Der Aufprall kam mit Ansage. Seit Herbst letzten Jahres blockierten Sozialdemokraten und Grüne den Unionskandidaten für das höchste deutsche Gericht. Robert Segmüller hatte in der Vergangenheit erkennen lassen, dass nach den Regeln des Grundgesetzes Flüchtlinge an den Grenzen zurückgewiesen könnten. Das reichte, um ihn für unwählbar zu erklären. Seit einem halben Jahr amtiert das Bundesverfassungsgericht mit einem Richter, der längst in Pension gehen wollte. Die politische Linke will das Verfassungsrecht im Sinne ihrer geschrumpften aktivistischen Klientel verbiegen.
Der Vorlauf zu dieser Geschichte reicht bis zu den Anfängen der Ampelregierung zurück. Die neuen Regierungspartner von SPD, Grünen und FDP hatten sich in ihrem Koalitionsvertrag, ziemlich unbemerkt von der Öffentlichkeit, darauf verständigt, eine Regierungskommission mit der Erarbeitung einer Reform des Abtreibungsrechts zu beauftragen. Die Öffentlichkeit erfuhr erstmals davon, als die unsägliche Familienministerin Spiegel bei Markus Lanz darüber plauderte und gleich das Ziel mitgab. Nach über drei Jahrzehnten Kompromiss sei es an der Zeit, das Thema neu aufzurollen und Abtreibungen in den ersten drei Monaten straffrei zu stellen. So kam es. Wenige Monate vor dem Scheitern der Scholz-Regierung präsentierte die Grüne Lisa Paus, im Geiste und politischen Gewicht ein Zwilling von Spiegel, die Ergebnisse der Kommission. Wenig überraschend schlugen die einseitig besetzten Sachverständig:innen (sic!) vor, den Paragrafen 218 des Strafgesetzbuches ersatzlos zu streichen.
Unter den Expertinnen war auch eine gewisse Frauke Brosius-Gersdorf, die ein Jahr später von der SPD als neue Richterin am Bundesverfassungsgericht nominiert werden sollte. An Zufälle lässt sich da nicht mehr glauben. Die linken Parteien haben sich zum Angriff auf das Bundesverfassungsgericht entschlossen. Der Streit über das Abtreibungsrecht eignet sich da besonders gut, wie andere Länder zeigen. Was die USA und Polen in die Richtung der Lebensschützer demonstrieren, versucht die deutsche Linke in die andere. Ein längst befriedetes Thema wird hochgezogen um den Kulturkampf zu eskalieren.
Seit 2010 gab es in Deutschland 1,5 Millionen Abtreibungen, zuletzt mit steigender Tendenz zurückzuführen auf den millionenfachen Zuzug von Migrantinnen aus dem arabischen Raum. In diesen 15 Jahren gab es ein einziges Strafverfahren wegen des Verstoßes gegen § 218 StGB. Hier ist bei allem guten Willen kein gesellschaftliches Problem zu erkennen. Abtreibungen sind in Deutschland de facto straffrei. Es geht für die selbsternannten Reformer allein um Symbolik.
Es ist das große politische Versagen des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn, den Sprengstoff in der Personalie Brosius-Gersdorf nicht erkannt zu haben. Einem echten Konservativen hätte klar sein müssen, dass eine Richterin, die das Lebensrecht des ungeborenen Lebens zur Disposition stellt, den eigenen Wählern, den Mitgliedern und den CDU-Abgeordneten nicht vermittelt werden kann. Nur ein Mensch, der nie Mutter oder Vater geworden ist, kann meinen Leben beginne erst mit der Geburt. Selbstredend ist die SPD-Kandidatin kinderlos.
Auch ansonsten vereint Brosius-Gersdorf alles, was Linken in den letzten Jahren wichtig geworden ist: Grundgesetz gendern, paritätisch besetzte Wahllisten, AfD-Verbot. Warum die SPD derart eindeutig positionierte Kandidatinnen ins Rennen schickt, lässt sich nur mit der Schwäche der Führung erklären. In früheren Zeiten achteten jedenfalls die Parteien darauf, nur solche Bewerber zu nominieren, die vom anderen Lager auch akzeptiert werden können. Davon waren als erstes die Grünen abgekommen, nun auch die Sozialdemokraten.
