Ein Superstar im freien Fall

Den Deutschen ist die Ernsthaftigkeit abhanden gekommen. Dieses Urteil findet sich inzwischen einhellig in sämtlichen internationalen Analysen, die längst tief besorgt auf das einstmalige wirtschaftliche Schwergewicht in Europa blicken. Seit 2019 stagniert das Land praktisch in seiner wirtschaftlichen Entwicklung. Das politische Gewicht Berlins begründete sich immer aus der Potenz seiner Wirtschaft. Wie es darum inzwischen bestellt ist, bekommen Merz und seine Regierungsmannschaft regelmäßig in Washington und Peking demonstriert. Doch die (Schild-) Bürger feiern Partys als gäb’s kein Morgen. Sie verstehen nicht, wie die Marktwirtschaft funktioniert, in der sie leben. Vor allem meinen sie, per Naturrecht in Wohlstand geboren zu sein. Wenn der BDI-Präsident als höchster Wirtschaftsvertreter den Alarmknopf drückt, Deutschland befinde sich im freien Fall, wird er der Panikmache geziehen. Wer sich professionell mit der Wirtschaftslage beschäftigt, kann leider der Analyse jedoch nur zustimmen.

Frau Bas ist beleidigt. Schon früh erlebte die sozialdemokratische Klassenkämpferin persönliche Zurücksetzungen. Das hat sie geprägt. Nach einem erfolgreich abgeschlossenen Hauptschulstudium erfuhr sie bei ihren Bewerbungen zur Technischen Zeichnerin nur Ablehnung, durch Männer in Maßanzügen *), weshalb sie zur Schweißerin umsatteln musste. Die Ablehnung durch gutgekleidete Männer ist geblieben.

Auf dem Arbeitgebertag hielt Frau Bas eine typische Politikerrede. Nicht mitreißend, eher etwas weniger. Auf ihr Publikum schien das Skript jedenfalls nicht abgestimmt, das als Entlastung. Denn als sie auf die Rentendebatte zu sprechen kam, griff sie zu einer Darstellung, die so typisch geworden ist unter Spitzenpolitikern, die verantwortlich sind für die höchsten Sozialbeiträge in der Geschichte der Republik und das Kostenwachstum nicht in den Griff bekommen.

Aus welchen Motiven auch immer, aber an einer Stelle ihrer Rede hielt die Arbeitsministerin ihren sittsamer als Jusos zuhörendem Publikum vor, sie bräuchten sich über Zusatzbelastungen aufgrund steigender Sozialkosten keine Sorgen zu machen, das würde der Steuerzahler übernehmen. Angesichts solcher Chuzpe entstand im Auditorium kurzes, spontanes Gelächter. Obwohl eine geübte Rednerin, verlor Bas die Fassung und den Faden. Die Nicht-Studierte war anscheinend nicht darauf eingestellt, dass ihr sehr gebildete, mit großer Verantwortung ausgestattete Bürger gegenübersaßen, die sich nicht von Politikerfloskeln veralbern lassen.

Denn darum geht es tatsächlich: Die Politik und ihre linken Vertreter im Besonderen demonstrieren den Staat in arroganter Verkennung der Realität immer mehr als Schöpfer aus eigener Kraft. Schon zu Ampelzeiten hielt der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck den Bürgern vor, sie seien durch die EEG-Umlage entlastet worden, was ja der Staat trage. Das Verständnis woher die Einnahmen des Staates eigentlich kommen, ist bei der herrschenden Politikergeneration weitgehend verloren gegangen. Wenig verwunderlich: Wie Bärbel Bas haben die meisten Spitzenpolitiker nie außerhalb des Staats-und Politikbereichs gearbeitet.

Steuern und Abgaben können nur die Bürger zahlen, die über eigene Einnahmen, Gewinne und Vermögen verfügen. Das sind in diesem Land nur Unternehmer, Arbeitnehmer, Investoren und Immobilienbesitzer. Weder Arbeitslose und Bürgergeldempfänger noch Rentner gehören dazu. Und auch Beamte sind außen vor. Alte und andere Transferempfänger zahlen zwar beim Einkauf Verbrauchsteuern wie Umsatzsteuer. Die Transferzahlungen wie Rente und Bürgergeld werden aber in Abhängigkeit von der Preisentwicklung berechnet. Und in dieser bilden sich die Kosten der Beschäftigten wie die Gewinnsteuern ab. Und auch Staatsdiener werden aus den Steuereinnahmen bezahlt, sie erbringen keinen echten Beitrag zum gesellschaftlichen Wohlstand.

