Deutschland, ein Land von Träumern?

Dieser Artikel stammt von ERWIN GABRIEL

Auslöser für diesen Beitrag war der Kommentar des Blogbetreibers auf den verlinkten Beitrag „How Trump’s ‘Big, Beautiful Bill’ Will Make China Great Again:

Wir geben derzeit die Führung in einem der wichtigsten Zukunfts-Sektoren überhaupt vollständig an China ab, rein aus ideologischen Gründen. Ich wette, dass in zehn Jahren, wenn diese Auswirkung klar sichtbar sein wird, dann irgendwie die Linken schuld sein werden. Aber es sind konservative oder rechte Regierungen, die gerade die Axt an unsere künftige Wettbewerbsfähigkeit legen. Don’t forget.

Die Summe an Fehleinschätzungen, die diese wenigen Zeilen enthalten, haben mich dazu bewogen, diesen Beitrag zu schreiben. Die Aussage ist aus mehreren Gründen unzutreffend – und sie steht exemplarisch für eine weitverbreitete Selbstberuhigung: die Illusion, dass „eigentlich“ alles in Ordnung sei. Nein, ist es nicht. Ich möchte mich an dieser Stelle beim Blog-Betreiber Stefan Sasse für die Möglichkeit der Veröffentlichung und bei Stefan Pietsch fürs Gegenlesen und die Unterstützung bei der Veröffentlichung bedanken.

Wer ernsthaft glaubt, dass wirtschaftlich relevante Technologien in einer marktwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaft einfach aus „ideologischen Gründen“ verschwinden, hat die grundlegenden Zusammenhänge entweder nicht verstanden – oder will nicht sehen, wie tief die politischen Versäumnisse tatsächlich reichen. Die Ursachen für das Abwandern von Technologien, unabhängig davon, ob man sie nun zu den „Zukunftssektoren“ zählt oder nicht, sind vielfältig. Und wer sie auf rechte oder konservative ideologische Motive reduziert, betreibt Realitätsverweigerung; es sind eher linke Politiken, die diese Entwicklung treiben.

Tatsächlich war Deutschlands wirtschaftlicher Erfolg über Jahrzehnte hinweg geprägt durch starke Industrien wie den Automobilbau, die Chemie- und Elektroindustrie, den Stahlsektor und den Maschinenbau – Branchen, die auf komplexe Prozesse und hochqualifizierte Arbeitskräfte angewiesen sind. Diese Struktur ermöglichte es uns, weltweit gefragte Hightech-Produkte zu entwickeln und zu exportieren. Darauf basiert unser (inzwischen bröckelnder) Wohlstand.

Die Kehrseite dieses Geschäftsmodells ist, dass der zunehmende technische Fortschritt so wie zunehmende Automatisierung und zunehmendes Verständnis von Produktionsprozessen auch in (ausbildungs-)technisch weniger entwickelten Ländern wie China oder Vietnam die Produktion hochwertiger Waren ermöglicht.

Angesichts dieser Situation hat Deutschland im Wesentlichen zwei Optionen: Entweder es versucht, im internationalen Wettbewerb gegen niedrigere Produktionskosten zu bestehen – ein aussichtsloses Unterfangen angesichts hoher Löhne, strenger Umweltauflagen und ausgeprägter Sozialstandards. Oder es setzt wie gehabt auf anspruchsvolle, zukunftsträchtige Technologien, in denen es seine Stärken – Innovationskraft, Ausbildung, Ingenieurskunst – zur Entfaltung bringen kann. Nebenbei bemerkt zählt die Photovoltaik nicht zu den anspruchsvollen Technologien

An dieser Stelle lohnt sich ein genauer Blick auf die zentralen Kostenfaktoren am Produktionsstandort Deutschland:

Lohnkosten

Ein entscheidender Wettbewerbsfaktor für produzierende Unternehmen sind die Arbeitskosten.

 

Durchschnittliche Arbeitskosten pro geleisteter Stunde im Jahr 2024 in Euro (Quelle für EU-Daten: Statistisches Bundesamt / Eurostat; für die USA: OECD; für China und Vietnam: geschätzt aus unterschiedlichen Quellen). Die Auswahl beschränkt sich auf Länder, in denen die Errichtung und der Betrieb industrieller Produktionsstätten grundsätzlich praktikabel und realistisch ist.

Energiekosten

Auch im Bereich der Energiekosten sieht es für Unternehmen nicht so doll aus.

Quellen: Eurostat, Aenert, Cube Concepts

Steuerliche Belastungen

Ein weiteres entscheidendes Kriterium sind die steuerlichen Belastungen bzw. Unternehmenssteuern.

Körperschaftssteuersätze in ausgewählten Ländern weltweit im Jahr 2024; Quelle: Statista

In China liegt die Unternehmenssteuer je nach Unternehmen (etwa chinesisch oder ausländisch), nach Branche etc. etwa zwischen 5-25%. In den USA setzen sich Unternehmenssteuern aus staatlichen und bundesstaatlichen Elementen zusammen, so dass je nach Produktionsort zwischen 21-30% anfallen; verbunden allerdings mit besseren Abschreibungsmöglichkeiten und einer deutlich lascheren Steuerfahndung als hier.

Jahresarbeitszeit

Natürlich unterscheiden sich andere Länder von uns auch durch die Jahresarbeitszeit pro Mitarbeiter. Hier fiel es mir schwer, zu jedem Land detaillierte Daten nach dem gleichen Maßstab zu finden. Der EU-Durchschnitt liegt bei 1.716 Stunden pro Jahr. Die Werte umfassen sowohl Vollzeit- als auch Teilzeitbeschäftigte, inklusive Überstunden – aber nicht urlaubs- und krankheitsbedingter Ausfälle; dazu kommen wir später.

Quelle: OECD, Stand 2021-2022; bei Nicht-OECD-Staaten* basierend auf regionalen Schätzungen, China: CEIC

China hat zwar offiziell eine 40-Stunden-Woche, inoffiziell gilt im Produktionsgewerbe „System 996“: von 9:00 morgens bis 09:00 abends, 6 Tage die Woche = 72 Wochenstunden).

Krankheitsbedingte Ausfallzeiten

Während Deutschland bei den Arbeitsstunden pro Mitarbeiter im internationalen Vergleich weit hinten liegt, ist es in einer anderen Disziplin (die bei der oben aufgelisteten Jahresarbeitszeit nicht erfasst ist) weit vorne – bei den durch Krankheiten bedingten Ausfallzeiten:

Urlaubs- und Feiertage

Dieser bislang düstere Blick vertieft sich bei einem Blick auf kombinierte Urlaubszeiten und Feiertage. Hier ergeben sich einige Unschärfen, da in Deutschland die Feiertage von Bundesland zu Bundesland variieren, oder in Österreich oder China der Urlaub teilweise von der Länge der bisher geleisteten Dienstzeit abhängt. Die folgende Übersicht bildet also ungefähre Durchschnittswerte ab:

Quellen: Statista, ResearchGate

Produktivität

Wenn Deutsche schon weniger Stunden arbeiten als andere, häufiger krank(geschrieben) sind und länger in Urlaub fahren, können sie dann wenigstens ihre bis dahin nicht gerade optimale Performance durch eine höhere Arbeitsproduktivität ausgleichen? Eher nicht.

Der Schlüsselwert „BIP pro Stunde“ (Einheit „Int$“) ist ein Indikator dafür, wie effizient eine Volkswirtschaft oder ein Unternehmen Ressourcen nutzt, um Güter und Dienstleistungen zu produzieren. Er wird berechnet, indem das Bruttoinlandsprodukt (BIP; Gesamtwert aller Güter und Dienstleistungen, die innerhalb eines Jahres in einem Land produziert werden) durch die Gesamtzahl der geleisteten Arbeitsstunden geteilt wird. Die Arbeitsstunden umfassen alle geleisteten Stunden von Erwerbstätigen; je höher der Wert, desto höher die Produktivität.

Quelle: OECD-/ILO-Daten für 2022/2023

Neben den aktuellen Werten spielt auch der Trend, bzw. die Veränderung der Produktivität im Vergleich zum Vorjahr eine Rolle:

Quelle: Trading Economics

Während die Produktivität in Deutschland von 2000 bis 2010 als Folge der von links so gerne verteufelten Agenda-Politik jährlich um 1-2% stieg, gab es nach 2010 nur noch ein geringes Plus, ab 2017 erst Stagnation, seit 2020 sinkt unsere Produktivität. Damit schneidet Deutschland deutlich schlechter ab als andere EU- oder OECD-Länder.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Es gibt sektorale Verschiebungen, etwa den Anstieg von Beschäftigung in weniger produktiven Bereichen wie Pflege, Bildung oder Dienstleistungen. Auch der technologische Fortschritt (Total Factor Productivity) in Deutschland hinkt im Vergleich zu den USA hinterher; Digitalisierungsinvestitionen für Innovation bleiben gering, insbesondere im öffentlichen Sektor. Auch investieren Unternehmen angesichts zunehmender Bürokratie, hoher Steuerlast und vergleichsweise geringen Vorteilen (etwa Abschreibungsmöglichkeiten) immer weniger; gleichzeitig nimmt die Arbeitszeit pro Beschäftigten ab.

Stabile politische Verhältnisse

Deutschland galt lange als ein Symbol politischer Stabilität – doch diese Zeiten scheinen vorbei zu sein. Dafür gibt es mehrere Gründe:

• Die Flüchtlingssituation und das damit verbundene Erstarken der AfD haben das politische Klima erheblich verändert.
• Deutschland wirkt nach außen zunehmend irrational und orientierungslos, zumindest im Vergleich zu den stabilen Jahren unter Helmut Schmidt, Helmut Kohl oder Gerhard Schröder. Unsere politischen Entscheidungen stoßen nicht nur bei den USA auf Unverständnis, die bereits während der Obama-Ära Schwierigkeiten hatten, unsere Haltung nachzuvollziehen. Auch in der EU, in der viele Länder ähnliche, teils chaotische Wege gehen, ist die Zustimmung zu unserem Kurs eher begrenzt. Das zumindest scheint sich aber seit dem Amtsantritt von Friedrich Merz etwas zu bessern.

Funktionierendes Staatswesen

Deutschland droht an seiner eigenen Regulierungswut zu ersticken. Der Staat produziert eine immer größere Zahl an Gesetzen und Verordnungen – laut Bundesrechtsanwaltskammer sind es inzwischen über 1.700 Bundesgesetze und rund 2.800 Verordnungen –, die Wirtschaft, Verwaltung und Bürger zunehmend lähmen. Vorhaben wie der Wohnungsbau, der Ausbau erneuerbarer Energien oder große Infrastrukturprojekte geraten regelmäßig ins Stocken – nicht wegen Geldmangels, sondern wegen Genehmigungsstaus und Bürokratie.

EU-Vorgaben werden in Deutschland oft nicht nur umgesetzt, sondern „besser gemacht“ – sprich übererfüllt. Aus Brüsseler Rahmenvorgaben entstehen in Berlin verbindliche Vorschriften mit übertriebener Schärfe. So verzögert sich der Windkraftausbau wegen aufwendiger Umweltverträglichkeitsprüfungen – selbst wenn es um Vogelarten geht, die in Nachbarländern längst kein Hinderungsgrund mehr sind. Das geplante LNG-Terminal auf Rügen wurde wegen Naturschutzbedenken monatelang blockiert – trotz Energiekrise.

Behörden können diese Vorschriftenflut längst nicht mehr bewältigen. Die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst steigt zwar stetig, doch das entlastet die Verwaltung kaum. Antragsteller klagen über Wartezeiten von Monaten, manchmal Jahren – etwa bei Bauanträgen oder Unternehmensgründungen. Ein funktionierender Staat sieht anders aus.

Stabiles Rechtssystem

Deutsche Gerichte sind chronisch überlastet, personell unterbesetzt und von einer ausufernden Gesetzesflut überfordert. Statt Rechtssicherheit zu schaffen, produziert das System Rechtsverzögerung – mit teuren, lähmenden Folgen für Wirtschaft, Investitionen und gesellschaftliche Dynamik.

In zentralen Bereichen wie Bau- oder Wirtschaftsrecht sind Verfahren inzwischen zur Geduldsprobe geworden. Bei vielen Landgerichten ist ein Jahr Verfahrensdauer längst die Untergrenze. Selbst Eilverfahren vor Verwaltungsgerichten, einst ein Instrument für zügige Entscheidungen, wirken oft wie ein schlechter Witz – weil „eilbedürftig“ mittlerweile auch bedeuten kann: vielleicht irgendwann in sechs Monaten.

Parallel dazu hat sich eine regelrechte Verhinderungskultur etabliert: Jeder Einzelne, jede Initiative kann Großprojekte mit juristischen Mitteln jahrelang blockieren – ob durch Umweltklagen, Anhörungen, Einwände oder kreative Auslegung formaler Vorgaben. Wer etwas verhindern will, findet in Deutschland immer einen Hebel – auch wenn es nur ein seltener Käfer oder ein fehlendes Komma im Genehmigungsverfahren ist.

