Privatwirtschaft? Nein danke

Jüngst machte die FAZ auf eine Studie von Ernst&Young unter Studenten aufmerksam, die für die Agentur verblüffende Erkenntnisse bereithielt: 32% der Studenten streben eine Stelle im öffentlichen Dienst an. Nach Geschlechtern aufgeschlüsselt ist das Verhältnis sogar krasser: 36% der Frauen und nur 23% der Männer haben diese Präferenz. Woran aber liegt es? Ana-Christina Grohnert, eine er Partnerinnen bei E&Y, hat eine Theorie: „Manche Studenten haben offensichtlich eine gewisse Scheu vor der freien Wirtschaft – sie stellen sich einen Job in der Privatwirtschaft wohl als extrem zeitaufwendig, unsicher und mit privaten Belangen schwer vereinbar vor.“ Könnte es sein, dass diese Einschätzung korrekt ist? Meine These ist: der Aspekt der Zeitaufwändigkeit spielt keine Rolle, der der Unsicherheit und vor allem der Vereinbarkeit mit privaten Belangen sehr wohl. Denn das erklärt auch den frappanten Gender-Gap.

Ohne die Studie genau zu kennen würde ich den Löwenanteil der in den Staatsdienst drängenden Studenten im Lehramtsstudium verorten, denn nur dort besteht eine realistische Aussicht, vernünftig bezahlte staatliche Stellen zu bekommen. Als Ingenieur oder Informatiker wüsste ich nicht mal wo anfangen. Das aber klärt natürlich die Frage nicht, warum so viele Menschen gerade den öffentlichen Dienst so attraktiv finden, dem allgemein große Inflexibilität bescheinigt wird: Karriereleitern sind klar vorgegeben, das Gehalt steigt mit dem Alter, und der Job ist auch ziemlich klar geregelt. Sind Frauen einfach mehr risikoavers als Männer, trauen sie sich nicht, die Bewährungsprobe in der heißen Eliteschmiede der Privatindustrie zu wagen? Aber klar. Und sie haben gute Gründe dafür.

Denn noch immer ist ein zentrales Problem der Gleichstellung der Geschlechter in Deutschland nur unzureichend geregelt (obwohl wir in Deutschland verglichen mit anderen Ländern bereits halbwegs gut dastehen): die Biologie. Denn nur Frauen können schwanger werden. Eine Schwangerschaft geht mit schweren Beeinträchtigungen einher, von der Zeit nach der Geburt erst gar nicht zu reden. Egal, wie viel Arbeit einem der Partner denn auch abnimmt, auch hier schlägt die Biologie wieder gnadenlos zu, denn nur Frauen können stillen. Nimmt man dazu die noch immer furchtbar schlechte Versorgung mit Ganztageseinrichtungen gerade im U3-Bereich, ist eine Auszeit von einem Jahr ziemlich wahrscheinlich (die meisten Kitas nehmen erst Kinder ab einem Jahr auf).

Solche Auszeiten aber sind in der Privatwirtschaft immer noch Karrieregift, ganz gleich, wie viel Lippenbekenntnisse zum Gegenteil abgegeben werden. Gleiches gilt für Möglichkeiten der Teilzeitarbeit, die selten in einer adäquaten Stellung möglich sind. Das ist im öffentlichen Dienst anders, denn gerade seine Unpersönlichkeit erlaubt es, die gesetzlich verankerten Rechte durchzusetzen – anders als in mittelständischen Betrieben. Gerade das Lehramt erlaubt Teilzeitarbeit in einer Flexibilität, wie sie in der Privatwirtschaft praktisch nie anzutreffen ist. Anstelle eines vollen Deputats von 25 Unterrichtsstunden kann man auch 18 machen. Oder 12. Oder sechs. Das Gehalt skaliert einfach, der grundsätzliche Job, die Integration in den „Betrieb“ und die Chancen auf Aufstieg sind davon allesamt nicht berührt. Das sind Bedingungen, von denen man in der Privatwirtschaft nur träumen kann.

