Auf einem seiner Wahlplakate verkündet Martin Schulz im authentischen Gespräch¹ mit einigen Angestellten, dass eine Gesellschaft nur dann gerecht sei, wenn alle die gleichen Chancen hätten. Das ist natürlich richtig, aber „Chancengerechtigkeit“ fordern von AfD über FDP bis hin zur LINKEn im Endeffekt alle. Es ist ein Konzept wie „Soziale Gerechtigkeit“: niemand ist dagegen, aber jeder versteht darunter etwas anderes, und deshalb bewegt sich die Debatte in einem nebulösen Bereich, besonders wenn ein Wahlkampf wie der in Deutschland 2017 ohnehin ohne echte Konfrontation abläuft.
Das Problem ist dabei einfach beschrieben. Der soziale Stand der Eltern in Deutschland beeinflusst wesentlich zu stark die Chancen des Kindes später im Leben. Die Kinder von Hartz-IV-Empfängern haben deutlich geringere Chancen, ein Studium aufzunehmen und einen guten Beruf zu erlernen, als die Kinder von Akademikern. Kinder reicher Eltern haben eine weite Bandbreite an Vorteilen, von besserer finanzieller Unterstützung, einer anderen mentalen Prägung hin zu Beziehungsnetzwerken und Starthilfen der Eltern. All das ist nicht auch nur in irgendeiner Weise umstritten. Im höchsten Maße umstritten ist, wie diese Probleme soweit einzuebnen sind, dass „Chancengerechtigkeit“ hergestellt wird.
Linke Parteien fordern meist klassische Umverteilungspolitik: Erbschafts- und Vermögenssteuern stehen ganz weit oben auf der Liste, einerseits um die Startvorteile der Kinder reicher Familienhäuser zu verkleinern und andererseits, um finanzielle Spielräume für direkte Transfers zu gewinnen: höhere Hartz-IV-Beiträge, großzügigeres Bafög, etc. Liberalere Parteien fordern meist, bestehende Sozialhilfen umzubauen und mehr Geld in Bildung zu investieren, vor allem durch Bildungsgutscheine, um so Kinder und Bildung direkt zu fördern und nicht diverse andere Programme gießkannenartig mitzufinanzieren. Schließlich gehen höhere Hartz-IV-Sätze vermutlich weniger in den Museumsbesuch als in erhöhten Lebensstandard durch eher prosaischen Konsum. Konservative bedienen sich gerne aus den am wenigsten radikalen Teilen beider Richtungen und betonen die große Rolle der Familie, während Progressive weniger die Geldfrage als Regulierungen in den Vordergrund stellen.
All diese Positionen sind nicht neu. Sie alle laufen aber alle in dasselbe Problem. Sämtliche Maßnahmen, die politisch realistisch durchsetzbar sind, laufen auf das Ausgeben von Geld hinaus. Dieses Geld kommt dabei, weil es keine große Kundschaft für Hartz-IV-Erhöhungen gibt, wie von Kollege Stefan Pietsch beschrieben, meistens in irgendeiner Art und Weise der Mittelschicht zugute. So ermöglichen Stipendien überwiegend Kinder halbwegs wohlhabender Eltern ein komfortableres Studium, bringt Bafög bei weitem nicht so viele Arbeiterkinder ins Studium wie erhofft, führen Bildungsgutscheine häufig zu Mitnahmeeffekten bei Wohlhabenden und überfordern ihre eigentlichen Adressaten. So oder so ist diesen Maßnahmen aber allen eins gemein: sie kosten „nur“ Geld und werden damit von allen, die nicht unmittelbar als Empfänger betroffen sind, praktisch nicht bemerkt. Gleichzeitig ändern sie aber wenig am bestehenden Problem.
Dies ist, leider, besonders bei vielen linken Vorschlägen manifest. So verbessern zwar viel Direktransfers direkt die materielle Position der Betroffenen und sind sicherlich ehrbare Vorhaben. Allein, eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze oder des Mindestlohns, selbst wenn wir von Größenordnungen um 30%, 40% reden, die völlig illusorisch sind, beseitigen das Problem nicht. Ob 8,84€ Mindestlohn oder 12 Euro Mindestlohn, aus dem Niedriglohnsektor kommt man damit nicht raus. Ob 400 Euro Hartz-IV oder 600 Euro Hartz-IV ändert wenig daran, dass das Kind die schlecht ausgestattete Brennpunktschule besucht. Und so weiter. Chancengerechtigkeit entsteht so jedenfalls nicht.
Und hier kommen wir zum entscheidenden Problem. Alle Maßnahme, die tatsächlich ernsthaft die Chancengleichheit erhöhen, kosten nur relativ wenig Geld. Sie sind aber gleichzeitig in einem gigantischen Ausmaß disruptiv, und am allerschlimmsten, sie sind in einer Schicht disruptiv, die Störungen des Status Quo überhaupt nicht leiden kann: der wohlsituierten Mittelschicht. Dazu kommt, dass alle diese Maßnahmen ungeheuer schlechte Politik sind.
