Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
Verrückt, dass wir Frauen so sehr in einem medizinischen und moralischen System gefangen sind, dass wir gar nicht darauf kommen, zu fordern, dass wir eine zutiefst private und intime Erfahrung wie einen Schwangerschaftsabbruch selbst gestalten können. Dass ausgerechnet in der Illegalität, wenn Frauen nichts Anderes übrig bleibt, als den Abbruch eigenständig zu organisieren, sie Strukturen aufbauen, mit denen sie diese Erfahrung zu ihren Bedingungen machen. Unabhängig von einem paternalistischen Spießrutenlauf an Rechtfertigungen und Formalitäten mit ÄrztInnen und BeraterInnen, den Frauen in Deutschland und anderswo mitmachen müssen und der ihnen vermittelt, darum bitten zu müssen, Entscheidungen über ihre Körper und ihre Zukunft treffen zu können. Verrückt. […] Hinter dem mangelnden Vertrauen steckt ein althergebrachtes patriarchales Motiv: Das Mutterideal teilt Frauen immer noch in Huren oder Heilige ein. Frauen sollen Heilige sein, also eher für andere Menschen (und Embryonen) da sein als für sich selbst. Wir wollen Zugriff auf die Frau als Ressource haben, die Wärme und Liebe in unserer Gesellschaft spenden soll. Hinter dem Kult um das Mutterideal stehen aber auch ökonomische Interessen. Die Strukturierung der Lohnarbeit, des Steuersystems ebenso wie die geschlechtliche Arbeitsteilung in der Kleinfamilie beruhen auf der emotionalen Zurichtung der Frau als unbezahlte Fürsorgearbeiterin, die freiwillig Liebe gibt. Auf der anderen Seite steht die Hure, die Hedonistin, die nicht verantwortungsvoll mit ihrer Reproduktionsfähigkeit umgehen kann. So kommentierte etwa der jetzige Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) 2014 anlässlich der Debatte um die rezeptfreie Vergabe des Notfallverhütungsmittels Levonorgestrel, Frauen würden diese „Pille danach“ wie Smarties essen, sollte sie rezeptfrei erhältlich sein. Wieso glaubt ein Gesundheitsminister eine solche Aussage wie von einem moralischen Feldherrenhügel aus treffen zu können, die aber nur seine Inkompetenz bezeugt? Fakt ist: Ungewollte Schwangerschaften entstehen auch trotz Verhütung. Die Vorstellung, Frauen seien zu verantwortungslos zum Verhüten, speist sich aus der Unwissenheit über die Fehlerquote, Kosten und Unverträglichkeit der gängigsten Verhütungsmethoden und die mangelnde Kooperation von Männern. Frauen müssen ihre Gebärfähigkeit wohl oder übel managen und es gibt keine hundertprozentig sichere Methode gegen ungewollte Schwangerschaften. (Zeit)
Bei Debatten über Abtreibung muss man immer im Kopf behalten, dass es sich um eine moralisch-ethische Diskussion handelt, in die jede Seite mit gewissen Prämissen geht. Während Befürworter der Legalisierung auf Basis eines Wertesystems argumentieren, das die körperliche Autonomie der Frau an erste Stelle stellt – und daher auch Aufrufe wie den obigen verfassen kann – argumentieren Gegner einer Abtreibungslegalisierung mit dem Schutz ungeborenen Lebens. Beide Positionen sind dadurch, dass es sich um Wertfragen handelt, in einer pluralistischen Gesellschaft legitim und haben den gewaltigen Nachteil, dass Kompromisse schwer bis unmöglich sind. Ich kann nicht sowohl ungeborenes Leben schützen als auch die körperliche Autonomie der Frau wahren. Einer der beiden Grundwerte muss zwingend hinter dem anderen zurückstecken, wann immer es zum Konflikt kommt. Das ist bei jedem Wertekonflikt so.
Das beste Beispiel dafür ist die Frage der Homo-Ehe vergangenen Frühsommer. Ich kann entweder das moralische Prinzip vertreten, dass der Schutz von Ehe und Familie nur für heteronormative Paare mit (zumindest theoretisch möglichem) Kinderwunsch gilt oder dass der spezielle grundgesetzliche Schutz der Ehe auch auf andere Gruppen ausgeweitet wird. Ein Kompromiss ist unmöglich: es kann nur entweder das eine oder das andere Prinzip gelten.
Vor diesem Hintergrund ist es auch immer etwas problematisch, diese Fragen vor dem Bundesverfassungsgericht klären zu wollen. Dieses hat zwar grundsätzlich eine verlässliche, unaufgeregte und weise Rechtsprechung, ist aber nicht die Institution, die solche Fragen klären sollte. Das ist der Bundestag, denn diese Normenkonflikte werden gesamtgesellschaftlich ausgetragen und sollten daher auch im parlamentarischen Streit ihre Entsprechung finden, bevorzugt in freigegebenen Abstimmungen ohne Fraktionszwang, da ethisch-moralische Fragestellungen sehr persönliche Fragen sind. Gleichzeitig ist es natürlich zu begrüßen, wenn die Trends in der Bevölkerung auch gesetzlich eine Entsprechung finden (sprachen sich doch schon lange große Mehrheiten für die Homo-Ehe aus).
Es dürfte Leser dieses Blogs wenig überraschen, dass ich grundsätzlich eine Legalisierung der Abtreibung befürworte und die obigen Argumente nur unterschreiben kann. Aber das liegt unter anderem daran, dass ich die Werte der Abtreibungsgegner nicht teile. Opfer gibt es in jedem Fall. Ist Abtreibung nicht legal, sind Frauen, die die Schwangerschaft nicht zu Ende bringen wollen (und mittelbar unter Umständen die Kinder) Opfer; ist sie legal, sind ungeborene Kinder zwangsläufig die Opfer. Welches der beiden man für vertretbarer hält hängt vom eigenen Wertesystem ab.
2) Study: Half of „The Last Jedi“ haters were politically motivated or not even human
Yesterday, researcher Morten Bay released an academic paper attempting to address those questions. Entitled „Weaponizing the Haters: The Last Jedi and the strategic politicization of pop culture through social media manipulation,“ it examines a sampling of 967 tweets (one per account) sent to writer/director Rian Johnson over a period of six months. Analysing the language used in the tweets, as well as the qualities possessed by the accounts tweeting them, Bay came to some startling conclusions – and some that aren’t startling at all. Turns out the film’s Twitter haters follow a similar pattern to its RottenTomatoes haters (which BMD reported on opening weekend). Bay first categorises the tweets into positive, neutral, and negative opinions, of which 206 (21.9%) ended up in the “negative” column (and only five were from female-identifying accounts). He then further analyses the negative tweets and their parent accounts, further dividing them into categories: 11 tweets from bots, 33 from sock puppet or troll accounts; 61 clearly driven by a political agenda, and 101 (i.e. 10.5% of the total) from demonstrably real people with a non-political reason for disliking the film. So if the study is anything to go by, no, not all Last Jedi haters are “politically motivated or not even human” – just around half of them. (Birth Movies Death)
Zunehmend wird deutlich, dass die sozialen Netzwerke ein Kriegsschauplatz sind, auf dem die merkwürdigsten Grabenkämpfe ausgetragen werden. Aktuell zeichnen sich die Massenmedien durch eine wesentlich zu geringe Distanz zum Gegenstand aus. Noah Smith sprach letzthin auf Twitter darüber, dass das Medium zwar von praktisch allen Entscheidungsträgern, vor allem journalistischer Art, heute benutzt wird, für große Teile der Bevölkerung aber irrelevant ist und dass deswegen „Twitter-Wars“ in den Nachrichten eine wesentlich größere Rolle einnehmen, als ihnen eigentlich zusteht.
Wenn man dazu Erkenntnisse wie die oben hinzuzieht, wird das Bild noch düsterer. Dass Bots, möglicherweise aus Russland gesteuert, in der Präsidentschaftswahl 2016 die sozialen Netzwerke mit Pro-Trump-Propaganda geflutet haben ist, im Gegensatz zu den Auswirkungen und der Wirkmächtigkeit dieser Attacken, mittlerweile anerkannte Tatsache. Dass solche Bots mittlerweile auch in Debatten wie die Qualität der jüngsten Star-Wars-Filme eingreifen und diese zur Spaltung der Gesellschaft nutzen, ist beunruhigend.
Zwar kann man jetzt über die Frage, ob The Last Jedi ein guter Film ist oder nicht, die Schultern zucken. Aber das ist ja nur ein Fall, und es ist nicht anzunehmen, dass es ein Einzelfall ist. Wenn Bots sich in Diskussionen über alle möglichen Themen einmischen, und wenn Trolle dasselbe tun, mit dem Ziel, die Debatte zu verschärfen und anzuheizen, ist das für das gesamtgesellschaftliche Klima wenig förderlich. Diese gesellschaftliche Spaltung hat Rückwirkungen zurück auf den politischen Raum, und spätestens hier betrifft es uns dann doch wieder alle, und nicht nur Star-Wars-Cineasten. Es braucht deutlich mehr Untersuchungen, Debatten und Vorsicht bei diesem Thema, als das in der unreflektierten Wahrnehmung der Sozialen Netzwerke bisher der Fall ist.
