Anmerkung: Dies ist einer in einer monatlichen Serie von Posts, in denen ich die Bücher und Zeitschriften bespreche, die ich in diesem Monat gelesen habe. Darüber hinaus höre ich eine Menge Podcasts, die ich hier zentral bespreche, und lese viele Artikel, die ich ausschnittsweise im Vermischten kommentiere. Ich erhebe weder Anspruch auf vollständige Inhaltsangaben noch darauf, vollwertige Rezensionen zu schreiben, sondern lege Schwerpunkte nach eigenem Gutdünken. Wenn bei einem Titel sowohl die englische als auch die deutsche Version angegeben sind, habe ich die jeweils erstgenannte gelesen und beziehe mich darauf. In vielen Fällen wurden die Bücher als Hörbücher konsumiert; dies ist nicht extra vermerkt.
Diesen Monat in Büchern: Die Bahn, Twilight Imperium
Außerdem diesen Monat in Zeitschriften: Generationen, Finanzwirtschaft
BÜCHER
Thomas Wüpper – Betriebsstörung
Es gibt wenige deutsche Institutionen, die sich einer ähnlichen Beliebtheit und eines guten Rufs erfreuen wie die Deutsche Bahn. Das ist wenig überraschend, wie auch Thomas Wüpper in seiner anfänglichen Bestandsaufnahme zeigt. Hohe Preise, schlechte Abdeckung, miese Infrastruktur, verrottende Bahnhöfe, ausfallende Züge, Verspätungen ohne Ende – die alle sind Bahnkund*innen nur zu geläufig. Die vollmundigen Ankündigungen des einen oder anderen Bahn-Chefs, dieses Problem zu lösen, sind Legion.
Doch politische Interventionen und strukturelle Fehlentwicklungen haben dem bislang noch jedes Mal einen Strich durch die Rechnung gemacht. Hochgeschwindigkeitsstrecken halten in Provinzkäffern, weil anders die nötigen Stimmen im Bundestag nicht zu bekommen wären; der Ausbau neuer Strecken fällt einem Milliarden-Loch ohne Boden ohne Sinn und Verstand namens Stuttgart21 zum Opfer; der gesetzliche Auftrag der Bahn, dem sie ihre rechtlichen Privilegien verdankt, wird durch eine hybrisbeladene internationale Expansionsstrategie konterkariert.
Die größte Fehlentscheidung aber sieht Wüpper in der Grundsatzreform von 1994, als die DB zur DB AG wurde. Das Netz nämlich blieb in den Händen des Staatskonzerns, der gleichzeitig Gewinne erwirtschaften und an die Staatskasse abführen sollte. Dies sorgte dafür, dass der Konzern effektiv privatwirtschaftlichen Wettbewerb behindern konnte. Gleichzeitig stehen sich die vorgegebenen Zielsetzungen von Versorgung in der Fläche und Profitorientierung völlig unvereinbar gegenüber, ohne dass dieser Zielkonflikt je aufgelöst worden wäre.
Das größte Desaster aber war sicherlich die Zeit unter Hartmut Mehdorn, der die Bahn privatisieren sollte. Sein Kurs war ein Raubbau an der Infrastruktur, ein Brain-Drain ohnesgleichen, während die Bahn gleichzeitig gewaltige Schulden aufnahm, um auf der ganzen Welt ein Imperium an Logistikkonzernen zu kaufen – die der Bahn auf der Straße Konkurrenz machten und so weitere Zielkonflikte in das System backten. Glücklicherweise konnte dieses Desaster knapp verhindert werden (der SPD sei am Ende doch noch dank).
Wie Wüpper auch in seinen Lösungsvorschlägen für das Dilemma aufzeigt, ist das Problem nicht grundsätzlich eine privatwirtschaftliche Orientierung der DB, sondern die angesprochene Interessenverflechtung. Würde der Erhalt und Betrieb des Netzes sauber vom Konzern getrennt, könnte dieser grundsätzlich privatisiert werden – und könnte Konkurrenz zugelassen werden. Oder aber man macht eine vernünftige Staatsbahn, die bewusst subventioniert und defizitär arbeitet, dafür aber eben den Auftrag hat, in der Fläche Verbindungen anzubieten. Der aktuelle Murks aber ist genau das – Murks.
