Die Simulation von Widerstand als kollektive Seelenmassage


Geschichten über das Leben in der Diktatur erfreuen sich einer ungebrochenen Beliebtheit, was angesichts unserer Erfahrungen mit solchen – die zwölf Jahre des Dritten Reiches und, für diejenigen, die das Pech hatten auf der östlichen Seite der Zonengrenze zu leben, weitere vierzig Jahre „realsozialistische“ Diktatur – wenig verwundern dürfte. Oftmals drehen sich solche Geschichten entweder zentral um Widerstand gegen diese Diktaturen oder sie haben widerständlerische Elemente in einigen oder allen Charakteren. Mir ist dabei ein Trend aufgefallen: Deutsche Geschichten dieser Art, ob in Roman oder Film, neigen zu einer entpolitisierten, existenziellen Art des Widerstands. Und ich halte das für ein Problem.

Was meine ich damit? Wir können grob zwei Arten von Widerstand unterscheiden. Eine sehr persönliche, ethisch-individuell verankerte, in der der Widerstand aus einem Gefühl der Verletzung der eigenen Werte herrührt. Hier geht es meist um eine Verweigerungshaltung, der Widerstand ist passiv. Die Zielrichtung ist es nicht, dem Regime zu schaden oder es zu verändern, sondern seine persönliche Integrität, die eigenen Ideale und Prinzipien, zu wahren. Das trifft historisch etwa auf die Zeugen Jehovas zu, die im Dritten Reich den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigerten und dafür massiv verfolgt wurden. Sie wehrten sich explizit nicht gegen das Regime, griffen es nicht an, sondern weigerten sich lediglich, ihren zentralen ethischen Wert des Pazifismus korrumpieren zu lassen. Nicht, dass die Nazis irgendwie gestört hätte; sie behandelten sie genauso wie alle anderen Systemgegner auch.

Auf der anderen Seite gibt es den Widerstand der Tat, der dem Regime aktiv schaden will. Wir finden ihn historisch hauptsächlich in den besetzten Gebieten. Berühmt ist etwa die französische Résistance (wenngleich der Mythos hier wesentlich strahlender ist als die Realität) oder der Widerstand der Niederländer (dito). Titos Partisanen dürften genauso bekannt sein wie der der zahlreichen Partisanenbanden in Belarus, der Ukraine und Polen. Aber mit diesen beschäftigen sich deutsche Geschichten üblicherweise nicht, auch nicht mit dem, in dem Deutsche tätig wurden – von Stauffenberg über Georg Elser hin zu den Aktivisten der SoPaDe oder der Roten Kapelle (letztere zumindest wurde in der DDR in einem Ausmaß glorifiziert, für das das Wort „Geschichtsklitterung“ noch zu freundlich wäre).

Dafür gibt es generell die Tendenz, die ich mit „Jeder ist im Widerstand“ umschreiben möchte. In den Geschichten gibt es generell wenig genuine Unterstützer des Systems. Wir erkennen unsere Heldenfiguren daran, dass sie sich abfällig über die Diktatur äußern. Die Unterstützer des Systems, so es überhaupt welche gibt, sind selten und werden durch ihre  Dialogzeilen – stets offensichtlich unsinnige oder rein propagandistische Statements abgebend – und visuelle Kennzeichen deutlich markiert.

Vor allem letztere Tendenz ist ziemlich störend. Schergen des Systems sind daran erkennbar, dass sie dumm sind, dass sie hässlich sind, häufig genug schmutzig oder verschwitzt, oft dick. Sie tragen bei Filmen, die im Dritten Reich spielen, gerne einen Himmler-kompatiblen Undercut. In jeder Diktatur macht sich für sie ein Schnauzbart gut. Helden tragen nie einen Schnauzbart, bei den Bösewichten dagegen ist er extrem häufig. Vermutlich am herablassendsten aber ist, dass es immer die Bösen sind, die in lokalen Akzenten sprechen. Die Helden beherrschen demgegenüber stets perfektes Hochdeutsch. Sie sind schlank, hochgewachsen, sehen generisch gut aus. Sie sind intelligent, wenngleich oft nicht gebildet.

Der Grund dafür ist leicht zu durchschauen. Die Geschichten sollen für Lesende und Zuschauende Identifikationsfläche bieten. Hierzu muss die Heldenfigur eine möglichst breite Projektionsfläche aufweisen, in der sich eine große Mehrheit wiederfinden kann. Schließlich wollen wir uns einbilden, dass wir selbst auch aufrecht gewesen wären. Das ist zwar falsch – die Zahl der tatsächlich Widerstand leistenden im Dritten Reich etwa bewegt sich deutlich unter 1% – aber wird gerne geglaubt. Und Literatur und Film wollen Publikum.

Da ist es schlecht, wenn konkrete Handlungen im Vordergrund der Handlung stehen. Viel besser ist es, wenn Menschen passiv ihre Prinzipien – die möglichst schwammig sein sollten – verteidigen.

Wenn ich hier zynisch klinge, dann tut es mir Leid. Mir stößt diese Art der Widerstandsfolklore nur sauer auf, weil sie verdeckt, dass die allermeisten Menschen eben nicht passiv Widerstand leisteten oder auch nur in die innere Emigration gingen, sondern viel mehr wenigstens Mitläufer waren, wenn nicht gar überzeugte Anhänger und Profiteure des Systems. In all diesen Geschichten finden sich aber immer verblüffend wenige Figuren aus dieser Kategorie, vielmehr leiden alle unter der jeweiligen Diktatur. Da fragt man sich doch, wer denn dann eigentlich die Gewalt ausübte und wie die umfassende Kontrolle entstehen konnte. Sowohl Stasi als auch Gestapo mangelte es nicht an willigen Helfern.

Ich will die obigen generalisierenden Punkte im Folgenden anhand einiger Beispiele deutlich machen.

Typisch existenzieller Widerstand kennzeichnet den Roman „Der Trafikant“ von Robert Seethaler, der kürzlich mit Bruno Ganz in einer der Hauptrollen verfilmt wurde. Die Hauptfigur, Franz Tuchel, ist ein naiver Junge vom Land, der kurz vor dem „Anschluss“ nach Wien kommt, wo er zum Trafikanten ausgebildet wird. Dort begegnet er unter anderem Sigmund Freud und verliebt sich in eine böhmische illegale Arbeitsmigrantin. Nach der Machtübernahme der Nazis verhaftet die Gestapo seinen Ersatz-Vater Trsnjek und ermordet ihn, woraufhin Franz die Trafik übernimmt. Gegen Ende des Romans veröffentlicht er seine (unpolitischen) Gedanken am Schaufenster der Trafik und hisst die Hose Trsnjeks am Gestapo-Hauptquartier, als Zeichen stillen Protests. Die Gestapo holt ihn auch ab; das Ende des Romans impliziert seinen Tod, bestätigt dies aber nicht.

Auffällig ist im gesamten Roman die unpolitische Natur des Widerstands. Trsnjek selbst beruft sich stets auf „Anstand“, ein Konzept, das recht nebulös bleibt und vor allem vom Kontrast mit dem Nazi-Nachbarn (der Metzger ist, ungebildet, grob und hässlich, ebenso wie seine Frau) und den Nazi-Schlägern (aggressiv und gewalttätig, ignorant gegenüber Literatur und Kultur) lebt. Die Figur des „Roten Egon“, eines offensichtlichen Kommunisten, der als Widerstandsakt Selbstmord begeht, bleibt ebenfalls unpolitisch: Das Banner, das Egon entrollt, enthält einen allgemeinen Aufruf zur Tugend. Eine Verbindung mit den politischen Ideen des Kommunismus entsteht nie; außer seiner proletarischen Färbung ist da nichts, und die dient eher als Kolorit.

Der Widerstand Tuchels selbst hat ebenfalls keinerlei Strahlkraft nach außen, er vollzieht sich vielmehr in den Bahnen eines Bildungsromans. Franz findet zu sich selbst und seiner eigenen Identität, die er gegen äußere Einflüsse verteidigt. Am Ende geht er für Überzeugungen in den Tod, die letztlich genauso nebulös bleiben wie die Trsnjeks oder Egons. Diese Unbestimmtheit erlaubt es einer maximalen Zahl Lesender bzw. Zuschauender, sich mit Franz zu identifizieren – was anders wäre, wenn er bestimmte Ziele mit seinen Widerstandsakten verfolgen würde. Aber gleichzeitig ist dieser ungefähre, existenzielle Raum auch so deutlich vom politischen getrennt, dass daraus keinerlei realer Effekt entstehen kann. Diese Ich-Bezogenheit, die Konzentration auf die „Seele“, kennzeichnet die deutsche Geisteswelt seit dem 19. Jahrhundert und ist einer der Hauptgründe dafür, warum sich nur so wenig Widerstand gegen die NS-Herrschaft regte – bis zuletzt. Diese Muster sich in der Literatur der 2010er Jahre immer noch reproduzieren zu sehen ist daher nicht besonders ermutigend.

