Der lange Weg nach Charlottesville, Teil 2 (Ford bis Bush)

Teil 2 des Artikels. Teil 1 hier.

Für Evangelikale war die gesamte Moderne ein einzelner Abgrund der Blasphemie. Ihre Konversion zur zunehmend reaktionären GOP war nur folgerichtig.

Im Zusammenhang mit dem Wahlkampf 2015/16 hatte ich einen Erklärartikel geschrieben, der die moderne Republican Party sezierte und zwei Säulen ausmachte: auf der einen Seite die Business Republicans, auf der anderen Seite die social conservatives. Die erste Säule war mit der Präsidentschaft Nixons bereits fest verankert: die Republicans hatten sich mit den Interessen des Kapitals verflochten und hingen der Idee an, dass Deregulierung und niedrige Steuersätze der Schlüssel zum Durchbrechen der ökonomischen Malaise der 1970er Jahre (stagflation) sein mussten, eine Idee, die in dem Jahrzehnt deutlich an Einfluss gewann und ab Mitte der Dekade auch die Democrats erreicht hatte – die New-Deal-Koalition war endgültig tot. Das lange Sterben der Gewerkschaften begann, und mit ihnen die kurze Zeit der Bindung der Arbeiter an die Democrats. Es würde bis Bill Clinton dauern, ehe die Democrats einen Ausweg aus diesem Dilemma finden würden. Auf der anderen Seite war die geringe Breitenattraktivität dieses ökonomischen Programms durch die Klammer eines verhohlenen Rassismus‘ und Versprechens auf law&order mit einer soliden (weißen) Bevölkerungsmehrheit verbunden. Dieses Fundament allerdings war wackelig.

Die Ängste und Sorgen der Menschen ernstnehmen

Denn nicht nur war Richard Nixon für heutige Begriffe ein moderater Zentrist (der, muss man hinzufügen, von einem demokratischen Kongress kontrolliert wurde), die Wählerschichten waren auch bei weitem noch nicht so festgelegt wie sie es heute waren. Nixons Erfolg ruhte auch auf dem Eindruck von Chaos und Krise der späten 1960er und 1970er Jahre – Kriminalität, Jugendbewegung, Feminismus, Vietnam, Stagflation. Diese Basis konnte nicht ewig anhalten, und die Fluidität dieser Verhältnisse zeigte sich bereits 1976, als Nixons Nachfolger Gerald Ford in den Vorwahlkampf ging. Ungewöhnlich für einen Amtsinhaber hatte er einen innerparteilichen Herausforderer: Ronald Reagan, der bereits 1968 gegen Nixon seine Zähne gezeigt hatte, attackierte Ford mit voller Breitseite als ein RINO (Republican In Name Only), als jemand, der eigentlich viel zu links oder mittig oder was auch immer war, jedenfalls kein echter conservative.

An dieser Stelle muss noch einmal betont werden, dass Reagans Verständnis von conservative nicht eine konservative Geisteshaltung bedeutete, wie sie Eisenhower, Ford und Nixon hielten. Es ging diesen conservatives nicht um Moderation und ein behutsames Verändern. Sie waren movement conservatives: sie wollten nichts weniger als eine Revolution. Die gesamte liberale Ära seit 1933 sollte komplett abgewickelt werden. Diese radikale, reaktionäre Agenda ist in den 40 Jahren seither krachend gescheitert. Elektoral aber war sie höchst erfolgreich.