Was ich meine, lässt sich am besten mit einem Beispiel aus der US-Geschichte erklären, das ich auch in meinem Artikel zum Rechtsdrall der Republicans aufgegriffen habe. Als das Jim-Crow-Regime in den 1950er Jahren juristisch abgeschafft wurde, war die Realität immer noch die einer segregierten Gesellschaft. Die Schwarzen in den USA lebten in den schlechten Vierteln, besuchten miserable Schulen, hatten miserable Jobs. Diese Situation änderte sich nicht, nur weil die formelle Segregation plötzlich abgeschafft war. In den 1960er Jahren griff die Regierung unter Lyndon B. Johnson dieses gigantische Problem auf und führte ein Programm ein, das als busing bekannt wurde: da die mehrheitlich schwarzen Schulen schlechte Ausstattung hatten und die weißen Schulen gute, musste man die Ressourcen gleichmäßiger verteilen. Die Sozialreformer jener Zeit wussten jedoch, dass ein reines Erhöhen der Etats nicht ausreichen würde. Zu wichtig waren das Umfeld der peers und das Aufbrechen von Mentalitäten auf beiden Seiten. Also wiesen sie die Schüler nach dem Zufallsprinzip einer Schule zu und richteten kostenlose Schulbusse ein, die die Schüler zur zugewiesenen Schule brachten.
Diese Maßnahme war so erfolgreich wie unbeliebt. Erfolgreich, weil sie die Schulen radikal desegrierte und das Qualitätsniveau deutlich anglich. Unbeliebt, weil Eltern der Mittelschicht nichts so sehr hassen wie wenn ihre Kinder mit den Schmuddelkindern spielen müssen. Die Politik war ungeheuer unbeliebt, und Reagan machte in seinen Wahlkämpfen 1976, 1980 und 1984 mächtig Stunk gegen die Politik, die dann in den 1980er Jahren auch offiziell abgeschafft wurde. Seither ist der Trend wieder rückläufig. Amerikanische Schulen sind heute wieder so ungleich und nach Rasse getrennt wie in den 1950er Jahren – als hätte es die komplette Abschaffung der Rassentrennung nicht gegeben. Busing war nicht teuer. Aber es war in höchstem Maße disruptiv. Und es unterstreicht eine Realität der Herstellung von Chancengerechtigkeit: diese Herstellung beinhaltet auch das Wegnehmen von Privilegien.
Und das ist immer schlechte Politik. Denn nicht nur reagieren Menschen deutlich aggressiver darauf, wenn man ihnen etwas wegnimmt als positiv darauf, wenn sie etwas bekommen (Verlustaversion). Diejenigen, die etwas bekommen, wählen leider nicht. Denn egal in welche Demokratie man blickt, die Wahlbeteiligung ist umso höher, je wohlhabender die jeweilige Schicht ist. Jede Partei also, die ernsthaft Versuche unternimmt, Chancengerechtigkeit herzustellen (ohne dies lediglich über Finanztransfers zu tun) erhält von der wichtigsten Wählerschaft – der Mittelschicht – einen backlash, der sich gewaschen hat, ohne in der von der Politik profitierenden Unterschicht neue Wähler hinzuzugewinnen. Diese würden ihr erwachsen, wenn eine Generation durch das neue System gelaufen ist. Aber eine Generation ist eine unendlich lange Zeit in der Politik. Solche Maßnahmen sind daher ungeheuer unpopulär.
Und das ist, in a nutshell, warum die Herstellung von Chancengerechtigkeit so unglaublich schwierig ist, egal ob man Liberaler, Linker, Progressiver oder Konservativer ist.
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¹ Ironie
Stefan, jetzt redest Du die Bedeutung der Penunzen aber klein. Die „wirklich Bedürftigen“, die auch In Dubio so sehr am Herzen liegen, brauchen es einfach. Der/die Alleinerziehende in einfachen Berufen (Kassiererin) braucht es für die Kita und die Schule und die Klassenfahrt usw.
Auch ich hätte ohne BaföG nicht studieren können, und meine Kinder könnten es auch nicht. Der berühmte Bildungsaufbruch der 70er Jahre hat vielen Kindern aus einfachen Verhältnissen den sozialen Aufstieg ermöglicht. (Das ist übrigens auch ein Problem der SPD: diese Aufsteiger verstehen die Probleme der Abgehängten nicht mehr wirklich).
Ein solcher Aufstieg sei heute nicht mehr möglich, darin sind sich fast alle von links bis liberal einig. Warum eigentlich? Was ist heute so anders?
Auch damals waren große Gruppen vom Aufstieg ausgeschlossen. Und das ginge heute natürlich auch wieder, würde aber massive Investitionen erfordern. Die Bildungsoffensive meine ich. Was deutlich unklarer ist ist die Frage, ob mit mehr Bildungsabschlüssen auch wie damals ordentliche Jobs rauskommen mit guter Bezahlung.
Dass die Aufsteiger von damals danach die Leiter weggetreten haben ist eine ganz andere Thematik, die ich bald in einem etwas größeren Artikel untersuchen will.
Und erneut, wie im Artikel angesprochen: alle diese Maßnahmen sind toll, aber sie lösen das Problem nicht, solange die Bemessung nicht wirklich DEUTLICH verändert wird. Und selbst dann ist vielerorts die Mentalität eines der größten Probleme.
Die „wirklich Bedürftigen“, die auch In Dubio so sehr am Herzen liegen, brauchen es einfach. Der/die Alleinerziehende in einfachen Berufen (Kassiererin) braucht es für die Kita und die Schule und die Klassenfahrt usw.
Eine Alleinerziehende hat einen um rund 10.000 Euro höheren Mittelbedarf als eine Paar mit Kindern. Wie wollen Sie da ernsthaft mit Geld rangehen? 90% der Alleinerziehenden sind arm, genau wegen diesem Fakt. Wenn Sie hier ernsthaft Armut bekämpfen wollen , müssen Sie sich der Frage zuwenden, warum so ein hoher Anteil alleinerziehend ist.
