Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
1) Ein Kannibale in Nadelstreifen
Ich sage es gleich vorab: Ich habe Sarrazins neuen Schmöker nicht gelesen und habe es auch nicht vor. Obwohl es dann sofort heißen wird, man dürfe sich kein Urteil erlauben. Ich habe auch „Mein Kampf“ nicht gelesen und weiß doch so ungefähr, um was es geht. Ich betrachte diesen Lesebefehl als eine Art Vergewaltigung wie beim „German Chair“ – eine Foltermethode, die ehemalige Nazis für die Assads ersonnen haben: Man muss stundenlang Marschmusik hören, nur damit man hinterher an einem Musikseminar teilnehmen darf. Warum sollte ich das tun? […] Houellebecq ist Literatur, Sarrazin ist Seminar. Ein Buchhalter, der mit ermüdend endlosen Zahlen sein Mantra von der islamischen Invasion verkündet. Er ist ein One-Trick-Pony. Wie bei einer Schallplatte, die irgendwo zwischen 33 und 45 (rpm!) hängengeblieben ist, wiederholt er in faszinierender Unbeirrbarkeit seine Gebetsformeln. Dabei so treffsicher wie ein Wanderprediger, der seit 10 Jahren den Weltuntergang vorhersagt. Variationen? Nicht vorgesehen! Seine Thesen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der Islam duldet keine andere Gesellschaftsform neben sich, er vermehrt sich dominant-rezessiv und er wird uns auch im Westen irgendwann demographisch erledigen – einfach weil die islamische Mutter mehr Kinder in die Welt setzt als die christliche. Der Islam wird in zwei bis drei Generationen die westlichen Gesellschaften „auffressen“. Das hat er wirklich so gesagt! Wir nennen sie wegen des genannten Zeitfaktors der Einfachheit halber die Drei-Generationen-Theorie. Und da mich das Buch und sein Anlagenapparat nicht interessieren, beschränke ich mich nur auf diese These. (Salonkolumnisten)
Das Faszinierende daran, dass dieser Artikel mit deutlicher Verspätung erscheint (sorry dafür) ist, dass in den drei Wochen seit ich ihn hier eingespeichert habe die Diskussion völlig über Sarrazin drüber gegangen ist. Der verquaste Käse, der er produziert, hat kurz die eingepreiste Erregung produziert, aber der Aufstand der Anständigen hat anders als 2011 deutlich geholfen. Das Ding ist schnell in der Versenkung verschwunden und wurde nicht wieder atemlos diskutiert, als ob Sarrazin ein ernstzunehmender Denker wäre, der irgendwelche tiefen Wahrheiten über Deutschland ausspricht. Das zeigt auch mal wieder, dass diese miesen Bücher ohne starkes Pushen durch BILD und Co keine Chance haben, dermaßen die Agenda zu bestimmen. Äußerungen wie die der „Hart aber fair“-Redaktion, man betreibe kein Agenda-Setting, sind vor diesem Hintergrund noch hohler als ohnehin. Ich hoffe, dass das nun das letzte ist, was wir vom graumelierten Schnurrbartträger zu hören bekommen. Es gibt eh keinen Mangel an solchen Leuten da draußen. Hat eigentlich einer mal wieder von Buschkowsky gehört? Der kann gleich in das Loch hinterherspringen, in dem Sarrazin sitzt.
2) Es darf kein privates Eigentum an Baugrund mehr geben
Das größte Problem ist, dass Immobilien und damit in Summe auch Stadtentwicklung, kurz: all unsere gebaute Umwelt, zunehmend aus der Sicht der Finanzinvestoren gehandhabt werden. Grund und Boden sowie die Gebäude darauf haben wichtige Funktionen im Finanzsystem. Dort werden die Schulden gemacht und untergebracht, die erforderlich sind, um auf der anderen Seite Unmenge an Guthaben zu erzeugen. Was in den Häusern oder mit einem ganzen Stadtgefüge passiert, hat nur noch sekundäre Bedeutung. Aber es ist offensichtlich ein Bewusstseinswandel im Gange, für den ich den Durchbruch erhoffe: Wohnen als Infrastruktur der Stadt zu verstehen. […] Nicht die Lösung, aber eine Voraussetzung dafür: Boden und Wohnen dürfen keine Ware sein. Es darf kein privates Eigentum mehr an Baugrund geben, sondern nur noch die Nutzung davon. Das funktioniert durch die Vergabe eines Grundstücks mit einem Erbbaurecht. Denn damit werden Boden und Haus in zwei Eigentumspositionen aufgeteilt. Die Kommune bleibt Eigentümerin des Bodens und vergibt das Recht, ein bestimmtes Haus dort zu bauen. So wie heute mit Planungs- und Baurecht etwa der Neigungswinkel eines Daches durchgesetzt werden kann, würde das Erbbaurecht finanzielle und soziale Aspekte des Wohnens regeln und sichern. Das besonders Schöne an Erbbaurechten ist, dass sich für Bebauungsmöglichkeiten, die günstiges Wohnen verlangen, nur noch solche Bauherren interessieren, die die gleichen Interessen verfolgen, nämlich kommunale Wohnungsbaugesellschaften sowie Selbstnutzer und Genossenschaften. (SZ)
Nicht dass es die geringste Chance auf Umsetzung für diese Maßnahmen gäbe, aber tatsächlich ist Besitz privaten Baugrunds natürlich ein treibender Faktor in kommunalem Stillstand. Im Schnitt haben Besitzer deutlich größeres Interesse an Kommunalpolitik – je mehr Boden sie besitzen, desto mehr. Am übelsten sind deswegen die großen Bauernfamilien, wenn sie den Gemeinderat dominieren und die Baupolitik der Gemeinde nicht nur blockieren, weil kein Haus andere Dachziegel haben darf als das eigene und die eigene Adresse doch bitte eine Sackgasse bleiben soll, sondern auch, weil sie mafiöse Absprachen zur Freigabe neuen Baugrunds mit maximaler Preissetzung treffen. Ich hatte darüber in „Dereguliert die Äcker!“ schon mal geschrieben.