Jimmy Carter, Präsident 1977-1981

Zwar verlor Reagan den Nominierungswahlkampf 1976 gegen Ford – Wähler wie Establishment betrachteten ihn, ähnlich Barry Goldwater, als radikalen Eisenfresser -, aber es war eine deutlich knappere Geschichte, als es hätte sein sollen. Reagan zog daraus – und aus der Niederlage Fords gegen Jimmy Carter – den Schluss, dass er nach außen hin moderater erscheinen musste, seine harte Ideologie an den Rändern etwas federn. Ford selbst ging mit dem schweren Nachteil ins Rennen, Richard Nixon begnadigt zu haben, noch bevor eine Untersuchung über dessen Verbrechen ernsthaft in Gang kommen konnte. Die Republicans hatten Nixon während der sich anderthalb Jahre hinziehenden Watergate-Affäre bis zuletzt unterstützt und die Medien beständig der Lüge gescholten; erst, als Nixons Schuld nicht mehr zu leugnen war und er versuchte, die zuständigen Ermittler zu feuern, ließen sie ihn endlich fallen. Diese Frontstellung gegen geltendes Recht und Fakten legte das Fundament für die in den 1980er Jahren virulente Behauptung, die Medien seien alle viel zu liberal und die Gründung von FOX News und anderen rechtsradikalen Filterblasen, in die sich die Partei mehr und mehr verkriechen würde.

Gleichzeitig zeigte der knappe Sieg Carters 1976, bei dem die Democrats zum letzten Mal in den Südstaaten ernsthafte Gewinne erzielen konnten, dass die Evangelikalen eine bislang unterschätzte Machtgruppe in der amerikanischen Politik waren. Diese radikalen Christen, die wörtliche Auslegungen der Bibel praktizierten und die Moral der 1950er Jahre als generell bereits deutlich zu lax empfanden, wählten 1976 noch überwiegend Democrats. Jimmy Carter war selbst ein Evangelikaler, der seine Religiosität ebenso wie seinen ländlichen Charme in einer Inversion der southern strategy einsetzte. Dies würde den Republicans nicht noch einmal passieren. Reagan, der noch in den 1960er Jahren nicht gerade durch Frömmigkeit aufgefallen war, ging in den nächsten vier Jahren ostentativ zur Kirche und warb mit Verve um die Evangelikalen.

Diese Strategie trug im Wahlkampf 1980 Früchte, in dem er diesen wichtigen Wählerblock zum ersten Mal mehrheitlich auf die Seite seiner Partei ziehen konnte. Über die nächsten drei Dekaden wurden die Evangelikalen der loyalste Wählerblock der GOP – 2016 wählten über 90% der Evangelikalen Donald Trump, obwohl dieser alles, aber sicherlich nicht religiös oder moralisch war. Es ist die Loyalität dieses Blocks, die den Republicans ihre Machtbasis seit 1980 gibt. Sie ist das Standbein der social conservatives, die mit ihrer scharfen Gegnerschaft zur Abtreibung, der Ablehnung der Evolutionstheorie und der Fusion von Staat und Kirche (Schulgebete, Gottesformel in Vereidigung, etc.) das Antlitz der USA merklich verändert haben. Damit waren beide Säulen der modernen GOP an Ort und Stelle.

Zum Sieg reichte das alleine jedoch nicht. Jimmy Carter war, auch wenn das aus der Rückschau häufig anders aussieht, ein formidabler Gegner. Reagan bediente sich im Wahlkampf diverser schmutziger Tricks, die kein Democrat je anwenden würde. Er war aber nicht er erste: Richard Nixon hatte 1968 dasselbe getan. Es war die Instrumentalisierung der amerikanischen Außenpolitik. 1968 hatte Nixon eine Friedensinitiative Johnsons in Vietnam sabotiert, um den Krieg am Laufen und als Thema für die Wahl zu erhalten¹. Reagan sabotierte die Verhandlungen mit Iran um die Freilassung der amerikanischen Geißeln auf die Zeit nach seiner Wahl, um Carter diesen Vorteil nicht zu gönnen. In beiden Fällen hintertrieben die Republicans die Außenpolitik der Vereinigten Staaten zum Schaden der gesamten Nation, von der jeden Schaden abzuwenden sie geschworen hatten. In allen außenpolitischen Krisen unter republikanischen Präsidenten indessen standen die Democrats hinter Präsident und Nation. Die moralische Flexibilität der GOP gegenüber den Democrats war hier bereits absehbar. Vor die Versuchung kurzfristiger elektoraler Vorteile gegenüber langfristigem Schaden für das Land gestellt, würden die Republicans stets der Versuchung nachgeben – während die Democrats sich fast immer genau andersherum entschieden.

