Sie sprechen in Zungen! – Warum wir uns in der Politik nicht verstehen

41bqlmXAMmL_largeIm zweiten Teil unseres Online-Seminars zu Arnold Klings „Three languages of politics“ soll es um die Frage gehen, warum sich politische Debatten so oft im Kreis drehen. Beispielhaft ist das ja stets in den Talkshows zu begutachten: zwei bis fünf „Diskutanten“ sitzen sich gegenüber und werfen sich Zufallsgriffe aus dem Phrasenschwein an den Kopf. Der Erkenntnisgewinn geht gegen null. Arnold Kling würde nun Argumente um die bessere Verkaufbarkeit polarisierenden Unsinns beiseite wischen (obgleich das natürlich eine wichtige Rolle spielt) und stattdessen auf die unterschiedlichen politischen Sprachen verweisen, die eine Verständigung praktisch unmöglich machen.

Tatsächlich ist ein grundlegendes Missverständnis der Positionen des Gegenübers wesentlich öfter ein Hinderungsgrund für einen Kompromiss als man annehmen möchte. In der Idealvorstellung ringen die Volksvertreter schließlich mit Argumenten um die beste Position und einigen sich nach heftigen intellektuellen Gefechten auf einen Kompromiss, mit dem alle leben können. Diese Idealwelt können wir in „The West Wing“ bestaunen. Zynischere Naturen bevorzugen vermutlich „House of Cards“ und verweisen darauf, dass es rein um Machterhalt geht.

Was aber, wenn beide Varianten von der Wirklichkeit weit entfernt sind? Kling verweist in seinem Buch auf drei dominierende Heuristiken im amerikanischen öffentlichen Diskurs, die mit ein paar Modifikationen auch für Deutschland anwendbar sind. Für ihn findet politisches Denken entlang dreier Achsen statt: der progressiven Achse von Unterdrücker vs. Unterdrückte, der konservativen Achse von Barbarei vs. Zivilisation und der libertären Achse von Freiheit vs. Zwang. Je nachdem, welcher Richtung man zuneigt, denkt man entlang seiner Achse.

Das hat für die politische Kommunikation entscheidende Folgen. Nehmen wir als Beispiel die Euro-Rettung. Für Progressive ist klar, dass die ausgebeuteten Massen von der unterdrückenden Eurorettungspolitik der Unterdrücker (der Banken und der ihnen dienstbar gemachten Politik) gerettet werden müssen. Konservative dagegen argumentieren moralisch: es kann nicht sein, dass die strebsamen Deutschen die sündhaften Südländer raushauen. Und für Libertäre ist die Euro-Rettung ohnehin ein abgekartetes Spiel, denn zur Freiheit gehört natürlich auch der Bankrott und nicht die Rettung von Banken mit dem Geld derjenigen, die ihre Freiheit besser genutzt haben.

Sitzen nun ein Progressiver, ein Konservativer und ein Libertärer zusammen, werden sie aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Kompromiss finden. Das liegt aber weniger an der Unvereinbarkeit ihrer Positionen als vielmehr an ihrer Unfähigkeit, dieselbe Sprache zu sprechen. Um im Beispiel zu bleiben: der Progressive und der Libertäre sind sich darin einig, dass sie kein Geld in marode Banken stecken wollen. Sie sind aber äußerst uneins, WARUM sie das nicht wollen, und WOZU.

Natürlich könnten sie jetzt vernünftig beieinander sitzen und sich gegenseitig ihre Heuristiken erläutern, so dass man diesen Graben überspringt. Das aber ist leichter gesagt als getan, und das liegt am „Ich kenne dich besser als du dich selbst“-Effekt, den Kling beschreibt. Und dieser Effekt ist in der Tat ein faszinierender Aspekt menschlicher Psyche. Der politische Akteur ist nämlich nicht nur davon überzeugt, dass seine jeweilige Heuristik und die daraus folgenden politischen Handlungsanweisungen richtig und überlegen sind, sondern auch davon, dass er die Heuristik des Gegners besser versteht als dieser selbst!

