Kommt erst mal aus eurer eigenen Blase raus!

 logo_general_fin_webOb in Deutschland oder in den USA, die Zeitungen sind voll von Selbstkasteiungen: warum man Trump unterschätzt hat, wieso man es nicht hat kommen sehen, wieso man sich seiner selbst so sicher war. Verbunden ist es immer mit der Aufforderung, nun – unter dem Schock der Niederlage nach dem sicher geglauten Clinton-Sieg – die Blase der liberalen Küstenelite zu verlassen und einen Blick in die ländlichen Regionen zu werfen, die Trump zum Sieg verholfen haben, vom Rustbelt des Mittleren Westen über den Panhandle Floridas hin zu den Counties der Appalachen. Was Clinton das Genick schließlich brach waren Trumps knappe Siege in ihrer „Firewall“, von Wisconsin über Michigan zu Pennsylvania. War es also liberale Arroganz, den Aufstand des real America nicht zu sehen? Waren wir in unseren culture wars verheddert und sahen nicht, dass sich Amerika von uns abwandte? Haben wir zu sehr „identity politics“ betrieben und darüber vergessen, was wirklich zählt? Es ist ein schönes und gut greifbares Narrativ, und es ist kein Wunder, dass es gerade überall zu lesen ist. Es erhöht auch immer gleich den Schreiberling, der es entweder immer schon gewusst hat oder nun Bescheidenheit demonstrieren und sich auf die Siegerseite stellen kann. Es ist aber leider auch ungeheuer heuchlerisch.

Natürlich ist der Ruf nach Empathie nichts, was man ablehnen sollte. Empathie ist gut¹, und sicherlich bin ich wenigstens ein wenig schuldig darin, allzu theoretisch an die Lage herangegangen zu sein und den Statistiken über die Entwicklung der Arbeitslosenquote (nach unten) und der Reallöhne (nach oben) in 73 ununterbrochenen Monaten Obama-Präsidentschaft² gegenüber der gefühlten Realität in den Hochburgen der Weißen Arbeiterklasse (white working class, ein Begriff, der mit Trumps Wahl in keiner Analyse fehlen darf) zu viel Gewicht zugesprochen zu haben. Was mich auf die Palme bringt, ist aber die dahinterstehende Heuchelei, die den Leuten zu allem Überfluss nicht einmal bewusst ist, weil sie selbst in einer riesigen Blase stecken und selbst Identitätspolitik betreiben, nur eben für heterosexuelle Weiße.

Was ich damit meine? Obama siegte in zwei Wahlen hintereinander. Auf beide Wahlen reagierten die Republicans, indem sie ihm jegliche Legitimation absprachen und totale Obstruktionspolitik betrieben. Nie gab es eine große Welle der Introspektive bei den großen Zeitungen, die Empathie mit den Teilen der Obama-Koalition forderten, die bisher marginalisiert und stigmatisiert waren und nun mit Macht auf die politische Bühne gedrängt waren. Stattdessen entstand eine endlose Debatte über die außer Kontrolle geratende „political correctness„. Im Ton größter Ernsthaftigkeit und Folgenschwere wurde die Frage diskutiert, ob es weißen Männern wirklich zumutbar ist, beim Sex das Einverständnis der Frau einzuholen, Schwarze als Nachbarn zu akzeptieren und Homosexuellen (und sind wir ehrlich: gemeint sind Schwule) das Recht zuzugestehen, sich in der Öffentlichkeit zu küssen.

Von all den culture-war-Themen, die in den letzten drei, vier Jahren die Schlagzeilen beherrschten, hat keine einen vergleichbaren Grad an Forderungen nach Empathie hervorgerufen. Dabei hätte gerade diese Empathie den backlash deutlich abmindern können, den so viele Journalisten und sonstige Beobachter nun mit unverhohlener Schadenfreude prognostizieren. Man kann das problemlos an diversen Beispielen erkennen.

So schrieben ernsthaft viele Journalisten, als Trumps Angeberei über seine eigenen sexuellen Übergriffe bekannt wurde, dass ja „jeder Mann“ schon so geredet habe und dass das alles kaum ernstzunehmen sei, und überhaupt, wer könne schon jemals bei Frauen so genau sagen, ob ein Nein nicht doch ein Ja sei? Es entbrannte eine Debatte darüber, ob es für eine Frau unzumutbar sei, 600 Kilometer zur nächsten Abtreibungsklinik zu fahren oder ob die Unzumutbarkeitsgrenze erst bei 1000 Kilometern erreicht ist. Und als es um den Schutz von Vergewaltigungsopfern ging, drehte sich die Debatte fast augenblicklich um die Frage, ob denn den Männern zugemutet werden könne, einem solchen Verdachtsmoment ausgesetzt zu sein. Hätten die männliche Bevölkerung hier mehr Empathie gezeigt, Trump wäre heute vielleicht nicht Präsident.

So war eine große Diskussion auf den amerikanischen Campussen die Frage der so genannten micro-aggressionsEin Großteil der Berichterstattung über diese Diskussionen, die – wie so häufig – unter dem Schirmbegriff der political correctness ablaufen, befasste sich mit der Frage, wie schlimm die Auswirkungen für weiße Männer sind, und kaum mit der Frage, woher die Befürchtungen kommen und welche Grundlage sie haben oder endete, Gott bewahre, mit einer Forderung nach Empathie (die der political correctness immer zugrunde liegt). Hätte die weiße Mehrheitsbevölkerung hier mehr Empathie gezeigt, Trump wäre heute vielleicht nicht Präsident.

So war die größte Bürgerrechtsbewegung der letzten zwei oder drei Dekaden, #BlackLivesMatter, von Anfang an in der Defensive. Schwarze sind mehrfach wahrscheinlicher das Opfer von unbegründeten Stopps, von Polizeigewalt, von Inhaftierung, von Tötung durch Polizisten. Nach Trayvon Martin, Ferguson und Eric Garner versuchte die #BlackLivesMatter-Bewegung, auf dieses gesellschaftliche Problem aufmerksam zu machen. Die Antwort des konservativen Amerika war nicht etwa Empathie, sondern die primitiv-dumme Retorte „All Lives Matter“. Da konnten progressive Journalisten auch noch so oft erklären, wie falsch das ist – in den meisten Massenmedien war #BlackLivesMatter damit eine nur für die jeweilige Parteibasis relevante, zum reinen Wahlkampfslogan degenerierte sideshow. Hätte die weiße Mehrheitsbevölkerung hier mehr Empathie gezeigt, Trump wäre heute vielleicht nicht Präsident.

So wurde die unbedeutende Gesetzesänderung, Transsexuellen die Nutzung der für das „neue“ Geschlecht angebrachten Toilette in öffentlichen Gebäuden zu erlauben, von den Republicans zu einem Wahlkampfhit aufgebläht, indem sie Transsexualität auf die gleiche Stufe wie Pädophilie stellten und so taten, als ob dank dieses Gesetzes nun Kinderschänder in die Duschräume des Mädchensports eindringen könnten. Ekel wie Mike Huckabee erklärten im Vorwahlkampf sogar rundheraus, dass sie genau das getan hätten, wenn ihnen das Gesetz die Möglichkeit gegeben hätte. Es wäre nicht einmal Empathie nötig gewesen, um diesem Unsinn einen Strich durch die Rechnung zu machen – eine einfache Recherche, was Transsexualität eigentlich ist, hätte ausgereicht. Und Trump wäre heute vielleicht nicht Präsident.

So konnte eine Diskussion über die Abschiebung von Millionen Minderjähriger in Länder, die sie noch nie besucht haben, deren Kultur ihnen fremd ist und deren Sprache sie teils gar nicht beherrschen, völlig ohne eine nähere Betrachtung der Personen auskommen, um die es geht. Als Trump ankündigte, eine Grenzmauer bauen und Millionen abschieben zu wollen, fertigten zig Reporter investigative Reportagen über die weißen Grenzmilizen an, die in ihrer Freizeit versuchen illegale Migranten teils mit Waffengewalt aufzuhalten. Die empathischen Reportagen über die Millionen, um die es dabei eigentlich ging, kann man mit der Lupe suchen. Hätte die weiße Mehrheitsbevölkerung Empathie für die DREAMers gezeigt, Trump wäre heute vielleicht nicht Präsident.

So führte eine Forderung Donald Trumps, auf unbestimmte Zeit allen Muslimen, auch solchen mit amerikanischem Pass, die Einreise in die USA zu verbieten, hauptsächlich zu abstrakten Diskussionen über die Frage, wie verfassungsgemäß ein solcher muslim ban eigentlich sei. Kaum jemand fand etwas dabei, dass konservative Rechtsgelehrte dabei positiv auf den Präzendenzfall der japanischen Internierungslager im Zweiten Weltkrieg verwiesen. Hätte die weiße Mehrheitsbevölkerung Empathie für diese flagrante Gleichsetzung aller Muslime, egal aus welchem Land und Kulturkreis, mit IS-Terroristen gezeigt, statt das einfach als gegeben hinzunehmen, Trump wäre heute vielleicht nicht Präsident.

So war die Reaktion vieler Medien auf die Benennung von rechtsextremen Figuren erstaunlich gedämpft. Breitbart-Chef Steve Bannon, sich offen als „weißen Nationalisten“ bezeichnet, wird gerne mit dem unverfänglichen Prädikat „umstritten“ benannt. Jeff Sessions, dem 1986 die Ernennung zum Bundesrichter wegen seines amtlich festgestellten Rassismus‘ versagt wurde, ist jetzt heißer Anwärter auf das Amt des Bundesstaatsanwalts (attorney general). Trump erhielt glühende endorsements vom Ku-Klux-Klan und tat so, als wüsste er gar nicht wirklich was das ist, ohne dass er dafür allzu hart kritisiert worden wäre. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Diese Figuren sind für die meisten Journalisten keine Bedrohung, denn sie richten sich gegen Minderheiten, und die sind im Journalismus weiterhin selten. Hätte die weiße Mehrheitsbevölkerung mehr Empathie mit jenen Bevölkerungsgruppen gezeigt, die von den Zukunftsvorstellungen solcher Figuren tatsächlich existenziell bedroht sind, Trump wäre heute vielleicht nicht Präsident.

Diese Empathie aber wurde nicht gewährt. Auf der anderen Seite gab es dagegen eine ganze Reihe von großartigen und sensiblen Reportagen in „Trumpland“, ob in Mother Jones oder glühenden Besprechungen von J.D. Vances „Hillbilly Elegy“ („book of the times„). Die vielbeschworene Empathie mit den zurückgelassenen weißen Fabrikarbeitern aus dem Rustbelt oder den Kohlekumpeln aus den Blue Ridge Mountains, sie war allgegenwärtig. Nur hatte sie stets einen Beigeschmack von Abgesang angesichts katastrophaler Umfragewerte für Trump. Die angeblichen Beschimpfungen von Trump-Wählern aber, die als argumentativer Strohmann von wahlweise in scheinheiliger Selbstkritik oder vergnügter Schadenfreude suhlendenen Journalisten links wie rechts niedergerissen werden, waren kaum das beherrschende Merkmal des Wahlkampfs. Praktisch alle professionellen Beobachter des Wahlkampfs waren auch immer vorsichtig darin, Trumps Wählern zu bescheinigen, Rassismus entweder zu ignorieren oder rassistische Äußerungen zu tätigen, bezeichneten sie aber nicht in Bausch und Bogen als Rassisten. Selbst Clinton gab sich Mühe, nur die Hälfte seiner Wähler im „basket of deplorables“ zu verorten. Solch feine Distinktionen gehen in der Hitze des Gefechts natürlich unter und mögen für die meisten auch irrelevant sein, aber es ist wahrlich nicht so, als ob man sie seinen eigenen Gegnern auf der political-correctness-Front gewährt hätte.

Man kann sich an dieser Stelle natürlich die Frage herstellen, woher diese mangelnde Empathie kommt. Wie so häufig wird man dabei um die Erkenntnis nicht herumkommen, dass es nicht den einen Grund, das eine Problem gibt, das zu lösen zur Beseitigung des Problems führt. Stattdessen haben wir es mit einer Menge an Faktoren zu tun. Ein wichtiger Grund ist sicherlich der mangelnde Kontakt mit den Betroffenen. Dass dies im Falle der White Working Class als allgemeines Problem erkannt und durch diverse große Recherchereisen in die betroffenen Regionen ausgeglichen wurde, zeigt deutlich den Mangel an Problembewusstsein für die Lage dieser Gruppen. In den Medien sind Afroamerikaner und Latinos deutlich unterrepräsentiert, dasselbe gilt auch für Frauen, besonders in den höheren Positionen der Meinungsindustrie. Man sehe sich nur mal das durchschnittliche CNN-Expertenpanel an. Ein weiterer Effekt, der sich bei dieser Wahl besonders bemerkbar machte, ist die soft bigotry of low expectations, konkret: ein Kandidat wie Trump bekommt massenhaft positive Überschriften, wenn er mal einen Tag keine rassistischen Äußerungen tut – eine ungeheure Senkung des Standards, die ihm stark entgegen kommt. Am bekanntesten ist der Effekt bei den TV-Debatten, wo Trump in den Bewertungen der Journalisten teilweise einen Gleichstand erzielte, weil er nicht über die eigenen Schnürsenkel stolperte und man überhaupt nicht erst versuchte, seinen Wortsalat zu analysieren. Rassismus und grobe Unkenntnis in allen Sachfragen waren quasi bereits eingepreist. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Solange also unwidersprochen Äußerungen in den Zeitungen stehen, die eine Gleichsetzung Amerikas mit dem weißen Amerika Trumps beinhalten, kann man all den Kritikern der Identitätspolitik und Social Justice Warriors nur zurufen: Kommt erst mal aus eurer eigenen Blase raus.

