Die Grenzen politischer Vorhersagbarkeit

In „The Atlantic“ spekuliert Peter Beinart über den heißesten Kandidaten für die Nominierung der Republicans für 2016. Seiner Meinung nach lautet der Name des heimlichen Frontrunners Rand Paul, Sohn des Exoten Ron Paul, der in den Primaries 2012 einige Achtungserfolge erzielte. Rand Paul hat sich selbst nicht ganz so exzentrisch und extrem aufgestellt wie sein Vater und hat daher mehr Massenappeal. Beinart bringt noch eine ganze Reihe weiterer wohlformulierter Gründe vor, aber ich halte das für einen Haufen Bullshit, wie die Amerikaner sagen würden. Der Grund dafür liegt weniger in der Person Pauls als vielmehr in der generellen Problematik des Vorhersagens solcher Entwicklungen.

Die Präsidentschaftswahlen 2016 liegen noch zweieinhalb Jahre in der Zukunft. Niemand weiß zum aktuellen Zeitpunkt wer in den Primaries überhaupt antreten wird, geschweige denn, wer dann zu den Frontrunnern zählen wird. Diese Entwicklungen sind viel zu sehr im Fluss. Und bislang lagen diese Voraussagen auch fast immer falsch. Wer hätte Anfang 2006 irgendeinen Cent auf Obama gewettet? Wer 2010, dass eine Witzfigur wie Rick Santorum Iowa gewinnen würde? Niemand. Die Spekulationen um 2016 begannen ja praktisch im Anschluss an die Wahl 2012. Erinnert sich noch jemand an das ausführliche Porträt von Elisabeth Warren, das sie als gefährlichste Gegnerin Hillary Clintons in den Primaries zeichnete und die Wirkungen einer Präsidentschaft ausbreitete? Wenige Tage später erklärte Warren definitiv, nicht antreten zu wollen.

Das gleiche gilt für Rand Paul. Vielleicht hat er ein Netzwerk von Supportern in Iowa. Vielleicht hat er Zugang zu Fundraisern. Vielleicht sind seine Umfragewerte nicht schlecht. All das ist schön und gut. Aber was Kommentatoren bei diesen politischen Sandkastenspielen gerne vergessen ist, dass der echte Lackmustest noch folgt. Denn jeder Kandidat hat auch ernsthafte Schwächen, und unbekannte Kandidaten haben eine Tendenz, von diesen furchtbar überrascht und angegriffen zu werden. Etablierte Kandidaten dagegen sind besser bekannt und haben Gegenstrategien. So fiel Herman Cains völlige Inkompetenz oder Santorums eher randständiger Sozialkonservatismus erst im Primary-Prozess selbst auf und wurde dadurch ein riesiges Thema. Dass Gingrich dagegen seine Ehefrauen betrügt war lange bekannt und spielte keine große Rolle, genausowenig wie Romneys Geld.

So unterhaltsam daher die Spekulationen über 2016 sind, so substanzlos sind sie auch. So wird etwa Chris Christie wegen des Brückenskandals bereits abgeschrieben. Tatsächlich sind die Umfragewerte schlecht. Aber er hat noch deutlich über ein Jahr, um sich neu zu erfinden und seine eigene Version dagegen zu setzen, die ihn bei den Konservativen immunisiert. Die Wahrheit ist: man weiß noch gar nichts. Nur eines ist sicher: Obama wird nicht noch einmal antreten. Alles, was darüber hinaus geht, wird durch die politischen Entwicklungen der nächsten Jahre bestimmt. Das betrifft die Wandlung der Republicans ebenso wie der Democrats. Das gesamte Land rückt derzeit eher wieder nach links, aber das ist weder ein sicherer Prozess noch muss es sein, dass die Parteien deswegen moderate Kandidaten nominieren. Es ist auch nicht gesagt, dass ein Moderater gewinnen würde. Es ist schlicht alles noch im Dunkeln.

{ 4 comments… add one }
  • Am_Rande 23. Januar 2014, 15:03

    Zuerst einmal vielen Dank für diesen interessanten Artikel.

    Jeder Bericht in den deutschen Medien, der darauf hinweist, dass die Plattentektonik der amerikanischen Parteien so gewaltig in Bewegung geraten ist, dass es möglich ist, in einer renommierten Zeitschrift wie dem Atlantic zu schreiben, dass ein Klassisch Liberaler (engl.: libertarian) wie Herr Rand Paul Chancen hat, zum Präsidentschaftskandidat der GOP gekürt zu werden; ein jeder solcher Bericht kann von einem deutschen Klassischen Liberalen wie mir nur begrüßt werden.