Um beim Beispiel zu bleiben würde der Progressive dem Konservativen vorwerfen, dass seine Schuld-und-Sühne-Sicht auf die Dinge nur einem perversen, falschen Denksystem entspringt und in Wahrheit nur Folge von rassistischen Motivationen ist. Würde der Konservative das nur erkennen, wäre er in der Lage seinen Irrtum zu überwinden und zum Licht des Progressiven zu kommen. Jeder ist davon überzeugt, dass wenn die anderen sich nur aus dem Gefängnis ihrer fehlgeleiteten Ansichten befreien könnten, sie durch die Tugend der Vernunft bei der gleichen Schlussfolgerung landen müssten wie man selbst!

Dieser Effekt ist für mich die bedeutendste Erkenntnis aus Klings Buch. Man kann ihn praktisch überall am Werk betrachten. Umweltaktivisten werden niemals die Freiheit vs. Zwang Heuristik der Libertären akzeptieren und ihnen stattdessen Korrumpierung durch die Interessen der Wirtschaft unterstellen – und ihnen damit vorwerfen, die Frage von Freiheit vs. Zwang nur vorzuschieben. Umgekehrt werfen Libertäre Progressiven beständig vor, den Staat um seiner selbst willen ausbreiten und überall ein Zwangsregime einführen zu wollen und die Unterdrückungs-Rhetorik nur zur Bemäntelung dieses Sachverhalts zu verwenden.

Auch hier scheint sich eine einfache Lösung aufzudrängen: ich muss ja nur die Heuristik des anderen „sprechen“, um ihn von meinen Argumenten zu überzeugen. Dummerweise ist das Verlassen der eigenen Heuristik extrem schwierig. Um eine echte politische Diskussion zu erhalten, in der am Ende ein Kompromiss steht, muss ich in der Lage sein, die gegnerische Heuristik zu verstehen und zu respektieren. Da ich mit ihr aber nicht übereinstimme (sonst würde ich sie ja verwenden) ist das leichter gesagt als getan.

Um wenigstens einen positiven Ausblick zu bieten: bereits das Bewusstsein-Machen dieser Probleme hilft bereits deutlich. Wenn ich davon ausgehe, dass mein Gegner nicht aus blinder Dummheit oder weil er bestochen wurde eine Position vertritt, sondern weil er tatsächlich daran glaubt, ist ein großer Schritt bereits getan. Und diesen Schritt zu tun ist eines der Hauptziele, das sich dieses Blog gesetzt hat.

{ 4 comments… add one }
  • Stoertebeker 14. Mai 2013, 20:11

    Vielen Dank für dieses Schlaglicht auf dieses anscheinend sehr kluge Buch.

    Bei manchem war mir, als hätte ich den Gedanken schon selbst gedacht. Doch der richtige Umgang mit dieser Erkenntnis ist schwierig. Bin gespannt, was dazu noch kommt.

    Manchmal zweifle ich jedoch auch, wie ernsthaft man solche Erkenntnisse befolgen sollte. Im Grunde steckt in Kling (soviel ich von Dir bisher erfahren habe) ja viel von dem, was man in (etwas klügeren) Beziehungsratgebern liest: Den anderen ernst nehmen, ihm zuhören, statt ihn besser kennen zu wollen, als er selbst sich … . Aber nach manchem Versuch, alles verständnisvoll und überlegt anzugehen, landet man am Ende doch beim Streit. Und denkt sich: „Hach, ist doch auch mal was Schönes. Einfach mit grobem Gerät drauf. Und nachher vielleicht wieder vertragen …“.

    Immerhin kann man die politischen Konflikte dank Kling immerhin auf einer etwas abstrakteren Ebene ausfechten: Konservative und Progressive sprechen die falsche Sprache und denken anhand der falschen Achsen. Wurde ihnen vermutlich von der staatshörigen Presse eingetrichtert.

    • Jan Falk 15. Mai 2013, 07:24

      @Stoertebeker

      Dass Klings Buch zwar schon ein gutes Modell für politisches Denken liefert, dass man aber hinter doch fragt, was man nun anders machen soll außer sich Mühe zu gegen, andere Positionen besser nachzuvollziehen, den Gedanken hatte ich auch.

