Menschen organisieren muss. Ansonsten könnten wir uns den ganzen Kladderadatsch gleich verzichten und alle wieder Clans bilden.

      • Stefan Pietsch 15. August 2020, 17:23

        Okay, dann erkläre ich in einfacheren Worten, was den Unterschied zwischen Liberalismus und Illiberalität ausmacht. Der Liberale will das Verhalten durch die Obrigkeit nicht beeinflussen, schließlich wählen die Bürger einen Staat, damit er bestimmte Dinge regelt und nicht, dass er sie erzieht. Der Liberale will den freien Willen des Bürgers nicht verändern. Das ist der Punkt, der alle Liberalen bis hin zu den Libertären eint.

        Der Illiberale sieht die Dinge ganz anders, er will den freien Willen des Bürgers biegen oder sogar brechen. Genau das ist das Ziel der Grünen, was Du bestätigt hast und was sie zu einer illiberalen Partei macht.

        Stefan, bitte stelle ich in Unterwäsche auf die Straße und rufe „FDP forever!“ Gut, ich würde lieber eine schöne Frau für das Beispiel nehmen, aber einstweilen musst Du genügen. Du wirst es nicht tun, es entspricht nicht Deinem Willen. Dass Du es nebenbei für bescheuert hältst, kommt hinzu. Okay, ich biete Dir 1.000 Euro, wenn Du es machst. Na? Ist Dir zu wenig? Gut, 20.000 Euro. Vielleicht machst Du es irgendwann, dann habe ich mindestens Deinen eigentlichen Willen verbogen. Setze ich noch Sanktionen drauf, wenn Du es nicht tust, sind wir beim Brechen des Willens.

        Das ist eindeutig illiberal, aber nicht für Grüne. Die Haltung der Linken ist: warum sollte das illiberal sein, schließlich wird trotzdem niemand gezwungen, sich auf die Straße zu stellen und „FDP forever!“ zu tröten.

        Realistischeres Beispiel: Menschen bekommen Kinder, das war in der Menschheitsgeschichte immer so, sonst gäbe es Dich nicht. Es ist auch absolut normal, dass junge Eltern die erste Zeit bei ihrem neugeborenen Baby sein wollen. Nur ist das nicht immer einfach. Das Erziehungsgeld zahlte diesen Eltern in den ersten Monaten einen fixen Betrag. Der Wille des Paares, wie sie sich die Betreuungszeit aufteilen, blieb unangetastet.

        Das heutige Elterngeld bricht mit diesem freiheitlichen Ansatz. Die Lohnersatzleistung erhält nur derjenige in vollem Umfange, der die Betreuungszeit in dem vom Staat gewünschten Umfange aufteilt. Um in den Genuss der vom Gesetzgeber angebotenen 14 Monate zu kommen, müssen zwingend beide Partner zeitweise zu Hause bleiben. Der freie Wille des Paares wird mit Lockangeboten verändert.

        Pendlerpauschale
        Der Fiskus erlaubt den Teilabzug der durch die Arbeit bedingten Fahrtkosten. Liberale haben immer über das Instrument gestritten. Einerseits mindern Fahrtkosten die finanzielle Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen, daher ist der Abzug gerechtfertigt. Andererseits geht es den Staat nichts an, wie und ob der Bürger zur Arbeit kommt, daher gehöre sie abgeschafft.

        Die Grünen (und andere Linke) wollen die Pendlerpauschale abschaffen, weil sie das Auto als Transportmittel begünstigt. Die Leute sollen aber mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln fahren oder zu Fuß gehen. Anders als der Liberale wollen Linke also mit der Maßnahme (Abschaffung bzw. Umgestaltung der Pendlerpauschale) Einfluss auf den freien Willen des Bürgers nehmen. Der Liberale will es nicht, ihm ist egal, wie der Bürger zur Arbeit kommt. Hauptsache, er kommt überhaupt.

        Nur zufällig führen die völlig gegensätzlichen Ansichten zum gleichen oder annähernd gleichen Ergebnis. Dennoch trennen beide Welten.