Dazu kommt, dass der weit verbreitete Immobilienbesitz zwar für das Individuum häufig gewinnbringend, gesamtwirtschaftlich aber ineffizient ist. Nicht ohne Grund sind Wachstumszentren häufig Gegenden, in denen der Anteil der Mieter sehr hoch ist. Ich spreche da ja durchaus aus Erfahrung. Auch Widerstand gegen Flüchtlings- oder Obdachlosenheime ist erwartungsgemäß von den Immobilienbesitzern deutluch stärker. Auf der anderen Seite sind solche Menschen natürlich auch auf andere Art gesellschaftsstabilisierend. Ihre geringe Flexibilität sorgt dafür, dass sie sich Deregulierungen im Arbeitsrecht eher entgegenstellen als Mietnomaden und ein Interesse an verlässlichen, guten Jobs haben – und natürlich an guten Inflationsraten, die ja auch Wachstumstreiber sind.
3) Straßen müssen mehr sein als reine Transportwege für Autos
Immer noch wollen zu viele Menschen ein eigenes Auto. In unserer westlichen Gesellschaft, aber auch in Entwicklungsländern gilt das immer noch als Statussymbol. Aber so viele Autos passen gar nicht in die Stadt. Zum Glück findet in Großstädten, aber auch bei der heranwachsenden Generation langsam ein Umdenken statt. Wir brauchen flexiblere Transportsysteme. Mir schwebt ein Mix aus Car Sharing, öffentlichem Nahverkehr und Fahrrädern vor. Je weniger Platz wir Autos auf den Straßen einräumen, desto eher verwenden die Menschen öffentliche Verkehrsmittel oder Fahrräder als Alternative. Und den frei gewordenen Platz kann man begrünen und so mehr öffentlichen Raum schaffen. Abgesehen davon, dass wir uns aus gesundheitlichen Gründen eh mehr bewegen sollten, müssen wir uns gut überlegen, wie wir Straßen und Wege künftig gestalten wollen. Die simpelste ist sicherlich, Fahrradwege zu bauen. Aber wenn es experimenteller sein darf, denke ich an vielfältig gestaltete Straßen. Je nach Tages- oder sogar Jahreszeit kann eine Straße ganz unterschiedliche Anforderungen erfüllen. Man könnte sie zur Rush Hour mit zwei Fahrspuren für Autos öffnen, tagsüber dann aber eine Spur für Fahrräder reservieren – und am Wochenende vielleicht ganz für den Verkehr sperren, damit Kinder dort spielen können. Zur Weihnachtszeit flankiert man die Straßen mit Verkaufsbuden – früher wurde ja auch auf der Straße gehandelt und geredet. Auf diese Weise wird die Straße selbst zu einem öffentlichen Ort. Mobilität soll ja die Freiheit des Einzelnen garantieren – dieses Motto kann man ganz neu begreifen. (SZ)
Die Artikelserie zur Stadtplanung in der SZ ist wahrlich interessant. Anders als die massenhafte Enteignung der Immobilienbesitzer haben die hier vorgeschlagenen Ideen einen Hauch von Realisierungschance. Städte wie Amsterdam oder Krakau machen bereits vor, dass Stadtkerne autofrei gestaltet werden können (und sollten), und flexiblere Einsatzmöglichkeiten wie die hier vorgeschlagenen könnten durchaus auch helfen, die Städte lebenswerter zu gestalten. Ich denke auch weiterhin, dass das selbstfahrende Auto uns hier einen ganz neuen Blick geben kann, flexiblere Nutzungsweisen zu entwickeln.