Gerichte und Gesetzgeber haben diesen Zustand über Jahre selbst befördert, indem sie sich immer weiter von pragmatischen Maßstäben entfernten und stattdessen einem Idealismus folgten, der mit der Realität oft wenig zu tun hat. Zwar gibt es erste Anzeichen für ein Umdenken – aber aus Sicht von Unternehmen bleibt das Umfeld juristisch unberechenbar, extrem träge und strukturell innovationsfeindlich.

Kurz gesagt: Deutschland ist nicht überreguliert – es ist überreguliert und gleichzeitig unterfunktionsfähig. Und das ist eine gefährliche Kombination.

Verlässlich funktionale Infrastruktur

Deutschland steckt in einem absurden Widerspruch: ein Hochtechnologieland, das logistisch, digital und administrativ immer stärker an Schwellenland-Zustände erinnert. Brücken, Straßen und Wasserwege verfallen trotz permanenter Reparaturen flächendeckend – zu groß war die jahrzehntelange Vernachlässigung der Infrastruktur, um sie in überschaubarem Zeit- und Geldrahmen wieder in Form zu bringen.

Ein Spezial- bzw. Schwertransport – etwa für eine tonnenschwere Präzisionswalze – dauerte früher vom Beladen im Sauerland bis zur Ankunft im Hamburger Hafen nur ein paar Stunden. Heute sind monatelange Planung, Genehmigungen, Streckenfreigaben und Absprachen mit zig Behörden erforderlich: Jede Brücke, jeder Kreisverkehr, jede noch nicht begonnene Baustelle muss vorab analysiert und ggf. umfahren werden – teilweise mit Hunderten von Kilometern Umwegen durch die neuen Bundesländer. Und wehe, es kommt zu einer Verzögerung: Dann kann das bürokratische Spiel von vorne losgehen – mit der gleichen Langsamkeit und der gleichen kafkaesken Logik.

Die Bahn? Kein Trost. Dass inzwischen schon 60 % pünktlich fahrende Fernzüge als Fortschritt gelten, sagt alles. Verspätungen, Störungen, Ausfälle, überfüllte Züge, mangelhafte Infrastruktur – das System wirkt auf Kante genäht, aber niemand näht nach.

Die Digitalisierung ist ein Trauerspiel mit Ankündigung. Funklöcher auf Autobahnen, lahmender Glasfaserausbau, vergessene Fördermittel, Behörden ohne funktionierende Online-Portale – einige Länder sind uns digital nicht ein paar Jahre, sondern fast schon eine ganze Generationen voraus. In Estland erledigt man Behördengänge seit über einem Jahrzehnt per Smartphone – in Deutschland braucht man dafür Formulare, zum Teil noch Faxgeräte und Geduld.

Gut ausgebildete Arbeitskräfte

In keinem Bereich zeigt die Kurve so steil nach unten wie bei der Schulbildung. Was früher ein international anerkanntes Fundament für Ausbildung und Innovation war, verkommt zunehmend zu einem systemischen Risiko für den Standort Deutschland. Aus Sicht vieler Unternehmen ist die Lage nicht nur „besorgniserregend“, sondern bereits „schlimm“ – mit klarer Tendenz zur bildungspolitischen Katastrophe.

Die aktuellen PISA-Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache:

Platz 1: Singapur, 560 Punkte
Platz 3: Taiwan, 533 Punkte
Platz 4: Japan, 533 Punkte
Platz 5: Südkorea, 523 Punkte
Platz 7: Estland, 516 Punkte
Platz 8: Kanada; 506 Punkte
Platz 9: Irland, 504 Punkte
Platz 14: UK, 494 Punkte
Platz 18: USA, 489 Punkte
Platz 21: Österreich, 486 Punkte
Platz 25: Deutschland, 482 Punkte

Deutschlands Schülerinnen und Schüler rutschen in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften weiter ab – während Länder wie Estland, Korea oder Kanada mit Struktur, Digitalität und Disziplin längst vorbeigezogen sind. Jahr für Jahr verlassen Zehntausende Jugendliche die Schulen mit gravierenden Lücken in Grundkompetenzen – und landen dann in Ausbildungssystemen, die genau diese Grundlagen dringend voraussetzen.

Ausbildungsbetriebe berichten zunehmend von Bewerbern, die einfache Textverständnisaufgaben nicht lösen können, Grundrechenarten nicht sicher beherrschen und kaum über Konzentrationsfähigkeit oder Sprachsicherheit verfügen. Gleichzeitig werden die Ansprüche in den Lehrplänen (oder auch bei der
Führerscheinprüfung) weiter gesenkt – teils aus ideologischen, teils aus systemischen Gründen, um den Lehrermangel zu kaschieren und schlechte Abschlüsse „statistisch zu glätten“. Bildung ist das Rückgrat jedes Wirtschaftsstandorts. Und dieses Rückgrat beginnt ernsthaft zu brechen.

Während Unternehmen verzweifelt nach qualifiziertem Nachwuchs suchen, werden junge Menschen in ein Studienangebot gedrängt, das vor lauter Vielfalt jede Orientierung verliert. Allein im Wintersemester 2023/2024 boten deutsche Hochschulen über 22.000 Studiengänge an – darunter rund 10.000 Bachelor- und ebenso viele Masterprogramme, flankiert von kirchlichen und sonstigen Abschlüssen. Gleichzeitig gibt es in Deutschland rund 320 anerkannte Ausbildungsberufe – das Verhältnis spricht Bände. Kein Wunder, dass von den 481.000 Studienanfängern 2023 voraussichtlich ein Drittel ohne Abschluss ausscheiden wird.

Berufliche Orientierung? Fehlanzeige. Systematische Förderung praktischer Begabungen? Mangelware. Während sich Hochschulen in teils absurde Spezialisierungen verzetteln, verwaisen Handwerksbetriebe, Ausbildungsplätze und industrielle Lehrwerkstätten – der Maschinenraum des Landes. Dabei tickt längst die demografische Uhr: Bis 2036 werden rund 20 Millionen Baby Boomer aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Eine adäquate Zahl qualifizierter Nachrücker? Nicht annähernd in Sicht.

Was bliebe, wäre die Hoffnung auf qualifizierte Zuwanderung (die unsere bereits durch unqualifizierte Zuwanderung erheblich verstärkten Probleme noch weiter befeuern würde). Doch auch die wird systematisch erschwert. Bürokratische Verfahren sind zäh, intransparent und realitätsfern. Wer als Fachkraft nach Deutschland will, kämpft sich durch monatelange Antragsprozesse, nur um dann auf ein Sprachproblem, ein unübersichtliches Steuer- und Abgabensystem, rigide Vorschriften und eine oft reservierte oder ablehnende Gesellschaft zu treffen. Deutschland ist für viele Hochqualifizierte weder attraktiv noch einladend.

Arbeitsethik / Arbeitsmoral

Obwohl die bisher genannten Probleme schwer genug wiegen, werden sie von einem größeren überschattet: Für viele Menschen verliert die Arbeit ihren Stellenwert. Die durchschnittliche Jahresarbeitszeit liegt im internationalen Vergleich längst auf einem der letzten Plätze – Tendenz weiter sinkend. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Immer mehr Menschen wollen schlicht nicht mehr arbeiten. Und das wird auch immer offener ausgesprochen. Die Lust auf oder Motivation durch Leistung, Verantwortung, Durchhaltevermögen scheint sich im freien Fall zu befinden.

Burnout ist inzwischen fast schon Volkskrankheit und Ausrede zugleich. Laut AOK kamen zuletzt fast 7 Fälle pro 1.000 Versicherte auf Burnout – zwei mehr als vor zehn Jahren. 61 % der Beschäftigten in Deutschland geben an, sich vor einem Burnout zu fürchten, jeder Fünfte hält das eigene Risiko für hoch. Das allein wäre noch kein Problem – wenn dem eine Debatte über Arbeitskultur, Resilienz und Zielorientierung folgen würde. Stattdessen wächst die Opferhaltung.

Der neue deutsche Traum scheint zu sein: Früh raus, wenig Stress, maximaler Selbstbezug. In meinem Umfeld gehen alle Frührentner ganz offen deshalb früher, weil sie „keinen Bock mehr haben“. Die jungen Menschen mit ausgeprägten Karrierezielen aus meinem entfernten Bekanntenkreis (in der Regel aus dem Bekanntenkreis meiner Töchter) kommen fast ausschließlich aus dem asiatischen Kulturkreis. Was Deutschland braucht, ist nicht nur mehr Zuwanderung, Digitalisierung und Bildungsreform. Es braucht vor allem eine neue Haltung zur Arbeit. Sonst helfen auch 22.000 Studiengänge, Milliarden Euro für Transformation und Einwanderungsgesetze nicht.

Ich wette, dass in zehn Jahren, wenn diese Auswirkung klar sichtbar sein wird, dann irgendwie die Linken schuld sein werden.

Man muss keine zehn Jahre mehr warten, bis sich die politischen Fehlentwicklungen in Deutschland zeigen – sie sind längst da. Wer behauptet, die Krise komme erst noch, hat die letzten 10 bis 20 Jahre weggeschaut. Und ja: In weiten Teilen ist das Ergebnis einer Politik, die man grob als „links“ bezeichnen kann – vielleicht nicht in jedem Falle parteipolitisch im engeren Sinne, sondern weltanschaulich geprägt.

Der Verlust industrieller Wertschöpfung ist bereits messbar. Zwischen 1991 und 2022 schrumpfte der Anteil der Industrie am deutschen Bruttoinlandsprodukt von etwa 32 % auf rund 20 %. Hohe (Mindest-)Löhne sind seit jeher eine linke Forderung. Die Idee, dass sich ein Lohn nach dem richten soll, „was ein Mensch braucht, um anständig zu leben“, klingt moralisch fein, ignoriert aber wirtschaftliche Realitäten; irgendjemand muss das bezahlen. Was daraus folgt, sieht man heute: eine verfestigte Niedriglohnschicht mit Mindestlohn.

Steuern und Abgaben? Ebenfalls auf linkes Betreiben (bzw. durch die enormen Finanzierungsbedürfnisse für links geprägte „soziale“ Versorgung) unter linker Kuratierung nach oben geschraubt. Die Abgabenlast liegt in Deutschland mit an der EU-Spitze. Dasselbe gilt für Strompreise – ebenfalls politisch gewollt. Und ja: auch für eine großzügige Zuwanderungspolitik, die nicht nur integrationspolitisch überfordert, sondern inzwischen sichtbar Bildungseinrichtungen überlastet, Ressentiments befeuert und das Vertrauen in staatliche Steuerung untergräbt.

Und bitte – man komme mir nicht mit Merkel und der Union. Ihre Regierungen, besonders ab der großen Koalition, waren im Kern SPD-geführte Projekte mit CDU-Logo. Konservative Inhalte? In der Sozial- und Gesellschaftspolitik praktisch nicht mehr existent. Wirtschaftsflaute, teilweise dysfunktionale Verwaltung, sinkende Bildungsqualität, zunehmende politische Polarisierung – all das sind Resultate von Politik, die Idealismus über Realität und Absicherung über Eigenverantwortung gestellt hat.

Aber es sind konservative oder rechte Regierungen, die gerade die Axt an unsere künftige Wettbewerbsfähigkeit legen.

Eher nicht. Aber wenn man „konservative oder rechte Regierungen“ durch „Unionsregierungen mit SPD-Beteiligung“ ersetzt, muss ich zu meinem Leidwesen zustimmen. Unter Kanzlerin Merkel ist Deutschland ein paar Mal falsch abgebogen; mit langfristigen, fatalen Folgen: Deutschland ist gerade dabei, seine industrielle Wertschöpfung weitgehend aufgegeben und wird sie kaum zurückgewinnen können.

Strategisch sinnvoll wäre der Fokus auf Technologien, in denen noch echte Differenzierung möglich ist – etwa Halbleiterfertigung, industrielle KI-Anwendungen, grüne Prozess- und Werkstofftechnologien, Wasserstoffwirtschaft oder hochwertige Maschinen- und Anlagenkonzepte für eine dekarbonisierte Industrie. Hier liegt durchaus Potenzial – wenn man es politisch erkennt, nicht ideologisch, sondern wirtschaftlich sinnvoll fördert und technologisch zur Reife bringt.

Aber das ist in diesem Land nicht mehr möglich. Hier wird alles zerredet und zerstritten, und derart in Regularien gehüllt, dass eine Umsetzung hierzulande nicht möglich ist. Selbst gut gemeinte und in die richtige Richtung zielende Initiativen – wie etwa das von Wirtschaftsminister Habeck angestrebte Heizungsgesetz – verlieren sich in Bürokratie, politischen Grabenkämpfen und ideologischer Selbstblockade.

Eine sinnvolle, erforderliche und technologie-offenen Forschungs- und Wirtschaftsförderung ist in unserer immer stärker zerrissenen, durch linke Umverteilungsträume und Enteignungs-Sehnsüchten sowie durch rechte stumpfe, gegen alle Nichtdeutschen gerichtete Fremdenfeindlichkeit geprägten Gesellschaft schlichtweg politisch nicht umsetzbar.

