Im Rahmen der aktuellen PISA-Studie laufen wieder einmal alle Kritiker und Apologeten des Bildungssystems zu Hochform auf. Nicht wenige allerdings denken, dass die Themen, die dabei in die Diskussion kommen, effektiv am Thema vorbeigehen und allenfalls Nebenkriegsschauplätze ansprechen. In einem Tweet sprach Martin Lindner das Problem an, dass das Deutsche zwischen der “Kultursprache” der gehobenen Bildungsinstitutionen und des Feuilleton auf der einen und dem “Gossendeutsch” auf der anderen Seite keine mittlere Stufe kenne, die etwa mit dem “Plain Simple English” (PSE) vergleichbar wäre und dass dies möglicherweise ein schwerwiegender Faktor sein könnte:
meine these zur #pisa -bildungslücke: deutsch als kultursprache hat keine angesehene & eingeübte „mittlere“ sprachebene wie „plain english“.
— Martin Lindner (@martinlindner) 3. Dezember 2013
Stefan Sasse: Martin, wie kommst du zu dieser doch etwas ungewöhnlichen Einschätzung?
Martin Lindner: Es ist mir schlicht aufgefallen, als jemand, der sich sein Leben lang mit deutscher Sprache herumschlägt: als habilitierter Literaturwissenschaftler, als gelegentlicher Publizist, sogar früher mal als sehr gelegentlicher Werbetexter und auch, noch früher, als Songtextschreiber: „Mag sein, daß deutsch bald eine tote Sprache ist. Man kann sie so schlecht singen, man muß in dieser Sprache meistens immerzu denken.“ (Der Dichter R.D. Brinkmann, 1975) Inzwischen geht das Singen deutlich besser, nach jahrzehntelangem Training, aber trotzdem: der deutschen Schriftsprache haftet, als Ganzes betrachtet, immer noch etwas Umständliches, Kanzleihaftes, Abstraktes, sozial nach unten Sich-Abgrenzendes an.
Sehr deutlich wurde mir das, als ich um 2003 die angelsächsische “Blogosphäre” entdeckte: Dort in den Blogs gab es sehr viel mehr klare, entspannte, unverkünstelte, aber zugleich sehr intelligente und auch komplexe Texte, als ich jemals auf Deutsch gesehen hatte. Ich habe den Eindruck, dass dort ein an mündlicher Rhetorik geschulter, einfacher und klarer Stil kulturell trainiert und gepflegt wird. Er steht quasi zur Verfügung. Im Deutschen scheint da ein Register zu fehlen: Entweder abgehoben und betont schriftlich oder schlunzige Berufsjugendlichensprache mit scheußlichen Rückkopplungseffekten (aktuellstes Beispiel: die Piraten!) – dazwischen gibt es wenig. Auch bei uns sieht man, dass Bloggen hilft, weil es eine ganz neue Form zwischen “Publikation” und mündlicher Sprache auf Augenhöhe etabliert, aber insgesamt gibt es hier sehr viel weniger Leute mit einem eigenen, sicheren Ton.
Und jetzt, anlässlich der PISA-Diskussion, habe ich mich eben gefragt, ob das nicht sehr stark die spezifisch deutschen Bildungserfahrungen prägen muss: Ist es hier besonders schwer für Jugendliche ohne “Bildungshintergrund”, eine eigene Schriftsprache zu finden, in der sie sich kompetent fühlen und zugleich auf Augenhöhe in Diskussionen usw.eingreifen, öffentlich mitdenken können? Ich habe den subjektiven Eindruck, dass man hier auch SchülerInnen noch oft die Unsicherheit oder das verquälte Suchen nach Eindruck schindenden Formeln anmerkt. (Man müsste mal Deutschlehrer von heute fragen, etwa @herrlarbig.)