3) Climate scientists are struggling to find the right words for very bad news
At issue is what scientists call the ‘carbon budget’: Because carbon dioxide lives in the atmosphere for so long, there’s only a limited amount that can be emitted before it becomes impossible to avoid a given temperature, like 1.5 degrees Celsius. And since the world emits about 41 billion tons of carbon dioxide per year, if the remaining budget is 410 billion tons (for example), then scientists can say we have 10 years until the budget is gone and 1.5 C is locked in. Unless emissions start to decline — which gives more time. This is why scenarios for holding warming to 1.5 degrees C require rapid and deep changes to how we get energy. The window may now be as narrow as around 15 years of current emissions, but since we don’t know for sure, according to the researchers, that really depends on how much of a margin of error we’re willing to give ourselves. And if we can’t cut other gases — such as methane — or if the Arctic permafrost starts emitting large volumes of additional gases, then the budget gets even narrower. “It would be an enormous challenge to keep warming below a threshold” of 1.5 degrees Celsius, said Shindell, bluntly. “This would be a really enormous lift.” So enormous, he said, that it would require a monumental shift toward decarbonization. By 2030 — barely a decade away — the world’s emissions would need to drop by about 40 percent. By the middle of the century, societies would need to have zero net emissions. What might that look like? In part, it would include things such as no more gas-powered vehicles, a phaseout of coal-fired power plants and airplanes running on biofuels, he said. “It’s a drastic change,” he said. “These are huge, huge shifts … This would really be an unprecedented rate and magnitude of change.” And that’s just the point — 1.5 degrees is still possible, but only if the world goes through a staggering transformation. An early draft (leaked and published by the website Climate Home News) suggests that future scenarios of a 1.5 C warming limit would require the massive deployment of technologies to remove carbon dioxide from the air and bury it below the ground. Such technologies do not exist at anything close to the scale that would be required. “There are now very small number of pathways [to 1.5C] that don’t involve carbon removal,” said Jim Skea, chair of the IPCC’s Working Group III and a professor at Imperial College London. It’s not clear how scientists can best give the world’s governments this message — or to what extent governments are up for hearing it. (Washington Post)
Es ist ein schweres Manko dieses Blogs, dass hier so wenig über Klimathemen gesprochen wird. Das liegt glaube ich auch daran, dass sie im Gegensatz zu den Themen, die uns hier in den Kommentarspalten häufiger bewegen, nur schwer auf spezifische Ereignisse, die sich isoliert diskutieren lassen, herunterbrechen lassen. Die Klimawissenschaftler klingen letzten Endes immer gleich, und weil die Zeiträume, in denen sich die Problematik bewegt, viel zu groß für den menschlichen Verstand sind (wir sind furchtbar schlecht darin langfristig zu denken, siehe auch Altersvorsorge…), scheint das alles ein einziger Brei zu sein, der eigentlich unlösbar in der unbestimmten Zukunft vor sich hinwabert. Dabei bräuchte es eigentlich radikale Maßnahmen, um gegenzusteuern.
Diese Mechanik macht es auch den Klimaleugnern (ich warte schon auf die entsprechenden Kommentare) leicht, das Problem entweder rundheraus zu leugnen (indem den Wissenschaftlern Vertrauen, Objektivität und Kompetenz abgesprochen werden) oder aber abzustreiten, dass an der generellen Klimaerwärmung wahlweise menschliche Ursachen vorliegen und/oder dass die Menschheit irgendetwas dagegen unternehmen könnte. Diese Untätigkeit ist ein absolutes Desaster, ein fortgesetztes Desaster, an dem auch Deutschland maßgeblich Mitschuld trägt.
Das absolute Risiko einer medizinischen Intervention unterscheidet sich dabei vom relativen Risiko. Das wird an einem Beispiel klar: Angenommen, bei einem Test kann durch ein Medikament die Zahl der Erkrankungen von 10 auf 5 Fälle bei 1000 Personen reduziert werden. Relativ gesehen ist das eine Reduzierung des Krankheitsrisikos um 50 Prozent (5 von 10). Absolut gesehen sind es jedoch nur 0,5 Prozent (5 von 1000). Die erste Zahl wird vermutlich die Firma, die das Medikament vermarkten möchte, bevorzugt verwenden. Die zweite Zahl ist aber wesentlich aussagekräftiger, da sie die Gesamtheit aller Fälle berücksichtigt. Das wird besonders deutlich, wenn es nicht um Heilung, sondern um Gefährdung geht. Betrachten wir diese von mir frei erfundenen Aussagen: »Der Konsum von einem Glas Bier pro Tag erhöht das Herzinfarktrisiko um 50 Prozent« und: »In der Gruppe der Menschen, die pro Tag ein Glas Bier getrunken haben, erlitten 2 von 1000 Menschen einen Herzinfarkt; in der Gruppe, die kein Bier trank, gab es dagegen nur einen Herzinfarkt unter 1000 Personen«. Beide Aussagen beschreiben denselben Sachverhalt. Doch es klingt für uns definitiv gefährlicher, wenn wir hören, dass das Risiko eines Herzinfarkts um 50 Prozent steigt. Das ist aber eben nur das relative Risiko. Diesem liegt der Befund zu Grunde, dass in der einen Gruppe eine Person und in der anderen zwei Personen einen Herzinfarkt hatten. Das absolute Risiko stieg dagegen bloß um 0,1 Prozent (1 Person von 1000). Die Angabe von relativen Risiken findet man leider viel zu oft in Medienberichten. Kein Wunder, denn sie klingen im Allgemeinen viel spektakulärer. Wenn wir wirklich über Gefahren oder Erfolge Bescheid wissen wollen, sollten wir nach den absoluten Zahlen suchen. Vor allem jedoch sollten wir uns immer der Tatsache bewusst sein, dass wir Wahrscheinlichkeiten und Risiken nicht ohne Weiteres korrekt einschätzen können. Der Rückgriff auf die Mathematik mag oft mühsam und kompliziert sein. Aber wenn wir die Dinge klar sehen möchten, bleibt uns keine andere Wahl. (Spektrum)
Ähnlich den in Fundstück 3 angesprochenen psychologischen Problemen verhält es sich auch mit Wahrscheinlichkeiten: es gibt nur wenig Konzepte, die Menschen so schwer verstehen. Ich habe das selbst während der Wahl 2016 zur Genüge spüren dürfen. Eine Wahrscheinlichkeit von 70% locker auf 100% aufzurunden ist keine gute Idee, nur als ein verirrtes Beispiel. Dass die Beispiele im obigen Artikel einen eigenen Fehler enthalten, indem eine Steigerung von 1 auf 2 als 50%-ige Steigerung betrachtet wird, macht die Sache alles, aber nicht besser. Es ist eines dieser Gebiete, auf dem man sich stets zur intellektuellen Disziplin ermahnen muss, um Nachrichten richtig einordnen zu können – sonst begeht man meinen Fehler und wird eiskalt von einem Ergebnis überrascht, das man selbst als unmöglich eingestuft hat. Vermutlich wären etwa unsere Straßen ein sichererer Ort, wenn Autofahrer besser darin wären, die Wahrscheinlichkeit von Gefahren einschätzen zu können…
5) Republican ruthlessness is not why they control the Supreme Court
This sense that maybe Democrats just didn’t fight hard enough is driven by a mix of understandable progressive frustration and equally understandable braggadocio from Senate Majority Leader Mitch McConnell, who’s running around talking about how he’s “stronger than mule piss” (which I guess is strong). But none of this is true. The Republican and Democratic parties really are different in important ways, but one way in which they are not different is that when it comes to congressional votes, Republicans win when they have the numbers, and Democrats win when they have the numbers. […] Had Scalia died during the six-year period when Harry Reid was majority leader, Obama would have appointed his successor, and we would add “created the first progressive majority on the Supreme Court since the 1960s” to his résumé. Had Scalia lived through the 2016 election, he would have retired with Trump in office, and the process of replacing him with Neil Gorsuch would have been a normal SCOTUS succession rather than a Mitch McConnell masterstroke. […] At the end of the day, the belief that getting two Supreme Court nominees confirmed reflects some kind of peculiar legislative genius on the part of Mitch McConnell doesn’t stand up to any kind of scrutiny. After all, Barack Obama and Harry Reid also got two Supreme Court justices confirmed. So did George W. Bush and Bill Frist. So did Bill Clinton and George Mitchell. That’s just what happens. That’s not to deny that McConnell is a shrewd legislative tactician — he’s an experienced politician and legislative leader, and he’s good at his job. It’s just to emphasize that, in many ways, circumstances make the man. Had the 2016 election broken slightly differently, after all, the blockage on Merrick Garland might have ended up looking like a fiasco that ultimately allowed President Hillary Clinton to swap him out in favor of a younger and more left-wing justice. (Vox)
Dieser Artikel ist ein ebenso notwendiges wie wertvolles Korrektiv für viele „hot takes“ über die aktuellen politischen Geschehnisse und lässt sich problemlos auf jedes andere Land und jede andere Situation übertragen. Beobachter des politischen Prozesses neigen kurioserweise dazu, die Macht von Mehrheiten völlig zu unterschätzen und stattdessen den jeweiligen politischen Führungspersonen irgendwelche magischen Fähigkeiten zu unterstellen oder abzusprechen, Mehrheitsverhältnisse auszuhebeln.
Ein besonderes prominentes Opfer dieses Effekts in Deutschland ist die SPD, der gerne vorgeworfen wird, ihr Wahlprogramm in der Großen Koalition nicht durchzusetzen, völlig ungeachtet der Tatsache, dass sie nicht 51% der Stimmen, sondern (aktuell) nur rund 21% haben. Auch Obama wurde gerne dafür kritisiert, dass er seine Politik nicht durch den Kongress brachte. Statt dafür richtigerweise das banale Fakt, dass seine Gegner ihn kontrollierten, als Erklärung zu nehmen, wurde dann immer gerne mit mangelnder Führungsstärke argumentiert, wie jetzt Trumps völlig überraschende politische Fähigkeiten beschworen werden, wo ganz banal seine Verbündeten die Schaltstellen der Macht kontrollieren. Trumps „deal making“-Fertigkeiten werden, so meine zu 100% eintreffende Prognose, mit dem Verlust einer oder beider Kammern eine deutliche Verringerung erleiden – was auch darauhin deutet, dass sie so nie existiert haben, genausowenig wie Obamas „Führungsschwäche“ nach 2010.
Auch in der internationalen Politik findet sich dieser Blödsinn häufig, wo dann lautstark bejammert wird, dass die „internationale Gemeinschaft“ dieses odern jenes nicht vermöge, wo schlichtweg keine Mehrheit für die jeweilige Maßnahme zu finden ist oder halt ein Vetospieler im Weg sitzt. Jede noch so berechtigte Entrüstung in der westlichen Staatengemeinschaft wird einen Putin nicht davon abhalten, Maßnahmen gegen Syrien im Sicherheitsrat zu blockieren, ganz egal wie emphatisch und „führungsstark“ sich das jeweilige westliche Führungspersonal gibt.