PS: Es ist durchaus legitim, eine idealistische, ideologisch geprägte (= progressiv laut Stefan Sasse) Sicht auf die Welt zu haben. Ich kann diese Sicht gut nachvollziehen; sie entspricht den Idealen meiner Jugend. Nur: die Folgen dieser Sicht bezahlen sich nicht von selbst. Irgendwer muss das Geld verdienen, und denen macht man es gerade schwer wie nie zuvor.

{ 69 comments… add one }
  • DerDieDas 23. Juli 2025, 12:24

    Man fragt sich angesichts der anscheinend in Deutschland herrschenden Dritte-Welt-Verhältnisse inklusive einer arbeitsscheuen Bevölkerung (Ausländer!), wie die deutsche Wirtschaft im Jahr 2024 einen Leistungsbilanzüberschuss von 246,7 Milliar­den € (= 5,7 % des BIP) erwirtschaften konnte. Und damit ist auch schon die ganze heiße Luft aus dem obigen Elaborat und man muss dann auch nicht mehr erwähnen, dass dort haufenweise irrelevante Zahlen ohne jede Aussagekraft angeführt werden.

    • Stefan Pietsch 23. Juli 2025, 13:13

      Die Exporte sind in absoluten Zahlen seit der Pandemie rückläufig. Der Saldo lag vor wenigen Jahren bei knapp 9 Prozent, was damals skandalisiert wurde. Also, in Ihren eigenen Worten ist das Land damit auf dem absteigenden Ast.

      Übrigens scheinen Sie selbst nicht zu wissen, mit welchen Zahlen man eigentlich noch blühende Landschaften nachweisen könnte. Oder eine fleißige, kompetente Erwerbsbevölkerung.

      • DerDieDas 23. Juli 2025, 14:26

        Der Leistungsbilanzüberschuss 2025 entspricht ungefähr dem zwischen 2004 und 2014, so viel zum absteigenden Ast. Man müsste allerdings wenigstens über ein klein bisschen makroökonomische Expertise verfügen um zu verstehen, warum ein Leistungsbilanzüberschuss von 9 % des BIPs «skandalisiert» wird. Aber das ist vergebliche Hoffnung.

        • Erwin Gabriel 23. Juli 2025, 15:30

          @ DerDieDas

          Ich war von Deiner ersten Antwort schon etwas enttäuscht: nur irgendeine aus dem Zusammenhang gerissene Zahl ohne nähere Erläuterung, um Dutzende Studien und Institute zu banalisieren, aber sonst? Das war fast schon beleidigend dürftig.

          Aber mit dem unterschwelligen Hinweis auf Dein hohes Verständnis von „Makroökonomie“ und der nicht ganz so unterschwelligen Unterstellung, dass anderen dieses Verständnis offenbar vollkommen fehlt, hast Du Dein gewohntes sprachliches und intellektuelles Niveau wieder erreicht. Daumen hoch !

  • Stefan Sasse 23. Juli 2025, 14:06

    Danke für deine Arbeit! Ein Ding, an dem ich mich erstmal reibe, ist dein Schlussteil. Dieses „frühere CDU-Regierungen waren nicht konservativ, sondern links, weil ich ihre Politik nicht mag“ führt zu nichts. Ich kenn das aus dem linken Lager zur Genüge, wo auch immer abgestritten wird, dass etwas links ist, weil es zu viele Kompromisse gab.

    • Erwin Gabriel 23. Juli 2025, 15:19

      @ Stefan Sasse

      Danke für deine Arbeit!

      Vielen Dank zurück.

      Dieses „frühere CDU-Regierungen waren nicht konservativ, sondern links, weil ich ihre Politik nicht mag“ führt zu nichts.

      Hab ich so nicht geschrieben. Zum einen „Union“, weil die CSU, ähnlich verteilsüchtig wie die SPD, stets mit dabei war.

      Mein Punkt ist: Merkel hat vielleicht Unionspolitik betrieben oder versucht, es einer breiten, bequem gewordenen Mitte recht zu machen. Aber sie hat definitiv keine konservative oder „rechte“ Politik gemacht. Weder die Rücknahme der strengen Agenda-Vorgaben noch der üppig erfolgte Ausbau des Sozialstaats, die Griechenland-Rettung, die Flüchtlingskrise, die Vernachlässigung der Infrastruktur, die jahrzehntelange Beibehaltung des Solis, die starken Reglementierungen während der Corona-Pandemie oder die Fast-Auflösung der Bundeswehr waren „rechte“ oder konservative Policies.

      Am ehesten ginge dafür die „Schwarze Null“ der Schuldenbremse durch. Aber auch das war eine halbe Mogelpackung, da die Steuereinnahmen zumindest in den ersten Merkel-Jahren, befeuert durch die Agenda 2010, überaus kräftig wuchsen. Man hat nicht wirklich gespart, sondern den weiteren Ausbau des Sozialstaats ohne Schulden finanzieren können.

      • Stefan Sasse 23. Juli 2025, 16:31

        Merkel hat den Konservatismus modernisiert. Aber sie war trotz allem eine konservative Kanzlerin. Was sie sicher nicht war, ist rechts. Aber ihr habt ja selbst oft genug drauf bestanden, dass das nicht dasselbe ist. Ein bisschen wie Gerhard Schröder: vielleicht sozialdemokratische Politik, aber nicht links.

        Die Schuldenbremse sagt aber auch nicht „reduziert Staatsausgaben“, sondern „beschränkt Schuldenaufnahme“.

        • Stefan Pietsch 23. Juli 2025, 17:20

          Wo war Merkel konservativ?

          Sie war nach allem was man weiß nicht besonders christlich. Eigene Kinder hat sich nicht. Sie hat den Weg für die Ehe für alle freigemacht.

          Ihre Politik war in Teilen erratisch, vor allem opportunistisch. Das zeigte sich vom ersten Tag ihrer Kanzlerschaft an. Alles, was konservativen Menschen heilig ist, bedeutete ihr nichts. Sie war schließlich nur per Zufall bei der CDU gelandet und wusste am Ende nicht mehr, dass das ihre Partei war. Mit dem Ausscheiden aus dem Amt hat sie alles, was sie mit ihrer (ehemaligen) Partei verbindet, weggeworfen. Sie lehnte den Ehrenvorsitz ab, kuschelt mit Grünen, während sie ihrem Nachfolger Knüppel zwischen die Beine wirft wie das keiner ihrer Amtsvorgänger je gemacht hat. Sie zeigt da auch noch eine besondere Charakterlosigkeit.

          Wo hat sie die Union modernisiert? Sie hat Millionen konservative Menschen heimatlos gemacht ohne ihrer Partei neue Wählergruppen zu erschließen. Sie hat selbst Großstädte wie Frankfurt verloren. Am Ende ihrer Amtszeit war die CDU ein zerstrittener Haufen wie wohl nie in ihrer Geschichte. Die Wahrheit ist nämlich: Während über 40 Prozent der Funktionäre der alten Merkel anhängen, ist hat sie in der Partei keine Bataillone. Friedrich Merz wurde mit 90 Prozent von den Mitgliedern gewählt. Das war ein Statement.

          • Stefan Sasse 23. Juli 2025, 19:00

            Merkel hat vier Bundestagswahlen gewonnen und hätte auch die fünfte gewuppt. Merz hat eine mit Ach und Krach durchgestanden. Schauen wir mal, wie es weitergeht. Ansonsten hatte Merkels Politik große Zustimmung, auch in ihrer eigenen Partei. Und keine neuen Wählendengruppen erschlossen? Massenhaft! 2013 hat sie fast die absolute Mehrheit der Sitze geholt. Weck mich, wenn Merz Ergebnisse jenseits der 35% einfährt.

            Ansonsten: Merkel passte wesentlich besser zur CDU, als ihre Gegner oft behaupten. Sie ist durchaus konservativ, nur halt nicht wie Merz.

            Dass die extrem opportunistisch regiert hat – ja, kein Zweifel, das wissen wir alle. Aber das hat ja nichts mit der Einstellung zu tun. Grüne können auch opportunistisch sein. Oder AfDler.

            • Stefan Pietsch 23. Juli 2025, 19:56

              Schröder hat auch mehrere Bundestagswahlen gewonnen, trotzdem war er kein Konservativer. Das ist kein Argument. Ein Argument ist eher, dass am Ende von Merkels Regierungszeit die Hälfte (!) der Unionswähler angaben, sofort eine Partei zu wählen, die zwischen ihrer CDU und der AfD positioniert wäre. Davon schrieb ich im Frühsommer 2021. Sicher war sie 2013 knapp an der absoluten Mehrheit (was ihr laut Insidern nicht gepasst hätte), stürzte aber 2017 auf das tiefste Ergebnis der Unionsgeschichte. Auch 2005 brachte sie die Union gerade auf Augenhöhe mit einer abgehalfterten SPD.

              Das Geheimnis ihres Erfolges war, dass viele CDU wählten, wegen „der Merkel“. Hauptsächlich Frauen, die sich sonst nicht für Politik interessierten. Allerdings schaffte sie es eben nicht den Frauenanteil unter den Unionswählern zu erhöhen. Du kannst ja auch keine dezidierte Wählergruppe nennen, die Merkel geholt hätte. Und: 2013 holte Per Steinbrück 27 Prozent, womit acht Jahre später Olaf Scholz Kanzler wurde. Tatsächlich war Merkels Vorteil bis 2017, dass das linke Lager zerfasert war (die Grünen kamen immer unter 10 Prozent), während das rechte Lager noch stand. Genau das hat sie ja eindrucksvoll zerhauen, weshalb ein Merz auch nicht mehr auf 35 Prozent kommen kann. Weil, Stefan, da ist ja eine AfD, das Monster, das Merkel erschaffen hat.

              Quintessenz: Du kannst in diesen Debatten nie einen Punkt nennen, der Merkel als Konservative auszeichnet und ignorierst ihr eigenes Verhalten, die schon 2021 lieber Annalena Baerbock als ihre Nachfolgerin gesehen hätte (Laschet gewährte sie keine Unterstützung) und 2024 lieber Jürgen Trittin herzlich verabschiedete als mit ihrer Partei zu feiern.

              Was halt jemand so macht, wenn er eng in der CDU verwurzelt ist.

              • Stefan Sasse 23. Juli 2025, 21:42

                Das Argument war auch nicht, dass gewonnene BT-Wahlen beweisen, dass sie konservativ war, sondern dass sie offensichtlich nicht eine Politik gegen die Mehrheitsmeinung oder gegen die eigene Partei gemacht hat. Man tritt nicht viermal als BK an, wenn die Partei einen nicht will.

                Und ja, das trifft auf die Hälfte der Unionswählenden zu. Die andere Hälfte wählt eine, die zwischen CDU und SPD positioniert wäre. Ergo braucht die Partei beide Standbeine und Kompromisse. Die frühere Volkspartei hat das verstanden.

                • Erwin Gabriel 24. Juli 2025, 10:23

                  @ Stefan Sasse

                  Das Argument war auch nicht, dass gewonnene BT-Wahlen beweisen, dass sie konservativ war, …

                  Doch, das war Dein Argument

                  • Stefan Sasse 24. Juli 2025, 18:59

                    Nein, das bezog sich darauf, dass sie offensichtlich nicht von der ganzen CDU als böser Fremdkörper gesehen wurde.

                    • Erwin Gabriel 26. Juli 2025, 19:13

                      @ Stefan Sasse

                      Nein, …

                      Immer noch „doch“, denn …

                      … das bezog sich darauf, dass sie offensichtlich nicht von der ganzen CDU als böser Fremdkörper gesehen wurde.

                      … das hast Du weder geschrieben, noch wurde von Stefan Pietsch oder mir etwas Entsprechendes behauptet, noch ist das für die Diskussion relevant.

            • Erwin Gabriel 23. Juli 2025, 21:19

              @Stefan Sasse 23. Juli 2025, 19:00

              Hallo Stefan

              Das war die Frage an Dich:

              Wo war Merkel konservativ?,

              und das ist keine Antwort darauf:

              Merkel hat vier Bundestagswahlen gewonnen und hätte auch die fünfte gewuppt.

              2013 hat sie fast die absolute Mehrheit der Sitze geholt. Weck mich, wenn Merz Ergebnisse jenseits der 35% einfährt.

              Das ist sehr unseriös argumentiert.

              Merkel hat 2013 41,5% der Stimmen geholt, also im Vergleich zur Bundestagswahl 2009 um 7,7% zugelegt. Vier Jahre später (2017) hatte sie mit 32,9% gleich wieder 8,8% verloren. 2021 ging es für die CDU nochmal um 8,8% nach unten, auf 24.1% der Stimmen. Die Herrin hat’s gegeben, die Herrin hat’s genommen.