Stefan Sasse: Nun, da kann ich dir gleich zwei persönliche Anekdoten dazu geben: zum Einen fällt es mir (als Deutschem und Deutschlehrer!) leichter, auf Englisch zu bloggen (auf Nerdstream), und ein deutsches Blog über Popkultur war praktisch unvorstellbar, von Anfang an. Und zum Zweiten haben die Schüler tatsächlich massiv Ehrfurcht vor allen, die diesen Duktus beherrschen, und fühlen sich dadurch minderwertig. Nach elf Semestern hatte ich das Deutsch-Studium und den Habitus der Fakultät mehr als satt. – Aber ich schweife ab. Heißt das dann, dass wir quasi das Denken, Sprechen und Schreiben an den Universitäten und Schulen ändern müssen? Weg von einer formelhaften, komplexen und möglicherweise präzisen, aber schwer zugänglichen Sprache?
Martin Lindner: Kurz gesagt: Ja. Ich bin eigentlich sicher, dass das nötig ist.
(Mir selbst ging es übrigens ähnlich mit dem selbst Englisch schreiben, auch ich hatte da ein viel klareres Gefühl. Aber auch umgekehrt: Ich ertappe mich immer noch dabei, wie ich grauenhafte deutsche Sätze schreibe, wenn es “Paper” oder “Reports” o.ä. werden sollen.)
Ich habe mal Alexander Lasch (Linguist in Kiel) gefragt, ob es einen deutschen “plain & simple” Wortschatz gibt, weil er sich um “leichte Sprache” kümmert. (Was nicht dasselbe ist, natürlich.) Aber es kam nicht viel dabei heraus. Es gibt wohl “Wortschätze” (wie die 10.000 häufigsten Wörter des Deutschen) für Deutsch-als-Fremdsprache-Lernende: Auf dieser Grundlage könnte man Leuten (nicht nur) mit Migrationshintergrund gutes, klares, einfaches Deutsch beibringen. Und daneben natürlich bloggen. Ganz viel bloggen.
Stefan Sasse: Ich wurde im Referendariat immer dafür kritisiert, dass ich zu umgangssprachlich sei. “Seien Sie sprachlich ein Vorbild”, hieß es. Ich weiß nicht, ob das für die anderen Sekundarschulen auch gilt, aber das Gymnasium sieht sich immer noch als Bastion deutschen Kulturguts, und das ist ja bekanntlich in perfektem Hochdeutsch geschrieben. Anders als Bloggen, was man den Schülern ja auch schlecht befehlen kann: gibt es denn für dich dann andere Pfade, die man als Lehrer beschreiten sollte? Eventuell auch wo möglich andere Lektüren als die verstaubten Klassiker wählen, für deren Verständnis der Duden stets bereit liegen sollte?
Martin Lindner: Hm, da müsste ich meine Tochter (16) fragen, die ganz ausgezeichnet schreibt, von Anfang an, viel besser und sicherer als ich in dem Alter. (Ich musste mir das noch regelrecht erkämpfen, mit ständigen Popkultur-Injektionen.) So weit ich das mitbekomme, sind aber Klassenlektüren in der Regel auch nicht richtig prägend … Irgendeine Form von Schriftlichkeit, die schnell und ohne großen Perfektionsdruck geht, aber nicht-privat ist (keine mündlich-schlunzige Form, kein Chat-Ton), sondern “wie gedruckt” wirkt. Vielleicht kollektives Meso-Blogging, also so was wie tumblr, irgendwelche Fundstücke sammeln und mit kurzen Kommentaren der ganzen Welt präsentieren, jeweils drei bis fünf Sätze. Und viel lesen, aber was, wenn nicht gute Blogs, die sie interessieren (und woher soll man die nehmen)? Vielleicht die SchülerInnen Blog-Texte zu persönlichen Interessen suchen lassen und die dann jeweils gemeinsam umschreiben?
Stefan Sasse: Prägende Lektüre von Schillers “Die Räuber” ist eher unwahrscheinlich, ja. Ich muss allerdings zugeben, dass dich nicht weiß, was Meso-Blogging ist. Kannst du das genauer ausführen? Gerade auch in Hinblick darauf, wie es eine neue Mittlere Bildungssprache schaffen könnte?