Wenig verwunderlich hatten die Grünen, die so lange die Richterwahl des Unionskandidaten blockiert hatten, kein Problem zusammen mit der LINKEN die politisch eindeutig beleumundete Professorin aus Potsdam zu wählen. Zuvor hatte die Partei von Friedrich Merz ohnehin die Waffen gestreckt. Statt eines eignen Kandidaten schickte man auf dem konservativen Ticket den aus dem Kreis der Verfassungsrichter bestimmten Spinner ins Rennen. Es spricht eine eindeutige Sprache, dass die linken Parteien im Bundestag nicht einmal diesen Fachmann alleine wählen wollten.
Der Wähler hat bei der Bundestagswahl klar gesprochen. Egal wie man zählt, die politische Rechte hat eine breite Mehrheit erhalten, während die politische Linke deutlich abgestraft wurde. Mit der sogenannten Brandmauer zur AfD wollen SPD, Grüne und Linkspartei das Wählervotum umkehren. Werden die Stimmen für die AfD und ihre Abgeordneten aus der Rechnung genommen, hat das linke Lager eine komfortable Mehrheit und der Wahlsieger Union ist nur geduldeter Mehrheitsbeschaffer. Heidi Reichinnek exerziert das diese Tage vor.
Die bisherige politische Mitte aus Union, SPD, Grünen und bis zur Bundestagswahl auch FDP hat im neuen Parlament keine verfassungsändernde Mehrheit mehr, also auch keine, mit der Verfassungsrichter gewählt werden könnten. Sozialdemokraten und Grüne sehen hierin die Chance, die SED-Nachfolgepartei die LINKE zum Teil der politischen Mitte zu erklären. Nicht zum ersten Mal schlossen dagegen die Parteichefs dieser linken Parteien die Union von der politischen Mitte aus. So schrieb der grüne Co-Vorsitzende Felix Banaszak:
CDU und CSU haben sich heute aus der demokratischen Mitte unseres Landes verabschiedet.
Aus der Blase eines 25-Prozent-Milieus sind nur die linken Parteien Teil der die Gesellschaft tragenden Mitte. Realität und Berliner Wahrnehmung klaffen immer weiter auseinander.
Jedenfalls verlangt die LINKE für ihre Bereitschaft, Unionskandidaten zu wählen einen hohen politischen Preis. Sie will zukünftig selbst jeweils einen Kandidaten für die beiden Kammern des Verfassungsgerichts bestimmen können und damit den Platz der FDP einnehmen. Doch dieses Zugeständnis hätte weitreichende Folgen. Bisher haben CDU und SPD jeweils für 3 Richterkandidaten das Vorschlagsrecht, Grüne und FDP für einen Bewerber. Würde die Union den geforderten Preis zahlen, kippt die paritätische Verteilung der Posten in Karlsruhe und die Linke hätte eine deutliche Mehrheit unter den Richtern.
Von linker Seite werden im ausgerufenen Kulturkampf keine Gefangenen gemacht. Nach der abgesagten Richterwahl erklärte die grüne Fraktionsvorsitzende Hasselmann die Ablehnung von Brosius-Gersdorf zum Angriff auf alle Frauen. Die Geschlechterkarte zieht bei Linken immer, so absurd die Vorwürfe auch sein mögen. Je marginalisierter die Parteien werden, desto mehr Verhetzungspotential zeigt sich. Am Ende bleibt ein Totalschaden für die politische Mitte. Wenn ein Teil den Wählerwillen mit dem Ausschluss einer Partei umkehren will und ein anderer Teil dem willfähig nachgibt, hat das nur noch wenig mit Demokratie zu tun. Und dann ist die politische Mitte schlicht überflüssig.