              Merz hat mit 28,5% der Stimmen (entspricht einem Plus von 4,4%) wenigstens ansatzweise konsolidiert. Und hätte sich Frau Merkel nicht eingemischt (bzw. hätte sie Merz unterstützt, statt ihn anzugehen), wären es wohl noch ein paar Krümel mehr geworden.

              Weck mich, wenn Du wieder klar rechnen kannst.

              • Stefan Sasse 23. Juli 2025, 21:44

                Wir können uns diese Zahlen noch lange an den Kopf werfen und sie immer so drehen, dass sie unsere Argumentation stützen, fürchte ich.

                • Erwin Gabriel 23. Juli 2025, 22:38

                  @ Stefan Sasse

                  Wir können uns diese Zahlen noch lange an den Kopf werfen und sie immer so drehen, dass sie unsere Argumentation stützen, fürchte ich.

                  Ich beschreibe Politiken, die ich für schädlich halte. Du äußerst Dich nicht zu den Politiken, aber nennst sie konservativ.
                  ???

                  Wir fragen, an welchen Stellen Merkel konservativ sei. Deine (etwas überhebliche) Antwort war der Verweis auf ein Super-Wahlergebnis.
                  ???

                  Wir weisen darauf hin, dass die anderen Wahlergebnisse schlecht waren. Deine Antwort ist, das die Leute sie trotzdem gewählt haben.
                  ???

                  Alles richtig, was Du schreibst. Aber es wäre schön, wenn Du auf Aussagen eingehst, statt ständig irgendetwas Belang-und Bezugloses zu antworten.

                  • Stefan Sasse 24. Juli 2025, 06:48

                    Schädlich oder nicht schädlich hat doch nichts mit konservativ zu tun, das ist doch mein Punkt! Ich halte ihr gesamtes finanzpolitisches Handeln für konservativ. Ihre Sicherheitspolitik im Inneren war ziemlich konservativ. Ihre Gesellschaftspolitik an sich auch (ein vorsichtiges, schrittweises Modernisieren, also genau das, was Konservative immer sagen, wie Wandel ablaufen soll). Etc.

                    Was die Wahlergebnisse angeht: die waren nicht schlecht. Aber die Maßstäbe die wir beide da haben sind halt letztlich nicht objektiv. Du misst Merz am schlechtesten Wahlergebnis der CDU ever, während ich eher auf die gewonnenen Wahlen schaue. Welcher Maßstab ist „richtig“? Keiner.

                    • Stefan Pietsch 24. Juli 2025, 09:19

                      Finanzpolitik:
                      Die Schuldenbremse war eine Idee des damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering und wurde von Merkel nur begleitet, nicht forciert. Und es war dann ihr späterer Finanzminister Wolfgang Schäuble, ein echter Konservativer, der die erstmalige Einhaltung der Schuldenbremse zu seinem Markenzeichen machte. So wie er zwei Legislaturperioden die Ausgabenpolitik bestimmte. Merkels Politik selbst, so sie in Finanzdingen mitmischte, war von einer gewissen Freigebigkeit geprägt.

                      Als zu Beginn der Eurokrise die ersten Rettungspakete diskutiert wurden, ist von ihr das Bonmot überliefert – das stand damals im SPIEGEL – sie könne mehr ihren Leuten nicht verkaufen, da bekäme sie keine Mehrheit im Bundestag. Mit anderen Worten: Merkel selbst wäre insbesondere den Griechen weit mehr entgegengekommen. Konservativ? Eher nicht.

                      Sicherheitspolitik:
                      Eine der wesentlichen Maßnahmen ihrer Amtszeit war erst die stetige Kürzung des Bundeswehretats und schließlich die Abschaffung der Wehrpflicht auf Vorschlag ihres Verteidigungsministers. Widerstand ist von ihr nicht überliefert. Auf die zunehmenden Gefahren durch den terroristischen Islamismus reagierte sie sehr zurückhaltend, Law & Order-Politik lässt sich ihr wahrlich nicht sagen. Im Gegenteil, sie war diejenige die abweichend von Artikel 16a GG die Grenzen weit öffnete. Auf den Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz reagierte sie selbst nach Monaten sehr zurückhaltend, vornehm ausgedrückt. Erst am ersten Jahrestag nahm sie an einer Gedenkveranstaltung teil.

                      Von ihrer Gesellschaftspolitik sind nur Maßnahmen überliefert, die über Kreuz mit konservativen Wertvorstellungen lagen. Sie war es auch, die die katholische Kirche am meisten kritisierte.

                      Im Wahlkampf 2017 war sie auch in meinem Heimatort Gelnhausen (der mit den Syrern im Freibad). Die Stadt wählt seit Uhrzeiten CDU, in den Achtzigerjahren fuhren die Konservativen noch Ergebnisse weit über 50 Prozent ein. Es ist eine ideale Stadt für CDU-Kandidaten. Dennoch geschah damals Ungeheuerliches, Merkel wurde die ganze Zeit laut ausgepfiffen, die Leute waren total aufgebracht. In den Osten wagte sie sich zu der Zeit ohnehin nicht mehr. Der Wahlausgang ist bekannt: Die AfD erhielt damals über 16 Prozent, die FDP kam auf 11 Prozent. Genau das zeigt die Entfremdung der Konservativen von Merkel schon damals. Viele wählten die CDU nur noch mit der Faust in der Tasche, denn Konservative sind, Glück für Merkel, treue, loyale Wähler.

                    • Erwin Gabriel 27. Juli 2025, 23:48

                      @ Stefan Sasse

                      Du misst Merz am schlechtesten Wahlergebnis der CDU ever, während ich eher auf die gewonnenen Wahlen schaue.

                      Du hast es immer noch nicht begriffen. Ich habe nicht über Wahlergebnisse oder Parteien geschrieben, sondern über politische Entwicklungen.

          • Lemmy Caution 24. Juli 2025, 15:44

            Deutschland war über lange Jahre das einzige OECD Land, das Schulden reduzieren konnte.

            • Stefan Pietsch 24. Juli 2025, 18:09

              Das stimmt nicht. Erstens hat Deutschland nicht bzw. nicht in nennenswerten Umfang Schulden reduziert. Verringert hat sich die Schuldenquote aufgrund eines geringeren Schuldenwachstums. Zweitens haben auch auch die nordeuropäischen Länder und Luxemburg teilweise noch niedrigere Schuldenstände. Vor allem aber: Die niedrige Schuldenquote. Anfang der Zwanzigerjahre war lange genau so zu erwarten gewesen, fällt trotzdem höher aus als Ende der Nullerjahre erwartet und ist der Spielraum für den Anstieg der Schuldenquote zwischen 2025 und 2045. Denn leider, leider schrumpft in Deutschland in dieser Zeit die Erwerbsbevölkerung ganz gravierend, was automatisch zu höheren (relativen) Schulden führen wird. Und dann kommen noch die wachsenden Ausgaben für Altersversorgung und Gesundheit on top.

        • Erwin Gabriel 23. Juli 2025, 18:18

          @ Stefan Sasse 23. Juli 2025, 16:31

          Ich finde Deine Antworten ein Stück weit befremdlich. Zuerst unterstellst Du mir (als einzige Reaktion auf meinen Beitrag) fälschlicherweise, dass ich „CDU“-Politik als „links“ empfinde, weil sie mir nicht gefalle. Habe ich nicht gemacht. Aber der ganze Beitrag ist eine Reaktion darauf, dass Du Politik, die Du offenbar nicht verstanden hast, als „konservativ“ und „rechts“ abzutun, weil sie Dir nicht gefällt.

          Dann sagst Du, Merkel sei „modern-konservativ“ gewesen (von mir unterschwellig verstandene Begründung „sie war CDU-Kanzlerin“), mithin konservativ, dabei hatte ich Dir anhand zahlreicher Policiy-Beispielen erläutert, dass sie mitnichten konservative Politik betrieben hat.

          • Ausbau des Sozialstaats
          • Milliarden Euro teure Griechenland-Rettung
          • unregulierte, unkontrollierte Aufnahme von Millionen von Flüchtlingen,die keinen Anspruch hatten, hierher zu kommen
          • Vernachlässigung der (Verkehrs-)Infrastruktur
          • eine mit erlogenen Argumenten beibehaltene Steuer für Besserverdienende und Unternehmen (Soli)
          • starke Reglementierungen und Einschränkung von freiheitsrechten während der Corona-Pandemie
          • Aussetzen der Wehrpflicht, Fast-Auflösung der Bundeswehr
          • Ehe für Alle (nur der Vollständigkeit halber; das hatte bei weitem nicht die Bedeutung der anderen Policies)

          Welche dieser Politik-Ausrichtungen ist den „konservativ“? Ich rede erstmal nicht von richtig oder falsch.

          Und wenn ich schreibe, dass man wenigstens bei der Schuldenpolitik Merkel einen halbwegs konservativen Kurs zubilligen kann (ich wüsste nicht wo sonst), erklärst Du mir die Schuldenbremse, nachdem Du zehn Jahre lang zu selbiger erklärt hast, dass die Schuldenbremse die Schuldenaufnahme verhindere, was etwa Stefan Pietsch und ich stets bestritten?

          Bist Du sicher, dass Du überhaupt einen Satz verstanden hast von dem, was ich da oben geschrieben habe? Ich lese nur eine Morgenstern-Antwort („weil nicht sein kann, was nicht sein darf“) ohne irgendeinen Bezug zu einer der obenstehenden Zahlen bzw. Interpretationen. Die oben beschriebenen Zustände scheinen Dich nicht zu interessieren; das Einzige, was ich lese, ist Dein Versuch, auf Negatives (ohne Verständnis für dessen Ursachen) irgendwie die Label „konservativ“ und „rechts“ draufkleben zu können.

          Da brauche ich mir das nächste Mal die Arbeit nichtmachen.

          • Stefan Sasse 23. Juli 2025, 19:03

            Auch Kohl hat den Sozialstaat ausgebaut!
            Auch Kohl hat mit Milliarden andere gestützt, von Irakkrieg zu Wiedervereinnigung.
            Flüchtlinge – true.
            Die Infrastruktur – true. Aber die zu erhalten lief im kompletten Gegensatz zum konservativen Mainstream. Da kein Geld locker zu machen und stattdessen entweder nichts zu machen oder privatisieren WAR konservative Politik.
            Erlogene Steuerargumente – da mangelte es Kohl nicht eben dran.
            Coronapandemie – Reglementieren und Einschränken ist SEHR konservativ. Es ist nicht liberal. Aber Konservative haben zippo Probleme mit Einschränkungen.
            Aussetzen der Wehrpflicht – war ebenfalls Mainstream, auch konservativer Mainstream.
            Ehe für alle hat sie abgelehnt. Da war sie konservativ.

            Ansonsten verstehe ich durchaus was du schreibst und habe in meine Antwort auch reingepackt, dass ich erstmal nur auf diesen Punkt eingehe, weil ich für den Rest noch keine Zeit hatte.

            • Stefan Pietsch 23. Juli 2025, 20:02

              Erlogene Steuerargumente? Glaubst Du immer noch, die Stoltenberg’sche Steuerreform habe den Staat Einnahmen gekostet, weil Du das aus einem Deiner Märchen-, Entschuldigung, Geschichtsbücher hast? Schau‘ Dir einfach die Einkommensteuerstatistik von 1988 – 1991 an.

              Kohl hat
              – die Einkommensteuersätze gesenkt,
              – die Körperschaftsteuer reduziert,
              – die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft,
              – die Börsenumsatzsteuer abgeschafft,
              – die Vermögensteuer ausgesetzt.

            • Erwin Gabriel 23. Juli 2025, 21:03

              @ Stefan Sasse 23. Juli 2025, 19:03

              Auch Kohl hat …

              So wie Kohl und Merkel „linke“ Politik gemacht haben (Beispiele habe ich genug gelistet), haben auch Brandt, Schmidt und Schröder Policies betrieben, die ich eher konservativ/rechts nennen würde: Aufrüstung, Agenda 2010. Wenn die Politik richtig/nützlich bzw. falsch/schädlich ist, ist sie richtig/nützlich bzw. falsch/schädlich – egal, von wem.

              Du hast mit Deinem Satz „Aber es sind konservative oder rechte Regierungen… Parteien ins Spiel gebracht, nicht ich.

              In weiten Teilen ist das Ergebnis einer Politik, die man grob als „links“ bezeichnen kann – vielleicht nicht in jedem Falle parteipolitisch im engeren Sinne, sondern weltanschaulich geprägt.

              Mir ging und geht es in erster Linie darum, falsche Politik zu kritisieren; Schuldzuweisungen an einzelne Parteien habe ich bewusst unterlassen. Klar, Schmidt, Kohl und Schröder haben ebenfalls viel Mist gebaut, aber auch Gutes geleistet. Bei Merkel habe ich das Gute noch nicht gefunden (bei Scholz übrigens auch nicht).