Martin Lindner: Zwischen den “richtigen” Blogs mit für sich stehenden Texten (mit Überschrift und zwischen ca. 3 – 9 Paragraphen) und dem “Microblogging”, also die 140 Zeichen von Twitter und alles, was sich daran orientiert, bildete sich vor allem durch die besonders einfache und intuitive Blog-Plattform tumblr eine Art Mittelding (= meso) heraus: Es werden dort sehr viele Bilder gepostet (in der Regel Fundstücke aus dem Netz), und die Texte beziehen sich in der Regel auf ein “Fundstück”. Das kann auch ein griffiges Zitat sein, der Link zu einer Veranstaltung, zu einem Film usw. Diese Texte stehen also nicht für sich, was den Writer’s Block umgeht, und sind eben eher kurz: ein Paragraph oder höchstens zwei, also ca. drei bis fünf Sätze. Kurze Kommentare und Bemerkungen, aber dennoch eben im Kern bereits “Veröffentlichungen”, keine quasi-mündlichen “Botschaften”. Tumblr ist in den USA unter Teens und Twens sehr erfolgreich, während diese Altersgruppen eher nicht bloggen. Statt tumblr könnte man auch WordPress nehmen und mit einem tumbleblog-theme versehen. Das läuft auch auf Kumist-Servern.
Stefan Sasse: Ich verstehe. Das klingt sinnvoll; gleichwohl steht dem zumindest hier in Baden-Württemberg natürlich gleich wieder das Schulrecht entgegen, denn das Kultusministerium verbietet genau das explizit. Aber ein anderes Thema: du hast in deinen Tweets auch erwähnt, dass die Findung dieser “Mittelsprache” dazu beitragen könnte, die shortcomings mittelmäßiger Leser aufzufangen, da nur 8,7% der Lehrer “gut” seien. Der Zusammenhang erschließt sich mir nicht auf den ersten Blick.
Martin Lindner: Das war ein anderer Tweet-Strang, da ging es um den stereotypen Ruf nach “guten Lehrern”, worunter man sich dann diese faszinierenden, enthusiastischen, humorvollen, mit natürlicher Autorität ausgestatteten Rampensäue vorstellt, die Didaktik im Blut und alles im Griff, die dazu noch jedem Schüler und Schülerin ins Herz schauen. Wenn es solche LehrerInnen tatsächlich gibt, dann sind das sehr Wenige. Ich habe mal die Lindner’sche Konstante aufgestellt: Die Anzahl der “guten Lehrer” in einem Kollegium ist nie höher als 8,7% (und auch die funktionieren nur für bestimmte Schüler, fast nie für alle, btw). 50% sind hoffnungslose Fälle. Als müsste sich die Verbesserung der Schule darauf konzentrieren, für die anderen 41,3% Bedingungen zu schaffen, unter denen sie eine fruchtbare und konstruktive Rolle spielen können. Aber das hat jetzt mit der Mittelsprache nicht direkt zu tun.
Stefan Sasse: Ok, ich hatte da einen Zusammenhang hergestellt. Im Grundproblem stimme ich dir aber definitiv zu; die Bedingungen sind eher auf eine dünne Elite ausgelegt als auf die breite Masse. Kommen wir zurück zu der Schaffung einer neuen, mittleren Schriftsprache (denn das ist ja der relevante Teil dabei). Denkst du, der zunehmende Einfluss der Popkultur könnte da auch einen bewegenden Effekt haben, wenn sie endlich in den Schulen ankommt? Wenn wenigstens der Referenzrahmen bekannter ist als bei den eher klassischen Texten, könnte das ja vielleicht zu einem ungehemmteren Umgang mit der Sprache führen.
Martin Lindner: Die große Zeit der Popkultur war doch in den 1990ern … Damals war ja “Popliteratur” und eine damit verbundene Schreibweise mal kurze Zeit relativ populär (sic!). Wie ist das heute? Am ehesten wiederum Blogs, denke ich: Fashion-Blogs; Blogs zu Filmen, Fernsehserien, Büchern; Blogs zu Death Metal Bands; Nerd-Blogs über Games, Gadgets, wasweißich. Da wird tatsächlich von Fans drauflosgeschrieben. Ich denke, da besteht die Chance, dass die Leute sowas lesen. Man könnte sie das erst sammeln lassen, und dann eben umarbeiten, aber das sagte ich ja schon. Überhaupt: “Ins Netz Schreiben lernen” als eine eigene Lehr-/Lern-Einheit betrachten. Da könnte es auch einen MOOC dazu geben …
Stefan Sasse: Das wäre in der Tat eine Möglichkeit. Die Realität ist allerdings ja noch die, dass zumindest das Gymnasium ganz massiv das Beherrschen der Bildungssprache trainiert, die spätestens an den Universitäten unverzichtbar ist. Hat diese Bildungs-Hochsprache an den Schulen überhaupt eine Berechtigung, oder sollte sie nicht auf die akademischen Zirkel beschränkt bleiben und auf den Restbestand der Humanistischen Gymnasien?
