Die Liberalen sind nicht der Liebling der deutschen Journalisten. Wie in vielen anderen Bereichen auch, entscheiden sich junge Menschen häufig aus idealistischen Motiven für eine Karriere bei den Medien. Dem gegenüber stehen Fernsehen, Zeitungsverlage und zunehmend digitale Presseerzeugnisse, deren vornehmste Aufgabe die Abbildung eines breiten Meinungsspektrums ist. Das gestaltet sich bereits bei den öffentlich-rechtlichen Medien schwierig, die sich sowohl in der Darstellung als auch Schwerpunktsetzung von Sachverhalten eng an den Schnittmengen der sozialdemokratisierten Union, dem rechten SPD-Spektrum und den Realos bei den Grünen orientieren. Für linksmotivierte Menschen werden noch die Satiremagazine „Die Anstalt“ und „Die heute-show“ aufgefahren, welche die Meinungssehnsucht der LINKEN-Anhänger befriedigen. Ausgemachter Punchingball der medialen Zunft ist traditionell die FDP, die seit einigen Jahren Gesellschaft durch die rechtspopulistische AfD bekommen hat. Der SPIEGEL, das frühere linke Kampfblatt, hat die Liberalen wenige Tage vor der Bundestagswahl 2017 auf rechtlich höchst fragwürdiger Basis attackiert und nun nachgelegt.
Am 11. September 2017 veröffentlichte der SPIEGEL auf seiner Internetseite eine volle Breitseite gegen die aussichtsreich vor dem Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag stehende Partei. Der geharnischte Vorwurf: Die FDP habe „berechtigte Forderungen“ der Rentenkasse nicht bezahlt. In dem Artikel blieb offen, wie die Journalisten Boris Kartheuser, Nicolai Kwasniewski und Fabian Reinbold zu der Einschätzung kamen, dass es sich bei den geltend gemachten Ansprüchen in Höhe von rund 6 Millionen Euro um „berechtigte Forderungen“ handele, denn eine solche rechtliche Würdigung setzt entweder ein Gerichtsurteil oder zumindest ein Rechtsgutachten voraus. Beides gab es nicht.
Worum geht es? Im Herbst 2013 wurde die FDP erstmalig aus dem Bundestag gewählt. Mit dem Verdikt des Wählers musste die langjährige Fraktion aufgelöst werden, nicht nur die bisherigen Abgeordneten verloren ihr Mandat, auch rund 100 Mitarbeiter mussten entlassen werden. Die Fraktion wechselte in den rechtlichen Status der Liquidation, was vergleichbar mit einer Insolvenz ist. Zu den größten Gläubigern der abzuwickelnden Fraktion gehörte die Rheinischen Zusatzversorgungskasse (RZVK) mit Versorgungsansprüchen für eben diese Mitarbeiter. Die staatliche Versorgungskasse ist wie das gesetzliche Rentensystem im Umlageverfahren organisiert, aktiv Beschäftigte vor allem von Union und SPD zahlen für die Pensionäre. Entscheidet sich ein öffentlicher Arbeitgeber, seine Tätigkeit aufzugeben, so wird eine Ausgleichszahlung fällig. Im Falle der gerade gescheiterten FDP berechnete die RZVK diesen Kompensationsanspruch mit knapp 6 Millionen Euro.
Der Haken an der Sache: die Liberalen verließen das Parlament in Berlin nicht freiwillig, sie wurden abgewählt. Die Aufgabe der Tätigkeit war also keine freie Willensentscheidung der Fraktion, sondern des Auftraggebers, dem Wähler. So etwas kommt in der freien Wirtschaft regelmäßig vor, im staatlichen Betrieb jedoch eher selten. Ohne Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag auch keine Zahlungen der Bundestagsverwaltung an die Partei. Eine ziemlich einfache Sache, die zwangsläufig die Liquidation nach sich zieht.
Im Falle einer Liquidation wie einer Insolvenz wird das Vermögen der verschuldeten Einheit aufgelöst und die Erlöse zur Befriedigung der Gläubigeransprüche verwendet. Ist kein Vermögen vorhanden, gehen Gläubiger leer aus. Soweit, so klar. Im Artikel vom September 2017 machen die Journalisten der Partei den impliziten Vorwurf, nicht gut gehaushaltet zu haben, da die Ausgleichsansprüche nicht an die RZVK gezahlt werden konnten. Nur ist das ein absurder Vorwurf, Parteien erhalten die Zahlungen der Bundestagsverwaltung zur Begleichung laufender Kosten, nicht für die Vorsorge und schon gar nicht für den Fall der Abwahl. Doch der SPIEGEL trieb es in der heißen Wahlkampfphase noch ärger.