Reagan führte 1980 aber noch ein weiteres Element in die amerikanische Politik ein, das bislang keine Rolle gespielt hatte: die fake news, auch wenn diese damals noch nicht so hießen. Es war Reagan, der den Republicans zeigte, dass offenes Lügen in der Politik nicht bestraft wurde, solange man nur eisern an seiner Lüge festhielt. Reagan war sicherlich der größte präsidentielle Lügner seit Andrew Jackson. Er erfand Statistiken und Sachverhalte und präsentierte diese mit größter Selbstverständlichkeit. Am berühmtesten sind sicherlich seine Behauptung, die UdSSR sei den USA in Militär und Wirtschaft (!) deutlich überlegen und die Geschichte von Cadillac fahrenden Welfare Queens. Im ersten Fall widersprach ihm sogar das Pentagon, im zweiten Fall konnte er den Beweis für die Behauptungen, der von ihm gefordert wurde, nie liefern. Es war irrelevant. Reagan wiederholte die Lügen stets, die anderen Republicans plapperten sie nach, und so hielten sie sich. In einer bemerkenswerten Parallele zu Donald Trump gehen die meisten Historiker auch davon aus, dass Reagan seine eigenen Lügen wirklich glaubte. Am folgenreichsten war diese neue Strategie des völligen Ignorierens von Fakten in der Haushaltspolitik. Reagan kürzte massiv die Steuern für Reiche und erhöhte gleichzeitig die Rüstungsausgaben um ein Vielfaches, was zu gigantischen Defiziten führte. Die Reagan-Regierung akzeptierte effektiv nicht einmal die schiere Existenz dieser Schulden als ein Fakt sondern versprach stets einen wundersamen Wirtschaftsaufschwung um die nächste Ecke, der natürlich nie kam – außer für die superreiche Elite, versteht sich.

In die Reihe der Fake News gehört vermutlich auch der Aufstieg des rechtsradikalen Talk Radio. Bis 1987 galt auf dem amerikanischen Medienmarkt die so genannte Fairness Doctrine, die eine ausgeglichene Berichterstattung (aber keine unparteiische!) forderte. Das war bislang nie ein Problem gewesen, aber unter Reagan wurde es für die GOP zu einem. Durch die immer offensichtlicheren Lügen und die Normenbrüche beim Ausschluss der Presse nahm die Kritik massiv zu, die die Republicans in üblicher Nibelungentreue als unfaire Propaganda von links abtaten. Reagan beendete daher 1987 die Fairness Doctrine. Eine direkte Folge war der Aufstieg des Talk-Radios: rechtsradikale bis rechtsextreme Radiomoderatoren waren nun völlig enthemmt und sendeten 24/7 reine Propaganda in die oftmals ländliche und von wenig Radio-Alternativen gesegneten Gebiete. Rush Limbaughs Karriere begann mit dieser Entscheidung, und auch Personen wie Glenn Beck und Alex Jones gehen darauf zurück. Mit diesem von Reagan initiierten Prozess begann die Abkapselung der Republicans in eine gigantische Filterblase, immun von Fakten und Kritik der Mehrheitsgesellschaft.

Regans Ursprünge lagen im reaktionären Aktivismus. Seine gesamte politische Laufbahn steht unter dem Bann des Sales-Pitch.

Selbstverständlich vernachlässigte Reagan auch die von Nixon eingeführte Klammer des Rassismus‘ nicht. Im August 1980 etwa hielt er eine Rede in Neshoba County, gerade sieben Meilen entfernt von der Stätte eines Lynchmords an drei Schwarzen 1964, in der er erklärte, dass er für „state’s rights“ eintrete. Diese Phrase ist natürlich eine dog whistle: sie wurde seit dem frühen 19. Jahrhundert benutzt, um die Praxis der Sklaverei (und später von Jim Crow) zu rechtfertigen. Damit war Reagan gegenüber Nixons „law and order“ eine ganze Stufe nach rechts gerutscht. Es war immer noch ein Stück von Trumps „inner cities living in hell“ entfernt, aber auch bereits deutlich expliziter als noch unter Nixon.

