Eine kurze Geschichte der Identitätspolitik

Ein dieser Tage häufig nacherzähltes Narrativ ist, dass die so genannte Identitätspolitik, die spätestens seit der Trump-Wahl 2016 in aller Munde sind, von „den Linken“ erfunden wurden. Meist wird der Beginn irgendwo in die 1960er Jahre datiert; in den USA üblicherweise in die Zeit der Bürgerrechtsbewegung, in Deutschland in die längst zum Klischee erstarrten 68er. Dem Narrativ folgend begannen linke Parteien damals, sich stärker über Identitätsfragen zu identifizieren und darüber ihre frühere Markenkerne zu vernachlässigen – worin dann das Abwandern ihrer klassischen Klientel zum Rechtspopulismus und der große Backlash, der denselben befeuert, kommt. Es wäre ein Fall von „die Geister, die ich rief, ich werd sie nicht mehr los“. Die Geschichte ist hübsch, aber sie ist falsch. Nicht, weil „die Rechten“ in Wahrheit die Identitätspolitik erfunden hätten und die Linken quasi nur darauf reagiert hätten; diese Form des Fingerzeigens mag zwar manchem Konservativen heute das Herz erwärmen, aber sie hat nur wenig Erklärgehalt. Nein, Identitätspolitik ist so alt wie die Menschheit selbst. Machen wir uns auf eine kurze Reise durch ihre Geschichte und versuchen zu klären, was die Besonderheit unseres aktuellen historischen Moments sein könnte – so es denn eine gibt.

Auf Spurensuche im Iran

Die ersten schriftlichen Zeugnisse von Identitätspolitik gehen auf den iranischen Religionsstifter Zarathustra zurück. Wer also unbedingt nach einem Schuldigen sucht, der angefangen hat, kann sich ihn herauspicken, wenngleich es vor ihm mit Sicherheit auch schon Leute gab, die den moralischen Zeigefinger schwangen und die Welt in „wir“ gegen „die“ teilten. Von ihm haben wir es nur zum ersten Mal schriftlich, wenngleich aus zweiter und dritter Hand. Der gute Mann machte einen auf Sokrates und hinterließ uns keine eigenen Zeugnisse.

Die Besonderheit von Zarathustras Religion, die bis heute Anhänger besitzt, lag darin, dass sie erstmals Moral in die religiöse Debatte einführte. Nach allem was wir wissen bestanden frühere Religionen in ihrer Welterklärung eher darin, dass eine bestehende Weltordnung – häufig durch Opfer – gewogen gemacht wurde. Die Welt war, wie sie war, und Religionen erklärten hauptsächlich, warum das so war. Ihre Aufgabe war somit die der Mittler.

Zarathustra dagegen teilte die Welt in zwei Prinzipien ein – gut und böse. Manche Menschen waren gut (seine Leute) und andere waren böse (die anderen). Das war relevant, weil die Menschen seinerzeit aus verschiedenen Gründen, die uns hier nicht interessieren müssen, vermehrt Krieg und Plünderung ausgesetzt waren und eine Erklärung dafür brauchten.

Was Zarathustra ihnen anbot war die Idee, dass manche Menschen dem Bösen verfallen waren. Er assoziierte das vor allem mit der Lüge, wogegen gute Menschen die Wahrheit sprachen, und dem Kämpfen. Wo Zarathustra noch ein Radikalpazifist war (und irgendwann von weniger pazifistisch gesinnten Zeitgenossen ermordet wurde), erfanden seine Nachfolger sehr schnell das Prinzip des heiligen Kriegers. Die töten weil sie böse sind, wir töten weil wir die Guten sind. Deus vult. Auch ein Prinzip, das so alt ist wie die Menschheit.

Meet the populists

Ein weiterer Bestandteil des scheinbar so neuen politischen Gebräus, das wir dieser Tage schlürfen dürfen, ist der  Aufstieg der Populisten, die irgendwie nie so richtig in die etablierte politische Farbenlehre passen wollen und häufig genug das bestehende Parteien- bzw. Fraktionssystem durcheinander wirbeln. Eines der ersten ordentlich belegten Exemplare dieser Spezies war der athenische Politiker Kleon, von dem Thukydides in seinem Monumentalwerk über den Peloponnesischen Krieg berichtet.

Kleon war ein Neureicher, der mit seinem Geschäft (Gerberei, in diesem Fall, seinerzeit ähnlich anrüchig wie Immobilien- und Showbusiness) in die Aristokratie Athens aufgestiegen und als Gegner des elder statesman Perikles aufgefallen war. Perikles war ein Politiker der alten Schule gewesen, mit voller rhetorischer Ausbildung und dem richtigen Stammbaum, moderater Politik verpflichtet (was in Athen so viel bedeutet wie immer sicherzustellen, dass es weder zu einem Bürgerkrieg zwischen den Aristokraten noch zu einer Emanzipation der ungewaschenen Massen kam).

Nach Perikles‘ frühem Tod in einer Pestepidemie ergriff Kleon die Chance beim Rockzipfel. Anstatt den „ordentlichen“ Weg zu gehen und die Aristokraten auf seine Seite zu ziehen (die ihn verachteten), peitscht er die Volksmassen auf und machte Stimmung gegen die Ausländer (in dem Fall Sparta). Mit einem entschlossenen „Only I Can Fix It!“ auf den Lippen propagierte er Kriegsverbrechen (ein Massaker an der Stadt Mytilene) und die Verdopplung des Tributs für die Verbündeten, um so die Steuerlast der Athener zu senken. Er führte beides denn auch persönlich durch, um einen möglichst großen Teil der Beute selbst einsacken zu können.

Anders als heutige Populisten musste er allerdings seiner Politik an der Front Nachdruck verleihen und fiel dankenswerterweise in der Schlacht gegen seinen spartanischen Erzfeind Brasidas (auch so ein unangenehmes Stück Mensch), woraufhin Athen und Sparta eilig Frieden schlossen.

Ein erster republikanischer Höhepunkt

Mit diesen beiden Zutaten im Gepäck können wir uns den wohl bestdokumentierten antiken Identitätspolitik-Populisten zuwenden, den Politikern, die die römische Republik zu Fall brachten. Diese Geschichte beginnt mit dem Verlierer eines weiteren internen Aristokratenwettstreits um die Macht, Tiberius Gracchus. Die Details habe ich hier aufgeschrieben, daher die Kurzversion:  Gracchus zerstörte die Normen der Republik, indem er direkt an die Massen appellierte und brach die Verfassung, indem er sie plebiszitär über eine Änderung derselben abstimmen ließ. Als ihn die Senatoren mit einem legalistischen Trick ausmanövrierten, setzte er sich an die Spitze eines bewaffneten Mobs, woraufhin die Senatoren einen eigenen Mob mobilisierten und ihn umbrachten. Als sein Bruder zehn Jahre später ebenfalls politisch erfolgreich wurde, brachte man ihn vorsorglich gleich ebenfalls um.

Die Episode ist für unser Thema vor allem deswegen interessant, weil auch Gracchus sich massiv der Identitätspolitik bediente. Wir gegen die, das einfache, bescheidene, ehrliche Volk, salt of the earth, gegen die verkommene, korrupte und verweichliche Ostküstenelite. Die einfachen Leute vom Land gegen die verdammten, arroganten Stadtbewohner mit ihren Servicejobs. Die indignierten Senatoren betrachteten es als einen ungeheuren Affront gegen die guten Sitten. Sie standen dem Ganzen ähnlich hilflos gegenüber wie mancher US-Senator heute, nur dass wir heute keine Dachziegel mehr auf unsere politischen Gegner werfen.

Die Republik erholte sich davon nicht mehr. Zu den Zeiten Julius Cäsars („ganz Gallien?“) teilte sich das politische Leben Roms bereits in zwei Fraktionen: Auf der einen Seite standen die Optimaten, die „Besten“, die aristokratische Oberschicht, die so weitermachen wollte wie bisher, und auf der anderen Seite standen die Populares, die Populisten (auch aristokratisch), die die bestehende Ordnung umwerfen wollten, um im entstehenden Chaos aufzusteigen. Unsere heutigen Populisten sind nach ihnen benannt.

Beide Seiten bedienten sich vorrangig der Identitätspolitik, um ihre Anhängerschaft beieinander und mobilisiert zu halten. Wenn ein römischer Aristokrat woke war, dann vertrat er die Sache der verarmten römischen Bevölkerung, die sich in der Hauptstadt ballte (und über das Wahlrecht verfügte, keine Sau interessierte sich für die nichtwählenden Landbewohner oder gar die Bundesgenossen ohne Wahlrecht). Sie schrieben politisches Graffiti an die Wände, verunglimpften ihre Gegner damit keine wahren Römer zu sein und spalteten die Gesellschaft in zwei Teile. Kurz, sie machten Politik.

Eine kurze Pause: Was ist eigentlich Identität?

An dieser Stelle sollten wir eine kurze Pause einlegen. Was ist eigentlich Identitätspolitik, und wie passt es in den politischen Ablauf? Grundsätzlich gilt: All politics is identity politics. Die ganze Begriffsetzung selbst ist ein ungeheurer Erfolg politischer Kommunikation. Solche Erfolge sind natürlich bewundernswert (mit zusammengebissenen Zähnen, wenn man sich selbst dem rechten/konservativen Spektrum wenig zugehörig fühlt), aber man muss  sie anerkennen. Erkenntnisfördernd dagegen ist sie nicht, denn wie dieser Artikel aufzeigen soll, sind Identitätspolitik mit uns, seit Menschen Politik treiben – und das tun sie, seit Gott aus Adams Rippe eine Gefährtin schuf.

Es ist eine fromme Legende, dass Wahlentscheidungen auf der einen und politische Präferenzen auf der anderen Seite durch einen Deliberationsprozess gebildet werden, in dem mündige Bürger ihre Optionen abwägen und so zu einem rationalen Forderungskatalog kommen, anhand dessen sie sich einer Gruppe oder Einzelperson anschließen, die ihnen am ehesten geeignet scheint, diese Forderungen umzusetzen. An dieser Theorie ist in etwa so viel dran wie am homo oeconomicus.

Stattdessen belegt die soziologische und psychologische Forschung hinreichend, dass Forderungen nach dem Zugehörigkeitsprozess gebildet werden. Politische Festlegungen erfolgen erst als Folge von politischem Handeln anhand von Identitätslinien.

Ein Beispiel dafür: Praktisch niemand interessierte sich für Glühbirnen, bevor die EU sie zugunsten der billigeren, effizienteren und umweltfreundlicheren LEDs abschaffte. Urplötzlich aber entstanden landauf, landab glühende (hehehe) Fans der Glühbirne, die sie gegen die böse EU verteidigten und Vorräte des veralteten Leuchtmittels horteten, während sie auf die Krake aus Brüssel schimpften. Sie taten das nicht, weil sie schon immer für die Glühbirne glühten (sorry). Sie taten es, weil es ihnen eine Gelegenheit gab, ihre Identität auszuleben – in dem Fall als reaktionäre EU-Hasser. Auf der anderen Seite formierten sich plötzlich zahllose Experten für die Notwendigkeit des Verbots, die bisher auch nicht durch die Teilnahme an Anti-Glühbirnen-Demonstrationen aufgefallen wären, sondern die die Verteidigung der EU, den Schutz der Umwelt und generell die Abwehrhaltung jener Reaktionären als Teil ihrer Identität begriffen.

Wir definieren uns über eine Identität, und diese bestimmt unsere Gruppenzugehörigkeit. Der innere Drang jedes Menschen, zu einer Gruppe zu gehören und sich in dieser konform zu verhalten, sorgt dann dafür, dass die jeweiligen Positionen übernommen werden. Und so wird man plötzlich zum fanatischen Vorkämpfer für eine Agrarreform in Italien, für die Bestrafung von Mytilene, für den Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko oder für das Primat des Papstes, Bischöfe ernennen zu dürfen.

Von Panzerreitern zu Druckerpressen

Die Identitätspolitik lässt uns demzufolge auch nicht los. Ob im Jahr 400 v. Chr. oder 2020 n. Chr., jeder der einmal versucht hat, in einer dörflichen Gemeinschaft Fuß zu fassen, kennt die unbarmherzige Härte von Identitätspolitik. Selbst die ärmsten Ritter verstanden es bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, mit dem Rückgriff auf Identitätspolitik eine Abgrenzung gegenüber bürgerlichen Kaufleuten zu erreichen, und wenn die sich ihr Schloss dreimal aus der Portokasse leisten konnten.

Im gesamten Mittelalter dominierten religiös aufgeladene Identitätspolitiken den Diskurs. So etwa nutzte die katholische Kirche den hypermoralisierend geschwungenen Zeigefinger, um über einen Jahrzehnte währenden Prozess den freischaffenden Panzerreitern das Rauben und Brandschatzen abzugewöhnen und sie zu christlichen Rittern umzuerziehen. Wer den alten heidnischen Göttern anhing, war böse und draußen. Wer weiterhin die Felder der Bauern des Nachbarn niederbrannte, war böse und draußen. Eine Seite sah sich als moralisch klar im Recht und verwarf die Moral der anderen Seiten. Es mangelte damals übrigens nicht an Raubrittern, die dieses Moralisieren verwarfen und das Verbot des Landkriegs als Eingriff in ihre Freiheit sahen, für deren Erhalt sie sich in blutige Bürgerkriege stürzten. Goethe hatte kein Problem damit, dieser Rotte mordlustiger Gesellen mit seinem Drama „Götz von Berlichingen“ ein literarisches Denkmal zu setzen und so, wenngleich einige Jahrhunderte verspätet, Stellung in diesem Identitätskonflikt zu beziehen.