Wie Stefan im Chor mit vielen Sozialforschern richtig feststellt: Armutsbekämpfung und Chancengleichheit beginnt bei Verhaltensänderungen.
Okay, aber das klingt jetzt so als würde ich argumentieren, Frauen sollten in toxischen Beziehungen bleiben. Ganz sicher nicht.
Nein, hast Du nicht. Aber wenn Du glaubst, Beziehungen würden heute nur beendet, weil sie als toxisch empfunden werden, ist das reichlich naiv. Glaubst Du ernsthaft, in Ostdeutschland werden doppelt so viele schlechte Beziehungen geführt wie im Westen? Glaubst Du ernsthaft, erfolgreiche Menschen haben weniger Beziehungsprobleme als prekär Lebende?
Dauerhafte Beziehungen zu führen bedeutet Toleranz zu üben, stressresistent zu sein, emotional stabil zu sein. Menschen, die das nicht mitbringen, probieren ständig Partnerschaften aus und verschwinden nach der Verliebtheitsphase.
Vielleicht wäre es ja auch eine Untersuchung wert, mal zu schauen, welche Eigenschaften, die zu dauerhafteren Partnerschaften führen, auch zu mehr Bildungs- und Berufserfolg führen?
So wie Stressresistenz zum Beispiel sowohl einer Partnerschaft, als auch im Berufsleben förderlich ist.
Das ist alles korrekt.
Das ist alles korrekt.
NOPE! Nicht einmal ansatzweise.
Begründung: http://www.deliberationdaily.de/2017/09/das-problem-mit-der-chancengerechtigkeit/?replytocom=57137#comment-57141
Du missverstehst Pietsch. Prekäre haben nicht mehr Beziehungsprobleme, bei ihnen haben sie nur meist krassere Folgen. Aus den von dir erwähnten Gründen – etwa der permanente Stress – ist das auch wenig überraschend. Pietschs Argumention, das liege mehr an der persönlichen Disposition ist daher nicht völlig daneben, aber es ist eben auch nicht so, als ob das Prekäre keine Rolle spielte.
Glaubst Du ernsthaft, erfolgreiche Menschen haben weniger Beziehungsprobleme als prekär Lebende?
Hier ne klare Antwort: [tendenziell] JA! Um im Gegensatz zu Ihnen eine Begründung zu liefern: zusätzlich zu den menschlichen Problemen kommen auch noch die der Armut, was sich weiter belastend auf das Miteinander auswirkt. Außerdem ist dieses Problem über Generationen selbstverstärkend: schon die Kinder aus prekären Verhältnissen wachsen in einem Milieu auf, wo mehr gestritten wird. Diese Sozialisation wirkt sich dann in Beziehungen entsprechend negativ aus.
Nun wäre es an Ihnen, ein überzeugendes Sachargument zu liefern, warum das angeblich nicht so ist. Aber das können sie nicht.
Dauerhafte Beziehungen zu führen bedeutet Toleranz zu üben, stressresistent zu sein, emotional stabil zu sein.
Aber wenn Sie glauben, Beziehungen würden heute nur beenden, „Toleranz zu üben, stressresistent zu sein, emotional stabil zu sein“, ist das reichlich naiv.
“ würden heute nur beenden“ >
würden heute nur bedeuten
Gewagte Behauptung. Hier ein paar gute Gegenargumente von einem Beziehungsforscher: http://www.deutschlandfunk.de/thomas-meyer-fordert-trennt-euch-die-meisten-paare-passen.700.de.html?dram:article_id=392740
Ich finde in Ihrer Quelle keine Widerlegung. Darin wird nur behauptet – ohne empirischen oder wissenschaftlichen Beleg – dass 4 von 5 Menschen eine falsche Partnerwahl treffen würden. Nicht gerade ein Beleg für soziale Kompetenz der Mehrheit. Tatsächlich lebt ein Großteil heute als Single, zeigt sich also generell als unfähig engere, belastbare Beziehungen zu bilden. Was sich mit meiner These deckt.
Sie dagegen haben ein Erklärungsproblem, warum Ostdeutsche doppelt so schlecht wählen wie Westler und warum Städter öfter alleinerziehend sind als Dörfler. Und warum Paarbeziehungen unter den Top 20% der Einkommenspyramide stabiler sind als jene unter den unteren 20%.
Ehrlich gesagt wäre es mal spannend, dazu ein paar empirische Grundlagen zu kriegen. Kennt sich irgendjemand aus? Wäre echt mal ein Thema.
Ich finde in Ihrer Quelle keine Widerlegung.
Das glaube ich ihnen unbesehen. Die Widerlegung könnte sich übermächtig vor ihnen aufbauen – sie würden sie nicht finden. Ist ihrer Hybris geschuldet.
De facto aber ist es aber so, dass die Quelle ihre Behauptung
Dauerhafte Beziehungen zu führen bedeutet Toleranz zu üben, stressresistent zu sein, emotional stabil zu sein.
als schwer verkürzend und grob Realitäts-verzerrend zurück weist.
Auch wenn sie noch so sehr die Augen davor verschließen.
Armutsbekämpfung und Chancengleichheit beginnt bei Verhaltensänderungen.
Genau: wenn der Arme sein Verhalten ändert, ist er nicht mehr arm.
Aus Sicht Neoliberaler und der Reichen hat diese schwerstens verkürzende und Realität verzerrende Behauptung vier Vorteile:
1) Sie ist ungeheuer bequem. Die Reichen müssen nichts tun.