4) Wenn Integration gelingt, wächst das Konfliktpotenzial
Umso erfrischender liest sich das neue Buch des Integrationsforschers Aladin El-Mafaalani. Mit seinen Thesen stellt er die Endlosdebatte über Islam und Integration gehörig auf den Kopf, indem er einen Blick in die Vergangenheit wirft und einordnet, und das besonnen und durchweg anschaulich. In „Das Integrationsparadox“ lautet der Tenor: Niemand hat gesagt, dass es einfach wird, aber Deutschland ist auf einem guten Weg zur offenen Gesellschaft. Gelungene Integration erhöhe nun mal das Konfliktpotenzial – immerhin entstehen die Konflikte deshalb, weil zwei Seiten, die vorher nichts miteinander zu tun hatten, nun miteinander sprechen. Ein Fortschritt also. El-Mafaalani geht sogar noch ein Stück weiter, er schreibt: „Was in 25 Jahren passiert ist, rechtfertigt es, von einem neuen Jahrtausend zu sprechen.“ Und er erklärt auch, wie er auf diese steil anmutende These kommt. Immerhin ist derzeit von der Spaltung der Gesellschaft die Rede, über Integration wird oft laut, böse und nicht selten mit Halbwissen diskutiert. Gefühlt jeden Sommer wird der Burkini zum Sinnbild gescheiterter Integration stilisiert und jeden Winter muss der Wintermarkt alias Weihnachtsmarkt für das Sinnbild der schleichenden Islamisierung herhalten – auch wenn nie wirklich jemand weiß, wer noch mal für die Einführung des „Wintermarkts“ war. Sind diese Endlosdebatten also sinnvoll, ja, vielleicht sogar integrationsfördernd? Sie sind zumindest besser als ein „zu schnelles Näherkommen“, schreibt El-Mafaalani. Denn das führe zu einem Zusammenprall, dem sogenannten Clash of Civilizations. Das gefühlte Sich-im-Kreis-Drehen sei demnach nichts weiter als der „anstrengende Prozess des Zusammenwachsens einer offenen Gesellschaft“, Deutschland befände sich im Prozess des langsameren Näherkommens, das zwar zu Reibungen und Schließungstendenzen führe – was aber nun mal dazugehöre. [SZ)
El-Mafaalani setzt hier einen optimistischen Gegenpunkt auf die aktuellen Debatten, was ich durchaus schätze. Möglicherweise hat er dabei sogar Recht, aber mir scheint ein Faktor hier deutlich unterzugehen: Der Konflikt als solcher ist alles, aber kein Garant einer vernünftigen Lösung. Man sieht diese Argumentation immer wieder, wo Konservative, die sich einer Veränderung in den Weg stellen, damit argumentieren, dass der Wandel schon von selbst käme, wenn man nur nicht darauf bestünde. Diese Argumentationslinie kann man bei der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre in den USA genauso treffen wie bei der von Transsexuellen und ihrem Recht, aufs Klo gehen zu dürfen. Der Streit wird bejammert, und es gäbe ja, wenn man den Bigotten das Feld nur überließe, die Erfolge viel schneller, weil sie dann freiwillig gewährt würden. Dafür aber findet sich kein Beleg in der Geschichte. Fortschritt kommt nicht als Geschenk, er muss erkämpft werden, jeden Tag. Man sollte El-Mafaalani deswegen nicht so lesen als sei der Streit als solcher quasi Performance. Der Streit hat einen offenen Ausgang, und sowohl die Reaktionären als auch die Progressiven, die Konservativen und die weitgehend desinteressierte Mitte können als Sieger herausgehen.
5) Election season in a dangerous democracy
Last Thursday’s morning papers in India settled something that we have been debating for a while. A front-page report about the arrests of five political activists in The Indian Express read, “Those held part of anti-fascist plot to overthrow govt, Pune police tell court.” We should know by now that we are up against a regime that its own police calls fascist. In the India of today, to belong to a minority is a crime. To be murdered is a crime. To be lynched is a crime. To be poor is a crime. To defend the poor is to plot to overthrow the government. When the Maharashtra state police conducted simultaneous raids on the homes of several well-known activists, poets, lawyers, and priests across the country, and arrested five people—three high-profile civil rights defenders and two lawyers—on ludicrous charges, with little or no paperwork, the government would have known that it was stirring up outrage. It would have already taken all our reactions into account, including all the protests that have taken place across the country, before it made this move. So why has this happened? Recent analyses of actual voter data, as well the Lokniti-CSDS-ABP Mood of the Nation survey, have shown that the ruling Bharatiya Janata Party (BJP) and Prime Minister Narendra Modi are losing popularity at an alarming (for them) pace. This means that we are entering dangerous times. There will be ruthless and continuous attempts to divert attention away from the reasons for this loss of popularity, and to fracture the growing solidarity of the opposition. It will be a constant circus from now until the elections in 2019—arrests, assassinations, lynchings, bomb attacks, false flag attacks, riots, pogroms. We have learned to connect the season of elections with the onset of all kinds of violence. Divide and rule, yes. But add to that—divert and rule. From now until the elections, we will not know when, and where, and how the fireball will fall on us, and what the nature of that fireball will be. (New York Times)
Es ist in jedem Land dasselbe. Getragen von einer Welle der Unzufriedenheit wird ein rechter Populist ins Amt getragen. Wenig verwunderlich ist die simple Analyse genauso wenig tragfähig wie die noch simpleren Rezepte dagegen. Desillusionierung macht sich breit, und der rechte Neu-Autokrat verlässt sich vollends auf das Standbein der identity-politics, peitscht die Atmosphäre in ein „Wir gegen sie“ auf. Das reicht nicht, weswegen zuerst verdeckte, dann offene Repression beginnt, um die schwindende Mehrheit zu erhalten. Indien macht da keine Ausnahme, und das Land, das die weltweit größte Demokratie darstellt, ist in seinem Abrutschen eine ganz andere Dimension als etwa Ungarn.