    Ich bin ja der Ansicht, dass die angelsächsische Welt der deutschen um ca. 20 Jahre in politisch-kultureller Hinsicht voraus ist.

    Wenn sich also in Amerika abzeichnet, dass die Trennlinie zwischen den politischen Ideologien nicht mehr zwischen rechten Republikanern und linken Demokraten verlaufen wird, sondern zwischen klassisch liberalen Anhängern einer geringeren, aber effektiveren Staatstätigkeit, des Minarchismus auf der einen Seite und den Anhängern des etatistischen Korporatismus, wie er zurzeit von den Republicrats [sic] vertreten wird, auf der anderen Seite;
    so lässt dies darauf hoffen, dass die Unterscheidung zwischen Klassischem Liberalismus einerseits und Etatismus andererseits auch hier im Alten Europa irgendwann die politische Debatte bestimmen wird.

    Aber eins noch, wenn Sie schreiben: „ich halte das für einen Haufen Bullshit, wie die Amerikaner sagen würden“, so ist das nicht ganz fair; Herr Beinart schreibt ja selbst: „There’s no way of knowing at this point, of course. But political commentators are making a big mistake if they disregard the chance.”

    Herr Beinart weiß sicher ganz gut, dass „Prognosen schwierig sind, besonders wenn sie die Zukunft betreffen“.

    • Stefan Sasse 23. Januar 2014, 17:59

      Genau weil Paul ein Libertärer ist glaube ich, dass er keine Chance hat. Aktuell ist er nicht sonderlich bekannt, nicht außerhalb der Wonk-Zirkel. Und die haben ein Herz für Libertäre. Im Primary-Prozess aber werden seine ganzen Fringe-Politics ans Licht ge- und von seinen Gegnern verzerrt werden, was wegen ihres Fringe-Status umso leichter fällt. Und dann wird der Stern Pauls schnell verglühen.
      Oder nicht, natürlich. Mein Gedanke ist nur, dass die Faktoren, die Beinart nennt, allesamt keinerlei Hilfe im eigentlichen Primary-Prozess sind. Sie sind notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen einer erfolgreichen Kandidatur. In meinen Augen sagt Beinart nichts anders, als dass Paul es überhaupt versuchen kann – aber das wussten wir auch vorher.

  • Am_Rande 27. Januar 2014, 14:39

    Frisch von der Titelseite der Sonntagsausgabe der New York Times:

    “Senator Paul is a credible national candidate,” said Mitt Romney, who ran for president as the consummate insider in 2012. “He has tapped into the growing sentiment that government has become too large and too intrusive.” In an email, Mr. Romney added that the votes and dollars Mr. Paul would attract from his father’s supporters could help make him “a serious contender for the Republican nomination.”

    (Quelle: http://www.nytimes.com/2014/01/26/us/politics/rand-pauls-mixed-inheritance.html?hp&_r=1)

    Insgesamt gibt der Artikel (meiner Meinung nach) einen guten Überblick über Herrn Pauls Person und Ansichten; wobei die linke NYT natürlich versucht ist, alle Fringe-Ansichten, die im Umkreis des Libertarismus in den USA herumgeistern, auch irgendwie mit Herrn Paul in Verbindung zu bringen.

    „Some of [libertarianism’s] adherents have formulated provocative theories on race, class and American history, and routinely voice beliefs that go far beyond the antiwar, anti-big-government, pro-civil-liberties message of the broader movement that has attracted legions of college students, Silicon Valley entrepreneurs and Tea Party activists.“

    Es ist für einen deutschen Leser dieser Zeilen, der sich mit der Ideologie des Klassischen Liberalismus / des Libertarismus nicht befasst hat, wahrscheinlich sehr schwer, zwischem dem „fringe“ und der „broader movement“ dieser Ideologie zu unterscheiden.

    Aber immerhin:
    Nach dem Atlantic nun die NYT.
    Immerhin…

    • Stefan Sasse 27. Januar 2014, 15:40

      Trends haben es an sich, dass sie von allen aufgegriffen werden. Möglich, dass Paul Frontrunner wird. Möglich, dass nicht. Quintessenz: it’s too early to tell.

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