Ein ähnlicher Ansatz kennzeichnet den Überraschungshit „Das Leben der Anderen„. In dessen Handlung bekommt ein Stasi-Hauptmann bei der Beobachtung eines Dichters Gewissensbisse und beginnt, diesen durch gefälschte Berichte zu decken. Dies gelingt, aber die Stasi kommt dahinter und der Agent wird, mangels Beweisen, „nur“ degradiert.

Wie auch beim Trafikanten findet eine Auseinandersetzung mit dem oppressiven System nicht wirklich statt. Der Widerstand gegen die Staatsgewalt erfolgt aus dem Konflikt zweier Männer über eine Frau (die auch noch, allen Klischees gehorchend, am Ende den Ausweg in den Freitod sucht). Der Dichter wird als gläubiger Anhänger des Systems vorgestellt, ohne dass je klar werden würde, wodurch sich das auszeichnet – seine Haltungen sind dezidiert westlich. Eine Oppositionsrolle zum System nimmt er ein, weil er der Held der Geschichte ist – nicht, weil eine Auseinandersetzung mit der Natur des Regimes erfolgte.

Auch der Widerstandsakt des Stasi-Hauptmanns speist sich nicht aus einer solchen, sondern aus der persönlichen Beziehung zur Freundin des Dichters. Er lehnt den Umgang seiner Vorgesetzten mit den beiden ab, nicht die Existenz der Stasi per se. „Das Leben der Anderen“ verfällt dabei auch in das typische Muster, visuell Gut und Böse zu unterscheiden. Der Dichter ist ein attraktiver Mann, schlank und hochgewachsen, und spricht hochdeutsch. Gleiches gilt für den Stasi-Hauptmann; auch er spricht akzentfrei. Die Knallchargen der Stasi dagegen sächseln fröhlich; die beiden Bösewichter der Geschichte sind dick und betont widerlich; einer trägt sogar den Schnauzbart, mit dem noch zuverlässig jedes Ekel in dieser Zeitperiode abqualifiziert werden kann. Beide glauben auch nicht an den Sozialismus; sie sind inhärent böse und somit selbst von Stammwählern der LINKEn leicht zu verachten. Der Großteil des Stasi-Personals dagegen ist einfach nur dumm; wenig überraschend ist es auch mit den stärkeren Akzenten ausgestattet.

Existenziell ist auch hier die Grundnatur des Widerstands. Dem Dichter geht es um die Anerkennung seiner Person; er wird zum Dissidenten wider Willen, weil man ihn persönlich in seiner Freiheit beschneidet, nicht, weil er in einem generell unmenschlichen System leben würde. Gleiches gilt auch für den Stasi-Hauptmann, dem gleichwohl der einzige echte Widerstandsakt des Films gehört: Als das Kind seiner Nachbarn ihn naiv fragt, ob er wirklich bei der Stasi ist, wie sein Vater sagt, widersteht er der Versuchung, selbigen Vater anzuzeigen – einziges Zeichen eines kleinen Gesinnungswandels.

Problematisch aber ist ein Grundton, der alle hier besprochenen Geschichten durchzieht. Systemkonform verhält sich nur eine eklige, bereits visuell distinktive Minderheit. Die breite Mehrheit befindet sich in einer Art innerer Emigration, leistet Widerstand indem sie Witze über das System reißt, abfällige Kommentare macht oder anderweitig eine saubere Weste besitzt (wie unser Dichter, der einfach nur naiv ist). Das ist, vorsichtig ausgedrückt, an den historischen Realitäten vorbei. Viel mehr gilt, dass Menschen sich, wenn sie das System nicht stützten (was deutlich mehr Menschen taten als diese Geschichten und die kollektive Erinnerung wahrhaben wollen!), eher in unpolitische Bereiche zurückzogen und dies als Widerstand betrachteten – auch, wenn es keiner war.

Solch harmlose „Widerstandsakte“ kennzeichnen auch die Handlung von „Unsere Mütter, unsere Väter“ (meine positive Besprechung dieser Schmonzette würde ich heute so sicher nicht mehr schreiben). Gleich zu Beginn des ersten Teils lernen wir die Protagonisten bei einem Widerstandsakt kennen: 1942 tanzen sie Swing, ehe sie von der Gesinnungspolizei auseinandergetrieben werden. Selbstverständlich ist einer ihrer Freunde Jude, so dass auch hier performativ „Widerstand“ geleistet werden kann – obgleich sie in diesem fortgeschrittenen Status der Judenverfolgung keine echten Hilfsakte vollziehen.

Die Idee, dass das Hören von Jazz- oder Swingmusik (in der Ikonographie dieses „Widerstands“ gerne verbunden mit dem erfundenen „Swing tanzen verboten“-Schild) in irgendeiner Weise als Widerstandsakt gewertet werden kann, wird von Christina Dongowski zurecht zurückgewiesen:

Tatsächlich existiert darin eine Ähnlichkeit zu der entpolitisierten Datsche-Welt der DDR. Auch hier erlaubte das Regime eine dezidiert dem System gegenüber neutrale, „unpolitische“ und offiziell nicht gern gesehene Tätigkeiten, weil diese systemstabilisierend wirkten. Solche „Widerstandsakte“ schadeten dem System nicht, aber die Leute konnten sich so fühlen, als entzögen sie sich der Mitarbeit – obwohl sie in allen anderen Belangen brav mitmachten. Das DDR-Äquivalent ist hier das Mitmarschieren in der FDJ-Parade am Morgen und dann das Abhängen in der väterlichen Datsche am Nachmittag, wo man dann heimlich ein bisschen Rockmusik hörte.

„Unsere Mütter, unsere Väter“ besitzt dazu die Frechheit, die wahre Bosheit auf die Polen und Russen abzuladen. Wo unsere Hauptcharaktere von Gewissensbissen gequält sind, wenn sie Kriegsverbrechen begehen müssen, und über deren Natur philosophieren (und sich zu Beginn zudem offen gegen sie aussprechen), zeigt der Film an nicht weniger als drei expliziten Stellen einen tödlichen Antisemitismus der Polen und Weißrussen, der sich in der Ermordung von Juden (im weißrussischen Fall sogar in Kollaboration mit den Deutschen) auszeichnet. Es ist an den Landsern, bei ihren Vorgesetzten gegen die Judenmorde der Weißrussen zu protestieren, die – leider, leider, Führerorder – nichts dagegen unternehmen können. Diese Art von Geschichtsklitterung ist katastrophal, entwertet den echten Widerstand und stellt die verwegene Behauptung auf, die Mehrheit der Deutschen sei irgendwie widerständlerisch eingestellt gewesen.

So ist es auch sicherlich kein Zufall, dass von den fünf Hauptcharakteren der Geschichte immerhin zwei zu aktiven Widerständlern werden, die aber ebenfalls einzig und allein existenzielle Siege zu erringen versuchen. Eine weigert sich, weiterhin aktiv mitzuarbeiten und wird dafür am Ende hingerichtet; einer desertiert aus der Wehrmacht. Der dritte, der Jude, wird zum Widerständler wider Willen, der aber zwangsläufig nur am eigenen Überleben interessiert sein kann. Opponenten sind überzeugte Nazis: Hässlich und dumm, und im Fall des Kommandanten des Strafbataillons auch noch ungewaschen und dauerbetrunken. Die einzig bösen Zivilisten, denen wir im ganzen Film über den Weg laufen, sind gleichzeitig die einzigen mit deutlichem Berliner Akzent – obwohl alle unsere Hauptfiguren aus Berlin sind!

Auch in „Der Untergang“ finden wir das Schema, dass alle Nazis hässlich und dumm sind, während die Mehrheit innerlich im Widerstand ist. Die Hauptperson Traudl Junge wird als so naiv und herzig dargestellt, dass sie auch nach drei Jahren als „Sekretärin des Führers“ noch überrascht davon sein kann, dass die Nazis die Bösen sind. Eine zweite, erfundene, Hauptperson ist Arzt, schlank und trainiert, die sich für die Rettung möglichst vieler Verwundeter und Verletzter einsetzt, ein Ziel, dass böse SS-Schergen konterkarieren – deren Anführer, natürlich, dick und abstoßend ist.

Auch der Lynch-Trupp, der Berlin auf der Suche nach Volkssturm-Deserteuren durchzieht, wird von einem dicken, abstoßenden Mann mit Schnauzer angeführt, der dazu einen Jagdhut trägt, um sein Hinterwäldlertum zu betonen. Nur dumme Menschen können schließlich Nazis sein. Demgegenüber steht der Vater des überzeugten Hitlerjungen, der nicht nur schlank ist und ständig Reden gegen die Nazis schwingt, sondern im Ersten Weltkrieg auch sein Bein verloren hat und deswegen eine weise Anti-Kriegs-Haltung hat, die den Vorteil besitzt, keinerlei politische Unterfütterung zu brauchen, sondern nur auf persönlicher Erfahrung zu beruhen – ein Topos, das auch Trsnjek im „Trafikant“ teilt, der ebenfalls im Ersten Weltkrieg ein Bein verloren hat, was als einschneidende Erfahrung gilt.