Martin Lindner: Ich glaube, dass die Bildungs-Hochsprache ganz grundsätzlich nicht Maßstab für den Erwerb von Sprachkompetenz sein sollte. Das kann nur zu Hochstapelei und Unsicherheit führen. Was wäre auch der heute aktuelle Maßstab dafür? Schirrmacher oder der Redenschreiber des Bundespräsidenten? Auch die Verständigung der Wissenschaftler und Intellektuellen tendiert allmählich zu einer “mittleren Sprache”, scheint mir. Vor kurzem habe ich eine Rede von Sascha Lobo gehört, die thematisch und im Grad der Ernsthaftigkeit ungefähr dem entspricht, was früher ein Richard von Weizsäcker vertreten hätte. Diese gerade entstehende mittlere Sprache auf hohem Niveau sollte eigentlich künftig der Maßstab sein. Daraus lassen sich dann vielleicht Curricula ableiten, die einen erweiterten Basiswortschatz trainieren, und einfache, aber nicht primitive Satzkonstruktionen. Inzwischen habe ich übrigens meine Tochter gefragt, aber die hatte auch nichts anderes zu bieten als ihre Deutschlehrer: “Mehr Zeitung lesen”, “Mehr Bücher lesen” – “Sie lesen alle viel zu wenig”.
Stefan Sasse: Der Kern ist sicher nicht falsch – es ist das Lesen von Zeitungsartikeln aus Niveau-Blättern, die das Sprachverständnis dieser Bildungshochsprache wie sonst fast nichts trainieren, mit Bücherlesen knapp hintendrein. Die Frage scheint ja auch mehr zu sein, ob man das überhaupt will – und die Mehrheit der Jugendlichen zumindest beantwortet das mit einem klaren “Nein”. Denkst du, dass hier ein Blick über den Großen Teich hilfreich sein kann, wo diese Entwicklung ja bereits längst eingesetzt und etwa Leute wie Sascha Lobo beeinflusst hat?
Martin Lindner: Mir kommt eben vor, und da sind wir wieder am Anfang, dass auch die Niveau-Blätter dort viel verständlicher und direkter schreiben: sagen wir Tom Friedman, Leitartikler der NYT, oder Paul Krugman, Wirtschaftsnobelpreisträger, Blogger und ebenfalls NYT-Kolumnist, usw. Der Unterschied zu den Blogs ist da gar nicht groß, weil die amerikanische Sprache historisch immer “non nonsense” und nicht-elitär sein wollte. Das üben die auch in den Journalismus-Handbüchern. Und ich glaube, dass die Debattenkultur an den Hochschulen auch in diese Richtung wirkt.
Stefan Sasse: Stimmt, die Debattenkultur ist ein guter Stichpunkt. Deutsche Schüler wissen mit dem Format überhaupt nichts anzufangen. Sollten wir das mehr einführen, um auch mündlich auf dieses Ziel zu kommen?
Martin Lindner: Das könnte ein Weg sein. Die “mittlere Schriftsprache” ist ja zugleich “mündlicher”. Man könnte also mündliche argumentative Sprache einüben und das dann etwa mit Video-Aufnahmen zu multimedialen “Texten” machen. (Genau das passiert ja im Web vielfach.) Diese Videos könnte man transkribieren und so an einer persönlichen Schriftsprache feilen, die dem Mündlichen nah ist. Jede/r SchülerIn sollte eigentlich so etwas wie “den eigenen Ton finden”. Wenn der sehr einfach ist, dann ist das eben so.
Stefan Sasse: Das klingt doch nach einem Projekt! Vorschlag für die erste Klasse: Spitzenpolitiker und Journalisten.