2) Die Armen sind selbst Schuld. Das ist ohnehin das Lügenmärchen,
was uns der Neoliberalismus weismachen möchte.
3) Es kostet kein Geld. Insbesondere nicht von den Reichen.
4) Die System- und Machtfrage bleibt außen vor: ist es evtl. ein zutiefst ungerechtes [neoliberal fehlgesteuertes] System, welches systemisch Armut erzeugt und vergrößert?
„Es ist schwer, einen Mann dazu zu bringen, etwas zu verstehen,
wenn sein Einkommen davon abhängt, es nicht zu verstehen.“
– Upton Sinclair
„Reicher Mann und armer Mann – Standen da und sahn sich an.
Und der Arme sagte bleich: Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“
– Bert Brecht
Korrekt. Und für einen Geringverdiener ist der Unterschied zwischen 6 und 11 Euro pro Stunde eben doch enorm, ebenso wie der zwischen 400 und 600 Euro für einen Hartz-IV-Empfaenger.
Das ist doch meine Aussage: das hilft den Leuten schon viel, ist deswegen auch zu begrüßen, aber es löst das Problem nicht. Ob mit 6 oder mit 10 Euro die Stunde, du bleibst Niedriglöhner.
Guter Artikel!
Ich denke die Lehre aus der Problematik waere doch zu versuchen Massnahmen umzusetzen, die erstmal niemandem viel wegnehmen, um einen Backlash zu vermeiden. Die Ausstattung von Schulen oder die Ausbildung von Lehrern zu verbessern, kostet zum Beispiel zwar sicher Geld, aber es fuehrt fuer die Mittelschichtsfamilien zu keinem akuten Nachteil (ausser dass sie moeglicherweise etwas hoehere Steuern zahlen). Und solche Investitionen in Bildung sind in der Mittelschicht meist auch eher populaer.
Wenn ich selbst an meine eigene Schulzeit zurueckdenke, dann war einer der wichtigsten Faktoren, die Schueler davon abhielten sich staerker fuer die Lehrinhalte zu interessieren, dass die Mehrheit der Lehrkraefte offensichtlich im falschen Job waren. Das Manko dieser „Problemlehrer“ war nicht dass ihnen die fachliche Qualifikation fehlte, sondern dass diese Lehrer entweder unfaehig waren als Motivator zu fungieren oder unfaehig waren als Autoritaet wahrgenommen zu werden. Wer Schueler aber nicht fuer seinen Stoff begeistern kann, sollte sich nicht wundern, wenn kaum einer mitarbeitet. Und wer sich in der Klasse nicht durchsetzen kann, wird zur Lachnummer, deren fachliche Qualifikation anschliessend keine Rolle mehr spielt.
Bei Kindern aus Problemhaushalten, aus den Haushalten der Abgehaengten, sind diese Punkte besonders wichtig. Oft kommen sie aus einem bildungsfernen Milieu, in dem Neugier und Wissbegierde nicht aktiv gefoerdert wurden. Nicht selten sind sie es nicht gewoehnt sich einzupassen, einzuordnen oder einfach mal zuzuhoeren. Lehrer besser auszubilden, notfalls auch mehr Personal auszusieben, koennte die Qualitaet der Schulen moeglicherweise deutlich erhoehen. Es reicht eben einfach nicht, seinen Stoff zu kennen. Und es reicht auch nicht, seien Stoff denen vermitteln zu koennen, die bereits interessiert sind. Es ist essentiell fuer Lehrer in der Lage zu sein Begeisterung zu wecken. Lehrinhalt zu „verkaufen“. Wie in der Werbung. Darauf zielt die Ausbildung von Lehrern aber nicht ab. Mit leider vorhersehbarem Ergebnis.
Aehnliches gilt fuer die Ausstattung von Schulen. Ich erinnere mich mal das Biologiebuch gesehen zu haben, das ein Mitschueler nach einem Jahresaufenthalt in den USA aus seiner dortigen Schule mitgebracht hatte. Das Buch war komplett in Farbe, packend geschrieben, Hochglanzphotos auf fast jeder Seite und viele bunte Graphiken. Es machte einfach Spass darin zu blaettern und zu lesen. Mein eigenes Biologiebuch hingegen war eine einzige Katastrophe. Fast nur Text. Grau. Langweilig. Fad geschrieben. Vielleicht sollte man sich mal Gedanken darueber machen, wie man in jungen Menschen Begeisterung weckt um gerade Problemjugendliche zu aktivieren.
Auch ein verstaerkter Einsatz von Ganztagsschulen koennte Wunder wirken, gerade in Problemvierteln. Viele Kinder wuerden moeglichweise bereits davon profitieren, wenn man sie einfach mal ein paar Stunden laenger am Tag aus dem oft toxischen Umfeld heraushaelt, das viel zu viele zuhause leider vorfinden. Und wo Eltern nicht selbst ein Auge darauf haben, dass die Kinder ihre Schulaufgaben machen oder wo Eltern durch mangelnde eigene Bildung nicht faehig sind ihren Kindern Hilfestellung zu leisten, da koennten Lehrer und/oder Sozialarbeiter und/oder Nachhilfen im Rahmen von Ganztagsschulen solche Funktionen zumindest teilweise uebernehmen.
Nichts von alledem wuerde der Mittelschicht schaden.
Ich kann dich beruhigen: unsere Schulbücher sind inzwischen auch in Vollfarbe, mit tollen Bildern und vielen Grafiken und so. Schüler lesen sie trotzdem nicht freiwillig, da hat sich nichts verändert.