¹Was nicht gleichbedeutend mit Freispruch ist, was Jamelle Bouie gut beschreibt.

² Ein bisschen passiv-aggressiv, ich weiß, aber seht’s mir nach. Es ist erst eine Woche her.

{ 72 comments… add one }
  • Floor Acita 22. November 2016, 14:21

    Das lustige ist immer – ich stimme Dir 100% zu – eine meiner Hauptkritiken an Hillary im Moment ist, dass sie sich für den „basket of deplorables“ Kommentar entschuldigt hat, obwohl der gesamte, nicht aus dem Zusammenhang gerissene quote korrekter nicht hätte sein können und die ganze Komplexität eigentlich am besten zum Ausdruck bringt (im Vergleich zu vielen anderen Einschätzungen).

    Dennoch glaube ich werden wir erneut zu anderen Schlussfolgerungen kommen 🙂 Ich glaube nicht an die „white working class“ Theorie.
    Sie hat die Wahl verloren, weil Sie ihre eignen „most ardent“ supporter nicht in ausreichendem Maße mobilisieren konnte – dazu gehören z.B. SCHWARZE Automobilarbeiter aus Detroit etc.

    Und das auch nr in den Staaten Wisconsin, Michigan, Pennsylvania – der Gewinn des popular vote insgesamt verbietet es eigentlich Trump irgendetwas phänomenales zu unterstellen, INSBESONDERE inhaltlich – die Mehrheit der Amerikaner steht NICHT hinter ihm – „die Linke“ sollte sich hüten daraus irgendwelche inhaltlichen Zugeständnisse oder einen notwendigen Schwenk „in die Mitte“ oder gar nach rechts abzuleiten…

    100% stimme ich jedenfalls der Schlussfolgerung zu (OK die nehme deinerseits einfach ich an 🙂 ), die „Empathie mit der weißen Arbeiterklasse“ mit Zugeständnissen in sozialen Fragen/einem Zurückdrehen der culture wars von Feminismus, anti-Rassismus etc. erkaufen zu wollen – NO pandering to white nationalists!

    • Stefan Sasse 22. November 2016, 14:32

      Ich bin noch sehr unsicher ob das funktionieren würde. Daher schiebe ich die Beantwortung dieser Frage aktuell nach hinten.

  • Stefan Pietsch 22. November 2016, 14:38

    Ich denke Du machst es Dir zu einfach, alles auf die „weiße Mehrheitsgesellschaft“ zu schieben. Deine Kenntnisse der amerikanischen Medien- und Politiklandschaft sind hervorragend. Aber Dir scheint eins zu fehlen: ein Gespür für die Gemütslage von Amerikanern.

    Es ist seit Jahrzehnten ein Versäumnis linker Parteien, stets vor allem auf Minderheitenthemen zu setzen. Angeblich soll es darüber kurz vor Ende des Wahlkampfes zu einem heftigen Streit zwischen Hillary und Bill Clinton gekommen sein. Er machte seiner Frau zum Vorwurf nur auf die gebildeten Schichten zu setzen, auf das liberale Amerika.

    Die Demokratin hatte mit den besten Wahlkämpfer der Welt in ihren Reihen – und wusste das Potential nicht zu nutzen. Bill Clinton holte 1996 sogar zahlreiche „republikanische“ Staaten, weil er als ehemaliger Gouverneur von Arkansas es verstand, einfache Amerikaner anzusprechen.

    Ihr wenig griffiger Slogan und die Gefühlskälte, die sie ausstrahlte, taten ein übriges, die völlig verkopfte Kampagne in den Sand zu setzen. Gegen einen albernen Populisten wie Trump muss man erstmal verlieren.

    Auch Deine zur Schau getragene Wut hilft nicht: Trump wird im Januar zum 45. Präsidenten der USA vereidigt. Und die Demokraten müssen sich dringend eine bessere Strategie überlegen, wie sie zukünftig wieder ihre Landsleute ansprechen wollen, um Gouverneursposten, Sitze in Regionalparlamenten, Mehrheiten im Kongress und irgendwann wieder das Weiße Haus zu gewinnen. Clintons Niederlage ist keine Eintagsfliege, sie ist nur die Spitze der Ablehnung demokratischer Vorstellungen durch die Mehrheit.

    • Stefan Sasse 22. November 2016, 14:58

      Ich glaube, da lässt du dich zu sehr von deiner eigenen Ablehnung dieser „Minderheitenthemen“ leiten, und du machst genau den Fehler, den ich im Artikel krisiere. Zitat:
      „Aber Dir scheint eins zu fehlen: ein Gespür für die Gemütslage von Amerikanern.“
      Genau das ist aber das Problem: „die Amerikaner“ gibt es so nicht. Anteilig an der Gesamtbevölkerung hat Clinton irgendwo zwischen 1 und 2 Prozent beziehungsweise ein bis zwei Millionen mehr Stimmen gewonnen als Trump. Diese Erklärung zieht daher nicht. Wenn du sagst „dir [und HRC] fehlt das Gespür für die Gemütslage der WWC in den Rustbeltstaaten und den Appalachen“, hard to argue. Aber „die Amerikaner“ sind das ja gar nicht, das ist mal wieder die Blase, in der und viele andere Kommentatoren sitzen.

      • Floor Acita 22. November 2016, 15:46

        Agreed!

      • Stefan Pietsch 22. November 2016, 16:01

        Nein, sicher nicht. Ich glaube, dass Linke deswegen in einer Blase sitzen. In den 1980er Jahren hatten wir das Phänomen schon einmal: Insbesondere die Kontinentaleuropäischen Linken bedienten die Wohlfühlthemen: Ökosteuer, Homo-Ehe, Frauenquote. Ich fand das damals alles gut. Nur fragte ich mich, wie es sein kann, dass die Themen außerordentlich populär sind – aber in Wahlen immer die Konservativen gewannen.

        It’s the economy, stupid! Bill Clinton läutete den Siegeszug der sozialdemokratischen Parteien ein. Tony Blair, Romano Prodi, Gerhard Schröder dominierten neben dem US-Präsidenten die Geschicke und alle mit ähnlichen Politikansätzen und -themen. Als sie abgewählt wurden, geriet ihre Erfolgsformel in Vergessenheit.

        Heute sieht es doch, wenn Du ehrlich bist, mit den sozialdemokratischen Parteien ähnlich aus wie in den 80er und Anfang der 90er Jahre. Geschichte wiederholt sich. Offensichtlich haben die linken Parteien nicht die richtigen Themen.

        Es ist völlig egal, wie viel Stimmen mehr Hillary geholt hat. Das ist das typische Sand-in-die-Augen-streuen. Die Bedingungen sind seit Jahrhunderten klar. Eben weil Amerika so verschieden ist, muss es einem Kandidaten gelingen, verschiedene Mehrheiten anzusprechen. Wie Du weißt war mein Vorwurf an Obama immer, ein Minderheitenpräsident zu sein. Diese Rolle konnte er nie wirklich ablegen, auch, weil er besser reden und entwerfen konnte als Politik zu machen.

        • Stefan Sasse 23. November 2016, 16:34

          Siehst du, genau das ist mein Punkt: „Du bist in der Blase, nicht ich!“ Diese Arroganz ist jetzt natürlich leichter, aber meine Aussage ist: wir sitzen ALLE in einer Blase. Das popular vote ist für das Gewinnen von Wahlen unerheblich, da stimme ich dir völlig zu und mache auch keinen Hehl daraus. Trump hat das Ding gewonnen. Aber die Themen können so falsch nicht gewesen sein, denn dein Vergleich hinkt auf der entscheidenden Ebene: die Sozen der 80er und (teilweise) 90er Jahre haben DEUTLICH weniger Stimmen eingefahren als die Konservativen, was jetzt einfach nicht der Fall ist. Clinton hat die Wahl verloren, weil sie ihre Mehrheiten falsch zusammengestellt hat, während Obama das besser gelungen ist. Aber wir sollten vorsichtig sein, sofort nur die eigene Blase als einzig relevante Realität zu verstehen. Denn umgekehrt hast du trotz Obamas überzeugender Siege ihm nie zugestanden, dass er das „wahre“ Amerika vertreten würde. Stattdessen hast du, den Vorlieben deiner eigenen Blase entsprechend, immer irgendwelche Gründe gefunden, warum er wider alle Regeln doch gewonnen habe (Minderheitenpräsident, großes Redetalent, etc). Du hast immer das gemacht, was du mir jetzt vorwirfst: Sand in die Augen streuen.

          • Stefan Pietsch 23. November 2016, 16:59

            Der Witz ist: ich habe in den letzten 30 Jahren 2 Präsidentschaften vom Herzen gewünscht: Bill Clinton 1992 und Barack Obama 2008. Ich kann aber über die Fakten einer Regierungszeit nicht die Augen verschließen, sonst wäre ich Fan und nicht Analytiker.

            Obama hat wesentliche seiner gesetzten Ziele nicht erreicht und damit unterscheidet er sich zu dem Ex-Gouverneur aus Arkansas. Manches ohne direkte Verantwortung, einiges mit. Nur kommt es am Ende genau darauf nicht an.

            Clinton hat nicht einfach ihre Mehrheiten falsch zusammengestellt. Da die bevölkerungsreichsten Staaten strukturell den Democrats zuneigen, kommt es zur Klumpenbildung. Es ist aber kein Gesamtbild des Landes. Nur weil Deutschland so bevölkerungsreich ist, sagt das Ergebnis der nationalen Wahlen wenig über die Stimmungslage in Europa aus.

            • Stefan Sasse 23. November 2016, 18:09

              Das ist ja aber eine ganz andere Diskussion. Ob Obamas Präsidentschaft ein Erfolg war oder nicht ist eine Diskussion, die hier auf dem Blog wohl im Januar richtig heißlaufen wird (ich baue auf einen entsprechenden Analyseartikel von dir!). Die Frage war, ob er eine Mehrheit hinter sich hatte.

              • In Dubio 24. November 2016, 10:09

                Bedeutet das, ich soll einen Artikel zu Obamas Amtszeit schreiben?

          • Floor Acita 23. November 2016, 18:53

            „wir sitzen ALLE in einer Blase“
            101% agreed! The theory of everything.

      • Floor Acita 22. November 2016, 16:08

        „Angeblich soll es darüber kurz vor Ende des Wahlkampfes zu einem heftigen Streit zwischen Hillary und Bill Clinton gekommen sein. Er machte seiner Frau zum Vorwurf nur auf die gebildeten Schichten zu setzen, auf das liberale Amerika. Die Demokratin hatte mit den besten Wahlkämpfer der Welt in ihren Reihen – und wusste das Potential nicht zu nutzen. Bill Clinton holte 1996 sogar zahlreiche „republikanische“ Staaten, weil er als ehemaliger Gouverneur von Arkansas es verstand, einfache Amerikaner anzusprechen.“

        Wenn ich mir einen Clinton surrogate aussuchen muss, der ihr am meisten geschadet hat, dann war es Bill Clinton. Er ist es der im Jahre 1996 verharrt ist und nicht begriffen hat, dass wir im 21. Jahrhundert leben (mal ganz davon abgesehen, dass etliche Angriffe auf HRC eigentlich eine ungerechtfertigte Verquickung mit zum Teil m.E. durchaus berechtigten Kritiken an Bill Clinton waren – dem alten in dem Punkt durchaus trump-like über-Machismo – „I couldn’t have raped her, she has way too small a‘ tits“ wird heutzutage nicht mehr unbedingt wohlwollend aufgenommen).

        Kurz vor Ende des Wahlkampfs kritisiert er Obamacare während seine Frau den gesamten Wahlkampf über (zum Teil notgedrungen/getrieben) den ACA als das „end all be all“ bezeichnet hat. Und vergessen wir auch nicht seinen Ausfall gegenüber der black lives matter Bewegung sie wären doch nur eine Handvoll Krimineller die crack dealer und Mörder verteidigen. Nicht gerade auf der Höhe der Zeit der Alte. Ich bin mir sicher er hält es für einen „savy move“ – der Raum m ehrheitlich weiß, die Leute sowieso genervt von den Demonstranten. Aber genausowenig wie sich Debatten an den Saal richten kann ich heute nicht mehr auf rallys reden, als wäre ich „Mister I never used a computer till the end of my second term“ mir völlig im Unklaren darüber, dass mind. die Hälfte aller Teilnehmer, inklusiver der Demonstranten selbst, eine HD-Kamera, ein Richtmikrofon und das Studio-Equipment sowohl zum livestreaming als auch dem dauerhaften archivieren auf Youtube etc. in der Hosentasche hat. Once he could talk a dog into a pot-shop, nowadays he’s more like „Hello darkness, my old friend I’ve come to talk with you again“…

        • Stefan Pietsch 22. November 2016, 16:26

          Was ist bitte auf der Höhe der Zeit? Hillary hat verloren, so auf der Höhe der Zeit war sie anscheinend nicht, zumal sie einen äußerst schwachen Gegenkandidaten hatte – anders als Bill Clinton 1992.