In einem Interview mit dem Parteivorsitzenden Christian Lindner verstieg sich das Hamburger Nachrichtenmagazin zu der Forderung, die Partei möge doch die Ausgleichszahlungen leisten. Wohlgemerkt: Bundesverfassungsgericht, Bundesrechnungshof, Bundestagsverwaltung und Medien wachen seit Jahrzehnten sorgsam darüber, dass Finanzmittel von Parteien und Fraktionen nicht vermischt werden. Während Fraktionen als Teil eines Verfassungsorgans ausschließlich vom Bürger als Steuerzahler finanziert werden, erhalten Parteien ihre Mittel von den Mitgliedern und Spendern. Dazu zahlt der Staat eine Art Erfolgsprämie als Steuerzuschuss je nach Abschneiden bei Wahlen. Es ist Fraktionen untersagt, Gelder für ihre möglicherweise klammen Parteien abzuzweigen, um so möglicherweise Wahlkämpfe zu finanzieren.
Genauso wie die Finanzierung von Parteien durch die Fraktion eine Veruntreuung von Vermögen darstellt, verhält es sich umgekehrt. Auf den konkreten Fall der FDP: würde das Thomas-Dehler-Haus die Rechnung der RZVK begleichen, wäre das eine Veruntreuung von Parteivermögen, vulgo Mitgliedsbeiträgen und Spenden für sachfremde Zwecke. Parteien und Fraktionen sind rechtlich selbständige Einheiten. Wie im Privatgesellschaftlichen, wo rechtlich Einheiten wie eine GmbH oder AG Zahlungen an andere Gesellschaften nur bei einer konkreten Gegenleistung leisten dürfen, so verhält sich die in noch strengerem Maßstab auf der demokratisch-politischen Ebene.
Die rechtlich abstrusen Vorwürfe des SPIEGEL verliefen sich danach im Sande. Heute veröffentlichte das Blatt einen neuen Artikel mit der Überschrift: „FDP bezahlt Millionenschulden nicht – und kommt damit durch“. Darin wiederholt der Hamburger Medienkonzern seine ein Jahr alten Vorwürfe und suggeriert dem Leser, die RZVK habe aus politischen Motiven auf die „berechtigte Forderung“ verzichtet. Tatsächlich, so die RZVK, habe die umfangreiche Prüfung der Sach- und Rechtslage ergeben, dass die Forderung tatsächlich nicht realisierbar sei. Doch daraus dichten die Journalisten: Was bedeuten soll: Theoretisch will man die knapp sechs Millionen Euro noch haben, praktisch wird man das Geld nicht bekommen, womit man sich nun abfindet.
Für den SPIEGEL ist es schlicht undenkbar, dass die von ihm als „berechtigt“ erkannte Forderung gar keine Rechtsgrundlage haben könnte. Auch die Verjährung der behaupteten Ansprüche ist den Kampagnenjournalisten ein Dorn im Auge. Doch die Verjährung wurde mit Zustimmung der FDP-Bundestagsfraktion i.L. bereits 2016 einmalig verlängert, um der Versorgungskasse die Möglichkeit zur rechtlichen Klärung zu geben. Eine Unterbrechung der Verjährung wäre nun nur noch aufgrund einer Klage möglich gewesen. Vor dieser scheute die RZVK jedoch zurück, denn im Falle einer Niederlage vor dem Verwaltungsgericht hätte die öffentliche Anstalt Rechtskosten von mindestens 200.000 Euro tragen müssen.
Am Ende muss eine Verschwörungstheorie herhalten, um einen Vorwurf aufrechtzuerhalten, ohne dass sich der SPIEGEL angreifbar macht. Ohne Bestätigung durch die Versorgungskasse spekuliert das Hamburger Blatt, dass der RZVK-Geschäftsbereichsleiter Zusatzversorgung, Detlev Metzler, federführend mit dem Vorgang befasst war. Und der ist – langjähriges FDP-Mitglied. Allerdings, der sachgrundlose Verzicht auf eine „berechtigte Forderung“ ist nichts anderes als eine schwere Straftat und wird mit Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren geahndet. Selbstverständlich würden dadurch auch Schadensersatzansprüche gegenüber der RZVK ausgelöst, die den Geschäftsbereichsleiter wirtschaftlich vernichten würden. Und nebenbei dürfte er für die Dauer von 5 Jahren keine Organfunktion in einer Organisation übernehmen.