Im 12. Jahrhundert stritten Papst und Kaiser mit dem Mittel der Identitätspolitik um die Macht im Kaiserreich. Jeder war gezwungen, Farbe zu bekennen und seine Identität der Frage unterzuordnen, ob man sich selbst als kaiserlich oder päpstlich sah. Und Kaiser wie Friedrich II. oder Karl V. wurden im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation verschmäht, weil sie nicht den Regeln der Identitätspolitik genügten und viel zu kosmopolitisch und gebildet auftraten, statt wie die bisherigen deutschen Könige und Kaiser einen auf volksnah zu machen, auf dem Dorffest den Humpen Bier zu leeren und eine Bratwurst zu mampfen.

Breite Schichten erreichten die Feinheiten der Identitätspolitik dann mit der Druckerpresse; erstmals konnte man für einen halbwegs vertretbaren Preis darüber informiert werden, was aktuell angesagt war. In China spielte man diese Politik schon 1000 Jahre vorher; hier wurde mit Identitätspolitik geklärt, wer über das „Mandat des Himmels“ verfügte, das zur Herrschaft über das Kaiserreich berechtigte, und wer sich spektakulär genug zum Konfuzianismus bekannte, dem damaligen linksgrünversifften Mainstream. Richtig voran aber ging es erst, als Martin Luther auf die Idee kam, dass das einzige, was besser als eine identitätsstiftende Religion ist, zwei miteinander konkurrierende identitätsstiftende Religionen sind.

Identitätspolitik für alle

Religionskriege hatte es freilich immer schon gegeben. Nichts band die jüdische Diaspora für mehrere Jahrhunderte so eng zusammen wie die Erfahrung des gemeinsamen Unterdrücktwerdens durch den römischen Paganismus, und die Kreuzzüge zeugen noch heute von der Macht, die ein erhobenes Schwert und ein „deus vult!“ haben können, wenn man es nur laut und fordernd genug über den Marktplatz schmettert. Die Macht der Identitätspolitik war auch damals bereits so groß, dass man problemlos die Richtung um 180° ändern konnte – ein Kreuzzug, der sich gegen die Muslime richtete, konnte problemlos gegen die Christen Konstantinopels umgelenkt werden, solange nur die eigene Gruppenidentität gewahrt blieb.

Der Qualitätsunterschied der Zeit nach Luthers aber bestand vorrangig aus zwei Faktoren, die so bisher nicht existiert hatten. Der erste war, dass die Politik emanzipiert wurde: Anstatt dass nur eine Schicht von vielleicht 5-10% der Bevölkerung direkt von den jeweiligen Anliegen betroffen und der Rest nur passives Objekt der die Identitätspolitik ausformenden Schicht war, positionierten sich jetzt immer größere Teile der Bevölkerung in denselben Konflikten wie die Adeligen, wurden immer mehr Teilnehmer.

Ohne Identitätspolitik kein Bürgertum, das sich in diesen Zeiten immer mehr Spielräume erkämpfte und eine ganz eigene, vom Adel unabhängige Identität gab – und diese moralisch, mit dem stets erhobenen Zeigefinger, unterfütterte. Auf der einen Seite der dekadente, rückwärtsgewandte Adel, auf der anderen das moderne, der Zukunft zugewandte und tugendhafte Bürgertum.

Der zweite Faktor war eben die Bildung. Mehr und mehr Menschen konnten lesen, mehr und mehr Menschen bekamen Zugang zu Büchern, und mehr und mehr Menschen bildeten sich eine eigene Identität heraus. Wo der Konflikt zwischen Adel und Bürgertum (das wir nicht mit der breiten Mittelschichtenbürgerlichkeit unserer Tage verwechseln sollten!) die Moderne bestimmte, kündigte sich im anbrechenden 19. Jahrhundert eine ungeahnte neue Blüte der Identitätspolitik an.

Brüder zur Sonne, zur Freiheit

Im Mutterland der Identitätspolitik, den USA, entdeckten die bisherigen britischen Kolonisten plötzlich eine neue Identität, die sie (auch kriegerisch) gegen das ehemalige Mutterland durchzusetzen glaubten. Die beiden Jahrzehnte vor 1776 sind voll von identitätspolitischen Konflikten. Wer offiziell importierten Tee trank, galt als Verräter. Prediger wetterten gegen die Sklaverei oder verteidigten sie in ausufernden Pamphleten. Welle um Welle von Abstinenzlern und Quäkern versuchte dem Land, Sauferei und Gewaltlust auszutreiben. Die Überlegenheit der weißen Rasse wurde gegen indigene Bevölkerung und importierte Arbeitssklaven in Stellung gebracht. Vergeblich warnten die sich auf die neue amerikanische Identität berufenden Gründerväter vor der Gefahr der Fraktionsbildung. Bis heute ist die amerikanische Gesellschaft von Spaltungen und Identitätskonflikten definiert. Wer glaubt, das sei eine neue Entwicklung unter Trump oder Obama, hat nie in ein Geschichtsbuch geschehen.

Auch Frankreich hatte in dieser Zeit seine Gelbwestenbewegung, als das Bürgertum in Paris mit hohen Idealen und hehren Ideen gegen die morsche Monarchie stabil machte. So tödlich wie im revolutionären Paris war Identitätspolitik wohl nie, wo die Frage, ob man den Cordelièrs, den Hébertisten, den Jakobinern, den Indulgenten, den Bretoniern oder einer der vielen anderen Splittergruppen, die heute unbedeutend und morgen tonangebend waren, angehörte, über Wohl und Wehe entschied. Bonaparte baute darauf auf, als er eine gemeinsame Identität für alle Franzosen schuf, deren rituelle Bekräftigung noch heute la nation prägt.

Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde von der Identitätspolitik der Nationalisten bestimmt, die, damals noch deckungsgleich mit den Liberalen, der gegen sie mobil machenden alten Ordnung Rechts- und Nationalstaat abzuzwingen versuchten. Wo die Reaktionären den hypermoralisierenden Zeigefinger der gottgewollten, natürlichen Ordnung schwangen, hielten die Liberalen dem das zitternde, moralintropfende Fingerglied von individueller Freiheit und Selbstbestimmung entgegen. Sieg und Niederlage in diesem identitätspolitischen Wettkampf setzte Nationen für Jahrzehnte auf Entwicklungspfade, die mal mehr, mal weniger glücklich ausgingen.

Die nächste große identitätspolitische Konflikt prägte dann die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, als eine völlig neue Schicht, angeleitet von einigen Intellektuellen, sich aggressiv und mit Verve eine eigene Identität schuf, so neu, wie es das Bürgertum im Aufbruch der Moderne tat, und befeuert von der gleichen Gutenberg’schen Wunderwaffe. Sozialistische Klubs, Büchereien, Vereine und Sonntagsschulen taten mehr als alles andere, um „die Arbeiterklasse“, deren Existenz zur Zeit von Marx‘ „Kommunistischem Manifest“ eher frommer Wunsch als soziologische Analyse war, überhaupt erst entstehen zu lassen. Ohne Identitätspolitik kein Klassenbewusstsein, ohne Klassenbewusstsein keine Sozialdemokratie, ohne Sozialdemokratie keine moderne Massendemokratie.

Zeitalter der Extreme

Das 20. Jahrhundert war wie wohl kein anderes zuvor durch Identitätskonflikte dominiert, wenngleich nur, weil sie dank moderner Technologie inzwischen die ganze Welt erfassen konnten. Eine allseitige Radikalisierung griff um sich. Teile der Linken spalteten sich, den moralisierenden Zeigefinger munter schwingend, von der zahmen, auf Moderation und Evolution setzenden Sozialdemokratie ab und propagierten die Diktatur des Proletariats. Wie 1794 brachte eine falsche Phrase, eine frühere Zugehörigkeit zu einer obskuren Splittergruppe oder einfach nur missgünstiges Denunziantentum den Tod.

Auf der Rechten radikalisierte sich eine nunmehr revolutionäre statt reaktionär agierende Garde. Das ungleiche Bündnis beider Hälften endete im blutigen Taumel der siegreichen Revolutionäre, die als Faschisten oder Nationalsozialisten ihre Gegner hinwegfegten und den blutigsten Ausbruch der Identitätspolitik überhaupt über den Erdball brachten, der sich in Weltkrieg und Holocaust entfesselte.

In Zahlen jedoch schlägt nichts die Opfer, die die Identitätspolitik der Linken forderte. Kulturrevolution, der Große Sprung nach vorn und Pol Pot verschlangen Millionen von Menschenleben, während sie die eine Hälfte ihres Landes gegen die andere aufhetzten und mit Messern, Knüppeln und Keulen ihr wahnwitziges Werk verrichten ließen.

Und kaum dass die Welle des roten Terrors endlich ihr Ende fand, erhob sich in den neuerdings unabhängigen Kolonien der alten Imperialmächte die hässliche Fratze der ethnischen Säuberungen. Ob man Tutsi oder Hutu war, oder für welche Gruppierung die Nachbarn glaubten dass man Sympathien aufbringen könnte, entschied über Leben und Tod.

Der Siegesmarsch der Progressiven

Dagegen nehmen sich die identitätspolitischen Konflikte im Westen geradezu harmlos aus. Wo in den 1950er Jahren nichts Schrecklicheres vorstellbar war, als in Jeans und mit Haargel Rock’n’Roll zu hören – eine völlig inakzeptable Identität, gegen die das morsche Bürgertum mit aller Macht vergeblich anrannte -, so geschah in den 1960er Jahren etwas, das zuletzt Mitte des 19. Jahrhunderts geschehen war: Völlig neue Gruppen entstanden und bekannten sich zu ihrer eigenen Identität, riefen sie für alle Welt sichtbar hinaus und bestanden darauf, nicht länger unsichtbar zu sein.

Ob Martin Luther King oder Alice Schwarzer, marginalisierte Minderheiten bestanden darauf, anerkannt zu werden, ein Anspruch, der ihnen bis heute virulent abgesprochen wird und der seine Entsprechung in einer ebenso aggressiven Abgrenzung findet. Ein George Washington würde sich in der erbittert vorgetragenen Diskussion, ob nun der Farmer oder Arbeiter aus dem Mittleren Westen der wahre Amerikaner sei, der sich gegen die degenerierte Ostküstenelite nur mit der Wahl von Autoritaristen und der Waffe in der Hand zur Wehr setzen kann, sofort zuhause fühlen. Es ist eine Sprache, die er kennt und so alt ist wie die Menschheit. Bereits im alten Ägypten dürften die Bauern ihr hartes Los sich durch das sichere Wissen erleichtert haben, dass man selbst, anders als die geschminkte Elite in Luxor, der wahre Kern Ägyptens sei.

Diese Entwicklung ist nicht neu. Sie ist zyklisch, kommt wieder und wieder und kann durch die Geschichte solange verfolgt werden, wie wir schriftliche Aufzeichnungen haben. Die Ausfechtung von Politik hat sich schon immer im Rahmen von Identitätspolitik vollzogen. Wir gegen die. Unsere guten Ideen gegen deren böse Überzeugungen, unser Wunsch Gutes zu tun gegen deren Wunsch, Schlechtes anzurichten. Die Parteien, die das vergessen haben, kämpfen gerade am schwersten mit sich. Welche Identität hat die heutige Sozialdemokratie? Diese Frage zerreißt die Parteien in der gesamten westlichen Welt, während der aufstrebende Rechtspopulismus ein attraktives Angebot macht. So erging es dem alten liberalen Bürgertum bereits, als es in den 1920er und 1930er Jahren zwischen den radikalen und attraktiveren Identitäten von rechts und links zerrieben wurde.

Fazit

Worum es mir ging ist also nicht, die müßige Frage zu klären, wer mit der Identitätspolitik angefangen hat. Niemand hat das. Nur sind nicht zu allen Zeiten alle Seiten gleichermaßen versiert in ihrer Anwendung. Wo neue Gruppen noch keine Zugehörigkeit gefunden haben, wo alte Institutionen ihrer Identität selbst nicht mehr sicher sind, wo attraktive Angebote denen, die bisher keinen Ausdruck für tief empfundene Unsicherheiten hatten eine neue Heimat bieten, dort treten diese Konflikte direkt an die Oberfläche. Aber zu glauben, es hätte eine mystische Vorzeit gegeben, in der Politik je ohne Identitätskonflikte ausgefochten worden wäre, ist naive Träumerei. Sie ist gefährlich und öffnet eine Flanke gegenüber jenen, die diese Lektion nicht vergessen haben oder sie vielleicht gerade neu erlernen. Was davon es ist, ist unerheblich. Im Kampf für Freiheit, Offenheit und Toleranz spielt es keine Rolle. Was wir brauchen ist eine Identität, hinter die sich diejenigen stellen können, denen diese Werte wichtig sind – und denjenigen die Stirn bieten, die sie zerstören wollen.

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  • GerdHeiner 6. Januar 2020, 19:15

    Ausgezeichneter Beitrag, meine Hochachtung!

  • R.A. 6. Januar 2020, 20:14

    Hmm. Schwieriger Beitrag.
    Der historische Hintergrund ist prima und da kann ich überall nur zustimmend nicken. Natürlich gab es schon immer Tendenzen, Gruppen zu definieren und über Zugehörigkeit Menschen zu bestimmten Denkrichtungen zu bewegen. Hat wirklich jemand behauptet, in dieser Allgemeinheit wäre das ein ganz neues Phänomen?