Tim Pratt – The Fractured Void
Ich habe an diversen Stellen meine Liebe für das beste Brettspiel aller Zeiten, Twilight Imperium, dokumentiert. Das Science-Fiction-Strategiespiel hat einen vergleichsweise detaillierten und spannenden Hintergrund, der auch einige Episoden meines Podcasts beschäftigt hat. Das war Grund genug für den Autoren Tim Pratt, sich des Stoffs anzunehmen und den ersten in einer Reihe geplanter Romane im Setting zu schreiben. Als Fanboy des TI-Universums musste ich natürlich zugreifen. Die Chance, eine Geschichte darin zu lesen, war zu schön.
Das Buch stellte sich denn auch als unterhaltsam genug heraus, um gelesen zu werden. In Kurzform: Ein Wissenschaftler glaubt, kurz vor dem Durchbruch zur Herstellung künstlicher Wurmlöcher zu sein. Ein Piratenschiff bekommt ihn in die Hände und will über eine Reihe von Geheimoperationen die notwendigen Bedingungen für einen erfolgreichen Test zusammenstehlen, verfolgt von den Agenteninnen mindestens zweier mächtiger Fraktionen.
Leider ist das Buch selbst nicht besonders gut geschrieben. Es ist handwerklich sauber – die Handlung ist solide, die Charaktere deutlich voneinander unterscheidbar und ausgebildet, die Dialoge halbwegs unterhaltsam. Aber da endet der positive Teil dann auch.
Sowohl die Charaktere als auch der Plot sind ungemein stereotyp gestrickt. Jede Figur hat eine klare Charaktereigenschaft, jeder Ort ebenfalls, und es passiert immer ein Ding zur gleichen Zeit. Darin unterscheidet sich „The Fractured Void“ sicherlich nicht von 98% der anderen Belletristik, aber wer die komplexeren Geschichten eines George R. R. Martin gewohnt ist, wird hier sicherlich unbefriedigt zurückbleiben.
Ein weiterer Minuspunkt für mich ist die ungemein platte und klischeebeladene badassery der Charaktere. Viele Dialoge sind im Endeffekt ein Sprechen in One-Linern, ein Abhaken von Tough-Guy– und Tough-Gal-Klischees. Am schlimmsten ist das bei den beiden Antagonistinnen, die die Piratencrew jagen. Es sind professionelle Killerinnen, und beide sind lesbisch. Solcherlei Stereotype durchziehen das Werk leider.
Ähnlich dem Star-Wars-Universum werden allen Alienrassen außer den Menschen auch irgendwelche Eigenschaften zugeschrieben. Zu einem gewissen Teil ist das natürlich ein Erbe der Brettspielvorlage, aber es limitiert gleichzeitig auch das Geschichtenerzählen.
ZEITSCHRIFTEN
Aus Politik und Zeitgeschichte – Generationen
Der Generationenbegriff ist, um es milde auszudrücken, umstritten. Das Schlagwort von „die junge Generation“ ist so abgenutzt, dass es praktisch bedeutungslos geworden ist, eine reine Worthülse. Aber auch die „nachfolgenden Generationen“, für die man angeblich Politik mache, sind ein solch feststehender Begriff. Gleichzeitig werden bestimmte Generationen gerne mit Attributen aufgeladen, die sie meistens nicht verdient haben (man denke nur an die „Greatest Generation“ in den USA). Und je näher man sich entsprechende Zuschreibungen ansieht, umso schneller zerfallen sie unter dem prüfenden Auge.
Das vorliegende Heft versucht sich glücklicherweise daran, den Generationenbegriff etwas wissenschaftlicher zu fassen und eine soziologische Herangehensweise zu pflegen.