              Aber es stimmt ja: Grundsätzlich ist eine Politik, die von Reicheren Geld kassiert und an Ärmere weitergibt, weltanschaulich eher links. Mich stört daran nicht das Prinzip, sondern die Umsetzung. Soll man Reiche „abkassieren“, um Armen zu helfen? Ja, unbedingt! Schafft man das? Nein, keinesfalls; weder werden die wirklich Reichen (vulgo: Milliardäre) behelligt, noch werden die wirklich Armen versorgt.

              Und nun kommt’s: Weil man die wirklich Reichen nicht erreicht, kassiert man die obere Mittelklasse ab. Und weil man die wirklich Armen nicht erreicht, stopft man das Geld in die untere Mittelklasse, vielleicht noch eine halbe Etage tiefer. Und weil es deswegen immer noch hilfsbedürftige Arme und im Überfluss lebende Milliardäre gibt, zieht man die Wohlhabenden noch stärker ab und gibt denen in der Etage darunter noch mehr – hat nicht funktioniert, also mehr davon. Und mit dieser Argumentation, dass es so viele so Reiche und noch mehr so Arme gibt, treibt man den Raubbau im Mittelstand immer weiter, bringt eine überflüssige Leistung nach der anderen ins System, gewöhnt eine eigentlich allein lebensfähige Familie nach der anderen an den Tropf. Und hier sind wir irgendwann nicht mehr im weltanschaulichen, sondern im parteipolitischen Bereich.

              Dieses Weglocken von selbstständigem, eigenverantwortlichen Handeln zerstört unsere Gesellschaft immer weiter (bzw. macht aus einer leistungsfähigen Gesellschaft nach und nach eine von Leistungen abhängige Gesellschaft).

              Es ist diese Politik, die mich stört. Die wird nicht besser oder schlechter, wenn Du sie „konservativ“ nennst..

              • Stefan Sasse 23. Juli 2025, 21:44

                Ja, aber genau das meine ich doch…?

                Kein Widerspruch.

                • Erwin Gabriel 24. Juli 2025, 09:51

                  @ Stefan Sasse

                  Du widersprichst zu jedem Punkt, den ich anspreche, und wechselst jedesmal das Thema, weil Du mir zustimmst?

                  Das muss ich hoffentlich nicht verstehen.

  • Andy 23. Juli 2025, 14:36

    Arbeitskostenzahlen für die USA passen nicht, die liegen bei rund 45 Dollar, schwanken je nach Region.

    Private industry employer costs for employee compensation among the four regions of the country ranged from $39.71 per hour in the South to $56.31 in the Northeast in March 2025, the U.S. Bureau of Labor Statistics reported today.

    https://www.bls.gov/regions/southwest/news-release/employercostsforemployeecompensation_regions.htm?utm_source=chatgpt.com

    • Erwin Gabriel 26. Juli 2025, 09:48

      @ Andy

      Arbeitskostenzahlen für die USA passen nicht, die liegen bei rund 45 Dollar, schwanken je nach Region.

      So, hab noch mal geschaut. Teuer wird‘s da, wo Krankenversicherung seitens des Arbeitgebers als Teil der Vergütung eingerechnet wird; das ist aber nicht bei allen Jobs der Fall. Daher die großen Unterschiede.

      Danke nochmal für den Hinweis

  • Andy 23. Juli 2025, 15:49

    Als erstes noch: Ebenfalls Danke für die Übersicht und die Zahlen!

    Noch eine weitere Anmerkung:
    Bei der Jahresarbeitszeit ist auch ein wichtiger Punkt die Teilzeitquote.
    Meine Frau und ich arbeiten jeweils 30h/Woche, weil Kinderbetreuung. Würde einer von uns jetzt 40h arbeiten und der andere gar nicht, würde sich das in der zitierten Statistik positiv bemerkbar machen, obwohl wir insgesamt 20h weniger arbeiten würden.

    Bei den Vollzeitarbeitsstellen liegt Deutschland mit 40,2 h/woche übrigens nur knapp unter dem EU-Durchschnitt von 40,3h/Woche. Und: Die Gesamtzahl der geleisteten Arbeitsstunden bleibt auf hohem Niveau. https://www.statistikportal.de/de/etr/ergebnisse/geleistete-arbeitsstunden/laenderergebnisse-av

    Zum Thema Arbeitsethos:
    Da habe ich auch den Eindruck, dass viele nicht mehr sonderlich motiviert sind. Problem sehe ich da aber auch in dem verpassten Strukturwandel und einer Krise des Unternehmertums. Prominentes Beispiel ist VW in den letzten 15 Jahren: Statt sich auf Zukunftstechnologien zu setzen, versuchte man alte Geschäftsmodelle auszureizen – und Dieselskandal als Konsequenz. Wenn jetzt Sparkurse ins Haus stehen und der Wandel auf E-Mobilität und Digitalisierung hakt, wundert es mich nicht, dass Mitarbeitende dann nicht mit großem Hurra Überstunden schieben. Es ist halt ein System, dass sich meiner Erfahrung nach durch alle Größenordnungen bis hin zu den kleinen Handwerksbetrieben zieht.

    Regulierung und Bürokratie ist garantiert sehr problematisch. Ezra Klein und Thomas Derek beschreiben das ja anschaulich in Abundance: Wenn man etwa beim Bau keine Ziele mehr formuliert, sondern nur noch den Prozess optimiert (Sicherheit, Feuerschutz, Umwelt, Klima, usw), dann muss man sich nicht wundern, wenn nicht mehr viel gebaut wird.

    Dennoch ist die Krise des deutschen Unternehmertums etwas, das bei mir in der Debatte viel zu kurz kommt. Politik und gerade die Grüne sind da gerne auch mal eine Ausrede für hausgemachte Defizite.

    • Stefan Pietsch 23. Juli 2025, 20:07

      Was meinen Sie mit „Krise des deutschen Unternehmertums“? Das ist so als würden Sie behaupten, wir hätten eine Krise der deutschen Arbeitnehmerschaft. Unternehmer kann jeder von uns sein und Millionen in diesem Land sind es. Keine dynamische Marktwirtschaft funktioniert, wenn nicht ständig neue Menschen nachströmen, die sich als Unternehmer betätigen wollen, weil immer welche ausscheiden, die scheitern. Das ist die Dynamik des Kapitalismus.

      In diesem Sinne haben wir tatsächlich eine Krise des Unternehmertums, weil von den unter Vierzigjährigen immer weniger Unternehmer werden wollen. Der Anteil der abhängig Beschäftigten an der Anzahl der gesamt Erwerbstätigen ist auf Rekordstand. Und da müssen wir fragen, warum es inzwischen so unattraktiv ist, Unternehmer zu werden und selbständig zu arbeiten. Jedenfalls ist Unternehmertum nicht ein mehrheitlich in Staatsbesitz stehender Konzern, der von Politikern und Gewerkschaftern dominiert wird. Das wäre ein arg verschrobenes Verständnis von Unternehmertum.

  • cimourdain 23. Juli 2025, 17:52

    Danke für Ihre Darstellung. Vieles, was Sie beschreiben, macht auch Unternehmern in meinem Bekanntenkreis Sorgen.

    Aber mein natürlicher Widerspruchsgeist zwingt zu einer sachbezogenen Gegenrede, weil Deutschland eben in der Gesamtschau wirtschaftlich trotz der aufgeführten Kritikpunkte nicht so schlecht aufgestellt ist. Und das, obwohl die am „härtesten“ messbaren dieser Kritikpunkte seit den 90ern bestehen: Lohnkosten und Abgabenquote.

    Denn wenn wir die imho deutlichste Kennzahl (BIP/Kopf) ansehen, so ist Deutschland immer noch deutlich über OECD – Schnitt. Der Exportüberschuss ist auch ein Indiz. Und der Anteil an Arbeitnehmern in der Industrie (DE 27% ; OECD 22%) zeigt, dass es sich um reale (Sach-)Wertschöpfung handelt.

    Wo ich Ihnen allerdings recht geben muss, ist, dass dieser Stand auch erhalten werden muss und bei Zukunfts-Faktoren (Bildung, Infrastruktur, Stabilität) zu lange die Substanz schleichend erodiert ist. Allerdings möchte ich auch in diesem Bereich mal eine positive Zahl anführen: Der Anteil am BIP für Forschung und Entwicklung ist in DE mit 3,1% über dem OECD Schnitt.

  • Erwin Gabriel 23. Juli 2025, 18:57

    @ Andy 23. Juli 2025, 15:49

    Erst mal vielen Dank für die sachliche und faktenorientierte Antwort; wenigstens einer.

    Es ist tatsächlich kaum möglich, für alle Länder alle Zahlen nach derselben (Mess-)Methode zu erhalten. Wo es mir möglich war, habe ich die entsprechenden Quellen angegeben. Du wirst sicherlich mit einer gezielten Suche jede einzelne veröffentlichte Zahl auf die eine oder andere Weise hinterfragen können; es könnten beispielsweise Rundungsfehler oder andere Abweichungen auftreten.

    Es gibt auch Sonderfälle, die sich nicht exakt abbilden lassen. In den USA, das als Sammelsurium unterschiedlichster Bundesstaaten eher mit der EU als mit Deutschland vergleichbar ist, variiert der Mindestlohn erheblich – von 7,25 Dollar (z.B. in Alabama) bis zu mehr als dem Doppelten. Da werden sehr arme Regionen oft mit wohlhabenderen Gegenden in einen Topf geworfen, was die Vergleichbarkeit sehr erschwert.

    Auch mit deinem VW-Beispiel hast du einen Punkt: Weder der Diesel-Skandal noch das Ruhegeld von 3.200 Euro (pro Tag!) für den Verantwortlichen tragen dort zur positiven Stimmung bei. Dass es allerdings so wenige vernünftige Elektroautos auf dem Markt gibt, liegt vor allem an der Kaufzurückhaltung der Deutschen. Diese wird sicherlich auch durch Chinas Preispolitik für exportierte Akkus nicht gerade gefördert.

    Ich wollte hier keine Doktorarbeit mit tausend Quellenangaben für jede Zahl schreiben, sondern eine grobe Übersicht geben, die nicht nur auf meinen persönlichen Eindrücken oder Gefühlen beruht. Vielleicht ist dir auch aufgefallen, dass ich keine Partei besonders angreife. Worum es mir eigentlich geht (und das scheint manchmal nicht ganz rüberzukommen), ist, dass wir seit Jahren in fast allen wichtigen Bereichen, die für unseren Wohlstand entscheidend sind, deutlich zurückfallen. Brutal dabei ist, wie deutlich, wie schnell es in wie vielen Bereichen nach unten geht.

    Der Staat scheint seit langem immer stärker darauf bedacht zu sein, immer mehr Menschen zu versorgen und in finanzielle Abhängigkeit zu bringen. Und darauf reagieren viele Menschen, ob reich oder arm, mit Eigennutz. Das ist vielleicht nicht unbedingt links oder rechts, aber eben menschlich und egoistisch – und schädlich für unsere Gesellschaft.

    Gleichzeitig scheint der Staat, entgegen aller Selbstwahrnehmung, systematisch daran zu arbeiten, den Menschen, die Eigenverantwortung übernehmen (ich rede von Familienunternehmern, Mittelständlern, Handwerkern, Selbstständigen – nicht Großkonzerne), das Leben immer weiter zu erschweren. Aber irgendwie scheint das niemanden zu interessieren.

  • Erwin Gabriel 23. Juli 2025, 19:21

    @ Andy 23. Juli 2025, 15:49

    Ich möchte natürlich auch auf einzelne Punktevon Dir eingehen.

    Problem sehe ich da aber auch in dem verpassten Strukturwandel und einer Krise des Unternehmertums.

    Da ist sicher etwas dran. Aber Unternehmertum bedeutet „etwas zu unternehmen“, und da bremst der Staat gewaltig aus. Wenn eine frischgebackene Hochschulabsolventin von der IHK als „Innovationsmanagerin“ eingestellt wird und alseinzige Aufgabe auf Veranstaltungen Kaffee ausschenkt und an innovationsinteressierte Unternehmen eine Liste mit Beratern aus der Gegend zu übergeben hat, ohne eine Empfehlung für einen Berater oder gar selbst einen Tipp abgeben zu dürfen (Aussage ihres Vorgesetzen: „Innovation ist bei uns, wenn einer seinen Schreibtisch im Büro von längs auf quer dreht“), wird die ganze Misere deutlich. Wer was unternehmen will, wird ausgebremst, ob in diesem Falle von der IHK, den Ämtern, den Gesetzen, den Steuern – von was auch immer, bzw. von allen Seiten. Es herrscht eine fast schon innovationsfeindliche Kultur.

    Wenn man etwa beim Bau keine Ziele mehr formuliert, sondern nur noch den Prozess optimiert (Sicherheit, Feuerschutz, Umwelt, Klima, usw), dann muss man sich nicht wundern, wenn nicht mehr viel gebaut wird.

    Bauen ist auch heutzutage überhaupt kein technisches Problem. Nur: So viele sich ständig ändernde Vorschriften erfordern einen Aufwand, den nach Fertigstellung niemand bezahlen kann. Etwa ein Drittel aller Immobilienentwickler sind in den letzen zehn Jahren Plaite gegangen.