    Wenn man so abstrakt bleibt, dann ist natürlich die Geschichte eine Geschichte von Identitätspolitik. Genauso wie sie eine Geschichte der Klassenkämpfe ist, weil es immer irgendwelche Leute oben und andere unten gab und die sich angesichts ihrer unterschiedlichen Interessen oft stritten.
    Nur ist das so allgemein fast trivial – und auch unvollständig, weil Identität oder „oben gegen unten“ immer nur Teilaspekte beschreibt. Klar, gab es immer, war immer wichtig – aber eigentlich erklärt das nicht viel.

    Eigentlich soll es ja wohl um die sehr spezielle Ausprägung von Identitätspolitik der US-Linken gehen:
    „Dem Narrativ folgend begannen linke Parteien damals, sich stärker über Identitätsfragen zu identifizieren und darüber ihre frühere Markenkerne zu vernachlässigen – worin dann das Abwandern ihrer klassischen Klientel zum Rechtspopulismus und der große Backlash, der denselben befeuert, kommt.“

    Ich sehe nicht, daß hier „Identität“ der wirklich neue Aspekt ist. Die frühere Identität der Linken als Interessenvertreter der „Arbeiterschicht“ funktionierte ja genauso über die in der Politik übliche Gruppenbildung.
    M. E. wird der Begriff „Identitätspolitik“ nur deswegen nötig, weil es halt jetzt um verschiedene Gruppen geht (Schwule, Farbige, Schneeflöckchen …) und da ein Überbegriff nötig war. Bei „Arbeiterschicht“ war kein Oberbegriff nötig, auch wenn sich die alte Linke durchaus auch an Nicht-Arbeiter wandte.

    Bleibt halt nur der banale Fakt, daß die alte Identitätspolitik der Linken Chancen auf Wählermehrheiten hatte während die Addition der neuen Identitätsgruppen für Wahlen nicht viel bringt. Da muß dann stärker auf Motivation wie die Identität „nicht rechts“ gesetzt werden – aber das erfordert halt mehr Polarisierung und Emotionalität und ist der Qualität des politischen Prozesses nicht sehr zuträglich.

    • Stefan Sasse 6. Januar 2020, 21:43

      Ich meine, mit der These könntest du nicht nur ein Buch, sondern eine akademische Karriere füllen; daher wird der Artikel zwangsläufig oberflächlich bleiben 😉

      Das Zusammenbinden verschiedener Gruppen in eine Koalition wurde schon immer betrieben. Schau mal Bismarck an: Das „Bündnis von Roggen und Stahl“, das disparate Gruppen zueinander brachte und nebenbei alles, was sonst noch so mit konservativer Identitätspolitik eingesammelt wurde, in sich vereinte. Oder wie Fraktionen in der Römischen Republik von den neuerdings wahlberechtigten Bundesgenossen über den arbeitslosen Plebs zu Aristokratenabsteigern Koalitionen bauten. Nichts Neues.

    • derwaechter 6. Januar 2020, 21:46

      Genau diese enorme Ausweitung (und damit Unbrauchbarkeit) wollte ich auch kommentieren.

      • Stefan Sasse 6. Januar 2020, 21:50

        Ich finde, gerade die schafft überhaupt die dringend notwendige Perspektive.

        • derwaechter 6. Januar 2020, 22:15

          Der Begriff wird so unscharf, dass er eben keine Perspektive schafft.

          Du zeigst, dass Identität in der Politik meist (auch) eine Rolle spielt. Bei identity politics sollte sie m.E. aber die zentrale Rolle spielen, wenn der Begriff einen analytischen Wert haben soll.

          • Erwin Gabriel 8. Januar 2020, 18:48

            @ derwaechter 6. Januar 2020, 22:15

            Der Begriff wird so unscharf, dass er eben keine Perspektive schafft.

            Meinst Du „Perspektive“ im Sinne von „Lösung“?

            Wie soll es die geben, wenn praktisch jedes Tierrudel neue Mitglieder entweder garnicht oder nur mit großen Vorbehalten akzeptiert?

            Du zeigst, dass Identität in der Politik meist (auch) eine Rolle spielt. Bei identity politics sollte sie m.E. aber die zentrale Rolle spielen, wenn der Begriff einen analytischen Wert haben soll.

            Den Einwand habe ich vielleicht nicht richtig verstanden. Welche nennenswerte Konflikte (müssen ja nicht jedesmal kriegerische Auseinandersetzungen gewesen sein) der letzten Jahre oder Jahrzehnte kannst Du bennennen, in der die Identität keine entscheidende Rolle spielte?

  • R.A. 6. Januar 2020, 20:23

    Und dann ist da noch dieses merkwürdige Beispiel:
    „Praktisch niemand interessierte sich für Glühbirnen, bevor die EU sie zugunsten der billigeren, effizienteren und umweltfreundlicheren LEDs abschaffte. Urplötzlich aber entstanden landauf, landab glühende (hehehe) Fans der Glühbirne, die sie gegen die böse EU verteidigten und Vorräte des veralteten Leuchtmittels horteten, während sie auf die Krake aus Brüssel schimpften.“
    Ich würde nicht sagen, daß sich früher niemand für Glühbirnen interessierte. Schließlich brauchte und kaufte die jeder. Sie waren nur wegen ihrer Selbstverständlichkeit kein politisches Streitthema.

    Und nein, sie wurden nicht zugunsten der billigeren, effizienteren und umweltfreundlicheren LEDs verboten. Die waren nämlich damals noch nicht wirklich verfügbar.
    Sondern verboten wurden sie zugunsten der teuren, unpraktischen und anders umweltschädlichen „Energiesparlampen“. Nachdem diverse Hersteller und grüne NGOs dafür Lobbyarbeit betrieben hatten.

    Mit der EU hat das eigentlich recht wenig zu tun – denn dumme Verbote gibt es auf allen politischen Ebenen. Bei etwas anderen Zuständigkeiten wäre das Verbot wohl aus Berlin gekommen, und dann trotzdem kein Nachweis gewesen, daß die deutsche Einigung ein Fehler war.

    OK, viele dumme Leute (also vor allem viele EU-Gegner) können nicht zwischen politischen Entscheidungen und politischen Ebenen differenzieren. Und es mag durchaus Beispiele geben, die tatsächlich so wie von Dir beschrieben wg. „Identität“ so handeln.

    Aber ich glaube nicht, daß das typisch ist. Vielmehr ist das ein Beispiel dafür, daß sehr wohl neben Identität die guten alten Interessen immer noch die wesentlichen Rolle spielen.

    Ich habe mir – als bekennender EU-Fan – auch einen größeren Vorrat an Glühlampen eingelagert, als das unsinnige Verbot kam. Weil für die meisten meiner im Haus verbauten Lampen noch keine passenden neuen Leuchten verfügbar waren, weil die Energiesparlampen für die meisten Einsatzzwecke viel zu teuer waren (weil die Lampe nur kurz und selten benutzt wird) und weil sie im Gebrauch Nachteile haben.

    Irgendwann werde ich mal nur noch Halogen/LED-Beleuchtung im Haus haben. Aber bis dahin wird der Glühlampenvorrat noch gute Dienste tun. Ohne irgendwelche Identitäts-Hintergedanken.

    • Stefan Sasse 6. Januar 2020, 21:44

      Danke für die Perspektive.

    • derwaechter 6. Januar 2020, 21:49

      Und über das eigenartige Beispiel bin ich auch gestolpert.
      Ich (als grüner Stammwähler, Unweltbewegter und Klimaaktivist) fand das Verbot damals auch eher falsch. Aus den genannten Gründen und nicht zuletzt auch, weil der Stromsektor ja eh bereits Teil des Emissionshandels war.

      • Stefan Sasse 6. Januar 2020, 21:51

        Mir ging es eher darum zu zeigen wie solche Themen plötzlich identitär aufgeladen werden, aber vermutlich war es dafür ungeeignet. Den Punkt geb ich euch gerne.

        • derwaechter 6. Januar 2020, 22:17

          Und genau das unterscheidet hier den einen Stefan von dem anderen 🙂

    • Erwin Gabriel 8. Januar 2020, 19:02

      @ R.A. 6. Januar 2020, 20:23

      [Praktisch niemand interessierte sich für Glühbirnen, bevor die EU sie zugunsten der billigeren, effizienteren und umweltfreundlicheren LEDs abschaffte. Urplötzlich aber entstanden landauf, landab glühende (hehehe) Fans der Glühbirne, die sie gegen die böse EU verteidigten und Vorräte des veralteten Leuchtmittels horteten, während sie auf die Krake aus Brüssel schimpften.]

      … nein, sie wurden nicht zugunsten der billigeren, effizienteren und umweltfreundlicheren LEDs verboten. Die waren nämlich damals noch nicht wirklich verfügbar.
      Sondern verboten wurden sie zugunsten der teuren, unpraktischen und anders umweltschädlichen „Energiesparlampen“. Nachdem diverse Hersteller und grüne NGOs dafür Lobbyarbeit betrieben hatten.

      Zustimmung. Den Einwand hatte ich auch, obwohl ich das Beispiel in Anbetracht des tollen Artikels nicht für ausschlaggebend halte.

      Ich erinnere mich noch an die damalige Situation: Ich kam damals ziemlich spät aus dem Büro und hörte in den Mitternachts-Nachrichten, dasss Australien, um das Ozon-Loch zu bekämpfen, über ein Verbot von Glühlampen nachdachte. Am nächste Morgen hörte ich auf der Fahrt ins Büro, dass der damalige Umweltminister Sigmar Gabriel genau diesen Vorschlag auch zum Morgenkaffee herausgehauen hatte.

      Anders als Australien, dass trotz Ozonloch nach entsprechenden technischen Untersuchungen auf die Umsetzung des Verbots verzichtete – die damaligen Stromsparlampen hielten nicht so lange wie versprochen, ließen in ihrer Leuchtkraft nach, produzierten unnatürliches Licht, flackerten und mussten aufgrund der giftigen Füllung als Sondermüll entsorgt werden – setzte Gabriel das Verbot in der EU durch.

      Es war eine zwar technisch unsinnige, aber aus damaligen ideologischen Gründen offenbar erforderliche Politik, und ist zumindest von Befürworter-Seite her ein gelungenes Beispiel für Identitätspolitik.

      Ist zumindest aus dieser Sicht ein gelungenes Beispiel für Identitätspolitik 🙂

  • Ralf 6. Januar 2020, 20:31

    Du machst aus meiner Sicht wieder mal den Fehler eine Definition, diesmal von „Identity Politics“, so absurd weit zu fassen, dass es zwar Deiner Argumentation entgegenkommt, aber eben zum Preis der totalen Verwässerung der eigentlichen Bedeutung. Wenn Du schreibst „Grundsätzlich gilt: All politics is identity politics. „, dann hast Du den „Identity-Part“ in dem Terminus komplett redundant gemacht und Du könntest statt über „Identity Politics“ auch einfach nur über „Politics“ schreiben.

    Und so vermischt Du z.B. völlig unterschiedliche politische Anliegen und Mittel zu einer ununterscheidbaren Masse, obwohl sich diese Anliegen und Mittel diametral widersprechen. Der Zarathustra-Ansatz z.B. ist ein Ansatz der gesellschaftlichen Spaltung: Hier Gut, da Böse. Die populistische und extreme Rechte betreibt den Zarathustra-Ansatz ganz massiv: z.B. Christliche Mehrheit gut, islamische Minderheit schlecht. Vom Muslim-Ban bis hin zum Aufhängen von Kruzifixen in Behörden geht es um Abgrenzung gegen den Feind. Auch der Linken ist der Zarathustra-Ansatz nicht fremd (z.B. militante Vegetarier), wenngleich gesellschaftlich wesentlich weniger stark ausgeprägt und meist deutlich weniger gewaltbereit (ich meine „Gewalt“ in diesem Kontext, so wie ich „Gewalt“ definiere, nicht so wie Du „Gewalt“ definierst).

    Was aber normalerweise in der politischen Debatte unter „Identity-Politics“ verstanden wird, ist eher die Ausweitung von Minderheitenrechten bzw. den Rechten von Benachteiligten, ohne dabei in ein Gut-Böse-Schema zu verfallen. Wer die Ehe für alle anstrebt, teilt die Welt z.B. nicht in „gute Homosexuelle“ und böse „Heterosexuelle“ ein. Wer sich für Transgenderrechte einsetzt, teilt die Welt nicht in „gute Transsexuelle“ und den schlechten „Rest“ ein. Und wer sich für die gerechte Entlohnung von Frauen stark macht, denkt in der Regel nicht in Kategorien von „guten Frauen“, die „schlechten Männern“ gegenüberstehen. Hier liegt also das krasse Gegenteil des Zarathustra-Ansatzes vor und beides durch eine artifizielle Definition unter einem Hut zu zwingen macht keinen Sinn. Progressive Identity Politics wollen nicht spalten, sondern versöhnen.

    Wenig überraschend richtet sich die Kritik an „Identity Politics“ , die aus dem linken Lager kommt, deshalb in der Regel auch nicht gegen die Anliegen an sich, sondern gegen den wahltechnischen Nachteil, den man sich ohne Bürde auflädt, wenn man statt für Anliegen, die alle Bürger interessieren (z.B. gute Jobs, solide Krankenversicherung, funktionierende Infrastruktur), auf Anliegen fokussiert, die nur für eine kleine Minderheit Priorität hat (z.B. Toilettenwahl für Transsexuelle). Prioritäten, die nach gewonnener Wahl im übrigen bei den primär sozial und wirtschaftlich interessierten Linken (etwa ein Bernie Sanders oder eine Elizabeth Warren) in guten Händen wären. Was man umgekehrt nicht behaupten kann.