Dabei wird etwa aufgezeigt, wie problematisch schon die ganze Herkunft des Generationenbegriffs ist: als eine Selbstzuschreibung jener, die im Ersten Weltkrieg die Fronterfahrung teilen, was ein ungeheuer ausgrenzender Begriff von „Generation“ ist, hat er doch einen rein männlichen Blick und nimmt nur eine schmale Altersgruppe hinein. Aber damit haben wir auch gleich die erste Politisierung des Generationenbegriffs, und das bessert sich mit den zukünftigen Zuschreibungen nicht sonderlich. Man denke nur mal an die 68er, in die sowohl Otto Schily, Joschka Fischer und Horst Mahler als auch Roland Koch und Erwin Huber fallen – ein etwas großes Zelt, um Sinnvolles auszudrücken; ausgrenzend, nimmt man nur die Protestbewegung in Blick.
Korrekt weist ein Beitrag im Heft daher auch darauf hin, dass der Generationenbegriff vor allem der Erinnerungskultur dient. Ebenfalls interessant in diesem Kontext ist sicherlich die Verschränkung mit dem Familienbegriff, denn die zunehmende Konzentration auf die Kernfamilie sorgte für einen Wandel inter-generationellen Zusammenlebens. Diese Überlegungen im Heft lassen mich zugegebenermaßen zweifeln, wie sinnvoll die Begrifflichkeit jenseits ihres politischen Werts überhaupt ist.
Ein dickes Informationsheft zur Funktionsweise der Finanzwirtschaft klingt grundsätzlich spannend. Aber dieser Band hat mich bereits auf den ersten Seiten zutiefst enttäuscht, denn er reiht ein abgedroschenes VWL-Klischee an das nächste, das längst durch die Forschung widerlegt ist (wenngleich es sich in den nutzlosen „Modellen“ immer noch in die Lehrbücher zu schleichen scheint). Glücklicherweise findet gerade zu diesen Themen gerade innerhalb der Disziplin eine kritische Debatte statt. Die Macher*innen dieses Heftes sind da allerdings noch nicht angekommen.
Nur ein Beispiel für das, was ich meine: Zum Ursprung des Geldes wird die gleiche längst widerlegte Behauptung aufgetischt, dass das Geld als Produkt des Tauschhandels entstand. Es geht entlang der typischen Beispiele: Wenn ich Waschmaschinen herstelle und du Schuhe, dann ist das Tauschen schwierig, deswegen wurde das Geld erfunden. Das ist ein solcher Quatsch, dass das in einer solchen Publikation immer noch steht zeigt, an welchen Problemen die VWL krankt.
Finanzwirtschaft: Kauf ich mir mal, aus Neugierde, was dich so triggern könnte.
Das Ziel solcher Publikationen sollte ja wohl sein, dass die Leute eine gewisse Offenheit gerade auch für ihre persönliche Finanzakkumulation erlangen.
Das hat bei mir in den Jahren, seit ich ein bisschen was über hab, trotz kostspieligen sozialen Engagement besser als erwartet geklappt und mein ganzes Denken bassiert da auf Modellen, die im Grunde auf der volkswirtschaftlichen Neoklassik basieren.
Ein paar wenigen Ideen:
– Risikostreuung, Gier ist dumm und gefährlich
– klares Bewußtsein über die Ziele ->langfristiger Horizont, Absicherung
– Kostenbewußtsein ->selber machen und das so einfach wie möglich, wenig Transaktionen, Steuern mitrechnen
Die beiden bwl-diplomierten aus der Familie (Vater und Schwester) haben an einigen Stellen wie ich finde weniger ernsthaft nachgedacht und haben sich nicht in all ihren Entscheidungen aber in einigen zu fremdgesteuerten Zockertum bzw übermässigen Sicherheitsdenken verleiten lassen.
Der Kollegenkreis freiberuflicher IT-Experten lebt seit 30 Jahren mit einer kurzen Pause von 18 Monaten (um 2004/5) in einem ihnen sehr günstigen Markt und nicht wenige haben was persönlichen Finanzen und v.a. Absicherung betrifft eine Art Höhlenmenschen ähnliche Ignoranz entwickelt, wobei diese Aussage vermutlich eine Beleidigung für unsere Vorfahren der Steinzeit darstellt.