      „Immerhin kann man die politischen Konflikte dank Kling immerhin auf einer etwas abstrakteren Ebene ausfechten: Konservative und Progressive sprechen die falsche Sprache und denken anhand der falschen Achsen. Wurde ihnen vermutlich von der staatshörigen Presse eingetrichtert.“

      ಠ_ಠ

    • Theophil 15. Mai 2013, 09:06

      Der Vergleich mit Beziehungsratgebern ist schon ganz gut. Erziehungsratgeber sind mir auch eingefallen.

      Kling sagt schon, wie man damit umgehen sollte. An erster Stelle steht natürlich, dass man sich bewusst sein sollte, welche positiven Werte für den Gegenüber dominant sind. Dann kann man das eigene Argument zum Beispiel in den gleichen Termini erläutern: „Ich weiß, Ergebnisgleichheit hat für dich einen hohen Wert, aber wenn wir X & Y unternehmen, landen wir in einer oberflächlich gleichen Gesellschaft, in der Ungleichheit durch Privilegien erhalten wird oder durch Nähe zur Herrschaftselite.“

      Oder man kann wenigstens die Differenz klar benennen, wo der eine Ausbeutung und Lohnsklaverei sieht, mag der andere Arbeitgeber sehen, die niedrigqualifizierten Arbeitnehmern in strukturschwachen Gebieten eine Arbeit schaffen.

      Der ganz pauschale Ratschlag lautet: Es ist nicht in Ordnung zu unterstellen, libertär Argumentierende wollen, dass die Massen verhungern. Es ist in Ordnung zu argumentieren, dass man denkt, in der Realität würden die Massen in einem libertären System verhungern.

      Aber ja, es handelt sich im Prinzip um einen politischen Beziehungsratgeber, der an einigen Stellen mit interessanten psychologischen Argumentationen unterstützt wird. Stefan betont hier diese asymmetrische Überzeugung, dass jeder glaubt, den anderen besser zu verstehen. Ich habe die kognitive Dissonanz hervorgehoben und Kling zitiert auch noch Kahneman und dessen zwei Typen kognitiver Systeme: Das schnelle für intuitive Entscheidungen und das langsame für kognitive. Laut Kling würden wir das kognitive System leider oft einsetzen, um unsere Vorurteile zu rationalisieren, anstatt sie rational zu hinterfragen.

  • Stoertebeker 16. Mai 2013, 19:58

    „ಠ_ಠ“

    Meine Aussage war natürlich eine ironische Übertreibung.

    „Oder man kann wenigstens die Differenz klar benennen, wo der eine Ausbeutung und Lohnsklaverei sieht, mag der andere Arbeitgeber sehen, die niedrigqualifizierten Arbeitnehmern in strukturschwachen Gebieten eine Arbeit schaffen. “

    Ja, sowas ist aber auch ein Kreuz. Denn solange man niemanden zum Arbeiten zwingt (und sei’s durch drastische Kürzung von Zuwendungen, was man unter Umständen ebenfalls als Zwangsmaßnahme verstehen könnte), ist da keine Unterdrückung. Oft gewinne ich den Eindruck, dass das Feinbild Unternehmer in linken Köpfen alles dominiert. Dass es sich bei diesen, gerade im Niedriglohnsektor, häufig um Friseurstubeninhaber oder kleine Imbissbetreiber handelt, scheinen viele gar nicht auf dem Schirm zu haben.

    Außerdem frage ich mich gerade, ob die Achsen so treffsicher beschrieben sind. Arm-Reich für Progressive und Fremd-Bekannt für Konservative käme meiner Intuition näher. Naja. Ich sollte mir vielleicht einfach mal das Buch kaufen, bevor ich’s hier neu schreibe.

    Zuletzt noch ein generelles Lob an euch Jungs: Euren Blog finde ich ein wirklich sinnvolles Projekt. Und eure Texte lassen sich sehr gut lesen!

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