Jedenfalls verlangt die LINKE für ihre Bereitschaft, Unionskandidaten zu wählen einen hohen politischen Preis. Sie will zukünftig selbst jeweils einen Kandidaten für die beiden Kammern des Verfassungsgerichts bestimmen können und damit den Platz der FDP einnehmen. Doch dieses Zugeständnis hätte weitreichende Folgen. Bisher haben CDU und SPD jeweils für 3 Richterkandidaten das Vorschlagsrecht, Grüne und FDP für einen Bewerber. Würde die Union den geforderten Preis zahlen, kippt die paritätische Verteilung der Posten in Karlsruhe und die Linke hätte eine deutliche Mehrheit unter den Richtern.
Es gibt Forderungen, an deren Erfüllung oder Nichterfüllung man erkennt, ob man überhaupt noch eine Mitte-Rechts Partei im Bundestag hat. Zahlt die Union diesen Preis – worauf ich nicht wetten würde – kann sie dichtmachen. Dann macht ihre Wahl für Christdemokraten und Konservative einfach keinen Sinn mehr.
Gruss,
Thorsten Haupts
Kurze Redaktionelle Anmerkung -sie haben einen Verwechesler drin:
Statt eines eignen Kandidaten schickte man auf dem konservativen Ticket den aus dem Kreis der Verfassungsrichter bestimmten Segmüller ins Rennen.
Ich glaube sie meinten Herrn Spinner (Richter am Bundesarbeitsgericht)
Richtig, danke! Ist geändert.
Ich denke es lässt sich festhalten, dass diese missglückte Richterwahl einen Tiefpunkt in der parlamentarischen Kultur unseres Landes markiert mit mehreren Protagonisten und Verursachern.
Ich sehe keinen Beleg dafür, dass die SPD mit der Nominierung der Personalie Brosius-Gersdorf einen Angriff auf das Abtreibungsrecht gewagt hat. Man sollte auch nicht die vielfach kolportierte Lüge übernehmen, dass Frau Brosius-Gersdorf Abtreibungen bis kurz vor der Geburt strafffrei stellen wollte. Brosius-Gersdorf hatte als Mitglied der von ihnen beschriebenen Expertenkommission argumentiert, dass es gute Gründe dafür gebe, „dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt“. Wichtig ist aber hier der Kontext. In dem von Frau Brosius-Gersdorf erstellten Gutachten steht vielmehr, dass auch ein Embryo Anspruch auf den Schutz seines Lebens gemäß Artikel 2 des Grundgesetzes habe.
Nur falle dieser Schutzanspruch möglicherweise weniger kategorisch aus als im Fall der Menschenwürdegarantie für das ungeborene Leben, die sich aus Artikel 1 ableitet (und die einen Schwangerschaftsabbruch streng genommen überhaupt nicht zulässt). Im Kern ging es in dem Gutachten darum, wie die Rechte des ungeborenen Lebens und die Rechte der Mutter gegeneinander abgewogen werden. In dem Beitrag wird ein zeitlich abgestuftes Schutzkonzept entwickelt. So heißt es dort explizit: „In der Spätphase der Schwangerschaft sollte der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich nicht erlauben“. Es ist aber auch richtig, dass Frau Brosius-Gersdorf Positionen vertritt, die so nicht in der CDU mehrheitsfähig wären. Was aber für eine Kandidatin auf SPD Ticket auch nicht überraschend ist. Auf der anderen Seite vertritt die Kandidatin wirtschaftspolitisch Positionen die vielleicht in einigen Teilen des SPD Seeheimer Kreises gerade noch so durch gehen würden, aber diese Debatte ist müßig, denn es geht nicht längst nicht mehr um die Ansichten der Kandidatin.