Natürlich sind die Modelle im Verhältnisse zur Realität nicht wahr, aber ich schätze sie bis auf weiteres als persönlich wertvolle Entscheidungshilfen.
Ist kostenlos ^^ Musst nicht mal kaufen. Und ja zum Ziel. Ich finde diesen Band nur schrecklich.
Ich hätte auch einen Buch-Vorschlag aus dem Bereich meines Spezialthemas.
Das aus meiner Sicht außergewöhnlich gute Buch ist a) auf Englisch und b) eine Neuerscheinung.
Will Grant, Populista. : The Rise of Latin America’s 21st Century Strongman
Der Autor arbeitet seit über 20 Jahren im Rahmen der BBC in der Region. In seinem Buch geht es um die Regierungen des sogenannten „Pink Tide Phänomens“.
Die Durchsetzung neoliberaler Überzeugungen in Folge des Putsches in Chile und der Verschuldungskrise der 80er erwies sich in vielen Ländern der Region nicht als dauerhaft. Die zunächst erfolgversprechend wirkenden Liberalisierungsbemühungen mündeten erstmals in Folge der Asienkrise 1998 und auch später in unerwartete Turbulenzen.
Plötzlich erzielten im weitesten Sinne links-inspirierte Politiker so vorher unerwartete Erfolge in Wahlen. Für dieses Phänomen erfanden Publizisten im englischsprachigen Bereich den Begriff „pink tide“. Unter den Begriff werden übrigens auch die Dauer-Machthaber auf Kuba und in Nicaragua gefaßt.
Die sich weniger hart an die Macht klammernden Politiker der Pink Tide wurden alle irgendwann abgewählt. Das Buch behandelt sozusagen Aufstieg und eventuell zeitweiliger Niedergang der Pink Tide.
In nicht kurzen Länderkapiteln analysiert Grant die Entwicklungen in Venezuela, Brasilien, Bolivien, Ecuador, Nicaragua und auf Kuba. Das Buch verlangt kein Vorwissen. Wo ihm dies nötig erscheint, beleuchtet er längere historische Entwicklungen. Die strikte Trennung nach Ländern halte ich für sehr sinnvoll, weil die halt eben sehr unterschiedlich sind.
Gerne hätte ich noch Kapitel zu Argentinien und Uruguay gesehen, wobei die Entwicklung dort noch einmal ganz eigene Wege einschlug und dies vermutlich die 500 Seiten noch deutlich weiter aufgebläht hätte.
Grant schreibt aus einer eher linksliberalen Perspektive. Seine nachvollziehbare Sympathie zu einer Person wie Lula da Silva versucht er erst gar nicht zu verbergen. Trotzdem fehlt es auch dort nicht an Kritik, wie es von einem ‚Aufstieg und Niedergang‘ Buch nicht anders zu erwarten ist.
Populismus scheint auch in Europa und Nord-Amerika auf dem Vormarsch zu sein. Deshalb sei auch dieses Buch jenen empfohlen, die einfach mal einen Blick auf eine Region werfen wollen, die in Sachen Populismus kein Neu- Wiedereinsteiger ist, sondern für die letzten 100 oder vielleicht sogar 200 Jahre sozusagen stetige „weltmarktführerschaft“ beanspruchen kann.
Bisher hab ich nur das Venezuela und Brasilien Kapitel durch, aber ich vertraue inzwischen sehr, dass Will Grant weiss was er tut.
falsch einsortiert.
Danke, habs mir mal notiert!
Nur ein Beispiel für das, was ich meine: Zum Ursprung des Geldes wird die gleiche längst widerlegte Behauptung aufgetischt, dass das Geld als Produkt des Tauschhandels entstand. Es geht entlang der typischen Beispiele: Wenn ich Waschmaschinen herstelle und du Schuhe, dann ist das Tauschen schwierig, deswegen wurde das Geld erfunden. Das ist ein solcher Quatsch, dass das in einer solchen Publikation immer noch steht zeigt, an welchen Problemen die VWL krankt.
