Die Meute wird zur Jagd geblasen – die Medien und die „Obama-Skandale“

Obama hat eine furchtbare Woche hinter sich, an die sich die nächste voraussichtlich nahtlos anschließen wird. Erst fingen die Medien an, die Vorwürfe von Cover-Ups im Falle Benghazi ernstzunehmen, die bisher auf Kreise rechter Verschwörungstheoretiker beschränkt gewesen waren, dann platzte die Nachricht, dass die IRS (die Steuerbehörde der Amerikaner) Tea-Party-Gruppierungen gezielt von Steuernachlässen auszunehmen versuchte (die nur unter sehr diffizilen Bedingungen möglich sind) und am Ende verbreitete sich das Gerücht, dass das Justice Department Telefone und Mails von AP-Journalisten abgehört habe. Es war, als hätte jemand das Horn zum Jagen geblasen, und die Journalisten sprangen auch darauf an.

Bereits heute ist klar, dass es sich um keine gigantischen Skandale handelt, wie es etwa Watergate war. Im Falle Benghazi sind die ursprünglichen Annahmen über ein Cover-Up immer noch nicht belegt, und es scheint, als ob auch nur wenig dahinter sei. Beim IRS-Skandal hat sich nicht nur herausgestellt, dass der Verstoß von einem Mitarbeiter der unteren Hierarchieebenen ohne Anweisung von oben unternommen wurde, sondern auch, dass das IRS auch liberale Gruppierungen auf dem Kieker hatte. Und was genau hinter dem Abhören des Justice Department steht ist ebenfalls völlig unbekannt. Es ist aber gleichzeitig auch völlig irrelevant.

Und genau hier liegt die Crux: ob diese Skandale tatsächlich welche sind, ob die Ereignisse wahr sind oder nicht und, vor allem, ob Obama überhaupt irgendwie verantwortlich ist, spielt alles keine Rolle. Die Medien haben Blut geleckt. Die ohnehin stets vorhandene Tendenz zur Personalisierung von Politik, die alle Erfolge und Misserfolge stets dem Präsidenten zuschlägt, wird in solchen Skandalen erst richtig geweckt. Denn für die Medien spielen zwei Dinge eine Rolle: Aufmerksamkeit, die durch Skandale besonders angefeuert wird, und die eigene Selbstdarstellung. Da Medien stets als kritisch und „ihren Job machend“ gelten, wenn sie die Regierung kritisieren (nicht zu Unrecht), ist ein Skandal für alle eine willkommene Gelegenheit: liberale Medien können Unabhängigkeit demonstrieren, konservative Medien die Gelüste ihrer Anhänger befriedigen, und alle haben eine tolle Story, die sich großartig verkauft.

Dass Obama auf das IRS überhaupt keinen Einfluss hat; dass über Benghazi bisher überhaupt nichts belastbares bekannt ist, dass das Abhören durch das Justice Department ebenfalls noch völlig ungeklärt ist – all das spielt keine Rolle, denn es passt hervorragend zum Narrativ. Governmental Overreach! Second Term Curse! Das sind Geschichten, wie sie das Leben schreibt, die spannend sind und ohne jegliche Kenntnis von Fakten und Zusammenhängen verständlich sind. Und genau darin liegt ihre Attraktivität. Die Republicans haben das natürlich gut erkannt und nutzen die Situation bar jeglicher Sachkenntnis weidlich aus (Marco Rubio etwa forderte Obama auf, den zuständigen IRS-Direktor zu feuern, woraufhin sich herausstellte, dass es gar keinen gab, weil die Republicans seine Ernennung im Kongress seit 2008 (!) blockieren – aber who cares?), was ihr gutes Recht im politischen Prozess ist. Man könnte sogar sagen es ist ihre Pflicht, und anzunehmen, dass die Democrats sich in einer vergleichbaren Situation anders verhalten würden hieße heucheln.

Das Problem sind nicht die Politiker, das Problem sind die Medien und, vor allem, die Medienkonsumenten. Denn an Aufklärung und Fakten besteht nach wie vor kein Interesse. Politik tatsächlich verstehen zu wollen ist den meisten Leuten schlicht zu anstrengend. Stattdessen lässt man sich Politik lieber erzählen, und Geschichten über Fakten sind leider Gottes reichlich langweilig. Viel besser, wenn man handfeste Skandale und große Duelle zwischen großen Männern hat, weswegen Wahlkampfzeiten auch immer so grandiose Zeiten der Politikerzählung sind. Wer sich über die Ineffizienz von Demokratien beklagt und darüber, dass Politiker ständig nur streiten und sich zu profilieren versuchen, der sollte sich erst einmal an die eigene Nase fassen und sich fragen, wann er denn das letzte Mal wirklich von sich annehmen konnte, einen Vorgang verstanden zu haben.