Martin Lindner, Dr. phil. habil., hat sich 20 jahre lang an der Uni mit Literatur- und Medienwissenschaft beschäftigt. 1999 ist er mit dem ersten iMac ins World Wide Web gegangen, weil das auf einmal als Kulturtechnik auch Leuten zugänglich wurde, die nur an Buchstaben interessiert sind. Seitdem berät er Unternehmen und Organisationen dabei, wie sie Wissens- und Lernprozesse mit den Mitteln des Web neu gestalten können, und äußert sich als Publizist und Redner zum „Digitalen Klimawandel“.
Mehr zum Thema.
Spannend. Ich hab 2004 Abi gemacht und hatte Deutsch-Leistungskurs und was ich noch leidvoll in Erinnerung hab, ist, dass es ungemein begünstigt wurde, die Texte aufzublähen bis zum geht nicht mehr. Alleine durch den Elementarbereich, der auf die Wortzahl gerechnet wurde (ist das heute noch so?) oder Aufgaben zu Texten mit mindestens 1000 Wörtern. Ich hab ewig gebraucht, um mir die zigtausend Füllwörter und Differenzierungen und ständigen Betonungen, dass alles nur meine eigene Meinung sei, wieder abzugewöhnen. Und da gab es eben auch den Gegensatz, dass es in den Englischkursen immer hieß, wir sollten uns kurz fassen und bloß nicht mehr als einen Nebensatz einbauen. Ich finde, dieser Grundsatz müsste auch im deutschen mehr zum Tragen kommen und diese Verschnörkelungen über Bord geworfen werden, anstatt sie noch zu fördern.
Ich könnte mir aber vorstellen, dass sich das ganze durch das Internet im Laufe der Zeit noch dramatisch verändern wird. Ich hab früher z.B. zwar viele Bücher gelesen, hätte aber nie ernsthaft ne Zeitung in die Hand genommen und hatte vor dem Internet wenig Bezug zu Sachtexten. Jetzt mit dem Internet hab ich schon das Gefühl, dass das mehr wird, auch wenns vielleicht erstmal nur die Promi- und Sportnews bei Yahoo sind.
Nein, das ist nicht zu. Ich hab 2005 Abi gemacht, und mir ist die Wörtervorgabe völlig unbekannt. Welches Bundesland?
Meine Schüler fragen mich auch immer die gleiche dumme Frage: „Wie viel muss ich schreiben?“ Meine Standardantwort ist immer „So viel wie du brauchst.“ Ich freue mich eh, wenn ich nur 5 Seiten Inhalt statt 15 Seiten Geschwurbel korrigieren muss.
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Davon einmal abgesehen habe ich im Gespräch mit Martin völlig vergessen, http://www.cracked.com zu erwähnen – ich glaube, deren Sprachstil ist beispielhaft für das, wovon wir reden.
Das war in Schleswig-Holstein und die Wörtervorgabe gabs mehr bei Referaten, nicht bei den Klausuren. Bei den Klausuren war es in vier Kategorien aufgesplittet: Inhalt (und die Endnote durfte nicht besser sein als die Inhaltsnote), Aufbau/Gedankenführung, Ausdruck und eben Elementarbereich, da wurde mit Wortanzahl und Fehlern die Note berechnet. Und dann wars noch so, dass eine 1 im Elementarbereich null Auswirkungen hatte, ab zuvielen Fehlern hatte das aber enormen Einfluss auf die Endnote und konnte einen ziemlich fies nach unten reißen.
Das klingt nach totalem Blödsinn. Ne, bei uns ist die Deutsch-Note eine reine Eindrucksnote – es wird sogar explizit kein Einzelteil bewertet, sondern nur die Arbeit als Ganzes, weil du bei Einzelteilen immer den Effekt hast, dass die Noten zur Mitte hin tendieren. Eine 1 ist fast unmöglich, weil immer irgendwo ein Punkt fehlt, und eine 6 auch, weil immer irgendwo einer da ist. Das ist Unfug.