    Ein letzter Punkt, der bei Dir auch nicht so ganz rauskommt, ist die Tatsache, dass nicht jedes Thema zwei (oder mehr) Seiten hat und man in diesen Fällen folglich auch nicht wirklich von Identity-Politics sprechen kann. Vakzingegner oder Leugner des Klimawandels repräsentieren keine „Identität“, nur weil sie sich aus der Welt von Evidenz und Realität verabschiedet haben.

    • Stefan Sasse 6. Januar 2020, 21:46

      Das sehe ich anders. Auch diese Leute haben eine Identität; als „Systemkritiker“, als aufgeklärte Typen, die hinter die Fassade der „herrschenden Mächte“ schauen, und so weiter.

      • derwaechter 6. Januar 2020, 21:56

        Bei identity politics denke ich v.a. an Themen die über ihre eigentliche Bedeutung hinaus politisch aufgeladen werden und die eine Art Proxy werden. Z.B. Abtreibung bei den Rechten in den USA oder gendergerechte Sprache bei den hiesigen Linken.

        • Stefan Sasse 7. Januar 2020, 06:35

          „Über ihre eigentliche Bedeutung hinaus“ ist bereits eine Wertung, die du festlegst. Das macht „identity politics“ zu „Sachen, die ich übertrieben finde“. Als analytische Kategorie ist das wenig sinnig.

          • derwaechter 7. Januar 2020, 08:48

            Das ist natürlich eine Gefahr. Aber dennoch kann man (versuchen) objektiv zu beschreiben, wenn Themen zusätzlich zu ihrem eigentlichen Inhalt auch oder sogar überwiegend einen Symbolcharakter bekommen.

            • Stefan Sasse 7. Januar 2020, 09:15

              Meine These ist ja gerade dass JEDES Thema einen Symbolcharakter bekommt, sobald es in der Öffentlichkeit hervorgehoben diskutiert wird. Darauf wollte ich ja mit meinen Glühbirnen ursprünglich raus.

              • derwaechter 7. Januar 2020, 10:39

                Das ist dann auch ein Henne-Ei-Problem. Werden Themen hervorgehoben diskutiert weil sie Symbolcharakter haben, oder bekommen sie diesen erst weil sie hervorgehoben diskutiert werden?

        • Erwin Gabriel 8. Januar 2020, 19:07

          @ derwaechter 6. Januar 2020, 21:56

          Bei identity politics denke ich v.a. an Themen die über ihre eigentliche Bedeutung hinaus politisch aufgeladen werden und die eine Art Proxy werden. Z.B. Abtreibung bei den Rechten in den USA oder gendergerechte Sprache bei den hiesigen Linken.

          Ich verstehe, was Du meinst. Das ist aber aus meiner Sicht eine Frage der Interpretation. Stefan redet allgemein von Identitätspolitik, Du von Missbrauch der Identitätspolitik. Ich sehe da keinen Gegensatz, sondern eher eine Ergänzung.

  • destello 6. Januar 2020, 21:32

    Mir geht es ähnlich wie RA und Ralf. Als Sie vor Kurzem diesen Blog angekündigt hatten, hatte ich mich schon darauf gefreut, aber ich bin enttäuscht, denn für mich ist dieser Beitrag ein einziger Strohmann. Denn wie Sie schon sagen, Identitätspolitik so wie Sie ihn beschreiben, hat es immer schon gegeben. Jeder Mensch will Teil einer Gruppe sein. Der ganze Beitrag beschreibt also etwas Selbstverständliches.
    Für mich ist Identitätspolitik wie er zurzeit als (Kampf)begriff benutzt wird aber etwas anderes, denn ich hatte dieses Wort als 49-jähriger (mäßig) politisch Interessierter bis vor wenigen Jahren noch nie gehört.
    Für mich ist das Besondere an der jetzigen Identitätspolitik, dass sie das Subjektive absolut setzt und Menschen, die nicht zur Gruppe gehören, von der Diskussion ausschließt. Drei Beispiele:
    – Ich (als Transsexueller) fühle mich als Mann, obwohl mein Körper der einer Frau ist. Daher bin ich ein Mann
    – Ich (als Frau) fühle mich sexuell bedrängt. Daher bin ich sexuell bedrängt.
    – Ich (als Ausländer) fühle mich diskriminiert. Daher bin ich diskriminiert.
    Es werden also absolute Standards abgelehnt, und komplett auf die subjektive Empfindung als die Wahrheit gesetzt. Gleichzeitig wird einem (als Mann, als Einheimischer) jegliche Wortmeldung verboten, da man nicht Teil der Gruppe ist und daher keine Ahnung hat.
    Und das empfinde ich als gefährlich, da eine echte Diskussion unmöglich gemacht wird.

    • Stefan Sasse 6. Januar 2020, 21:50

      Diese Selbstverständlichkeit wird eben permanent geleugnet. Schau mal in die USA auf die ganzen Debatten über „real Americans“. Oder dieses unsägliche Wertschätzen von AfD-Wählern, weil die irgendwie so unberührt von diesen Fragen seien.

      Und es gibt auch kein Verbot, an einer Diskussion teilzunehmen. Was gefordert wird ist anzuerkennen, dass du als Nicht-Mitglied einer Gruppe nicht die Erfahrung gemacht hast. Zu sagen, Rassismus sei kein Problem, weil du ihn als Weißer nicht erfährst, ist halt Bullshit. Und da kann man dann schon zurecht drauf verweisen, dass dir die subjektive Erfahrung fehlt und deswegen ein Argument aus Erfahrung einfach nicht valide ist. Andere Argumente kannst du ja trotzdem bringen. Aber dieses Absprechen der eigenen Erfahrung geht halt gar nicht.

    • Erwin Gabriel 8. Januar 2020, 19:19

      @ destello 6. Januar 2020, 21:32

      Identitätspolitik, so wie Sie sie beschreiben, hat es immer schon gegeben. Jeder Mensch will Teil einer Gruppe sein. Der ganze Beitrag beschreibt also etwas Selbstverständliches.

      Das finde ich in Ordnung und durchaus als hilfreich, auch mal allgemein erläutert zu bekommen, wie so eine „Mechanik“ funktioniert.

      Für mich ist Identitätspolitik, wie er zurzeit als (Kampf)begriff benutzt wird aber etwas anderes, denn ich hatte dieses Wort als 49-jähriger (mäßig) politisch Interessierter bis vor wenigen Jahren noch nie gehört.

      Sie sprechen wie auch derwaechter von einem Mißbrauch der Identitätspolitik („Kampfbegriff“), von Versuchen, ein Thema mit einer durch die Sache nicht zwangsweise gegebene Identität aufzuladen.

      – Ich (als Transsexueller) fühle mich als Mann, obwohl mein Körper der einer Frau ist. Daher bin ich ein Mann
      – Ich (als Frau) fühle mich sexuell bedrängt. Daher bin ich sexuell bedrängt.
      – Ich (als Ausländer) fühle mich diskriminiert. Daher bin ich diskriminiert.
      Es werden also absolute Standards abgelehnt, und komplett auf die subjektive Empfindung als die Wahrheit gesetzt.
      Gleichzeitig wird einem (als Mann, als Einheimischer) jegliche Wortmeldung verboten, da man nicht Teil der Gruppe ist und daher keine Ahnung hat.

      Ich bin mir nicht sicher, ob „Identitätspolitik“ die richtige Bezeichnung dafür ist, da es sich um individuelle Wahrnehmungen und Ansichten handelt, nicht um Gruppenwahrnehmungen und -ansichten. Aber das von Ihnen beschriebene Problem sehe ich genauso, und empfinde es auch als gefährlich.

  • Marc 7. Januar 2020, 10:18

    Ich stimme völlig mit der These überein, dass im Grunde Identity Politics immer vorherrschend war. Es findet derzeit ja ein Radikalisierungsprozess statt und irgendwie ist er damit verknüpft. Meine Wahrnehmung ist, dass erst mit Aufkommen der Demokratie Fakten und Vernunft vor die Identity Politics gestellt wurden. Dass die Erkenntnis herrschte, ein Kompromiss, der möglichst viele unterschiedliche Identity-Bedürfnisse befriedigt, das wünschenswerte Ziel ist. Dass es ein Gewinn ist, an der eigenen Position auch Abstriche zu machen, um andere, wichtigere Positionen durchsetzen zu können. Davon ist derzeit nichts mehr zu spüren.

    Die Vernunft wurde mit dem Alternativlosigkeits-Dogma des Neoliberalismus aufgegeben: Nur der Markt hat Recht, der Staat muss weg. Diese Ideologie zwingt einen, sich auf die eine oder andere Seite zu stellen. Ein Kompromiss ist unerwünscht. Verstärkt wird dieser Prozess dadurch, dass die Kritikerseite mit Kampfbegriffen wie Sozialisten aufgeladen wurde: Wer gegen den Neoliberalismus ist, der will doch eh nur schmarotzen.

    Als die Migrationskrise aufbrach, bot dieser dichotome Schwachsinn mit seinem mitschwingenden Sozialdarwinismus leider viel zu viele Anknüpfungspunkte zur rassistisch geprägten Identity Politics. Den fortschreitenden Zerfall kann täglich beobachten.

    • Stefan Sasse 7. Januar 2020, 15:16

      Ich denke, diese Wahrnehmung ist eine Mirage. Die vorantiken Theokratien waren wesentlich weniger vernunftgesteuert als die athenische Demokratie, und die mittelalterlichen Fürsten gaben Fakten sicherlich nicht mehr Vorrang als die Weimarer Republik.

      Ich glaube, wir sind uns einig, dass aktuell Probleme bestehen, aber damit haben sie IMHO nichts zu tun; da ziehst du, fürchte ich, deine Folie drüber.

      • Marc 8. Januar 2020, 10:18

        Mir geht es um die Frage, mit welchem anderen Gegenpol Identity Politics konkurriert. Ich würde jetzt sagen, Vernunft trifft es nicht, es sind mehr ökonomische Interessen. Das übliche Vorgehen ist, seine Interessen in eine Geschichte zu verpacken, die an die Identity anknüpft, um auch die abholen zu können, die die Interessen nicht teilen.

        Das Problem der Identity Politics ist ja, dass sie innere Widersprüche erzeugen, z.B. ich muss mich abschotten vs. ich benötige Zuwanderung für Wachstum und Innovation. Eine gemäßigte Politik findet für solche Widersprüche jeweils den passenden Identity Spin und ermöglicht das bestehen unterschiedlicher Interessen. Eine radikalisierte Gesellschaft erlaubt solche Tricks nicht mehr, es darf nur noch die „wahre“ Identity durchgesetzt werden.

        Normal wird Identity Politics von den Eliten zur Verschleierung ihrer Interessen verwendet. Dadurch wird sie beliebig. Eine radikale Ideologie fordert das Ende dieser Beliebigkeit und erlaubt nur noch dichotome Grundsätze.

        • Stefan Sasse 8. Januar 2020, 13:15

          Jein. Identity Politics kann, wie alles, missbraucht werden. Einen grundsätzlichen Gegensatz sehe ich nicht. Wenn etwa Minderheiten für die rechtliche Gleichstellung, Akzeptanz und Toleranz kämpfen, berührt das ja gleichzeitig ihre ökonomischen Interessen elementar.

          • Marc 8. Januar 2020, 14:28

            Der qualitative Unterschied im Missbrauch ist das Aushebeln wichtiger demokratische Prozesse. Während eine Politik ihre Legitimation durch den demokratischen Prozess erlangt, ist des bei toxischer Identity Politics umgekehrt, die Politik ist bereits durch die Ideologie „legitimiert“, die Prozesse müssen daher gebeugt werden.

          • Marc 8. Januar 2020, 17:13

            Nachtrag: Ein aktuelles Beispiel, für das, was ich meine:

            https://twitter.com/RAStadler/status/1214928809616646146

      • Marc 8. Januar 2020, 10:30

        Nachsatz: Es geht vielmehr um die Frage: wie werden die permanent auftretenden Widersprüche gelöst? Eine vernunftbasierte, interessengeleitete Lösung versucht möglichst ein Optimum unterschiedlicher Interessen zu erzielen, radikalisierte Identity Politics geht es darum, dass sich der politisch Stärkste durchsetzt und der Rest vernichtet wird.