So würde ich das nicht sagen. Wenn man sich auf das tolle Buch von Graeber bezieht, sagt er ja nur, dass es Ressourcen-Austauschsysteme auf Basis des Schuldprinzips vor dem Handel gab und diese stets wichtiger waren als die reine Tauschwirtschaft, die es als Reinform wahrscheinlich nie gab. Wenn man aber den Tauschhandel als schuld- und gewaltfreien Austausch versteht, das sich auf ein gemeinsame Wertbestimmung festlegt, fügt es dem Geld eine Eigenschaft hinzu, die es als reines Schuldenverwaltungskonzept oder einer Schlichtung eines Ressourcenkampfes nicht bräuchte. Ich sehe es vielmehr so, dass die Entstehung des Geldes weitaus komplexer ist, als die vorherrschende Lehrmeinung, aber Tauschhandel hatte einen zentralen Einfluss auf die Entwicklung des Geldes (als Wertbestimmungsmaßstab) und es ist daher nicht so ganz falsch.
Richtig, aber die Reihenfolge ist falsch. Ich stelle ja überhaupt nur Waschmaschinen her, weil es Geld gibt, nicht umgekehrt.
Ich denke, so einfach ist es nicht. Es geht ja um die Verteilung von Gütern, die über eine reine Subsistenzwirtschaft hinaus gehen. Dazu gab es bereits vor dem Geld einen Anreiz: Man stellt sie der Gemeinschaft zur Verfügung. Man bekam kein Geld, aber Status, das auch heute noch ein Tauschgut ist. Geld ist für eine Überproduktion daher nicht notwendig. Das, was sich mit Geld ändert, ist, dass man auch außerhalb seiner eigenen Gemeinschaft handeln kann. Daher kommt der Anreiz für eine massive Überproduktion.
Es gibt einen Unterschied zwischen dem Zur-Verfügung-Stellen eines Überschusses, den du selbst ohnehin weder verbrauchen noch aufbewahren kannst, und dem Produzieren von Handelswaren. Eine Krankheit der VWL ist es, ständig Beispiele aus der Subsistenzwirtschaft für Handelswirtschaften zu verwenden. Das ist meine Kritik.
Ja, klar. Bei Produktion und Handel muss das Finanzsystem berücksichtigt werden. Die neoklassische VWL kennt allerdings nur eine kastrierte Sichtweise:
https://de.wikipedia.org/wiki/Neutralit%C3%A4t_des_Geldes
Durch diese angebliche Neutralität des Geldes, nimmt man zentrale Aspekte des modernen Wirtschaftens aus der Gleichung und landet bei Theorien, die eine etwas bessere Subsistenzwirtschaft beschreiben. Das hat aber mit der heutigen Wirtschaft wirklich nichts mehr zu tun.
Spezialisierung hat aber weitaus existentiellere Anreize als Status-Gewinn, weil man etwas einer Gemeinschaft bereitstellt.
Der aus den Asterix Bänden bekannte Fischhändler „Verleihnix“ hatte ja bestimmt keine Lust, jeden Tag Fisch zu essen. Er bekam für seinen Fisch Geld und konnte es bei Obelix gegen Wildschwein oder beim Schmied „Automatix“ gegen eine Runde Messer schärfen eintauschen, auch wenn die an diesem Tag gerade keinen Appetit auf Fisch hatten.
Geld besitzt natürlich noch die Eigenschaft, dass es nicht vergammelt. So wird intertemporaler Handel möglich. Verleihnix hatte so die Option, die Fisch-Verkäufe eines ganzen Monats an unterschiedliche Käufer gegen ein neues Fischmesser von Automatix einzutauschen.
Vor allem konnten sie nach ihren Abenteuern alles zusammen legen und ein großes Gelage feiern, damals gab es ja noch kein Corona …
Geld kann schon vergammeln, das heißt dann Inflation 😉 Aber man sieht, Geld ist nur ein Tauschobjekt. Wenn man versteht, das man Schuld – ist ja nur ein valides oder manchmal gammeliges Zahlungsversprechen – auch Tauschen kann, versteht man die Verbindung zwischen Schuld, Tauschen und Geld.