Mit anderen Worten: Die Bundesregierung in Gestalt der Ministerin mit dem größten Einzeletat hat auf dem Arbeitgebertag denjenigen, die ihr die Mittel zum Verteilen geben, eine lange Nase gedreht. So haben es viele verstanden.

Welch Geistes Kind sie ist, zeigte sie beim Heimspiel bei den Jusos. Mimosenhaft beklagte sie sich bei ihren jungen Freunden vom ganz linken Ufer über die Arbeitgeber des Landes und forderte kämpferisch auf, sie zu bekämpfen. Ihr Intellekt reicht leider nicht zu der Einsicht, dass es ohne Arbeitgeber auch keine Arbeitnehmer gibt.

Seit einem Vierteljahrhundert bemüht sich die Politik, den Glutkern der Gesellschaft zum Erlöschen zu bringen. So drückte es schon Anfang des Jahrtausends der Journalist Gabor Steingart in seinem Bestseller „Abstieg eines Superstars“ aus. Die Bürger, die alles erwirtschaften, werden mit der höchsten Belastung der Einkommen aller Industriestaaten überzogen. Die Steuern auf Gewinne und die Energiekosten gehören zu den höchsten der Welt. Die Bürokratie ist längst erdrückend geworden im Bestreben der Selbstdarsteller in Politik und NGOs, sich selbst zu Vorbildern der Welt zu erklären. Und als Topping wurde das Land mit einer völlig missratenen Migrationspolitik überzogen.

Das hindert die Politiker, die ein einstmals prosperierendes Land mit Vollgas an die Wand gefahren haben, nicht daran, Unternehmen und Bürger mit Vorwürfen zu überziehen. Wer sich über zu niedrige Renten, nicht fahrende Züge, gestiegene Kriminalität, lange Wartezeiten auf Ämtern und das dysfunktionale Gesundheitssystem beklagt, wird einer überzogenen Anspruchshaltung geziehen. Und den immer noch existierenden Unternehmen wird von der miserablen Verwaltung falsche Produktpolitik vorgeworfen.

Ohne Ironie ist das Ganze nicht. Ein Staat, der es in Eigenverwaltung nicht mal schafft, Züge zuverlässig ins Ziel zu bringen und Infrastrukturprojekte ohne in Jahrzehnten gemessene Zeitüberschreitungen durchzuführen, besitzt selbst nicht die geringste wirtschaftspolitische Kompetenz.

Das Wissen, wie Wachstum und wirtschaftliche Prosperität entstehen, wie Unternehmen arbeiten, wie die Wirtschaftsstruktur aussieht und wo sich Deutschland im Wettbewerb mit anderen Ländern und Standorten befindet, all das scheint inzwischen als unwichtig angesehen zu werden. Anders ist das Überziehen mit Verboten, Regularien, Auflagen, Verpflichtungen und Abgaben nicht zu erklären.

Das Verbrennerverbot – die Vernichtung einer Industrie

Wie wenig die Deutschen und ihre Parteien von dem Wirtschaftssystem verstehen, in dem sie sich bewegen, zeigt die Dauerdebatte um das Verbrennerverbot. Kern dieser Auseinandersetzung ist der Streit, ob der Staat durch den Ausschluss von Technologien der Industrie Orientierung gibt oder sie behindert. Und genau dieser Streit geht an den Marktgegebenheiten wie den unternehmerischen Realitäten vorbei.

Der Standardvorwurf an die Autoindustrie lautet, sie habe den Trend zur Elektromobilität verpasst. Doch welcher Trend? Über 60 Prozent aller sogenannten BEVs werden in China verkauft. Im Rest der Welt dominieren weiterhin Autos mit Benzin- und Dieselmotoren. Auch alle Marktstudien gehen davon aus, dass der Verbrenner bis weit über die Mitte des Jahrhunderts die bevorzugte Antriebstechnologie bleiben wird. Und das ist die Technologie, die von den europäischen Automobilherstellern dominiert wird. Die Idee, der Elektromotor sei die Technik der Zukunft existiert vor allem in den Köpfen von Politikern und Aktivisten. Die Millionen potentieller Kunden auf dem Globus beantworten diese Frage bisher sowohl in Kaufentscheidungen als auch in Marktbefragungen anders.