          Sie hat einen äußerst arroganten Wahlkampf geführt, weil sie ja die einzige war, die Trump hätte verhindern können. Den Leuten bleibt ja nichts anderes übrig, als Hillary zu wählen. So leistete sie es sich, Wisconsin kein einziges Mal zu besuchen, den angeblich sicheren Sieg in der Tasche. Blöd nur, dass die 10 Wahlmänner aus der Heimat von Al Bundy schließlich an Donald Trump gingen.

          • Floor Acita 22. November 2016, 17:21

            Dem zweiten Absatz stimme ich 100% zu. Sie hätte nach Wisconsin gehen sollen, die Strategie in Michigan war naiv, in Penny abgehoben – nichts davon hat etwas mit Zugeständnissen an Rassisten oder Sexisten zu tun, sondern von ökonomischen Sorgen geplagte Leute zuzuhören und versuchen ihnen zu helfen. Wenn es „the economy is, stupid“ dann geht es tatsächlich mehr um Zahlen wie 40% der Amerikaner haben 20% ihres net-worth verloren oder die Mittelklasse sind nur noch 30% (das schreibt zumindest der deutsche Arbeitgeberverband Chemieindustrie). Arbeitslosen-Quoten allein sagen da wenig – es ist nicht nur(!) gefühlt… Die Leute gewinnt man nicht durch heuchlerisches appelieren an niedere Instinkte sondern indem man ihnen das Gefühl vermittelt man kümmere sich. Man braucht deswegen nicht zu verschweigen, dass es Leute gibt denen es noch schlechter geht und denen man ebenfalls helfen will. Die Einheit ist wichtig, die Koalition zu schmieden, nicht die einen gegeneinander auszuspielen…

  • Ant_ 22. November 2016, 15:20

    Ich finde diese ganze Debatte irgendwie… zwecklos.
    Stimme mit deiner Kritik überein, nur aktuell sieht es für mich so aus, als ob beide Seiten der jeweils anderen „Echo-Chambering“ vorwerfen – und ich kann total gut nachvollziehen, woher dieser Eindruck kommt. Nur so ein „die anderen machen es auch“ ist leider keine Analyse, die erläutert, was getan werden kann – einfach nur das blame-game mitspielen mag zwar normativ korrekt, aber nicht hilfreich sein. Die Differenz der Weltbilder ist absolut gruselig, und auch wenn ich genau weiß, wie meine Meinung aussieht, nach den Einblicken, die ich in die andere Blase hatte, kann ich Obama nur zustimmen: „If i would be just watching Fox News, i wouldn’t vote for myself“ – total sinnvoll, in so einer emotionalen und informationalen Situation Trump statt Hillary zu wählen.
    Ich glaube, dass das bubbeling so massiv ist liegt daran, dass aktuell die meisten cleavages (https://en.wikipedia.org/wiki/Cleavage_(politics)), zusammen mit der neuen Trennung von Economist & co – open vs. closed, ziemlich identisch sind, und man weniger Chancen hat, z.B. jemanden zu treffen, der zwar mehr Dezentralisierung, aber auch mehr Säkularisierung will. Das war m.M. nämlich die Art, wie man die Southern Demokrats usw. am besten verstehen konnte, und wie Koalition Building immer funktioniert hat. Jetzt gibt es kaum „Querschläger“, sondern fast alles Positionen sind eindeutig ohne Differenzierung entweder bei der einen, oder anderen Partei. Ich denke, dass das Internet und die wirkliche Möglichkeit zu „bubbeln“ diesen Status zwar massiv verhärten, aber nicht schafft. Später vielleicht mehr, wenn sich eine Diskussion ergibt.

    • Floor Acita 22. November 2016, 16:16

      Dem letzten Satz stimme ich definitiv zu und gehe sogar noch weiter: Das Internet hat überhaupt erst die Möglichkeit geschaffen bestimmte bubbles poppen zu lassen – für meine Oma gab es nur die CDU. Der Bäcker, der Sportverein, der Metzger, der Friseur, der Gärtner alle waren entweder konservativ, katholisch und/oder CDU-nah. Bereits bestimmte Sportvereine waren „Freie“, „Sozen“ und damit definitiv „die Anderen“. Und sie war insgesamt relativ liberal eingestellt, da gab es ganz andere Zeitgenossen.

      Bubbles gab es schon immer und wird es immer wieder geben, doch die Voraussetzungen sind heute besser denn je sich dazu zu entscheiden sich zumindest mit anderen Meinungen zu konfrontieren.

    • Stefan Sasse 23. November 2016, 16:44

      Zwecklos finde ich die Debatte nicht, denn sie zeigt ja auf, wo man quasi in Zukunft ansetzen muss.

      Was die Frage der Bubbles angeht sind wir denke ich erst am Anfang das überhaupt zu begreifen. Dieses Blog war ja auch von Anfang an ein Versuch, die Bubble zu zerstechen, indem Autoren verschiedener Richtungen aktiv sind.

      • Ant_ 24. November 2016, 16:25

        Dann wäre es aber denke ich sinnvoller, die Debatte abzusetzen von den aktuellen Themen, und bei den Grundlagen anzufangen.

        Wie ist das eigentlich – wenn wir Meinungsfreiheit haben, hat dann nicht jeder Recht auf seine Bubble? Ich persönlich würde dann so ein Argument aufmachen wie „Ja, aber sobald man sich mit der eigenen Meinung im öffentliche Raum positioniert, muss man davon ausgehen, kritisiert zu werden“. Blöd nur, dass mein Verständnis des Problems beinhaltet, dass wir dann einerseits nur noch die Frage haben, welche grad die größere Bubble ist, und „die“ darf dann entscheiden (ich mach das jetzt mal wirklich abstrakt). Was ich zumindest als ein Ideal gerne vertreten würde, wäre halt, dass wir von allen erwarten, sich auseinanderzusetzen – die meisten Menschen wollen das nur meiner Meinung/Beobachtung nach nicht, und ich sehe mich nicht in der Lage, positive Handlungsvorschriften zu machen.

        • Stefan Sasse 25. November 2016, 12:21

          Jeder hat auch ein Recht darauf, sich selbst ein Messer in den Oberschenkel zu rammen, und wir arbeiten trotzdem daraufhin, dass Leute das nicht machen. Schädliches Verhalten sollte bekämpft werden. Wenn Leute das dann immer noch nicht machen – jeder hat natürlich ein Recht auf die Blase.

  • Ariane 22. November 2016, 16:19

    Puh, guter Artikel. Ich muss sagen, ich stehe da immer noch unter Schock und obwohl ich hier und anderswo schon zig Artikel gelesen habe, hilft das nur bedingt.
    Und dass Trump Präsident ist, ist ja nur eine Sache. Der ganze Kongress republikanisch, die Supreme Court Besetzungen und vor allem!, dass die Republikaner wirklich Erfolg damit hatten, in den letzten Jahren extreme Blockade-Politik zu betreiben, bei denen sie teils Anstands- und Demokratie-Hürden eingerissen haben, ärgert mich zutiefst.
    Und ich weiß auch nicht, ob es so schlau ist, wenn „die Linken“ jetzt in einer depressiven Selbstbetrachtung versinken und nach mehr Empathie für Gott weiß wen rufen. Die radikale Abwehrschlacht der Republikaner hat ja geholfen, also ist das vielleicht der bessere Weg. Ich weiß sowieso nicht, wie das mit mehr Empathie und weniger Political Correctness praktisch aussehen sollte. Sollte dann ein bisschen Rassismus und/oder Sexismus plötzlich ok sein? Wie Stefan schon schreibt, Frauen, Schwarze, Latinos etc. sind ja genauso Amerikaner, nicht nur der weiße Mann.

    Gut, ich bin im Vorteil, dass ich keine Wahlen gewinnen muss, und „wir“, „man“, „die Linken“ haben verloren und das ist bitter. Aber statt nun traurig die eigenen Werte in Frage zu stellen, müsste man sie vielleicht sogar offensiver verteidigen. Aus der Defensive herauskommen, mehr Selbstbewusstsein haben, ein totales Rebranding machen. Ständig wird Progressiven vorgeworfen, sie wären ja so moralisierend und bevormundend. Das ist Quatsch, gleiche Rechte für alle zu fordern ist total liberal und im Gegenteil ist es bevormundend und moralisierend, wenn nicht jeder den heiraten darf, den er will. Ich glaube, es ist falsch, der anderen Seite nun verschämt das Spielfeld zu überlassen und sich die Wunden zu lecken.
    Es gibt hundert, kleine, verschiedene Gründe für Trumps Wahlsieg, aber ich glaube, ein wichtiger Grund ist, dass er die Emotion auf seiner Seite hatte, wie er sagte wirklich eine Art von Bewegung. Und das fehlte bei den Demokraten, bzw fehlt es der progressiven Seite da meiner Meinung nach generell. Ich glaube auch nicht, dass Sanders gewonnen hätte, aber eine Frau war da vielleicht wirklich die falsche Wahl und ich glaube die reine Vernunft reicht momentan nicht aus, es muss mehr Leidenschaft in die Debatte.

    • Floor Acita 22. November 2016, 17:10

      Stimme 100% zu – die Linke muss endlich selbstbewusster handeln! Ich glaube nicht, dass eine Frau die falsche Wahl war – ich hätte eine Schwarze oder Latina aufgestellt…

      „Let me be clear. Certainly female candidates are subjected to sexist attacks, and politics is a gendered arena. But for the future of feminism, and for young girls particularly, it’s equally important that we do not learn the wrong lesson from Clinton’s defeat. Now is the time to pass the baton, not throw in the towel. More women have to step up to run for office. They should do so with confidence that sexism will not mow them down.“
      https://www.washingtonpost.com/posteverything/wp/2016/11/16/sexism-did-not-cost-hillary-clinton-the-election/?utm_term=.009fb4db7e23

      • Ariane 22. November 2016, 18:21

        Keine Ahnung. Ich glaube nicht, dass es generell ein Sexismus-Problem ist, nur dass ein Mann da größere Möglichkeiten hat. Es kommt imo nicht von ungefähr, dass eigentlich alle (?) Frauen in der Politik oder generell in hohen Führungspositionen immer als kühl, vernünftig, besonnen gesehen werden. Kann positiv ankommen wie häufig bei Merkel oder nach hinten losgehen wie bei Hillary. Bei einem Mann gäbe es so eine Diskussion vermutlich nicht mal. Von Steinmeier ist mir eigentlich keine Gefühlsregung bekannt, aber man findet wohl keinen Artikel, bei dem über seine Gefühlskälte geweint wird. Diese Küchenpsychologie ist definitiv eher Frauen vorbehalten. Andersrum bin ich überzeugt, dass eine Frau heutzutage (und Hillary war da sicherlich die beste Kandidatin) keinen hochemotionalen Wahlkampf führen kann, wie Trump das getan hat. Am Ende wäre sie eine „hysterische Frau, die ihre Gefühle nicht im Griff hat und sich als Opfer stilisiert“ oder sowas. Das ist in acht oder sechsehn oder achthundert Jahren vielleicht anders.
        Wie gesagt, ich bin kein Sanders-Fan, aber er hatte so etwas wie eine Bewegung und ich denke, wenn die progressive Seite mitspielen will, braucht sie eine Bewegung.

        • Floor Acita 23. November 2016, 05:02

          Ich wollte auf keinen Fall andeuten, Frauen hätten es -leider- auch im 21. Jahrhundert nicht immer noch größere Hürden als Männer generell und insbesondere in der Politik (genau aus den von Ihnen genannten Gründen – Angela Merkel scheint da eine Ausnahme zu sein, wurde aber auch selbst, vor allem zu Beginn ihrer Karriere Opfer sexistischer „Kritik“). Ich glaube nur ernsthaft, wie im Artikel ja angedeutet, dass es (immer mehr) Frauen gibt, die diese Hürden auch in der Politik nehmen/überkommen können.