An dieser Stelle macht der SPIEGEL jedoch Schluss, möglicherweise hat jemand beim Korrekturlesen gemerkt, dass die Redaktion am Rande der Legalität wandelt. Es bleibt, dass ein Nachrichtenmagazin in einer Artikelserie keinen einzigen Beleg für einen schwerwiegenden Vorwurf beibringen konnte und selbst nach jahrelanger Recherche im Bereich wilder Spekulation abseits von Fakten verbleibt.
Ich habe in den Kommentaren hier gelernt, dass eine gefühlte Rechtslage durchaus völlig ausreicht, um hunderttausenden von Menschen Rechte zu entziehen, das gilt sicher auch für die FDP.
Aber Scherz beiseite, in der Sache hast du Recht. Der Spiegel wäre wesentlich besser gefahren, wenn er das ganze auf der moralischen Schiene untersucht hätte (das Verhalten der FDP passt wie Arsch auf Eimer und straft natürlich die viel gepriesene Verantwortung auch Lügen).
Aber halt, das wäre dann wieder Moralisieren. Ist halt echt schwierig, in diesem Minenfeld der rechten Political Correctness, ich muss da noch viel lernen.
Der SPIEGEL hat weder 2017 noch 2018 einen Ansatz geliefert, wie die FDP das Thema sauber hätte erledigen können. Der Vorschlag, die Partei müsse die Haftung übernehmen, ist wie im Artikel dargestellt krass rechtswidrig und ein Verstoß gegen das Parteiengesetz. Und das Thema hat keine moralische Komponente, der SPIEGEL will diese konstruieren. Eine Liquidation läuft üblicherweise nach strengen Regeln ab und es gibt keinen Anhaltspunkt, dass die Liquidatoren der ehemaligen Bundestagsfraktion dagegen verstoßen hätten.
Als die IG Farben liquidiert wurde, forderte niemand, dass Altgesellschafter Einlagen in die Gesellschaft in Liquidation leisten sollten. Und diese Abwicklung war eine hochmoralische Frage.
Du lässt einen auch nie in Frieden billige Witze machen, was? ^^
Vielen Dank dafür, die unseriöse Spiegel-Propaganda korrigiert zu haben.
Der wesentliche Fehler ist hier der Versicherung passiert. Ihr ganzes Geschäftsmodell beruht darauf, daß ihre Versicherungsnehmer öffentliche Hand sind und daher nie illiquide sein können. Und genau das ist natürlich bei Fraktionen nicht der Fall.
Es müßte also zwei Tarife geben. Einen für wirklich insolvenzsichere Kunden und einen für solche mit Risiko. Und bei letzteren müßten die Beträge etwas höher sein, damit die Versicherung entsprechende Rückstellungen bilden kann (was die Fraktionen selber nicht dürfen), die die Ausgleichszahlungen im Insolvenzfall ersetzen.
Die einzige offene Frage bei dieser ganzen „Affäre“ ist also, ob die Versicherung ihren Fehler inzwischen korrigiert hat und die Fraktionen nun korrekt versichert.
Denn die Fehlkalkulation geht letztlich zu Lasten der übrigen Versicherten, für die die Versicherung hier treuhänderisch tätig ist.
Danke für den informativen Artikel, insbesondere Trennung Partei/Fraktion sehr schön rausgearbeitet. Einzige Schwachstelle wäre vielleicht, dass der Spiegel jemals ein „linkes“ Kampfblatt gewesen sein solle. Bei „linke Titte“ käme kein Widerwort von mir.
Kleine Korrektur:
„Zum Zeitpunkt der Einleitung der Liquidation hatte die Fraktion 8,6 Millionen Euro Schulden“
Meines Wissens waren diese 8,6 Millionen Schulden der FDP als Partei, nicht solche der Fraktion. Das schreibt auch der Spiegel (auch wenn er das anschließend dann inhaltlich vermischt).
Stimmt, und das ist trivial, da auch sich hier die Vermischung von Partei und Fraktion in dem Artikel des SPIEGEL zeigt. Ich habe das korrigiert.
Interessanter Artikel, doch leider im Kern komplett falsch – es gibt ein Rechtsgutachten. Und dieses liegt sowohl RZVK, als auch FDP und dem Spiegel vor, der ja auch daraus im ersten Artikel zitiert. Und da es dort immer noch steht, scheint es auch keine Unterlassungsklage gegeben zu haben.