        Klimawandel
        Als Liberaler will ich den Klimawandel, sagen wir, verlangsamen wie Greta Thunberg. Nur unsere Ansichten, wie dies zu erreichen ist, unterscheiden sich fundamental. Aus liberaler Sicht ist es einerlei, ob die Reduzierung von CO2 in der Atmosphäre auf ein minimales Maß dadurch erreicht wird, dass überall Strommasten und Sonnenkollektoren aufgestellt werden, solange dies andere Bürger und die Umwelt nicht über ein akzeptiertes Maß hinaus beeinträchtigt oder ob dies durch Verzicht auf alles Mögliche, vermehrter Einsatz der Atomenergie und wie wild bollernde Kohlemeiler geschieht, bei denen sofort das CO2 wieder „abgesaugt“ wird. Egal. Hauptsache, das Ziel wird erreicht. Deswegen haben Liberale auch dieses unbändige Faible für das Cap & Trade, was lediglich erlaubte Mengen vorgibt, nicht jedoch, wie die Reduzierungen zu erzielen sind.

        Linke jedoch wissen sich nicht nur als Klimaretter, sondern auch, was 8,3 Milliarden Menschen zu tun haben. Der Weg ist für diesen Menschentypus genau gezeichnet und jeder hat ihn zu gehen: Ausbau der Erneuerbaren um jeden Preis und der Rest wird durch Verzicht erledigt. Selbst wenn es ein CO2-freies Kohlekraftwerk gäbe, es dürfte nicht ans Netz. Im Zweifel gibt es zu viele Gefahren und gesichert wären die Einsparungen ohnehin nicht.

        Deswegen werde ich es nie akzeptieren, wenn Menschen mit einem völlig illiberalen Weltbild sich im Orwell’schen Sinne zu Liberalen erklären. Würden die Grünen sich darauf zurückziehen, „Leute, wir müssen was für die Umwelt tun, zukünftig sollten nur Mengen X an Schadstoffen erlaubt sein. Aber wie ihr das erreicht, ist Eure Sache.“ – oder „Wir müssen das Ziel haben, den Anteil der Adipositas-Patienten um 20% zu senken. Denkt Euch was aus.“ würde ich den Ausdruck „liberal“ akzeptieren. Aber nicht für Weltanschauungen, die einen anderen Menschen schaffen wollen.

        • CitizenK 15. August 2020, 17:39

          Ist Schulpflicht illiberal? Sie will ja schließlich „einen anderen Menschen schaffen“. Einen gebildeten aus einem Analphabeten.

          • Stefan Pietsch 15. August 2020, 18:04

            Ich wusste das so etwas kommt. So betrachtet sind Sie absolut zuverlässig.

            Für wen gilt die Schulpflicht und wann endet sie? Sie haben damit bewiesen, was ich über Linke denke und behaupte: Sie vergleichen den Erziehungsauftrag, den Eltern und in der modernen Gesellschaft erweitert der Staat für Kinder haben, auf alle Bürger. Während Kinder erst einen eigenen Willen herausbilden und lernen müssen, Entscheidungen unter Berücksichtigung der Konsequenzen zu treffen, sind erwachsene Bürger keine Kinder.

            Dass Linke Erwachsene mit Kindern gleichsetzen und sie so behandeln, ist der wesentliche Unterschied zwischen Liberalen und Illiberalen.

            Q.e.d. kann ich da Ihnen nur antworten.

            • CitizenK 15. August 2020, 22:30

              Es gibt Staaten ohne Schulpflicht. Versuchen Sie doch mal, eine einfache Frage einfach zu beantworten. Ohne dieses öööde Anti-Links-Geschwalle.

              • Stefan Pietsch 15. August 2020, 22:47

                Wir reden von westlichen Industriestaaten, nicht von Entwicklungsländern. Und wir reden von Bürgern, nicht von Kindern. Ihr Einwand hat nichts, null, nada mit der Frage zu tun, ob ein Staat seine Bürger erziehen oder den freien Willen lassen will und sich nur als Dienstleister versteht.

                Wenn Sie erwachsene Bürger mit Kindern gleichsetzen, fällt das allein auf Sie zurück. Ansonsten habe ich dazu nichts zu sagen, was auch? Ist Schulpflicht illiberal? Echt, CitizenK, die Frage ist niveaulos.

                Nebenbei hat der Staat nur einen eingeschränkten Erziehungsauftrag, was mancher Lehrer immer wieder vergisst. Aufgabe ist es nicht, den Sozialismus oder grüne Themen anzupreisen, sondern Kinder zu selbständigen Staatsbürgern (mit-) heranzuziehen. Zu Bürgern, die eine kritische Distanz zu eben diesem Staat im Sinne der Abwehrrechte des Grundgesetzes haben.

                • CitizenK 16. August 2020, 13:13

                  In Kanada, Australien, Neuseeland und den USA gibt es keine vergleichbare Schulpflicht, sondern nur eine Unterrichtspflicht. Die auch die Eltern selbst übernehmen können.