Die schlimmsten Auswirkungen hatte Reagans Rassismus aber im so genannten „war on drugs„. Der Drogenkonsum erreichte in den 1980er Jahren ein gigantisches Ausmaß. Reagan finanzierte einen gigantischen Militär- und Polizeiapparat im „Kampf gegen die Drogen“, der sich auffällig stark gegen die Schwarzen richtete. Während das Militär eine über drei Jahrzehnte dauernde Serie von illegalen Einsätzen in Lateinamerika begann, pressten Polizei und Justiz den Daumen auf die schwarzen communities. Das Instrument dazu war mandatory sentencing, also vorgeschriebene Mindesthaftstrafen für Drogenverbrechen. Bis heute sind diese absurd lang. Dabei werden nicht nur disproportional viele schwarze Täter verhaftet, angeklagt und verurteilt, sie erhalten auch längere Strafen als Weiße. Dazu sind die mandatory minimums für „typisch schwarze“ Drogen wie Crack oder Kokain um ein vielfaches höher als „typisch weiße“ Drogen wie LSD oder Marijuana.

In der Rückschau wird dieser ekelhafte Teil von Reagans Präsidentschaft gerne vergessen, ebenso wir ihr unrühmliches Ende im Sumpf der Iran-Contra-Affäre. Stattdessen bleibt der Mittelteil in Erinnerung, vor allem die völlige elektorale Vernichtung des demokratischen Bewerbers Mondale 1984 mit einem Sieg in 49 Staaten. Dieser verdeckte allerdings, dass die Democrats weiterhin das House of Representatives (und über weite Strecken auch den Senat) hielten, was dazu führe, dass Reagans radikale Rhetorik häufig von den stets verantwortungsbewussten Democrats in legislative Kompromisse gegossen wurde. Am deutlichsten sichtbar wurde dies in der Steuerreform 1983, wo der von Reagan innerhalb von zweieinhalb Jahren an die Wand gefahrene US-Haushalt gerettet werden musste, und wieder 1991, als das gleiche Schicksal seinen Nachfolger George H. W. Bush ereilte.

Die Folgen zeigten sich im Präsidentschaftswahlkampf 1988. Reagans Beliebtheitswerte waren ordentlich, aber noch nicht mit der Apotheosis der späten 1990er Jahre vergleichbar. Sein designierter Nachfolger war effektiv die Hillary Clinton der damaligen Zeit: Bush galt als ungemein kompetent und war ein Zentrist, aber er war nicht sonderlich beliebt. In seiner Zeit als Vizepräsident hatte er stets loyal noch den größten Bullshit aus Reagans Weißem Haus mitgetragen, und seine verspätete Konversion hatten ihm die Evangelikalen nie so richtig abgenommen – sicherlich zurecht im Übrigen, sie schmeckte sehr nach Opportunismus. Dass er am Ende einen überzeugenden Sieg hinlegen konnte lag hauptsächlich an drei Faktoren: einer wirtschaftspolitischen Lüge, dem unterirdischen Wahlkampf seines Herausforderers Dukakis (der Gouverneur von Massachusetts, der sich sehr schwer mit dem neuen neokonservativen Zeitgeist tat und mit grausigen PR-Manövern den „echten Mann“ zu markieren suchte) und der Erneuerung des republikanischen Teufelspakts.

Standbild aus dem Willie-Horton-ad.