6) Sozialdetektive. Ein Gesetz in der Schweiz sieht weitreichende Eingriffe in die Privatsphäre vor
Das Gesetz erlaubt die Überwachung einer Person überdies nicht nur, wenn diese sich an einem allgemein zugänglichen Ort befindet, sondern auch, wenn sie sich an einem Ort befindet, „der von einem allgemein zugänglichen Ort aus frei einsehbar ist.“ Erlaubt ist damit die Überwachung privater Gärten, von Balkonen und Wohnungen, mithin auch von Wohn- und Schlafzimmern (mittels Teleobjektiven und Richtmikrophonen). Man denke dabei an neue Wohnbauten, wo oft ganze Fronten aus Fenstern bestehen… Demgegenüber dürfen Verdächtige im Rahmen einer polizeilichen Strafverfolgung nur „an allgemein zugänglichen Orten“ observiert werden, wie Art. 282 der Strafprozessordnung festhält. Private Räume, auch wenn diese von einem öffentlichen Ort aus einsehbar sind, bleiben für die Strafermittler tabu. Das heisst, dass die Organe der Sozialversicherungen – d.h. die auch von privaten Versicherungsunternehmen beauftragten Sozialdetektive – stärker in die Privatsphäre von Verdächtigen eingreifen dürfen als die Organe der Strafverfolgung, sprich die Polizei. Mit anderen Worten: Das Gesetz ermächtigt die Sozialversicherungen zu Grundrechtseingriffen, welche selbst bei der Verfolgung von Verbrechen in dieser Form nicht zulässig sind. […] Warum soll man Menschen, die des Missbrauchs von Sozialversicherungsleistungen verdächtigt werden, härter anfassen als Verdächtigte eines Vergehens oder Verbrechens, ganz zu schweigen von jenen, die der Steuerhinterziehung verdächtigt werden? Es ist unübersehbar, dass die jahrelange Verleumdung der Sozialleistungsbezüger als „Sozialschmarotzer“ und „Scheininvalide“ ihre giftigen Früchte trägt. Wie anders ist es zu erklären, dass nur Bezüger von Leistungen der Sozialversicherungen aufs Korn genommen werden, nicht aber Bezüger von Subventionen, geschweige denn hinterziehende Steuerschuldner? Ob jemand Steuern hinterzieht oder unrechtsmässig Sozialversicherungsleistungen bezieht, macht für das geschädigte Gemeinwesen keinen Unterschied. Bezüger von Sozialversicherungsleistungen werden einem Generalverdacht unterstellt. Anders ist diese unverhältnismässige Überwachungsgesetzgebung nicht zu erklären. Und aus den genannten Gründen ist sie auch in keiner Weise zu rechtfertigen. (Geschichte der Gegenwart)
Es zeigt sich einmal mehr, dass die rechten Parteien trotz ihrer entsprechenden Rhetorik eben keine „Law and Order“ vertreten. Dasselbe Prinzip lässt sich ja bei den Republicans in den USA betrachten. Vielmehr geht es hier um eine Nutzung des Staats als Waffe, die dann in rechtsstaatliche Begriffe gewandet wird, mit denen sie aber wenig zu tun hat. In Deutschland durften wir dieses Phänomen jüngst im Falle der für unrechtmäßig erklären Abschiebung von bin Ladens ehemaligem Leibwächter bewundern, wo plötzlich alle Rechten ihre Liebe zum Rechtsstaat, die sie bei Merkels Flüchtlingspolitik so ergreifend in Szene zu setzen wussten, beiseite ließen und für das unkontrollierte Herrschen des „gesunden Volksempfindens“ in der Rechtsprechung plädierten.
Zum ersten Mal seit längerer Zeit stehen energiepolitische Themen in diesem Herbst wieder ganz oben auf der Agenda. Im Hambacher Forst stehen sich militante Umweltschützer, RWE und Staatsgewalt unversöhnlich gegenüber. Die Umweltverbände BUND und Greenpeace ketten sich im Rheinland an jeden einzelnen Baum und drohen mit dem Ausstieg aus der Kohlekommission. Und gleichzeitig stellt der Berliner Bundesrechnungshof der Regierung in seinem neuesten Energiewende-Bericht ein verheerendes Zeugnis aus. […] Fest steht, dass die Kernenergie der Zukunft anders aussehen wird als die, welche wir heute in der deutschen Provinz sehen. Aber ob sie verschwinden muss – das sei dahingestellt. Mauern stehen nicht 100 Jahre, nur weil ein Honecker das ein Jahr vor Mauerfall behauptet. Auch die Mauern der deutschen Diskurse, der deutschen Mehrheitsverhältnisse und des deutschen Atomgesetzes sind da keine Ausnahme. (Salonkolumnisten)
Wenn der Hambacher Forst den Effekt hätte, durch eine erhöhte Salienz des Energie- und Umweltthemas eine Verdrängung des Flüchtlingsthemas zu erreichen, wäre das grundsätzlich zu begrüßen. Aber die rechten identity politics wirken dem leider entgegen, und der Hambacher Forst wird ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des ausgestreckten Zeigefingers debattiert, damit die konservativen Hypermoralisten ihr Gutmenschentum unter Beweis stellen.
8) Trump officials plan maintenance downtimes during the healthcare.gov signing-up period
The Trump administration is planning hours-long downtimes for maintenance on healthcare.gov during the coming ObamaCare sign-up period. The administration drew criticism for a similar move last year from advocates who said the downtime would hinder efforts to sign people up for coverage, but the administration counters that maintenance downtime happens every year and is designed to occur during the slowest periods on the site. The maintenance schedule is the same as last year, the federal Centers for Medicare and Medicaid Services said Tuesday, meaning healthcare.gov is scheduled to be offline for maintenance from 12 a.m. to 12 p.m. each Sunday during the sign-up period, except for the final Sunday, for a total of 60 hours of downtime. […] Any announcement on the Trump administration’s plans for ObamaCare sign-ups draws scrutiny. Democrats have long accused the administration of “sabotaging” the law. For example, the Trump administration last year cut the advertising budget to encourage people to sign up by 90 percent, a move that Democrats quickly criticized saying it would significantly hinder the number of people enrolling. (The Hill)
Abgesehen davon, dass die Sabotageversuche der Trump-Regierung ungeheuer offenkundig sind – jede Gelegenheit, den Menschen den Zugang zu einer Krankenversicherung zu erschweren, wird genutzt – zeigt der Artikel ein deutliches Problem in der Politikberichterstattung auf, das in der Trump-Ära (und der des Aufstiegs der Populisten allgemein) zunehmend in den Fokus gerät: Die scheinbare Objektivität und unparteiische Ausgeglichenheit lässt jeden Anschein einer objektiven Wahrheit verschwinden.
Der obige Artikel framet die Reaktion der Democrats nach den klassischen Regeln der Politikberichterstattung: Seite A sagt das eine, Seite B das andere. Aber es ist nicht auch nur im Geringsten im Zweifel, dass die Regierung das Gesetz sabotiert. Da braucht es keine Anführungszeichen. Auch wird die Kürzung der Informationsbudgets um 90% selbstverständlich die Anwerbezahlen deutlich reduzieren.
Das hier als Kritik der Democrats statt als offensichtlichen Fakt zu präsentieren ist schon alleine deswegen Blödsinn, weil Trump und die Republicans diese Ziele offen ausgesprochen haben. Auf diese Art entsteht aber paradoxerweise gerade der Eindruck, den das Medium eigentlich vermeiden will: dass es sich um eine rein parteiische Geschichte handelt, in der echte Informationen nicht existieren. Wenn man auf die erfundenen Zahlen über Flüchtlingsgewalt der AfD genauso reagiert und die amtliche Statistik dann als eine weitere, mögliche Wahrheit gleichberechtigt neben offensichtliche Vernebelungsmanöver stellt, ist man nicht unparteiisch, man wird selbst Partei.
Wie dieses mediale Problem zu lösen ist, bleibt unklar. Denn würden die Medien quasi immer automatisch Partei ergreifen, wäre dem Grundparadox ja auch nicht abgeholfen. Es ist ein vertracktes Dilemma, das Politik, Medien und Gesellschaft im Zeitalter des Aufstiegs des Populismus‘ ergreift. Meine Vermutung ist, dass wir uns wieder weg von (scheinbar) objektiven Medien hin zu parteipolitisch klarer Sortierung bewegen, also mehr Weimar als Bonn. Aber man wird sehen.
9) Neocons paved the way for Trump. Finally, one admits it.
The populist style often played a key role in helping Republican candidates win elections. But Boot distinguishes between a populist pose and actual populism. For him, the breaking point began with Sarah Palin and ended with Trump. In his view, “[t]he rise of Palin and now Trump indicates that the GOP really truly has become the stupid party. Its primary vibe has become one of indiscriminate, unthinking, all-consuming anger.” Boot himself warned against the rise of a meretricious populism in a 1994 Wall Street Journal column in which he maintained that the GOP should not “ ‘Rush’ to embrace talk show democracy.” Perhaps the most notable part of Boot’s book is his willingness to face up to the fiasco that was the Iraq War. He notes that for years he felt defensive about his support for it and was too stubborn to cede any ground to his critics. “It is not nearly as easy to remake a foreign land by force as I had naively imagined in 2003,” he writes. And he recognizes that the catastrophic policies he espoused helped create the terrain for Trump to rumble to victory. In listening to Trump’s national security advisor, John Bolton, Boot says that he recognizes “my callow, earlier self. Bolton, a conservative firebrand since his days as a student at Yale University in the early 1970s, is whom I used to be.” Boot thus differs from the many other NeverTrumpers who often fail to recognize that belligerent policies have led to disaster at home as well as abroad. He issues a scorching indictment of the GOP: “I am now convinced that the Republican Party must suffer repeated and devastating defeats. It must pay a heavy price for its embrace of white nationalism and know-nothingism. Only if the GOP as currently constituted is burned to the ground will there be any chance to build a reasonable center-right political party out of the ashes.” Indeed, he concludes, “having escaped the corrosion of conservatism, I am a political Ronin, and will swear allegiance to no master in the future. I will fight for my principles wherever they may lead me.” (Washington Monthly)
Der eigentliche Artikel ist um einiges länger als der hier zitierte Ausschnitt und enthält neben einer ausführlichen Besprechung von Boots Buch auch noch eine längere Analyse der Wechselbeziehung zwischen dem klassischen republikanischen Establishment und den Rechtspopulisten à la Palin und Trump. Ich möchte an dieser Stelle den Artikel zur Lektüre anempfehlen und das Augenmerk auf einen speziellen Aspekt legen.
Der Aufstieg Trumps und seinesgleichen in den USA wird in der Debatte stark auf die Aspekte des Kulturkampfs verengt, also Themen wie #BlackLivesMatter oder #Metoo. Auf der Linken blitzt immer wieder der Aspekt der wirtschaftlichen Verhältnisse mit auf – Stichworte wie Ungleichheit, unregulierter Finanzkapitalismus, Immobilien- und Finanzkrise mitsamt den ganzen forclosures sollten hier als Stichworte ausreichen – aber ein Aspekt, der im eigentlichen Wahlkampf noch eine recht große Rolle gespielt hat ist seither in Vergessenheit geraten: den Bruch mit der Neocon-Vergangenheit.