          Ich selbst war während der primaries Sanders supporter. Für mich war die Frage der Vision/Bewegung die entscheidende Frage. Diese Bewegung wurde jedoch nicht von Sanders (allein) geschaffen. Sie hat einen Kern um den sich verschiedenste Leute zu verschiedenen Themen scharen und das bereits seit einigen Jahren – und in den letzten 1-2 Jahren hat niemand diese Bewegung Sanders-Bewegung genannt sondern es war eigentlich immer die „Warren-Bewegung“ oder auch der Warren-Flügel der demolratischen Partei. Elizabeth Warren (Sen. Massachusetts) ist eine Leitfigur wie keine andere im linken Lager aber nicht. Sie ist nach Obama die drittbeliebteste Politikerin der USA. Wenn sie sich Größen wie den Wells Fargo CEO im Senat vornimmt, wird das von nicht wenigen Republikanern (insbesondere natürlich im Rust-Belt) mit einem „YESS!“ begleitet. Noch nicht ganz reif für das höchste Amt im Staat aber eine Frau die bewegt und begeistert (und perspektivisch m.E. geeignet) ist Tulsi Gabbard aus Hawaii. Eine weitere hoch beachtete Figur im Sanders-Camp war Nina Turner, African-American aus Ohio. Aber mittel- bis langfristig sieht es sowiesonochmal ganz anders aus. Die von Warren/Sanders begeisterten Menschen sind selbst natürlich sehr viel weiblicher und bunter in jeglicher Hinsicht als in einem hoch-umkämpften Wahlkampf dargestellt. Der größte gap zwischen Clinton und Sanders war ein Generationenkonflikt. Viele der Wortführer der Delegation waren weiblich. In New York gibt es Zephyr Teachout die auf dieser Bewegung „reiten“ kann. 2/3 der von Sanders inspirierten jüngsten Politiker-Generation die sich ausbilden lassen will von einer der Organisationen die im Sommer gegründet worden sind, sind Frauen. Ich bin insgesamt nach wie vor sehr optimistisch was die Zukunft der USA angeht, optimistischer als für Deutschland/Europa. Vergessen wir auch nicht, dass den Demokraten ebenfalls unkonventionelle Strategien offen stehen und die demografische Realität die gleiche ist wie vor 2 Wochen (auch wenn Konservative einem was anderes einreden wollen). Texas und vlt auch Arizona sind nicht auf Dauer notgedrungen tiefrot. In Texas ist es ein 5-Punkte Rückstand – Vergleiche das mit Arkansas oder Mississippi aber auch umgekehrt mit California oder New York und es ist klar, dass sich Texas in Richtung purple bewegt (ich persönlich glaube perspektivisch sogar eindeutig blau). In der county-map kann man bildhaft sehen, wie sich eine blaue Welle langsam aber sicher von Südwesten durch den Staat schiebt…

          Das Mantra von den „Minderheiten-Themen“ ist nicht eine Erkenntnis die man aus dem Durchstechen der Blase gewonnen hat, sondern selbst „conventional wisdom“, tausendmal gesagt und intuitiv für richtig gehalten – im 30% rechten Lager. Erinnert mich stark an Sarrazin ja auch nichts gesagt hat was „endlich mal einer sagen musste“ oder „mutig“ gewesen wäre zu sagen, oder sich endlich mal einer „getraut hätte zu sagen“ sondern ausschließlich Dinge/“Argumente“ die ich schon hunderttausend mal davor gehört habe -IMMER- mit dem Außenseiter/Opfer-label des armen weißen Mannes der von überall her bedroht wird…

          • Floor Acita 23. November 2016, 05:05

            „Elizabeth Warren (Sen. Massachusetts) ist eine Leitfigur wie keine andere im linken Lager“, „aber nicht“ NUR

            wichtige 3 Buchstaben und ein Komma 🙂

            • Stefan Pietsch 23. November 2016, 16:48

              … und 67 Jahre alt.

              • Stefan Sasse 23. November 2016, 18:13

                Ich sehe Warren auch nicht als zukünftige Führung der Partei, genausowenig Sanders. Ich denke Obama hat Recht wenn er sagt, dass wir den nächsten Obama noch nicht kennen.

              • Floor Acita 23. November 2016, 18:49

                Es ging hier ja um die Frage ob es einer Frau prinzipiell gelingen kann eine Bewegung aufzubauen, zu führen, zu begeistern und nicht ob Warren die Zukunft der Partei ist…

                • Stefan Sasse 23. November 2016, 19:21

                  Da spricht nichts dagegen.

                • In Dubio 24. November 2016, 10:07

                  Schau‘ Dir bitte mal das Gros der demokratischen Anführer der letzten Jahrzehnte an. Demokratische Leader sind typischerweise keine Vorstände von Bewegungen. Und begeistern tun sie spätestens nach 2 Jahren in Regierungsämtern auch nicht mehr.

          • bevanite 28. November 2016, 19:35

            Warren wäre wahrscheinlich für die breite Masse einen Tick zu weit links als Kandidatein, aber wenn wir bei möglichen Präsidentschaftskandidatinnen der Demokraten sind, glaube ich, dass Barbara Boxer, Dianne Feinstein oder Nancy Pelosi das Ding locker gerockt hätten.

  • FrageZeichen 22. November 2016, 18:24

    Nun, dem Herrn Sasse ist es schon mal nicht gelungen aus der Propaganda-Bubble herauszukommen. Hätte er vielleicht nicht doch noch etwas mehr und länger nachdenken sollen?

    Vielleicht mal als Denkhilfe: Man kann den medialen Lügen (über die uns angeblich umgebende „Heile Welt“ und die supertolle Entwicklung der Wirtschaft) doch sehr leicht über knallharte Indizien ergründen:
    Wir können nahezu weltweit eine Destabilisierung der politischen Situation sehen. Und warum wohl? Doch nicht, weil es uns allen so supergut geht! It’s the economy, stupid!

    Die „Demokraten“ haben ihre Bevölkerungen systematisch über den tatsächlichen wirtschaftlichen und strukturellen Zustand der Nationen belogen. Und die Medien haben dabei mitgeholfen und sich zu Propagandaoffizieren degradiert. Wieviel Geld dabei aus den staatlichen Kassen geflossen ist, werden wir wohl nie erfahren.

    Und es geht munter weiter. Das ganze Gerede vom „Postfaktischen“ beispielsweise ist doch nichts weiter als eine Verhöhnung und Verspottung der Leserschaft. Und: Eine Verhöhnung und Verspottung durch solch ein betrügerischer Journalisten-Gesindel wiegt wirklich schwer.

  • CitizenK 22. November 2016, 19:40

    Hätte, hätte – Fahrradkette? Würden die weißen Arbeiter auch so viel Interesse bekommen, wenn nicht das abstrus-antiquierte Wahlsystem den Irrwisch ins Weiße Haus gebracht hätte?

  • Ralf 23. November 2016, 05:30

    Mit Empathie gewinnt man keine Wahlen. Die meisten Waehler waehlen aus Eigeninteresse. Es ist die Verantwortung der Kandidaten, den Waehlern ein Angebot zu machen.

    Trump hatte ein klares Angebot und ein klares Thema. Er wuerde Washington auf den Kopf stellen. Er war fuer wirtschaftliche Protektion und gegen Einwanderung.

    Sanders hatte ebenfalls ein klares Angebot und ein klares Thema: Die Ungleichheit. Ungleichheit ist ein spannendes Thema fuer Frauen. Immerhin bekommen Frauen auch heute noch oft weniger Gehalt fuer die gleiche Arbeit. Ungleichheit ist auch ein spannendes Thema fuer Afroamerikaner, die ueberdurchschnittlich haeufig in Niedriglohnjobs arbeiten. Ausserdem sind Afroamerikaner im Justizsystem grotesk benachteiligt. Ungleichheit ist zudem ein spannendes Thema fuer Latinos, die ebenfalls meist am unteren Ende der Einkommensskala stehen. Und vor allem ist Ungleichheit ein Thema, das auch fuer weisse Maenner spannend ist, gerade fuer diejenigen in den Rustbelt-Staaten, die um ihre Jobs fuerchten oder ihren Job bereits verloren haben und nicht wissen, wie sie genug Essen fuer ihre Familie auf den Tisch bringen koennen.

    Was Clintons Angebot oder Thema gewesen sein soll, ist mir hingegen immer noch nicht klar. Ich hab die meisten Debatten gesehen, lese die politische Presse, habe den Parteitag der Demokraten verfolgt und mit vielen politisch Interessierten debatiert. Trotzdem hab ich keinen blassen Schimmer, was der Kerninhalt ihrer Kampagne war. In mehreren Punkten (TPP, Mindestlohn, kostenloses Studium) schrieb sie aus Bernie’s Programm ab, nachdem sie zuvor anderer Meinung gewesen war. In der Primary-Phase brachte sie immer wieder die Waffenregulierung auf’s Tapet, weil sie Sanders damit schaden konnte. Nach den Primaries kam das Thema praktisch nicht mehr vor. Nicht gerade ein Zeichen, dass es ein Herzensanliegen fuer Clinton war. Aus der Hauptwahlkampfzeit bleibt wohl am ehesten in Erinnerung, dass sie eine „dritte Amtszeit“ Obamas versprach, also Kandidatin des Status Quo war. Und das in einem politischen Klima, in dem Umfragen zufolge 70% der Buerger der Meinung waren, dass sich das Land in die falsche Richtung bewegt. Aber selbst das geriet am Ende in den Hintergrund. Denn zum Schluss war Clintons einzige Botschaft nur noch, dass sie nicht Trump ist. Und das ist fuer eine Kandidatin mit historisch unterirdischen Beliebtheitswerten leider auch kein ueberzeugendes Argument. Von schweren strategischen Fehlern, wie etwa in Arizona Wahlkampf zu machen, Wisconsin aber nie zu besuchen mal ganz abgesehen.

    Die Waehler wegen mangelnder Empathie zu beschimpfen, ist jedenfalls keine Loesung fuer die Zukunft. Vielleicht sollten die Demokraten in vier Jahren stattdessen mal nicht die verhassteste Politikerin des ganzen Landes als Kandidatin aufstellen und/oder sich moeglicherweise Themen widmen, die fuer breite Menschen- und Waehlergruppen bedeutend sind (z.B. Ungleichheit (siehe oben)). Dann wird es auch wieder bessere Wahlergebnisse zu feiern geben.

    • Stefan Pietsch 23. November 2016, 09:22

      Sanders hatte ebenfalls ein klares Angebot und ein klares Thema

      … nur sind Amerikaner dafür einfach nicht zu begeistern. Sein auf Umverteilung, Erhöhung von Steuern und Ausweitung der Sozialleistungen zielendes Programm trifft nicht den Geschmack der Mehrheit. Hierzu sind die Meinungsumfragen über viele Jahre äußerst konstant. Amerikaner haben eine zurückhaltende Einstellung zu ihrem Sozialstaat.

      Folgerichtig hatte der Republikaner auch nicht die Ausweitung des Sozialetats im Blick, sondern die Schaffung von Arbeitsplätzen durch Protektionismus, Steuererleichterungen und Diskriminierung. Und „Make Amerika Great Again“ klingt für die meisten schlicht verführerischer als „Stronger Together“.

      Ich halte nichts von der alten These, Frauen würden benachteiligt. Trump gewann deutlich bei den Frauen weißer Hautfarbe, obwohl er im Wahlkampf vieles gesagt hatte, was die moderne Frau ablehnen müsste. Aber vielleicht denken moderne Frauen in ihrer Mehrheit ganz anders als feministische Vordenker das meinen?

      Ungleichheit ist eben kein entscheidendes Thema in angelsächsischen Ländern. Sie verwechseln das mit kontinentaleuropäischen Einstellungen. Diese Gesellschaften sind traditionell viel ungleicher als die Staaten in Europa – und die Mehrheit findet das richtig.

      Das Rennen in Arizona war ähnlich knapp wie in Florida, daher war es sicher nicht strategisch falsch, dort Wahlkampf zu machen. Michigan war äußerst knapp, am Ende entschieden nicht mal 12.000 Stimmen über den Gewinner. Mit ein bisschen Einsatz hätte die Demokratin diese gewinnen können.

      Wie erklären Sie sich, dass die Democats lediglich 18 der 50 (36%)Gouverneursposten halten, dass sie gerade 245 der 535 (46%) Sitze im Kongress besetzen und ebenso eine historisch niedrige Sitze in den State Parlamenten vorweisen können? Es ist eben nicht nur Hillary.

      • Floor Acita 23. November 2016, 10:38

        Democrats verlieren ständig Rennen, weil sie derartig schwache Kandidaten aufstellen, dass sich die Leute fragen warum das überhaupt ein Unterschied machen soll.

        Die Umfragen waren eigentlich immer alle eindeutig. Sanders ist der zur Zeit beliebteste Politiker der USA. Es gibt hunder Gründe warum sich das nicht unbedingt in einen Wahlsieg verwandlt HÄTTE, aber es gibt nahezu keine realen (aktuellen!) Daten um das zu unterstützen, sondern hauptsächlich „conventional wisdom“ der dieses Jahr immer und immer wieder gescheitert ist – sowohl in Selbstkasteiung als auch in Verteidugung seiner Wissenschaft von Nate Silver mehrfach festgestellt. Wie können wir also so sicher sein, dass der conventional wisdom in anderen Fragen nach wie vor richtig ist? Gerade SEIT 2010 haben sich ja einige Meinungen/Verhaltensweisen/Kultur entscheidend verändert.

        Zahlen die ich aus diesem jahr gefunden habe sind solche wie diese:
        http://www.vox.com/2016/2/3/10904988/bernie-sanders-political-revolution-poll

        Der letzte Absatz ist humbuck, weil er dann plötzlich wieder konkrete Forderungen in ein wischi-waschi Frage übersetzt. Etliche Leute verstehen heute unter „big government“ nicht das, was pundits und political scientists lange darunter verstanden haben, sondern bezeichnen z.B. auch das Eingreifen des Staates in Fragen der Rechte für Frauen (I have control over my own body) als „big government“. So wurde z.B. der DOMA der es Bundesstaaten verboten hatte die Schwulenehe zu erlauben ebenfalls als „big government“ bezeichnet – hier wäre eine Aufschlüsselung hilfreich. Die konkreten Fragen sind jedoch relativ eindeutig beantwortet – und es fehlen Fragen, bei denen die Amerikaner auch eher mehrheitlich – in den Jahren 2014-1016 – links/liberal eingestellt waren.