Die Entfernung und vergleichsweise geringe wirtschaftliche Bedeutung des Subkontinents sorgen dafür, dass er in hiesigen Überlegungen keine große Rolle spielt. Man sollte aber nie vergessen, dass sowohl Indien als auch sein nicht gerade durch stabile politische Verhältnisse berühmter Nachbar Pakistan über Atomwaffen verfügen. Dass auf diesem Feld bisher noch nie eine Katastrophe passiert ist bedeutet nicht, dass es auch künftig keine geben wird. Man sollte daher ein Auge auf den Entwicklungen in Indien haben.
6) Deradicalizing white people
I have lost count of how many times I have been asked as a Muslim, “Where are the moderate Muslims and how come they aren’t combating extremism?” Well, I am at least a visible moderate Muslim, so allow me to ask: Where are the moderate whites, and what are they doing to combat extremism? Picciolini believes it’s a fair question. He urges “moderate whites” to be allies with people of color, to learn how to use white privilege to help minorities, and to stop trying to hide the problem of white violent extremism under the rug. For her part, Belew advocates putting resources into helping Americans understand the white power network as a “social movement,” and widespread education for law enforcement and government—especially the branches involved in surveillance and enforcement, but also prosecutors and judges. Humera Khan thinks early intervention in the school system is necessary; she believes it’ll take a coalition of fellow students, teachers, and community members to help kids who might be vulnerable to white power indoctrination. Clergy have a part to play, says Mubin Shaikh, especially in Evangelical Christian communities; they could be more aware and proactive in reaching out to people in their community whom they feel are slipping away. After all, this is exactly what’s been asked of Muslim-American communities since 2001. (New York Times)
Die in diesem Artikel aufgeworfenen Forderungen und Vorschläge sind mehr als nur eine konträre Spielerei, die ironisch die häufigen Aufforderungen an PoC zur Zurückweisung von Extremisten brechen. Tatsächlich ist das Schweigen der weißen Mehrheitsgesellschaft ein entscheidender Problemfaktor im Rahmen der allgegenwärtigen Radikalisierung nach rechts. Anstatt diese Radikalisierung einfach gewähren zu lassen, das Overton-Fenster beständig zu verschieben und unwidersprochen rassistisches Gedankengut stehen zu lassen und damit zu legitimieren, müssen gerade die nicht betroffenen Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft ihre Opposition deutlich machen. Andernfalls bleibt das Lieblings-Narrativ aller Rechtspopulisten für ihre eigene Legitimation – dass man die „schweigende“ Bevölkerungsmehrheit vertrete – unwidersprochen und damit durch die normative Kraft des Faktischen irgendwann wahr.
7) NATO and the myth of the liberal world order
Behind Trump’s bullying and bluster, though, the core message he delivered in Brussels was not that different from those given by previous administrations. Indeed, the same kvetches have recurred under every US government, Democrat and Republican alike, since the end of World War II. Even before NATO was founded in 1949, there were disagreements between the US and UK over how to divide the burden of the postwar transatlantic security architecture; Wallace Thies, in his 2002 book on NATO, Friendly Rivals, dubbed it “an argument even older than the alliance itself.” Eisenhower grumbled to his national security team in 1958 that “we should ask the European governments to what extent they intend to continue leaning on the US.” Kennedy insisted at a National Security Council meeting in 1963 that “we cannot continue to pay for the military protection of Europe while the NATO states are not paying their fair share and living off the fat of the land.” Nixon’s Under Secretary of State Elliot Richardson reiterated the message in 1970, saying, “The United States believes that our European allies can and should do more.” In 1977, Carter, too, called for a significant upgrading of NATO capabilities, and set the other members a target for military spending of 3 percent of GDP. Even as Reagan massively increased US military spending, the 1985 National Defense Authorization Act repeated the appeal to NATO allies to hike their own expenditures. NATO summits under Clinton and George W. Bush likewise involved regular exhortations to allies to finally meet the targets that had previously been agreed on. At the 2002 Prague summit, for example, Bush extracted a verbal promise from the other members to increase their military spending to at least 2 percent of GDP (they had almost all fallen well short of the 3 percent target set in 1977). But it was only under Obama, at the Wales summit in 2014, that this was formalized in an official agreement signed by all member states, specifying a deadline of 2024. (New York Times)
Ich denke die historische Perspektive, die in diesem sehr lesenswerten Artikel zur Geltung kommt, hilft der Relativierung der aktuellen Krise im europäisch-amerikanischen Verhältnis. Ich halte es zwar für korrekt anzunehmen, dass die Trump-Administration bleibenden Schaden hinterlassen wird; dieser ist aber nicht so lebensbedrohlich, wie das aktuell aussehen mag. Die Beschwerden, die Trump gerade mit Verve vorträgt, sind genauso wenig neu wie die europäische Reaktion der (verbalen) Erfüllung dieser Forderungen, die Trump-Anhänger als Monstranz vor sich hertragen.