Einer der entscheidendenderen Gründe für Hillarys Niederlage dürfte ihre Wahrnehmung als außenpolitischer Falke gewesen sein. Wo sie – on the record – bei praktisch jeder außenpoplitischen Krise der Obama-Ära eher für militärische Interventionen eintrat, war ein Alleinstellungsmerkmal Trumps in den primaries (und dann in abgeschwächter Form 2016 im eigentlichen Wahlkampf) dass er rhetorisch eindeutig mit den Neocons brach.
Unvergessen ist für mich der Augenblick in der Debatte in South Carolina im Frühjahr 2016, wo er Jeb! „Bush lied, people lied“ entgegenschleuderte und vom Bush-freundlichen Publikum ausgebuht wurde. Das schien damals ein tödlicher Fehler. Heute wissen wir, dass die Dominanz der Neocons im republikanischen Establishment damals eine entscheidende Trennung von der Basis war. Dass die #NeverTrump-Leute vor allem Trumps Bruch mit der Bush-Außenpolitik als Grund für ihren Bruch mit der GOP sehen, scheint mir ein unterbeobachtetes Element in dieser Gemengelage zu sein.
10) Eine andere Welt ist möglich – aber als Drohung
Zwar ist es richtig, dass sich das Heer der Frustrierten zu einem Gutteil aus geringverdienenden und wenig gebildeten Dienstleistungsarbeitern speist. Aber da ist ist noch eine zweite, fast genau so große Gruppe. Das mittlere Bürgertum ist ebenfalls gut vertreten auf den Barrikaden. Heinz Bude spricht schon von einer strategischen Allianz aus Arbeiterschaft und frustriertem Bürgertum. Doch während sich die Motivlagen der prekär Beschäftigten marxistisch deuten lassen, passen die Wutbürger nicht so recht ins Bild. Ist das nicht ein merkwürdiger Klassenkampf, in der Arbeiter und Bürger Seit an Seit gemeinsam kämpfen? […] Wir vergessen, dass politische Verortung eine Frage der Perspektive ist. So wie Köln und Düsseldorf sich als grundverschiedene Städte begreifen und der Berliner nur „Ruhrpott” sieht, sehen die besorgten Bürger in uns eine homogene Gruppe. Wir sind das nicht gewohnt, weil es unserer Binnenwahrnehmung widerspricht. Aber das spielt keine Rolle, denn wir werden von rechtsaußen so wahrgenommen. Und wir werden längst so referenziert. Donald Trump und das Alt-Right-Movement haben einen Namen für uns. Sie nennen uns „the globalists“. […] Es gibt heute eine globalisierte Klasse der Informationsarbeiter, der die meisten von uns angehören und die viel homogener und mächtiger ist, als sie denkt. Es sind gut gebildete, tendenziell eher junge Menschen, die sich kulturell zunehmend global orientieren, die die „New York Times“ lesen statt die Tagesschau zu sehen, die viele ausländische Freunde und viele Freunde im Ausland haben, die viel reisen, aber nicht unbedingt, um in den Urlaub zu fahren. Es ist eine Klasse, die fast ausschließlich in Großstädten lebt, die so flüssig Englisch spricht wie ihre Muttersprache, für die Europa kein abstraktes Etwas ist, sondern eine gelebte Realität, wenn sie zum Jobwechsel von Madrid nach Stockholm zieht. Europa und Nordamerika mögen Schwerpunkte sein, doch die Klasse ist tatsächlich global. Eine wachsende Gruppe global orientierter Menschen gibt es in jedem Land dieser Erd, und sie ist gut vernetzt. Diese neue globalisierte Klasse sitzt in den Medien, in den StartUps und NGOs, in den Parteien, und weil sie die Informationen kontrolliert („liberal media“, „Lügenpresse“), gibt sie überall kulturell und politisch den Takt vor. Das heißt nicht, dass sie politisch homogen im eigentlichen Sinne ist – zumindest empfindet sie sich nicht so – sie ist zum Beispiel in Deutschland fast im gesamten Parteienspektrum zu finden, in der CDU, SPD, LINKE, GRÜNE, FDP. Diese Klasse entspringt dem Bürgertum, aber hat sich von ihm emanzipiert. (Tagesspiegel)
Ich könnte aus diesem brillanten Artikel noch viel länger zitieren; es muss an dieser Stelle dieser Ausschnitt reichen. Tatsächlich halte ich die Beobachtungen, vor allem weil sie so wertneutral daherkommen, für äußerst relevant. Anstatt die banale Erkenntnis, dass es verschiedene soziokulturelle Milieus gibt als „Blase!“-Vorwurf für den Kulturkampf zu missbrauchen, nutzt Seemann sie für eine größere Analyse. Und diese ist erkenntnisreich gerade in ihrer Wertneutraliträt.
Wir Progressiven sollten viel pro-aktiver darin sein, unsere Ansichten zu verteidigen, statt ständig ein schlechtes Gewissen zu haben. Ich bin stolz auf die Label.
Ich bin gerne ein Globalist, weil ich keine Lust auf einen Rückfall in den national-beschränkten Mief voller Ressentiments und Kriegsgefahr habe, der frühere Generationen ausgesetzt waren und die ständige Erfahrung einer weltweiten Gemeinschaft ungeheur genieße.
Ich bin gerne ein Moralist, denn ich möchte nicht bewusst ein schlechter Mensch sein. Ich suhle mich nicht in der Erkenntnis, dass manche Menschen schlecht sind und will nicht zu ihnen gehören. Ja, ich habe moralische Ansprüche an die Gesellschaft und mich selbst, und ich stehe für diese ein.
Ich bin auch gerne ein Gutmensch, weil die Alternative dazu ist, ein Schlechtmensch zu sein. Eine Gesellschaft, in der „Gutmensch“ ein Schimpfwort ist, hat ein ziemlich pervesers Problem.
11) Wir müssen über Augstein reden
Wir besprachen an einem Montag in einer Ressortleiterkonferenz, wie wir über die ersten Vorwürfe, Weinstein habe Schauspielerinnen systematisch belästigt, berichten sollten. In den nächsten beiden Tagen wurde die Sache immer größer, also lud ich am Mittwoch in meinem Büro zu einer Konferenz nur zu diesem Thema ein. Wir sprachen über die Verquickung von Sex und Macht. Und dann stellte einer meiner Kollegen diese Frage: „Wenn wir das groß machen, was ist mit dem SPIEGEL, was mit Rudolf Augstein? Wir müssen dann Augstein erwähnen.“ Wir anderen blickten einander an und wussten sofort, dass der Kollege recht hatte. 2016 ist das Buch unserer früheren Kollegin Irma Nelles erschienen: „Der Herausgeber“ handelt vom SPIEGEL-Gründer, langjährigen Chefredakteur und Herausgeber Rudolf Augstein, geboren im Jahr 1923, gestorben im Jahr 2002. Augsteins Leitspruch „Sagen, was ist“ hängt in silbrigen Lettern im Atrium unserer SPIEGEL-Zentrale in Hamburg, er ist unser Credo. Und natürlich haben wir alle auch eine Bindung an diesen Mann, den die wenigsten von uns noch näher gekannt haben. Für ihn war Journalismus Stärkung der Demokratie durch Kontrolle und Kritik, das hat ihn ins Gefängnis gebracht. Er hat im SPIEGEL Bedingungen geschaffen, die es bis heute möglich machen, dass alle Mitarbeiter im Haus ihren Aufgaben leidenschaftlich nachgehen können. Denn Journalismus und alles, was dazugehört, ist eine Leidenschaft, und die hat Augstein verkörpert. Wir sind ihm dankbar dafür, und dennoch wissen wir oder ahnen vielmehr, dass seine Großzügigkeit, seine Leidenschaft auch eine dunkle Seite gehabt hat. (SpiegelOnline)
Es ist gut, dass der Spiegel bereit ist, auch die eigene hochgehaltene Vergangenheit aufzubearbeiten. Es erinnert mich ein wenig an die Aufbereitung der Kolonialzeit, die wir gerade als zartes, hart umkämpftes Pflänzchen in Deutschland erleben und die in vielen anderen Ländern noch weitgehend aussteht: die ganze Ära ist durchwoben von Verhalten und Ansichten, die wir heute (zurecht) ablehnen, und das betrifft alle, auch ehemalige Säulenheilige.
Egal, was für ein guter Mensch jemand auch sonst sein mochte, seine Partizipation an einem abscheulichen System muss diese Person zwingend mit beschmutzen. Das gilt für Wehrmachtssoldaten, die sich niemals durch persönlich einwandfreies Verhalten dem Schmutz der verbrecherischen Organisation entziehen können, der sie dienten, noch gilt das für in den Kolonialismus verstrickte Leute. Dies betrifft etwa auch einen progressiven Säulenheiligen wie Theodore Roosevelt, der sich nicht vom US-Imperialismus um die Jahrhundertwende lösen kann.
12) Thread von Nicle Schöndorfer
Ok, Leute, weil die mahnenden Vibes aufgrund der aktuellen Ereignisse gerade wieder stark in unsere Richtung gehen. Warum wir gleichzeitig Feminist*innen/Aktivist*innen und Journalist*innen sein können. Eine Einführung in die euch fremde Welt der Betroffenheit und Solidarität. Dass ihr Gelassenheit, Objektivität (lol), Unaufgeregtheit im Kontext von Maurers Fall einfordert, ist eine Strategie, mit der ihr uns klein halten wollt. Mit der ihr uns Professionalität, Ernsthaftigkeit und Expertise absprechen wollt. Mit der ihr euch auch selbst erhöhen wollt. Wenn es euch gelingt, gelassen, objektiv (lol), unaufgeregt zu bleiben, wenn Ungerechtigkeit geschieht, dann ist das nichts, worauf ihr stolz sein könnt. Dass ihr ruhig bleiben könnt, liegt nicht daran, dass ihr eure Emotionen im Zaum halten könnt, weil ihr so professionell seid. Es liegt daran, dass ihr nicht betroffen seid. Ihr könnt euch z.B. als Männer nicht vorstellen, wie es ist, als Frau in einer frauenfeindlichen Gesellschaft zu leben. Genauso wie ihr es euch als Weiße nicht vorstellen könnt, als PoC in einer rassistischen Gesellschaft zu leben. (Threadreader)
Zu4. Der Fehler wurde im Original bereits behoben. „Im Artikel wurde – dank des Hinweises diverser Leserinnen und Leser – ein Zahlenfehler beim relativen Risiko korrigiert“
Ah, sehr gut 🙂
Zu (1) – „Vertraut den Frauen“ – der Dreh- und Angelpunkt ist die Frage: ist das Ungeborene bereits eine Person oder noch nicht? Falls ja, hätte Abtreibung das Wesen von Mord.