  • cimourdain 7. Januar 2020, 20:32

    Auch wenn der Galopp durch die Geschichte sehr interessant zu lesen ist, muss ich mich einigen anderen hier im Forum anschliessen: Wenn jede Politik Identitätspolitik ist, dann verliert der Begriff Trennschärfe und damit Bedeutung.
    Also muss man zu der Diagnose Identitätspolitik noch weiteregehende Fragen stellen:
    – Könnte nicht die Aufregung Interessengesteuert sein? Die Gegner des Glühbirnenverbots sind so heterogen ( über deine EU-Gegner hinaus Elektrosmog-Esoteriker, ‚Lichtästethen‘) legt nahe, dass dahinter Lobbyarbeit der Hersteller steckte.
    – Wie explizit oder implizit ist eine Politik auf einzelne Gruppen ausgerichtet? Bei einem Kopftuchverbot etwa ist jedem klar, dass dieses auf Muslime ausgerichtet ist. Oder ein interessantes historisches Beispiel : Während heute ‚Open Carry‘ bei Feuerwaffen Teil der rechten, ‚weissen‘ Identität ist, war der einschränkende Mulford-Act ziemlich unverhohlen gegen die bewaffneten Patrouillen der BlackPanther gerichtet.
    – In welchem Masse geht es um materielle Verteilungsfragen ? Der Mindestlohn ist ein gutes Beispiel, wo eine Identitätsfrage mit starken materiellen Konsequenzen verbunden war.
    – Geht es um die Rechtsstellung einer Gruppe mit weitreichenden Konsequenzen ? Während die Frauenbewegung der 70er sich mit den Konservativen im Abtreibungsthema verhakt hatte, hat die sozialliberale Koalition ziemlich unbemerkt mit der Familienrechtsnovelle von 1976 den Frauen wirtschaftliche Autonomie ermöglicht.
    – Geht es es im wesentlichen um die Deutungshoheit zwischen machtpolitischen Fraktionen und die Politik bietet nur den ideologischen Hintergrund? Der Rosenkrieg wäre ein typisches Beispiel dafür. Ichwürde auch die Reformationskriege in die Kategorie setzen. Und auch der Konflikt zwischen Optimaten und Popularen ging schon bald nicht mehr um den ager publicus, sondern um Herrschaft.
    Kurz stellen sich zwei Fragen: Wie ‚hart‘ ist eine Politik in Bezug auf materielle und rechtliche Konsequenzen ? und Wer profitiert von der Politik und wer profitiert von der Diskussion ?

    • Stefan Sasse 7. Januar 2020, 22:51

      – Oh selbstverständlich. Letztlich ist die meiste dieser Aufregung von irgendeinem Interesse gesteuert.
      – Sehr. Die von dir genannten Beispiele sind dafür ja sehr gut geeignet.
      – Ist ein sehr schwieriges Thema IMHO. Ich habe das Gefühl, dass beides grundsätzlich getrennt ist, aber in der Praxis dann natürlich (wegen Politik, die immer Identitätspolitik ist) vermischt wird. Praktisches Beispiel: In den Nullerjahren wurde unter anderem damit Stimmung gemacht, die angeblich faulen Hartz-IV-Bezieher von den hart arbeitenden Niedriglöhnern abzugrenzen.
      – Absolut!
      – Das lässt sich kaum trennen. Manche Akteure sind rein machtpolitisch motiviert und hängen sich an eine Sache an, um in ihrem Windschatten Erfolge zu kriegen. Andere sind Überzeugungstäter.

      Was meinst du mit „hart“? Und von welcher Politik profitieren?

      • cimourdain 8. Januar 2020, 22:31

        „Ist ein sehr schwieriges Thema IMHO….“ Diese selbstverstärkende Wirkung von Stimmung(smache)-Maßnahme-Gewöhnung-Stimmung-Maßnahme habe ich unterschätzt. Der Übergang ist tatsächlich nicht einfach.

        „Das lässt sich kaum trennen….“ =>‚ Aber für das Wasser unten heißt das leider
        nur: Dass es das Rad halt ewig treibt.‘

        „Was meinst du mit ‚hart‘ ?“ Politik, deren Auswirkung sich direkt zahlenmäßig (meist in Geld) nachweisen lässt. z.B. ‚Die neue Abgabe erbrachte 20xx soundso viel.‘. ‚Weich‘ sind schwer oder gar nicht in Ihrer Wirkung quantifizierbare Politiken, z.B. ‚Eine harte Linie gegen Clankriminalität bis hin zu Falschparkern‘ [ außer du rechnest den Rückgang der Diebstähle von zentnerschweren Münzen nach 2017 um sensationelle 100% als Erfolg]

        • Stefan Sasse 8. Januar 2020, 22:51

          Ja 🙁

          Nun ja, gerade bei Themen von Steuer- und Abgabenerhöhungen oder -senkungen lässt sich das ja recht genau taxieren. Schwieriger wird es bereits, wenn es um Multiplikatoreffekte von Investitionsprogrammen geht. Aber generell: wo Geld in konkrete Dinge investiert wird, können wir üblicherweise besser messen als dort, wo – wie du richtig zeigst – weiche Ziele angedacht sind.

    • R.A. 8. Januar 2020, 16:41

      „Die Gegner des Glühbirnenverbots sind so heterogen (…) legt nahe, dass dahinter Lobbyarbeit der Hersteller steckte.“
      Nein. Diese Heterogenität legt in erster Linie nahe, daß hier Sachargumente vorhanden sind, die Leute ganz unterschiedlicher Herkunft/Gruppenzugehörigkeit motivieren können.
      Die Lobbyarbeit der Hersteller ging damals eindeutig in Richtung Verbot, weil dadurch die margenarmen Glühbirnen durch die lukrativen Energiesparlampen ersetzt wurden.

      Mal so generell: Stefan hat wohl recht, daß (erfolgreiche) Politik immer auch ein Stück „Identität“ beinhaltet. D.h. die Fähigkeit, Leute über ihre Gruppenzugehörigkeit zu motivieren. Aber der Anlaß ist eigentlich immer sachgetrieben – man braucht ein Thema, daß inhaltlich genug hergibt, daß sich entsprechende Gruppen motivieren lassen.

      Und alle Menschen gehören ja zu vielen verschiedenen Gruppen gleichzeitig. Es ist daher eine Frage des Themas, wie sie sich konkret positionieren,
      Ob z. B. ein schwuler Selbständiger mit einer Jagdpacht sich für die Grünen, die FDP oder die CDU engagiert, das hängt oft davon ab, welche seiner Gruppenzugehörigkeiten in der aktuellen Tagespolitik diskutiert und entschieden wird.

      • Stefan Sasse 8. Januar 2020, 17:22

        Eine Ergänzung. Diese Sachthemen polarisieren gerne anhand vorhandener Ideologien, weil Leute sich ja normalerweise nicht auskennen. Wenn also ein Thema aufs Tablett kommt, bei dem die meisten Leute keine vorgefertigte Meinung haben (Krümmungsgrad von Gurken), dann sortiert man sich da schnell entlang der jeweiligen Ideologie und übernimmt die passenden Argumente. Ist ja nicht so, als müssten Präkonzepte überwunden werden.

        • Erwin Gabriel 8. Januar 2020, 19:29

          @ Stefan Sasse 6. Januar 2020, 21:50

          Und es gibt auch kein Verbot, an einer Diskussion teilzunehmen.

          Seufz. Natürlich hält mir kein Mensch den Mund zu. Genauso natürlich gibt es Ausgrenzungen, Verunglimpfungen etc. Nicht jeder ist offen für eine offene Diskussion.

          Was gefordert wird ist anzuerkennen, dass du als Nicht-Mitglied einer Gruppe nicht die Erfahrung gemacht hast. Zu sagen, Rassismus sei kein Problem, weil du ihn als Weißer nicht erfährst, ist halt Bullshit.

          Es ging doch nicht um Leugnen von Rassismus oder Sexismus, sondern darum, dass im Zweifel eine persönliche Befindlichkeit reicht, alle Fakten und andere Argumente abzulehnen.

          • Erwin Gabriel 8. Januar 2020, 19:30

            Falsche Zuordnung. Das sollte woanders hin – sorry.

        • Erwin Gabriel 8. Januar 2020, 19:32

          @ Stefan Sasse 8. Januar 2020, 17:22

          Wenn also ein Thema aufs Tablett kommt, bei dem die meisten Leute keine vorgefertigte Meinung haben (Krümmungsgrad von Gurken), dann sortiert man sich da schnell entlang der jeweiligen Ideologie und übernimmt die passenden Argumente.

          Zustimmung aus eigener Erfahrung. Manchmal läuft das bei mir so.

          • Stefan Sasse 8. Januar 2020, 21:53

            Ich versuche immer, mich dagegen zu wehren, aber das klappt nicht immer, und manchmal merkt man’s gar nicht.
            Beispielsweise ermahne ich mich grad ständig, nichts zum Thema Iran zu sagen…

            • Rauschi 10. Januar 2020, 09:42

              Beispielsweise ermahne ich mich grad ständig, nichts zum Thema Iran zu sagen…
              Warum? Gerade an dem Thema könnten Sie doch testen, wie gut das mit dem dagegen wehren klappt.
              Dafür sollten aber erst mal alle Fakten auf dem Tisch liegen, oder nicht?

              • Stefan Sasse 10. Januar 2020, 10:32

                Weil ich mich schlicht nicht genug auskenne. Ich könnte wenig machen als meine eigenen Vorurteile zu bestätigen.

                • Rauschi 10. Januar 2020, 11:43

                  Weil ich mich schlicht nicht genug auskenne.
                  Woran liegt das und warum sollte sich das nicht ändern lassen?
                  Seltsame Aussage.

                  • Stefan Sasse 10. Januar 2020, 11:56

                    Ich kenne mich halt nicht überall aus. Ist nett von dir, dass du mir Universalkompetenz zutraust, aber ich versuche allgemein schon, bei meinen Leisten zu bleiben. Das Vermischte hilft mir dabei auch, weil ich da Teilaspekte herausnehmen kann, zu denen ich was sagen zu können glaube, und nicht immer das große Fass aufmachen muss. Das führt dann entweder zu peinlich uninformierten Artikeln oder dazu, dass gar nichts dazu erscheint. Aber in dem Fall erscheint mir „gar nichts“ als deutlich bessere Alternative.

            • Erwin Gabriel 10. Januar 2020, 11:08

              @ Stefan Sasse 8. Januar 2020, 21:53

              Beispielsweise ermahne ich mich grad ständig, nichts zum Thema Iran zu sagen…

              Verstehe ich…
              Zu dem Thema habe ich mindestens drei Meinungen
              – keine ist kompetent, aber alle sind kontrovers 🙂

              • Stefan Sasse 10. Januar 2020, 11:54

                Ja, ungefähr so geht es mir auch. Ich meine, ich hab von dem Typen noch nie gehört bevor die USA ihn hochgejagt haben, da sollte ich mir nicht anmaßen das kompetent kommentieren zu können.

                • Rauschi 10. Januar 2020, 12:32

                  Welche Hintergrundinformation wären denn nötig, um die Tötung mit einer Drohne eines Regierungsmitgliedes samt Mitarbeiterstabes eines fremden Landes in einem anderen Land zu rechtfertigen oder auch nur bewerten zu können?
                  Denn zumindest das ist ja unbestritten, oder?
                  Ich stelle mir gerade vor, was los wäre, wenn die Russen sowas gemacht hätten.

                  Wird aber sicher nur whataboutism sein, so ein Totschlagwort, mit dem jede Kritik delegitimiert werden kann, ob berechtigt oder unberechtigt.

                  • Stefan Sasse 10. Januar 2020, 14:04

                    Ich bin sehr zuversichtlich, dass du eine gute Rechtfertigung für eine gezielte Tötung eines amerikanischen Generals hätte, der völkerrechtswidrig in irgendeinem Land rumspringt und Terroraktionen koordiniert. Ich glaube an dich!

                    • Rauschi 10. Januar 2020, 15:39

                      Wow, da habe ich immer geschrieben, das ich jede Gewalt ablehne und dann kommt sowas? Erste Sahne, kein Frage. Aber sicher ist auch das für Herr Gabriel und Konsorten wieder in Ordnung, geht ja nur gegen mich.

                      So lenkt man dann von der eigentlichen Frage ab. Also nochmal, welche Informatione fehlen IHNEN zur Einordnung? Ich habe mich dazu noch nicht positioniert.

                    • Stefan Sasse 10. Januar 2020, 15:56

                      Ich habe nur wenig Hintergrundwissen über den Iran im Speziellen und die Region im Allgemeinen. Ich kannte den Typen vorher überhaupt nicht. Und so weiter.

                    • Rauschi 10. Januar 2020, 16:46

                      Was ändert die Kenntniss der Person an einer Einordnung?
                      Kann mich nicht entsinnen, solche Fragen in Bezug auf Skripla jemal so was gelesen zu haben.

                      Selbst wenn der ein verurteilter Mörder wäre, wäre dann der Abschuss von ihm und seinen 6 Begleiter in Ordnung?

                      Nein, dafür brauche ich zum Land gar keine Kenntnisse, nur zu den Vorkommnissen und zur rechtlichen Einordnung durch das Völkerrecht.

                    • Stefan Sasse 10. Januar 2020, 16:51

                      Geht es dir um die Frage, ob die Tötung legal war? Selbstverständlich nicht. Aber was will ich dazu schreiben? Das ist doch nicht kontrovers.

                    • Rauschi 11. Januar 2020, 10:01

                      Selbstverständlich nicht. Aber was will ich dazu schreiben? Das ist doch nicht kontrovers.

                      Doch, denn hat unsere Regierung das gesagt, haben die Medien das gesagt? Nein, da ist immer nur von Tötung und nicht von Mord die Rede. Dann wird auch noch Trump für Deeskalation gelobt, was an Zynismus nicht zu überbieten ist.

                      Zu welchem Punkt wollten Sie schreiben?

                    • Stefan Sasse 11. Januar 2020, 10:17

                      Nun, ich bin kein Jurist, aber ich fürchte, es wird nicht „Mord“ sein. Aber das ist Semantik.

                    • Rauschi 12. Januar 2020, 11:14

                      So so, warum war es dann bei Skripal ein Mordanschlag und kein Tötungsanschlag? Wenn schon differenzieren, dann aber bitte immer und nicht so selektiv.