        Im Übrigen stimme ich zu, dass „Stronger Together“ kein Slogan ist der zieht – „A Future To Believe In“ jedoch schon. Und das war seiner 🙂

        Es geht aber nicht immer nur um „Ungleichheit“ vor allem nicht nur ökonomisch, sondern oft auch um echte oder gefühlte „injustice“, der Gleichheit vor dem Gesetz und Staat, ökonomisch betonen viele, dass es ihnen nicht um „equality of outcome“ sondern um „equality of opportunity“ geht… Wir stellen immer wieder eine angenommene relativ gut lebende Elite einer einseitigen, überholten Vorstellung einer (white) working class gegenüber – was ist aber mit den ökonomisch strauchelnden Uber-Fahrern, Programmierern, New-Media-personalities etc. Leute die inhaltlich zur „liberalen Elite“, ökonomisch jedoch zum Prekariat gezählt werden. Heute stehen Leute auf Forbes-Listen aufgrund ihres Einflusses, die weniger im Monat verdienen als ich 🙂 was ist mit allem was unter „share economy“, Mini-jobs etc. fällt – gerade im liberalen Sektor wie an Silicon Valley angeschlossene Unternehmen etc. Wie wählen diese Leute? Millenials sind mit 69,9Millionen die (noch) zweitgrößte Wählergruppe, im Prinzip gleichauf mit Boomern. Und da wie wir ja neulich erst gelernt haben in den USA nach wie vor eine positive Haltung gegenüber Kindern vorhanden ist, sollte es Millenials nicht nur an der Küste sondern im ganzen Land geben. Sie pollen seit Jahren 70% liberal/links-liberal. Als Gruppe, unabhängig von ihrem konkreten alter – erst waren es die jüngsten Teen-Wähler, dann die Mitte zwanzig-jährigen, jetzt plötzlich die mehrheit unter 35. Trotzdem scheint diese in den kommendsten Jahren größte Wählergruppe kein Politiker wirklich zu beachten (es sei denn man hält Sätze wie „Pokemon-go to the polls“ für outreach) – warum? Haben Sie nicht Obama 2mal zum Sieg verholfen? Hätte Hillary nicht gewonnen, hätte allein diese Gruppe in Michigan und Wisconsin im selben Prozentsatz gewählt wie für Obama (71% – 55%). Trump hat nicht mehr gewonnen als Mitt (8%). Der Rest? Third Party! Why? Sanders hatte zweimal so viele gewonnen als Hillary und Trump kombiniert? Und unabhängig davon hat Hillary die Wahl in Milwaukee und Detroit verloren – her strongholds – die rural areas sind sowieso (zumindest in Wisconsin) eher konservativ – immerhin ist Scott Walker dort Governeur…

        • Stefan Pietsch 23. November 2016, 11:09

          Stellen Republikaner keine schwachen Kandidaten auf?

          Ich habe mir über die Zeit eine gewisse Skepsis gegenüber solchen Umfragen angewöhnt. So lange es sie nicht betrifft, antworten Leute gerne, dass sie für dies und das sind. Für interessanter halte ich, ob sich Stimmungen ändern. Und das ist, wie der Gallup-Report enthüllt, eben nicht der Fall.

          Es müsste in den USA einen Bewusstseinswandel gegeben haben, der einem Bernie Sanders Chancen einräumt, die er 2005 nicht hatte. Das ist nicht erkennbar. 2000 und 2004 gewann ein Kandidat, der den Leuten dezidiert weniger Steuern versprach. 2008 sagte Obama nur geringfügige Veränderungen zu. Gleichzeitig entstand die Tea Party-Bewegung, für die jede Steuer des Teufels ist. 1996 siegte Bill Clinton überwältigend, nachdem er kurz zuvor ein Gesetz unterzeichnet hatte, dass die Sozialhilfe-Ansprüche von Bedürftigen auf 5 Jahre begrenzte.

          In einem Land, wo der Patriotismus und der Glaube an den eigenen Aufstieg zur Gründungslegende gehören, wo 2/3 der den Republikanern zugeneigten Wähler meinen, der amtierende Präsident sei eigentlich Muslim und nicht in den USA geboren, so ein Land lässt sich kaum mit europäischen Maßstäben vergleichen.

          Von amerikanischen Freunden wurde ich die vergangenen Jahre mit Blogbeiträgen der rechten Sorte eingedeckt. Für mich als gebildeten (sic! 😉 ) Liberalen war das regelmäßig harte Kost. Es gibt noch ein anderes Amerika als das der Democrats.

          • Floor Acita 23. November 2016, 11:46

            Ich habe mich ja ebenfalls auf rechten blogs rumgetrieben – daher ist mir „das andere“ Amerika durchaus bewusst. Aber ja, ich glaube es hat in den USA seit 2005 und beschleunigt seit 2010 einen grundlegenden Bewusstseinswandel gegeben, der tatsächlich sogar Dinge in Frage stellt die selbst unter Linken vor kurzem noch heilig waren: „Was bedeutet -support our troops-? In jedem Fall?“, „Do we stand with veterans or is this just a phrase?“, „Muss wirklich vor jedem Footballspiel die Nationalhymne gespielt werden?“, „It’s a constitutional right and freedom of speech to burn the flag“ etc.

            Wie gesagt halte ich es hauptsächlich für eine Generationenfrage. Eine Generation die als erste von Eltern aufgezogen wurde die nicht selbst in Weltkriegen waren, in autoritären Regimen lebten und die selbst den kalten Krieg nie erlebt hat, der das Internet zur Verfügung steht denkt nun mal anders.

            Im Übrigen wird der nationale Charakter selbst einer Wahl immer stärker in Frage gestellt: Hillary werden verdeckte Wahlkampfspenden der Deutschen Bank, Marocco, Saudi-Arabien etc. nachgesagt. Klar ist, dass sie aufgrund ihrer Persönlichkeit und Vergangenheit etliche mehr oder weniger offene endorsements von Leuten rund um den Globus genießt. Trump hatte Kontakte offensichtlich ins rechte Lager Europas, Nigel Farage hat selbst für iohn Wahlkampf gemacht, er hat Kontakte zu Geerd Wilders, Marine LePen und Viktor Orban. Er hat russische Unterstützung und seine Anhänger skandieren „Lügenpresse“ auf deutsch, kennen PEGIDA etc. Junge Leute aus Deutschland, Frankreich, Spanien, Ungarn und anderen Ländern sind selbst in die USA geflogen um Bernie’s Wahlkampf zu unterstützen, bauten social-media relations auf etc. Es gibt im 21. Jahrhundert wenig, dass sich allein im nationalen Rahmen erklären ließe. Die Flüchtlingskrise hat de facto im Prinzip nichts mit den USA zu tun, aber allein zu sagen „schaut euch Europa an“ hatte im hardcore-Trump Lager Erfolg. (und das sind ironischerweise „National“listen – ziemlich international vernetzt dafür).

            Als Marco Rubio sagte „Sanders will uns mehr wie Schweden machen“ hatte das überhaupt keinen Effekt, wenn überhaupt hat es ihm selbst geschadet. Hillary’s „it’s the Russians“ wäre wohl in den 80ern oder auch in den 90ern noch ganz anders aufgenommen worden. Obwohl es in diesem Fall wahr war – wenn auch trotzdem ein zu durchschauendes Ablenkungsmanöver – hatte es praktisch 0 Einfluss auf die Wähler. Politiker fallen einfach immer wieder in Weisheiten zurück die mal wahr waren oder mal funktioniert haben – aber halt eben nicht mehr, oder zumindest nicht in jeder konkreten Situation…

            Last but not least … selbst die Tea-Party Bewegung hat dieses Jahr einen kandidaten wie Ted Cruz unterstützt dessen Pläne was das Militär angeht etc. den Steuerzahler ebenso schwer belastet hätten wie Sanders Vorschläge und das without direct benefit. Hell, er wollte ganz Syrien tag und nacht Dauer-Bombadieren lassen, das ganze Militär grundüberholen, die Wüste zum Glühgen bringen. Mal ganz davon abgesehen, dass er nie konkretisiert hat wie er das genau machen soll – diesem vetting wurde Sanders ständig unterzogen – mit wievielen Millionen/Milliarden hätte das die Staatskasse belastet? Wie soll das bitte ohne Steuererhöhungen möglich sein?

            In der VOX Umfraga auf die Du halt nicht so viel gibts sagt ja eben auch gerade die Mehrheit der Tea-Party Bewegung, dass sie für eine Umverteilung von Reichtum ist. Ich frage mich manchmal ob die tea-OParty-Bewegung überhaupt die Motive hat unter denen sie angeblich entstanden ist, oder ob die Steuersenkungsagenda nicht nur von anfänglichen Donoren wie Koch Industries gepusht wurde und letztere mittlerweile die Kontrolle über die von ihr geschaffene Bewegung verloren hat?

            • Stefan Pietsch 23. November 2016, 14:38

              Eine Gesellschaft besteht aber immer mehr als aus einer Generation. Und die Ansichten innerhalb einer Generation noch einer Alterskohorte sind nie homogen. Anders als in früheren Wahlkämpfen spielten diesmal die Abtreibungsfrage und die Waffengesetze nur eine sehr untergeordnete Rolle. Dennoch dominierten „konservative“ Themen.

              Ein Bewusstseinswandel lässt sich in Umfragewerten wie sie Gallup erhebt, messen. Worauf stützt sich Deine Wahrnehmung? Gefühle können stark täuschen, sie sind viel zu sehr von den eigenen Werten und Ansichten beeinflusst.

              Wie jede Gesellschaft hat auch die amerikanische einen überragenden Kit: den Patriotismus. Es gibt nichts sonst, was Amerikaner eint. In einem Land, wo längst 2 Sprachen gesprochen werden, wo Einkommen so differieren wie in keinem anderen OECD-Staat, eine Demokratie, welche einen Contest der beiden unbeliebtesten Politiker veranstaltet: worauf sollte man sich dort noch einigen können außer, Amerikaner zu sein?

              Glaubst Du ernsthaft, die Jungen erfinden die Welt neu? Die Clintons gingen noch gegen den Vietnam-Krieg auf die Straße, während ein Präsident aus ihrer Generation den Irak- und Afghanistan-Krieg führte. Gegen den protestierten nun wieder Amerikaner. Die Arroganz, die Krönung der Geschichte zu sein, ist das Privileg der Jugend.

              Ich habe nicht gesagt, dass ich nichts auf die VOX-Umfrage gebe. Nur betrachte ich generell Umfragen, die mit „Was hätten Sie gerne, so lange es Sie nicht betrifft“, beginnen, sehr skeptisch. Und Trends lassen sich immer an der Veränderung langfristiger Einstellungen ablesen. So gehe ich analytisch an Fakten heran.

              • Floor Acita 23. November 2016, 18:07

                „Wie jede Gesellschaft hat auch die amerikanische einen überragenden Kit: den Patriotismus. […] worauf sollte man sich dort noch einigen können außer, Amerikaner zu sein?“
                Das stimmt 100%, nur ist die Frage nicht losgelöst von allen anderen, sondern wird zu „WAS bedeutet es Amerikaner zu sein?“ Und die Antworten, auch auf die Frage was explizit un-american ist, könnten unterschiedlicher nicht sein 🙂

                „Glaubst Du ernsthaft, die Jungen erfinden die Welt neu?“ Nein, nicht wenn es um Positionen geht. Aber JEDE Generation setzt unterschiedliche Schwerpunkte und die der Y scheinen nunmal zu sein wie sie sind. Time and place. Auch ist es durchaus nicht ungewöhnlich, dass neue Kommunikationsformen zu gesellschaftlichen Veränderungen führen und das Internet ist nun mal ein revolutionäres Kommunikationsmedium. Was das bedeutet, wohin das genau führt? Keine Ahnung aber es konnte nie folgenlos bleiben. We see what’s going on, not one OR the other, but a lot of contradictory sh*t at the same time 🙂

                • In Dubio 24. November 2016, 10:05

                  Aber JEDE Generation setzt unterschiedliche Schwerpunkte und die der Y scheinen nunmal zu sein wie sie sind.

                  Und wie lange sind die interessant? Bestenfalls ein paar Jahre, in Kategorien von Legislaturperioden ein Wimpernschlag. Das Problem linker Parteien war nie, dass sie es nicht vermochten, junge, begeisterungsfähige, idealistische Menschen anzusprechen. Nur schon in dieser Beschreibung liegt die Ursache, warum sie so häufig in der Opposition sind. Das Leben wird nicht von Begeisterung und Idealen bestimmt, sondern von Beharrlichkeit und Kompromissfähigkeit.

          • Floor Acita 23. November 2016, 11:54

            Nachtrag:

            Ich bin tatsächlich davon überzeugt (ich der davon überzeugt ist, dass Sanders gewonnen hätte und auch Warren mit der gleichen Agenda), dass weder Sanders, noch Warren noch irgendjemand diesen Flügels 2004, 2008 oder selbst 2012 eine Chance gebhabt hätte. Ich stütze mich bei meiner Einschätzung zu deren Siegchancen tatsächlich vor allem auf konkrete Prozesse und Umfragen, Beobachtungen und Kontakte in den USA der letzten 5-6 Jahre. Auch in welchen gesellschaftlichen Bewegungen sich plötzlich Firmen wie Coca-Cola engagieren, die noch in den 80ern und 90ern NICHTS mit Politik zu tun haben wollten und jede Assoziation mit politischen Forderungen, wären sie auch noch so moralisch/“richtig“ gewesen, mit Händen und Füßen von sich gewiesen hätte. Plötzlich macht man integrative, kontroverse Werbung mit Homosexuellen, Transgendern, Interracial-couples, wehrt sich gegen das NC bathroom law, engagiert sich gegen Rassismus etc. Was ist da los, will Coca-Cola etwa keinen gewinn mehr machen? Nicht mehr in den USA? In manchen Staaten nicht mehr? Oder hat man einfach erkannt, dass es mehr ökonomischen Sinn (und damit höhere benefits) macht sich auf diese Seite zu stellen, weil sich die Einstellungen der Amerikaner zu diesen gesellschaftlichen Fragen eben grundsätzlich gewandelt haben..?