    Dennoch ist die Krise des deutschen Unternehmertums etwas, das bei mir in der Debatte viel zu kurz kommt. Politik und gerade die Grüne sind da gerne auch mal eine Ausrede für hausgemachte Defizite.

    Nicht ganz falsch, nicht ganz richtig. Alles wird von Menschen gemacht, und die Stimmung in vielen Branchen ist unten, weil keine Besserung in Sicht ist,;seit Merz‘ Amsantritt steigt die Stimmung – gottseidank.

    Aber wenn man dann für den nächsten (sorry) Scheiß-Bauantrag wieder über ein Jahr warten muss, weil z.B. niemand von Anfang an prüft, ob all die unendlich vielen erforderlichen Daten vorhanden sind (könnte man den Bauantrag digital einreichen,könnte eine KI das überprüfen, und gut ist), und irgend einem Beamten dann noch etwas einfällt, was er vorher vergessen hat, oder wenn ein Kunde mittendrin eine Kleinigkeit ändern will (Anzahl der Tiefgaragenstellplätze oder Ausstattung eines Teils derselben mit Ladesäulen) und der ganze Prozess von vorne losgeht (alles schon gesehen), verliert man die Lust am gesunden Menschenverstand, und trottet nur noch den Vorschriften hinterher.

    ABer wie gesagt – es geht mir hauptsächlich um die deutsche Mentalität, die sich in den letzten 20 Jahren nicht zum Besten entwickelt hat.

    • Stefan Sasse 23. Juli 2025, 19:51

      Ich stimme dir in allem zu, denke aber, dass die Unternehmendenseite tatsächlich bislang etwas zu sehr von der Kritik ausgenommen wird. Innovationsfeindliche Kultur hat man sich in vielen Unternehmen auch selbst geschaffen. Ein Laden wie Bosch etwa hat eine Bürokratie, gegen die jedes Ministerium oder Bürger*innenamt schlank wirkt.

      • Erwin Gabriel 23. Juli 2025, 21:27

        @ Stefan Sasse 23. Juli 2025, 19:51

        Ich stimme dir in allem zu, denke aber, dass die Unternehmendenseite tatsächlich bislang etwas zu sehr von der Kritik ausgenommen wird.

        Ein Laden wie Bosch etwa hat eine Bürokratie, gegen die jedes Ministerium oder Bürger*innenamt schlank wirkt.

        Der Vergleich hinkt. Wenn der Laden eine ausufernde interne Bürokratie hat, ist deren Problem.Wenn es Bosch genug drückt, werden sie es ändern (müssen). Wenn der Staat eine ausufernde Bürokratie hat, drückt es nicht den Staat, sondern ebenfalls Bosch. Und sie können es nicht ändern. Sie können aber umziehen.

        Innovationsfeindliche Kultur hat man sich in vielen Unternehmen auch selbst geschaffen. Ein Laden wie Bosch etwa hat eine Bürokratie, gegen die jedes Ministerium oder Bürger*innenamt schlank wirkt.

        • Stefan Sasse 23. Juli 2025, 21:45

          Oder sie stagnieren über viele Jahre langsam vor sich hin. Kommt vertraut vor…

      • Erwin Gabriel 28. Juli 2025, 22:22

        @Stefan Sasse 23. Juli 2025, 21:45

        Eine Ergänzung:

        Ich stimme dir in allem zu, denke aber, dass die Unternehmendenseite tatsächlich bislang etwas zu sehr von der Kritik ausgenommen wird.

        Zu den den negativen Effekten der von mir angesprochenen Themenfelder …
        – Lohnkosten
        – Energiekosten
        – Steuerliche Belastungen
        – Urlaubs- und Feiertage
        – Stabilepolitische Verhältnisse
        – Funktionierendes Staatswesen
        – Stabiles Rechtssystem
        – Verlässlich funktionale Infrastruktur
        – Gut ausgebildete Arbeitskräfte

        … haben Unternehmen nichts beigetragen
        Haben die

        Bei diesen Punkten …
        – Jahresarbeitszeit
        – Krankheitsbedingte Ausfallzeiten
        – Produktivität
        – Arbeitsethik / Arbeitsmoral

        … könnte man eventuell ein kleines Stückchen den Unternehmen ans Bein binden, obwohl ich persönlich Themen wie die geringe Jahresarbeitszeit, die hohen krankheitsbedingtes Ausfallzeiten sowie nachlassende Arbeitsethik und Arbeitsmoral eher als ein kulturelles als ein organisatorisches Problem wahrnehme – eher als eine Art „Luxusproblem“, also ein Verhalten, dass man sich leistet,weil es geht, weil man abgesichert ist, weil Sanktionsmöglichkeiten fehlen. In Ländern,in denen es in Unternehmen und in der Gesellschaft teilweise deutlich härter zugeht, sieht es in diesen Disziplinen anders (aus Unternehmersicht: besser) aus.

        Bei der Produktivität kann ich mir vorstellen, dass ein Teil davon hausgemacht sein könnte und nicht nur die drastisch zunehmende Bürokratie einzig und allein ausschlaggebend ist. Gälte in der Regel nur für Großkonzerne, die aber mit ihrer Vielzahl an Beschäftigten statistisch gut durchschlagen würden. Aber die Korrelation zwischen Gesetzesflut und nachlassender Produktivität ist eben da.

        • Stefan Sasse 29. Juli 2025, 08:35

          Der Fachkräftemangel etwa ist zu einem guten Teil ein hausgemachtes Problem, um nur ein Beispiel zu nennen.

    • Andy 23. Juli 2025, 22:35

      @Erwin Gabriel @Stefan Prietsch

      Um der Krise des Unternehmertums bisschen Rahmen zu geben: Der Soziologe Martin Schröder hat Kapitalismus-Varianten verglichen, seine Überlegungen: Während die USA eine liberale Spielart mit disruptiven Innovationen haben, ist es in Deutschland eher koordiniert und inkrementell verbessernd. Das hatte lange Vorteile, solange man Produkte optimieren kann (und ist auch eine Erklärung für die Regulierungswut in Deutschland; Parteien erfinden die ja nicht im luftleeren Raum, Vorschläge kommen ja oft auch von Unternehmen).

      Knapp formuliert heißt das: In Deutschland will man Geschäftsmodelle eher erhalten, statt komplett umwerfen. Und das macht sich in vielen Bereichen bemerkbar und ist eine für mich plausibel Erklärung, um etwas Probleme der Autoindustrie zu beschreiben.

      Ein weiterer Punkt betrifft aber auch die Linke. Denn was in Deutschland meiner Ansicht nach fast völlig fehlt, ist linkes Unternehmertum. Hätte sich etwas vor 20 Jahren ein Green Tech Unternehmen gegründet, der jetzt ein Top5-Konzern im Deutschland wäre, würde manchen Diskussionen anders laufen. Es fehlt insbesondere den Grünen an einer ökonomischen Basis.

      Die Konsequenz sehe ich dann in der Regulierung. Aus dem Grünen Lager kommen politische Ziele, die konservativ übersetzt werden. Das heißt: Es gibt keine klaren Verbote (alte Geschäftsmodelle nicht töten), sondern Auflagen wie die 65-Prozent-Quote für Erneuerbare im Heizungsgesetz (Dokumentation aus der Hölle ist vorprogrammiert, aber alle Platzhirsche bleiben an Bord). Im Bereich Tech gibt es auch noch genug weitere Beispiele.

      ich hoffe, mein Punkt ist halbwegs verständlich. Aber ich denke, die Probleme sind strukturell angelegt und haben auch mit den bestehenden Unternehmen zu tun (und dem Mangel an Neuen).

      • Stefan Sasse 24. Juli 2025, 06:45

        Finde ich sinnig.

      • Stefan Pietsch 24. Juli 2025, 09:35

        Der österreichische Philosoph Schumpeter bezeichnete die Marktwirtschaft als Prozess der schöpferischen Zerstörung. Er entwickelte Theorien der Marktphasen wie Typen des Unternehmers, wobei er nur den Innovator und den risikoorientierten wirklich gelten ließ. Was Sie beschreiben ist nach Schumpeter keine Marktwirtschaft mit Unternehmern. Auch Planwirtschaftler können etwas Bestehendes fortführen.

        Aber völlig Unrecht haben Sie nicht. Nur, warum haben wir nicht mehr diese Unternehmer, die wir bis Anfang der Siebzigerjahre hatten und die Ende der Neunzigerjahre eine kurze Blüte in der New Economy erlebten? Offensichtlich liegt das doch an den staatlichen Rahmenbedingungen. Der Staat weiß nicht, wo zukünftige Märkte entstehen. Ich weiß es ja selber nicht. Ich bin nur immer wieder erstaunt, dass Marktferne, Beamte und Journalisten sich diese Expertise zutrauen. Und so gibt es Gründe, warum die Idee von Green Tech-Unternehmen in manchen Köpfen gedeit, es so etwas aber nicht gibt: Es sind Wunschträume, ohne sich mit Marktgegebenheiten befasst zu haben.

        Warum will niemand Unternehmer werden? Das Image ist maximal mies. In Fernsehkrimis sind sie die Mörder (absurd!), ansonsten Ausbeuter, die man an die Kandare legen muss. Gehen Sie mal zu einem Arbeitsrechler und lassen Sie sich informieren, was sie bei Gründung eines Unternehmens und Einstellung von Mitarbeitern beachten müssen und welche Risiken Sie gehen. Versprochen, danach legen Sie die Idee ad acta.

      • Erwin Gabriel 26. Juli 2025, 10:02

        @ Andy

        Ich nehme vieles aus einem anderen Blickwinkel war:

        In Deutschland (in der gesamten EU?) nehmen die meisten Politiker ihren Job als „Gesetzgeber“ war – wer keine neuen Gesetze macht, macht seinen Job nicht richtig; selbst um Gesetzte abzuschaffen, macht man neue Gesetze, die dann „Bürokratieabschaffungsgesetz“ o.ä. genannt werden.

        Wenn sie es nicht verhindern kann, versucht die Wirtschaft, durch (nicht immer gute) Berinflussung Schaden abzuwenden, und schickt ihre Lobbyisten los. Da die sich fachlich und juristisch meist besser auskennen als Abgeordnete, kriegen sie viele Punkte durch – mal zum Guten, mal zum Schlechten.

        Und dann sind wir wieder bei dem elendigen „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“, das uns ruinieren wird (bzw. schon ruiniert hat, selbst wenn wir es nicht merken). Beispiele hast Du ja genannt.

        Wenn der Staat sich dann noch auf Lösungen (E-Autos, Wärmepumpen) festzulegen versucht, statt nur Grenzwerte zu bestimmen und Wirtschaft und Bürger machen lässt, geht es halt schief

  • Erwin Gabriel 23. Juli 2025, 19:45

    @ cimourdain 23. Juli 2025, 17:52

    Aber mein natürlicher Widerspruchsgeist zwingt zu einer sachbezogenen Gegenrede, weil Deutschland eben in der Gesamtschau wirtschaftlich trotz der aufgeführten Kritikpunkte nicht so schlecht aufgestellt ist.

    Ich habe von Ihnen nichts anderes erwartet 🙂

    Ja, es gibt viele Länder, die schlechter darstehen,und in der Gesamtschau sind wir in der Tat nicht so schlecht aufgestellt – auf den ersten Blick.

    Das, was ich hier zusammengetragen habe, habe ich hier schon vor zehn Jahren geschrieben (wenn auch nicht in diesem Umfang). Mein Kommentar damals war sinngemäß, dass wir auf dem Gipfelwaren und nun anfangen herunterzurutschen. Das werden viele Leute nicht sehen, weil die Aussicht noch wirklich toll ist, aber in ein paar Jahren sieht es jeder.

    Losgelöst vom aktuellen (und relativem) Stand ist mein Eindruck nicht nur, dass wir uns in allen Bereichen verschlechtert haben, sondern ich keinerlei Anzeichen sehe, dass auch nur in einem einzigen Bereich Besserung ist Sicht ist; die Talfahrt wird weitergehen.

    Glauben Sie, dass wir es schaffen, in einem der folgenden Bereich das Ruder herumzureißen?
    • Arbeitsethik: Sehr viele Ältere aus meinem Bekanntenkreis sind der Meinung, dass sie „genug“ getan haben, dabei haben sie „nur“ ihr halbes Leben gearbeitet und wollen für die nächsten 20, 30 Jahre finanziell und medizinisch auf top-Niveau versorgt werden. Dass ich mit 67 Jahren in meinem 48 Berufsjahr bin und freiwillig Rentenversicherung zahle, hat von denen noch keiner verstanden.
    Den „vergleichsweise“ wenigen Nachrückern wird langsam klar, was sie da an die Backe kriegen. Sich selbst kaputtschuften, damit diese Alten ein schönes Leben haben? Eher nicht.
    • Kita / Schule / Bildung: Viel zu viel Streß mit Kindern (ob mit Migrationshintergrund oder ohne) durch Eltern, die entweder dumm, arrogant oder stumpf egoistisch sind, als sein das ganze Bildungs- und Erziehungssystem dafür verantwortlich, deren Arbeit zu machen. Wird sich die Einstellung der Eltern oder der kinder in absehbarer Zeit ändern? Eher nicht.
    • Steuern / Sozialabgaben: Je mehr Ältere in den Ruhestand gehen, um so mehr werden die Kosten für Rente, Krankenversorgung und Pflege steigen.
    • Bürokratieabbau: Kann ich mir immer weniger vorstellen. Für einen großen Schnitt geht es uns zu gut, und alles muss durch Europa.

    usw.