Im Führerbunker zeigt sich das gleiche Bild. Überzeugte Nazis sind dumm, haben Schnauzbärte, sind häufig dick und schwitzen schrecklich, während die aufrechten Personen (darunter absurderweise auch Albert Speer) hochgewachsen und schlank sind und ihre Transpiration sich doch in deutlichen Grenzen hält.

Klassischen Topoi dieser Art begegnen wir auch in „Napola„. In diesem Film möchte ein begeisterter Junge auf die Napola gehen, eine der neuen Eliteschulen des Nationalsozialismus. Dort werden die Jungen gesinnungspolitisch und körperlich erzogen. Sein Vater ist streng dagegen, er hasst die Nazis (er spricht akzentfrei, ist schlank und generisch gut aussehend ohne Schnauzbart) und versucht mit allen Mitteln, seinen Jungen – einen überzeugten Nationalsozialisten! – davon abzuhalten.

Im Verlauf der Geschichte wird der Junge stark ernüchtert; erst von den brutalen Ausbildungsmethoden durch den Lehrer (zwar durchtrainiert, aber immerhin mit abstoßender Frisur und Schnauzbart), der in Wirklichkeit ein Feigling ist und dessen Regiment ein Mitschüler tödlich zum Opfer fällt, später vom Selbstmord eines Kameraden, der unter dem Druck zerbricht, zuletzt von einer Jagd auf entflohene sowjetische Kriegsgefangene, an der teilzunehmen sie gezwungen sind. Am Ende bricht der Junge die Schule ab und kehrt zu seinem Vater zurück; die Konsequenzen dieser Entscheidung für beide Seiten werden durch den Abspann ausgespart.

Auch in Napola zeigt sich, dass es bald keine überzeugten Nazis mehr gibt. Es genügt ein erster Kontakt mit der Realität, um die Augen zu öffnen, die vorher durch die Propaganda verschlossen waren; die Elite selbst glaubt ihren eigenen Kram nicht und kümmert sich nur um sich selbst. Diese Sichtweise unterschlägt allerdings, wie viele Leute tatsächlich begeistert waren – und dass es eben nicht die tumben Schlägertypen waren, sondern im Gegenteil auch hoch intelligente und gut ausgebildete Menschen, die mitmachten.

Das Genre des existenziellen Widerstands wird deutlich besser bedient, wenn wir von „Sophie Scholl“ sprechen. Hier ist immerhin deutlich, dass Widerstandsakte Einzelakte sind, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Diktatur mit trug und was der Preis echten Widerstands war. Gleichwohl halte ich es nicht für Zufall, dass die größte deutsche Filmproduktion, die sich explizit mit Widerstand im Dritten Reich beschäftigt, ausgerechnet Sophie Scholl zum Thema nimmt. Auch sie leistete Widerstand aus ethischen, existenziellen Motiven, hinter denen sich praktisch jeder finden kann, die aber keinerlei praktische Auswirkung haben.

Eine beliebte Stilblüte, die sich die Handlung von „Sophie Scholl“ entgegen der historischen Realität leistet und die sich auch im „Leben der Anderen“ oder „Trafikant“ findet ist der zwar dem Regime loyal dienende, aber innerlich auf Abstand haltende Polizist. Sowohl der Verhörende Scholls als auch der Gestapo-Agent, der Franz Tuchel abholt, sind empfindsame Naturen, die mit ihren Gegenübern leiden und starke Sympathie empfinden. Was sie trennt ist einzig der Dienstherr, der kalte Ruf der Pflicht. Im „Leben der Anderen“ wird diese Nebenfigur gar zum Protagonisten erhoben. Diese Kunstfigur ist ein eleganter, bequemer Kompromiss, der die offensichtliche Systemkonformität der überwältigenden Mehrheit mit dem brennenden Wunsch vereint, anständig zu bleiben. Sie sind eine infantile Wunscherfüllung des Publikums. Da es vermessen wäre, sich selbst als Widerständler zu imaginieren, bieten diese Geschichten einen Mittelweg. Er ist so bestechend und verführerisch attraktiv, dass er funktionieren muss. Gerade das macht ihn so perfide.

Der andere große deutsche Widerstandsakt dagegen, das Attentat vom 20. Juli, wurde in „Operation Walküre“ verewigt. Es ist nachvollziehbar, dass deutsche Filmemacher vor dem Stoff zurückscheuen. Nicht nur wäre ein erfolgreicher Ausgang des Attentats nicht eben eindeutig positiv gewesen; die Attentäter eignen sich auch kaum als Aushängeschilder von Demokratie und Rechtsstaat. Sie sind aber diejenigen, die am deutlichsten mit ihrem Widerstand etwas verändern wollten.

Die Auseinandersetzung mit ihnen ist daher schwierig. Regisseur Bryan Singer optierte für die simple Methode, die Attentäter als Superhelden in Szene zu setzen (die Ästhetik seiner X-Men und Superman-Filme durchzieht bereits deutlich sichtbar den Trailer). Der Unterschied zum nach innen gerichteten, existenziellen Widerstand der deutschen Literatur ist aber deutlich sichtbar. Singers Widerstand ist ein Widerstand der Tat, wenngleich die Hintergründe sehr rein gewaschen werden.

Generell sind die Widerstandsepen von Deutschlands Kriegsgegnern wesentlich aktiver orientiert. Das nimmt natürlich nicht wunders, schließlich standen sie auch auf der Gewinnerseite. Es ist aber augenscheinlich, dass selbst Figuren, die sich dafür nur sehr bedingt eignen, grundsätzlich als Helden und Kämpfer für Demokratie und Rechtsstaat interpretiert werden, etwas, das in den oben beschriebenen deutschen Werken praktisch nicht vorkommt. Hier zählt allein die Konzentration auf den existenziellen Sieg, in dem der Akt des Widerstands einem ethischen Sieg gleichkommt, einer Reinhaltung der eigenen Seele – auch unter Aufgabe der eigenen Identität. Das allerdings ist, notwendigerweise, nicht nur stets ein individueller Akt (ganz anders als Operation Walküre, die kollektives Handeln erforderte). Es handelt sich auch um einen Akt, der selbst im Erfolgsfall nicht dazu dienen kann, Nachahmer zu finden.

Franz Tuchels Widerstand im „Trafikant“ besteht aus der Schilderung seiner Träume, Wünsche und Hoffnungen. Diese aber sind seine, und seine allein. Die Freundschaftsgruppe aus „Unsere Mütter, unsere Väter“ bleibt unter sich und, davon abgesehen, stellt sie in dieser Fiktion ohnehin die deutliche Bevölkerungsmehrheit. Vom Widerstandsakt des Stasi-Hauptmanns im „Leben der Anderen“ erfährt niemand außer ihm und seinem Vorgesetzten, vom Kampf des Dichters niemand außer zweien seiner Freunde. Friedrich redet mit niemandem über seine Erfahrungen in der „Napola“ und stiehlt sich nach Hause. „Sophie Scholl“ ist von einer sehr spezifischen Religiosität getrieben (die im Film praktisch keine Rolle spielt), die sich ebenfalls kaum zur Nachahmung anempfiehlt.

Ich möchte zum Ende eine Widerstandsgeschichte empfehlen, die zwar nicht in einer realen Diktatur spielt und auch nicht von einer deutschen Schriftstellerin stammt, aber die Thematik des Widerstands wesentlich vielschichtiger und anspruchsvoller packt – obwohl es eigentlich ein Jugendbuch ist.

Die Rede ist von der „Tribute von Panem“-Trilogie der amerikanischen Autorin Suzanne Collins. In einer fernen, postapokalyptischen Zukunft zwingt eine diktatorische Zentralregierung die unterworfenen „Distrikte“, jährlich zwei Kinder (die titelgebenden Tribute) für eine Art Gladiatorenspiele abzustellen, die nur von einem Kind überlebt werden. Dieses Unterwerfungsritual soll die Beherrschten an ihrem Platz halten. Im ersten Teil der Geschichte (Film) erringt die Protagonistin, Katniss, einen existenziellen Sieg: Nicht nur schafft sie es, die Spiele zu überleben; es gelingt ihr auch, die Diktatur (eher unbeabsichtigt) zu destabilisieren, indem sie die Regeln beugt und ihrem Mit-Tribut Peeta ebenfalls das Überleben ermöglicht.

Diesen Regelbruch will die Diktatur im zweiten Teil (Film) bestrafen, um ihre Herrschaft wieder öffentlich zu legitimieren. Katniss hat keinerlei Interesse daran, wird aber in den aktiven Widerstand hineingezogen. Ihre Handlungen, weltweit im Fernsehen übertragen, haben sie zu einer Symbolfigur des Widerstands gemacht.

Im dritten Teil (Film und Film) wird Katniss aktives Mitglied des Widerstands und dient in der Propagandaeinheit. Sie wird der Inszenierung aber irgendwann überdrüssig und entschließt sich, auszubrechen und ihren Freund zu befreien. Diese Handlung ist ultimativ fruchtlos, aber der Widerstand siegt in der Zwischenzeit. Katniss soll rituell den alten Diktator ermorden, aber sie entschließt sich stattdessen, die Anführerin des Widerstands zu töten, um so deren dräuende eigene Diktatur zu verhindern. Die Geschichte endet mir ihr, tief traumatisiert, einer unsicheren Zukunft entgegenblickend.