Bush, der als Abgänger von Yale und Mitglied der ältesten und renommiertesten Studentenverbindung Phi Beta Kappa sicherlich zur Bildungselite des Landes gehörte (anders als der nicht sonderlich belesene und auch nicht gerade intellektuelle Reagan), attackierte Dukakis als „abgehobene Ostküstenelite“ und bediente damit den seit Nixon und speziell Reagan schwer in Mode geratenen Anti-Intellektualismus der GOP. Deutlich widerlicher aber war seine offene Umarmung gegenüber dem rassistischen Bodensatz der Parteiwählerschaft. Durch eine offiziell unabhängige Gruppe – Super-PACs gab es noch nicht, und Bush Senior wollte sein Gentleman-Image nicht verlieren, indem seine Fingerabdrücke auf so etwas zu finden waren – wurde ein Wahlwerbespot gedroht, der unter dem Namen „Willie-Horton-Ad“ in die Geschichte einging. Horton war ein schwarzer lebenslang in einem Gefängnis in Massachusetts einsitzender Mörder, der auf einem Freigang eine weiße Frau ermordete.  Die vom berüchtigten Politstrategen ohne Moral und Gewissen Lee Atwater geführte Kampagne beschwor die Gefahr schwarzer Vergewaltiger und Mörder hervor, die von einem Democrat mit Samthandschuhen angefasst und sogar belohnt würden. Damit vergifteten Atwater und Bush nachhaltig die Stimmung im Land, weil das alte Nixon-Narrativ von den kriminellen Schwarzen, die die unschuldigen Weißen bedrohten, wieder fröhliche Urstände feierte und massiv zu der Überreaktion der 1990er Jahre unter einem republikanischen Kongress beitrug, die mit Stichworten wie mandatory minimus und super predators im dritten Teil des Artikels auftauchen wird.

Bushs Schuld allerdings ist hier bereits die eines Nazi-Mitläufers. Denn die Republican Party – und mit ihr ihre Wählerschaft – hatte sich unter Reagan deutlich radikalisiert. Bush war eigentlich kein conservative, er war viel mehr ein Konservativer, mehr im klassischen Sinne eines Pro-Business-Republican und der so genannten Neo-Cons. Letztere waren seit den 1930er Jahren bei den Democrats beheimatet gewesen und ein kleiner, aber schlagkräftiger Bestandteil der in den 1960er Jahren auseinanderbrechenden New-Deal-Koalition. Ihr Hauptanliegen war nicht die Innenpolitik, wie dies bei liberals und conservatives der Fall war und ist, sondern die Außenpolitik. Genauer: eine aktivistische, militante Außenpolitik, mit einem Militär, das so stark wie nur irgendwie möglich war. Reagan hatte die Klaviatur dieser Gruppe wie ein Pro gespielt, als er erkannte, dass martialische Töne (gerade im Zusammenspiel mit evangelikaler Erlösungsrhetorik) sehr gut ankamen. Das Verhältnis war oberflächlich; Ahnung hatte Reagan von Militär und Außenpolitik (wie von so vielem) nicht. Bush dagegen hatte 1988 bereits weit über eine Dekade Erfahrung, unter anderem als CIA-Direktor. Er hatte klare strategische Ziele, und einen Stab, der anders als der von Reagan nicht gigantische Skandale mit Verfassungsbruch und Terrorfinanzierung vom Zaun brach, sondern kompetente Einsätze plante. Das Kronjuwel dieser Gruppe war der Golfkrieg 1991: begrenzt, erfolgreich und (für Amerika) billig.

Das Erbe der Reagan-Zeit aber definierte Bushs Präsidentschaft im Nützlichen wie im Schädlichen.-Im Nützlichen, weil der offene und unbestrafte Rechtsschwenk der öffentlichen Meinung unter Reagan ihm eine wesentlich breitere Wählerbasis gab, als er sie sonst gehabt hätte, und eine zunehmend loyale Wählerschaft noch dazu. Im Schädlichen, weil die schlechte Politik und der institutionelle Verfall, den Reagan begonnen hatte, in seiner Präsidentschaft voll durchschlug. Viele republikanische Kongressabgeordnete waren bereits in den frühen 1990er Jahren so radikalisiert, dass sie es als tödlichen Verrat ansahen, die gigantischen Reagan-Defizite durch höhere Steuern anzugehen. Bush musste dafür mit den Democrats zusammenarbeiten. Da er außerdem die bestehenden Gesetze weitgehend achtete und nicht wie Reagan als lästige Hindernisse sah, die man jederzeit à la der Nixon-Doktrin „it’s not illegal if the president does it“ missachten konnte, war er zu deutlich größerer internationaler Kooperation gezwungen als der gegenüber bestehenden Fakten und Verhältnissen eher legere Reagan.