                    • Ralf 12. Januar 2020, 12:47

                      Eine gezielte Tötung ist Mord. Und das Ermorden von Regierungsmitgliedern anderer Länder, mit denen man nicht im Krieg ist, ist nicht nur „nicht legal“ sondern moralisch verwerflich und in jedem Szenario völlig unentschuldbar.

                      Wenn man sich noch nicht mal auf einen Minimalkonsens wie diesen einigen kann, gibt es nichts mehr, auf was es sich zu einigen lohnte. Als Alternative bleibt kein Kompromiss mehr, sondern nur noch eine Welt, in der der Stärkere mit eiserner Faust und aller Brutalität seine Interessen durchpeitscht.

                    • Stefan Sasse 12. Januar 2020, 17:42

                      Das gleiche gilt für das Töten von amerikanischen Soldaten.

                    • Rauschi 12. Januar 2020, 14:39

                      Als Alternative bleibt kein Kompromiss mehr, sondern nur noch eine Welt, in der der Stärkere mit eiserner Faust und aller Brutalität seine Interessen durchpeitscht.

                      Mein Reden seit jeher, deswegen lehne ich Gewalt aus jeder Richtung ab, ich kann doch nicht die eine verurteilen und die andere Rechtfertigen wollen. Verteidigung ist davon ausgenommen, auch im Rechtssystem.

                      Deswegen meine Frage , welche Hintergründe wozu fehlen und was die ändern würden. Kam immer noch keine sinnvolle Antwort.

                    • Ralf 12. Januar 2020, 18:25

                      Das gleiche gilt für das Töten von amerikanischen Soldaten.

                      Selbstverständlich!

                      Hat irgendwer das Gegenteil behauptet???

                    • Stefan Sasse 12. Januar 2020, 18:47

                      Nö. Ich finde nur die Diskussion irgendwie so weird.

                    • Ralf 12. Januar 2020, 19:18

                      Ja, ich finde die Diskussion auch weird …

                      Rauschi hat doch sehr einleuchtend gefragt, welche Hintergrundinformationen Dir denn noch fehlen, um die Ermordung dieses Generals kompetent beurteilen zu können. Wenn eine solche Ermordung immer moralisch verwerflich und unentschuldbar ist, dann verstehe ich nicht, warum Du das nicht einfach aussprechen kannst.

                      Und klar. Der Typ, der da abgeschossen wurde, hat viel auf dem Kerbholz. Wenn die irakische Regierung Partner der USA ist, dann muss sie die entsprechenden Hinterleute, so sie denn im Irak agieren, festnehmen und vor ein Gericht stellen. Oder den amerikanischen Gästen erlauben, diese Personen festzunehmen und vor ein Gericht zu stellen.

                      Oder alternativ, die irakische Regierung ist nicht Partner der USA. Dann haben die amerikanischen Truppen dort auch nichts im Land verloren und können nach ihrem Abzug nicht mehr angegriffen werden.

                      Also was ist jetzt unklar?

                    • Rauschi 13. Januar 2020, 08:38

                      Das gleiche gilt für das Töten von amerikanischen Soldaten.
                      Wieso nur von amerikanischen, dürfen andere getötet werden, ohne das es Mord heisst? Ich bin verwirrt. Vor allem dachte ich, diese Regeln gelten nicht im Krieg. Befindet sich Amerika mit dem Iran im Krieg und ich habe es verpasst? Oder warum ist die Tötung von Aufständischen (im Irak) in Ordnung?

                      Und natürlich ist der Unterschied zwischen Tötung und Mord erheblich grösser als nur Semantik. Allein das Strafmass ist doch sehr unterschiedlich. Wenn der Grund Rache war, dann trifft auch der niedere Beweggrund, denn es lag offensichtlich keine Beweise für Anschlagspläne vor, wie der Verteidigungsminister gerade zugeben musste.

                    • Stefan Sasse 13. Januar 2020, 12:55

                      Das ist ja mein Punkt. „Mord“ hat eine spezifische juristische Anwendung. Und ich halte die nicht für gegeben, wenn man bedenkt, dass der Kongress dem Präsidenten ausdrücklich die entsprechenden Entscheidungskompetenzen eingeräumt hat. Da die USA und der Iran sich nicht im Krieg befinden, findet all dieser Kram auf der Ebene von geheimdienstlichen Aktivitäten statt, die sich seit jeher ohnehin jedem juristischen Rahmen entziehen. Wenn unsere Spione Beweise für iranische Atombomben finden würden, stellten wir sie ja auch nicht wegen Diebstahls und Industriespionage vor Gericht. Gleichzeitig hat der Iran unzweifelhaft Terroristen bewaffnet und operativ in Attacken gegen die US-Truppen geführt.

                      Letztlich ist es eine ähnliche Situation, als würden die Sowjets in den 1980er Jahren einen US-General in Pakistan töten, der Mudjaheddin mit Waffen versorgt und ihnen Ziele in der Roten Armee zuweist. Das wäre außenpolitisch nicht sonderlich clever gewesen (genausowenig wie es das hier war), aber das Ganze „Mord“ zu nennen ist auch nicht eben die korrekte Einschätzung.

                      Und da ich mich mit den Hintergründen der beteiligten Personen, der beteiligten Konfliktgruppen und der vorangegangenen Attacken nicht auskenne, kann ich nicht wirklich über diese sehr allgemeinen Feststellungen hinaus beurteilen, wie die Tötung einzuordnen ist.

                    • Rauschi 13. Januar 2020, 15:39

                      Das wäre außenpolitisch nicht sonderlich clever gewesen (genausowenig wie es das hier war), aber das Ganze „Mord“ zu nennen ist auch nicht eben die korrekte Einschätzung.
                      Die Beurteilung hat mit Aussenpolitik nichts zu tun. Wenn ich überlege, welche Folgen die unbewiesenen Beschuldigungen an Russland wegen Skripal hatten ( und der hat überlebt), dann frage ich mich schon, warum hier andere Masstäbe gelten sollten. Niederer Beweggrund, als Rache für die Demos vor der Botschaft, so kommt das rüber.

                      Nein, es gab eben keine unmittelbare Bedrohung, jedenfalls nicht von dem General selbst, oder meint jemand, der hätte dann persönlich die vermeintlich geplanten Anschläge ausgeführt? Wenn die Planung schon fertig war, dann wäre das eh für die Füsse, wenn nicht, übernimmt das ein anderer, wer könnte da Notwehr rechtfertigen?
                      Da kann ja dann jeder alles behaupten, wenn man jetzt Trump damit durch kommen lässt. Schöne neue Welt, die will ich nicht und das sollte auch niemand für seine Kinder wollen.
                      Wie will man denen was von „westlichen Werten“ vermitteln, wenn das ungestraft bleibt?

                    • Stefan Sasse 13. Januar 2020, 18:57

                      Welche unbewiesenen Behauptungen? Beide Seiten sind doch völlig offen.

                    • Rauschi 14. Januar 2020, 06:13

                      Na die Behauptung, es hätte eine unmittelbare Bedrohung für die USA gegeben. Der Verteidigungsminister meint, die gäbe es nicht, dafür lägen keine Anhaltspunkte vor.

                      Welche Seiten sind offen? In Bezug auf was?

                    • Stefan Sasse 14. Januar 2020, 06:41

                      Das ist doch eine glatte Lüge, das glauben echt nur Trump-Fanatiker.

                    • Ralf 14. Januar 2020, 09:09

                      „Mord“ hat eine spezifische juristische Anwendung. Und ich halte die nicht für gegeben, wenn man bedenkt, dass der Kongress dem Präsidenten ausdrücklich die entsprechenden Entscheidungskompetenzen eingeräumt hat. Da die USA und der Iran sich nicht im Krieg befinden, findet all dieser Kram auf der Ebene von geheimdienstlichen Aktivitäten statt, die sich seit jeher ohnehin jedem juristischen Rahmen entziehen.

                      Du ziehst Dich auf einen Standpunkt zurück, der aus zweierlei Gründen problematisch ist. Erstens akzeptierst Du, dass neben unserem Recht ein zweites übergeordnetes Recht steht, in dem Gerichte, Schuldnachweis und Gesetze keine Rolle mehr spielen und in dem eine Lizenz zum Töten existiert, wie bei James Bond. Das ist effektiv das Ende von Rechtsstaatlichkeit. Und zweitens formulierst Du mit der Haltung, dass Staatsterror kein Mord ist, einen Standpunkt, der nicht logisch konsistent zu halten ist, wenn es dann nicht auch hinnehmbar ist, wenn die Russen ungeliebte Regimegegner im Ausland ermorden oder wenn Gaddafi in Berlin eine Diskothek in die Luft jagt. Alles “Geheimdienstaktivitäten” halt, die sich der juristischen Definition des Mordbegriffs entziehen …

                    • Stefan Sasse 14. Januar 2020, 10:20

                      Nein. Juristische Kategorien wie Mord beziehen sich nicht auf Völkerrecht, das war schon immer das Problem daran. Ich will nicht versuchen,das zu legitimieren, sondern nur erklären, warum das problematisch ist.

                    • Ralf 14. Januar 2020, 10:32

                      Das stimmt so allgemein nicht. Die Nazi-Schlächter sind in den Nürnberger Prozessen z.B. wegen Mordes verurteilt worden. Das selbe gilt etwa für die Angeklagten aus dem Jugoslawienkrieg vor dem Internationalen Gerichtshof.

                    • Stefan Sasse 14. Januar 2020, 14:40

                      Völkermord. Keiner von denen stand für einen spezifischen Mord vor Gericht. Aber ja sicher. Und wir wissen alle dass kein Staatsoberhaupt eines funktionierenden, vernetzten Staats je da stehen wird. 🙁

                    • Rauschi 14. Januar 2020, 11:47

                      Das ist doch eine glatte Lüge, das glauben echt nur Trump-Fanatiker.
                      Warum fragen Sie dann nach, um welche Behauptung es geht?

                      Wenn jetzt wieder eine Regierung mit Lügen davon kommt und es wieder keinerlei Konsequenzen für die Lügner hat, was ist dann mit der Glaubwürdigkeit der „westlichen Werte“? Nichts mehr, Aus, Ende, Finito. Wie erklärt man das den Kindern, oder den Schülern, wenn die nachfragen?

                      Etwas mehr als ein Satz sollte als Antwort schon drin sein.

                    • Stefan Sasse 14. Januar 2020, 14:41

                      Das fällt mir leicht. Die westlichen Werte sind immerhin Werte. Und ja, der Westen verstößt dagegen, verstößt oft dagegen. Aber er nimmt sie als Maßstab und lässt sich daran messen. Und das tun Putin und Konsorten nicht. Die sind einfach Verbrecher und stolz drauf. Und wer da keinen Qualitätsunterschied erkennt, dem ist nicht zu helfen.

                    • Rauschi 14. Januar 2020, 18:18

                      Die westlichen Werte sind immerhin Werte.
                      Ach ja, welche sind das denn überhaupt?
                      Diese Nullaussage kann man sich auch sparen, östliche Werte sind auch Werte, und nü?

                      Warum sollten wir welche haben und die sind uns aber dann doch wieder egal?
                      Wenn ein notorischer Fremdgänger sagt, ihm wäre der Wert Treue sehr wichtig, was halten sie davon? Ist das ein guter Richter für andere in Bezug auf Treue? Sollte der anderen Treue vorschreiben dürfen? Oder sollte ein echter Kerl dem nicht mal den Vogel zeigen?

                    • Ralf 14. Januar 2020, 20:28

                      Das fällt mir leicht. Die westlichen Werte sind immerhin Werte. Und ja, der Westen verstößt dagegen, verstößt oft dagegen. Aber er nimmt sie als Maßstab und lässt sich daran messen. Und das tun Putin und Konsorten nicht. Die sind einfach Verbrecher und stolz drauf. Und wer da keinen Qualitätsunterschied erkennt, dem ist nicht zu helfen.

                      Ich denke, Dir ist selbst klar, dass das Unsinn ist. Es gibt keine Indizien dafür, dass Putin „stolz darauf ist ein Verbrecher zu sein“. Putin ist ein rücksichtsloser Machtpolitiker. Er sicher kein Demokrat. Aber er ist auch kein Supervillain, der böse ist, um des Böseseins Willen.

                      Der vielbeschworene Westen mit seinen Werten hingegen wird von Donald Trump angeführt. Dass dessen Behauptung, der ermordete iranische General habe unmittelbar Anschläge geplant und sei deshalb getötet worden, mal wieder eine Lüge war, hast Du sicher auch bereits gehört …

                      https://www.spiegel.de/politik/ausland/donald-trump-und-die-iran-krise-ringen-um-die-rechtfertigung-a-11492dbe-1b47-46c0-8c82-9333f780a90b

                      … Die plausibelste Theorie für den Grund des Mordes stand kürzlich in der Washington Post. Danach wollte Trump einige Falken unter den GOP-Senatoren beeindrucken, um sie davon abzuhalten, beim Impeachment gegen ihn zu stimmen. Wenn das stimmt, musste ein Mensch sterben, damit Trump sich nicht im Wahljahr blamiert. Wo ist dabei die Stimme der anderen westlichen Länder? Deutschland? Großbritannien? Alle haben feige den Schwanz eingezogen. Nicht einen Finger gerührt, um diese „westlichen Werte“ zu verteidigen.

                      Und Putin soll jetzt der Böse sein?