Beide Geschlechter profitieren zudem von der realistischen Möglichkeit der Elternzeit für beide Partner (erneut: die anonyme Struktur des öffentlichen Dienstes hilft hier massiv), von den geregelten Arbeitszeiten und den sicheren Umständen. Klar ist „Karriere“, wie man sie bei Ernst&Young versteht, im öffentlichen Dienst nicht möglich. Nur leidet die Debatte um die Vereinbarkeit um Familie und Beruf schon seit Jahren daran, dass dies nur für eine absolute Minderheit ein Ziel ist. Die Mehrheit möchte ein angenehmes und vor allem sicheres Auskommen. Sicherheit ist der Wert, nicht Chance oder Herausforderung. Für jemanden, der eine Familie hat, gilt das gleich dreimal.

Es ist daher nicht verwunderlich, wenn verhältnismäßig viele Studierende und vor allem Studentinnen den öffentlichen Dienst anstreben. Er ist und bleibt der einzige Arbeitgeber, der bei einer Beschäftigung und Bezahlung auf ordentlichem Niveau eine ernstzunehmende Vereinbarkeit von Familie und Beruf bietet. In einer Gesellschaft, die die Lasten der Familienarbeit immer noch mehrheitlich auf die Frauen abwälzt, ist die Zahl von 36% daher eher verwunderlich niedrig als verwunderlich hoch. In den Glaspalästen von Ernst&Young ist das natürlich eine Überraschung. In den Kinderzimmern und Schulfluren der Republik eher weniger.

{ 9 comments… add one }
  • Kreuzle 5. August 2014, 11:12

    Es ist wie bei mir und anderen Freunden. Zwei bis drei geisteswissenschaftliche Studien abgeschlossen, 10 Jahre zwischen Privatwirtschaft und Universitätsprojekten gependelt, und mit 30 gibt man dann auf und macht Lehramt.

    Das hat weniger damit zu tun, dass man Angst vor der Privatwirtschaft hat, sondern einfach dass man zwischen 18 und 21 aus den falschen Gründen (persönliches Interesse) ein vollkommen wertloses Studium beginnt. In meinem Fall waren es vergleichende Kulturwissenschaften und Politikwissenschaften. Sehr interessant, eine persönliche Bereicherung, aber für mehr als 900 € netto trotz 3 Arbeitsstellen reichte es nie.

    Und am Ende träumen alle von einem Job in einem Amt, wo man aber auch nur hingehalten wird.

    Es hat nichts damit zu tun ob man Mann oder Frau ist. Sondern dass man mit 18 einfach noch nicht sieht was man mit einer falschen Studienwahl anrichtet.

    lg
    Kreuzle

  • Am_Rande 5. August 2014, 12:08

    Woran aber liegt es? – fragt der Autor.
    Der Klassische Liberalismus kennt die Antwort:

    „Es gibt zwei Methoden oder Wege – und ausschließlich diese zwei – um die Wünsche und Bedürfnisse des Menschen zu befriedigen: zum einen ist dies die Produktion und der Austausch von Wohlstand; dies ist der Weg der Wirtschaft.
    Die andere Methode ist die Wegnahme von Reichtum, der von anderen produziert wurde, ohne Entschädigung. Das ist der Weg der Politik.

    Die primitive Anwendung des politischen Weges war, wie wir gesehen haben, Eroberung, Vermögensrequirierung, Enteignung und die Einführung einer Sklavenwirtschaft. Der Eroberer verteilte das eroberte Gebiet unter seinen Günstlingen, die fortan ihre Bedürfnisse und Wünsche durch die Ausnutzung der Arbeitskraft der versklavten Einwohner erfüllt haben.