Verleihnix kann zu Ichkannnix sagen: Ich kaufe dein Fischernetz und bezahle dich mit den Fischen, die ich damit erst noch fangen werde. Das wäre vergleichbar mit einem Kredit, dessen Risiko vom Fischfang abhängig ist.
Der Zusammenhang zwischen Tauschen und Schuld ist der Schlüssel zum Verständnis unseres Geldsystems. Die Neoklassik hat ihn nicht gefunden.
@ Marc:
[Zum Ursprung des Geldes wird die gleiche längst widerlegte Behauptung aufgetischt, dass das Geld als Produkt des Tauschhandels entstand. ]
Ich bin da bei Stefan
Es geht ja um die Verteilung von Gütern, die über eine reine Subsistenzwirtschaft hinaus gehen.
>i>Dazu gab es bereits vor dem Geld einen Anreiz: Man stellt sie der Gemeinschaft zur Verfügung. Man bekam kein Geld, aber Status, das auch heute noch ein Tauschgut ist.
Zu den Zeiten, als Geld entstand, gab es so etwas praktisch nicht.
Selbst wenn wir heute in derart anderen Gesellschaftsformen leben, dass wir uns die Welt vor dem Geld nicht oder nur ansatzweise vorstellen können, so weiß man doch, dass die gesellschaftlichen Einheiten deutlich kleiner und gemeinschaftlicher organisert waren. Es gab keinen „Schuster“, der ein Paar Stiefel beim „Tischler“ gegen einen Tisch getauscht hat, sondern jeder hat sich im Großen und Ganzen selbst mit Nahrung, Kleidung und Möbeln etc. versorgt. Überproduktion gab es in den kleinteiligen Gemeinschaften der damaligen Zeit entweder gar nicht, oder war das Ziel in Abhängigen- / Leibeigenen- / Sklaven-Gesellschaften (wie etwa im alten Ägypten).
Geld wurde (vermutlich!) nur für die Bevvölkerungsgruppe erfunden, die nichts anbauen konnten, die nicht in der Lage waren, sich selbst zu versorgen, die aber aus Regierungssicht unverzichtbar war – Soldaten. Und die Bauern und Dörfler wurden gezwungen, die ersten Formen von Geld zu akzeptieren, damit sich die Soldaten überhaupt versorgen konnten, ohne die eigene Bevölkerung zu plündern.
Geld entsteht durch Steuern. Der Staat verlangt ein bestimmtes Zahlungsmittel. Und das wird dann Geld. Und weil jeder es braucht, entsteht automatisch eine riesige Nachfrage.
Geld wird dezentral durch Kreditgewährung der Geschäftsbanken geschöpft. MMT ist da echter Humbug. Wie sollte der Euro funktionieren? Es gibt keine Euro-Steuer.
Mir wäre neu, dass du deine Steuern in DMark zahlst.
Geld funktioniert auch in failed states. MMT ist Humbug.
Es könnte Sinn machen, zwischen „Zahlungsmittel“ und „Geld“ zu unterscheiden.
Letzteres ist ist durch obrigkeitliche Maßnahmen – um das mal ganz allgemein auszudrücken – autorisiert. Spontane Zahlungsmittel ohne diese Eigenschaft funktionieren so wie Anarchie funktioniert – also eher nur sporadisch und sehr temporär^ .
Besser zwischen Währung und Geld. Ein Zahlungsmittel könnte z.B. Facebook emittieren und es würde ohne Steuern funktionieren. Ob man es dann als Währung definiert, wäre Ansichtssache. Ich würde es aber auf staatliche Akteure begrenzen.
Aber Geld funktioniert auch auf privater Basis (Facebook & Co ) und benötigt keine Steuern zum Funktionieren, auch eine Fiat-Währung nicht.