Ross Perot 1992

Beides kreidete ihm die Basis schwer an, und es führte mit zu der Kandidatur von Ross Perot, der als Rechts-Alternative und dritter Mann über 20% der Stimmen in der Wahl 1992 holen sollte. Diese allerdings verlor Bush – und damit der letzte moderate republikanische Präsident – nicht wegen Perot, sondern wegen Clintons überlegener Wahlkampfstrategie. Clinton war der erste Democrat, der die Klammer der rassistischen Ressentiments aufbog und sie sich selbst zunutze machte, indem er sie mit ökonomischem Populismus verband. Dieser Rechtsschwung der gesamten demokratischen Partei wurde von der GOP nicht mit Genugtuung aufgenommen und für konstruktive Politiksetzung benutzt. Vielmehr führte sie zu einer weiteren Welle der Radikalisierung der Partei, die unter ihrem Chefstrategen Newt Gingrich einen weiteren Schwung nach rechts unternahm.

Weiter geht’s im dritten Teil.

¹ Ob diese Initiative erfolgreich gewesen wäre darf bezweifelt werden, aber sie hätte wenigstens zu einem Waffenstillstand und sicher zu einem schnelleren Kriegsende geführt, weil sowohl Johnson als auch alle drei demokratischen Präsidentschaftsbewerber den Krieg beenden wollten, während Nixon versprach, ihn zu gewinnen – und nach seinem Sieg um vier lange und blutige Jahre in die Länge zog.

{ 8 comments… add one }
  • Ralf 20. August 2017, 23:02

    Er hatte klare strategische Ziele, und einen Stab, der anders als der von Reagan nicht gigantische Skandale mit Verfassungsbruch und Terrorfinanzierung vom Zaun brach, sondern kompetente Einsätze plante. Das Kronjuwel dieser Gruppe war der Golfkrieg 1991: begrenzt, erfolgreich und (für Amerika) billig.

    Ich stimme Deinem Artikel weitestgehend zu. Nur Deine Einschaetzung des ersten Golfkriegs macht mich etwas skeptisch. Kronjuwel? Strategisches Ziel erreicht? Ohne Skandale?

    Es gibt Stimmen, die behaupten Saddam sei ueber diplomatische Kanaele aktiv von den USA ermuntert worden in Kuwait einzumarschieren, durch eine Zusicherung, dass die USA in diesem Fall neutral bleiben werden. Ob das stimmt oder nicht kann ich nicht beurteilen, aber der Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg begann mit einer bizarr inszenierten Propagandaluege, naemlich der Behauptung irakische Soldaten haetten waehrend der Invasion in Krankenhaeusern Babies aus Brutkaesten gerissen und getoetet. Mit dieser Luege wurde den Amerikanern der Krieg erst schmackhaft gemacht.