    Wenn Sie mich fragen, ob ich den aktuellen Halbzeitstand als Endergebnis akzeptieren würde – sofort.

    Zu Ihren Zahlen: Die Momentaufnahme will ich gar nicht bestreiten. Aber die Produktivität sinkt seid Jahren (ohne Reaktion durch die Politik). Die industrielle Produktion wandert ab (die Politik verstärkt die auslösenden Effekte). Auf Jahrzehnte zu viele Menschen (Migranten, Baby-Boomer) im Sozialsystem. Das sind nur ein paar Zeiger, die mir überhaupt nicht gefallen.

    • Stefan Sasse 23. Juli 2025, 19:54

      Ich stimme dir zu, wir stagnieren gerade, wenn auch auf hohem Niveau.

      Zu den Punkten:
      – Arbeitsethik: Ich weiß nicht, wie viel da nur das übliche Gemeckere ist, weil sich das unabhängig vom Jahr immer findet.
      – Kita/Schule/Bildung: Zum Teil scheint mir das mit der Integrationsfrage vermischt zu werden. Wenn unterfinanzierte Brennpunktschulen underperformen, sagt das weniger über das Bildungssystem als über viele soziale Probleme aus.
      – Steuern/Sozialabgaben: korrekt. Aber die Dynamik kannst mit Kürzungen nur eingeschränkt angehen; einerseits gibt es Besitzstände (Rentenpunkte), andererseits BVerfG-Unterschranken und zuletzt die Frage der Demokratie zu berücksichtigen.
      – Bürokratieabbau: Das funktioniert in meinen Augen nur, wenn man den notwendigen Mentalitätswechsel vollzieht, was halt auch heißt: weniger individuelle Abwehrrechte, mehr hin zu einem kollektiveren Rechteverständnis. Ich kann nicht einerseits beklagen, dass nichts vorangeht, andererseits aber jedes Scheiß Windrad in Grund und Boden klagen.

      • Stefan Pietsch 23. Juli 2025, 20:10

        Du hast gerade heute selbst eingeräumt, dass die Einkommensbesteuerung in Deutschland heftigst ist. Und wo sollen die Sozialabgaben noch Hinwachsen, wenn sie heute bei 45 Prozent liegen? Das sind doch längst absurde Größenordnungen. Es wird ohne Leistungskürzungen nicht gehen. Da diese von der aktuellen Regierung nicht zu erwarten sind, wird es die Realität nach 2029 erzwingen.

      • Erwin Gabriel 23. Juli 2025, 21:30

        @ Stefan Sasse 23. Juli 2025, 19:54

        Ich stimme dir zu, wir stagnieren gerade, wenn auch auf hohem Niveau.

        Du brauchst wohl noch mal zehn Jahre …

        • Stefan Sasse 23. Juli 2025, 21:45

          Wieso, da haben wir doch keinen Dissens?

          • Erwin Gabriel 24. Juli 2025, 10:20

            @ Stefan Sasse

            Ich hatte doch geschrieben, dass Deutschland über die Schwerindustrie groß wurde. Das können inzwischen andere genauso gut, aber billiger, also verlieren wir hier.

            Um etwas Neues aufzubauen, stimmt das Umfeld nicht – zu viele Regularien, zu wenig Flexibilität, zu hohe Steuern.

            Nach dem ersten langfristig angelegten Atomausstieg durch Trittin und Schröder entstanden in kürzester Zeit eine Vielzahl von innovativen Unternehmen, die sich um die dezentrale Versorgung von Kommunen und Regionen mit grüner Energie befassten; viele mit kommunaler Unterstützung. Hat Merkel mit ihrem Wiedereinstieg in die Atomkraft alle zerschlagen bzw. ihnen das Geschäftsmodell entzogen, mit entschädigungslosen Millionen-Verlusten für diese kleinen Unternehmen.

            Mit ihrem Wiederausstieg war der Kittel geflickt: nun lagen die diesmal milliardenschweren Verluste bei den großen Stromkonzernen, aber niemand hat sich mehr als Geldgeber für die nun erforderlichen alternativen Lösungen bereitgestellt.

            Also hat man „reguliert“ und das „Erneuerbare Energien Gesetz“ zu einem bürokratischen Monster ausgebaut, dass nicht den innovativen, sondern nur den „cleveren“ Köpfen zu Lasten der Bürger Milliarden in den Schoß schaufelt.

            Oder nimm Elektromobilität: Bis hierzulande geklärt war, nach welchen Gesetzen, Regeln und Sicherheitsvorschriften Batterien in Autos verbaut werden dürfen, hatten andere schon Hunderttausende Autos verkauft.

            So läuft Innovation in Deutschland.

            Wir stagnieren nicht. Wir bluten langsam aus. Nicht aus einer großen Wunde, sondern aus vielen kleinen. Keine für sich genommen wirklich gefährlich, aber alle zusammen …

            • Stefan Sasse 24. Juli 2025, 18:59

              Ich werde dir sicher nicht widersprechen, was die Blödheit von Merkels Atomausstiegspolitik angeht.

  • Thorsten Haupts 24. Juli 2025, 08:36

    Danke für den Überblicksartikel, dem ich in seinen wesentlichen Teilen zustimme.

    Ich stiess noch weit eher darauf, dass wir massive Probleme haben. Das war afair 2007, als ich zur Kenntnis nahm, dass wir die OECD-weit niedrigste Investitionsquote in Infrastruktur hatten, was sich in den Folgejahren nicht änderte. Mehr musste ich zu den Entwicklungschancen Deutschlands gar nicht wissen, um vorhersagen zu können, dass das nicht gutgehen wird.

    Und heute verbinden sich halt viele Stränge der schleichenden Verschlechterung – von Dir schön beschrieben – zu einem immer sichtbareren Desaster. Reaktion der Politik (bisher)? Mehr Schulden, mehr Sozialleistungen, mehr Vorschriften, mehr Bürokratie.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Erwin Gabriel 26. Juli 2025, 09:30

      @ Thorsten Haupts

      Ich stiess noch weit eher darauf, dass wir massive Probleme haben. Das war afair 2007, als ich zur Kenntnis nahm, dass wir die OECD-weit niedrigste Investitionsquote in Infrastruktur hatten, was sich in den Folgejahren nicht änderte.

      Das wir (zu) wenig in die Infrastruktur investierten, fiel mir auch auf – von Helmut Kohl bis Merkel haben sich z.B. die absoluten Ausgaben für Verkehrsinfrastruktur nicht nennenswert verändert; es gab nicht mal einen Inflationsausgleich. Aber ich habe da noch keine Rückschlüsse auf die Gesamtsituation gezogen, da war ich spät dran.

      Erst Alexander Dobrindt hat 2013 als Verkehrsminister deutlich höhere Ausgaben durchgesetzt, was mir auffiel; auch, dass viele Bundesländer nicht in der Lage waren, die Gelder umzusetzen. Das – im Zusammenhang mit der damals schon sehr bedenklichen Situation im Wohnungsbau und den dramatisch ansteigenden Flüchtlingszahlen, denen keinerlei (infra-)strukturelle Maßnahmen entgegengestellt wurden – hat mir dann aber klar gemacht, dass es übel ausgehen wird.

      Und heute verbinden sich halt viele Stränge der schleichenden Verschlechterung – von Dir schön beschrieben – zu einem immer sichtbareren Desaster. Reaktion der Politik (bisher)? Mehr Schulden, mehr Sozialleistungen, mehr Vorschriften, mehr Bürokratie.

      Leider genau das.

      • Stefan Sasse 26. Juli 2025, 13:44

        Diese Dinge hängen ja alle zusammen. Vorschriften bedingen mehr Controlling, daher mehr Zeit und Kosten; die Aversion gegen langfristige Ausgabenplanung bedingt Outsourcing und eine Konzentration auf kuzrfristige Projekte, etc.

  • Andreas 24. Juli 2025, 09:24

    „Es braucht vor allem eine neue Haltung zur Arbeit. “

    Im Vergleich zum früheren Deutschland ist es doch eine neue Haltung zur Arbeit.
    Mehr auf sich und seine Bedürfnisse schauen als auf Leistung, Fortschritt, Wohlstand. Das könne man ja auch mal als einen Erfolg werten.

    • Erwin Gabriel 26. Juli 2025, 09:42

      @ Andreas

      Mehr auf sich und seine Bedürfnisse schauen als auf Leistung, Fortschritt, Wohlstand. Das könne man ja auch mal als einen Erfolg werten.

      Solange man Wohlstand nicht als eigenes Bedürfnis definiert, könnte man das so werten.

      Wo solch eine Entscheidung nicht funktioniert, ist der Part, wo man nicht mehr selbst für seine Versorgung verantwortlich ist – von Bürgergeldempfängern bis zu Rentnern, von Kita und Schule bis Krankenversorgung und Pflege. Solange das Gros der Bürger erwartet, dass der Staat bei großen und kleinen finanziellen Wehwehchen einspringt, braucht es Bürger, die den (Sozial-)Staat über ihre Arbeit, über ihre Steuern mit finanziellen Mitteln versorgen.

      • andreas 2. August 2025, 11:50

        Auf jeden Fall braucht es Bürger, die den Staat versorgen. Ich sehe den Staat als ein Grundbedürfnis an.
        Wohlstand, wie wir ihn gewohnt sind sehe ich tatsächlich eher als etwas an, das die Befriedigung echter Bedürfnisse für alle wie für den Einzelnen schwieriger macht.
        Relativen Wohlstand erreicht zu haben, macht es einfacher darauf (weil freiwillig) verzichten zu können, aber diese Grundausrichtung auf Wohlstand und Wachstum hier verstellt meiner Meinung nach den Blick aufs wesentliche, und da würde ich mir mehr Bildung und weniger Manipulation wünschen. Dann hätten wir vermutlich auch weniger Leistungsempfänger.
        Ich glaube früher haben die Kirchen da noch für einen gewissen Ausgleich gesorgt, aber das ist ja vorbei.

        • Stefan Pietsch 3. August 2025, 11:13

          … und diese Bürger müssen Laune haben, den Staat versorgen zu wollen und Lebenszeit für ihn zu opfern. Das ist der Punkt, der immer übersehen wird. Er wird als gegeben gesetzt in der Ansicht, man könne alles auch mit Zwang durchsetzen.

          Bisher ist auf der Welt nicht erkennbar, dass sich eine nennenswerte Anzahl von Menschen Ihrer Ansicht anschließt. Warum sollte ich auf Wohlstand verzichten? Es fehlt das Argument. Seit vielen Jahren wachsen die Ausgaben für Transferempfänger schneller als das BIP, wie gerade der Bundesrechnungshof gemahnt hat. Wie soll das gehen? Eine Gemeinschaft gibt immer mehr von dem, was sie verdient, für jene aus, die nichts verdienen. So viel sollte jeder von Mathematik verstehen, dass am Ende die Rechnung in der Extrapolation gegen Null tendiert.

  • Thorsten Haupts 24. Juli 2025, 11:51

    Mehr auf sich und seine Bedürfnisse schauen als auf Leistung, Fortschritt, Wohlstand. Das könne man ja auch mal als einen Erfolg werten.

    Könnte man. Wenn man den damit unvermeidlichen materiellen Wohlstandsverlust akzeptiert.
    Was nicht zusammenpasst: Steigende Belastungen, höhere Löhne, keine Innovationen, kaum Produktivitätszuwächse, geringere Arbeisstunden.

    Wenn Sie das akzeptieren und promoten, alles gut. Wenn Sie allerdings sich und Ihre Bedürfnisse stärker beachten wollen, ohne auf Wohlstand zu verzichten, wirds halt unmöglich.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

  • CitizenK 26. Juli 2025, 09:37

    Ein Mosaikstein zum Thema „Fachkräftemangel“.
    Unternehmer: „Warum gibt es den Fachkräftemangel in unserer Industrie“ – Weil halt viel zu wenige eine Ausbildung anbieten“. Zwar eine spezielle Industrie (Druck), aber mal nicht der gängige Vorwurf an Linke und Politik.
    Das Unternehmen bildet schon nach Jahren aus mit dem Ziel, aus Hilfskräften Fachkräfte zu machen.
    Ein anderes Unternehmen aus meiner Region hat eine gehörlöse (!) Ukrainierin (!) zur Siebdruckerin ausgebildet – mit Unterstützung der Arbeitsagentur. Machen statt Klagen.