Das Ungeborene können wir nicht fragen – das Neugeborene allerdings auch nicht, da es noch nicht spricht; dennoch herrscht Konsens, dass es schon eine vollwertige Person ist.
„Es dürfte Leser dieses Blogs wenig überraschen, dass ich grundsätzlich eine Legalisierung der Abtreibung befürworte und die obigen Argumente nur unterschreiben kann“ – dein Standpunkt ist ganz sicher leichtfertig.
Meinen Standpunkt behalte ich für mich.
Das ist ja genau meine Aussage: es ist eine Frage deiner moralischen Prämissen. Und wenn du denkst, es ist Mord, kannst du nicht die Legalität akzeptieren, das wäre irrsinnig.
Und genau das qualifiziert deine Einstellung, Abtreibung erst mal zu legalisieren, als leichtfertig.
Es geht die ganze Zeit um ein ethisches Problem. Nicht um ein soziales!
Das qualifiziert deine Einstellung ebenso als leichtfertig, besonders unter Gesichtspunkt von Fundstück 12. Das Problem ist beides.
Welche? Dass ich meinen Standpunkt für mich behalte?
Fundstück (12) von Nicole Schöndorfer ist ein bemerkenswertes Stückchen Text. Aus Gründen des Mitleids kein weiterer Kommentar.
Bitte beachte, dass du es ins Spiel gebracht hast. Nicht ich.
Nicht zwangsläufig. Das Töten von Leuten im Krieg ist schließlich auch legal. Oder die Todesstrafe in den USA.
Nehmen wir an, als Gedankenexperiment, ein Irrer (also nicht schuldfähig) ist ausgebrochen und hat mich entführt und eingesperrt. Darf ich den umbringen, um mich zu befreien?
Oder ich brauche zum Überleben eine Knochenmarktransplantation und du bist der einzige kompatible Spender. Kann ein Gericht dich zwingen dein Knochenmark herauszugeben?
Die Tatsache, dass der Fötus eine Person ist (mal angenommen), bedeutet nicht zwangsläufig, dass er den Körper der Mutter gegen deren Willen nutzen darf, um sein Überleben zu sichern. Ich würde sogar eher tendenziell sagen, dass eine Person in die grundlegende körperliche Unversehrtheit einer anderen Person nicht eingreifen darf (nach westlicher Rechtsauffassung), nicht mal um selber zu überleben.
@Blechmann – „Das Töten von Leuten im Krieg ist schließlich auch legal. Oder die Todesstrafe in den USA.“ – Warum denn in die Ferne schweifen? Die Landesverfassung von Hessen sieht die Todesstrafe vor, wendet diese aber nicht an gemäß der Regel „ Bundesrecht bricht Landesrecht“.
„Nehmen wir an, als Gedankenexperiment, ein Irrer (also nicht schuldfähig) ist ausgebrochen und hat mich entführt und eingesperrt. Darf ich den umbringen, um mich zu befreien?“ – Yep. Notsituation. Den Strafrechtsparagrafen such ich jetzt nicht raus, aber es gibt ihn.
„Oder ich brauche zum Überleben eine Knochenmarktransplantation und du bist der einzige kompatible Spender. Kann ein Gericht dich zwingen dein Knochenmark herauszugeben?“ – Nope.
„Die Tatsache, dass der Fötus eine Person ist (mal angenommen), bedeutet nicht zwangsläufig, dass er den Körper der Mutter gegen deren Willen nutzen darf, um sein Überleben zu sichern.“
Mal grundsätzlich, wir bewegen uns im Bereich der Ethik, und die gibt uns unverschämterweise keine eindeutige Antwort. Lebe damit.
Danke für dich Aufklärung, aber die Fragen waren rethorisch. 😉
An manchen Tagen kommt eine rhetorisch abgeschossene Frage seriös an … 😉
Die Frage ist wie in diese Einschätzung die Aussage „get your coathangers ready“ passt? Gehe ich dann nicht davon aus, dass Abtreibungen zwar immernoch von Statten gehen und ich offensichtlich kein Problem damit habe, aber die Frau für ihr unmoralisches Verhalten (und zwar nicht die Abtreibung, sondern ihre „leichtfertige“ Sexualität) bestraft wird?
Bei vielen, gerade den lautstärksten Abtreibungsgegnern, sehe ich leider überhaupt nicht den Schutz ungeborenen Lebens, sondern die Kontrolle der Sexualität der Frau und Aufrechterhaltung der patrisarchalen Ordnmung als Dreh- und Angelpunkt – deshalb ist ja auch die Abtreibung eigens gezeugter Kinder meist klein Problem – ob Frau oder mistress spielt keine Rolle, ob Politiker, Priester oder (Laien-)Prediger auch nicht.
Wie ist denn Deiner Meinung nach das Verhältnis zwischen „ehrlich“ (und konsequent) um das ungeborene Leben besorgte und weibliche Sexualität kontrollieren-wollende, patriarchal motivierte Abtreibungsgegner?
Im Übrigen ist die Haltung dazu eine moralische Frage, die Frage „was Leben ist“ sollte doch aber eigentlich eine durch Biologie zu beantwortende sein, oder nicht? Schließlich ist sich ja ein bestimmter Subset der Gesellschaft einig, dass selbst Kleider(farb)wahl biologisch definiert determiniert ist, weshalb ich davon ausgehe, dass dieser Subset eher gewillt ist auch die Frage des Lebens selbst von der Biologie entscheiden zu lassen..?
Hier ist übrigens die Haltung der Bibel zur Frage:
4 Mose, 5 Das Gesetz des Eifersuchtsopfers
(nach http://www.bibel.com/bibel/schlachter-2000/4-mose-5.html)
„11Und der Herr redete zu Mose und sprach: 12Sage den Kindern Israels und sprich zu ihnen: Wenn die Frau irgendeines Mannes sich vergeht und ihm untreu wird“ […] „oder wenn der Geist der Eifersucht über ihn kommt, so daß er auf seine Frau eifersüchtig wird, obwohl sie sich nicht verunreinigt hat“ […] „18Dann soll der Priester die Frau vor den Herrn stellen und ihr Haupt entblößen und das Speisopfer des Gedenkens, das ein Speisopfer der Eifersucht ist, auf ihre Hände legen.“ […] „24Und er soll der Frau von dem bitteren, fluchbringenden Wasser zu trinken geben, damit das fluchbringende Wasser in sie eindringt und ihr zur Bitterkeit wird.“ […] „27Und wenn sie das Wasser getrunken hat, so wird, wenn sie unrein geworden ist und sich an ihrem Mann vergangen hat, das fluchbringende Wasser in sie eindringen und ihr zur Bitterkeit werden, so daß ihr Bauch anschwellen und ihre Hüfte schwinden wird; und die Frau wird mitten unter ihrem Volk ein Fluch sein. 28Wenn aber die Frau sich nicht verunreinigt hat, sondern rein ist, so wird sie unversehrt bleiben, so daß sie Samen empfangen kann.
29Das ist das Gesetz der Eifersucht: Wenn eine Frau, obwohl sie ihrem Mann angehört, neben ihrem Mann ausschweift und sich verunreinigt, 30oder wenn der Geist der Eifersucht über einen Mann kommt, daß er auf seine Frau eifersüchtig wird, so soll er die Frau vor den Herrn stellen, damit der Priester mit ihr genau nach diesem Gesetz verfährt. 31Dann ist der Mann frei von Schuld; jene Frau aber hat ihre Schuld zu tragen.“
Nein, das ist biologisch nicht lösbar. Das ist ja das Problem.
tl;dr. Fasse dich kurz. Worauf willst du hinaus?
„Vertraut den Top-Managern!“ Ist ungefähr genauso sinnvoll als Überschrift. Haben wir nicht gerade gelernt, wo Macht ist, dort wird sie auch missbraucht? Und haben wir nicht auch gelernt, dass der einzige Schutz vor Machtmissbrauch zu schützen, die Kontrolle ist?
Frauen haben in unserem Rechts- aber auch Wertesystem eine privilegierte Stellung. Gerade aber auch die aktuellen Debatten wie #MeeToo haben erneut gezeigt, wie sehr Frauen beides missbrauchen können. Erst maßlos und undifferenziert in der Anklage, dann großzügig, wenn es um Vorwürfe gegen das eigene Geschlecht geht.
Deutschland hat einen stabilen Konsens zum Abtreibungsrecht entwickelt. Doch auch manche Frauen sind Ideologen und an Konsens nicht interessiert, zumal wenn es um die Beschneidung ihrer eigenen privilegierten Position geht.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
zu 1.)
Welches der beiden man für vertretbarer hält hängt vom eigenen Wertesystem ab.
Die Abtreibungsfrage könnte theoretisch eine Wertefrage sein, ist es in der Realität aber nicht. Das macht dann auch die gesamte Debatte über Werte leider überflüssig. Denn meiner Erfahrung nach sind diejenigen, die im Kontext von Abtreibungen mit „Werten“ und dem „Schutz von Leben“ argumentieren, genau die gleichen, die an anderer Stelle laut nach der Einführung der Todesstrafe rufen. Es sind auch die gleichen, die den Sexualkundeunterricht vom Stundenplan streichen wollen und nach dem Predigen von Abstinenz rufen. Es sind die gleichen, die oft sogar gegen die Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln zu Felde ziehen. Es sind die gleichen, die sich gegen alles wenden, was jungen Müttern erlauben würde trotz Kind am Arbeitsleben teilzunehmen. Und es sind definitiv die gleichen, die gegen jede soziale Erleichterung für Arme und Benachteiligte sind und damit die wirtschaftlichen Voraussetzungen schaffen, im Kontext derer Abtreibungen die einzige Alternative zu lebenslang Hartz IV oder dem Weggeben des Kindes sind. Und wenn man sich das vergegenwärtigt, dann merkt man, dass es hier nicht um ethische Werte geht. Dass es hier nicht um Christentum und Religion geht. Dass es hier nicht um Leben geht. Sondern es geht alleine um rückwärtsgewandte Männer, die früher alle Fäden der Macht in der Hand hielten und die ihre alte Welt und Gesellschaftsstruktur zurückhaben wollen, in der Frauen das unselbstständige Heimchen am Herd sind, unfähig sich selbst zu ernähren, angewiesen auf den Ehemann und die das Haus putzen und Schnittchen machen, während der Gatte den Tatort im Fernsehen schaut.