            • Stefan Pietsch 23. November 2016, 14:50

              Du bringst das Problem der Dems auf den Punkt: Sowohl Sanders als auch Elizabeth Warren und Hillary schon gar nicht können die Zukunft der Partei verkörpern. Dazu stellen sie, so Deine Behauptung, keine gescheiten Leute auf, weshalb sie zu wenig Nachwuchs in Kongress und Gouverneursposten haben. Mit wem soll die Partei eigentlich zukünftige Wahlschlachten gewinnen? Und wer soll die dezidiert linken Themen transportieren?

              Das amerikanische Zwei-Parteien-System fördert Persönlichkeitswahlen und gerade Präsidentschaftswahlen sind keine Programmveranstaltungen. Mit der europäischen Attitüde an die Sache zu gehen, das bessere Programm versehen mit gutem Marketing gewinnt, erscheint mir naiv.

              Eher werden die Europäer amerikanisch: auf dem alten Kontinent gewinnen seit längerem Parteien Zustimmung, die nicht ein bestimmtes Programm, sondern ein Statement in der Tasche haben.

              Jedenfalls hat es den Dems in den letzten Jahrzehnten nichts genützt, für ein liberales Abtreibungsrecht und mehr Waffenkontrolle zu sein. Warum sollte es das nun, wenn das, wie Du sagst, keine gesellschaftlichen Themen mehr sind?

              • Stefan Sasse 23. November 2016, 17:10

                Die Frage ist der große Knackpunkt.

                • Floor Acita 23. November 2016, 18:11

                  Personal? Nicht klar zu beantworten im Moment WIE gross das Problem wirklich ist … aber ja, falls das gemeint war… Knackpunkt, richtig 🙂

              • Floor Acita 23. November 2016, 18:23

                Die Frage ist nicht ein Programm zu finden das begeistert, sondern eher ob es möglich ist das Statement, den Slogan, die Persönlichkeit mit den dezidiert linken Themen zu verbinden die vlt nicht als solche begeistern und dadurch den Auschlag geben, aber auch nicht mehr die Leute „vergraulen“ wie früher oder zu einer persönlichen liability werden.

                Wird man gewählt weil man für liberale Abtreibungsgesetze und stärkere Waffenregulierung ist? Vlt nicht, aber man wird auch nicht mehr nur deswegen nicht gewählt. Kontakte zu Putin/nach Russland? Offenbar geschenkt. (Democratic) Socialist? That’s the 74y old elephant from Vermont in the room…

                • In Dubio 24. November 2016, 10:01

                  Ich glaube, da haben wir ein völlig unterschiedliches Verständnis von der Aufgabe von Politik. Meiner Ansicht nach kann es nicht darum gehen, trotz allem ein „nicht begeisterungsfähiges Programm“ durchzubringen.

                  Die meisten Bürger sind ideologisch nicht festgelegt, das gilt auch für Amerikaner. Die Mehrheit will einfach gut regiert werden und sucht dafür glaubwürdige Protagonisten. Ob damit am Ende ein Mindestlohn oder eine Praxispauschale verbunden ist, interessiert vielleicht, entscheidet aber keine Wahlen.

                  Wird man gewählt, weil man an der Grenze zu Mexiko eine Mauer bauen will? Vielleicht nicht, aber es schadet auch nicht…

                  • Erwin Gabriel 24. November 2016, 10:13

                    @ In Dubio

                    • Die meisten Bürger sind ideologisch nicht festgelegt, das gilt auch für Amerikaner. Die Mehrheit will einfach gut regiert werden und sucht dafür glaubwürdige Protagonisten. •

                    Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen.

                  • Stefan Sasse 24. November 2016, 10:30

                    Man weiß halt immer erst hinterher, wer einen gut regieren wird. Daher braucht es im Wahlkampf irgendeine Art von Botschaft, eine Ansage, wie man regieren wird, ein Programm. Mit einem „wir wollen wie bisher, nur ein bisschen besser“ fällt die SPD seit Jahren auf die Nase.

                    • In Dubio 24. November 2016, 10:37

                      Hatte Donald Trump ein Programm? Ist „Mauerbauen“, Handelsabkommen kündigen und Steuern senken schon ein Programm? Nach unseren kontinentaleuropäischen Vorstellungen nicht. Und Ralf konnte bei Hillary auch nach Monaten Dauerbeobachtung kein solches ausmachen. Für Amerikaner verkürzt sich die Frage gerne, darauf, wer nachts um 3 die Vollmacht über die Atomknöpfe haben sollte. Anscheinend ein Choleriker.

                      Die SPD hat es in den vergangenen 10 Jahren schon mit allem versucht, zuletzt mit einem dezidiert linken, sozialstaatlichen und etatistischen Programm, dass ein Sozialliberaler verkaufen sollte. Geniale Idee!

                  • Blechmann 29. November 2016, 12:47

                    „Die Mehrheit will einfach gut regiert werden und sucht dafür glaubwürdige Protagonisten. Ob damit am Ende ein Mindestlohn oder eine Praxispauschale verbunden ist, interessiert vielleicht, entscheidet aber keine Wahlen.“

                    Wenn es statt einem Mindestlohn aber ein Bürgergeld wäre, dann sähe das schon anders aus. Oder umgekehrt die Abschaffung des Sozialstaates.

      • Stefan Sasse 23. November 2016, 17:09

        Trump hat weiße Frauen mit 53% gewonnen – der schlechteste Wert eines Republicans seit Beginn der Erhebungen. Aber lass dich nicht in der Blase stören 😛

        • Stefan Pietsch 23. November 2016, 17:35

          Dafür, dass er Frauen sehr beschimpft hat, ist das ein exzellenter Wert, oder? Immerhin neigen Frauen generell mehr zu liberalen und linken Parteien als Männer. Zudem ging es um eine Geschlechtsgenossin, was ja immer als „Signalwirkung“ verkauft wurde.

          Übrigens hat Angela Merkel in Deutschland sehr wohl Frauen zur CDU gezogen.

          • Stefan Sasse 23. November 2016, 18:19

            Klar. Der Wert ist deutlich schlechter als erwartet. Aber die Aussage, er gewann „deutlich“ ist mutig. Aber ja, das zog offensichtlich nicht genug.

            Und bezüglich CDU: hatte die vorher so schlechte Werte bei Frauen? Ich dachte, die hatten da eh nie so ein Problem und es wäre eher die SPD, die Schwierigkeiten hat. Oder liege ich da falsch?

            • In Dubio 24. November 2016, 09:39

              Frauen wählen eigentlich überproportional Grüne und SPD, Männer stärker CDU (bei der CSU ist es meiner Erinnerung nach mehr ausgewogen), FDP und populistische Parteien.

              Hier zumindest rümpft jede Frau die Nase über ihre amerikanische Geschlechtsgenossin, wie man Trump überhaupt wählen könne.

      • Ralf 23. November 2016, 23:06

        @ In Dubio

        … nur sind Amerikaner dafür einfach nicht zu begeistern. Sein auf Umverteilung, Erhöhung von Steuern und Ausweitung der Sozialleistungen zielendes Programm trifft nicht den Geschmack der Mehrheit. Hierzu sind die Meinungsumfragen über viele Jahre äußerst konstant. Amerikaner haben eine zurückhaltende Einstellung zu ihrem Sozialstaat.

        Die Meinungsumfragen, die Sie verlinkt haben, unterstuetzen Ihre Aussage leider nur sehr bedingt. Auf die Frage ob in Zukunft eher Steuern erhoeht oder Rentenleistungen gesenkt werden sollten, um die langfristige Tragfaehigkeit der Social Security zu gewaehrleisten, antwortete in allen Jahren – 2005, 2010 und 2015 – jeweils eine klare Mehrheit mit „Steuern erhoehern“. Darueber hinaus sind fast zwei Drittel der Befragten der Meinung, Rentenleistungen fuer Reiche zu kuerzen, waehrend gleichzeitig zwei Drittel der Befragten die Beitraege fuer Reiche erhoehen wollen (also auf das vollstaendige Einkommen Social Security-Tax zahlen), falls sich die langfristige Tragfaehigkeit des Rentensystems verschlechtert.

        Die grossen Entitlement-Programme Social Security und Medicare sind im uebrigen extrem beliebt in den USA. Und die juengere Generation ist offener fuer eine linke Politik als die alternde, langsam wegsterbende Generation. Auch das ist ein Faktor.

        Ausserdem bestand Bernie Sanders‘ Wahlprogramm nicht nur aus Steuererhoehungen und Umverteilung. Da ging es auch um massive Investitionen in Infrastruktur, eine andere Handelspolitik, eine andere Verteidigungspolitik etc.. Auch kostenlose Universitaeten sind nur indirekt „Umverteilung“. Man kann das auch als Investition in den Bildungsstandort sehen. Und kostenlose Universitaeten haben grossen Zuspruch in den USA – die Mehrheit der Amerikaner wuenscht sich das laut Umfragen.

        Ich halte nichts von der alten These, Frauen würden benachteiligt.

        Frauen verdienen weniger als Maenner, selbst wenn sie die selbe Arbeit verrichten. Ich wuerde das Benachteiligung nennen. Siehe z.B. hier:

        http://www.forbes.com/sites/jwebb/2016/03/31/women-are-still-paid-less-than-men-even-in-the-same-job/#bf14c2f16ee7

        Das Rennen in Arizona war ähnlich knapp wie in Florida, daher war es sicher nicht strategisch falsch, dort Wahlkampf zu machen.

        Sorry, aber das Rennen in Arizona war mitnichten aehnlich knapp als in Florida. Das Stimmen-Gap zwischen Demokraten und Republikanern war effektiv am Wahlabend in Arizona fast dreimal so gross wie in Florida. Auch wenn man die Umfragen z.B. auf FiveThirtyEight verfolgt hat, war klar: Florida pendelte hin und her. Mal hatten die Demokraten die Nase vorn, und mal die Republikaner. Arizona hingegen war solide republikanisch waehrend fast der gesamten Wahlkampf-Periode. Der Bundesstaat neigte nur hin und wieder mal den Demokraten zu, auf den wenigen Hoehepunkten von Clinton, wie unmittelbar nach dem DNC-Parteitag oder kurz nach der Veroeffentlichung des Access-Hollywood-Tapes.

        Wie erklären Sie sich, dass die Democats lediglich 18 der 50 (36%)Gouverneursposten halten, dass sie gerade 245 der 535 (46%) Sitze im Kongress besetzen und ebenso eine historisch niedrige Sitze in den State Parlamenten vorweisen können? Es ist eben nicht nur Hillary.

        Zustimmung! Es ist sicher nicht nur Hillary. Die Demokraten haben es komplett verpasst Nachwuchs aufzubauen. Allerdings gibt es auch andere Gruende. Gerrymandering ist eine der Ursachen fuer das schlechte Abschneiden von Demokraten bei den Wahlen zum Repraesentantenhaus. Ein geringerer Turnout von Demokraten bei Midterm-Elections spielt ebenfalls eine Rolle. Dazu kommt die heterogene geographische Struktur der USA. Das Land zwischen den beiden Kuestenstreifen ist eher duenn besiedelt und agrarisch gepraegt. Dort gibt es zig Bundesstaaten, die alle fuer sich genommen nicht besonders bedeutend sind. Aber diese laendlichen Regionen waehlen traditionell die Republikaner und folglich ist es nicht verwunderlich, dass die Republikaner so viele Governorposten halten. Kalifornien hingegen hat einen demokratischen Governor und dort alleine leben z.B. mehr als 12% aller Amerikaner.

        Aber mein Punkt war auch nicht, dass nur Hillary als Person das grosse Problem der Demokraten war. Es waren die Inhalte (bzw. deren Abwesenheit) fuer die Hillary stand, die keine Mehrheit fanden. Ein rein auf Frauen und Minderheiten ausgerichteter Wahlkampf verfehlt die Zielgruppe der Arbeiter im mittleren Westen. Bei intensiv diskutierten Wahlkampfschlagern wie etwa der Frage, welche Toiletten Transsexuelle benutzen sollen (siehe North Carolina), fragen sich die wirtschaftlich bedraengten demokratischen Stammwaehler in Michigan, in Iowa, in Wisconsin zurecht, ob sie fuer ihre Partei eigentlich noch irgendeine Rolle spielen.

        Und eben das macht den Unterschied zu Sanders aus. Sanders ging mit einer starken wirtschaftlichen Message ins Rennen. Er liess sich nie von Nebensaechlichkeiten von seinem Kurs abbringen. Und die Politik, fuer die er warb, war eine Politik, von der Frauen, Maenner, Weisse, Schwarze, Latinos und Schwule gleichermaessen profitiert haetten. Eine Politik gegen die Top 1%. Zugunsten der 99%. So kann man eine Waehlerkoalition bauen, die einen ins Amt traegt. Clinton ist damit offensichtlich gescheitert. Sie schnitt mit schwarzen Waehlern enttaeuschend ab. Sie schnitt mit Latinos enttaeuschend ab. Sie schnitt mit jungen Waehlern enttaeuschend ab. Sie verlor die Mehrheit weisser Frauen. Maenner verlor sie sowieso. Und das gegen Donald Trump. Das muss man erst mal hinkriegen …

        • In Dubio 24. November 2016, 09:34

          Die Meinungsumfragen, die Sie verlinkt haben, unterstützen Ihre Aussage leider nur sehr bedingt.

