Die USA auf dem Weg in die Verfassungskrise?

Diesen November wird in den USA wieder einmal gewählt – wie alle zwei Jahre geht es um die Zusammensetzung von Senat und Repräsentantenhaus. Während die Representatives allesamt zur Wiederwahl stehen und (auch dank der Gerrymandering-Maßnahmen republikanischer Gouverneure) kein Verlust der Mehrheit der Republicans in Sicht ist, konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf den Senat, wo ein Drittel der Senatoren zur Wahl steht – und die dünne Mehrheit der Democrats auf dem Spiel. Nate Silver, der Meister der Umfragewerte, hat eine 60%ige Wahrscheinlichkeit für einen Machtwechsel im Senat errechnet – beunruhigende Aussichten für die Democrats und die Obama-Administration. Tatsächlich steht im Falle eines (wahrscheinlichen) Wahlsiegs der Opposition eine deutliche Verschärfung der bereits seit 2010 schwelenden Verfassungskrise ins Haus.

Um das zu verstehen muss man sich die Bedeutung des Senats für die US-Politik klarmachen: nicht nur entscheidet die Kammer über Gesetze, sie ist auch alleinig zuständig für die Bestätigung von zahlreichen Posten (vom Supreme Court bis hinunter auf die Bundesgerichtshöfe der einzelnen Staaten) und die Ratifizierung von Verträgen in der Außenpolitik. Die Möglichkeit, Gesetze zu blockieren, spielt für Obama dabei keine Rolle: da das Repräsentantenhaus seit 2011 unter Kontrolle der Republicans steht und diese ohnehin jedes Gesetz blockieren, macht eine Mehrheit im Senat hier keinen Unterschied mehr. Auch kann ein republikanischer Kongress keine Gesetze an der Veto-Macht des Präsidenten vorbei entscheiden, denn eine Zwei-Drittel-Mehrheit steht den Republicans dann doch nicht ins Haus.

Wesentlich gewichtiger sind die anderen beiden Kernkompetenzen des Senats in den Ratifzierungsprozessen von Personal und Verträgen. Zum Einen wird es für Obama fast unmöglich, seine Außenpolitik durch irgendwelche bindenden zwischenstaatlichen Verträge zu festigen – sei dies bei den zaghaften Bekämpfungsversuchen gegen den Klimawandel oder dem Versuch, mit dem Iran zu einer Einigung zu kommen. Es bleibt bei Executive Orders, und die können vom nächsten Präsidenten jederzeit aufgekündigt werden. Stabilität und Sicherheit in den Internationalen Beziehungen sehen anders aus. Auch für das transatlantische Freihandelsabkommen verheißt das nichts Gutes.

Zentral allerdings ist die Veto-Macht, die dem Senat bei der Besetzung der wichtigen Posten in der US-Bürokratie zukommt. Bereits 2013 konnten viele leere Stellen nur dadurch gefüllt werden, dass die (demokratische) Senatsmehrheit einseitig die Regeln im Senat änderte und die bisherige Blockadepraxis zunichte machte: den Filibuster. Durch Endlosreden konnten die Abstimmungen schlicht blockiert werden. Mit einer eigenen Mehrheit wäre der Rückgriff auf diese Regel für die Republicans nicht mehr notwendig; der Mehrheitsführer Mitch McDonnel könnte dann schlicht keine Abstimmung zulassen.

Eine solch umfassende Blockade wäre einmalig in der Geschichte der USA. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass dies zwar legal vollkommen möglich, nicht aber wirklich im Sinne der Verfassung wäre (ähnlich wie eine Totalblockade des Bundesrats auch nicht gerade der „korrekte“ Gang der Dinge wäre). Die Konsequenzen für die Regierungsfähigkeit der USA wären enorm. Viele Gremien wären deutlich unterbesetzt, wie es die letzten Jahre beim D.C. Circuit of Appeals der Fall war, der im Washingtoner Politikbetrieb beinahe eine noch wichtigere Stellung als der Supreme Court einnimmt, weil er die „Alltags“-Überprüfungen von Gesetzen übernimmt. Von Staatsanwälten über Ministerien würden praktisch sämtliche Behörden nicht mehr in der Lage sein, ihren Aufgaben nachzukommen.

Bislang war diese Möglichkeit kein Problem, weil niemand ein Interesse daran hat, dass der Staat vollkommen zusammenbricht. Die aktuelle Republican Party aber hat dieses Interesse. Für die Tea-Party-Fanatiker wäre etwa ein Kollaps der Steuerbehörde IRS  eine Befreiung, das Ende der Regulierung der Wall Street gute Politik und der Untergang der Katastrophenschutzbehörde FEMA ein Tor in den Freien Markt.  Diese Situation ist tatsächlich einmalig, und die zu befürchtende Radikalität der republikanischen Blockadehaltung könnte somit eine gewaltige Verfassungskrise heraufbeschwören, deren Schockwellen weltweit zu spüren sein dürften.

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  • AP 16. April 2014, 11:04

    „Auch für das transatlantische Freihandelsabkommen verheißt das nichts Gutes.“
    Wieso? TTIP soll bleiben, wo der Pfeffer wächst.

  • Am_Rande 16. April 2014, 16:55

    Ich kann Herrn Sasse zwei Bücher empfehlen, die wahrscheinlich auch so manch „Tea-Party-Fanatiker“ gelesen hat:

    – From Liberty to Democracy: The Transformation of American Government von Randall G. Holcombe

    und

    – Crisis and Leviathan: Critical Episodes in the Growth of American Government von Robert Higgs

    Beide Bücher zeigen auf, dass „Washington“ sich den Teller mit Zuständigkeiten allzu voll geschaufelt hat und dass es die dadurch entstandenen Probleme nicht wird verdauen können.

    Die Republicrat-Party des Big Corporatism ist somit am kommenden Crash selbst schuld.
    Aber es ist ein Crash mit Ansage…

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