Und Dein Beispiel mit der Ehe für alle, ist auch kein gutes Beispiel für eine Debatte über Werte. Denn auch hier geht es nicht im Ansatz um Werte. Ginge es hier wirklich um Kinder, würden die „Konservativen“ fordern, dass das Vorhandensein von Kindern eine essentielle Voraussetzung für den besonderen Schutz des Staates ist. Stattdessen haben „Konservative“ weder ein Problem mit der gigantischen Zahl verheirateter heterosexueller Paare, die nicht die geringste Absicht haben Kinder zu bekommen, noch mit der katastrophalen wirtschaftlichen Situation vieler alleinerziehender Eltern, die sich für ihre Kinder aufopfern und dafür mit einem Leben am Rande des Existenzminimums bezahlen. Nein, auch hier geht es nicht um Werte. Auch hier geht es in der Realität ausschließlich um rückwärtsgewandte Männer, die Schwule pfui finden.
Im Interesse einer ehrlichen Debatte, sollten wir endlich aufhören die verlogenen Prämissen der Rechten ernst zu nehmen. Wir sollten sie als das benennen, was sie sind. Es geht nicht um Werte. Es geht um Egoismus. Um Vorurteile. Um Macht. Und es geht gegen alles, was anders ist als man selbst.
Kein anständiger Mensch hat Anlass, dieser Truppe auch nur einen Schritt entgegenzukommen.
Ich sehe das offensichtlich genauso ^^ Aber es gibt auf der Gegenseite genug Leute die ernsthaft moralischer Überzeugung sind, dass Frauen dieses Recht nicht haben sollen. Siehe ja auch der Kommentar von Stefan.
Ich lese aus Stefan Pietschs Kommentar oben keine generelle Zurückweisung des Rechts auf Abtreibung heraus, sondern Unterstützung für den Status Quo-Kompromiss.
Aber dass Du von „moralischer Überzeugung“ bei den Neuen Rechten sprichst, ist exakt der Kern des Problems. Deren Überzeugungen sind nicht moralisch. Sie sind nicht wertegeleitet. Sie sind inhaltlich zutiefst widersprüchlich, argumentativ inkonsistent und unlogisch. Und sie sind unehrlich, unredlich und undemokratisch. Indem man plumpe Vorurteile und Selbstsucht in den Status einer „moralischen Überzeugung“ erhebt, wertet man deren Vertreter auf, anstatt dass man ihnen die Maske vom Gesicht reisst und sie als das entlarvt, was sie sind: Blanke, vorurteilsbeladene Egoisten, die eine Machtposition zurückerobern wollen.
Ich lese aus Stefan Pietschs Kommentar oben keine generelle Zurückweisung des Rechts auf Abtreibung heraus, sondern Unterstützung für den Status Quo-Kompromiss.
Absolut, was ich bereits vor Monaten deutlich gemacht habe. Meine Position ist, Frauen die schwierige Wertefrage nicht durch das Wegräumen von rechtlichen Hürden zu erleichtern. Schwierige Wertefragen sollten sich immer durch den rechtlichen Weg widerspiegeln.
Am Ende wird niemand eine Frau zu einer Schwangerschaft zwingen können, die sie um keinen Preis will. Dieser Erkenntnis widerspricht unsere Rechtslage nicht.
Die rechtlichen Hindernisse liegen aber nur im Wege einer möglichen Entscheidung, nicht im Wege der anderen. Es gibt keine Verpflichtung für Schwangere allgemein, sich über die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs zu informieren, sie kriegen nicht vorsorglich Informationen, damit sie den Zeitpunkt nicht verpassen. Man hindert doch sogar Ärzte damit zu werben, also Frauen zu informieren. Es wirkt auf mich so, als wolle man die Frauen beeinflussen in der Richtung nicht abzutreiben.
So wirkt ehrlich gesagt auch dein letzter Satz. Selbstverständlich kann man eine Frau zwingen, man braucht sie doch nur 9 Monate in Gefängnis sperren. Der Witz ist doch gerade, dass eine Frau die Schwangerschaft nicht selber willentlich abbrechen kann, sie also gezwungen ist, das Kind auszutragen, wenn ihr nicht jemand dabei hilft es abzutreiben.
Sagen Leute das nicht meistens über die Positionen, die sie nicht teilen? Aber vielleicht meinen wir auch nur was anderes, wenn wir „moralische Überzeugung“ meinen.
@Ralf – „Die Abtreibungsfrage könnte theoretisch eine Wertefrage sein“
Die Grundlagen unseres Rechtssystems, nachzulesen in GG Art. 1-20, fußen sehr wohl auf dem abendländischen System ethischer Werte, an deren höchster Stelle der Schutz des menschlichen Lebens steht. Daran ändert auch nicht die Möglichkeit von Irrtümern nichts.
Die Frage ist das Ungeborene bereits eine Person? beantwortet BVerfG offensichtlich mit „ja“. Die „Dreimonatslösung mit Pflicht zu Beratung“ bedeutet nicht etwa Legalität, sondern Straflosigkeit. Großer Unterschied, der auf dem Ethos fußt.
Korrektur, 2. Absatz, letzter Satz: „Daran ändert auch die Möglichkeit von Irrtümern nichts.“
fußen sehr wohl auf dem abendländischen System ethischer Werte, an deren höchster Stelle der Schutz des menschlichen Lebens steht.
Nichts an diesen ethischen Werten ist speziell abendländisch.
Abgesehen davon ist die Position des Bundesverfassungsgerichts konsistent. Zum Schutz des Lebens und der Würde des Menschen gehört die unmissverständliche Ablehnung der Todesstrafe, das Bekenntnis zu den Menschenrechten, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Freiheit nicht wegen seiner Religion benachteiligt zu werden, die Freiheit keinen Wehrdienst gegen sein Gewissen leisten zu müssen, die Pressefreiheit, die Meinungsfreiheit, die Freiheit von Kunst, Wissenschaft und Lehre, das Asylrecht für politisch Verfolgte, das Sozialstaatsgebot, sowie die Feststellung, dass Eigentum verpflichtet.
All das wollen die Neuen Rechten in den Ausguss der Geschichte giessen. In Polen, in Ungarn, in der Türkei, beginnend auch in Italien und den USA – also überall wo die Neuen Rechten an die Macht gekommen sind – werden diese Werte und Rechte bereits systematisch zerstört und untergraben.
Wer sich dieser braunen Bewegung verbunden fühlt, ist ein erklärter Feind des Grundgesetzes und macht sich lächerlich, wenn er sich für seine krude Argumentation auf unsere Verfassung oder das höchste Gericht im Lande bezieht. Es ist der lebendige Atem dieser Verfassung, dem der braune Sumpf den Garaus machen will.
„Nichts an diesen ethischen Werten ist speziell abendländisch.“ – Doch. Das islamische Gegenstück, die Kairoer Erklärung, bezieht sich nur auf den „Gläubigen“.
Der Gegensatz zu abendländisch (ein geographischer Begriff) ist nicht islamisch (ein religiöser Begriff). Und die Kairoer Erklärung (ein religiöser Text) ist nicht der Gegensatz zum deutschen Grundgesetz (ein juristischer Text).
„(…) nicht der Gegensatz zum deutschen Grundgesetz (ein juristischer Text)“ – der auf Ethos gründet, wie eingangs argumentiert.
„Wer sich dieser braunen Bewegung verbunden fühlt, ist ein erklärter Feind des Grundgesetzes und macht sich lächerlich, wenn er sich für seine krude Argumentation auf unsere Verfassung oder das höchste Gericht im Lande bezieht.“ – Benenne konkret, welche Bewegung du als „braun“ bezeichnest. Falls du mich mit meinst – nur keine Zurückhaltung, bitte, will wissen.
AfD, NPD, PEGIDA etc.
Im Einzelnen: warum konkret inhaltlich? Es wäre hilfreich, wenn du die Metapher „braun“ mit überprüfbaren Merkmalen definieren könntest.
Braun ist keine Metapher. Das Adjektiv bedeutet den Nationalsozialisten inhaltlich nahestehend.
Wenn du dabei bleibst, kickst du dich aus der Diskussion raus. Mangels Logischer Konsistenz.
Braun! Metapher! Gehen dir gerade die Pferde durch oder was ist?
Nochmal, “braun” ist keine Metapher. Der Begriff bezeichnet nichts im übertragenen Sinn. Er gründet vielmehr auf einem direkten, klaren Bezug zur Farbe der Uniformen der SA, wodurch er zu einem feststehenden Terminus geworden ist. ”Braun” bedeutet den Nationalsozialisten inhaltlich nahestehend. Nicht dass das für diese Debatte irgendeine Rolle spielen würde.
„Er gründet vielmehr auf einem direkten, klaren Bezug zur Farbe der Uniformen der SA, wodurch er zu einem feststehenden Terminus geworden ist.“ – Mit diesen klaren Worten hast du die Wortherkunft der Metapher schlüssig begründet. [++]
Also „den Nationalsozialisten nahestehend“. Begründe.
Was soll ich da begründen? Prominente Mitglieder der AfD- und PEGIDA-Führungsmannschaft gehen Arm in Arm mit NPD-Funktionären und Hitlergruß zeigenden Skinheads auf Demonstrationen. Wie die AfD gezielt von Rechtsextremen durch Masseneintritte unterwandert worden ist, ist im Überfluss dokumentiert. So ist die Lucke/Henkel “Anti-Euro-Partei” ja erst zur offen nationalsozialistischen Höcke-Partei geworden. Recherchen über die internen Debatten bei der AfD, unter anderem in Chatrooms, belegen klar die verfassungsfeindliche Ausrichtung signifikanter Teile der Partei, teilweise jetzt langsam wohl auch mit rechtlichen Konsequenzen. Und der Vorsitzende der Partei bezeichnet den von Deutschland ausgegangenen Angriffskrieg mit über 50 Millionen Toten sowie die systematische Ermordung von 6 Millionen Juden als Vogelschiss. Erst kürzlich musste eine Führung in einem ehemaligen Konzentrationslager nach mehrfachen Störungen und Provokationen durch einen AfD-Funktionär abgebrochen werden. Darüber hinaus schüchtert die AfD offen Andersdenkende ein, verbreitet etwa die Adressen von Journalisten, Künstlern, Lehrern etc. im Internet, woraufhin die Betroffenen und ihre Familien Mord- und Gewaltandrohungen erhalten. Wenn Du da nicht die Nähe zur NSDAP und zu den Methoden der SA siehst, dann kann ich Dir auch nicht helfen.