Die Geschichte ist für Widerstandshandlungen deswegen so relevant, weil sie einerseits eine Figur enthält, die existenzielle Motive teilt, die aber auf andere Personen tatsächlich Ausstrahlungskraft haben. Statt dies nur in die Beziehung des Lesenden beziehungsweise Zuschauenden zur Handlung zu schieben, und damit quasi auf die Metaebene, thematisiert die Reihe bewusst die Folgen. Katniss will die Verantwortung nicht, ein Symbol des Widerstands zu sein, versteht die Politik dahinter nicht und möchte auch nicht daran beteiligt sein. Aber der Kampf traumatisiert sie auf mehren Ebenen zutiefst, und sie kann sich den Konsequenzen ihrer eigenen Handlungen nicht entziehen – die stets ambivalent bleiben.

Dadurch ist diese Geschichte deutlich grauer und bietet ein wesentlich realistischeres, aber auch lehrreicheres Bild, als es die mit hohem Aufwand und großem pädagogischen Anspruch produzierten weiter oben besprochenen Werke tun. Dasselbe trifft übrigens, wenn die Abschweifung gestattet ist, auch für Werke über die Sklaverei in den USA zu: eine Fantasie-Geschichte wie Tarantinos „Django Unchained“ trifft den Kern der Thematik wesentlich genauer als das von den Oscars so gelobte „Twelve Years A Slave„.

Das ist kein Zufall. Ich habe schon einmal darüber geschrieben, dass fiktive Handlungen häufig wesentlich besser in der Lage sind, den Kern der Lage zu erfassen, als sklavische Versuche, „realistisch“ oder „authentisch“ zu wirken. Es hat auch den zusätzlichen Vorteil, dass man sich wesentlich weniger Sorgen machen muss, das Publikum vor den Kopf zu stoßen. Anachronistische Elemente machen die Identifikation leicht, ohne dass es nötig wäre, Geschichtsklitterung zu betreiben. Diese Erkenntnis sei AutorInnen für die Zukunft anempfohlen.

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  • Joshtree 27. August 2020, 10:42

    Alles richtig, sehr interessant, beide Listen ließen sich verlängern (leider bzw. zum Glück).
    Wahrscheinlich ist es aber genau diese bequeme Positionierung (die niemanden zwingt, sich selber in Frage zu stellen), die die Filme/Bücher erfolgversprechend macht. Es ist nicht so einfach Beispiele zu finden, die einerseits Wirkung (= Publikum) haben und andererseits unbequem sind.

    Zumal die Wirkung auch sehr vom Rezipienten abhängt.
    Mich haben die Bücher von Ruge („In Zeiten abnehmenden Lichts“ und „Metropol“) aus einer ganz privaten Verbindung heraus erschüttert. Ich verstehe jeden, der sagt, dass ihm Thema und Inhalt komplett gleichgültig sind.

    PS: es gibt kaum eine drastischere Darstellung vom Preis des Heldentums als „Rogue One“. Und nichts ist ja wohl wichhtiger als das SW-Universum, oder? 😉

  • R.A. 27. August 2020, 11:37

    Sehr interessantes Thema, vielen Dank für diese Ausarbeitung.

    „In den Geschichten gibt es generell wenig genuine Unterstützer des Systems.“
    Klar, da würden ja die meisten Leute ihre Eltern/Großeltern erkennen. Oder gar auf die Idee kommen, daß sie selber auch genuine Unterstützer gewesen wären.

    „Helden tragen nie einen Schnauzbart …“
    Aber ich bitte Dich!
    https://en.wikipedia.org/wiki/Clark_Gable

    Natürlich hast Du recht. Die klischeehafte Darstellung ist lächerlich und schädlich. Wenn in früheren Hollywood-Western die Bösen schwarze und die guten weiße Hüte trugen, dann war das wegen der Trivialität eines Unterhaltungsfilms nicht relevant. Aber da so primitive Schemata auch bei „ernsthaften“ Filmen zur Zeithistorie regelmäßig vorkommen, dann ist das ein Problem.

    „Vermutlich am herablassendsten aber ist, dass es immer die Bösen sind, die in lokalen Akzenten sprechen.“
    Was interessant ist, weil Dialekte ja inzwischen en vogue sind und eher für Sympathieträger eingesetzt werden. Hier aber der Rückfall ins 50-er-Jahre-Bild vom primitiven ungebildeten Dialektsprecher.

    „die Zahl der tatsächlich Widerstand leistenden im Dritten Reich etwa bewegt sich deutlich unter 1% “
    Ja, wobei „tatsächlich“ natürlich Definitionssache ist. Man sollte die Wirkung auch von niederschwelligen Widerstandsakten nicht unterschätzen – nicht umsonst haben die Regimes auch auf solche ein Auge gehabt.

    „Mir stößt diese Art der Widerstandsfolklore nur sauer auf, weil sie verdeckt, dass die allermeisten Menschen eben nicht passiv Widerstand leisteten oder auch nur in die innere Emigration gingen, sondern viel mehr wenigstens Mitläufer waren, wenn nicht gar überzeugte Anhänger und Profiteure des Systems.“
    Absolute Zustimmung.

    Wobei ohnehin die Frage ist, welches didaktische Ziel ein Widerstands-Film eigentlich erreichen kann. Nur die wenigsten Menschen kann man dadurch dazu bringen, im Extremfall ihr Leben zu riskieren.
    Eigentlich wäre es doch sinnvoller Vorbilder zu zeigen, die nicht am Ende die Bombe werfen, sondern schon früher Widerworte geben. Die nicht unbedingt ihr Leben riskieren, aber doch einige Nachteile in Kauf nehmen.

    „Auffällig ist im gesamten Roman die unpolitische Natur des Widerstands. Trsnjek selbst beruft sich stets auf „Anstand“, ein Konzept, das recht nebulös bleibt …“
    Das ist aber m. E. das wirksamste Konzept, um breite Bevölkerungsschichten zum Widerstand zu motivieren. Politische Motive treiben nur wenige Aktivisten an, die waren meist schon vorher aktiv (und sitzen dann nach Errichtung einer Diktatur schnell im Gefängnis). Kritisch für eine Diktatur wird es, wenn viele Leute zum Schluß kommen, die Regierung würde sich nicht anständig verhalten.

    Zwei Beispiele:
    Ein wesentlicher Faktor für die Proteste in der DDR 1989 war die Empörung über die Fälschungen bei den Kommunalwahlen. Also eigentlich eine im Vergleich zu den übrigen Untaten des Regimes völlig nebensächliche Sache. Aber da wurde eben so flagrant gegen das Konzept „Anstand“ verstoßen, daß auch unpolitische Menschen in Massen auf die Straße gingen.

    Eine wesentliche Krise bei Mussolinis Weg in die Diktatur war die Matteoti-Krise nach der Ermordung eines prominenten Oppositionspolitikers. Das führte zu allgemeiner Empörung, und eben nicht nur bei politischen Gegnern, sondern in der allgemeinen Bevölkerung und sogar bei den Faschisten selber. Symbol dafür die vielen Parteiabzeichen, die faschistische Parteimitglieder in den Trevi-Brunnen warfen.
    Mussolini hat diese Krise knapp überstanden, aber dieser wegen „Anstand“ motivierte Widerstand hätte die Diktatur fast verhindert.

    „Ein ähnlicher Ansatz kennzeichnet den Überraschungshit „Das Leben der Anderen„.“
    Der ja bei DDR-Oppositionellen stark unter Kritik steht, weil er die StaSi letztlich verharmlost – es ist kein einziger Fall bekannt, wo jemals ein StaSi-Mitglied wie der dargestellte Held Gewissen zeigt oder gar zugunsten von Überwachten agierte.

    „Es ist an den Landsern, bei ihren Vorgesetzten gegen die Judenmorde der Weißrussen zu protestieren …“
    Das ist natürlich untypisch und daher für so einen Film unangemessen.
    Aber solche Fälle gab es durchaus, auch in ähnlicher Form gegenüber der Repression in Deutschland. Demonstriert m. E., wie sehr ein solches Regime auch auf Naivität und Selbsttäuschung der Leute bauen kann.
    Insofern ist der Vorwurf „das hättet ihr wissen können“ meist problematisch. Die wenigsten Leute schließen aus ihnen bekannt gewordenen Problemen gleich auf das ganze System. Sondern da kommt eher das (systemstabilisierende) „wenn das der Führer wüßte“.

    „die Elite selbst glaubt ihren eigenen Kram nicht und kümmert sich nur um sich selbst.“
    Das ist wahrscheinlich auch bei diversen Diktatur-Systemen so. Denn gerade die Elite hat ja mehr Einblick in die eigentlichen Vorgänge und reagiert zynisch auf die platten Sprüche, mit denen das Volk belogen wird.

