Rezension: Mary Robinette Kowal – The Relentless Moon

Mary Robinette Kowal – The Relentless Moon (Hörbuch)

Nachdem der zweite Roman der „Lady Astronaut“-Reihe, „The Fated Sky„, mit der Ankunft der ersten Marsmission unter den schwierigen Umständen des Kommunikationsverlusts mit der Erde endete, könnte man erwarten, dass die Handlung chronologisch genauso wie zwischen „The Calculating Stars“ und „The Fated Sky“ weitergeht und uns am Schicksal von Elma York teilhaben lässt. Stattdessen wechselt Mary Robinette Kowal die Erzählperspektive und springt in der Chronologie zurück. Während die Marsmission unterwegs ist – deren aus „The Fated Sky“ bekannte Probleme hier nur in kurzen Nachrichteneinsprengseln und Meldungen auftauchen, auf die die Charaktere reagieren -, verfolgen wir stattdessen die Geschehnisse rund um die Mondkolonie aus den Augen von Nicole Wargin, einer engeren Bekannten Elmas aus den WASP-Tagen und Ehefrau des Gouverneurs von Kansas (und wahrscheinlichen Präsidentschaftskandidaten der Democrats). Der Roman, fast doppelt so lang wie seine beiden Vorgänger, überrascht daher bereits beim Setting.

Im Mittelpunkt der Handlung steht Nicole Wargin, eine erfahrene Astronautin und Ehefrau des Gouverneurs von Kansas, Kenneth Wargin. Nicole nimmt an der Mondmission teil, während ihr Mann sich auf der Erde mit politischen Aufgaben auseinandersetzt. Zu Beginn des Romans wird die gesellschaftliche und politische Lage auf der Erde geschildert: Die sogenannte „Earth First“-Bewegung protestiert gegen die Raumfahrtmissionen und fordert, dass die Ressourcen auf der Erde genutzt werden, um die Folgen des Meteoriteneinschlags zu bekämpfen. Diese Dynamik ist bereits aus „The Fated Sky“ bekannt und nimmt innerhalb der Handung vergleichsweise wenig Raum ein. Stattdessen tritt die Politik in den Vordergrund: als Politikerehefrau der 1960er Jahre ist Nicole sehr viel sensibler für Öffentlichkeitswirkung und politische Dynamiken als das bei Elma der Fall war, die immer wieder davon überrascht wurde.

Nicole reist zusammen mit anderen Astronauten zum Mond, um beim Aufbau der Mondbasis zu helfen. Dabei zeigt sich bereits, dass die Entsendung von immer mehr Kolonist*innen – über 350 leben bereits zeitweise auf der Mondbasis – zu einer größeren Spezialisierung führt und der niedrige Trainingsstand vieler Kolonist*innen zunehmend zu einem Problem wird. Nicole darf auch auf dieser vermutlich letzten Mission ihrer Karriere aus sexistischen Gründen nicht Pilotin oder Copilotin der Mission sein; ein wesentlich unerfahrener Mann wird vorgezogen. Bereits bei Landung erweist sich das als Problem: das Raumschiff crasht beinahe, und nur die Professionalität aller Beteiligten kann Schlimmeres verhindern. Nicole bricht sich bei der Landung allerdings den Arm, eine Behinderung, die sie die komplette Handlung plagen wird.

Auf der Mondstation müssen die Astronauten nicht nur technische Probleme bewältigen, sondern auch eine Serie von Sabotageakten, die die Sicherheit der Besatzung gefährden. Es kommt zu lebensbedrohlichen Zwischenfällen, darunter die Manipulation von Sauerstoffvorräten und Wasserversorgungssystemen. Die Sabotage wird mit großer Wahrscheinlichkeit der „Earth First“-Bewegung zugeschrieben, was die Situation weiter eskaliert. Nicole und die anderen Astronauten müssen herausfinden, wer für die Sabotage verantwortlich ist, um die Basis und ihre Mission zu schützen.

Während Nicole versucht, die Sabotageakte aufzuklären, kämpft sie auch mit persönlichen Problemen. Sie leidet unter einer Essstörung und Angstzuständen, die sie während der Mission stark belasten. Dennoch setzt sie ihre Arbeit fort und übernimmt immer wieder Verantwortung für das Wohl der Crew. Ihre psychische Verfassung wird im Verlauf der Geschichte immer mehr belastet, besonders durch die isolierte Umgebung auf dem Mond und die ständige Gefahr durch die Sabotageakte.