    Der feudale Staat und der Handelsstaat haben, wo immer man diese aufsucht, lediglich das Erbe des Charakters, der Absicht und der Einrichtungen der Ausbeutung angetreten und es schrittweise verfeinert, welches der primitivere Staatsapparat diesen hinterlassen hat; sie sind von ihrem Wesen her schlicht höhere Gliederungsformen des primitiven Staates.
    So ist der Staat, sei er primitiv, feudal oder merkantil, also die Organisationform des politischen Mittels.

    Da der Mensch nun immer dazu neigen wird, seine Bedürfnisse und Wünsche mit der geringsten Anstrengung seinerseits zu befriedigen, so wird er das politischen Mittel zur Anwendung bringen, wann immer er kann – er wird es ausschließlich anwenden, wenn er die Möglichkeit hat; ansonsten in Verbindung mit dem wirtschaften Mittel.“
    (Albert Jay Nock – Our Enemy, the State – 1935)

    Warum soll man sich als Student der Aussicht auf die Ungewissheiten der Konkurrenz auf dem Markt aussetzen, wenn man sich des Gewaltmonopols des Staates versichern kann, um seine Bedürfnisse zu erfüllen?

    Zumal in einem Land wie Deutschland, wo jeder erfolgreiche Unternehmer ein Ausbeuter ist, wenn er nicht gleich Aasgeier oder Heuschrecke geschimpft wird?

    Der Staat aber gilt als das Gute schlechthin.

    „Es ist kennzeichnend für die Tendenz der deutschen Denkungsart, den Staat als Zentrum von allem zu setzen.“
    (Benjamin Anderson, 1917)

  • In Dubio 5. August 2014, 13:01

    Was für ein Armutszeugnis für unsere (akademische) Jugend! Wer schon in jungen Jahren jedes (Lebens-) Risiko scheut, wo will der mal landen? Nur wer Risiken eingeht, wird im Leben etwas (Herausragendes) erreichen. Wenn dies nicht mal mehr dem bestens ausgebildeten Nachwuchs zugetraut werden kann, wie schlecht ist es dann um die Risikoaffinität dieses Landes bestellt, das seinen Wohlstand nicht dem Beamtenheer, sondern dem Tüftlergeist verdankt?

    Gerade die Staaten, die relativ wenig Sicherheit bieten, erreichen die höchsten Wohlstandsnoten: die angelsächsischen Länder, aber auch die Schweiz oder in den letzten Jahren Österreich. Diese Studie ist so deprimierend, dass man sich fragen mag, was geht in den (Holz-) Köpfen junger Menschen vor, denen dieser Staat eine prächtige und kostenlose Ausbildung bietet und dafür Menschen erntet, die am liebsten für immer im kuscheligen Schoss bleiben würden.

    Leider bildet die Studie meine Erfahrungen der letzten 10 Jahre ab. Dein Fazit ist allerdings aus den genannten Gründen daneben.

  • HE 5. August 2014, 14:26

    @In Dubio
    Die meisten Menschen wollen aber nichts Herausragendes leisten und selbst wenn sie es wollten, würden es die meisten Menschen gar nicht schaffen, wie auch? Herausragen geht ja (im wahrsten Sinne des Wortes) eben nur wenn alles drum herum eine Ebene tiefer liegt. Das ist also für alle gar nicht machbar. Das Versprechen es nach (ganz) oben zu schaffen, hält ja auch die Amerikaner bei der Stange wie die Karotte, die vor dem Esel hängt und ihn antreibt. Der Neoliberalismus hat sich selbst ein System geschaffen, in denen Leute kein Risiko eingehen wollen, weil der Sturz einfach zu tief nach unten führen würde. Das hat weniger etwas mit der zaghaften und feigen Jugend als mit den Umständen zu tun, mit denen sie sich heutzutage konfrontiert sehen.
    Der Verweis auf die Tüftlernation erschließt sich mir auch nicht so ganz, denn Ingenieur zu werden, ist doch auch heute noch einer der stabilsten und sichersten Wegen später einen vernünftigen Beruf zu erlangen. Viel Risiko gibt es da nicht und gab es früher noch viel weniger, als nach der Uni direkt der unbegrenzte Vollzeitarbeitsvertrag für einen Job winkte, mit dem man(n) locker die Familie versorgen und ein Haus bauen konnte. Heutzutage überlege ich es mir zweimal, ob ich jetzt lieber den sicheren vernünftig bezahlten Job beim Amt annehme, mein Kind in die Schule schicken und die Miete bezahlen kann, oder lieber mit meinem Kumpel ein Start Up gründe, in der Hoffnung, das nächste Facebook zu erfinden.
    Die Sicherheit, die Sie scheinbar so sehr ablehnen, ist meiner Meinung nach ein nicht zu unterschätzender Bestandteil der Innovationsfreude einer Gesellschaft.