    „Diese Sichtweise unterschlägt allerdings, wie viele Leute tatsächlich begeistert waren – und dass es eben nicht die tumben Schlägertypen waren, sondern im Gegenteil auch hoch intelligente und gut ausgebildete Menschen, die mitmachten.“
    Absolut. Aber die wenigsten davon sind Teil der Regierungselite.

    „Katniss soll rituell den alten Diktator ermorden, aber sie entschließt sich stattdessen, die Anführerin des Widerstands zu töten, um so deren dräuende eigene Diktatur zu verhindern.“
    Eine deutliche Parallele dazu das (Film-)Ende von „Game of Thrones“. Da kämpft eine Widerstandskoalition gegen die bösen Herrscher, siegt am Ende wie es sich gehört – und dann tötet der Held die siegreiche Anführerin des Widerstands, weil sich die zur neuen bösen Herrscherin wandelt.

    Da gibt es wohl einen grundsätzlichen Mentalitätsunterschied zwischen Deutschen und Angelsachsen.
    Bei den Deutschen gibt es halt dieses Grundvertrauen in den Staat und seine Regierung. Es kommt nur darauf an, gute Leute in die Regierung zu bringen, dann wird sich alles zum Besten wenden.
    Die Angelsachsen sind dagegen viel staats-skeptischer. Für sie ist Machtausübung per se problematisch und korrumpiert, und ein guter Herrscher ist nur möglich, wenn seine Herrschaft möglichst stark eingeschränkt wird.

    „Ich habe schon einmal darüber geschrieben, dass fiktive Handlungen häufig wesentlich besser in der Lage sind, den Kern der Lage zu erfassen, als sklavische Versuche, „realistisch“ oder „authentisch“ zu wirken.“
    Sehe ich auch so.

    • Stefan Sasse 27. August 2020, 15:00

      Großeltern: Exakt.

      Schnauzer: Ich rede von Filmen, die noch lebende Leute drin haben 😀

      1%: Das ist schon mit drin!

      Gewünschtes Bild: Sehr guter Punkt. Mir wäre vor allem wichtig Leute zu zeigen, die den Anfängen wehrten. So was etwa: https://www.imdb.com/title/tt1949551/

      Anstand: Guter Punkt.

      Leben der anderen: Genau! Und zurecht.

      Landser Proteste: Denk mal an „Stalingrad“, der benutzt dieselbe Scheiße, um Sympathie für die Hauptfigur zu wecken.

      Hätte man wissen können: Das sind halt Ausreden. Wirkungsvolle, sicherlich, aber sie entschuldigen nicht die eigenen Passivität.

      Elite: Korrekt.

      GoT: Jepp, passt.

      Grundvertrauen: Würde ich auch kulturell bedingt sehen, ja.

      • R.A. 27. August 2020, 19:09

        „1%: Das ist schon mit drin!“
        Da würde ich weit mehr schätzen – weil ich „niedrigschwelliger Widerstand“ vielleicht weiter fasse.

        Beispiel: Im Dorf meiner Großeltern sind der Arzt, der Apotheker, der Brauereibesitzer und zwei große Bauern (das waren schon 2-3%) als Delegation im Parteihauptquartier aufgeschlagen und haben sehr vehement verlangt, daß der wegen aufmüpfiger Predigten ins KZ Dachau verbrachte Pfarrer wieder freigelassen wird. War erfolgreich, danach waren sie wieder brave Untertanen.
        Das war also bestimmt nicht der harte Kern des Widerstands. Aber je mehr Leute sich so etwas trauen, desto zurückhaltender muß die Diktatur agieren.

        Wenn ich also einen Film machen würde mit der pädagogischen Absicht, Leute zu mutigerem Auftreten in bzw. gegen eine Diktatur aufzufordern – dann würde ich so einen Vorfall verfilmen und nicht unbedingt einen Fall wie Elser, der zwar ein echter Held war, aber nicht wirklich als realistisches Vorbild geeignet ist.

        • Stefan Sasse 27. August 2020, 19:17

          Das ist aber kein Widerstand, die hatten ein spezifisches Anliegen. Auf so was hört sogar eine Diktatur. Und das ist dann eher systemstabilisierend als systemzersetzend, weil es die scheinbare Fairness und die Legitimität unterstreicht. Echter Widerstand dieser Art, wie etwa von Bischof von Galen, ist die absolute Ausnahme gewesen.

          • R.A. 28. August 2020, 12:46

            „Das ist aber kein Widerstand, die hatten ein spezifisches Anliegen. “
            Deswegen sage ich, daß ich „Widerstand“ weiter fasse. Natürlich hatten die ein spezielles Anliegen und waren nicht generell gegen das Regime. Aber der Punkt ist halt ob sie sich trauen dieses Anliegen vorzubringen. Denn das spezielle Anliegen war ja nicht persönlich, z. B. eine bessere Lebensmittelversorgung, sondern es ging um Unterstützung eines KZ-Häftlings, der sehr wohl gegen das Regime Widerstand geleistet hat.
            Eine ähnliche Delegation hätte sich unter Stalin niemand getraut.

            Und nur wenn es genug Bereitschaft gibt, solchen „niedrigschwelligen“ Widerstand zu leisten, und einfach mal zu widersprechen, wenn man etwas „nicht anständig“ findet – nur dann kann der eigentliche Widerstand überhaupt erfolgreich sein.

            Auch das DDR-Regime ist nicht über kleine Oppositionsgruppen gestürzt, die sich über Jahre getroffen haben und politischen Widerstand leisten wollten.
            Sondern über die vielen Bürger die plötzlich widersprochen haben, weil sie es nicht anständig fanden, daß sie bei ohnehin unwichtigen Wahlergebnissen auch noch belogen werden.

            • Stefan Sasse 28. August 2020, 14:45

              Wäre mit dem Stalin-Vergleich vorsichtig. Auch dessen Herrschaft war nicht absolut, vor allem nicht durchgängig. Ich denke, nach 30 Jahren Naziherrschaft hätte sich das hier auch keiner mehr getraut, da muss man schon vernünftige Vergleiche machen.

              Ich will auch gar nicht sagen, dass das nicht gut wäre, wenn Leute das tun. Ich will nur darauf raus, dass diese Akte die grundsätzliche Legitimität der KZs nicht angegriffen haben. Es war ja mehr ein „ihr habt den Falschen“, nicht „was ihr macht ist falsch“.

    • Ariane 27. August 2020, 23:32

      Weitestgehend Zustimmung.

      Bei den Deutschen gibt es halt dieses Grundvertrauen in den Staat und seine Regierung. Es kommt nur darauf an, gute Leute in die Regierung zu bringen, dann wird sich alles zum Besten wenden.
      Die Angelsachsen sind dagegen viel staats-skeptischer.

      Jein, meine Vermutung geht ein bisschen in eine andere Richtung. Ich denke, die Angelsachsen sind auf der einen Seite individualistischer und haben auf der anderen Seite oft eine Vorliebe für die Underdog-Helden, oft nonkonformistische, die es mit den Regeln nicht so genau nehmen.
      Siehe Robin Hood oder sein realerer Vorläufer (Henry the Ward oder so, war unter William dem Eroberer), Boudica, Francis Drake, Al Capone^^

      Logischerweise ließe sich über den Widerstandsaspekt streiten, aber im Deutschen sind Heldensagen oft anders aufgebaut, der Held ist edel und gut und bestimmt kein Underdog, der auch noch zu unfairen Mitteln greift. Mehr Hector als Odysseus. Wir haben ja auch keine Revolutionshelden, höchstens Autoritäten, die gegen Fremde gekämpft haben. Wüsste zumindest niemanden.

    • Ariane 27. August 2020, 23:47

      Also eigentlich eine im Vergleich zu den übrigen Untaten des Regimes völlig nebensächliche Sache. Aber da wurde eben so flagrant gegen das Konzept „Anstand“ verstoßen, daß auch unpolitische Menschen in Massen auf die Straße gingen.

      Ah, da fällt mir noch ein Beispiel aus der NS-Zeit ein, das ich mal irgendwo gelesen hab. Weiß nicht, ob nur im Süden oder ganz Deutschland, aber die Nazis kamen wohl mal auf die Idee, die Kreuze aus den Klassenzimmern zu nehmen und stattdessen ein Bild von Hitler aufzuhängen.

      Das hat auch ne Art Volksaufstand ausgelöst, so sehr dass die Nazis auch nachgegeben haben und die Kreuze wieder aufgehängt haben (und die Bevölkerung wieder zufrieden war).

      Und wurde T4 nicht auch irgendwann eingestellt (oder zumindest versteckter durchgeführt) weil es zuviel Unzufriedenheit hervorrief, obwohl da eben nicht schnell nachgegeben wurde, sondern meine ich doch recht lange dran gearbeitet wurde, den Widerstand einzufangen? Wurde glaub ich auch erst eingestellt, nachdem man alle Rädelsführer verhaftet hatte.