Währenddessen verschärfen sich die politischen Spannungen auf der Erde weiter. Kenneth Wargin, der Gouverneur von Kansas, spielt eine Schlüsselrolle in der politischen Landschaft, was Nicole zusätzlich unter Druck setzt. Es kommt zu politischen Intrigen und Spannungen zwischen verschiedenen Fraktionen auf der Erde, die die Mondmission zu untergraben drohen. Diese gipfeln in der Ermordung Kenneths, die Nicole in eine tiefe Depression stürzen. Der Versuch, einerseits um ihren Ehemann zu trauern und gleichzeitig eine Fassade für die Außenwelt aufrechtzuerhalten, um die Saboteure zu finden, belastet sie bis weit über ihre Grenzen hinaus.

Zur gleichen Zeit auf dem Mond spitzen sich die Sabotagevorfälle zu. Es wird immer klarer, dass jemand aus der Crew oder jemand, der Zugang zur Basis hat, absichtlich die Mission sabotiert. Nicole und ihre Kollegen müssen herausfinden, wer hinter den Angriffen steckt, um die Sicherheit der Station zu gewährleisten. Die Situation wird zunehmend gefährlicher, und die Crew ist gezwungen, unter extremem Druck zu arbeiten, um die Schäden zu beheben und weitere Sabotageakte zu verhindern. Gleichzeitig können sie nicht sicher sein, wer unter den Kolonist*innen zu den Saboteuren gehört. Die Frage, wem man vertrauen kann, wird daher immer drängender. Dass zeitgleich eine Polio-Epidemie ausbricht und zahlreiche Kolonist*innen handlungsunfähig macht, ist nur noch die Kirsche auf der Torte.

Im weiteren Verlauf des Romans häufen sich die Bedrohungen auf der Mondbasis, und die Astronauten stehen vor immer größeren Herausforderungen. Nicole steht im Mittelpunkt der Bemühungen, die Sabotage aufzudecken, während die Saboteure immer skrupelloser werden. Es kommt zu physischen Angriffen auf Mitglieder der Crew, was die Situation zusätzlich verschärft. Nicole zeigt dabei starke Führungsqualitäten, auch wenn sie innerlich mit ihren eigenen Dämonen kämpft.

Die Auflösung des Konflikts findet in einer dramatischen Konfrontation statt, bei der es Nicole gelingt, die Identität der Saboteure zu enttarnen. Die Gefahr für die Mondbasis wird schließlich abgewendet, und Nicole und ihre Kollegen können die Kontrolle über die Mission zurückgewinnen. Die Saboteure werden gefasst, und die Mission kann fortgesetzt werden, auch wenn die Ereignisse schwere Schäden sowohl an der Ausrüstung als auch am Vertrauen der Crew hinterlassen haben.

Am Ende des Romans kehrt Nicole zur Erde zurück, wo sie sich sowohl mit den politischen Entwicklungen als auch mit ihren persönlichen Herausforderungen auseinandersetzen muss. Die Bedrohung durch die „Earth First“-Bewegung bleibt bestehen, und die politischen Spannungen zwischen den Fraktionen, die für die Raumfahrt sind, und denen, die sie stoppen wollen, verschärfen sich weiter. Nicole bleibt jedoch entschlossen, ihren Beitrag zur Raumfahrt zu leisten und weiterhin für die Zukunft der Menschheit im Weltraum zu kämpfen. Der Epilog deutet an, dass sie die erste weibliche Präsidentin der USA wird.

Die strukturelle Entscheidung Kowals, ihre Protagonistin zu wechseln, ist eine ziemlich mutige. Zwar wurde Nicole Wargin immer wieder erwähnt und tauchte als Nebenfigur auf, war aber kaum soweit entwickelt, dass die Lesenden allzu große Verbundenheit zu ihr gespürt haben dürften. Die relative Unwichtigkeit des Mondprojekts im Vergleich zur Marsmission, die durch die Perspektive Elma Yorks vorgegeben war, ist ebenfalls nicht eben ein Slam Dunk in Richtung Publikumsbegeisterung. Umso erstaunlicher ist, dass Kowal derselbe Trick – ein Wechsel in der erwarteten Thematik – so gut gelingt. Innerhalb kürzester Zeit fühlen wir uns Nicole genauso vertraut wie vorher mit Elma und übernehmen auch die Nebenfiguren in unser Herz. Auch diese sind grundsätzlich aus den beiden Vorgängerromanen namentlich bekannt, erhalten hier aber wesentlich mehr Bedeutung und Profil, weil sie entweder aus Nicoles persönlichem Umfeld kommen oder wegen der Mission hineingeraten.

