Wollen wir Eunuchenpolitiker?

Nachdem für eine Weile Ruhe war – Wulffs Rücktritt fand im Frühjahr 2012 statt – hat der nun beginnende Wulff-Prozess das ganze Drama erneut ins Scheinwerferlicht gerückt, was natürlich durch die miese Nachrichtenlage unterstützt wird. Es gibt kaum etwas zu berichten, also warum nicht den Wulff-Prozess anschauen? Die Aufmerksamkeit, die sich darauf richtet, ist ein Glücksfall. Wulff hatte, anstatt für eine Ablass-Zahlung von 20.000 Euro eine Einstellung des Verfahrens zu erwirken, auf einem Prozess bestanden, um seine Unschuld zu beweisen. Ich interpretiere das als als Zeichen seiner Zuversicht, dieses Ziel auch zu erreichen, und ich wünsche es ihm von ganzem Herzen.

Um noch einmal zu rekapitulieren, weshalb Wulff überhaupt vor Gericht steht: Im Herbst 2011 war bekannt geworden, dass er seitens einiger politischer Bekanntschaften Vergünstigungen angenommen hatte (vom mittlerweile berüchtigten Bobbycar bis hin zu einem Hotel-Upgrade und der Bereitstellung von Strandkörben im Urlaub. Nachdem die deutsche Justiz ihre gesamte Macht aufgewandt hatte, um diese Vorwürfe zu ergründen, ist strafrechtlich eventuell verwertbar ein Betrag von rund 750 Euro geblieben, den Wulff in Form von Vergünstigungen wie die erwähnten Hotelupgrades im Urlaub erhalten haben soll. Die Gegenleistung, die er laut der Staatsanwaltschaft dafür erbracht hat: einen Brief an Siemens zu schreiben, mit der Bitte um Sponsoring für den Film „John Raabe“, den sein Freund produziert hatte.

Für Wulff, dessen Prozess nun, fast zwei Jahre später, startet, waren die Vorwürfe verheerend, noch mehr allerdings wohl sein Umgang mit ihnen. In einer geradezu krassen Verkennung dessen, was nach den Regeln der Mediendemokratie geschehen musste, versuchte er, Teile geheimzuhalten und sogar den BILD-Chef Diekmann auf dessen Voicemail zu bedrohen. Sein Untergang als Bundespräsident war damit praktisch besiegelt. In seinem verzweifelten Abwehrkampf bis zum endgültigen Rücktritt besiegelte Wulff sein Image als „peinlich“ noch weiter. Spott und Hähme verfolgten ihn in einem einzigartigen journalistischen Rudeltrieb, der überraschenderweise in den Meinungsumfragen kaum Widerhall fand. Selbst kurz vor seinem Rücktritt war die Bevölkerung noch um die 50%-Marke gespalten, was in keinem Verhältnis zu der Präsenz der medialen Verurteilung stand. Der Grund hierfür ist noch immer unklar, meist wird allerdings – wohl nicht zu Unrecht – ein tiefes Misstrauen zu den Medien und ihren Meinungs-Mechanismen genannt.

Was auch immer der Grund war, für Wulff war seine Karriere zu Ende. Er trat vom Bundespräsidentenamt zurück, verlor auf einen Schlag fast alle seine Freunde und Bekannten und kurz darauf auch seine Ehefrau, die sich zudem noch in ihren Memoiren von ihm distanzierte. An seine Stelle trat Joachim Gauck, der Darling der Medien und der wohl größte strategische Fehler, den Sigmar Gabriel sich je leistete, die Bundestagswahl 2013 eingeschlossen.

Wulff als Bundespräsident ist dabei, entgegen der Wahrnehmung in den Medien, als Bundespräsident ein Verlust. Er war in seiner Amtszeit keinesfalls der „peinliche“ Kandidat, der er durch den unbeholfenen Umgang mit der Krise erst wurde. Ihm gelang es im Gegensatz zu seinem Vorgänger Horst Köhler und bislang auch zu seinem Nachfolger Gauck, in seiner kurzen Amtszeit einen bedeutenden eigenen Akzent zu setzen. Mit seinem offenen Bekenntnis, dass „der Islam zu Deutschland gehört“, tat er mehr für die Sache der Integrationspolitik als alle seine Parteifreunde zusammen. Noch heute ist Wulff der Darling der politisch organisierten Migrantenlobby, woran auch der Skandal nichts ändern konnte. Als Konservativer und Verkörperung des biederen, bürgerlichen Deutschen hätte er eine elementare Brückenfunktion einnehmen und die CDU vielleicht endlich mit der Idee einer echten Integrationspolitik versöhnen können, so wie Gustav Heinemann einst das Bündnis zwischen SPD und FDP zementierte. Allein, die Chance ist vertan.

Der Prozess selbst, dem Wulff sich nun stellen muss, trägt alle Merkmale einer Farce. Nicht nur ist der Gegenstand, wegen dem man ihn offiziell der Vorteilnahme brandmarken will, geradezu lächerlich gering. Es ist auch äußerst fragwürdig, ob man überhaupt von Vorteilnahme sprechen will, selbst wenn sich die Vorwürfe voll erhärten sollten. Menschen tun einander Gefallen, das war schon immer so. Kein Beruf dieser Welt mit einem klein bisschen Fertigkeitstiefe funktioniert ohne Beziehungen. Selbst wenn man nur irgendwo in einem Bürojob arbeitet, als kleines Rädchen im Getriebe – die anderen Rädchen arbeiten besser mit einem zusammen oder geben sich vielleicht sogar Sonderkonditionen, wenn man sich kennt. Wer jemals in irgendeinem Job gearbeitet hat, bei dem man in Kontakt zu anderen Firmen gestanden hat, kennt das. Warum sollte es in der Politik anders sein?