Aber Scherz beiseite. Klar hilft mehr Ausstattung in den Schulen. Und denjenigen Unterschichtenkindern, die aufstiegswillig und engagiert sind, wird das auch viel helfen. Aber das ist das, was Stefan Pietsch angesprochen hat: strukturell wird sich wenig ändern. Statt zehn von hundert schaffen dann 15 von hundert den Aufstieg. Das ist toll, aber es ist halt nicht gerade das Ergebnis, das man eigentlich anstrebt. Und tiefgreifende Veränderungen sind eben extrem disruptiv und müssen vom Staat quasi per Zwangsjacke verordnet werden. Und dann kommt wieder Logos vorbei und schimpft vom Schweinesystem des Neoliberalismus.
Und tiefgreifende Veränderungen sind eben extrem disruptiv und müssen vom Staat quasi per Zwangsjacke verordnet werden.
Wahrscheinlich ist das so. Das Problem ist nämlich noch vielschichtiger als Sie augenscheinlich glauben. Und die Veränderung tiefgreifender.
Idealerweise müsste schon frühkindlich (2-3 Jahre) eingegriffen werden, indem Kinder durch qualifizierte und motivierte Fachkräfte, die Talenten und Begabungen erkennen können, gefördert und motiviert werden. Die eigentlich ohnehin bestehende Neugier und der Wille zum Lernen müsste nach Kräften unterstützt werde. Soweit die Theorie
Und dann kommt wieder Logos vorbei und schimpft vom Schweinesystem des Neoliberalismus.
Was hat jetzt das eine mit dem anderen zu tun, Herr Sasse? Warum sollte ich mich gegen GEEIGNETE Maßnahmen zur Herstellung von Chancengleichheit aussprechen, nur weil wir de facto in einem neoliberalen Schweinesystem leben? Wo glauben Sie da eine Verknüpfung konstruieren zu können?
Ich weise Ihre Andeutung aufs Schärfste zurück! Und erkläre explizit, dass ich Maßnahmen begrüße, die de facto und nicht nur „wortreich beabsichtigt“ ECHTE Chancengleichheit herstellen. Ob nun disruptiv und vom Staat oder nicht.
Nur weist doch jegliche Erfahrung darauf hin, dass das neoliberale Schweinesystem de facto gar kein Interesse daran hat, für Unter- und Mittelschicht tatsächlich Chancengleichheit herzustellen. Das sind doch nur wohlfeile Absichtserklärungen, die sich im Wahlkampf gut machen.
Es ist ja zu begrüßen, dass sie eine deutlich vielschichtigere Sichtweise verfolgen, als die plumpen und monokausalen Hirngespinste gewisser Neoliberaler – nur wenns ums das System und dessen eklatante Verwerfungen geht, dann scheinen Sie ebenso blind zu sein.
Es war ein harmloser Seitenhieb. Nur die Ruhe.
Ersetzen Sie „harm“ durch „substanz“ – dann passts!
Alternativ auch in „harmloser“ das erste „r“ durch ein „l“
und das „m“ durch ein „t“. Wäre dann ebenso korrekt.
Ein in weiten Bereichen guter Artikel. Insbesondere, weil er viele Aspekte beleuchtet.
Sie weisen zu Recht darauf hin, dass viele aus der Mittelschicht gar nicht echte Chancengleichheit wollen.
Leider haben Sie vergessen zu erwähnen, dass das für nicht wenige Politiker, Oberschichtler und insbesondere Superreiche doch umso mehr gilt.
Glauben Sie ernsthaft, „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ würde allein in der Mittelschicht gelten? Bei den Superreichen wird das womöglich „gemeines Pack“ genannt und dabei die Mittelschicht inkludiert – das aber macht es keinen Deut besser. Im Gegenteil.
Oder glauben Sie etwa ernsthaft, die Masse der Oberschichtler und/oder Superreichen würden es begrüßen, wenn ihre Kinder sich gegen eine ungleich größere Schaar gleichwertig Qualifizierter aus Mittel- und Unterschicht bei der Berufssuche durchsetzen müssten?
*wink wink*
Die indirekt im Artikel steckend Annahme ist, dass es durchaus möglich ist, gegen die Interessen der Oberschicht eine erfolgreiche Politik zu machen. Und das stimmt meiner Meinung nach auch, da gibt es einige Beispiele – nur muss man dafür die Mittelschicht mindestens in Ruhe lassen. Schwierig und selten, solche Gelegenheiten 😉
Ant_ 3. September 2017, 08:35
Die indirekt im Artikel steckend Annahme ist, dass es durchaus möglich ist, gegen die Interessen der Oberschicht eine erfolgreiche Politik zu machen.
1) Annahme? Jeder kann doch alles Mögliche und Unmögliche annehmen. Die Existenz von Ufo, Reptiloiden, einer flachen Erde oder was auch immer z.B.. Was sagen diese Annahmen über die Wirklichkeit aus?
2) Erfolgreich? Sicher. Aber in wessen Sinne?
Und das stimmt meiner Meinung nach auch, …
Meinung? Hatte ich schon mal geschrieben, welche Relevanz Meinungen in Sachdiskussionen haben?
… da gibt es einige Beispiele – …
Dann werden Sie doch bitte mal konkret und nennen wenigstens zwei!
Danke.
… nur muss man dafür die Mittelschicht mindestens in Ruhe lassen.
Bitte definieren Sie mal „Mittelschicht in Ruhe lassen“
Danke.
Jetzt hatten Sie so engagiert gewunken – nur eine Widerlegung war nicht zu finden. Kommt die noch?