Richtig ist auch, dass auch der erste Kandidat Robert Segmüller abgelehnt wurde, weil er einigen bei SPD und Grünen in seiner Haltung zur Asylpolitik zu weit weg von den Ansichten von Rot-Grüm war. Die Ablehnungsentscheidung fiel zeitlich auch mit der gemeinsamen Abstimmung von CDU und AfD im Bundestag zusammen und die aufgeheizte Stimmunng war sicherlich einer konstruktiven Lösungsfindnung nicht dienlich. In meinen Augen war es auch politisch unklug, denn damit wurde das ohnehin belastete parlamentarische Miteinander weiter belastet.
Und hier liegt in meinen Augen der Hase im Pfeffer: Es gibt eine gestörte Zusammenarbeit im parlamentarischen Betrieb zwischen SPD, CDU und Grünen. Statt sich als Teil einer gemeinsamen Legislative zu begreifen ist man in einem antagonistischen Verhältnis gefangen und nutzt jede Gelegenheit dem Gegenüber eines auszuwischen.
Gepaart mit einem schwerwiegenden handwerklichen Fehler der CDU Fraktionsführung kam es dann schließlich zur letzwtöchigen Katastrophe.
So grob die handwerklichen Schnitzer bei der Union so überzogen und (wieder einmal) unklug die Reaktion der Grünen. Wer jeglichen politischen Widerspruch zu einer Hypermoral aufpustet, darf sich nicht wundern, wenn er in der öffentlichen Debatte nicht mehr durchdringt. Die Grünen hätten die Chance gehabt sich staatstragend zu geben, setzen aber in Anbiederung an den Heidi Reichinnek Style auf Krawall.
Tief blicken lässt auch die Reaktion der SPD – statt den handwerklichen Fehler der CDU abzuräumen und einen großen Gefallen einzusacken, ließen auch die Genossen das Thema zu lange laufen und trugen dazu bei, dass das Thema aus der Kurve flog. Was wiederum dafür spricht, dass es in Sachen Vertrauen zwischen CDU und SPD Fraktionsführung nicht gut bestellt wird.
Was tun? Merz ist Loyalität wichtig, deswegen wird er Spahn nicht in die Wüste schicken, obgleich dieser mittlerweile eine echte Belastung ist. Besser wäre es für alle beteiligten Spahn macht den Weg von sich aus frei. Die Union braucht einen Fraktionsvorsitzenden der Brücken bauen kann, auch für die Koalitionsgrenze hinaus. Spahn scheint diese Fähigkeit zu fehlen, insofern ist er der falsche Mann auf dem falschen Posten.
Was die Personalie Brosius-Gersdorf angeht würde ich davon ausgehen, dass sie nicht Verfassungsrichterin werden wird und wohl der dritte Sitz über den Bundesrat besetzt werden dürfte.
Parteien nominieren natürlich Kandidaten mit einer gewissen Erwartungshaltung. Sonst wäre die Austarierung ja unnötig, wir sind ja nicht im Kindergarten. Und dass ausgerechnet die Potsdamer Professorin ins Rennen geschickt wurde ohne an ihre Rolle in der einseitigen Kommission zu denken, ist auch schwer zu glauben. Rein zufällig vereint sie alle Positionen, die SPD und Grünen in den letzten 10 Jahren wichtig waren. Es ist dann auch ein ziemlich alberner Move auf ihre angeblichen wirtschaftspolitischen Positionen hinzuweisen. Erstens wird die SPD sie mit Sicherheit nicht deswegen aufgestellt haben, weil sie konträr zu sozialdemokratischen Überzeugungen steht. Und zweitens geht es in Karlsruhe selten um wirtschaftspolitische Sachverhalte.
Aus gutem Grund ist für die Wahl von Verfassungsrichtern eine Zweidrittelmehrheit vorgesehen. Damit sollen genau solche exponierten Typen wie eben Frau Brosius-Gersdorf verhindert werden, da ein breiter Konsens erforderlich ist. Also systemtheoretisch hat die Sache am Freitag funktioniert. Fakt ist, dass christlich geprägte Menschen, zu denen ich mich auch zähle, eine Richterin wie Frau Brosius-Gersdorf nicht akzeptieren können, egal wie ihre Aussagen und Positionen im Detail interpretiert werden können. Fakt ist auch, dass sie nicht in die bisherige Linie der Rechtsprechung passen. Und das kann bei der Nominierung kein Zufall gewesen sein.