Ich bin jetzt kein Altertumsexperte, aber Berufe und das heißt Arbeitsteilung entstand in Mesopotanien im 3. Jahrtausend vor Christus, also sehr früh. Erst mit Arbeitsteilung machen Städte Sinn. Die ersten Hochkulturen waren ja Stadtkulturen.
Und Arbeitsteilung steigert den Nutzen von Geld immens.
Richtig. Und Städte haben Bürokratien. Und die ziehen Steuern ein.
Ich sollte mal so ein MMT Buch lesen, damit ich verstehe worum es hier eigentlich geht.
Mein Verdacht ist ein bisschen: Been there, done that.
Die Schwäche von Makrotheorien wie MMT und btw. auch Neoliberalismus besteht darin, dass die Überzeugten irgendwann dazu neigen, in allem Hinweise auf die Bestätigung „ihrer“ Theorien zu sehen. Ich war mal ziemlich neoliberalismus-gläubig, meine also zu wissen, worüber ich rede.
In Mesopotanien gab es Berufe. Damit haben wir Leute, die eben nicht mit ein paar Sklaven eine Art embellished Subsistenz-Wirtschaft in ihrem Oikos betrieben, sondern halt solche, die genau wie ich zum Überleben auf Tausch und ein geeignetes Wertaufbewahrungsmittel extrem angewiesen waren. Es gab *auch* Bürokratie, die sich natürlich auch finanzieren musste.
Ich schleich ständig um Keltons Buch rum, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich lesen sollte. Ich halte meine aktuelle Positionierung zu MMT für ausreichend 🙂
Zitat Lemmy
„Ich sollte mal so ein MMT Buch lesen, damit ich verstehe worum es hier eigentlich geht.“
Wenn ich mir eine Empfehlung erlauben darf:
https://visuallibrary.net/ihd/content/pageview/138734
Der MMT-Urgroßvater (Schwiegervater von Bundespräsident Heuss), also so ne Art MMT-Marx, von dem auch der Begriff „Chartalismus“ stammt. Der Marotte, komische und ungebräuchliche Begriffe zu erfinden, folgt er im Buch reichlich, ansonsten lesenswert.
Zustimmung zu deinem zweiten Absatz. Das ist das traurige Schicksal jedes Glaubens, jeder Ideologie 🙂 Gelegentlich muss der Graben zwischen Sollen und Sein noch zugeschüttet werden^.
Und klar: Mit der Arbeitsteilung hat der ganze Schlamassel angefangen. Wo Arbeitsteilung ist sind Schulden (man schuldet sich jeweils Teile des „Sozialproduktes“) und wo Schulden sind sind Zahlungsmittel unumgänglich, die Obrigkeit wiederum hält die Hand drüber, denn wo Schulden sind wächst das Bedürfnis nach einem Richter, also jemand da oben, der einheitliche Maßstäbe kreiert – und sich dabei selbst bereichert, sodann hat man „chartalistisches“ Geld. Is doch ganz einfach^^.
Mit der Arbeitsteilung hat der ganze Schlamassel angefangen.
Da alles mit familiären Strukturen angefangen hat und innerhalb familiärer Strukturen schon immer Arbeitsteilung herrschte, sind Schuld und Arbeitsteilung eine Einheit schon von Beginn an. Es gab kein davor (außer Menschwerdung).
Danke.
Gibt einen Reprint des Knapp auf der Seite von dem großen Buchhändler. Außen modern und innen Sütterlin.
Alternative wäre eine englische Übersetzung.
Werds erstmal versuchen mit Frau Kelton. Es fragt sich nur wann.
Zwischen beiden Büchern liegen über 100 Jahre historische Erfahrung. Später vielleicht. Ich weiss, dass man so etwas lesen kann.
Gemäß PD ist natürlich 1984 das Buch des Jahres, denn es könnte ab jetzt jeder lesen, sofern er denn einen digitalen Zugang zur Weltliteratur hat.
Was kümmern einen auch die Armen, die das niemals haben werden.
Von was redest du…?!
@Stefan Sasse 3. Februar 2021, 09:29
Von was redest du…?!
Er redet davon, dass die Welt schlecht ist. 🙂