          Da haben Sie durchaus Recht. Aber professionelle Demoskopen wie Analysten nehmen die Meinungsäußerungen von Menschen nicht zum Nennwert. Haben Sie mal an einer solchen Befragung teilgenommen? Ich schon: man hat Ruhe und kann im Warmen und mit (fast) aller Zeit der Welt die Fragen in der Maske auf dem Computer beantworten. Anschließend geht man mit einer kleinen Entschädigung und die Beantwortung der Fragen hat keinerlei Konsequenzen.

          Ohne Kontrollfragen kommt man bei Wohlfühlthemen nie aus, um die wirkliche Meinung herauszufiltern. Gallup hat dazu noch die Vergleichswerte von früheren Befragungen gestellt und erst damit wird es interessant. Obwohl es zwischenzeitlich eine tiefgreifende Finanzkrise gab, die insbesondere Amerikaner in ihrer Existenz getroffen hat, jüngere Menschen mit liberaleren Einstellungen nachgerückt sind (Floor Acita) und seit einiger Zeit eine breite Debatte über gesellschaftliche Ungleichheiten ausgebrochen ist, sind die Werte außerordentlich stabil. Mit den gleichen Einstellungen, wie 2004 der „mitfühlende Republikaner“ Bush und später der Demokrat Obama gewählt wurden, gewann nun Donald Trump. Zudem hätte die amerikanische Gesellschaft mit dem Anwachsen des Anteils der Latinos eigentlich sozialstaatorientierter werden sollen.

          Ich erinnere mich an zwei demoskopische Ereignisse der neueren Zeit, wo sich die Mehrheiten in den Umfragen radikal gedreht haben, das waren die Flüchtlingskrise und der Afghanistaneinsatz. Während sich bei erstem Thema der Umschwung binnen Monaten vollzog, waren es bei dem Out-of-Area-Mandat Jahre. Die Konstanz der Gallup-Befragung sagt mir zweierlei: die Amerikaner behalten ihre grundsätzliche Skepsis gegenüber allem Staatlichen. Und: auch wesentliche Ereignisse können sie in ihrer Grundeinstellung nicht erschüttern.

          Und die jüngere Generation ist offener für eine linke Politik als die alternde, langsam wegsterbende Generation.

          … nur wandeln jüngere Menschen mit zunehmenden Lebensjahren ihre Einstellung. Sonst müssten die Grünen in Deutschland längst über die absolute Mehrheit verfügen.

          Frauen verdienen weniger als Männer, selbst wenn sie die selbe Arbeit verrichten. Ich würde das Benachteiligung nennen.

          Ich nicht. Wer so argumentiert, stellt sich die Anstellung eines Menschen wie den Verkauf eines Massenprodukts im Laden vor. Jeder Kunde bekommt beim Kauf den gleichen Preis genannt. Doch selbst das stimmt nicht, manche Kunden erhalten bessere Preise, ohne dass darüber eine Gerechtigkeitsdebatte ausgebrochen wäre.

          Sind Menschen gleich, selbst wenn sie die gleiche Tätigkeit verrichten? Ich habe noch nie diese Erfahrung gemacht. Ich kann Ihnen ganz genau sagen, welche Techniker von uns besser und welche schlechter sind, obwohl sie alle die gleiche Arbeit machen.

          Frauen stellen auch gegenüber Dritten ihre Leistung eher zurückhaltender dar als Männer und sie verhandeln tendenziell weniger. Hinzu kommen weitere Faktoren wie soziales Engagement. Vor so einem Jahrzehnt hatte das DIW eine interessante Auswertung: danach verdienten junge Akademikerinnen in den ersten Berufsjahren sogar leicht mehr als ihre männlichen Kollegen. Erst später bleiben zurück. Auch dies deutet darauf hin, dass nicht Diskriminierungsgründe Ursache für die Gehaltsunterschiede sind. Weiter: in Berufen, wo Frauen ein deutliches Übergewicht haben, fallen Männer eher finanziell zurück.

          Aber diese ländlichen Regionen wählen traditionell die Republikaner und folglich ist es nicht verwunderlich, dass die Republikaner so viele Gouverneursposten halten.

          Alles nicht falsch, erklärt aber nicht das historische Tief an öffentlichen Posten. Das muss mit Personen und der Ansprache der Wähler zusammenhängen.

          Ein rein auf Frauen und Minderheiten ausgerichteter Wahlkampf verfehlt die Zielgruppe der Arbeiter im mittleren Westen.

          Meine Rede, Stefan Sasse sieht das bekanntlich anders.

          Sanders ging mit einer starken wirtschaftlichen Message ins Rennen. (..). Und die Politik, für die er warb, war eine Politik, von der Frauen, Männer, Weiße, Schwarze, Latinos und Schwule gleichermaßen profitiert hätten.

          Zum Schluss lassen Sie sich von Ihrer Begeisterung hinreißen. Trotz dieses angeblichen breiten Programms reüssierte Sanders in den Vorwahlen vor allem bei den Jungen, Gebildeten. Seine Anhänger hatten eine deutliche Schlagseite. Passt nicht in die Story.

          • Stefan Sasse 24. November 2016, 10:24

            Ich denke auch nicht, dass die Democrats mit Sanders gewonnen hätten. Aber dazu haben wir ja dann bald einen Podcast. 🙂

          • Ralf 25. November 2016, 02:47

            @ In Dubio

            Ohne Kontrollfragen kommt man bei Wohlfühlthemen nie aus, um die wirkliche Meinung herauszufiltern […]

            Die Konstanz der Gallup-Befragung sagt mir zweierlei: die Amerikaner behalten ihre grundsätzliche Skepsis gegenüber allem Staatlichen.

            Also was die Kontrollfragen angeht, fand ich die Frage bei Gallup schon richtig gestellt. Wenn man nur fragt, ob sich die Leute Steuererhoehungen wuenschen, um die Social Security zu unterstuetzen, sagt sicher eine deutliche Mehrheit nein. Wer will schon Steuererhoehungen? Und wenn man nur fragt, ob sich die Leute Rentensenkungen wuenschen, sagt sicherlich ebenfalls eine breite Mehrheit nein. Wer will schon Rentensenkungen?

            Die gestellte Frage hingegen laesst keinen Raum fuer ein Wolkenkuckucksheim. Die Befragten muessen sich entscheiden zwischen entweder Rentensenkungen oder Steuererhoehungen. So ist nunmal die Realitaet. Und konfrontiert mit diesen Alternativen spricht sich eine stabile Mehrheit seit einem Zeitraum von ueber anderthalb Dekaden fuer Steuererhoehungen aus.

            Und da erschliesst sich mir Ihre Interpretation der Konstanz der Gallup-Umfrage nicht. Wenn sich ueber 15 Jahre lang eine konstante und deutliche Mehrheit fuer „mehr Staat“ ausspricht, dann ist es unsinnig daraus zu schliessen, dass sich die Buerger tatsaechlich weniger Staat wuenschen. Nur weil der Wert nicht angestiegen ist. Wenn seit 15 Jahren stabil 90% der Buerger angeben Apfelkuchen zu moegen, koennen Sie daraus doch auch nicht schliessen, dass die Befragten Apfelkuchen ablehnen, weil die Zustimmung seit Jahren bei 90% verharrt und nicht weiter angestiegen ist.

            Im uebrigen ist es problematisch Trends aus lediglich drei Datenwerten abzulesen.

            … nur wandeln jüngere Menschen mit zunehmenden Lebensjahren ihre Einstellung. Sonst müssten die Grünen in Deutschland längst über die absolute Mehrheit verfügen.

            Da haben Sie sicher teilweise Recht. Aber ich gebe dennoch zu bedenken, dass die Gruenen obwohl sie sicher keine absolute Mehrheit haben, heute dennoch ein grosses Bundesland regieren, bei Wahlen regelmaessig stabil in den Bundestag einziehen und viele ihrer wichtigsten Forderungen, wie z.B. der Atomausstieg oder die Foerderung erneuerbarer Energien, heute politischer Mainstream bis hinein in die CDU geworden sind. Ist also nicht ganz richtig zu behaupten, die Jugend wuerde alle ihre Ideale ueber Bord werfen und vollstaendig die politischen Seiten wechseln, wenn sie aelter wird …

            Aehnliches gilt fuer die USA. Da haben sich die Mehrheiten bei vielen Fragen ebenfalls dramatisch verschoben, und zwar insbesondere in den vergangenen Jahren. Nehmen Sie etwa die Einstellung zur Schwulenehe oder zu Marihuana oder zum Klimawandel. Diese Veraenderungen der Einstellung findet man im uebrigen sowohl im demokratischen als auch im republikanischen Lager, wenngleich auch nicht in allen Faellen gleich stark.

            Frauen stellen auch gegenüber Dritten ihre Leistung eher zurückhaltender dar als Männer und sie verhandeln tendenziell weniger.

            Das mag so sein. Ihnen trotz gleicher Leistung weniger Gehalt zu zahlen, ist dennoch nicht gerecht. Ein aehnliches Problem hat doch auch jeder Lehrer in der Schule. Manche Schueler sind halt schuechtern und zurueckhaltend, geben sich mit der verkuendeten Bewertung sofort zufrieden. Andere versuchen aggressiv ihre Noten nach oben zu verhandeln. Ist es gerecht, wenn Letztere ein besseres Zeugnis bekommen, obwohl sie keine besseren Leistungen erbracht haben? Die selbe Fairness, die ich von dem Lehrer erwarte, erwarte ich auch von dem Chef in der Firma. Falls noetig muss man Fairness eben per Gesetz erzwingen oder Unternehmen, die eine deutliche Schlagseite bei der Geschlechtergerechtigkeit haben, mit signifikanten zusaetzlichen Steuern belasten, um einen Anreiz zur Abhilfe zu schaffen.

            Alles nicht falsch, erklärt aber nicht das historische Tief an öffentlichen Posten. Das muss mit Personen und der Ansprache der Wähler zusammenhängen.

            Nicht unbedingt. Z.B. haengt das damit zusammen, dass Gouverneurswahlen nur in neun (von fuenfzig) Bundesstaaten mit den Praesidentschaftswahlen zusammenfallen. 34 Bundestaaten hingegen waehlen ihren Gouverneur zur Zeit der Midterm-Elections. Midterm-Elections sind aber traditionell durch einen geringen demokratischen Turnout gekennzeichnet, waehrend (die aelteren) republikanischen Waehler verlaesslicher sind. Natuerlich schlaegt sich das im Endeffekt auch in der Zahl der Gouverneursposten nieder.

            Dazu kommt, dass die extreme Polarisierung des Landes eine gewaltige Veraenderung im Wahlverhalten bewirkt hat, und zwar gerade in den letzten Jahren. Die Waehler waehlen praktisch nur noch „straight tickets“ – also nur noch eine Partei, egal fuer welche Position. Vorbei sind die Zeiten, als man einen Republikaner zum Praesidenten, aber einen Demokraten zum Gouverneur waehlte. Dieser Effekt ist bei beiden Parteien deutlich sichtbar. Und was das bedeutet, wenn der Republikaner Trump mehr Waehler als erwartet mobilisiert und die Demokratin Clinton gleichzeitig als gewaltige Turnout-Bremse fungiert, kann man sich an zwei Fingern abzaehlen.

            Trotz dieses angeblichen breiten Programms reüssierte Sanders in den Vorwahlen vor allem bei den Jungen, Gebildeten. Seine Anhänger hatten eine deutliche Schlagseite. Passt nicht in die Story

            Hat mit meiner Story eigentlich nichts zu tun. Die Story hinter Ihrem Argument ist dass Waehler oft gegen ihre eigenen Interessen waehlen. Eigentlich nichts Neues (nehmen Sie z.B. den Brexit). Und es sagt eher wenig darueber aus, wer von Sanders‘ Wahlprogramm tatsaechlich profitiert haette.

            Ueber den Zeitraum der Primaries hinweg nahmen Sanders‘ Umfragewerte uebrigens stetig zu, als die Menschen ihn langsam kennenlernten und als waehlbaren Kandidaten wahrnahmen. Allerdings war das Rennen da schon lange vorbei, weil Clinton fast alle Superdelegates besass und durch ihren Bekanntheitsvorsprung und ihre Bevorzugung im tiefen Sueden, wo sie spaeter jeden einzelnen Bundesstaat verlieren wuerde, bereits uneinholbare Mehrheiten aufgebaut hatte.

            • In Dubio 25. November 2016, 10:29

              Also was die Kontrollfragen angeht, fand ich die Frage bei Gallup schon richtig gestellt.

              Was Sie meinen, ist keine Kontrollfrage, sondern nur die Prüfung, ob die Befragten zwischen A (Steuererhöhungen) und B (Leistungskürzungen) unterscheiden können. Auf die Frage „Sind Sie ein Rassist?“ bekommt man ziemlich gleich gelagerte Antworten. Die Kontrollfragen sind dann unabhängig von der eigentlichen indirekt formuliert: „Sind Sie für mehr Zuwanderung?“, „Finden Sie, Kulturen sollten unter sich bleiben?“ etc. Im Zusammenhang mit Steuerfragen gibt es das auch: „Sollten für eine bessere Infrastruktur die Steuern erhöht werden?“ Häufigste Antwort: Ja. „Sind Sie bereit mehr Steuern zu bezahlen?“ Häufigste Antwort: Nein. „Finden Sie die Steuerhöhe in Deutschland angemessen?“ Häufigste Antwort: Angemessen.