Anwort siehe unten.
„Die Frage ist das Ungeborene bereits eine Person? beantwortet BVerfG offensichtlich mit „ja“. “
Was du belegen müsstest. Man muss keine Person sein, um Rechte zu haben, siehe Tierschutz.
Ergibt sich aus dem Urteil über Schwangerschaftsabbruch. Sie ist von mir geschlussfolgert. Darum meine Wortwahl „offensichtlich“.
„Tatsächlich halte ich die Beobachtungen, vor allem weil sie so wertneutral daherkommen, für äußerst relevant.“
In der Tat ein sehr guter Artikel allerdings keineswegs wertneutral. Er bezieht doch ganz klar Stellung für die neue Elite der der Autor selber angehört.
„Wir Progressiven sollten viel pro-aktiver darin sein, unsere Ansichten zu verteidigen“
Wie? Noch aktiver? Die Meinung der Elite wird doch von Stern und Spiegel von ARD und ZDF als mediales Trommelfeuer und alternativlose und einzig moralische Wahrheit ohne Unterlass auf die Bevölkerung abgefeuert. Das „schlechte Gewissen“ kommt doch nur daher, dass das nicht mehr bei allen verfängt und unangenehmer Weise eine alternative Deutung da irgendwie aufgekommen ist.
„Ich bin gerne ein Moralist“
Und weil man gegen die globale Klasse nicht moralisch und argumentativ gewinnen kann, ist allerdings ein erstaunlich freches Argument in dem Artikel. Es sind doch die globalisierten Eliten, die nicht nur die Demokratie und das Welt-Finanzsystem, sondern gleich das ganze Welt-Ökosystem mit Karacho vor die Wand fahren. Wer macht denn 20 Flugreisen pro Jahr und betreibt den Super-Konsum der das Klima zerstört? Die globalisierte Gutmenschen-Elite kanns nicht gewesen sein, die sind schließlich für Schwulenehe, die Trennen ihren Müll, das sind die Guten, sowas würden die nicht machen.
Ich bin gerne Nationalist, denn die Errungenschaften des Nationalstaats, Demokratie, Sozialstaat und Rechtsstaat, die würde ich gerne behalten. Marktkonforme Demokratie, TTip, Europäische Kommission, mir ist schon klar, was die Eliten in Europa sich davon versprechen. Hinter der Fassade der Demokratie durchregieren. Da hab ich aber nix davon.
Antwort an Ralf 14. Oktober 2018, 15:55
„Prominente Mitglieder der AfD- (…)“ – Nach meinem bescheidenen Verständnis verbittet sich die AfD jeglichen Mitgliedsantrag eines ehemaligen NPD-Mitglieds.
„(…) und PEGIDA-Führungsmannschaft gehen Arm in Arm mit NPD-Funktionären und Hitlergruß zeigenden Skinheads auf Demonstrationen.“ – Arm in Arm auf Demos. Vielleicht ein Foto? Oder eine seriöse Meldung?
„So ist die Lucke/Henkel ‚Anti-Euro-Partei‘ ja erst zur offen nationalsozialistischen Höcke-Partei geworden.“ – Der Euro ist das Gründungsmotiv der AfD.
„Und der Vorsitzende der Partei bezeichnet den von Deutschland ausgegangenen Angriffskrieg mit über 50 Millionen Toten sowie die systematische Ermordung von 6 Millionen Juden als Vogelschiss.“ – Also Gauland äußert sich dir nicht radikal genug?
„Erst kürzlich musste eine Führung in einem ehemaligen Konzentrationslager nach mehrfachen Störungen und Provokationen durch einen AfD-Funktionär abgebrochen werden.“ – Ein Link wäre nett. (Nicht dass ich es dir nicht glauben würde.)
„Darüber hinaus schüchtert die AfD offen Andersdenkende ein, verbreitet etwa die Adressen von Journalisten, Künstlern, Lehrern etc. im Internet, woraufhin die Betroffenen und ihre Familien Mord- und Gewaltandrohungen erhalten.“ – dito. Oder meinst du die Meldeplattform für Lehrkräfte, die im Unterricht offen Partei ergreifen? Die mit der DDR-Gesinnungsschnüffelei aus den privaten Esszimmern verglichen wird?
Deine Meinung in Ehren, jedoch bitte nicht auf Allgemeinposten zurückziehen, sondern konkret werden. Das ist gar nicht so schwer dank Google. Danke für die Aufmerksamkeit.
Zum Thema Einschüchterung: Die Lehrermeldeportale der AfD sind ein neuer trauriger Höhepunkt einer ekelhaften politischen Strategie, aber beileibe nicht das einzige Beispiel für die Bedrohung politischer Gegner. Siehe z.B. hier:
http://www.schleckysilberstein.com/2018/09/ein-hauch-von-33-und-plotzlich-stehen-sie-vor-deiner-tur/
Zum Thema Schulterschluss AfD, PEGIDA, Neonazis bei Demonstrationen:
Hier ein Photo von AfD-Landeschef Höcke und PEGIDA-Gründer Bachmann mit weisser Rose im Knopfloch, mit der die Widerstandsgruppe der Geschwister Scholl gegen das Nazi-Regime verspottet wird:
http://cdn2.spiegel.de/images/image-1334181-860_poster_16x9-srzj-1334181.jpg
Und hier der Bericht des Tagesspiegels über den rechtsextremen Kontext der Demonstration unmittelbar um Höcke und Bachmann herum:
https://www.tagesspiegel.de/politik/chemnitz-am-samstag-hetze-gegen-herz/22985440.html
Zitat aus dem Artikel:
Tatsächlich versammeln sich am späten Nachmittag Tausende, viele erkennbar aus dem Lager der extremen Rechten: Hooligans, NPD-Kader, Identitäre, bekannte Pegida-Vertreter. Auf T-Shirts steht „Söhne von Odin“ oder „Deutsches Reich“. Ein Mann hat sich das Konterfei eines Wehrmachtssoldaten auf den Arm tätowieren lassen, ein anderer SS-Runen. Keiner macht Anstalten, das zu verstecken. Und keiner beschwert sich darüber.
Zu durch AfD-Mitglieder verursachte Störungen in ehemaligen Konzentrationslagern und Gedenkstätten:
http://www.fr.de/politik/afd-afd-gaeste-aus-kz-gedenkstaette-gewiesen-a-1574181
Schlecky Silbersteins Video (das Fake-Teil, das bei den Dreharbeiten aufgeflogen ist) stellt den Messermord des „Zugereisten“ als Anlass zu volksfestähnlichen Zuständen dar.
Das Video ist zum Einen kein authentisches Dokument, sondern einen als satirisch ausgegebenen Propagandafilm dar.
Zum Anderen habe ich Christian Brandes (der steckt hinter dem Künstlernamen) bereits mit einer Email beehrt.
Danke bestens.
Satire ist immer politisch polar. Das gibt den Veräppelten nicht das Recht zur Einschüchterung.
Lass es mich so ausdrücken: ich habe ihn nicht im Geringsten eingeschüchtert, sondern im Rahmen meiner bescheidenen sprachlichen Möglichkeiten dargelegt, was von seinem Produkt zu halten ist. Glaubst du, das reicht?
Satire muss man hinnehmen, genauso wie man die Meinung Andersdenkender hinnehmen muss, solange sich diese im demokratischen, rechtsstaatlichen Spektrum bewegen. Privatadressen von politischen Gegnern zu veröffentlichen, ist hingegen kriminell
Righty-right. Genau wie Kritik. Ich sehe, wir sind uns einig.
Aber wie kommst du auf „Doxxing?“? Mir fehlt der Zusammenhang.
Righty-right. Genau wie Kritik. Ich sehe, wir sind uns einig.
Aber wie kommst du auf „Doxxing“? Mir fehlt der Zusammenhang.
Das Foto mit Höcke und Bachmann ist nichtssagend. Dass die weiße Rose im Knopfloch den Charakter von Spott tragen soll, geht aus dem Foto nicht hervor, sondern ergibt sich allenfalls aus deiner Vorannahme.
Wenn sich Rechtsradikale ein klassisches Symbol des Widerstands gegen die Nazi-Herrschaft ins Knopfloch stecken und damit auf eine Demonstration unser massiver Beteiligung von Neonazis gehen, dann geht daraus der Charakter Aktion sehr deutlich hervor.
Das Photo ist im uebrigen nicht nichtssagend, sondern zeigt den Schulterschluss eines prominenten AfD-Landesvorsitzenden mit einem Gründungsmitglied von PEGIDA, das dann bei PEGIDA rausgeflogen ist wegen Verbalausfällen, die selbst dem demonstrierenden Pöbel in Dresden zu offen rechtsextrem waren. Dass die beiden auf der selben Demonstration nur ein bis zwei Meter voneinander getrennt, einheitlich gekleidet mit weißer Rose im Knopfloch nebeneinander her schreiten, schreit uns eine sehr deutliche Botschaft entgegen. Offensichtlich hat man gemeinsame Interessen und Absichten.
Du möchtest aber von all dem nichts hören, nichts sehen. Was beweist schon ein Photo? Was beweisen schon Symbole? Was beweist schon die schlechte Gesellschaft mit Neonazis? Was beweisen schon Eklats in Gedenkstätten?
Du wirst den absoluten Beweis, den unzweifelhaften Beweis, den Beweis, den niemand mehr in Frage stellen kann, nur dann bekommen, wenn die Rechten wieder an der Macht sind, politische Gegner systematisch ermorden, Medien gleichschalten und Gaskammern eröffnen. Dann wird keiner mehr sagen können, es gäbe keinen Beweis. Aber dann, lieber Wolf-Dieter, ist es zu spät.
Danke.
Schlagen wir uns nicht mit Vorannahmen rum. Du hast welche, ich hab welche, dideldum, Kaisers Bart.