Die wahre Gefahr für die NATO und die transatlantischen Beziehungen ist daher weniger der hoch öffentliche Streit um die Verteidigungshaushalte, sondern um die Frage, ob die Partner ihre Verpflichtungen einhalten werden. Und hier sorgt Trump aktuell für große Unsicherheit, die destabilisierend wirken kann. Die zweite große Gefahr, die nicht davon ausgeht, sind Spaltungsversuche durch Russland, das natürlich die NATO gerne zerfallen sehen würde. In beiden Prozessen ist Deutschland nicht unbeteiligt; an seiner Bündnistreue (und -effektivität) im Ernstfall werden zurecht Zweifel gehegt, und seine schwankende Haltung gegenüber Russland hilft für eine geeinte Front so wenig wie die Trumps).
8) „Die 60-Stunden-Woche ist völliger Quatsch“
In Österreich könnte der Arbeitsmarkt schon bald flexibilisiert werden. Die Regierung aus ÖVP und FPÖ möchte ein Gesetz zur Arbeitszeitflexibilisierung auf den Weg bringen, um den 12-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche zu ermöglichen. […] „Nicht einmal jeder Zweite ist bei uns heute mit seinem Arbeitszeitumfang zufrieden. Jeder Dritte möchte weniger arbeiten als bisher. Gleichzeitig wollen die meisten Beschäftigten mehr Selbstbestimmung, wenn es um die Arbeitszeit geht“, sagt Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für Arbeitnehmerrechte der Grünen-Fraktion im Bundestag, gegenüber t-online.de. „Die 60 Stunden Woche ist völliger Quatsch! Wer sich im 21. Jahrhundert und in Zeiten der Digitalisierung für eine Verlängerung der Arbeitszeiten ausspricht, verkennt die Realität. Es geht nicht um mehr Arbeitsstunden, sondern um weniger.“ […] „Heutzutage gibt es die Möglichkeit, sich ab 15 Uhr um die Kinder zu kümmern und wenn diese im Bett sind, noch kurz ein paar E-Mails zu bearbeiten“, sagt Michael Theurer, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag, gegenüber t-online.de. „Notwendig ist also zweifelsohne die Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes, damit die Menschen selbst entscheiden können, wann sie wie und von wo arbeiten.“ Die FDP fordert mehr Flexibilität und bereits im März brachte man den Gesetzentwurf zu einer 48-Stunden-Woche im Bundestag ein. Dies würde laut den liberalen auch den Arbeitnehmern zu Gute kommen. „Am Gesetzgeber sollte die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht scheitern“, meint Theurer. […] Die Vorstöße bei dem Arbeitszeitgesetz sehen insbesondere Gewerkschaften kritisch. „Mit dem 12-Stunden-Tag ist die Koalition in Österreich komplett auf dem Holzweg, auch wenn sie Freiwilligkeit proklamiert. Wie frei ist ein Arbeitnehmer, wenn Mobbing oder Kündigung die Alternative zu Mehrarbeit sind?“, sagt Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes, t-online.de. „Arbeitszeit muss eine Grenze haben und zwar verbindlich per Gesetz, damit die Gesundheit der Beschäftigten geschützt wird.“ (T-Online)
Ich bin da wenig überraschend bei den Kritikern der Initiative. Nicht, weil Flexibilisierung der Arbeitszeiten grundlegend falsch wäre. Der Argumentation der FDP stimme ich grundsätzlich zu. Meine Skepsis ist bezüglich der Freiwilligkeit. In dem Moment, wo die Gesetzesinitiative so kommt wie das hier vorgeschlagen ist, wird die Freiwilligkeit zur Farce, weil der Erhalt (oder das Bekommen) des eigenen Jobs von der Annahme der Arbeitsbedingungen des Arbeitgebers abhängt. Man hat das ja bei jeder Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten gesehen. Ich habe kein Problem mit der Liberalisierung der Arbeitszeiten, wenn auf der anderen Seite verlässliche und wirksame Schutzmechanismen für die Arbeitnehmer bestehen.
Die sind aber notwendigerweise mit bürokratischer Einmischung und viel Kontrolle, mehr Beamten und Verletzungsverfahren verbunden – also selbst im günstigsten Fall mit Kosten und Ärger für die Unternehmen, was die Idee, ihnen hier Spielräume zu öffnen, etwas ad absurdum führt. Nicht ohne Grund wurden die Arbeitszeiten ja kategorisch in einigen wenigen Fällen festgelegt (Wochenarbeitszeit, Regeln für Schichtdienste, etc.). Auch eine Liberalisierung der besser verdienenden Berufe (für die die Initiative ja ostentativ ist) leiden unter diesen Problemen.
Meine Zustimmung bekommen solche Reformen daher dann, wenn ein entsprechendes Sicherungspaket integriert ist. Und das ist bei den liberalkonservativen Vorschlägen dezidiert nicht der Fall.