              Wenn sich über 15 Jahre lang eine konstante und deutliche Mehrheit für „mehr Staat“ ausspricht, dann ist es unsinnig daraus zu schließen, dass sich die Bürger tatsächlich weniger Staat wünschen.

              .. und Sie moderieren ganz elegant die Frage nach Big Gouvernement weg. Ich sage nicht Amerikaner wollen weniger Staat, sie wollen aber offensichtlich auch nicht mehr. Menschen handeln nicht dauerhaft gegen ihre Interessen. Meine Frage an Sie war: woraus lesen Sie, dass die Wähler heute mehr Staat und damit das Sanders-Modell wünschen?

              Ist also nicht ganz richtig zu behaupten, die Jugend würde alle ihre Ideale über Bord werfen und vollständig die politischen Seiten wechseln, wenn sie älter wird …

              Ende der 1980er Jahre tendierten irgendwo so ein Drittel der Jungwähler bis 25 Jahre zu den Grünen. Bei der Bundestagswahl 2013 wählten jedoch von den 45-59jährigen lediglich 10% die Grünen, die mit Abstand meisten Stimmen (39%) gingen zur Union, die in meiner Alterskohorte noch in jungen Jahren völlig unbeliebt war. Und auch der Rest des linken Lagers hat in dieser Altersgruppe deutlich verloren.

              Als 2009 gewählt wurde, war die Stimmung zur Atomkraft einigermaßen ausgewogen, die einen so, die anderen so. Erst die Reaktorkatastrophe von Fukushima änderte das Bild. Das ist aber ein singuläres Ereignis und kein zwingender Beleg, dass sich die Menschen über Jahrzehnte ihre Ideale bewahren.

              Nehmen Sie etwa die Einstellung zur Schwulenehe oder zu Marihuana oder zum Klimawandel.

              Das Thema Schwulenehe hat sich auf rechtlichem, nicht politischem Wege erledigt, ähnlich wie bei uns der Atomausstieg. Und Klimawandel: Bitte korrigieren Sie mich, aber die USA haben gerade einen erklärten Leugner des Klimawandels gewählt. 😉 Und weiterhin können die Autoverkäufer keinen Rückgang der Nachfrage nach SUVs feststellen.

              Ihnen trotz gleicher Leistung weniger Gehalt zu zahlen, ist dennoch nicht gerecht.

              Definieren Sie gerecht. Vor Gericht jedenfalls wird ein Urteil als „gerecht“ empfunden, wenn es unter Würdigung der Gesamtumstände, der persönlichen Schuld, des Verhaltens usw. ein Urteil gefunden wird, mit dem alle Parteien leben können. „Gerecht“ bedeutet danach nicht, dass alle das Gleiche bekommen müssen. Frauen sind ja, so meine Kenntnis von Befragungen, nicht unzufriedener mit ihrem Gehalt als Männer. Wieso meint also die Politik, sich ein Urteil über individuelle Gehälter anmaßen zu können? Echte Frage.

              Nehmen wir mal ein reales Beispiel aus meinem Team. Ich habe zwei Mitarbeiter, ein Mann (52) und eine Frau (48), die beide im Grunde das Gleiche tun, nur mit unterschiedlichen Verantwortlichkeiten. Unser Unternehmen ist tarifgebunden mit starkem Betriebsrat und eine Publikumsgesellschaft.

              Beide arbeiten wegen der früheren Insolvenz des Konzerns erst seit wenigen Jahren in einer Abteilung, Ergebnis der deutlichen Schrumpfung. Die Frau hatte zuvor andere, fachfremde Tätigkeiten. Beide erhalten Tariflohn, damit das Gleiche. Er bekommt dazu jedoch noch eine außertarifliche Zulage aus früheren Zeiten, so dass sein Lohnplus bei rund 600 EUR lag. Mit der neuen Lohnrunde wurden die außertariflichen Zulagen (teilweise) auf die Lohnerhöhung angerechnet, so dass er nun nur noch 450 EUR voraus ist. Der Betriebsrat empfand die Anrechnung als völlig ungerecht und hat dazu einen Aushang gemacht.

              Wie soll in diesem Fall die Lohngleichheit herbeigeführt werden?

              Natürlich schlägt sich das im Endeffekt auch in der Zahl der Gouverneursposten nieder.

              Das erklärt nicht das Fakt, der historisch niedrigen Postenanzahl demokratischer Würdenträger. Auch in früheren Zeiten eroberten die Republikaner viele Wahlmännerstimmen zur Präsidentenwahl.

              Und was das bedeutet, wenn der Republikaner Trump mehr Wähler als erwartet mobilisiert und die Demokratin Clinton gleichzeitig als gewaltige Turnout-Bremse fungiert, kann man sich an zwei Fingern abzählen.

              Nur zur Erinnerung: Clinton gewann landesweit über 2 Millionen Stimmen mehr, das war besser als 2000 der Bewerber Gore, der nur mit 700.000 Stimmen Vorsprung „siegte“. Trump war eher eine Bremse moderater Republikaner wie für Unabhängige. Und gerade in den republikanisch dominierten Bundesstaaten waren die Ergebnisse knapper als in den vorherigen Wahlen.

              Die Story hinter Ihrem Argument ist dass Wähler oft gegen ihre eigenen Interessen wählen.

              Nein, genau das ist nicht meine Story (siehe oben). Das Online Portal shoop.de hat die Frage gestellt, wieviel Geld die Menschen für Dinge ausgeben würden, die man eigentlich für Geld nicht kaufen kann. Gesundheit für sich und die Familie wurde dabei mit rund 0,5 Millionen Euro der höchste Wert beigemessen, gefolgt von einem treuen Partner (255.000 EUR) oder eine glückliche Ehe führen (248.000 EUR). Interessant für mich dabei ist: wenn Menschen in einer zwanglosen Befragung diesen Gütern so viel Wert beimessen – warum geben sie so wenig Geld freiwillig für Gesundheitsvorsorge aus, warum treiben sie wenig Sport und ernähren sich ungesund? Warum ist ein so hoher Prozentsatz untreu und warum lassen sich so viele Menschen scheiden, unfähig, die kleinsten Dissonanzen auszuhalten? In einem Vortrag des bekannten Unternehmensberaters Reinhard K. Sprenger meinte dieser, er lege den Führungskräften immer zwei Fragen vor: bei der ersten sollen sie sagen, was ihnen im Leben wichtig sei. Ganz oben stehen stets Familie & Freunde, Freizeit, Hobbys etc. Bei der zweiten Frage sollen sie angeben, womit sie hauptsächlich ihre Zeit verbringen: Arbeit, Arbeit, Kollegen, Geldanlage. Die zweite Rangliste ist die ehrliche.

              So ist es auch mit dem Verhältnis Umfragen und Wahlergebnissen.

              Über den Zeitraum der Primaries hinweg nahmen Sanders‘ Umfragewerte übrigens stetig zu, als die Menschen ihn langsam kennenlernten und als wählbaren Kandidaten wahrnahmen.

              Nein, er gewann nur mehr Supporters bei seiner angestammten Klientel, sein Spektrum konnte er nicht nennenswert erweitern. Das blieb ja die ganze Zeit über sein Kardinalproblem. Ein Kandidat, der Mehrheiten erringen will, muss die Mehrheit der Wähler ansprechen und damit sehr heterogene Schichten. Die Wähler von Sanders waren weitgehend homogen. Das ist ein Prinzip von Populisten: halte die Botschaft einfach, richte Dich an einen klar abgrenzten Kreis von Anhängern, so begeisterst Du.

            • Stefan Sasse 25. November 2016, 12:16

              Wie in Deutschland auch – jeder will Steuersenkungen, jeder will mehr Sozialausgaben für sich selbst. In der Praxis läuft es dann über Schulden. Ganz besonders bei den Republicans.

              Dieses „alte Leute werden konservativ“ ist zwar die letzten Jahrzehnte halbwegs tauglich gewesen, aber es gibt keine Garantie dass das so bleibt. Es gibt diverse Zukunftsszenarien in denen die Bevölkerung deutlich progressiver im Schnitt ist als jetzt. Davon abgesehen ändert sich zwar möglicherweise die Disposition über die Methode (ergo, Leute werden weniger revolutionär und daher „konservativer“) aber häufig nicht die Positionen selbst. So wird ja Zeug wie Homoehe, Umweltschutz etc. zum Mainstream – und die CDU Kohls zu der Merkels.

              Die Democrats sind jetzt total in der Opposition, das wird sich fast zwangsläufig in siegreichen Gouverneurs- und Staatenhauswahlen niederschlagen.

              Sanders hat beeindruckend viele Stimmen erhalten, aber er hat verloren und auch am Ende, als sein Bekanntheitsgrad nicht mehr zu steigern war, immer noch nicht gegenüber Clinton gewonnen. Da war bereits in den demokratischen Vorwahlen eine ziemlich klare Decke eingezogen.

  • Kirkd 23. November 2016, 10:12

    Die Selbstkritik der Medien kommt aus zwei Gründen:
    1. dem authentischen Gefühl, etwas verpasst/unterschätzt zu haben. Die Republikaner und republikanische Medien waren sich im Unterschied dazu immer im Klaren, gegen Obama verlieren zu können.
    2. der Einsicht, dass man bei der Gruppe der sozial Schwachen, für die man eigentlich einen besonderen Sinn haben will, etwas verpasst zu haben.

    • Stefan Sasse 25. November 2016, 12:29

      1) Hast du mal 2012 die Wahlnacht in Fox gesehen und wie völlig erschüttert die waren dass Romney verloren hat? Einen Scheiß haben die.

      2) Genau das meine ich. Die Democrats haben für verdammt viele Gruppen der sozial Schwachen einen besonderen Sinn besessen. Offensichtlich nur für eine nicht – die weiße männliche Arbeiterschicht. Das als „die sozial Schwachen“ zu qualifizieren und die Schwarzen, Latinos, Single-Frauen etc. einfach wegzustreichen ist genau die Blase von der ich spreche. Dazu kommt ja noch, dass die policy-Angebote der Democrats dieser Schicht WESENTLICH mehr zugute kommen als die Republicans, die ihnen ja auch noch aktiv schaden!

  • bevanite 28. November 2016, 20:08

    Machen wir uns nichts vor: Bis zu einem gewissen Grad sind Filterblasen unvermeidbar. Menschen hängen nunmal tendenziell eher mit Menschen ab, deren Wertesystem und Lebensstil sie im Großen und Ganzen teilen. Jeder möge sich hier mal ehrlich vor Augen halten, wie denn die Sonntagsfrage ausgehen würde, wenn man sie nur dem eigenen Freundes- und Bekanntenkreis stellte (bei mir wäre da etwa die CDU in den letzten 15 Jahren eine Partei, die mit etwas Glück die Fünf-Prozent-Hürde knackt). Ich habe im realen Leben bislang noch keinen Italiener getroffen, die Berlusconi mochte (der gewissermaßen die europäische Version von Trump war und noch offener mit Rechtsextremisten paktierte) und keinen Polen, der PiS wählt. Und doch muss es beide offensichtlich in großer Zahl geben.

    Das Internet verstärkt diese Tendenz, denn so gönnt man sich den Luxus, nur noch Medien zu konsumieren, die das schreiben, was man hören möchte. Und da sind die sogenannten „alternativen“ Medien um keinen Deut besser. Man muss sich doch nur mal die Kommentarbereiche auf der Achse des Guten oder bei Tichys Einblick zu Gemüte führen. Dort kommen viele der Postenden rüber wie gläubige Jünger, die sich im Besitz der einzigen Wahrheit befinden. Auch dort wird die Existenz der „anderen Seite“ nicht wirklich zur Kenntnis genommen und falls ja, hat man keinen Respekt und hält man sie für Leute, die von Regierung und Medien gehirngewaschen sind und nur noch „aufwachen“ müssten.

    Unter einem anderen Artikel wurde hier im Kommentarbereich ein Artikel verlinkt, in dem eine Demokraten-Wählerin aus der Provinz in Ohio erwähnt wurde, die bei einer Heimkehr auf einem Klassentreffen feststellte, dass sich die politischen Präferenzen biographisch nach der Frage spalteten, ob Leute in der Heimat geblieben sind oder die Gegend verlassen hatten. Es geht also gar nicht mal so sehr um Provinz vs. Metropole an sich. Ähnliches habe ich auch hier bei einer Demo gegen Legida bemerkt, auf der ich quasi nur mit Leuten unterwegs war, die wie ich aus der sächsischen, thüringischen oder sachen-anhaltinischen Pampa kamen – also potentiellen AfD-Wahlkreisen -, aber in die Großstadt zogen.

    Ein Faktor, der das in den USA noch stärker als hier begünstigt, ist das gerrymandering, das solche Filterblasen begünstigt. Ich glaube, auf diesem Blog wurde in einem Artikel mal erwähnt, dass dies mehr und mehr zu einer Polarisierung führt und die eigentlichen Wahlen nicht im Duell Democrat vs. Republican, sondern in der Vorwahl zwischen moderate vs. radical stattfinden. Davon sind wir hier noch etwas entfernt.

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