Dazu kommt eine zweite, nicht minder mutige strukturelle Entscheidung. In beiden Vorgängerromanen wechselte Kowal auch das Genre. Im dritten Roman der Reihe befinden wir uns plötzlich mitten in einer Mischung aus Politthriller und Spionagethriller (vor allem Letzteres). Die Kombination des Spionagegenres mit den Bedingungen der Mondkolonie Anfang der 1960er Jahre ist eine ungemein reizvolle. Kowal lässt nie einen Zweifel daran, wie tödlich das Weltall ist, und unter diesen Bedingungen stellt bereits das Alltagsgeschehen gewaltige Herausforderungen bereit. Kowal hält sich mit weiteren Bedrohungen nicht zurück: ein Unfall bei der Landung, die Polio-Epidemie und der Ausfall der Kommunikation mit der Erde sind alles externe Ereignisse, die gar nicht direkt mit dem Saboteur auf der Mondbasis selbst zu tun haben.

Kowal hält den Spannungsbogen zu der Frage, ob überhaupt ein Saboteur existiert oder es sich „nur“ um eine Verkettung von Katastrophen handelt, meisterlich bis fast zum Ende offen. Gleiches gilt für die Frage, für welche der Zwischenfälle der Saboteur überhaupt verantwortlich ist und welche einfach nur Pech sind. Die Paranoia Nicoles und ihrer Verbündeten (und bald der ganzen Basis) ist ansteckend und greift auch auch auf die Lesenden über, die nie sicher sein können, ob sie „nur“ wie in den ersten beiden Romanen einer Reihe von nervenzerreißenden Gefahren ausgesetzt sind oder es tatsächlich einen Antagonisten gibt.

Die gesamte Handlung profitiert auch weiterhin von Kowals scharfem Blick auf die Epoche und dem Verzicht auf typische Genreklischees. So spielt die Handlung zwar in einem alternativen 1963, aber sie wiedersteht der Versuchung, irgendwo einen Kennedy, Nixon oder Eisenhower auftauchen zu lassen. Stattdessen basiert die Handlung in einer neuen Zeitlinie auch auf neuen Personen, so wie sich das gehört. Obwohl wir Nicoles Ehemann Kenneth – wie Nate York aus den ersten beiden Romanen ein mustergültiger Ehemann mit starken Josiah-Bartlett-Vibes – nur sehr indirekt über ihre Botschaften zur Erde begleiten, ist auch er eine starke Präsenz und sein Tod trifft nicht nur Nicole, sondern auch uns als Lesende wie einen Schlag in die Magengrube.

Fast sogar noch mehr als mit Elma gelingt es Kowal, Nicoles Innenleben begreifbar und nachvollziehbar zu machen. Nicoles Essstörung – sie leidet unter akuter Magersucht – und ihre spätere Depression mit all ihren psychischen Begleiterscheinungen werden einerseits meisterlich mit bestehenden Diskriminierungen verbunden (wie auch die Realitäten, denen sich die Nicht-Weißen Charaktere ausgesetzt sehen), andererseits durch ihre permanente Wiederholung und ihr Rücken in den Vordergrund nicht etwa abgestumpft, sondern überhaupt erst real. Die psychischen Probleme der Charaktere sind keine simplen Plotvehikel, sondern reale Teile dieser Personen, die permanent in ihrem Bewusstsein vorhanden sind. Wir spüren Nicoles Genervtheit über die Ermahnungen zu essen genauso wie sie, obwohl wir es – wie sie – besser wissen müssten. Und so können wir – wie sie – überrascht sein, wenn sie dann plötzlich einen Schwächeanfall erleidet, der die Bewältigung selbst simpler Hindernisse und Bedrohungen plötzlich in lebensbedrohliche Gefahren verwandelt.

Kowals Blick für die technischen Details der Weltraumumgebung, für die psychische Struktur ihrer Charaktere und die gesellschaftlichen Bedingungen der Zeit vereinigen sich zu einem faszinierenden, hochgradig spannenden Roman, dem nur eine unbedingte Empfehlung ausgesprochen werden kann.

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