In dem Artikel ist in einem Nebensatz auf ein vertrauliches Gutachten verwiesen. Die einzige Information, die der Leser dazu erhält, beschreibt den nominellen Anspruch. Es geht, anders als bei umfangreichen Rechtsgutachten, weder hervor, was eigentlich der Auftrag war noch auf welcher Rechtsgrundlage eine Forderung erstellt ist. Und vor allem: gegen wen. Sie finden dazu keinen Hinweis. Das ist aber der zentrale Punkt: wer soll die knapp 6 Millionen Euro Ausgleich (das ist ein Ausgleich für die Abmeldung, nicht für vorenthaltene Beiträge!) zahlen? Die Fraktion in Liquidation kann es offensichtlich nicht, sonst wäre das gar kein Punkt. Dann wüsste ich schon gern, auf welcher Rechtsgrundlage die Partei zahlen sollte. Die Journalisten umschiffen den Punkt ja auch. Sie behaupten nirgends, die FDP solle zahlen. Sie überlassen das dem Leser.
Das ist eine weitere Schaumschlägerei der Journalisten. Bemerkenswert ist doch auch, dass weder der Springerverlag noch die FAZ noch andere seriöse Medien (übrigens auch nicht die ÖR) auf die Geschichte angesprungen sind. Und nochmal: man bezichtigt inkludent den Funktionär einer Versorgungskasse einer schweren Straftat, ohne dazu den geringsten Beleg zu präsentieren.
P.S.: So eine Ausgleichsabgabe ist wie bei anderen Dauerschuldverhältnissen wie eine Abstandszahlung zu sehen. Wer vor Kündigungsfrist seinen Mobilfunkvertrag kündigen will, muss dennoch weiter Beiträge zahlen. Ebenso beim Festvertrag. Nur: auch da gibt es Sondersituationen. Wer beispielsweise umzieht, wird vorzeitig aus dem Vertrag entlassen. Und bei Insolvenz übrigens auch.
Gegen wen soll es eine Unterlassungsklage geben? Die RZVK behauptet, eine Forderung zu haben. Die FDP-Fraktion in Liquidation kann vorweisen, nicht zahlen zu können und bezweifelt die Rechtmäßigkeit. In einer solchen Situation gibt es nur zwei Alternativen: entweder die RZVK klagt und beweist ihre Forderung. Das geschieht üblicherweise vor dem zuständigen Verwaltungsgericht. Oder sie kommt zu dem Schluss, dass aufgrund der Liquidation zwar formal ein Anspruch bestehen könnte, dieser aber gegen eine Rechtseinheit ohne Finanzmittel nun mal nicht durchgesetzt werden kann. Genau so scheint die RZVK entschieden zu haben.
Es gibt keinen Hinweis, nicht das geringste Indiz, dass eine Klage gegen den Bundesverband möglich wäre noch überhaupt Aussicht auf Erfolg habe. Nur, wer überhaupt eine Unterlassungsklage einreichen sollte, das wüsste ich schon gerne von Ihnen. Die FDP etwa? Oder soll die FDP gegen den SPIEGEL klagen? Warum? Eine politische Partei soll gegen ein Presseerzeugnis klagen weil dies weitgehend einen Sachverhalt schildert, aber gar keine konkrete Beschuldigung erhebt? So einfach geht das in Deutschland nicht. Sie müssen schon konkret sagen, was unterlassen werden soll.
> Gegen wen soll es eine Unterlassungsklage geben?
Gemeint war m. E.: Gegen den Spiegel, falls die Passage mit dem Gutachten nicht stimmen würde.
Letztlich ist das aber ein nebensächliches Detail. Niemand bestreitet, daß die RZVK intern ein Papier anfertigen ließ, in dem ihre Sicht mit der Forderung beschrieben ist. Das wird im Zweifelsfall der Hausjurist geschrieben haben, deswegen kann man das auch als „Rechtsgutachten“ bezeichnen.
Das ist aber nicht, was der Autor mit “ setzt entweder ein Gerichtsurteil oder zumindest ein Rechtsgutachten voraus. “ meinte – damit war das Gutachten eines unabhängigen und sachverständigen Dritten gemeint, das der RZKV die Korrektheit ihrer Sichweite bestätigt. Und das gibt es wiederum nicht.
Übrigens dürfte es auch ziemlich schwer sein, gegen den Spiegel auf Unterlassung seiner Lügen zu klagen. Weil die entscheidenden Vorwürfe ja nur suggeriert werden, die Fakten selber sind weitgehend korrekt dargestellt.
Wie schon Liechtenberg sagte: „Der schlimmste Feind der Wahrheit ist nicht die Lüge, sondern die Wahrheit, mäßig entstellt.“
Wobei der Spiegel hier zwar mehr als mäßig, aber noch nicht justiziabel entstellt.