9) Früher nannte man das Säuberung
Will die AfD die freiheitlich-demokratische Grundordnung abschaffen? Nein, sagte der AfD-Vorsitzende Gauland in einem am Mittwoch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienenen Interview. Kein vernünftiger Mensch wolle, dass sie „wegmuss“. Nur das politische System müsse weg. Nur das politische System? Auch das ist kein bescheidenes Ziel. Kurt Sontheimer brauchte schon zu jener Zeit, als Gauland noch für den liberalen Flügel der hessischen CDU stand, mehrere hundert Seiten, um nur die „Grundzüge des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland“ zu beschreiben. In keinem Kapitel dieses Standardwerks käme man auf die Idee, die mit dem Grundgesetz errichtete freiheitlich-demokratische Grundordnung ließe sich vom politischen System der Republik trennen. Gauland aber behauptet das. Für ihn muss „das politische System im Sinne des Parteiensystems“ weg. Er meint damit „die Parteien, die uns regieren. Ich kann auch sagen: das System Merkel.“ […] Doch Gauland will mehr. Es geht ihm nicht nur um Merkel, sondern um „das System Merkel“. Zu ihm rechnet er „eine Menge Leute in der CDU, die ihre Politik fortsetzen wollen“, und generell „diejenigen, die die Politik mittragen, das sind auch Leute aus anderen Parteien und leider auch aus den Medien. Die möchte ich aus der Verantwortung vertreiben.“ Früher nannte man das Säuberung. […] Seiner Darstellung zufolge ist die AfD eine „urdemokratische Partei“. Die anderen aber nicht? Merkel wurde von ihrer Partei neunmal zur Vorsitzenden gewählt – und viermal vom Deutschen Bundestag zur Kanzlerin; er ist jedes Mal aus allgemeinen, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen. In der SPD gingen dem Beschluss, in von Merkel geführte Regierungen einzutreten, Mitgliederbefragungen voraus. In Artikel 21 Grundgesetz heißt es: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Gauland aber spricht von einem „politischen System, das sich überholt hat“. Vom „System“ sprachen auch die Nationalsozialisten, wenn sie ihre Verachtung der ersten deutschen Demokratie, der Weimarer Republik, deutlich machen wollten. Systemparteien, Systempolitiker, Systemjournalisten – auch der „Lügenpresse“-Vorwurf stammt aus jener Zeit, die für Gauland nur ein „Fliegenschiss“ war. Der Schulterschluss mit den Rechtsradikalen findet nicht nur auf den Straßen von Chemnitz statt. […] Schwerer verständlich ist, warum die Verleumdung des ganzen „Systems“ keinen Protest bei jenen mehr hervorruft, die noch erkennen können, dass diese Republik bei allen Mängeln, Irrwegen und Versäumnissen die freiheitlichste und demokratischste ist, die es je auf deutschem Boden gab. Weil man nicht ungewollt zu einem Verstärker der AfD-Propaganda werden will, gegen die die „Systemparteien“ immer noch kein Rezept gefunden haben? Oder zeigt sich hier, wie bei Trump, schon ein Gewöhnungseffekt, auf den die AfD ebenfalls setzt? Das wäre gefährlich. Denn ohne Widerspruch können schleichend, aber auch sprunghaft Begriffe neu besetzt und Maßstäbe verschoben werden. Das darf man den Brandstiftern im Biedermann-Sakko nicht durchgehen lassen, die jetzt an vielen Stellen zündeln. (FAZ)
Ich habe immer wieder die Radikalisierung des Diskurses angesprochen, die am rechten Rand der Konservativen stattfindet, und das hier ist ein weiteres Beispiel dafür. Die permanente demokratische Delegitimierung Angela Merkels durch die AfD hat bereits längst Eingang in einst bürgerliche Kreise gefunden. Man nehme als Beispiel nur den ehemaligen FAZ-Kolumnisten Don Alphonso, der dieser Tage auf Twitter einen bayrischen Seperatismus und Auflösung der BRD als einzig möglicher Ausweg forderte, weil der demokratische Prozess nicht ausreiche. Effektive Kritik und Abwehr dieser Radikalisierung kann nur aus der bürgerlichen Mitte kommen, aus der diese Leute ins radikale Spektrum wegbrechen.
10) Warum unfähige Männer so oft in Führungspositionen sind
Vor ein paar Wochen haben wir darüber berichtet, dass immer noch viel zu wenige Frauen in europäischen Aufsichtsräten sitzen, auch wenn die Zahl langsam steigt. Das Ungleichgewicht ist bekannterweise ein Problem, das nicht nur die Aufsichtsräte haben, sondern fast jede höhere Führungs- und Managementebene. Argumente dafür, warum diese Bereiche immer noch so männerdominant sind, gibt es viele. Sie reichen von stark rückständigen und konservativen Meinungen, zum Beispiel dass Frauen einfach nicht für die leitenden Positionen geeignet sind, über das gemäßigte Argument, dass der Großteil der Frauen gar kein Interesse an solchen Positionen hätte bis hin zur viel zitierten und faktisch vorhandenen „gläsernen Decke“. […] Der argentinische Psychologe und Sozialwissenschaftler Tomas Chamorro-Premuzic forscht seit vielen Jahren zum Thema Persönlichkeit und Führungskraftkompetenzen. Aus seinen Forschungen hat er eine Theorie entwickelt, die das eigentliche Problem für männerdominierte Führungsebenen in einer tief in uns verankerten Fehlannahme begraben sieht. […] Überheblichkeit, als Selbstbewusstsein getarnt, wird, das ergaben Chamorro-Premuzics Studien, fälschlicher Weise als Führungsqualität missverstanden. In Gruppen, die noch keine Führungsperson haben, werden oft Personen als Anführer gewählt, die aggressive, selbstbezogene und narzisstische Tendenzen aufweisen. […] In Führungspositionen sind ganz andere Kompetenzen wichtiger: Bescheidenheit, emotionale Intelligenz, Teamfähigkeit. Attribute, die deutlich mehr Frauen in sich vereinen – die aber auf dem Weg nach oben nicht gefragt sind. Es sind also nicht nur viel mehr Männer in Führungspositionen als