In keinem der relevanten Weltmärkte außer der EU verbietet der Staat ab einem Stichtag den Einsatz von Motoren, die mit fossilen Brennstoffen laufen. Nicht in den USA und nicht einmal in China. Warum sollten die Konzernmanager der Automobilindustrie dann ihre renditeträchtige Technik einmotten? Das ähnelt der Empfehlung an einen Freund, seinen gut bezahlten Job aufzugeben um sich voller Konzentration für absolute Toppositionen bereithalten zu können. Die Haltbarkeit solcher Freundschaften ist aufgrund von Harakiri-Empfehlungen überschaubar.

Von der Top-Beratung Boston Consulting wurde vor Jahrzehnten eine Matrix zur Strukturierung des Produktportfolios entwickelt. Die „Stars“ und die „Cash Cows“ bilden dabei die Träger des Geschäfts. Man muss sich nicht die Geschäftsberichte von BMW & Co. zurate ziehen um zu wissen, dass die hochgezüchteten Benzinmotoren die Melkkühe dieser Unternehmen sind. Mit dem Verbrennerverbot hat die europäische Politik entschieden, die Cash Cows ihrer Industrie zu verschrotten und alle Chips auf die „Question Marks“ zu setzen. Jeder Manager würde für solche strategische Fehlentscheidungen binnen Wochen gefeuert.

Boston Consulting Group Matrix

Jeder neue Markt, der auf Basis neuer Technologien entsteht, bringt neue Unternehmer und Unternehmen hervor. Warum haben Sie bis vor kurzem noch nie etwas von BYD gehört? Ganz einfach: Bis vor zwanzig Jahren existierte das Unternehmen nicht als Automobilhersteller. BYD war zuvor ein auf die Herstellung von Batterien spezialisierter Anbieter. Das ist der Unterschied zu Unternehmen mit 150jähriger Firmentradition und Know-how.

Die wirtschaftspolitische Frage – Stefan Sasse spricht hier oft fälschlich von Wirtschaftspolitik – ist daher: Warum entstehen in Europa nicht Unternehmen wie BYD und Tesla, keine Apple, Open AI, Meta, Microsoft? Was in in den USA, in China, in Indien und auch in Südkorea möglich ist, nämlich Weltmarktführer in wichtigen Technologien hervorzubringen, funktioniert in Europa nicht. Der Grund liegt in der Risikoaversion der Europäer und ihrer Politik. Warum hätte Elon Musk Tesla unter dem Dach von Mercedes entwickeln sollen? In der Rolle als Ideengeber und angestellter Manager wäre er nie zum reichsten Mann der Welt aufgestiegen.

Doch gerade in Deutschland mögen wir bekanntlich keine reichen Menschen. Die LINKE hat sich ihre Ausrottung ohnehin auf die Fahnen geschrieben und auch Blogger wie Stefan Sasse postulieren, dass zumindest Milliardäre nicht hierher gehören. Aber der typische Milliardär entsteht durch das Eingehen enormer Risiken. Warum aber sollten Menschen gerade in Europa großer Kapitalmengen mit ungewissem Ausgang investieren? Das ist eine Weltregion, in der, zumal in Deutschland, Politik und Gesellschaft mit Begeisterung Risikokapitalgebern die Renditen kaputtschlagen.

Die Automobilindustrie ist nur ein Fall. Aber das Gleiche gilt für die Immobilienwirtschaft, die Pharmaindustrie, die Biotechnologie, die Energieindustrie usw. Erinnern Sie sich noch an die Debatten in der Pandemie, als führende Politiker ernsthaft erwogen, dem Unternehmen BioNTech den Patentschutz für seinen revolutionären Impfstoff zu entziehen oder die linken Parteien forderten, generell eine Übergewinnsteuer einzuführen? Ernsthaft: Wären Sie 25 und hätten eine Idee, die einen wichtigen Zukunftsbereich revolutionieren könnte, würden Sie in Berlin oder New York nach Investoren suchen und als Standort auswählen? Die Frage ist nicht schwer zu beantworten, oder?

Im nächsten Teil geht darum, wie die Politik durch Bürokratie, eine erdrückende Steuerlast und eine missratende Handelspolitik die Pfeiler der Wirtschaft ruiniert hat.

*) Ob Frau Bas einen Maßanzug tatsächlich erkennen würde, wird vom Autor bezweifelt.

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