                  Die Schulpflicht greift tief in das Selbstbestimmungsrecht der Eltern ein.

                  Wo ist jetzt Ihr Niveau? Wo? Phrasen statt Argumente.

                  • Dennis 16. August 2020, 20:59

                    Richtig. In Frankreich gibt’s übrigens auch keine Schulpflicht, sondern stattdessen eine Unterrichtspflicht, ggf. durch Personen nach Wahl der Eltern oder durch die Eltern selbst.

                    Zitat aus Wikipedia:

                    „Die Schulpflicht wurde in Frankreich am 28. März 1882 eingeführt. Heute sind durch die Bildungspflicht auch Hausunterricht und Unschooling möglich, (zum Beispiel non-scolarisation genannt). Möchte ein Kind im Einvernehmen mit den Eltern nicht zur Schule gehen, melden die Eltern dies der Stadt, die in diesem Falle in regelmäßigen Abständen die familiären Bedingungen, die Gesundheit und die Lernfortschritte des Kindes überprüft. Etwa 20.000 Kinder in Frankreich besuchen keine Schule.“

                    Das ist natürlich eine geringe Zahl, aber immerhin ist das möglich.

                    Im Gesetz heißt das so:

                    „L’instruction obligatoire peut être donnée soit dans les établissements ou écoles publics ou privés, soit dans les familles par les parents, ou l’un d’entre eux, ou toute personne de leur choix“

                    • Ariane 17. August 2020, 02:24

                      Richtig. In Frankreich gibt’s übrigens auch keine Schulpflicht, sondern stattdessen eine Unterrichtspflicht, ggf. durch Personen nach Wahl der Eltern oder durch die Eltern selbst.

                      Oh danke, wusste ich gar nicht. Haben die dann auch einen normalen Schulabschluss und können später studieren?

                    • Dennis 17. August 2020, 13:28

                      @ Ariane

                      Hmmm, gute Frage.

                      Tatsächliche „praktische Fälle“ kenne ich nicht. Das „Phänomen“ hat ja auch Seltenheitswert^, das Interesse soll aber angeblich zunehmen. Keine Ahnung, ob das stimmt.

                      Hier dazu Näheres, für uns Spezialisten^:

                      https://fr.wikipedia.org/wiki/Instruction_à_domicile#France

                      Es gibt Initiativen, diese Tradition abzuschaffen; das kommt indes politisch interessanterweise aus der konservativen Ecke, ist also nicht linksgrün versifft induziert. Auf einer durch und durch liberalen Seite (hallo, Herr Pietsch) kann man dazu was nachlesen:

                      https://www.contrepoints.org/2016/05/09/252178-un-projet-de-loi-pour-interdire-lecole-a-la-maison

                      Liberale Puristen könnten einwenden, dass das System in F nicht wirklich „frei“ sei, weil der Staat eine gewisse Aufsicht ausübt. Gewährleistet aber immerhin weniger vom pösen Staat, wenngleich der an dieser Stelle durchaus nicht ganz beseitigt ist.

                      Hard-core Liberale sehen die Schulpflicht (Hallo, Herr Pietsch) so wie in dieser Karikatur in „Contrepoints“ :

                      https://www.contrepoints.org/wp-content/uploads/2016/05/école-à-la-maison-rené-le-honzec.png

                      Polizei holt Kind von zu Hause ab und bringt es zum Staat. Igitttigitttigitt. Interessanterweise école à la maison „streng verboten“ auf deutsch unübersetzt. Hmmmm.

                      Die Abschaffung der Schulpflicht in D wäre übrigens z.Zt. verfassungswidrig (i.e. die Verfassungen der Länder), aber egal, ich hätte nichts dagegen, die Regelungen aus F nach D zu übertragen (verfassungsändernd auf Länderebene), falls mich jemand danach fragt^. Das wäre eine LIBERALISIERUNG.

                  • Stefan Pietsch 16. August 2020, 22:42

                    Wissen Sie noch, worum es ging?

                    Der Liberale will das Verhalten durch die Obrigkeit nicht beeinflussen, schließlich wählen die Bürger einen Staat, damit er bestimmte Dinge regelt und nicht, dass er sie erzieht. Der Liberale will den freien Willen des Bürgers nicht verändern. Das ist der Punkt, der alle Liberalen bis hin zu den Libertären eint.

                    Der Illiberale sieht die Dinge ganz anders, er will den freien Willen des Bürgers biegen oder sogar brechen.