Frauen, diese Männer sind auch noch viel zu oft völlig ungeeignet. […] Für Chamorro-Premuzics ist das der eigentliche Grund für die Benachteiligung der Frauen in Führungspositionen und auf dem Weg dahin. Die grundlegende Fehlinterpretation von Überheblichkeit als Führungskompetenz, führt eigentlich inkompetente Männer in die wichtigsten Positionen unserer Gesellschaft, die sich damit selbst schadet. Chamorro-Premuzic plädiert deshalb für einen Wandel unseres Verständnisses von guten Führungspersonal. Damit in Zukunft weniger unfähige Männer, fähigen Frauen den Weg versperren. Und damit unsere Gesellschaft fairer, besser und erfolgreicher geführt werden kann. Das ist wohl das wichtigste Ergebnis seiner Forschung. Denn überhebliche, narzisstische, inkompetente, aber trotzdem erfolgreiche Frauen gibt es schließlich auch. Man denke zum Beispiel an die französische, rechte Politikerin Marine Le Pen. Es kann also nicht darum gehen, Frauen darin zu fördern, aggressiver und überheblicher zu werden, damit sie durch die gläserne Decke stoßen können. Es geht viel mehr darum, die positiven Eigenschaften, die viele Frauen mitbringen, gewinnbringend für einen neuen Führungsstil einzusetzen. (edition F)
Es ist wichtig, sich angesichts solcher Artikel ständig vor Augen zu halten, dass Frauen keine besseren Menschen sind. Die „positiven Eigenschaften, die Frauen mitbringen“ sind ja nicht durch die Biologie in die Wiege gelegt, sondern werden bei Frauen gesellschaftlich gefördert, während sie bei Männern geächtet werden – und umgekehrt. Eigenschaften wie Durchsetzungsvermögen, dominantes Auftreten und Ehrgeiz werden bei Männern positiv und bei Frauen negativ bewertet. Umgekehrt sind Eigenschaften wie Teamfähigkeit, Einfühlungsvermögen und Sensibilität bei Männern negativ und bei Frauen positiv bewertet.
Der Artikel macht daher in meinen Augen denselben Fehler, den er der Gegenseite vorwirft, nämlich die natürliche Überlegenheit eines Geschlechts für Führungsaufgaben zu postulieren. Aber das ist Quatsch. Es gibt ein bestimmtes Set an Fertigkeiten und Eigenschaften, das gute Führungskräfte hervorbringt. Dieses war in der Vergangenheit zu stark auf solche Eigenschaften und Fertigkeiten reduziert, die üblicherweise mit Männern assoziiert werden. Nun in das andere Extrem abzurutschen ist weder gut für die Gleichberechtigung noch für Unternehmen und Politik, die dann eine andere Gruppe von einseitig ausgestatteten Führungskräften bekämen.
11) The wasted mind of Ben Sasse
Dignity is one of Ben Sasse’s things. He’s also into duty, thoughtfulness, empiricism, and respect for democratic traditions—and while most politicians would probably claim to support those ideals, Sasse sets himself apart by frequently challenging his party on their behalf. […] This, in a nutshell, is the central problem of Ben Sasse. He is a performatively deep thinker, an advocate of public decency who makes a case for good-faith discourse that is both eloquent and, in the FAKE NEWS!!!!!!1! era, timely. He states that case convincingly in his new book about raising hard-working and civic-minded children, The Vanishing American Adult. “Living in a republic demands a great deal of us,” he writes in a sort of mission statement for his public persona. “Among the responsibilities of each citizen in a participatory democracy is keeping ourselves sufficiently informed so that we can participate effectively, argue our positions honorably, and hopefully, forge sufficient consensus to understand each other and then to govern.” […] Sasse has the intellectual credentials and résumé that Paul Ryan wants you to think he has. […] I have some Sasse-ian empathy for Ben Sasse. It must be exhausting to be the good-faith guy in a party whose approach is all bad faith. I genuinely appreciate his candor and intelligence. But the tough love Sasse wants parents to show their children requires me to point out that if Nebraskans had elected a cravenly partisan alt-right bozo as their senator in 2014 instead of a genial Ph.D., American public life would be little different today. Sasse is probably doing exactly what his constituents want him to do right now—Trump won Nebraska by 25 points. But it doesn’t seem like he will be able to maintain such a large gap between his stated values and his record indefinitely without losing either his national reputation—which must matter to him, or else why write a general-interest book for a major publisher—or his sanity. At some point Sasse will have to actually interrupt Bill Maher; he’ll have to actually run against Donald Trump instead of suggesting that it would be nice if someone else did; he’ll have to challenge his own president not just by tweeting but by putting a hold on an executive-branch nominee until the Judiciary Committee, of which he’s a member, agrees to hearings on Trump’s obstruction of the FBI’s Russia investigation; he’ll have to refuse to vote for a motion to proceed on the health care bill until it gets a public hearing. It will be hard work, and he will get a lot of blowback from his own party and its dogmatic activists. But living in a republic demands a great deal from us. (Slate)
Ich verfolge Ben Sasses Karriere schon eine ganze Weile; der Grund dafür dürfte offensichtlich sein 😉 Tatsächlich ist er der Kandidat, den ich mir als Gegner für eine künftige Präsidentschaftswahl wünsche. Nicht, weil sein Sieg für mich eine akzeptable Konsequenz wäre – ich würde ihn natürlich erbittert bekämpfen – sondern weil er tatsächlich der konservative Denker und Charakter zu sein scheint, den andere Republicans nur performen.