Man muss sich einmal vergegenwärtigen, worum es hier geht. Wulff war im Urlaub, wo sein Unternehmerkumpel (der vielleicht ein echter Freund ist oder auch nicht, das bleibt für Außenstehende wohl ewig unklar) ihm ein kleines Standesupgrade spendiert hat. Im Gegenzug (oder nicht, das will die Staatsanwaltschaft beweisen) nutzt Wulff seinen Status und schreibt einen Bittbrief für seinen Kumpel. Er hat ja noch nicht mal Steuergelder veruntreut! Alles, was er gemacht hat, war das Privileg zu nutzen, dass ihm seine Stellung gegeben hat. Wohlwollend könnte man ihm Wirtschaftsförderung für die niedersächsische Filmindustrie unterstellen. Solche Interpretationen sind im Übrigen bei weitem die Regeln in solchen Fällen, oder wie anders ist zu erklären, dass Roland Kochs Dienstanweisungen an seine Steuerfahnder, bei einheimischen Firmen nicht genau hinzusehen, immer noch keine vergleichbare Medienaufmerksamkeit gefunden hat?

Wer von Politikern verlangt, dass sie solche Kontakte, wie Wulff sie offensichtlich hatte, nicht pflegen und gelegentlich für kleine Gefallen in beide Richtungen nutzen, der macht sie effektiv zu Eunuchen. Jeder Mensch tut Leuten, die er kennt und mit denen er gut zurecht kommt kleine Gefallen. Dass diese Gefallen relativ zur Bedeutung der eigenen Position immer größer werden, liegt in der Natur der Sache. Der Sachbearbeiter gibt dem Kumpel aus der anderen Firma vielleicht einen Tag mehr Zahlungsaufschub als üblich. Wulff schreibt einen Bittbrief (oder, wahrscheinlicher, unterzeichnet das fertige Exemplar). In welcher Größenordnung liegen wohl Gefallen von Milliardären? Wer das wissen will muss sich an David Graeber halten; er hat das Phänomen in seinem Buch „Schulden“ als „Kommunismus der Reichen“ beschrieben.

Wulff hat einen Gefallen getan, den er tun konnte, weil er Ministerpräsident war. Der Schaden für das  Volk Niedersachsens dürfte sich in ernsten Grenzen halten. Nur Eunuchen können sich jeglicher sozialer Verhältnisse entziehen. Die Frage ist, ob wir das wollen. Denn Eunuchen verlieren auch jeglichen Kontakt zu der Gesellschaft, aus der man sie entfernt hat.

{ 6 comments… add one }
  • Gerald Fix 17. November 2013, 14:30

    Ich kann dem nur zustimmen. Wullff war ein besserer Bundespräsident als sein Vorgänger und sein Nachfolger. Er hat dem Amt die Bedeutung (oder Bedeutungslosigkeit, wie man will) verliehen, die diesem zusteht.

    Die Jagdexzesse der Qualitätspresse haben ein bedenkliches Ausmaß angenommen – zuletzt zu sehen an einem Tebartz-Elst. Und wenn es in den letzten Jahren zu Erschütterungen im Gebiet um Rott am Inn gekommen ist, dann ist das der im Grabe rotierende FJS, der sich amüsiert, über was für Peanuts heute Politiker stürzen. (Während eine 2/3-Million-Spende an die CDU praktisch ohne Wiederhall verklingt.)

  • der Doctor 18. November 2013, 13:43

    Das Problem bei Wulf ist nicht,was er getan hat,sondern das er immer höchste moralische Massstäbe an andere gelegt hat (Er war seinerzeit der schärfste Kritiker und eifrigste Jäger von Glogowski und Rau),und sich jetzt ungerecht behandelt fühlt,weil nun die selben Massstäbe an ihn angelegt werden.

  • der Doctor 18. November 2013, 14:32

    Zur Ergänzung noch:
    http://www.duckhome.de/tb/archives/11414-Aufgelesen-und-kommentiert-2013-11-14.html,s.bei Prozess gegen Christian Wulf,wegen 700€

  • Manfred Peters 18. November 2013, 15:15

    Wulff Nachruf?
    „Neid muss man sich hart erarbeiten, Mitleid bekommt man gratis!“
    Das hätte doch schon genügt, um den Fall zu beschreiben.
    Wann lesen wir hier endlich eine Ergebenheitserklärung für die verfolgte arme Heulsuse Hoeneß?
    Die andere Seite des angeblich so ungerecht Behandelten wurde ja vom Doctor schon erwähnt.
    Konkret:
    „Ich leide physisch darunter, dass wir keinen unbefangenen Bundespräsidenten haben …“
    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/moralapostel-christian-wulff-die-schoensten-zeigefinger-a-804812.html
    Übrigens, die Erfindung Gaucks als Grüßaugust schreibt sich Trittin auf seine Fahnen.

    • Stefan Sasse 18. November 2013, 16:59

      Der Unterschied ist, dass das als Oppositionspolitiker Wulffs Job war. Er ist quasi per Amt parteiisch. Die Medien dagegen sollten das nicht sein.

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