Und das ist, in a nutshell, warum die Herstellung von Chancengerechtigkeit so unglaublich schwierig ist, egal ob man Liberaler, Linker, Progressiver oder Konservativer ist.
Ich würde sagen es ist schwierig, aber nicht unglaublich schwierig. Schließlich haben wir vor unserer Haustür mehrere Staaten die das deutlich besser hinkriegen.
Schweden, Dänemark und Finnland.
Ich hatte den Link schon in dem Forum bei Herrn Pietsch gepostet.
http://www.jjahnke.net/skandinavien.html
Kurzfristig gewinnt man als Partei damit sicherlich keine Wahl, aber man kann als Partei auch langfristig auf so ein Ziel hinarbeiten. Den Atomausstieg haben die Grünen auch nicht in vier Jahren hinbekommen. Und ob die SPD mit ihrem derzeitigen Kurs seit 2003 überhaupt nochmal Wahlen gewinnen kann halte ich für nahezu unmöglich. Die SPD macht Politik für Leute die sie nie und nimmer wählen werden.
Der Schlüssel für Verbesserungen ist und bleibt die Bildung. Bislang scheiterten alle Versuche die Schule dahingehend zu reformieren, dass alle in eine „gleiche“ Schule z.B. Gesamtschule gehen. Die von Hr. Sasse beschrieben Mechanismen haben dies verhindert. Die Mittelschicht wollte nicht, dass ihre Kinder mit den Schmuddelkindern zusammen ist. Die Argumente, dass die Qualität des Unterrichts darunter leiden würde, empfand ich stets nur als vorgeschoben.
Da es sich politisch partout nicht durchsetzen läßt, sollte man es einfach akzeptieren und sich im Gegenzug davon verabschieden, dass der Staat versucht pro Kind gleich viel auszugeben. Ich meine, die Schulen in Problemstadteilen sollten deutlich mehr Lehrer, Sozialarbeiter etc. pro Schüler erhalten als Gymnasien.
So ein Kurs ist vielleicht mehrheitsfähig auch in weite Teile der CDU hinein.
Kurz zu der Verhaltensänderung, die hier gefordert wird. Das ist im Prinzip richtig, die Gretchen Frage ist aber, was der Staat tun kann diese Verhaltensänderung zu fördern? Den von alleine wird diese Verhaltensänderung nicht geschehen. Den soziale Systeme reproduzieren sich selbst, ansonsten wären sie nicht relativ stabil (frei nach Bordieu).
MFG Jens
Komplett vorgeschoben sind die Argumente nicht. Wenn ich die Kids einfach nur durchmische, sinkt das Niveau der weißen Mittelschichtenkids erstmal. Daher ist das ohne flankierende andere Maßnahmen auch nur eingeschränkt sinnig. Ich seh das ja als Lehrer selbst. Je besser die Klasse im Schnitt, desto mehr profitieren auch die schlechteren Schüler. Und umgekehrt. Diese Ängste sind sehr real und begründet. Und dieser gordische Knoten ist die Schwierigkeit der ganzen Debatte um Chancengerechtigkeit, weil halt wenn man es ernst nimmt einige Leute Chancen verlieren werden, die bisher überreich damit gesegnet sind…
Sind nicht ganz „vorgeschoben“. Auch meine Erfahrung.
Das ist wirklich ein dicker Hund. Einen Artikel über Chancengleichheit schreiben ohne die Realität der Klassengesellschaft zu erwähnen.
Chancengleichheit ist natürlich nicht gewollt. Die Obeschichtsschmarotzer würden verlieren. Die Mittelschichtslakaien immitieren dieses Verhalten ihrer Herren und Meister.
Chancengleichheit würde bedeuten: Abschaffung der Lohnsklaverei. Ermöglich des Zugriffs auf die Produktionsmittel für alle. Durchführung einer Bodenreform und damit das Ende von Mietzins und gnadenloser Ausbeutung der Hamsterradsklaven.
Wer einen doofen Blick auf die Welt hat, der sieht zum Schluß auch den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr.
Chancengleichheit schreiben ohne die Realität der Klassengesellschaft zu erwähnen.
Chancengleichheit ist natürlich nicht gewollt.
Meine Rede. Aber hier wird so getan, als ob sich die Politik die größte Mühe gäbe und es nur an Anderen scheitert. Menschen sind auch nicht arm wegen zu geringer finanzieller Mittel (aufgrund neoliberaler Ausbeutung), sondern weil sie sich nicht richtig verhalten (Pietsch). Absurd.
Es geht NICHT um die finanziellen Mittel. Es geht um die Produktionsmittel. Nur wer die Produktionsmittel besitzt kann überhaupt etwas Konstruktives tun.
Die Besitzer der Produktionsmittel sind die Herren (aka Masters). Alle anderen sind Sklaven die sich fortwährend im Hamsterrad bewegen ohne dabei auch nur einen Schritt vorwärts zu kommen.
Pietsch leiert nur den neoliberalen Stuß runter. Wer auf so etwas hereinfällt ist selbst schuld.
Ich weiß nicht welchen Artikel du gelesen hast, aber mein Artikel macht quasi nichts anderes, als die Verlustängste der mittleren und oberen Schichten zu analysieren.
Irre ich oder haben die Kommentare hier manchmal eine leicht durchgedrehte Schlagseite?