Der eigentliche Wahlkampf könnte, einen entsprechenden liberalen Kandidaten vorausgesetzt, tatsächlich jener erlauchte „Wettkampf der Ideen“ werden, der immer das überhöhte Leitbild von Wahlkämpfen ist. Mein Traum wäre ein Wahlkampf Obama vs. Sasse, natürlich mit einem Sieg Obamas. Das wäre effektiv eine Folge der Serie „West Wing“, und mir ist klar, dass das eine Phantasie ist. Wenn aber Sasse und seinesgleichen, trotz aller im obigen Artikel zurecht aufgelisteter Kritikpunkte die Zukunft der republikanischen Partei wären, wäre ich sehr erleichtert. Und zumindest könnte man auf ein Mindestmaß intellektueller Ehrlichkeit hoffen, anders als in dem von Lügen und Manipulation getriebenen medial-politischen Kommunikationskomplexes der conservatives heute.
zu 8.) Ich bin auch kein Freund dieser Initiative. Meiner Praxiserfahrung ist das eher unnötig (auch wenn es den Arbeitgebern ganz Recht wäre, weil bequemer). Aber zumindest im Metall & Elektrobereich gibt es jede Menge Flexibilisierungsinstrumente (z.B. Stundenkonten, Lebensarbeitszeiten, verschiedene Schichtmodelle, etc), so dass diese Ausweitung mMn gar nicht notwendig ist.
Zudem bin ich wegen eines bestimmten Punktes skeptisch. In den meisten Betrieben, die ich kenne, drückt der Betriebsrat eher mal ein Auge zu, wenn da mal jemand zu viele Stunden hat oder die 10-Stunden-Grenze überschreitet und macht nur dann Ärger, wenn es problematisch wird. Von daher würde eine Ausweitung auf 12 Stunden wohl ganz schnell dazu führen, das von manchen Mitarbeitern relativ schnell erwartet wird, dass regelmäßig 12 Stunden am Tag oder eben 60 Stunden die Woche arbeiten.
zu 10.) Zustimmung zu deiner grundsätzlichen Kritik. Plus, es irritiert mich jedesmal, wenn Aufsichtsräte als Führungsebenen betrachtet werden. Das sind sie im deutschen Two-Tier-Board-System (im Gegensatz zum angelsächsischen One-Tier-Board-System) schlicht und einfach nicht. Aufsichtsräte in D sind Kontrollgremien und da sitzen normalerweise keine Menschen drin, die gerade auf dem Höhepunkt ihrer Karriere sind, sondern die diesen schon hinter sich haben (siehe z.B. jetzt gerade Zetsche, der in zwei Jahren in den Daimler Aufsichtsrat wechseln soll). Daher bin ich auch gegen die Frauenquote für Aufsichtsräte, da dies mMn nur Symbolpolitik für diejenigen ist, die eh schon alles erreicht haben.
8) Sehe ich genauso.
10) Ich denke es schadet nicht, aber die Idee, dass es irgendwie ein besonderer Meilenstein wäre, ist gewagt.
@Hias
Öh, was ist denn One-Tier-Board und der genaue Unterschied?
Ansonsten Zustimmung, meiner Meinung nach ist die Spitze eh nicht das größte Problem, sondern eher die mittlere Führungsebene. Da ist fast immer der Flaschenhals, in dem die Frauen wegsacken (auch weil das die Zeit von Schwangerschaft und/oder kleinen Kindern ist).
@Ariane
Im deutschen (Two-Tier-Board) System sind Vorstand und Aufsichtsrat getrennte Institutionen, die unterschiedliche Funktionen haben. Der Vorstand führt das operative Geschäft, der Aufsichtsrat (AR) kontrolliert. Der AR gibt zwar Vorgaben und verlangt Informationen, aber er mischt sich nicht direkt in das operative Geschäft ein. Im angelsächsischen (One-Tier-Board) System gibt es nur ein Board, dass aus Managing Directors und Non-Managing-Directors besteht. Erstere führen das operative Geschäft, letztere beaufsichtigen sie dabei. Sie tagen aber eben gemeinsam in einem Board.
Jep, ich denke auch, dass man hier eher im mittleren Management angreifen müsste. Allerdings nicht mit einer Frauenquote, das wäre eher kontraproduktiv.
Zu (9) „Früher nannte man das Säuberung“ – der Begriff der „Säuberung“ ist mir präsent aus dem Krimi Codename Tesseract. Also die TAZ unterstellt dem „ehemals liberalen CDU-Mann“ Gauland eine Nacht der langen Messer.
Das verstehe ich unter „Radikalisierung des Diskurses“.
FAZ natürlich.