                    Können Sie mir aufzeigen, wo in diesem Statement Kinder vorkommen?

                    Ich erkenne nicht den geringsten Sinn in Ihrem Verweis auf die Schulpflicht. Das ist erstaunlich, dies ausgerechnet einem (ehemaligen) Lehrer sagen zu müssen.

                    Kinder gehören Eltern nicht. Eltern können mit Kindern nicht machen, was sie wollen. Sie verstehen das nicht? Habe ich mir gedacht. Also konkret: Ich darf mich verstümmeln und sei es nur mit einem Tattoo oder Piercing, von schwerwiegenderen Sachen ganz zu schweigen. Das hat keine Rechtsfolgen für mich. Es ist mir jedoch nicht erlaubt, das mit meinem minderjährigen Kind zu machen, selbst wenn der 12jährige behauptet, es zu wollen. Das ist Körperverletzung und darauf stehen Haftstrafen.

                    Auch der Staat darf in Ausübung des ihm übertragenen Erziehungsauftrags nur eingegrenzt erziehen. So können Eltern die Erziehung nach bestimmten Prinzipien und Werten verlangen und auch durchsetzen (katholisch, Montessori u.ä.). In manchen Ländern, das wird Ihnen nicht gefallen, können sie sogar verlangen, dass ganze Lerninhalte wegfallen.

                    Vielleicht merken Sie langsam selbst, welch absurden Seitenweg Sie eingeschlagen haben, um einem Liberalen nachzuweisen, dass er sehr wohl scharfe Eingriffe in seine private Lebensführung akzeptiert. Staat und Eltern zerren um das Kind, aber ihre Rechte kreisen nur darum. Wer überhaupt kein Mitspracherecht an seiner eigenen Lebensführung hat, ist das Kind. Das ändert sich erst, dann aber vollständig, mit Erreichen der Volljährigkeit. In diesem Moment wird aus einem unmündigen Menschen ein Bürger.

                    Für den Liberalen steht das Individuum über allem, für den Linken wie Konservativen die Sippe. Das zumindest haben Sie wieder eindrucksvoll bewiesen. Wissen Sie, woher der Ausdruck „Kommunismus“ stammt? Es kommt aus dem Lateinischen communis, also gemeinsam.

                    Eltern stehen in einer Art Treuhänderverhältnis zu ihren Kindern. Entscheidungen unterliegen dem Vorbehalt des Interesses. Ist eine Entscheidung im Interesse des Kindes? Es steht Ihnen frei, sich bis zur Halskrause zu verschulden. Mit Ihren Kindern können Sie das nicht machen. Mehr noch, jede getroffene Entscheidung kann mit Erreichen der Volljährigkeit rückabgewickelt werden.

                    Ich fürchte, was liberal ausmacht, werden Sie nie begreifen. Aber vielleicht verstehen Sie nun zumindest, warum ich den Verweis auf die Schulpflicht so daneben fand.

                    • Dennis 17. August 2020, 01:04

                      Stefan Pietsch:
                      „Wissen Sie noch, worum es ging?“

                      Ja weiß ich, es ging um die Ausgangsfrage von Citizen K. Die lautete:

                      Zitat:
                      „Ist Schulpflicht illiberal?“

                      Wenn Sie nicht in der Lage sind, diese Frage zu beantworten, weil Sie sich nicht darüber im Klaren sind, was der Bergriff SCHULPFLCHT überhaupt aussagt, ist das Ihr Problem.

                      Der Rest sind Sottisen und Trollgequake – wie immer, wenn Sie keine Ahnung haben, was bestimmte Begriffe bedeuten bzw. was eigentlich Gegenstand der Aussage ist.

                      Zitat Stefan Pietsch
                      „Aber vielleicht verstehen Sie nun zumindest, warum ich den Verweis auf die Schulpflicht so daneben fand.“

                      Nein, verstehe ich überhaupt nicht. Es gibt Alternativen zur Schulpflicht, die einen entstaatlichenden Charakter haben, also zur Frage berechtigen, warum Sie diesbezüglich keine liberaleren (gemäß Ihrer schlichten Begriffswelt) Lösungen anstreben, also die Eltern von den Staatsschulen bzw. staatlich kontrollierten Privatschulen, also ggf. auch von rot-grün versifften Lehrern (auf diese „Gefahr“ haben Sie ja hingewiesen) , „befreien“, was doch möglich wäre, siehe Frankreich, USA etc.