Union und SPD verhalten sich unterschiedlich auf die veränderten Mehrheitsverhältnisse im Bundestag. Die CDU hat in der Form reagiert, auf die Durchsetzung eines eigenen Kandidaten zu verzichten. Die Sozialdemokraten tun genau das Gegenteil, sie stellen zwei Kandidatinnen auf, die besonders exponiert und für das rechte Lager eigentlich nicht wählbar sind. Dafür jedoch im eigenen Lager den Zusammenhalt fördert. Die SPD übersieht dabei, dass sie als 13 Prozent-Partei nur deswegen mitregiert, weil die Brandmauer zur AfD besteht. Mein Vorwurf aus dem Artikel ist, dass die Linken sich völlig maßlos und undemokratisch (gegen den Wählerwillen gerichtet) verhalten. Deswegen auch das Bild.
Merz und Spahn bilden eine Zweckgemeinschaft. Beide konkurrierten ja auch mal um den Parteivorsitz und haben mentalitätsmäßig wenig gemein. Nur brauchte Merz den früheren Gesundheitsminister, weil diese als einer der wenigen Regierungserfahrung bei der Union besitzt und den SPD-Verhandlern Paroli bieten konnte.
Bisher machen weder die SPD noch Frau Brosius-Gersdorf Anstalten zurückzuziehen. Und damit bleibt die Sache kompliziert.
Ich will auch noch dazufügen, dass die parlamentarische Zusammenarbeit von CDU, SPD und Grünen in der letzten Zeit extrem verteufelt wurde. Kein Wunder funktioniert sie nicht mehr gut.
Nun, Friedrich Merz ist nicht erst seit seiner Wahl zum CDU-Vorsitzenden 2022 das Feindbild der Grünen, aber auch der SPD. Kein Parteitag der Grünen kam seither ohne Merz-Bashing aus. im Wahlkampf wurde er als Steigbügelhalter von Björn Höcke karikiert. Die Grünen wiederum haben sich mit ihrer ausgeprägten Identitätspolitik in der Ampel in eine Situation manövriert, in der sie zum Feindbild bürgerlicher Kreise wurden. Heizungsgesetz und Afghanistanflieger sind die Symbole. Und es waren die Grünen, die im November 2024 und danach den Unionskandidaten für das Bundesverfassungsgericht blockierten – so lange, bis die Mitte nach der Bundestagswahl keine Mehrheit mehr hatte. Dann konnte noch die Aufhebung der Schuldenbremse beschlossen werden, nicht jedoch ein Verfassungsrichter gewählt werden. Also, da ist einiges zusammengekommen.
Robin Alexander hat in seinem Podcast dargestellt: Es ist bezeichnend für die Schwäche der Parteien, dass die SPD die Sache nicht geräuschlos beerdigen konnte. Es ist doch offensichtlich, dass Frau Brosius-Gersdorf keine Mehrheit bekommen wird. Die können auch Merz und Spahn nicht erzwingen bzw. dazu müsste der Kanzler sein Amt in die Waagschale werfen. Und was wäre das für ein Akt: Die Abgeordneten, die Anfang des Jahres Merz in den Arm fielen, als er mit der AfD abstimmen ließ (wofür sie von Sozialdemokraten und Grünen gelobt wurden), sollen nun ihre Werte über Bord werfen um eine liberale Abtreibungsfreundin nach Karlsruhe zu schicken. Das wäre wahrscheinlich der Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Merz‘.
Besser wäre es für alle beteiligten Spahn macht den Weg von sich aus frei.
Aber sowas von! Dass einem Unions-Fraktionsvorsitzenden NICHT klar war, welche Sprengkraft dokumentierte Haltungen der Kandidatin in der Abtreibungsfrage für einen guten Teil der Abgeordneten haben würde, ist nur mit verbesserungsfähiger Intelligenz oder absolutem Desinteresse zu erklären.