Guter Artikel und es ist wirklich ein Dilemma. Ich mag solche radikalen Ideen wie das Busing, sehe aber auch überhaupt keine Möglichkeiten, dass auch nur ansatzweise in Deutschland versucht wird. Und wie wir vor einiger Zeit schon festgestellt haben, gibt es eigentlich mehr Angebote für die Mittelschicht statt der Unterschicht. Ist natürlich kein Grund die Hände in den Schoß zu legen und nichts zu tun.
Und ich bin auch durchaus dafür, HartzIV-lern oder Alleinerziehenden mehr Geld auszuzahlen und das zb durch eine Erbschaftssteuer zu finanzieren, nicht dass man mich hier falsch versteht.
Aber ich sehe es ähnlich wie Ralf. Es sind auch Angebote wichtig, gute Schulen, gute Lehrer, Sozialarbeiter oder einfach Orte in Problemvierteln, wo die Kinder zusammenkommen können und Hausaufgaben machen oder auch Migrantenkinder die Möglichkeit haben, deutsch zu sprechen, und so weiter.
Das löst das Problem auch nicht, aber es erhöht die soziale Durchlässigkeit und ich glaube, das ist realistisch das Beste, was man erreichen kann.
Liebste Ariane, nicht alle bewegen sich auf dem Niveau von Katzenfotos. Sie müssen vielleicht einfach nur etwas an sich arbeiten. Versuchen sie es doch mal mit Hundefotos. Und arbeiten sie sich dann zu Hamsterfotos hoch. Sie schaffen das! Viel Glück dabei.
Du irrst nicht.
Ich merk schon 😉
Wenn man so manche Kommentare hier liest, könnte man auf die Idee kommen, dass am schlechten Wetter ebenfalls nur die ungerechte Verteilung der Produktionsmittel Schuld sind. 😉
Aber mal Spaß beiseite. An welche Maßnahmen konkret hast Du da gedacht, Stefan? Ich kann mir da noch nichts konkretes vorstellen.
Und mal ne vielleicht dumme Frage. Wenn ich mir meinen Bekanntenkreis aus der Grundschule so anschaue, dann habe ich den Eindruck, dass ein sozialer Aufstieg im Sinne von Abitur und dann studieren da überhaupt nicht in Frage kam. Nicht weil es finanziell oder intellektuell nicht gereicht hätte, sondern weil die Alternative Lehre und Meister machen einfach interessanter war. Man verdient früher Geld (und dank Schwarzarbeit auch nicht gerade wenig) und es ist risikoärmer. Wenn was in Frage kam, dann Maschinenbau oder BWL an der FH, aber das auch meist erst nach der Lehre bzw. nachm Meister bzw. Techniker. Mir ist natürlich bewusst, dass das auch an der Gegend liegt, in der ich aufgewachsen (ländliches Bayern), aber dennoch, ich hab so ein bisschen das Gefühl, dass dieser typische Lebenslauf von Abitur, Studium, Karriere eher dem Ideal einer bestimmten Menschengruppe entspricht als dem unbändigen Wunsch der Mehrheit der Menschen.
Für das schlechte Wetter ist doch der Klimawandel verantwortlich, sie Dummerchen. Haben sie wieder mal die Propaganda nicht richtig verstanden? Ab in die Gehirnwaschmaschine.
Sry, die Gehirnwaschmaschine hatte heute den Schleudergang an, da ging dann einiges durcheinander.
Für die Leute, für die das zutrifft – kein Problem. Hier in BaWü erlebe ich oft genug, dass Leute nicht Abi fertig machen sondern stattdessen Ausbildung anfangen. Aber strukturschwache Gegenden bieten dir das ja auch nicht.
Hm, so sicher wäre ich mir nicht. Bin zur Zeit gerade in Armenhaus Deutschlands (MV) und lese verwundert, mit welche Mitteln hier die Arbeitgeber um Azubis werben. Tablets, Tankgutscheine, etc. Ich habe einfach das Gefühl, dass sich in der Hinsicht in diesem Land extrem was ändert. Btw, hat die SPD das verkannt und das Thema verpasst.
Aber zwei Fragen bleiben immer noch. Was genau bedeutet dieser ominöse soziale Aufstieg (istn Studium ein Muss, zB?). Und was konkret meinst Du mit disruptiven Maßnahmen. Hier wäre mir als erstes ne stärkere Vermischung der Klassen eingefallen, aber das alleine bringt ja scheinbar nicht viel
Guter Beitrag, danke dafür!
Ich komme auch nicht aus einem reichen Bildungsbürgerhaushalt und ich kann mich gut erinnern, dass sich bei uns in der Oberstufe auf dem Gymnasium zwei Gruppen herausgebildet haben. Auf der einen Seite die „Reichen“ (keine Millionäre, aber eben in Gelddingen sorglos) und die „weniger Reichen“ ich glaub richtige Unterschicht gab es wirklich nicht, aber halt so Mittelschicht, die nicht mal eben Zusatzkosten stemmen konnten und wo die Kinder dann oft nebenbei gearbeitet haben. Das hat lange keine Rolle gespielt, aber gegen Ende der Schulzeit ging es los mit Studienfahrt hier und Franz-LK-Reise nach Paris und es wurde dann überlegt, ob man nochmal wegfährt, weils so lustig war. Und das gab dann wirklich so eine Art Rebellion von den „Ärmeren“, weil deren Eltern ihren Kindern nicht mal eben die dritte nette Reise finanzieren konnten. Und sowas zieht sich halt durch, es ist ja auch ein riesiger Unterschied, ob man studiert und von den Eltern unterstützt wird (ohne dass die sich dafür groß einschränken müssen!) oder ob man das alleine irgendwie hinbekommt.