Links:

Jonathan Chait rekonstruiert die Entstehungsgeschichte der Skandale

Greg Plum analysiert das Jagdverhalten der Medien
{ 7 comments… add one }
  • Gerald Fix 16. Mai 2013, 15:04

    Was zum Teufel ist ein Cover-up? (Meinten Sie: Koffer-App?)

    Okay, ich habe was gefunden. LEO schreibt, das sei Vertuschung, Verschleierung, Bemäntelung. ’s wär auch kein Verlust gewesen, das zu sagen …

    • Stefan Sasse 17. Mai 2013, 10:12

      Ich verwende die Begriffe der Originaldebatte, wo diese genauer beschreiben, worum es geht.

  • W.Buck 16. Mai 2013, 20:35

    Zitat: „Das Problem sind nicht die Politiker, das Problem sind die Medien und, vor allem, die Medienkonsumenten. “

    Wo es wirklich interessant würde hört leider der Gedankengang auf. Denn zum einen könnte man nun die „Schuld“ auf alle drei Gruppen schieben. Die Politiker, die verlogene Kriege führen, Steuergesetze auf Druck mächtiger Interessensgruppen derart intransparent machen das jeder die Lust am Verstehen von Anfang an verliert oder immer noch unverschämter in Persönlichkeitsrechte eingreifen. Die Medien die einfache Geschichten, große Gefühle und Skandale besser verkaufen können und Konsumenten die gelernt haben kritiklos zu funktionieren und jeden Müll gerne aufnehmen so er nur kurzweiligen Abstand vom Altagstrott verspricht.

    Jener Argumentation kann man entgegen setzen, dass sie nur die Bäume aufzählt, den Wald aber gar nicht erkennt. Der Wald, das ist das System in dem wir leben. Ein System in dem alles mit Geld bewertet wird. Ein System in dem die Gier zur Religion erhoben wurde. Ein System in dem nur noch die Quantität (Milliarden) zählt aber nicht mehr die Qualität. Ein System in dem Werte und Moral sich der Marktwirtschaft (dem Sachzwang) unterordnen müssen.

    Wie gesagt: interessant wird es erst da, wo der Artikel endet.

    • Stefan Sasse 17. Mai 2013, 10:18

      Ja, aber ich sollte meine Artikel schon am Thema halten und nicht endlos ausufernd vom einen zum nächsten springen. Zu dem Thema kommt in Zukunft sicher noch was.

  • der Herr Karl 17. Mai 2013, 17:15

    Mein Mitleid mit Obama (wegen den furchtbaren Wochen) hält sich in Grenzen…

    Bei den Medienkonsumenten ist es wie bei den Konsumenten im Supermarkt: Man nimmt halt das, was angeboten wird. Meines Erachtens haben die, welche das Sortiment/Nachrichtenauswahl bestimmen, die grösste Verantwortung.

  • pool 20. Mai 2013, 18:07

    Obama hat genug Dreck am Stecken, da ist das völlig nebensächlich, mit welchen Vorwürfen er gejagt wird.
    Norman Mailer prophezeite den USA in seinem letzten Buch ein Abgleiten in den Faschismus. Obwohl der Faschismus sich lange etabliert hatte.
    Die Fäden in den USA zeihen heute der Chemie-Gigant Monsanto und Microsoft. Die haben ihre Leute eingeschleust in die hohe Politik und schreiben sich da ihre eigenen Gesetze.
    Das Internet ist ein Mafia-Produkt und das ermöglicht die totale Kontrolle innen und aussen. Seitdem es das Internet gibt, wird die Menschheit auch zusehends blöder, nun meint sie bereits, mit Postungs und Artikeln irgendwas ändern zu können, während der Vietnamkrieg, AKWs und Pershings noch hunderttausend und mehr Menschen auf die Strasse gebracht haben.
    Es ist da wie hier. Überall Goldmänner in den Führungsetagen. Und während wir uns mit dem marodierenden Eingriff der Kapitalfaschisten in unser Privatleben plagen, die uns unsere Lebengrundlage streitig machen mit selbstgedrucktem Geld, indem sie den Staat, Gebäude, Wälder, Seen, Wasserversorgung kurzerhand privatisieren und sich gewaltige Ländereien zusammenklauen, schmilzt unsere Lebensgrundlage zusammen.
    Der jetzige Weg führt direkt in die Lehnsherrschaft und die Sklaverei. Irgendwann muss es mal vorbei sein mit der fruchtlosen Debattiererei. Das ist alles Scheisse, was die Medien rauskippen, Stadt, Müll, Tod!
    Deutschland recycelt seine Alten, der gekaufte Staat, jeder 2te Jugendliche wird im Netz gemobbt – wie lange will man sich diese Scheisse noch angucken?
    Das entspricht sicher nicht der Netiquette?

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