Ein paar Überlegungen zu der vergurkten Richterwahl abseits des Links-Rechts Schuldgeschiebe:
1) Eines ist es nicht: Eine Institutionen- oder gar Verfassungskrise. Wenn die Bundestagsfraktionen keine geeigneten Kandidaten produzieren, hat das Verfassungsgericht ein Vorschlagsrecht. Wenn der Bundestag es nicht schafft einen Richter zu wählen, dann spingt der Bundesrat ein. Die Reform der Richterwahl von Dezember 2024 funktioniert.
1a) Es ist auch keine Regierungskrise, die Wahl ist ausdrücklich im Kompetenzbereich des Bundestags und seiner Organe.
2) Durch die hohe Hürde bei dieser Wahl müssen die Parteien sehr viel „politischer“ in vormodernen Sinne agieren (lies verhandeln): „Wenn du meinen Kandidaten als Erzbischof unterstützt, bekommst du von Kaiser Friedrich die folgenden Lehen und Privilegien.“
2a) Der Verhältniskompromiss 3 CDU – 3 SPD -1 FDP – 1 Grün von 2018 (älter ist der auch nicht) ist ein Beispiel dafür. „Ihr stimmt jetzt meinem Kandidaten zu, dann darf jemand anderes als nächstes vorschlagen und jedes Mal kommen wir über 2/3, wenn wir dabei zusammenarbeiten.“
2b) Unter diesem Gesichtspunkt haben Sie recht, die erste „Sünde“ bei diesem Streit war das Nicht-Akzeptieren von Robert Segmüller.
3) Unabhängig davon besteht das Grundproblem, dass für alles, was 2/3 Mehrheit erfordert, entweder AfD oder Linke in irgend einer Form mitmachen müssen.
3a) Und da dort weniger Vertrauensbasis herrscht, ist auch der Preis (im Sinne von Punkt 2) entsprechend höher als bei den Grünen (die im Zweifel immer „staatstragende“ Oppositionsarbeit leisten).
4) Und das Verfahren der Wahl erfordert maximale Disziplin innerhalb der Fraktionen, die Wahlen sind getrennt und geheim. Reines Fernbleiben ist auch kein Hilfsmittel, die Zustimmungsstimmen müssen nicht nur 2/3 der abgegebenen Stimmen sein, sondern eine beschlussfähige Mehrheit der Bundestagsgesamtheit darstellen.
5) Und da spielt das Timing eine Rolle: Die Parteispitzen hatten unter sich „eigentlich“ die Kandidaten ausgehandelt um im Wahlausschuss abgesichert, der Kulturkampf um Brosius-Gersdorf kam erst kurz vor der Abstimmung (von außen?).
3) Richtig. Und nachdem, wie die letzten Monate gelaufen sind, sollten die Mehrheiten frei gesucht werden. Würde man allein die LINKE zur Mehrheitsbeschafferin machen, würde der Wählerwillen in sein Gegenteil verkehrt.
3a) Die Grünen waren bei der Grundgesetzänderung im Frühjahr extrem teuer.
5) Der Wahlausschuss scannt die Kandidaten. Hier haben die Christdemokraten schlichtweg geschlafen. Das ist ja auch mein Vorwurf. Frau Brosius-Gersdorf hatte im Auswahlverfahren nie so weit kommen dürfen.
3) Vorsicht: „Der“ Wählerwille ist eine reine Chimäre. Nicht einmal die CDU ist homogen. So wie Sie die AfD als Mehrheitsbeschaffer für das kleinere Übel halten, gibt es auch Konservative, die die Linke akzeptieren und AfD-Kooperation komplett ausschließen.
3a) Guter Punkt.
5) In gleichem Maße haben da die Christsozialen das im Wahlausschuss nicht (oder nur intern) thematisiert. Ein Indiz dafür, dass es sich eher um Skandalisierung als einen Skandal handelt.