Wenn ich eine Deutsch-Arbeit korrigiere, gehe ich zweimal drüber. Einmal wird nur der Inhalt gelesen und der Kommentar druntergeschrieben, beim zweiten Mal noch Rechtschreibung und Grammatik korrigiert (damit beim auf den Inhalt konzentrierten Notenfindungsprozess nicht das Rot stört und beeinflusst) und die Note gegeben. Mein Hauptbewertungskriterium ist, abgesehen vom Essay, immer der Inhalt und nie die Sprache. Die schlägt sich in einigen wenigen Fällen positiv oder negativ zu Buche, aber das ist selten. Ich sage den Schülern immer, dass ich der Einzige bin der das liest und dafür bezahlt werde, auch nicht so schöne Strukturen zu lesen – die sollen gucken, dass der Inhalt passt, denn darauf kommt es an. Sprachliche Spielereien kommen erst danach. Ich kann jedesmal feststellen dass die Schüler, sobald sie anfangen irgendwelche „schönen“ Sätze zu schreiben und elegantere Formulierungen zu verwenden, inhaltlich Unsinn schreiben. Darauf hat ja schon Stephen King hingewiesen („Kill your darlings“).
Ja, Kings „Leben und Schreiben“ hat mir enorm dabei geholfen, den ganzen Sprachwust wieder abzubauen (vllt sollte man das im Unterricht behandeln^^). Ich weiß nicht, ob es heute eine einheitliche Grundlinie gibt? Bei uns war es auch ein ziemliches Problem, dass jeder Lehrer seine eigenen Spleens hatte, der Gipfel übrigens eine Lehrerin, die darauf bestand, jegliche Inhaltsangabe in indirekter Rede zu verfassen. 😀
Ich versuch im Allgemeinen, stilistisch nichts anzugeben. Ich arbeite nur daran, dass die Leute richtige Ausdrücke benutzen (also vor allem die Fremdworte richtig verwenden, was ein Dauerproblem ist).
Die Debatte sticht in die ganze Geschichte der deutschen Sprache und des Sprechens im deutschen Sprachraum. Das sogenannte Hochdeutsch kann man beinahe als eine Erfindung auf dem Reißbrett bezeichnen, in die Welt gesetzt im 18. Jahrhundert, als man dem Deutschen zum einen das Französische austreiben und zum anderen dem lateinischen Duktus ebenbürtig machen wollte. Man kann fast sagen, dem deutschen Bildungsbürger wurde sein zum Verquasten und Girlandigen neigendes Schreiben und Reden auf dem „humanistischen“ Gymnasium eingebläut. Darauf hat sich dann die ganze Renommee-Macherei, die ganze sprachliche Feintuerei, das akademische Herumblöffen aufgebaut. Es gibt aber einen anderen Strang, wenn man so will den „urdeutschen“ Strang von Luther her – Goethe würde ich sogar eher auf dieser Linie verorten, die Brüder Grimm, Brecht natürlich (der sich gegen das „bloß formulierende Denken“ wandte, Thomas Mann und Adorno waren seine Antipoden), dann die Sprachkritiker und -erzieher Ende des 19. Jahrhunderts („Vom Wert der deutschen Sprache“) und fast durchgängig im 20. Jahrhundert haben sich immer wieder gegen die Angeberei mit den Nomen-Kaskaden und den dreifach verschachtelten Nebensätzen angeschrieben. „Unten“ im Volk ist dabei das „Lutherdeutsch“ sowieso immer lebendig geblieben.
Wer gut schrieb, hat eigentlich immer „lutherisch“ geschrieben. Aber das akademische Milieu ist hartnäckig. Es gibt nun Hoffnung, seit 20, 30 Jahren gelten die alten Schemata immer weniger und verfehlen auch immer mehr den Eindruck, den sie schinden sollen. Zum Ersten und ganz wichtig mischen sich immer mehr weibliche Stimmen in die öffentliche Rede ein, und Frauen bleiben meistens viel enger am natürlichen Sprachfluss dran (beim durchschnittlichen Blogpost von 20 Zeilen Länge kann man meistens sofort sagen, ob es Mann oder Frau geschrieben hat – Frauen sind im Alltag und beim Schreiben „konversationeller“ und flüssiger, bei Männern spürt man meistens schnell das Stockende und wie sehr sie sich bei jedem Satz anstrengen müssen. Das Zweite sind die audiovisuellen Medien, also Rundfunk und TV, da ist der Konversationston schon fast diktatorisch (aber man höre sich mal an, wie ein „hoher“ Deutscher noch in den 60er, 70er Jahren gefälligst druckreif zu reden hatte, wenn ein Mikrophon anging, heute noch lastet dieser Fluch auf der Politikersprache). Drittens erweitert die Popmusik, vor allem Hiphop, die Ausdrucksmöglichkeiten der deutschen Sprache. Und viertens dann gilt im Internet „schreib, wie du sprichst“ (remember, Goethes Ratschlag an seine Schwester), mit allen bösen Folgen, die das dann auch hat.