    • Stefan Pietsch 26. Juli 2025, 17:54

      Als Anfang, Mitte der Nullerjahre die Gewerkschaften eine Ausbildungsabgabe für jene Unternehmen forderten, die nicht oder nicht ausreichend ausbilden würden, machte ich in Blogs den Gegenvorschlag. Da damals schon klar war, dass in den folgenden Jahren nicht alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzt werden könnten, sollten doch in solchen Fällen junge Menschen gezwungen werden, einen Ausbildungsplatz anzunehmen. Aus irgendeinem Grund ging niemand auf das Quid pro quo ein.

      Linke sehen einen Teil der Gesellschaft stets als diejenigen, die ein Anrecht auf alle möglichen Angebote, Vergünstigungen und Unterstützungen haben und Unternehmen, Reiche aller Art und Besserverdiener als jene, die das bereitzustellen hätten. Sie begreifen die Gesellschaft als Einbahnstraße. Das steigt sich dann in einen Moralismus wie Sie ihn ja auch häufiger an den Tag legen, dass Leute wie ich der Gesellschaft immer etwas schulden würden, egal wie viel sie gezahlt und wie viel sie geleistet hätten. Aber wie gesagt, das gilt immer nur für den einen Teil. Im weiteren familiären Umfeld erlebe ich gerade den Fall, dass die natürliche Solidarität in der Familie gerade nur in eine Richtung funktioniert, während die andere Seite, was auch immer Schlechtes passiert ist, sie nicht erlebt. Und da lässt sich erleben, was eine solche Einbahnstraße mit den Menschen macht: Erst Traurigkeit, dann Wut, dann Aufkündigung. Ganz normal eben.

      Die Druckbranche steht seit 2008/2009 unter existenziellen Marktdruck. Das Auftragsvolumen schrumpft jährlich um den Faktor 5 bis 15 Prozent. Der Digitaldruck und veränderte Gewohnheiten machen den Marktführern Heidelberger Druck, König & Bauer und manroland zu schaffen. Von ihren Kunden, neben großen Verpackern mittelständische Druckereien, arbeitet kaum jemand in der Gewinnzone. Im Markt ist kein Kapital mehr um neue Maschinen anzuschaffen und die Leasinggesellschaften finanzieren nicht mehr. Heidelberger Druck ist längst so knapp bei Kasse, dass die sich nicht einmal mehr eine eigentlich notwendige Restrukturierung leisten können. Sie schrumpfen mit Arbeitszeitverkürzung und Verrentungen dem Ende entgegen. manroland wird seit 2018/2019 von seinem Eigentümer, dem britischen Milliardär Anthony Langley, über Wasser gehalten.

      Trotzdem bilden diese Unternehmen noch aus, teilweise über Bedarf. Dann kommen unwissende Linke und schimpfen auf die bösen Konzerne, weil die nicht alle Auszubildenden übernehmen. Übernehmen sie sie und entlassen sie sie nach ein paar Jahren, schimpfen die gleichen Linken über die gierigen Kapitalisten, die nur die Rendite im Kopf haben.

      Erkennen Sie sich in dem Beschriebenen wieder? Hm, das ist dann vielleicht kein Zufall.

    • Stefan Pietsch 26. Juli 2025, 18:04

      Ach ja, die Milliardäre, die natürlich völlig eigennützig marode Unternehmen stützen, passen ja laut Stefan gar nicht zur Gesellschaft. Die sollen ihren Wohlstand abgeben und gut is‘.

    • Erwin Gabriel 28. Juli 2025, 22:45

      @ CitizenK 26. Juli 2025, 09:37

      Ein Mosaikstein zum Thema „Fachkräftemangel“.

      In der Tat, nicht mehr alsein Mosaiksteinchen in einem ansonsten düsteren Bild.

      Unternehmer: „Warum gibt es den Fachkräftemangel in unserer Industrie“ – weil halt viel zu wenige eine Ausbildung anbieten“.

      So unterkomplex. Zum einen sind (oft handwerk-orientierte) Ausbildungsberufe „out“. Es ist uncool, früh aufzustehen, sich die Hände schmutzig zu machen etc. Die andere Seite der Welt ist spannender: ob Influencer oder erst mal studieren, alles ist verlockender, als Maurer, Elektriker, Sanitärinstallateur, KfZ-Schlosser (diese Jobs heißen inzwischen anders, ich weiß) zu werden. Ein befreundeter Rechtsanwalt hat das Thema Ausbildung an den Nagel gehängt, nachdem er sieben (!) Azubis nacheinander wegen mangelnden Fähigkeiten in der Probezeit entlassen musste. Da war alles dabei: nicht lesen können; Geschriebenes lesen, aber nicht verstehen können; Grundrechenarten-Fail; die Unfähigkeit, Briefe etc nach Datum oder Klientenname zu sortieren; mangelnde Zuverlässigkeit bis hin zum Verwechseln von Wochentagen; die mangelde Fähigkeit, einem eintretenden Kunden einen Platz und einen Kaffee anzubieten. Und die Ausbildung zur Rechtsanwaltsgehilfin ist weißgott nicht die größte intellektuelle Herausforderung, die das Berufsleben zu bieten hat. Er macht jetzt alles selbst, hat weniger Klienten, aber deutlich bessere Nerven.

      Machen statt Klagen.

      Hat dir schon mal jemand gesagt, dass Du gelegentlich kitschig wirst? 🙂

  • Ralf 26. Juli 2025, 23:16

    Wie Stefan Sasse oben schon schrieb, beschränken sich die von Dir weitestgehend korrekt beschriebenen Probleme nicht auf den Staat. Die selbstgegebene Bürokratie, die Regulierungswut und kafkaeske Selbstfesselung in den großen Konzernen steht der gesetzlichen Regulierung in nichts nach. Die großen Betriebe sind de facto genauso manövrierunfähig wie das Amt. Und was die Arbeitsmoral angeht, war die früher wirklich so viel besser? Ich erinnere mich an mein Betriebspraktikum bei Bayer im zarten Alter von 16 Jahren. Das Team, in dem ich arbeiten sollte, verbrachte den halben Tag rauchend im Sozialraum und unterhielt sich. Ich kann mich noch erinnern, wie befremdet ich davon war. So hatte ich mir die Arbeitswelt nicht vorgestellt. Meine Mutter – Angestellte im Arbeitsamt – klagte stets über die Kollegin, die jedes Mal krank wurde, wenn eine Welle Arbeit kam. Das war in den 80er Jahren.

    Es wird zurecht von Dir und auch von Stefan Pietsch beklagt, dass es keine Unternehmerkultur in Deutschland gibt. Aber das liegt – zumindest meiner Meinung nach – eben auch an dem rücksichtslosen Kapitalismus, der sich in der Gesellschaft insbesondere seit Mitte der 90er Jahre ausgebreitet, kleine Geschäfte zerstört und zunehmend Monopole geschaffen hat. Als ich klein war, waren die Hauptstraßen – selbst in dem Arbeiterviertel, in dem ich aufwuchs – noch gesäumt von kleinen Läden: eine Bäckerei, eine Metzgerei, ein Optiker, eine kleine Drogerie, ein Schreibwarengeschäft, ein Laden für Haushaltswaren, ein Geschäft für Wolle und Bastelartikel etc.. Heutzutage sind die alle geschlossen. Metzgereien gibt es kaum noch. Ich habe im Jahr 2014 mein letztes Mettbrötchen gegessen, weil ich bei zahlreichen Heimatbesuchen – in einer Millionenstadt – einfach keine mehr gefunden hab. Bäckereien gibt es hingegen nur noch in Großketten. Unabhängige Geschäfte haben in dem Wettbewerbsumfeld keine Chance. Kleine Drogerien haben alle dicht gemacht. Stattdessen geht man zu Ketten wie dm. Was man nicht in den europaweit operierenden Großsupermärkten wie Spar oder Rewe bekommt, bestellt man im Internet bei Amazon. Heutzutage gibt es auf der Hauptstraße in meinem Heimatviertel nur noch ein paar Ableger großer Ketten, dazu ein paar Imbissbuden und Ein-Euro-Läden. Und das hat Folgen. Während früher zumindest manche Kinder in Familien aufwuchsen, in denen der Vater oder die Mutter ein Geschäft führten, lernen die jungen Menschen ihre Eltern heutzutage nur noch als Angestellte kennen. Als Angestellter hat man aber keinen Anreiz zur Extraleistung und man hat keine Unabhängigkeit. Die junge Generation wächst also in ihrer großen Mehrheit nicht in einem Umfeld auf, in dem die Eltern Verantwortung für einen selbstgeschaffenen Erfolg vorleben. Das prägt die Werte und Ansprüche der Kinder. Und wenig überraschend bildet sich so in der nächsten Generation keine Unternehmermentalität heraus.

    • Erwin Gabriel 28. Juli 2025, 00:49

      @ Ralf

      Bin fast durchgängig bei Dir.

      Zu den Großkonzernen: Da gibt es in der Regel bzw. zu oft die falsche Art von Hierarchie, in der starr agierende Führungskräfte eher darauf bedacht sind, ihr Revier nach oben, zur Seite und nach unten zu markieren. Aber nochmal: Macht ein Unternehmen Fehler oder schlägt eine falsche Richtung ein, wird dieses Unternehmen leiden (selbst schuld). Macht der Staat Fehler oder schlägt eine falsche Richtung ein, leidet das Unternehmen auch (schuldlos).

      Ebenfalls Zustimmung zu Deinen Beobachtungen der Geschäfte-Entwicklungen. Kunden wollen Vielfalt, also gehen sie zum Lebensmittel- oder Drogerie-Discounter und wundern sich, dass die kleinen Geschäfte schließen. Sehr viele, die ich kenne, rennen in Läden, suchen und verlangen Beratung, gucken, fassen an, probieren aus, und kaufen anschließend online. Die sind auch noch stolz darauf, dass sie im Internet einen „besseren“ Preis bekommen. Wenn ich mich im Geschäft beraten lasse, kaufe ich da auch.

      Was den Nachwuchs angeht, ist da sicherlich was dran, dass sich Kinder der oft an ihren Eltern orientieren, und dass vielleicht entsprechende Vorbilder aussterben. Aber wer gesehen hat, wie sehr in einem Handwerksbetrieb, auf einem Bauernhof oder im Einzelhandel bei viel existenziellem Risiko gerackert wird (selbstständig = selbst + ständig), sucht vielleicht einfach nur eine bequemere Lösung in anderen Jobd, in Studien etc.

      Denn wenn ich eines im Leben gelernt habe, dann, dass die für Menschen bequemeren Lösungen sich immer durchsetzen; das ist das menschliche Naturell.

      So geht mein Vorwurf an die Politik nicht in die Richtung, dass sie nicht auf die Wähler gehört haben, sondern, dass sie gegen besseres Wissen und Verständnis den Wählern weitgehend Politiken versprachen, die schlecht waren, und diese Politiken nach gewonnener Wahl durchsetzten. Die Wähler, die es sich besser wissen sollten, gehen mit. Das ist schon auch eine Mentalitätsfrage unserer Gesellschaft.

  • CitizenK 4. August 2025, 11:02

    Vielleich wird der Standort doch zu schlecht geredet?

    Internationale Pharmakonzerne investieren Milliarden in Deutschland.
    „… warum Deutschland? Schließlich hätte Eli Lilly es überall auf der Welt bauen können, in Japan, China, den USA.
    „Das habe mit einer Liste zu tun, sagt Alexander Horn, Deutschlandchef von Eli Lilly. Die hake man im Konzern ab, bevor man entscheide, wo eine Fabrik gebaut werde. Ganz oben steht darauf: eine stabile Politik, der Zugang zu Fachkräften, eine gute Infrastruktur. Und, man mag es kaum glauben, Deutschland konnte bei alldem punkten. »Wir reden den Standort viel zu oft schlecht«, sagt Horn.

    • Stefan Pietsch 4. August 2025, 11:45

      Eli Lilly ist nicht „internationale Pharmakonzerne“, sondern einer. Tatsächlich profitiert Europa derzeit von der erratischen Trump-Politik. Investoren ziehen Billionen Dollar aus den USA ab und verlagern sie nach Europa. Hinzu kommt das Schuldenprogramm der Bundesregierung. Umgekehrt schadet die Zollpolitik der Exportindustrie massiv, allen voran der Automobilindustrie.

      Relevant für die Beurteilung sind die mittelfristigen Trends. Eli Lilly wiegt nicht die massive Abwanderung der letzten fünf Jahre auf, nicht die wirtschaftliche Stagnation abweichend vom internationalen Trend. Überhaupt: Entscheidend sind nicht einzelne Ausreißer, der Markt entwickelt sich nie flat, also exakt in eine Richtung. Analysten schauen immer auf die Trendlinien. Die Billionen Dollar, die derzeit nach Europa verlagert werden, können sehr leicht wieder in die andere Richtung wandern, wenn in den USA die Regierung wechselt – was nach Lage der Dinge 2029 der Fall sein wird.

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