    Anschliessend wurde der Feldzug zwar schnell „gewonnen“, aber „gewonnen“ hiess in den 90er Jahren nicht mehr das selbe wie in den 40er und 50er Jahren, wo Laender wie Deutschland und Japan nach der Kapitulation unter Bildung erheblichen Wohlstands stabil in die westliche Koalition integriert wurden. Im Irak hingegen wurde ein fragiles Provisorium geschaffen, dessen Instabilitaet fuer zahlreichen Konflikte Jahrzehnte spaeter verantwortlich ist. Die Kurden im Norden wurden erst zum Widerstand aufgerufen und anschliessend im Stich gelassen und der Massakrierung durch Saddam freigegeben. Im Sueden entglitt dem Regime zunehmend die Kontrolle, waehrend schiitische Milizen an Macht gewannen. Die gesamte Region wurde durch den Krieg nachhaltig destabilisiert, anti-amerikanische Ressentiments wurden gestaerkt. Letzteres leistete einen entscheidenden Beitrag zur Entstehung der Terrorgruppen, die heute die westliche Welt plagen und die die Region in folgenden Buergerkriegen immer weiter destabilisierten.

    Ich fuerchte, ein Kronjuwel sieht anders aus.

    • Stefan Sasse 20. August 2017, 23:10

      Ich stimme dir in der Einschätzung zu; mir geht es um die strategische Beurteilung aus US-Sicht. Sie haben mit UN-Sanktion gearbeitet, hatten Unterstützung der lokalen arabischen Mächte, haben ihr begrenztes Ziel mit minimalen Verlusten erreicht und die Bedrohung durch Hussein effektiv ausgeschaltet. Verglichen mit praktisch allen anderen militärischen Operationen danach (evtl. Ausnahme Kosovo) war das schon ein Erfolg, und wenn du dagegen alle militärischen Operationen 1945-1991 rechnest auch…

  • Stefan Pietsch 21. August 2017, 09:03

    Ich bewundere Deine umfangreiche Kenntnis der jüngeren amerikanischen Geschichte, die ich nur wegen meines höheren Alters bewerten kann. Deine sehr einseitige Parteinahme für die Democrats mindert den wissenschaftlichen Anspruch Deiner Exposes, die sie durchaus haben.

    Sowohl in den USA als auch Großbritannien vollzog sich ab 1980 das gleiche Schauspiel: geschlagen von einer lange dahindümpelnden wirtschaftlichen Entwicklung wurden die regierenden linken Sozialdemokraten in beiden Ländern abgelöst von einer neuen Schicht Konservativer, auf der einen Seite des großen Teichs Ronald Reagan, auf der anderen Margaret Thatcher. Beide läuteten eine neue Politik der außenpolitischen Stärke und von Milton Friedman inspirierten Wirtschaftskonzepte ein. Der Gleichklang führte zur Implosion der alten Nachkriegsordnung, neuer wirtschaftlicher Stärke und Prosperität und einem radikalen Umbau der Wirtschaftslandschaft.

    Nach einem kurzem Interregnum politisch schwacher Figuren folgen neue Sozialdemokraten mit enormem Charisma, welche das in beiden Ländern vorherrschende niedrige Abgabenniveau langsam anhoben und zusammen mit dem starken Wirtschaftswachstum die öffentlichen Haushalte sanierten. Sowohl Clinton als auch Tony Blair setzten dabei die Politik außenpolitischer Stärke fort.

    Es war die letzte Blütezeit beider Länder. Doch beide, weder Clinton noch Blair, wären ohne Reagan und Thatcher nicht denkbar gewesen. Gerade die Phase von 1980-2000 sicherte dem angelsächsischen Lebens- und Wirtschaftsmodell seine Dominanz bis heute.

    • Stefan Sasse 21. August 2017, 17:10

      Bitte beachte, dass meine Artikel die jüngere amerikanische Parteigeschichte nur unter dem Blickpunkt betrachten, woher der Rechtsschwenk der Republicans kommt und wie sich die Partei langsam zu dem entwickelt hat, was wir heute sehen. Die Pros und Contras der Reagan/Thatcher-Ära auf wirtschaftlichem Gebiet bleiben absolutes Randthema. Zu Clinton etc. komme ich natürlich noch.