                    • Stefan Pietsch 17. August 2020, 08:53

                      Ja weiß ich, es ging um die Ausgangsfrage von Citizen K.

                      Nein, wissen Sie nun belegbar nicht. Ich hatte zu Stefans Artikel eine Bewertung liberal / illiberal abgegeben. Das rief CitizenKs rhetorischen Widerwillen auf den Plan:

                      Ist Schulpflicht illiberal? Sie will ja schließlich „einen anderen Menschen schaffen“.

                      Der Einwand ist völlig fehl am Platz. In dem Statement ging es (ausschließlich) im erwachsene Bürger. Die Erziehung von Kindern kommt darin nicht vor. Zudem ist zumindest in Deutschland der Staat verpflichtet, Schüler weltanschauungsneutral im Rahmen des Grundgesetzes zu bilden. Eltern dürfen ihren Kindern eine Weltanschauung vermitteln.

                      Aber um das alles geht es nicht bei der Frage, darf der Staat seine Bürger erziehen. Der Liberale antwortet mit nein, der Illiberale mit ja.

                      Gehen Sie zur Beweissicherung im Strang zurück, der ist ja noch überschaubar. Und kommen Sie nicht mit so Trollgehabe ohne Ahnung vom Debattengegenstand sich mit Pöbeleien reinzuhängen.

                      Es gibt Alternativen zur Schulpflicht, die einen entstaatlichenden Charakter haben, also zur Frage berechtigen, warum Sie diesbezüglich keine liberaleren (..) Lösungen anstreben, also die Eltern von den Staatsschulen bzw. staatlich kontrollierten Privatschulen, also ggf. auch von rot-grün versifften Lehrern (..) , „befreien“, was doch möglich wäre, siehe Frankreich, USA etc.

                      Troll. Es war ein Statement zur Unterscheidung von liberal / illiberal, keine Handlungsempfehlung für spezifische Probleme.

                      Case closed.

  • EStz 13. August 2020, 21:29

    @ Stefan Sasse

    Die Kür von Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten hat der SPD einen Startvorteil im Bundestagswahlkampf für 2021 verschafft.

    Wer ein „weiter so“ möchte, wählt die Union. Die kann bürgerliche Politik auch umzusetzen. Wer aber einen Politikwechsel möchte, kann mit Scholz nichts anfangen (Postillion).
    Je näher die Wahl rückt, umso geht es darum, ob Armin Laschet, Friedrich Merz oder Markus Söder der bessere Kanzler wäre – oder vielleicht doch Jens Spahn? Die SPD wird nur dahingehend eine Rolle spielen, dass sich die Parteilinken wie stets mit öffentlichen Forderungen nach Kröten überbieten werden, die er zu schlucken hat, sollte er tatsächlich Kanzler werden.
    Die SPD hat mit gewohnter Treffsicherheit den besten Weg gewählt, ihre Nichtbedeutung dar- und sicherzustellen.

    • Stefan Sasse 14. August 2020, 22:37

      Sag das nicht. Scholz mir R2G ist definitiv ein Politikwechsel.

      • EStz 15. August 2020, 12:42

        R2G würde ein Politikwechsel sein, aber definitv nicht mit Scholz als Kanzler machbar.

        • Stefan Sasse 16. August 2020, 08:51

          Wette: Wenn die SPD von den R2G Parteien die stärkste ist und sie eine Mehrheit haben, wird das machbar.

      • JensHappel 17. August 2020, 08:35

        wäre 😉

        Ich bezweifele das. Aber vielleicht liege ich so daneben, wie ich hoffentlich mit meiner Prognose bei der Wiederwahl von Trump daneben liegen werde.

  • Jens Happel 14. August 2020, 10:35

    Der Artikel gefällt mir. Ich stimme dir zu, dass die SPD fast nur schlechte Optionen hatte.

    Ich denke, dass beste was Scholz und SPD passieren könnte, wäre Merz oder Söder als Kandidat der CDU/CSU.

    Gruß Jens

  • sol1 16. August 2020, 00:29

    Wir haben derzeit eine große und zwei kleine Volksparteien, zwei Bekenntnisparteien und eine extremistische Protestpartei:

    https://www.insa-consulere.de/insa-analysis-potentiale/

    Je nachdem, wie sich die Parteien mit Kandidaten und Programm aufstellen, wird es Verschiebungen geben, aber am grundsätzlichen Muster wird sich bis zur Wahl wohl nichts ändern. Damit läuft alles auf Schwarz-Grün nach der nächsten Wahl zu.

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