3) Richtig ist, dass sich der Wählerwille meist aus einer Unzahl an Partikularinteressen zusammensetzt. Das heißt aber nicht, dass es ihn nicht als klare Fingerzeige gibt. So will eine Zweidrittelmehrheit eine deutlich restriktivere Migrationspolitik, 20 Prozent die das nicht wollen. Das ist eine sehr klare Position.
5) Die wichtigste Fähigkeit, die ein Politiker besitzen muss, ist die zu wissen, wie seine Wähler ticken. Ich habe diese Positionen von der Kandidatin gehört und ich hielt sie für aus bürgerlicher Sicht für unwählbar. Punkt. Ich bin liberal-konservativ und christlich geprägt, so wie viele Mitglieder der Union und damit auch Abgeordnete. Sie können mir dann noch so oft sagen, dass ja nicht die Abtreibung bis zur Geburt gemeint war. Allein die Position, es gäbe gute Gründe, die Würde des Menschen erst mit der Geburt zuzuerkennen, hat nichts mit christlichen Überzeugungen gemein. Ja, das sehen viele anders. Aber um die geht es nicht. Die Professorin muss den christlich orientierten Abgeordneten „verkauft“ werden, nicht denen der Linkspartei.
2).
Warum „vormodern“ ? Schlage nach „politischer“ alternativ folgenden Satzbaustein vor^: „So wie seit Menschengedenken üblich agieren“; und dann in Klammern: „lies verhandeln und bestechen“. Über „Krieg anzetteln“ könnte man auch noch nachdenken, denn dass wir es im vorliegenden Fall mit einer Art Kulturkrieg zu tun haben, ist ja offensichtlich. Präventivkrieg, genauer gesagt. Das Gericht kann ja ggf. erst zu den Waffen greifen nachdem a) das Gesetz geändert wurde und b) ein Antrag gestellt wurde. Gleichwohl empfiehlt sich natürlich – bevor die Parteisoldaten und _innen gen Karlsruhe marschieren – eine penible mentale Musterung. Die Musterungsrichtlinien sind parteiabhängig selbstverständlich nicht einheitlich.
Mit „vormodern“ meinte ich „vor-ideologisch“. Verhandeln und Bestechen ist doch viel leichter, wenn du nicht darauf achten musst, wie es bei deinen Truppen ankommst, wenn du mit jemanden verhandelst, der anstelle des eigenen Glaubens an (Gott, Freihandel, „Das Kapital“, Feminismus – zutreffendes bitte ankreuzen) an etwas anderes aus dieser Liste glaubt.
Und bei den roten Roben dachte ich eher an eine Art Schiedsrichter im Kultur(wett)kampf und weniger als Partei in einem Krieg (bei dem keine Gefangenen gemacht werden.
Wer die Kandidatin der SPD als «linke Aktivistin» denunziert, hat sich aus dem sachlich-rationalen Diskurs verabschiedet und betreibt Ressentiment-Politik à la AfD. Die SPD kann gar nicht anders, als jetzt erst recht an ihrer Kandidatin festzuhalten, sonst macht die Union bis zum Ende der Legislaturperiode mit ihr, was sie will.
NAchtrag: Aus dem Aufruf von 300 „Vertreterinnen und Vertreter der universitären – insbesondere rechtswissenschaftlichen – Forschung und Lehre sowie der Justiz“, der auf den Seiten der Uni Bochum veröffentlicht wurde: „Im Richterwahlausschuss eine Kandidatin zunächst zu bestätigen, um dann gegenüber ideologisierten Lobbygruppen und mit Unwahrheiten und Diffamierungen gespickten Kampagnen zurückzurudern, zeugt zumindest von fehlendem politischem Rückgrat und mangelnder interner Vorbereitung. Dass dann ausgesprochen unglaubhafte Plagiatsvorwürfe als Vorwand für eine Vertagung herhalten müssen und dadurch eine weitere Beschädigung der Kandidatin in Kauf genommen wird, ist ein Angriff auf das Ansehen der Wissenschaft und ihrer Vertreterinnen und Vertreter.“