  • Logos 21. August 2017, 11:08

    @ Stefan Pietsch 21. August 2017, 09:03
    Sowohl in den USA als auch Großbritannien vollzog sich ab 1980 das gleiche Schauspiel
    Was ein Neoliberaler als „Schauspiel“ glorifiziert, war in Wahrheit der beginnende gesellschaftliche Niedergang.

    geschlagen von einer lange dahindümpelnden wirtschaftlichen Entwicklung wurden die regierenden linken Sozialdemokraten in beiden Ländern abgelöst von einer neuen Schicht Konservativer
    Die US-„Demokraten“ sind keine Sozialdemokraten. Um es mit den Worten von Volker Pispers zu sagen:

    In den USA gibt es ein Einparteiensystem mir zwei rechten Flügeln.

    Bemerkung: nur weil der eine Flügel noch rechter ist als der andere ist letzterer noch lange nicht „sozialdemokratisch“ – und schon gar nicht links. Wer im Hinblick auf die USA dennoch das Gegenteil behauptet ist entweder inkompetent oder verlogen. „Ideologisch verblendet“ ist „inkompetent“ zuzuordnen.

    auf der einen Seite des großen Teichs Ronald Reagan, auf der anderen Margaret Thatcher.
    Beide hochverräterische Vollstrecker des asozialen Neoliberalismus, welcher als Umverteilungsideologie von unten nach oben die Gesellschaften in die Verarmung treibt. Thatcher hat es dermaßen schlimm getrieben (u.a. absichtlich Massenarbeitslosigkeit herbeigeführt ), dass nach ihrem Tod Menschen „The witch ist dead“ singend durch die Straßen tanzten.

    Beide läuteten eine neue Politik der außenpolitischen Stärke …
    Drohung und Kriege > Macht des Stärkeren > Sozialdarwinismus > Neoliberalismus
    … und von Milton Friedman inspirierten Wirtschaftskonzepte ein.
    „Inspiriert“. Das grenzt an Geschichtsklitterung. Neoliberalismus ist eine dienliche Ideologie, solange sie dazu führt, dass die ohnehin schon Stinkreichen sich an der verarmenden Gesellschaft weiter bereichern. Die USA sind doch de facto gar keine Demokratie mehr, sondern eine Oligarchie, wo die Stinkreichsten und Geldmächtigen das Sagen haben (ist hier nicht viel anders!) Wer noch so tut, als hätte dieser Klamauk irgend etwas mit Demokratie zu tun, der ist entweder himmelschreiend naiv, uninformiert und ahnungslos oder verlogen.

    Der Gleichklang führte zur Implosion der alten Nachkriegsordnung, neuer wirtschaftlicher Stärke und Prosperität …
    Neoliberale Lügenpropaganda! In Wahrheit führt das zur Verarmung der Gesellschaften. Trump ist indirekt eine Folge dieser üblen Entwicklung. Ebenso wie Marine LePenn. Nur die ohnehin schon Stinkreichen kam diese „neue[n] wirtschaftliche[n] Stärke und Prosperität“ zu gute
    … und einem radikalen Umbau der Wirtschaftslandschaft.
    Wenn damit die Abkehr und Erosion sozialer Errungenschaften gemeint ist, dann stimmt das. Nichts, worauf normale Menschen, die noch hinreichend Ehre und Anstand im Leib haben, stolz sein könnten. Nur asoziale, von Geldgier getriebene Egomanen.

    Gerade die Phase von 1980-2000 sicherte dem angelsächsischen Lebens- und Wirtschaftsmodell seine Dominanz bis heute.
    Dem Wirtschaftsmodell – nicht den Gesellschaften – wohlgemerkt. Wenn ich hier in Deutschland das Sagen hätte, würde ich dieses verfluchte neoliberale „Wirtschaftsmodell“ dermaßen an die Wand konkurrieren, dass Neoliberale vor Scham im Boden versinken müssten.

  • Rauschi 25. August 2017, 10:17

    Weiter geht’s im dritten Teil.

    Wann kommt der, ich warte schon gespannt?

    Gruss Rauschi

    • Stefan Sasse 25. August 2017, 13:51

      Gerade am Schreiben. Clinton ist fertig, Bush ist Präsident 🙂

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