                    • Stefan Sasse 15. Januar 2020, 06:46

                      Trump ist menschliches Stück Scheiße. Ich glaube darüber brauchst du mit mir nicht zu streiten. Aber ein Land besteht aus mehr als nur einer Führungsperson. Da hängen komplette Institutionen und Normen dran.
                      – In den USA gibt es freie Wahlen, in Russland nicht.
                      – In den USA gibt es rechtsstaatliche Verfahren, in Russland nicht.
                      – In den USA gibt es freie Wahlen, in Russland nicht.
                      – In den USA gibt es eine freie Presse, in Russland nicht.
                      – In den USA gibt es Schutz für Bürgerrechte, in Russland nicht.
                      – In den USA gibt es Pluralismus, in Russland nicht.
                      – In den USA gibt es Kunstfreiheit, in Russland nicht.

                      Wird dagegen verstoßen, sind sie ständig in Gefahr? Sicher. Es ist die Daueraufgabe jeder Demokratie. Davor sind wir auch nicht gefeit. Wer ohne Sünde ist, werfe die erste Normenklage. Aber das sich dagegen wehren ist in den USA halt möglich, ohne sofort im Gefängnis zu landen, gefoltert oder ermordet zu werden. Die Sicherheit hast du in Russland nicht.

                    • Rauschi 15. Januar 2020, 08:16
                    • Ralf 15. Januar 2020, 22:36

                      – In den USA gibt es rechtsstaatliche Verfahren, in Russland nicht.
                      – In den USA gibt es freie Wahlen, in Russland nicht.
                      – In den USA gibt es eine freie Presse, in Russland nicht.
                      – In den USA gibt es Schutz für Bürgerrechte, in Russland nicht.
                      – In den USA gibt es Pluralismus, in Russland nicht.
                      – In den USA gibt es Kunstfreiheit, in Russland nicht.

                      Du zeichnest ein Schwarz-Weiß-Bild, das so bei aller berechtigten Kritik am undemokratischen politischen System Russlands nicht stimmt.

                      So darf man etwa fragen, was es mit den rechtsstaatlichen Verfahren in den USA auf sich hat, wenn Schwarze systematisch für die selben Vergehen dramatisch viel häufiger ins Gefängnis wandern als Weiße. Oder wenn Reiche – Beispiel O.J. Simpson – vor Gericht systematisch besser wegkommen als Arme. Man darf fragen, was es mit freien Wahlen in den USA auf sich hat, wenn das oberste Gericht wie im Jahr 2000 die Wahl einfach an den Wahlverlierer verschenken kann. Oder wenn systematisch die Stimmen unliebsamer Wählergruppen entwertet werden dürfen durch Gerrymandering, willkürliche Löschungen von Bürgern aus Wählerverzeichnissen, Voter-ID-Gesetzen und so weiter. Man darf fragen, was es mit den intakten politischen Normen in den USA auf sich hat, wenn die Opposition der Regierung einfach das Recht einen Richter zum Supreme Court zu ernennen stehlen kann, wie 2016, und das völlig ohne Folgen bleibt. Oder wenn die Verliererpartei einer Wahl bevor die Nachfolgeregierung ins Amt kommt, in Lame Duck-Sessions noch schnell dramatisch die Befugnisse der neuen Regierung einschränken darf, wie geschehen unter anderem in North Carolina in 2016. Man darf fragen, was es mit dem Schutz von Bürgerrechten in den USA auf sich hat, wenn Schwarze ohne Grund von der Polizei auf der Straße, in ihrem Heim oder in ihrem Auto erschossen werden können, ohne dass sich die Beamten dafür vor Gericht verantworten müssen. Oft obwohl die Tat sogar auf Video aufgezeichnet vorliegt.

                      Da Du schriebst „Trump ist menschliches Stück Scheiße. […] Aber ein Land besteht aus mehr als nur einer Führungsperson.“ , hoffe ich, dass Dir aufgefallen ist, dass in keinem meiner Beispiele oben der Name Trump gefallen ist. Der Verfall von Normen, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie hat in den USA lange vor dem gegenwärtigen Präsidenten begonnen. Trump ist nur die perverseste Ausprägung eines lange anhaltenden Trends und ehrlich gesagt, ist er wesentlich weniger gefährlich als ein Mitch McConnell, ein Paul Ryan oder ein Brett Kavanaugh. Einfach weil er so unfähig und politisch inkompetent ist.

                      Außerdem reduzierst Du die Situation der USA rein auf landesinnere Angelegenheiten. Aber das Leid, das der Drohnenterror in Afghanistan angerichtet hat und das Sterben und die Verwüstung, die durch den völkerrechtswidrigen Krieg im Irak ausgelöst wurden – direkt, und noch schlimmer, indirekt – gehören mit in diese Rechnung hinein. Auch daran messen sich politische Normen und Werte.

                      Jetzt stimmt es natürlich, dass die Situation in Russland nicht besser ist – weder nach innen noch nach außen. Im Gegenteil. Aber auch hier sollten wir die Kirche im Dorf lassen. In Russland gibt es zum Beispiel immer wieder Demonstrationen gegen die Regierung. Menschen gehen auf die Straße. Es gibt deutlich repressivere Systeme, wo so etwas überhaupt nicht möglich ist. Oder heute erst las ich, dass die Band Pussy Riot auf US-Tour geht. Pussy Riot war vor einigen Jahren verhaftet worden, weil sie in einer Kirche putinfeindliche Lieder gesungen hatten. Nach einer kurzen Haftstrafe wurden sie mittels einer Amnestie wieder freigelassen. Stell Dir mal vor, wie anders das bei unseren Partnern des Westens in Saudi Arabien gelaufen wäre, wenn eine Punk Band da in einer Moschee Lieder gegen das Königshaus gesungen hätte. Wir sind uns vermutlich einig, dass die Band wahrscheinlich nicht ein paar Jahre später auf US-Tour gegangen wäre. Vielmehr würden die Beteiligten im Sarg liegen. Also bitte die Kirche im Dorf lassen. Ja, Putin ist ein unappetitlicher Autokrat. Aber im Vergleich mit anderen Führern großer, einflussreicher Länder – Donald Trump, Xi Jinping, Narendra Modi – fällt er weder durch besondere Grausamkeit noch durch besonders antidemokratische Haltungen auf.

                    • Stefan Sasse 16. Januar 2020, 17:37

                      Ich bin der letzte, der den USA einen Persilschein für Rechtsstaatsverstöße ausstellen würde. Nur: Die USA bringen keine regimekritischen Journalisten um. In den USA kannst du gegen den Staat klagen, gewinnen und friedlich weiterleben. Das geht in Russland schlicht nicht.

                    • Rauschi 16. Januar 2020, 18:46

                      Ich bin der letzte, der den USA einen Persilschein für Rechtsstaatsverstöße ausstellen würde.
                      Wenn danach das aber oder hier nur folgt, passiert genau das. Was soll das sonst sein? VÖLKERRECHT hat mit Innenpolitik recht wenig zu tun. Sondern mit Aussenpolitik und die ist in fast jeder Hinsicht verurteilenswert.

                      Nur: Die USA bringen keine regimekritischen Journalisten um. In den USA kannst du gegen den Staat klagen, gewinnen und friedlich weiterleben.
                      Ach so, das Chelsea Manning eingesperrt ist, bilde ich mir sicher nur ein, die kann friedlich weiter leben. Wie Snowden, der ja auch sicher seinen Fall gewonnen hätte und sicher weiter leben kann, aber leider nur in Russland. Sicher mache ich wieder den Fehler, whistleblower und Journalisten zu vermischen. Dabei äussern sich ja beide zu Missständen, was ja angeblich so einfach möglich ist in den ach so freien USA.

                      Was bringen die Klagen, wenn sich das Verhalten nicht ändert?

                    • Stefan Sasse 16. Januar 2020, 20:13

                      Wenn die USA ein Rechtsstaat sein sollen, können sie nicht Verbrechen nicht ahnden, nur weil sie von der richtigen Seite verübt wurden. Sowohl Manning als auch Snowden haben klar das Gesetz gebrochen. Snowden hat sich einem Prozess nie gestellt, wir wissen also nicht, was passiert wäre (wobei ich davon ausgehen würde dass er eingeknastet und zusammen mit Manning 2016 freigelassen worden wäre).

                    • Rauschi 16. Januar 2020, 22:23

                      Wenn die USA ein Rechtsstaat sein sollen, können sie nicht Verbrechen nicht ahnden, nur weil sie von der richtigen Seite verübt wurden.
                      Doch, das können die, die ganz grossen werden nie angeklagt. Wie war das jetzt mit Journalisten, käönnen die keine Gesetze brechen?
                      Gegen was haben die denn verstossen? Was genau ist dann ein Whistleblower? Die brechen immer irgendeine Vorschrift. Ist es etwa neuerdings Rechtens, die ganze Welt auszuspähen? Wurde das geändert, oder geahndet? Nein, also sind die USA eine sehr selektiver Rechtsstaat, wie die Russen auch.
                      Ist es neuerdings rechtens, Journalisten (die waren von Reuters) abzuknallen, was Manning ans Licht gebracht hat? War das nicht eben noch der grosse Vorteil der USA? Eben das nicht zu tun?
                      Tja, Satz mit x.

                    • Ralf 16. Januar 2020, 22:26

                      Nur: Die USA bringen keine regimekritischen Journalisten um. In den USA kannst du gegen den Staat klagen, gewinnen und friedlich weiterleben. Das geht in Russland schlicht nicht.

                      Du pickst Dir hier völlig willkürlich zwei Aspekte heraus – das Umbringen regimekritischer Journalisten und das Gewinnen von Klagen gegen den Staat – und machst sie zum alleinigen Lackmustest für Werte. Dabei ist das Bild auch in diesen willkürlichen Kategorien nicht Schwarz-Weiß. So wird in Russland z.B. nicht systematisch jeder regimekritische Journalist umgebracht. Und es gewinnen auch zuweilen Bürger Klagen gegen den Staat. Nicht oft (nur in etwa 10% der Fälle), aber eben auch nicht nie.

                      Damit will ich nicht das russische Justizsystem entschuldigen. Das System ist ungerecht und die Restriktionen und Gewalt gegen die Presse sind schändlich und selbstverständlich absolut unentschuldbar.

                      Nur kann man für den Werte-Lackmustest statt Deinen zwei völlig willkürlich ausgewählten Kategorien, eben genauso gut zwei andere Kategorien auswählen, und plötzlich steht Russland im Vergleich nicht mehr so schlecht da. So hat Russland in diesem Jahrtausend zwar mehrere kleinere Scharmützel, aber eben keinen mörderischen Angriffskrieg mit über 100.000 toten Zivilisten und der vollständigen Verwüstung der Infrastruktur eines Landes geführt. Russland hat auch nicht weltweit massenhaft unschuldige Staatsbürger anderer Länder, darunter Länder des Westens, unter Terrorismusverdacht entführt, misshandelt, gefoltert und ohne Zugang zu Anwälten eingesperrt. Russland hat sicherlich mit militärischen Mitteln einige Länder, in denen es politische Interessen und Sicherheitsinteressen hat, begrenzt destabilisiert. Aber nie hat in diesem Jahrtausend eine militärische Aktion Russlands eine ganze riesige Region so dramatisch in Brand gesetzt, dass sich Tod und Vernichtung wie ein Flammenmeer über ganze Länder gelegt und zur permanenten Krisenzone gemacht hätten. George Bushs Raubzug am Golf ist mit Syrien und dem Irak genau das gelungen. Die negativen Konsequenzen der militärischen Handlungen Russlands sind in den vergangenen zwanzig Jahren ziemlich begrenzt gewesen. Sicher nicht sauber. Aber ohne Massensterben. Das kann man über das Elend, dass die USA im Nahen Osten angerichtet haben nicht sagen. Von Afghanistan und Libyen ganz zu schweigen.

                      Wenn wir aber von Werten sprechen, wenn wir vom Wert von Menschenleben sprechen und von Moral, dann bitte nicht nur die 200 Journalisten in Russland zählen, die innerhalb von 20 Jahren umgebracht wurden, sondern auch die zehntausende und möglicherweise hunderttausende Zivilisten, die im Bombenhagel und Drohnenfeuer der Kriege des Westens umgekommen sind. Und bitte die Waisenkinder zählen, die noch Eltern haben könnten. Und die vernichteten wirtschaftlichen Existenzen. Und meinetwegen auch die Opfer von Polizeigewalt. Das sind in den USA übrigens alleine etwa 200 Unbewaffnete, die umgebracht werden. Jedes Jahr.

                  • Rauschi 14. Januar 2020, 15:12

                    Aber er nimmt sie als Maßstab und lässt sich daran messen.
                    Ach echt, wenn ich den daran messe und sage, er entspricht den Werten nicht, was dann? Was soll das Geschwurbel?
                    Sie nehmen auch einen überführten Lügner als Vorbild für die Wahrheitsliebe, oder wie? Oder einen Dieb für Wertschätzung des Eigentums?
                    Der Westen ist verlogen und steht damit für NICHTS!

                    Die sind einfach Verbrecher und stolz drauf.
                    Ach so, Trump ist kein Verbrecher weil?
                    Wo ist Putin stolz auf ein Verbrechen und wer sind die Konsorten? Stolz drauf, woran macht man das fest? Ist Trump nicht stolz auf seinem Mord, den Sie nicht mal so nennen können, was schon abwegig genug ist.
                    Werte, die nicht gelebt werden SIND KEINE!