  • Dobkeratops 27. August 2020, 11:52

    Es gab auch mal einen Film über Georg Elser mit Klaus Maria Brandauer. Ich habe leider null Erinnerung an den Inhalt und schließe daraus, dass der Film nicht allzu beeindruckend gewesen sein kann, aber immerhin habe ich mir Elsers Namen gemerkt, der mir vorher vollständig unbekannt gewesen war.

    • Stefan Sasse 27. August 2020, 15:01

      Ich weiß dass er existiert hab ihn aber nie gesehen.

    • cimourdain 27. August 2020, 18:08

      Richtig, der hieß „Georg Elser – Einer aus Deutschland“, wenn ich mich nicht täusche. Den habe ich ähnlich wahrgenommen: Nicht schlecht, aber nichts, was im Gedächtnis haften bleibt. Aber wenn wir bei Brandauer und dem Spannungsfeld Widerstand/Kollaboration sind: „Mephisto“ ist einen Filmabend wert.

  • Stefan Pietsch 27. August 2020, 11:56

    Wer mir in der Aufzählung absolut fehlt ist Steven Spielbergs „Schindlers Liste“. Das Werk verklärt nicht, zeigt aber einen wahren Helden.

    • Stefan Sasse 27. August 2020, 15:01

      Da hast du Recht.

    • cimourdain 27. August 2020, 18:09

      Das ist tatsächlich ein in dem Zusammenhang bemerkenswertes Beispiel, stützt aber auf paradoxe Art Stefan Sasses These, dass die fiktionale Darstellung die eigentlich bessere ist. Spielberg versucht zumindest in Bezug auf die Hauptpersonen (Schindler, Stern und Göth) gar nicht, diese ‚realistisch‘ reden und agieren zu lassen, sondern gibt ihnen größtenteils Texte, die aus einem Theaterstück stammen können. Nimm allein das Pathos beim Schlussmonolog.

      • Stefan Sasse 27. August 2020, 19:12

        Ja. Die Konzentration sollte immer auf der Geschichte liegen, nicht auf Authenzität.

      • CitizenK 27. August 2020, 19:27

        Spannung zu erzeugen durch Stilmittel und Dramaturgie (das Mädchen im roten Kleid) ist aber doch noch etwas anderes als reine Fiktion.

      • Stefan Pietsch 27. August 2020, 19:36

        Sehe ich nicht so und weiß auch nicht, wie Sie darauf kommen. Die Aussagen von Zeitzeugen geben dem Film Authentizität. Natürlich komprimiert jeder Film, aber dann ist das Medium zu kritisieren, nicht die Filmkonzeption. Und die Dialoge zwischen Göth und Schindler wurden tatsächlich nicht protokolliert noch per Band aufgenommen. Die Dialoge eines Films sollen auch nur transportieren, was der Zuschauer nicht sehen kann.

        Typisch ist hier die Szene mit dem rot einfärbten Mädchen, die im Film die Veränderung Schindlers vom Lebemann zum Judenretter erklärt. Natürlich ist so etwas immer ein Prozess, aber dann muss man sich halt 10 Stunden ins Kino setzen, um so etwas „authentisch“ zu verstehen.

      • Ariane 27. August 2020, 23:36

        Ja, sehe ich auch so. Es ist nicht fiktiv, aber die Dramaturgie hat sich ganz klar der Authentizität unterzuordnen. (was allerdings mehr damit zu tun haben könnte, dass Deutsche das auch einfach brutal schlecht können^^)

  • Kning4711 27. August 2020, 13:21

    Ich würde noch den Film anführen wollen:
    „Ein blinder Held – Die Liebe des Otto Weidt“ – hierbei handelt es sich auch um einen Widerständler, der aus sehr eigennützigen Motiven zum Widerständler wird. In meiner Erinnerung finden sich auch einige der Tropes wieder, die Stefan Sasse bereits beschrieben hat, wenn auch in sehr dosierter Form.

    Ich denke die von Stefan Sasse geforderte Darstellung des Widerstands ist tatsächlich sehr schwierig, da es sicherlich an Identifikationsfiguren mangeln würde, wenn man sich bemüht eine „realistische“ Vorlage zu finden. Dann doch lieber der Ausflug in fiktive Handlungen – ist das nicht eigentlich der Sinn des ganzen Science Fiction Genres?

  • Kirkd 27. August 2020, 13:35

    Die sprichst an, was mich an allen deutschen Filmen zur NS Zeitstört: Nazis sind immer wenige, dezidiert böse Personen. Der Normaltypus des wohlwollend mitmachenden Deutschen fehlt völlig, die weite Verbreitung von nationalem Revanchedenken, Hitler Enthusiasmus und Antisemitismus (letzeres bekommt Seethaler ganz gut hin) wird nicht dargestellt.

  • Ralf 27. August 2020, 13:53

    Bei vielem ist Dir nicht zu widersprechen. Auch ich mag realistische Charaktere mit plausiblen positiven und negativen Seiten, mit plausiblen Stärken und Schwächen lieber als das Hollywood-Schwarz-Weiß aus Gut gegen Böse, Superheld gegen Supervillain. Deshalb liebe ich Bücher wie A Song of Ice and Fire und Serien wie Battlestar Galactica. Aber leider sehen Millionen Leser und Zuschauer das regelmäßig anders. Leider wollen Millionen Leser und Zuschauer lieber Superman und den Joker sehen. Also produziert die Medienindustrie das, was das Publikum kauft/konsumiert. Und ja, das ist ein Problem der Medienindustrie insgesamt und nicht des Widerstandskämpfer-Genres im Besonderen. Es ist ein Problem der Konsumgesellschaft, nicht der Geschichtswissenschaften …

    • Stefan Sasse 27. August 2020, 15:03

      Beziehungsweise halt der Massenkultur.

      • Ralf 27. August 2020, 22:11

        Fun Fact: Hab gerade einen Wissenschaftspodcast zum Thema Exoplaneten gehört. Die Autoren regten sich mächtig auf über eine Geschichte aus der Presse, nach der ein High School-Student, der als Praktikant bei der NASA arbeitete, einen neuen Exoplaneten entdeckt haben soll. Tatsächlich seien solche Entdeckungen immer Gemeinschaftsleistungen, die das Mitwirken von Dutzenden Co-Autoren benötigen. Aber die Medien, so klagte das Podcast-Team, würden statt der authentischen Wahrheit ständig immer nur “menschliche” Geschichten erzählen wollen, mit einem “Helden” in der Hauptrolle, auch wenn dadurch Fakten grob verzerrt und der gesamte wissenschaftliche Prozess völlig falsch dargestellt werden würde.

        Kommt bekannt vor?

  • Dennis 27. August 2020, 15:15

    Danke für den herausragend guten Artikel.

    Nichtäußerung gilt als Zustimmung^, deshalb hier nur ein Punkt, nämlich zur Swingsache:

    Mit „Swing“ war übrigens nicht nur Swing im eigentlichen Sinn gemeint, sondern anglo-amerikanische Populärkultur überhaupt, insbesondere Musik natürlich, aber auch „undeutsches“ äußerlichen Auftreten allgemein.

    Natürlich war Swing (im engeren und im weiteren Sinn) verboten, weiß ich authentisch von meiner Mutter, außerdem kann man das natürlich in zahllosen Quellen nachlesen. Das dramaturgische „Verdichten“ im Film in ein Hinweisschild, das es in dieser Form nicht gab, impliziert keineswegs eine Geschichtsfälschung. Etwaige „juristische“ Grundlagen waren für die Verbotskultur eh uninteressant. Es herrschte Willkür.

    Dass das von der Staatsmacht augenzwinkernd geduldet worden wäre und nur „offiziell“ nicht so gerne gesehen wurde, ist komplett neben der Sache und der Datschen-DDR-Vergleich unangebracht, IMHO. Ist übrigens ein Beispiel für Bothsiderismus, was von die doch sonst nicht so gerne gesehen wird^.

    Und WIDERSTÄNDIG war die Swingjugend durchaus, es sei denn, man vertritt die Auffassung, dass alles, was nicht mit einem politischen Pragramm daherkommt, sondern sich mehr oder weniger diffus „kulturell“ darstellt aus diesem Grund nicht unter Widerstand zu verbuchen sei.

    Eine These, die ich für falsch hielte, denn wenn das zuträfe, würden Diktaturen nicht so viel Energie auf die „unpolitischen“ kulturellen Bereiche verwenden, was die Nazis besonders exzessiv getan haben. Für Goebbels war das Bearbeiten des scheinbar unpolitischen kulturellen „Vorfeldes“ von allergrößter Wichtigkeit, womit er den Begriff POLITIK leider richtig verstanden hat.

    Von Goebbels stammt auch ein Tagebucheintrag (1941), der so ging:

    „Das sind ja schöne Früchtchen, die sich da unsere reichen Reeder heranzüchten. Ich gebe der Gauleitung in Hamburg und der zuständigen Staatspolizei den Wink, hier einmal energisch durchzugreifen.“

    Gemeint war die Forderung eines seiner eifrigen Mitarbeiter mit einer „Sofort-Aktion“,  „eine weitere Verbreitung der Swing- und Hot-Seuche in Hamburg und über Hamburg hinaus zu verhindern und ihren schädigenden Einfluss auf andere Jugendliche zu unterbinden“.