„Du wirst den absoluten Beweis, den unzweifelhaften Beweis, den Beweis, den niemand mehr in Frage stellen kann, nur dann bekommen, wenn die Rechten wieder an der Macht sind (…)“ – Glaube ja nicht, dass würde ich nicht sowieso befürchten: doch, tu ich. Im eigenen Interesse.
Aber du argumentierst als Aktivist. Ich nicht. Für meinen Standpunkt gibts Gründe.
Glaube ja nicht, es würde mir Spaß machen, deine Argumente in der Luft zu zerreißen. Aber ich tu es trotzdem, weil muss! Du bist nicht menschlich verkehrt, aber (pardon) du machst manchmal den Eindruck des durchaus intelligenten Menschen, nur leider gehirngewaschen.
Dies bitte nicht als Anschiss missdeuten.
Du zerreißt doch gar nichts, du stellst nur Suggestivfragen.
Stell dein Licht nicht unter den Scheffel. Auf das Framing von Suggestivfragen fälltst du nicht rein.
Der Artikel „Chemnitz am Samstag: Hetze gegen Herz“ ist – bereits aus der Überschrift ersichtlich – kein Tatsachenbericht, sondern Kommentar. Wertend – wie von Kommentaren zu erwarten – aber sicher kein neutraler Bericht wie gefordert.
Der Artikel „AfD-Gäste aus KZ-Gedenkstätte gewiesen“ strotzt vor Konjunktiven und Behauptungen aus zweiter, dritter, vierter Hand.
Ich will nicht behaupten, dass garnichts dahinter steckt. Aber ich bat ausdrücklich um neutrale Quelle.
Der Vorfall wurde von einem Sprecher der Gedenkstätte auf Nachfrage hin bestätigt und es wurde Anzeige bei der Polizei erstattet:
https://m.tagesspiegel.de/politik/rechtsradikale-in-sachsenhausen-polizei-ermittelt-gaestegruppe-von-afd-spitzenfrau-weidel-hetzt-in-kz-gedenkstaette/22976378.html?utm_referrer=https%3A%2F%2Famp-welt-de.cdn.ampproject.org%2F
Ok, das ist schon etwas konkreter. Eine Gästegruppe. Aus dem Wahlkreis von Frau Weidel.
„Dabei seien ‚manifest rechte und geschichtsrevisionistische Einstellungen und Argumentationsstrategien erkennbar‘ geworden (…)“
Argumentationsstrategien als Motiv für polizeiliche Ermittlungen, und geschichtsrevisionistisch obendrein. (Steht so im Artikel.)
Danke. Das ist mal konkret.
Nicht irgendeine Gästegruppe, sondern eine AfD-Besuchergruppe aus dem Wahlkreis der AfD-Bundesvorsitzenden. Und nicht irgendwelche geschichtsrevisionistischen Argumentationsstrategien wurden gezeigt, sondern es wurde konkret die Existenz von Gaskammern angezweifelt.
Daraus ergibt sich dann auch der Anlass für die polizeilichen Ermittlungen.
Die AfD-Zugehörigkeit ergibt sich aus den diversen Konjunktiven. (Der einzig zuverlässige Fakt ist der Wahlkreis von Weidel.)
„(…) es wurde konkret die Existenz von Gaskammern angezweifelt“. Danke. Ausgezeichneter Punkt zum Einhaken.
Du leitest aus dem (wörtlich) „angezweifelt“ einen Straftatbestand her. Dazu gibt es ein Urteil des BVerfG (Pressemitteilung) des Inhalts, das §130 StGB die Volksverhetzung unter Strafe stellt. In §130 Abs. 3 sanktioniert den, der NS-Untaten „billigt, leugnet oder verharmlost“; Abs. 4 sanktioniert den, der diese „billigt, verherrlicht oder rechtfertigt“.
Das BVerfG legt ausführlich dar: die Absätzen 1-2 und 4-7 genannten Tatbestände sind für die Strafbarkeit konstituierend; die Tatbestände in Absätzen 3 und 4 kollidieren mit GG Art. 5 (Meinungsfreiheit) und sind darum nicht aus sich heraus konstituierend, sondern erst, nachdem sie zum Zweck der Volksverhetzung (dem Kern des §130) in Stellung gebracht sind.
Betrachten wir das aus der historischen Distanz des besiegten Nachkriegsdeutschland. Das Grundgesetz war eine „Strafarbeit“. Ob das für die Ausformulierung des §130 StGB auch so gilt, weiß ich zwar nicht (Thomas Fischer könnte evtl. Auskunft geben), aber es klingt so.
Fakt ist: §130 StGB und Art. 5 GG sind gefühlte 20 Kilometer auseinander. Bevor BVerfG für Klärung sorgen konnte (oder musste), galt Richterrecht. Auf Deutsch: die Rechtsprechungspraxis sah keinen Unterschied zwischen dem „Zweifel“ an den Gaskammern und einem Straftatbestand.
Diesem Irrtum bist du soeben aufgesessen.
Disclaimer. Nach meinem bescheidenen Verständnis gab es Gaskammern. Der Grund für meine Annahme sind meine bescheidenen Kenntnisse aus dem Frankfurter Auschwitz-Prozess, die ich zur Stunde für handfest halte.
Ok soweit?
Bist Du mit dem Ergebnis (dem Inhalt) der „Strafarbeit“ einverstanden?
Was meinst du?
@CitizenK – falls du mich meinst – das GG entspricht unserer derzeitigen Verfassung. Die Frage nach einverstanden – ja oder nein – stellt sich nicht.
„Strafarbeit“ klingt nach „Siegerjustiz“. Aufgezwungen gegen den eigenen Willen. Nach allem, was man über Herrenchiemsee und auch Bonn weiß, ist das falsch.
Natürlich ist es das. Du argumentierst gegen das Reichsbürgernarrativ.
Stefan, zur Ordnung bitte. Den Terminus „Strafarbeit“ habe ich aus meinem eigenen Schulunterricht Gymnasium seinerzeit.
Worte haben Bedeutung. Wenn du „Strafarbeit“ in dem Zusammenhang verwendest, fütterst du damit entweder das Reichsbürgernarrativ von der fehlenden Souveränität Deutschlands oder verwendest es als flappsige Metapher im Sinne einer schulischen Strafarbeit, aber so was kriegt man, weil man sich etwas danebenbenommen hat. Was wäre da hier das Gegenstück? Der Zweite Weltkrieg? Wohl kaum eine angebrachte Wortwahl in dem Fall. Du gibst dich in solchen Fällen immer gerne als Schalk, aber ich weiß jedes Mal nicht, ob ich deine Aussage nun ernst nehmen soll oder nicht. Oft genug erklärst du danach dass nicht. Aber warum ist sie dann da? Verstehst du mein Problem?
Lieber Stefan. Ich fütter kein Narrativ, sondern ich zitiere aus meiner Schulzeit; allerdings (Abi 1973) waren da die Zeiten anders als heute.
Ich darf das.
Die „Reichsbürger“ betrachte ich mit einer gewissen Belustigung. Kannst du glauben.
Generell, lieber Stefan, ohne konkreten Bezug zu „hier“. Ich akzeptiere keine Kontaktschuld. Wenn ein Bösewicht etwas Kluges ausspricht, werde ich ihm zustimmen. Wenn ein Liebewicht was Dummes sagt, werde ich ihm widersprechen. Ich darf das (alles beides).
Zur Deutschen Sprache habe ich früher geäußert: dort kein Kompromiss.
Ich würde auch einem 90jährigen Nazi nicht zugestehen qua Geburtsjahr seine Propaganda zu verteilen, das ist kein Argument.
Ich bin jederzeit bereit, Überholtes über Bord zu werfen. Vorausgesetzt, es gibt einen Grund. Die Beweispflicht läge in dem Fall aber bei dir.
Das „90jährig“ nehme ich mal als Kompliment, aber unverdient, bin 64; außerdem bin ich unbestechlich, außer mit Bargeld.
Ich wollte absichtlich ein absurd-unzutreffendes Beispiel wählen, um die Situation pointiert deutlich zu machen.
Sonst siehe Diskussion im anderen Strang.
dito.
@CitizenK – der Terminus „Siegerjustiz“ ist dort angebracht, wo Unrecht als Recht deklariert ist. Es gibt Beispiele.
Beim Grundgesetz, speziell Art. 1-20, sehe ich im Gegenteil ein Basisdokument für ein funktionierendes Rechtssystem.
Und warum war es eine „Strafarbeit“? Weil der Nationalsozialismus ausdrücklich ein Gegenentwurf zur Demokratie war, der einerseits zu einer gewissen wirtschaftlichen Blüte führte (1933-39), aber andererseits bürgerliche Freiheiten beschnitt.
Nur ein Beispiel (sonst wirds zu ausführlich) war das nationalsozialistische Rechtsprinzip „nulla crimen sine poena“ – kein Verbrechen ohne Strafe; steht in expliziten Gegensatz zum Grundsatz des Römischen Rechts „nulla poena sine lege“ – keine Strafe ohne Gesetz, die Grundlage für das Analogieverbot im Strafrecht. Mehr bei Thomas Fischer.
Nachtrag, „nullum crimen sine poena“. Crimen ist Neutrum. Mit meinem Latein ist es nicht weit her, sorry.
Die „wirtschaftliche Blüte“ ist ein Mythos. Unter den Nazis war der Lebensstandard mies und verbesserte sich nie über den Stand von 1929, in vielen Fällen blieb er sogar deutlich darunter. Unter den Nazis erholte er sich nur vom Volldesaster 1930-1932, aber das hätte die deutsche Wirtschaft selbst unter Brüning geschafft (und meine Meinung zu dessen Fähigkeiten ist glaube ich hinreichend bekannt).
Nur ein Mythos? Ok. Hier haben wir Aussage gegen Aussage. Ich kann mich nur auf Allgemeinbildung berufen, nicht auf Zitierfähiges.
Ich kann mich darauf berufen das studiert und entsprechende aktuelle Fachliteratur gelesen zu haben.
Oh Klasse. Quelle?
Ich glaube ich habe dir das in dem Zusammenhang schon mal empfohlen:
https://www.amazon.de/gp/product/3570550567/ref=as_li_tl?ie=UTF8&camp=1638&creative=6742&creativeASIN=3570550567&linkCode=as2&tag=httpgeschicht-21&linkId=805be1f352b9b890f348833c660683d8
Und mein eigener Artikel:
http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/02/wirtschaftspolitik-im-dritten-reich.html
Thx. Schau ich mir in Ruhe an.