Ob die mittlere Sprachebene fehlt? Ich glaube eigentlich nicht. Es gibt sie. Die letzte Bastion des akademischen Tonfalls sind die Geisteswissenschaften. Da werden zuweilen wohl immer noch auf Glatzen Locken gedreht und flache Gedanken „tief“ formuliert. Nimmt aber alles ab. Ich vermute, dass Hochdeutsch bald nur noch Altdeutsch ist. Dass alle „schwierige“ Lektüre sich aus den Diskussionen und damit auch aus dem Bewusstsein herausschießt., während die simplen Formeln sehr erfolgreich sein können.
„Gutes Schriftdeutsch“ ist aber nicht gleich simpel und schnell. Es wird vermutlich immer nur wenigen zur Verfügung stehen (wie übrigens im Englischen auch), weil die Lampe einigermaßen hell brennen muss und man in jedem Moment wissen muss, was man denkt und schreibt und wie nun eigentlich eins aufs andere folgen soll. Und im mündlichen Ausdruck ist das auch nicht so einfach, wenn alles einfacher wird. Wenn wir uns immer leichter und lockerer ausdrücken, hangeln wir uns eben auch immer mehr mit Phrasen , Nachgeplapper und Automatismen durchs Leben. Die inneren Widerstände, das Stutzen über den Summs, den man gerade verzapft, nehmen ab, und das ist dann die Kehrseite vom „ich sach ma so …“
(P.S. sehr schön zum Thema von Thomas Steinfeld „Der Sprachverführer: Die deutsche Sprache: was sie ist, was sie kann“, da wurde mir klar, dass Hochdeutsch im 18. Jahrhundert erst einmal synthetisch konzipiert wurde .)
Danke für die Anregungen!
Ein Nachtrag zum Gespräch über einen „Funktionalstil“ des Deutschen, der dem „plain english“ vergleichbar wäre: Die kurze Diskussion darüber ist u.a. bei Google Plus geführt worden (https://plus.google.com/u/0/+MartinLindnerDigital/posts/XRAFyyRW5kq). Die Linguistik hat im Bereich der „Verständlichkeitsforschung“ Prinzipien erarbeitet, die ein „Verstehen von Texten“ befördern sollen. Diese sind aber bislang in konkreten Forschungsvorhaben auf breiter Basis empirisch nicht bestätigt worden; auch wenn es immer wieder vereinzelt Studien gibt, wäre hier ein stärkeres Engagement wünschenswert.
Aber man darf nicht vergessen, dass das Thema ein sprachpolitisches ist. Hier muss man sich zum einen recht schnell mit jenen auseinandersetzen, die sprachkonservativ die Deutsche Sprache vor dem Untergang zu bewahren gedenken — und diese sind auf dem pragmatischen Auge (ein ‚einfaches Deutsch‘ ist eine funktionale Varietät) blind. Auf Grabenkämpfe mit Sprachkonservativen, die zwar ehrenvoll sein mögen, aber vollkommen vertane Zeit, lässt sich keine_r meiner Kolleg_innen verständlicherweise gern ein.
Das mag bedauerlich sein, aber vielleicht führt ja die Auseinandersetzung mit der Leichten Sprache als funktionale Varietät dazu, dass auch in anderen Bereichen wieder mehr über Probleme der „Verständlichkeit“ nachgedacht wird.
Die professionellen Sprachnörgler sind in der Tat eine wahre Pest.
Especially, the smartphone will even feature Apple’s new operating system, i – OS 7.
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