  • Ralf 5. August 2014, 15:06

    Ich sehe das genauso wie HE. Und finde es schon bemerkenswert, wie gerade die Neoliberalen hier argumentieren. Ihr wollt doch den Staat ohne Sicherheit fuer die Menschen, ohne Kuendigungsschutz und kaum ein Auffangnetz fuer die, die scheitern. Euch und denen, die wie ihr denkt, ist es doch zu verdanken, dass der, der noch ein Risiko eingeht und scheitert den Totalabsturz erlebt. Nun ziehen sich selbst die Gutausgebildeten aus eurem System zurueck und ihr bekommt die Ablehnung fuer eure politischen Ideen in der gesamten Breite der Gesellschaft zu spueren. Und jetzt beschimpft ihr die Leute als Holzkoepfe. Einfach weil sie menschlich sind anstatt eurem risikofreudigen Kunstgebilde Homo Oeconomicus zu entsprechen.

  • Sven 5. August 2014, 20:44

    „Karriere ist was für Arbeitnehmer.“ – Harald Schmidt

    Karriere ist die Karotte, die den Angestellten durch die Chefetage – zu der sie ohnehin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nie „auf“steigen werden – vor die Nase gehangen wird, damit sie brav die Kutsche ziehen. Viel Spaß noch, ihr Deppen. Könnt euch gerne eure Bullshit-BWL-Funktionsbezeichnungen auf eure Marmorgrabsteine gravieren lassen.

  • schejtan 5. August 2014, 22:08

    Also, die bisherigen Kommentare der Liberalen sind schon ziemlich enttaeuschend; anstatt ernsthaft auf die von Stefan angesprochene Problematik einzugehen, wird hier gegen Menschen, die nicht die selben Ambitionen hegen polemisiert. Weiterhin finde ich die von In Dubio aufgestelle These, dass nur wer Risiken eingeht, etwas erreichen und finanziell erfolgreich sein kann, fragwuerdig. Aber vielleicht kann mir ja jemand erklaeren, welches Risiko Einstein mit seiner Stelle beim Patentamt eingegangen ist, und warum nach Schema F zusammengestellte Popbands erfolgreicher sind als experimentelle Jazzmusiker.

  • Ariane 7. August 2014, 08:36

    Ich sehe das ähnlich wie HE und Schejtan. Ich glaube, der Mensch ist nur bedingt geneit, eine Menge an Risiken einzugehen und eine Familie zu gründen ist ja auch schon ein Wagnis, also braucht man dafür an anderen Stellen Sicherheit. Und für Frauen ist dies ein noch größeres Wagnis, was imo auch den höheren Frauenanteil erklärt. (Btw dass der nicht noch höher ist, könnte daran liegen, dass es hier nur um Studenten gibt, viele Stellen im öffentlichen Dienst kann man ja auch per Ausbildung oder Dualstudium erreichen)
    Ich glaube daher auch, dass Dubios Argumente eher umgekehrt greifen, nur wer zb im Job Sicherheit hat, hat den Kopf frei für andere Dinge, zb Erfindungen, karikative Arbeit oder anderes.

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