    Himmler meinte später, als ihm Berichte über „Swing-Jugendliche“ zu Ohren kamen:

    „Das ganze Übel radikal ausgerottet werden. Alle Rädelsführer sind in ein Konzentrationslager einzuweisen. Dort muss die Jugend zunächst einmal Prügel bekommen und dann in schärfster Form exerziert und zur Arbeit angehalten werden.“

    Also sowas wie Nacktbaden oder Datsche in der DDR ?

    Hier noch was zur Hamburger Swing-Jugend:

    https://www.youtube.com/watch?v=nEE4aysubJU

    …man kann natürlich die Frage stellen: Ist das, was da berichtet wird, „zu wenig“ und/oder insbesondere zu unpolitisch um der Begriff Widerstand zu erfüllen? Hmmm. Ich würde die Frage mit nein beantworten, also das W-Wort bejahen. Wer von der Gestapo eingefangen und verprügelt wurde, hat im Übrigen vermutlich nicht etwas Erlaubtes getan.

    Dass man prozentual nur zur mickrigen Zahlen kommt, wenn man diverse Widerstandsformen zusammenrechnet, ist klar und wird ja heutzutage auch nicht mehr ernsthaft bestritten.

    Ach ja, hier noch was zu Sophie Scholl:

    Zitat Stefan Sasse:
    „Sowohl der Verhörende Scholls als auch der Gestapo-Agent, der Franz Tuchel abholt, sind empfindsame Naturen, die mit ihren Gegenübern leiden und starke Sympathie empfinden. Was sie trennt ist einzig der Dienstherr, der kalte Ruf der Pflicht.“

    Wieso ist das zwingend eine „Stilblüte“ und vollkommen undenkbar? Pure Feigheit, die einen „im Dienst“ das Falsche tun lässt, kennen wir alle, wenn man mal „in sich geht“, ich jedenfalls.

    • Stefan Sasse 27. August 2020, 15:19

      Danke für die ergänzenden Hinweise. Ja, die Nazis waren dagegen, und ja, die Swing-Jugendlichen haben damit „Widerstand“ betrieben. Aber das gilt auch für Rock’n’Roll-Hörer in der DDR. Man muss aufpassen, dass man das nicht zu sehr verklärt.

      Mich stört mehr, dass diese Art von Polizist ein Typ ist, der in diesen Geschichten ständig auftaucht. Klar gab es das mal. Aber die Mehrheitserfahrung war das sicher nicht.

      • cimourdain 27. August 2020, 18:10

        Nimm in der DDR statt Rock’n-Roll-Hörern Punks und du bist sehr tief in der Widerstands-Grauzone.

        • Ariane 27. August 2020, 23:39

          Die Fußball-Ultra-Szene wohl auch. Mein Nachbar stammt ursprünglich aus Magdeburg und war da bei den Ultras (oder wie die da hießen) und auch mehrmals kurz eingesperrt wegen irgendwas, was es hier nicht gibt. Rowdytum oder Aufmüpfertum oder sowas.

          Der Grat zwischen systemstabilisierenden Nischen und Widerstand war da oft sehr schmal glaub ich.

    • CitizenK 27. August 2020, 20:00

      @ Stefan Sasse

      Einerseits kritisierst du, dass die Verhörer auch als empfindsam und nicht als brutale Monster dargestellt werden, andererseits aber auch die holzschnittartige Darstellung der Guten und der Bösen. Ist das nicht ein Widerspruch?

      Noch eine Frage: Sind/wären Filme über Militärs, die Befehle nicht befolgt haben um Menschen zu retten (Paulus/Stalingrad, Kommissarbefehl, Trümmerfeldbefehl Choltitz/Paris) hilfreich?

      • Stefan Sasse 27. August 2020, 22:02

        Oh nein, keineswegs, ich kritisiere, dass es eine Typisierung gibt.

        Kommt schwer auf den Kontext an.

  • CitizenK 27. August 2020, 15:45

    Warum „Schindlers Liste“ nicht erwähnt wird, verstehe ich auch nicht. Auch fehlt der „Hitlerjunge Salomon“, der allerdings handwerklich so schlecht gemacht ist, dass er nicht als positives Beispiel dienen kann. Und der „Pianist“?

    Zum „Leben der Anderen“: Auch wenn es keinen solchen Fall gegeben hat, kann man im Verhalten des Stasi-Mannes eine Art Ermutigung sehen. Die Forschung hat gezeigt: Positive Beispiele, auch noch so gering, ermutigen andere. Der „Turm“, eben wieder im Ersten, weist zwar auch einige Deiner Kritikpunkte auf, ist aber dennoch sehenswert.

    Du fragst nach dem didaktischen Ziel. „Die weiße Rose“ zeigt, wie schwierig schon die Beschaffung von Papier und Briefmarken für Flugblätter war. Und mit diesen wollte die Gruppe durchaus etwas erreichen, nämlich die Mitläufer zum Nachdenken und dann zum Handeln zu bringen. Auch die Szenen bei den Stasi-Verhören im „Leben der anderen“ bringen die Realität der Diktatur zum Bewusstsein.

    Deinen/euren Eskapismus in die Phantasy-Welt verstehe ich nun gar nicht. Gäbe es die von Dir kritisierten Filme gar nicht, könnten junge Menschen zu der Ansicht kommen: Solche Diktaturen mit solch brutalen Menschen gibt es in Wirklichkeit gar nicht.

    • Stefan Sasse 27. August 2020, 16:19

      Schindlers Liste habe ich einfach nicht dran gedacht 🙁 Hitlerjunge Salomon habe ich nie gesehen, Pianist auch nicht.

      Ich denke nicht dass wir ein Problem mit dem Wissen um diese Vorgänge hätten; erstens sind „junge Menschen“ ohnehin nicht die Zielgruppe dieser Filme, und zweitens werden die in der Schule, in Doku-Sendungen und so weiter hinreichend aufgeklärt. Da müssen wir diese Sachen echt nicht überhöhen.

  • cimourdain 27. August 2020, 18:12

    Off topic – aber nachdem hier das Thema Gesichtsbehaarung von Schurken thematisiert wurde: Was finden eigentlich reale Diktatoren am Oberlippenbewuchs? Nicht nur das Hitlerbärtchen und Stalins Prachtschnäuzer, auch Pinochet oder Saddam Hussein bis aktuell Lukaschenko und zurück in die Vergangenheit bis Vlad Tepes … ein historisch interessierter Blogger könnte fast ein Ranking der schurkischsten Bärte machen.

    • Ralf 27. August 2020, 18:21

      Ich halte das für überbewertet. Putin, Orbán und Jinping haben alle keinen Bart. Während Trudeau Bartträger ist. Auch Aznar war z.B. Bartträger. Und wenn wir von Hitler und Stalin reden, dann kommt auch noch eine Zeitkomponente hinzu. Ich wette in den 30er Jahren war es generell modischer und bei Politikern akzeptierter Bart zu tragen.

    • Stefan Sasse 27. August 2020, 19:13

      Ich hab keine Ahnung, aber das Ding ist mittlerweile ja fies aus der Mode. Lukaschenka ist glaub der einzige der das noch hat. Und vorher waren die Pornobalken ja auch generell Mode.

      • cimourdain 28. August 2020, 00:16

        Ich lege auf meinen Lukaschenko noch Daniel Ortega, Nicolas Maduro, Paul Kagame ( mal ein ‚guter‘ Diktator) und Salman ibn Abd-el-Aziz.

        • Ariane 28. August 2020, 01:12

          Kagame ist aber geschummelt, Erdogan probiert die Schnauz-Mode allerdings auch gelegentlich!

        • Stefan Sasse 28. August 2020, 09:57

          Ok. Diktatorenmode stirbt langsam.

    • Ariane 27. August 2020, 23:58

      Denke auch, das hat mehr mit der jeweiligen Mode zu tun. Heute sind die Bösen alle glattrasiert und die Hipster haben nen Drei-Tage-Bart. Trudeau beherrscht dabei alle Spielarten – Superhero 😉

      Wäre allerdings sehr für ein Powerranking der schurkischsten Bärte und würde noch Rasputins Bart in den Ring werfen. Der war für sein Image nicht förderlich.

      • cimourdain 28. August 2020, 08:27

        Hier noch eine historische Kuriosität zu Diktatorenbärten:
        https://www.globalissues.org/news/2015/01/07/20483
        Aber die Idee, jemanden zu entmystifizieren, indem man ihn von seiner Gesichtsbehaarung trennt, wäre eine erfrischende Lösung für das Südstaaten-Generäle-Statuen Problem. Die hatten von Beauregard bis Forrest durch die Bank prächtige Bärte, die man entfernen könnte (#youhadaslavenowhaveashave).

  • cimourdain 27. August 2020, 18:18

    Nur um deine Kategorien Innere Ablehnung vs äußerer Widerstand und historisch vs fiktiv komplett über den Haufen zu werfen: „Pans Labyrinth“

    • Stefan Sasse 27. August 2020, 19:13

      Oh stimmt den hab ich vor einer Weile mal gesehen, aber ich erinnere mich kaum mehr.