                    Und wer da keinen Qualitätsunterschied erkennt, dem ist nicht zu helfen.
                    Eine Lüge ist anders als die andere, ein Mordversuch schlimmer als ein Mord, wie abgründig wird das denn noch?
                    Ist ein Mord keiner mehr, wenn der Täter nicht stolz auf die Tat ist, das wäre mir neu?
                    Wenn jemand dauernd die Regeln bricht, ist er schlicht kein Vorbild sondern das Gegenteil, eine Abschreckung. Die Lügen haben keine Konsequenzen gehabt, keine einzige, egal, wie viele Tote das zur Folge hatte.

                    Das ist genau das, was ich so abstoßend finde, zweierlei Mass immer und immer wieder und die Blindheit dafür.

      • cimourdain 8. Januar 2020, 22:42

        „Die Lobbyarbeit der Hersteller ging damals eindeutig in Richtung Verbot, weil dadurch die margenarmen Glühbirnen durch die lukrativen Energiesparlampen ersetzt wurden.“
        Jein: Hier ist die Eigendynamik der politischen Zielerfassung am Werk gewesen. Bereits 2005 wurden Leuchtmittel(Haushalt) in die Ökodesign-Richtlinie aufgenommen. Damals wurde nur die Energieeffizienz im Gerätebetrieb betrachtet. Und in dieser Diesziplin sind Glühbirnen nun mal grottenschlecht. Deshalb waren sie bei der nationalen Umsetzung der Richtlinie ein Ziel mit hoher Priorität.

  • Ariane 8. Januar 2020, 22:12

    Erstmal vielen Dank für den hervorragenden Artikel!

    Dass jede Politik Identitätspolitik ist, ist natürlich irgendwie banal, aber trotzdem finde ich es wichtig, wenn man sich dessen immer wieder bewusst macht. Ich glaube, auf heute gesehen haben wir da einige Knackpunkte, die zu schwierigen Situationen führen.

    Auf der einen Seite halte ich es für ein krasses Kommunikationsproblem: Die, die am meisten auf Identitätspolitik setzen, haben es geschafft, das Narrativ in die Welt zu setzen, dass die anderen (also hauptsächlich Progressive) ständig über Identität sprechen, während sie die wichtigen Dinge regeln. Ich finde, da wurde bisher keine vernünftige Antwort drauf gefunden. Siehe die Grünen, die nicht von diesem Verbotspartei-Kram wegkommen. Anstatt das zu ignorieren oder den Gegnern deren Narrative um die Ohren zu hauen, sind sie ständig im Verteidigungsmodus oder schwächen im vorauseilenden Gehorsam ihr Programm ab, um den Vorwurf zu entkräften.

    Und der zweite Knackpunkt hat eher mit der Radikalisierung der Identitätspolitik zu tun. Ich glaube da gibt es einen riesigen Graben. Die Mehrheit setzt eher auf sowas wie gesellschaftlichen Zusammenhalt und will auf ganz normalem Wege Probleme lösen. Auch mithilfe von Identitätspolitik, aber halt im Rahmen des normalen politischen Prozesses.
    Und das hast du ja ebenfalls oft angesprochen (siehe zb die Evangelikalen in den USA), gibt es eben eine Minderheit, bei der der Kampf total überhand genommen hat. Da geht es gar nicht mehr um konkrete Probleme, sondern nur noch um Kampf, hauptsache es geht gegen die anderen, egal ob uns das Thema überhaupt kümmert oder nicht. Oder selbst ein Liedchen wird zu einem Riesending. Und die grätschen halt permanent rein, ohne dass sie für normale politische Prozesse wirklich zu gebrauchen sind. Oder siehe die AfD, was hieß es doch damals, wie toll das ist, wenn die im Bundestag sitzen und die Debattenkultur befeuern. Da ist nicht viel rumgekommen, außer ner Menge Skandale (Vogelschiss, dieser Nazi-Anwalt, irgendein Typi, der das T4-Programm der Nazis verteidigte! usw.) Und da wurde bisher auch noch keine Antwort darauf gefunden, vielleicht gibts auch einfach keine.

    • Stefan Sasse 8. Januar 2020, 22:46

      Ich halte das Rückprojizieren für die beste Gegenstrategie. FDP und CDU sind Verbotsparteien. Die AfD macht Identitätspolitik. Und so weiter. Aber ich könnte auch falsch liegen.

      • Ariane 8. Januar 2020, 23:11

        Man müsste die Sache vielleicht gar nicht rückprojezieren, das ist schon teils so festgefahren, dass es vielleicht nicht mehr funktioniert. Aber es gibt ja auch Gegen-Narrative, die man verwenden könnte. Die CDU ist ne Rentnerpartei, interessiert sich nur für die oberen 10%, sperrt sich gegen jeden Wandel oder sowas.
        Nur diese Selbstbetrachtung und der Versuch, ein bestimmtes Image wieder loszuwerden, halte ich für ziemlich hoffnungslos. Die Grünen könnten ihr Programm auf „Anarchie für alle“ eindampfen und wären immer noch die Verbotspartei.

        • Stefan Sasse 9. Januar 2020, 07:43

          Genau. Meine Idee ist auch nicht, dass du es loswirst, sondern dass du es bedeutungslos machst.

  • Rauschi 15. Januar 2020, 08:15

    Also gelten die westlichen Werte nur innerhalb der USA und im Ausland nicht? Wieso dann westlich und nicht US-amerikanisch?
    – Was haben Irak, Afghanistan und Libyen von den freien Wahlen in den USA? Nichts?
    – Was haben Irak, Afghanistan und Libyen von rechtsstaatlichen Verfahren in den USA? Nichts?
    – Was haben Irak, Afghanistan und Lybien von freier Presse in den USA? Nichts?
    – Was haben Irak, Afghanistan und Libyen vom Schutz für Bürgerrechte in den USA? Nichts?
    – Was haben Irak, Afghanistan und Libyen von Pluralismus in den USA? Nichts?
    – Was haben Irak, Afghanistan und Libyen von der Kunstfreiheit in den USA? Nichts?
    Wie kann es sein, dass die USA ihre Gesetze zur Grundlage für die Verurteilung aller Bürger anderer Staaten macht und damit deren Rechtsstaat ad absurdum führen?
    Was ist an Geheimgerichten rechtsstaatlich? Woher wissen Sie das mit der freien Presse? Welcher Pressevertreter ist denn angeklagt, ein russischer oder ein australischer aufgrund von us- amerikanischen Gesetzen?

    Wird dagegen verstoßen, sind sie ständig in Gefahr? Sicher. Es ist die Daueraufgabe jeder Demokratie. Davor sind wir auch nicht gefeit. Wer ohne Sünde ist, werfe die erste Normenklage.
    Warum sollten Werte, die welche sind, ständig in Gefahr sein? Sind sie dann welche oder doch eher «nice to have» aber kein Wert? Die Frage ist und war immer, wie kann ein Land sich anmassen, das Verhalten aller anderen überwachen zu wollen und sich selbst wie die Axt im Wald zu verhalten? Ohne dass die anderen, die angeblich die Werte teilen, sich dagegen verwehren?

    Aber das sich dagegen wehren ist in den USA halt möglich, ohne sofort im Gefängnis zu landen, gefoltert oder ermordet zu werden. Die Sicherheit hast du in Russland nicht.
    In den USA für Amerikaner, vielleicht, aber alle anderen müssen sich ja auch an deren Vorgaben halten, ob sie wollen oder nicht, weil der schlimmste Schläger leider das sagen hat.
    Wer kann sich jetzt wie wogegen wehren? Nicht mal innerhalb der USA gilt das, wie mir scheint. Wie wehren die sich gegen die Vereinnahmung der Presse durch reiche Clans? Gar nicht?
    Demokratie ist auch kein Wert, sondern eine Regierungsform, die auf dem Wert der Vorstellung der Gleichwertigkeit der Menschen beruht. Fragen Sie mal Herrn Pietsch, was der davon hält, schon ist der Wert wieder im Eimer. Menschenrechte sind ein Wert und das oberste ist das Recht, zu leben. Wer aber dauernd Krieg führt und damit dauernd anderen Menschen genau dieses Recht abspricht, der legt keinen Wert darauf. Damit sind keineswegs nur die USA gemeint, unsere Regierung ist genauso verlogen, die machen auch Geschäft mit den schlimmsten Diktaturen, wenn die Kohle stimmt.
    Vor allen, was hat das ganze mit der Himmelrichtung zu tun? Gibt es im Osten keine Werte, sind alle östlichen Länder wie Japan keine Demokratien? Hat Deutschland sich nach dem zweiten Weltkrieg für die Demokratie entschieden oder wurde die uns (zum Glück) verordnet?

    • Rauschi 15. Januar 2020, 08:21

      Nachtrag zum Völkerrecht und der Beurteilung der „Tötung“
      [Juristen des Deutschen Bundestages halten die Ermordung des iranischen Generals Kassem Soleimani durch eine US-Drohne für völkerrechtswidrig. Das Vorgehen der USA sei als „Verstoß gegen das Recht auf Leben“ im Sinne von Artikel 6 des UN-Zivilpakts zu bewerten, heißt es in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, das aus der Linksfraktion in Auftrag gegeben wurde. Das 26-seitige Papier äußert auch Zweifel an der Begründung durch die US-Regierung unter Donald Trump. Auch nach mehreren Stellungnahmen von Vertretern der US-Regierung sei „nicht deutlich erkennbar, warum die Tötung Soleimanis im Irak unbedingt notwendig gewesen sein soll, um eine akute Gefahr für das Leben von US-Amerikanern ultima ratio abzuwehren“.

      In der juristischen Analyse, die von der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Heike Hänsel veröffentlicht wurde, schließen die Autoren auch die Möglichkeit aus, dass die USA sich auf das Recht auf Selbstverteidigung berufen können. Dafür fehlten Nachweise, wonach ein Angriff durch Iran „unmittelbar bevorstand“. Auch müssten die USA nachweisen, keine anderen Möglichkeiten zur Abwendung einer solchen eventuellen Attacke gehabt zu haben.]
      https://www.heise.de/tp/features/Gutachten-Angriff-auf-iranischen-General-Soleimani-voelkerrechtswidrig-4637708.html

    • Stefan Sasse 15. Januar 2020, 16:42

      Was haben die davon? Sie können zum Beispiel Beschwere einlegen und im rechtsstaatlichen System klagen. Die freien Medien berichten darüber und sorgen dafür, dass die Regierung es nicht so leicht unter den Teppich kehren kann. Bei Wahlen können Kandidaten antreten, die Abhilfe schaffen wollen. Eine demokratisch-pluralistische Opposition nimmt Kontrollfunktionen wahr und dämmt Missbrauch und Verstöße ein. So was haben die davon.

      • Rauschi 15. Januar 2020, 18:33

        Was haben die davon? Sie können zum Beispiel Beschwere einlegen und im rechtsstaatlichen System klagen.

        Das können Afghanen und Iraker und Libyier? Bist Du da sicher? Beschwerde gegen was?
        Aktuell hat das irankische Paralemt beschlossen, das alle auslänischen Truppen das Land verlassen sollen. Schert das den Westen? Nein.

        Also, wer ist gemeint mit „das haben die davon“. Wer sind die? Und was ist mit den restlichen Fragen? Soll ich die wiederholen? Die sind nämlich alle nicht rethorisch, sonder wirklich echte Fragen, die einer Antwort harren?

        Was nützt es, wenn die Regierung nichts unter den Teppich kehren kann, wenn der Dreck auf dem Teppich auch keine Folgen für den Schmierfink hat?

        Was der Vorteil einer Demokraite ist, ist mir auch klar, aber es ging um die westlichen Werte. Wenn ein Schüler dauernd das Thema wecheseln würde, wie käme das an?

        • Stefan Sasse 16. Januar 2020, 17:33

          Betroffene können vor Gericht klagen. Sie können außerdem die üblichen diplomatischen Kanäle benutzen. Und sie können sich an Journalisten wenden. Und das ganz ohne dass ein Beteiligter befürchten muss, plötzlich in einem Autounfall oder einem Überfall mit Todesfolge verwickelt zu sein oder an spontaner Vergiftung zu sterben.

  • Rauschi 16. Januar 2020, 18:32

    Betroffene können vor Gericht klagen. Sie können außerdem die üblichen diplomatischen Kanäle benutzen.
    Wovon betroffen? Vom Krieg? Oder von Folter, wie Assange, der von den USA verfolgt wird und nciht von den Russen.
    Diplomatischen Kanäle, um die Drohnenmorde zu stoppen? Sind wir im gleichen Film? Wovon ist hier die Rede, ich schrieb mehrfach, es geht um die Einwohner anderer Länder!
    Ach nee, die amerikanischen Geheimdienst streicheln die Leute zu Tode?

    Geht aber sicher noch absurder. Amerika tritt die angeblichen Werte (als da wären?) nach Aussen mit Füssen, soviel steht fest. Wenn andere das auch machen, macht es die Sache nicht besser.

    • Stefan Sasse 16. Januar 2020, 20:12

      Es gab etwa mal dieses Bombardement einer afghanischen Hochzeit durch US-Flugzeuge. Die Hinterbliebenen klagten, bekamen Recht und Entschädigungszahlungen. Mir wäre nicht bekannt, dass es so was auf russischer Seite gäbe.

      • Rauschi 16. Januar 2020, 22:16

        Und die restliche Millionen vom Krieg Betroffener hat halt Pech, oder wie?
        Na und, wozu macht das die USA? Zum Vorbild für die Einhaltung des Völkerrechts oder Achtung der Menschenrechte?
        Die Kläger vor deutschen Gerichten hatten bislang aber Pech, was heisst das, sind wir dann auf einer Stufe mit Russland?

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