Das sind Unterschiede, die der Staat eben nie und nimmer irgendwie ausgleichen oder ungeschehen machen kann. Da gibt es nur die Möglichkeiten, abzuschwächen durch Förderung, Verzicht auf Studiengebühren, etc. pp.
Hm, ich glaube ich verstehe es langsam. Die einen haben nen Vorteil im Sinne von des leichteren Erwerbs von social skills und kulturellen Wissens. Klar, da tun sich einige deutlich leichter. Hab ich in meinem Erststudium auch gemerkt (Geschichte, Politik). Die einen haben unbezahlte Praktika bei internationalen NGOs und Institutionen machen können und ich hab Nachtschicht gearbeitet. Da hast Du es dann sehr schwer in diese Schiene reinzukommen. Aber es gibt immer noch Stipendien und Förderprogramme und mehr kann der Staat halt auch nicht machen. Fehlende finanzielle Unterstützung muss man dann mit Fleiß ausgleichen. Aber Chancengleichheit heißt halt auch, dass man nur die gleichen Chancen kriegt, nicht mehr. Den Rest muss man sich erarbeiten.
Daher sind übrigens gerade so Fächer wie Maschinenbau typische Aufsteigerfächer. Da kommt es weniger auf diese sozialen und kulturellen Hintergründe an sondern eher auf fachliches Können.
Insgesamt tue ich mir immer noch schwer mit dem Konzept Chancengleichheit. Bis auf grundlegende finanzielle Unterstützung, wie wir es mit Bafög und Stipendien größtenteils schon haben, sehe ich da nicht, was der Staat da noch großartig machen kann. Eventuell noch den Ausbau von Kitas, aber sonst (Daher auch meine Frage nach den konkreten Maßnahmen). Wer seine eigene Schicht verlassen will, der braucht in einem extrem hohen Maß Fleiß und Disziplin. Ansonsten hat er selbst mit der besten staatlichen Unterstützung keine Chance.
Klar, in vielen Fällen hat der Staat gar nicht die Möglichkeit, großartig einzugreifen. Das ist eben Glück oder Pech, ob man in ein reiches Elternhaus oder ein armes geboren wird.
Bis auf grundlegende finanzielle Unterstützung, wie wir es mit Bafög und Stipendien größtenteils schon haben, sehe ich da nicht, was der Staat da noch großartig machen kann.
Finanzielle Förderungen finde ich schon wichtig, aber ich denke, dass der Staat auch ohne radikale Maßnahmen wie das Busing die Möglichkeit hat, „Klassendurchmischung“ aktiver zu fordern. Kostenlose Kitas und Gesamtschulen sind schon ein Schritt. Ich wäre auch dafür, Sportvereine so gut auszustatten, dass sie zumindest bei Kindern kostenlos werden, könnte man vielleicht auch bei Chorgruppen, Pfadfinder oder sowas ausweiten.
Ist jetzt keine radikale Maßnahme, aber damit fördert man zumindest, dass Kinder aus unterschiedlichen Schichten sich überhaupt kennenlernen und vielleicht Freundschaften knüpfen.
„Und es unterstreicht eine Realität der Herstellung von Chancengerechtigkeit: diese Herstellung beinhaltet auch das Wegnehmen von Privilegien.“
Und hier sind wir leider wieder beim progressiven Privilegienbegriff. Und es ist jetzt auch keine Unterstellung, sondern es wird ja im Kontext des Artikels auch aufrichtig und ehrlich deutlich gemacht, was hier mit Privileg gemeint ist: In Ruhe gelassen zu werden.
Schon lange ist mit Privileg nicht irgend eine rechtliche Bevorzugung gemeint, auch keine Versteckte. Auch keine Privilegierung beim Ausschütten vom Geld (die Mittelschicht mag mehr Geld bekommen, zahl aber noch mehr Geld in des System ein, aus dem dann die Mittelschicht und die Unterschicht erhält; es ist also kein Umverteilungssystem von Arm nach Reich oder Arm nach Mittelschicht; auch in den USA werden die Leistungen für die Mittelschicht primär von der Mittelschicht und etwas von der Oberschicht getragen).
Es ist das Recht in Ruhe gelassen zu werden und sein eigenes Ding zu drehen – als Individuum oder als nicht erzwungener Zusammenschluss von Individuen.
Was gemeint ist würde auch ganz schnell in folgendem Gedankenexperiment klar werden: Wenn die Privilegierten und die Unterprivilegierten in zwei Nationen aufgespalten würden, wobei jede den gleichen Pro-Kopf-Anteil an dem schon bestehenden Staatsvermögen und den Einnahmen aus einer staatenübergreifenden Besteuerung der Naturressourcen beider zukünftigen Nationen erhalten würde und die Nation der Unterprivilegierteren darüberhinaus (!) noch von den Privilegierten für die ersten 60 Jahre zugesichert bekäme, deren Pro-Kopf-Ausgaben für Schul- und höhere Bildung auf das gleiche Niveau wie in der Nation der Privilegierten aufzustocken sowie dauerhaft Zollfrei in die Nation der Privilegierten zu importieren, während die Unterprivilegierten selber Schutzzölle verhängen dürften – es würde abgelehnt werden, weil die Privilegierten dadurch ihre Privilegien erhalten würden. Obwohl das (ansonsten) in Ruhe lassen in beide Richtungen gilt und niemand die Unterprivilegierten daran hindern würde, von der Privilegierten zu kopieren. Die Finanzmittel hätten diese dann, aber auch der Artikel geht ja davon aus, dass es hieran nicht scheitert.