  • Hias 27. August 2020, 20:00

    Wow, danke Dir, tolle Übersicht. Und ich kann Dir da nur zustimmen.

    Nur bei einem kleinen Punkt muss ich dir widersprechen:
    Der andere große deutsche Widerstandsakt dagegen, das Attentat vom 20. Juli, wurde in „Operation Walküre“ verewigt.

    Der andere große Widerstandsakt ist natürlich das Attentat von Georg Elser!

    • Stefan Sasse 27. August 2020, 22:02

      „Groß“ meinte ich im Sinne von „bekannt“. Ich würde mir nicht anmaßen, die anderweitig bewerten zu wollen.

  • Ariane 28. August 2020, 01:05

    Danke für den Artikel und die gute Übersicht.

    Es ist leider schon so, dass die meisten dieser Filme mehr über die Befangenheit der Macher aussagt als dass sie inhaltlich gewinnbringend sind. Sich mit der eigenen Schuld (bzw der der Vorfahren) auseinanderzusetzen ist schwierig. Dieses Muster, dass es nur sehr wenige echte böse Nazis gab und der Rest war eigentlich sehr nett zieht sich so immer weiter ins Heute.

    Das ist schon insgesamt oft mehr Vergangenheitsbewältigung als authentisches Erzählen. Übrigens oft auch amerikanische Produktionen wenn es um das Bürgerrechtsthema geht. Hidden Figures zb.
    Übrigens: was Männern vielleicht weniger auffällt, diese ständigen Vater-Kind-Konflikte gehören auch dazu. Je männlicher das Genre umso schlimmer, totale Seuche.

    Ist meiner Meinung nach eben auch der Grund, warum es besser funktioniert, wenn man es auf eine fiktive Ebene zieht, dann bildet man eben nicht die eigene Geschichte ab, sondern die von Fremden und der Blick ist klarer, weil er eben nicht mit der eigenen Schuld (der Vorfahren) kollidiert. Und ich glaube es ist auch eine Frage der Identifikation und genau da geht das ja immer schief. Auf der einen Seite ist der Widerständler logischerweise der Held, also die größte Identifikationsfigur.
    ABER historisch stehen Macher und Zuschauer nun mal eher auf der Täterseite – also gibt es ein paar Böse (die gerne auch einfach ganz Fremde sind), viele „nette Täter“ die halt nicht anders können und ein besonders reiner Held, weil ja Held. (so eine Story wie Schindlers Liste wäre als deutsche Produktion vermutlich undenkbar, viel zu unheldenhaft).

    Ist halt dieses typische „außer Hitler gabs gar keine Nazis“, alles very fine people. Parallelen zu heutzutage rein zufällig^^

    Die Widerständler sind ja auch immer so unpolitisch, übrigens für die Zeit auch echt ungewöhnlich, war ja viel politisierter als heutzutage.

    Den Film erinnere ich nicht mehr so gut, würde hier eventuell noch ein bisschen widersprechen:
    „Sophie Scholl“ ist von einer sehr spezifischen Religiosität getrieben (die im Film praktisch keine Rolle spielt), die sich ebenfalls kaum zur Nachahmung anempfiehlt.

    Die Spiritualität würde ich hier mal als Äquivalent zum Politischen zählen, versteh auch überhaupt nicht, wie man das in einem Film nicht mit aufnehmen kann, es war ja eigentlich recht zentral in ihrem Denken. Gerade weil es ja eben keine rein private Veranstaltung war, sondern mit einem Sendungsbewusstsein verknüpft, eher was Missionarisches als innere Emigration.

    Was ich erst neulich irgendwo gelesen hab (war wohl in einer Hölderlin-Ausstellung(?) und drin, weil sie ihn zitiert hatte) In ihren Briefen an ihren Verlobten hat sie ihm immer Tips gegeben, wie er quasi das Herz der anderen Soldaten oder seiner Vorgesetzten erweichen könnte, damit die empathischer werden. Wahnsinnig naiv, passt aber irgendwie zu ihrer Religiosität, sie hatte ja auch eine überragende Poesie. In meiner heldenverehrenden Vorstellung vergleiche ich sie auch immer mit Jeanne d’Arc die ja auch irgendwie ne Art Widerständlerin mit göttlichem Auftrag war und aufgrunddessen mehr oder weniger freiwillig in den Tod ging.
    Was auch erklärt, warum das eher nichts für einen Typen ist, der vermutlich eher vom nüchternen Preußentum beeinflusst ist.

    • Stefan Sasse 28. August 2020, 09:58

      Gott, Hidden Figures ist unerträglich.

      • CitizenK 28. August 2020, 13:31

        Warum eigentlich? So machen Sie halt dorten Filme über (lange Zeit) unsung little heroes. Ohne den Film wüsste ich (und mit mir viele) nicht, dass „Computer“ ursprünglich ein Wort für mathematisch begabte Frauen war und die Koordinanten einer Mondmission von einer Frau berechnet wurden. Interessiert mich wirklich, was Dir an dem Film so missfällt.

        • Stefan Sasse 28. August 2020, 14:49

          1) White Savior ist ein ganz fürchterlicher Topos
          2) Die Klischees sind grausig
          3) Der Pathos ist mir viel zu dick

          Ich denke du siehst die Richtung. Stehe aber voll hinter deiner Aussage, dass es grundsätzlich gut ist, dass man etwas über dieses bisher unbekannte Phänomen erfährt. Nur dürfte man das halt gerne mit einem besseren Drehbuch tun.

          • CitizenK 28. August 2020, 17:44

            Sehr einverstanden. Man kann halt nicht alles haben. Wirksamer als ein Zeitungsartikel ist der Film allemal.

            • Stefan Sasse 28. August 2020, 22:28

              Ja, aber kann halt auch viel kaputt machen.

              • Ariane 29. August 2020, 00:28

                Gibt es denn Filme oder Serien (diesmal keine rein fiktiven), die du für dieses Thema empfehlen würdest?

                Bin da etwas unentschlossen, ich mag auch mal Feel-Good-Filme und The Help und Hidden Figures sind da schon ziemliche Schnulzen. Aber ich bin halt auch weiß. (und keine Amerikanerin) Kann mir schon vorstellen, dass das für kritische Amerikaner, besonders PoC schwierig ist. Bei deutschen Filmen bin ich da auch strenger.

                • Stefan Sasse 29. August 2020, 09:00

                  Welches Thema jetzt?

                  • Ariane 29. August 2020, 23:37

                    Beides^^

                    • Stefan Sasse 30. August 2020, 09:25

                      Zum Widerstandsthema wurde hier ja schon Schindlers Liste genannt. Ich habe „Defiance“ nicht gesehen bisher, der mag taugen oder auch nicht.

                      Ich bin kein Riesenfan von Twelve Years A Slave, aber der und Amistad sind grundsätzlich okay.

        • Ariane 28. August 2020, 15:44

          Hidden Figures ist schon ne ziemliche Schmonzette (obwohl das Genre seine Berechtigung hat irgendwie)

          Zum Einen werden die Probleme der Schwarzen doch recht weichgezeichnet, aber vor allem gibt es überhaupt keine Weißen, die an ihrem Rassismus hängenbleiben. Die machen alle eine Entwicklung durch und sind am Ende weniger rassistisch (die Personalchefin und der andere Mathematiker zb). Der Boss ist ja der zweite Held.

          Kennt jemand von Euch „The Help“? Ist ein bisschen ähnlich, da geht es um Schwarze Kindermädchen, aber Hauptfigur ist auch eine Weiße. Da fand ichs nicht ganz so krass allerdings (und auch ein Thema, das ich zumindest nicht so auf dem Schirm hatte)

          Bei I am not your negro wird auch oft auf Schwarze in Filmen eingegangen in älteren Filmen, auch sehr interessant.
          Als Gegenbeispiel würde ich mal Selma nennen. Das ist auch das, was in diesen Schmonzetten oft wenig erwähnt wird, aber BlackLivesMatter, dieser Blutzoll ist Wahnsinn, der da stattgefunden hat. Das ist auch wirklich ein bisschen aus dem Bewusstsein verschwunden (gut, dank BLM jetzt nicht mehr so stark).Es war halt nicht so, sie durften nicht vorne im Bus sitzen und dann haben sie mit Martin Luther King nett protestiert und dann war es das. Die permanente Lebensgefahr, gerade für Schwarze Männer (und Jungs) wird ja immer noch gerne verdrängt.

          • Stefan Sasse 28. August 2020, 16:10

            Selma mochte ich auch nicht. Einfach keine gute Geschichte. Das ist viel zu viel Hagiographie.

  • cimourdain 29. August 2020, 08:48

    Hat eigentlich jemand hier schon „Harriet“ (über Harriet Tubman) gesehen ? Der könnte in diesem Zusammenhang auch interessant sein.

    • Stefan Sasse 29. August 2020, 09:02

      Nein, ich hab nur eine Kurzkritik gehört, die die Worte „konventionell“ und „kitschig“ gebrauchte.

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