Bohrleute 9: Investitionen zum Nachtisch, mit Stephan Ewald

Die aktuellen Skandale um den ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz sind für Deutsche nicht so leicht zu durchschauen. Wir nutzen daher die Gelegenheit und fragen den gebürtigen Wiener Stephan Ewald nach seinen Einschätzungen.

Unser heutiger Schwerpunkt aber ist die Wirtschafts- und Finanzpolitik, vor allem im Hinblick auf die Schuldenbremse und die Aussicht auf einen Finanzminister Christian Lindner.

Shownotes:

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{ 22 comments… add one }
  • Lemmy Caution 29. Oktober 2021, 11:06

    Interessantes Interview. Netter Typ. Aber ich seh das wirklich anders.
    Meine Frage ist: Was wäre, wenn nicht die EZB mit Deutschland, Niederlande, Finnland, Österreich, Irland im Rücken sondern eine Italienische Zentralbank italienische Bonds aufkaufen würde?
    Ich vermute, dass das Länderrisiko steigen und sich somit die Kosten der Neuverschuldung Italiens erhöhen würden. In solchen Szenarien ist oft ein Schulden haircut der beste Ausweg. Die Rolle der EZB als Bürgen verschiebt einen solchen in die Zukunft. Dann wären die verbundenen Turbulenzen aber vermutlich höher.

    • Stefan Sasse 29. Oktober 2021, 14:23

      Ich sehe nicht, warum da ein Automatismus existieren sollte?

      • Lemmy Caution 29. Oktober 2021, 15:01

        Wieso Automatismus?
        Das ganze hängt ja ausschließlich von den Erwartungen der Investoren ab. Irgendwann gerät das ins Rutschen.
        Wenn die Länder mit hohen Schulden von einem Pool von liquiden Ländern gestützt werden, wirkt sich das positiv auf die Erwartungen der Investoren aus. Falls nicht, werden die irgendwann nervös und verlangen höhere Zinsen.
        Japan hat einige Besonderheiten wie etwa die traditionell sehr hohe Sparquote.

  • Hias 30. Oktober 2021, 02:21

    Auf der einen Seite verstehe ich ja, warum Lindner auf das Finanzministerium pocht, aber auf der anderen Seite denke ich, dass er sich hier massiv ins Knie schießt.
    Klar er versucht die wirtschaftsliberalen Konservativen an die FDP zu binden, indem er sich als der finanzpolitische Stabilitätsanker zu verkaufen sucht. Aber es ist halt auch eine defensive Position, die er da eingeht, es geht nur darum, darauf zu achten, dass man nicht zuviel ausgibt.
    Dem steht das seit Jahren sorgsam aufgebaute Narrativ als Vorfechter der Digitalisierung gegenüber und das „Nie gab es mehr zu tun“. Da wirkt dann so eine Position als Finanzminister irgendwie falsch.
    Und beim Thema Digitalisierung gäbe es wirklich viel zu tun, das ist ja nicht nur Kabeln verbuddeln. Da geht es auch darum, dass die komplette Verwaltung schlicht und einfach effizienter werden muss. Das fängt bei dem Problem rechtssichere Kommunikation (Faxgeräte!) an, geht über die zugrundeliegenden Prozesse und Normen bis hin zu einem echt dicken Brett: Der Schaffung von funktionierenden Schnittstellen zwischen den einzelnen föderalen Ebenen und Ressorts. Das ist ne echte Jahrhundertaufgabe.

    • Stefan Sasse 30. Oktober 2021, 14:13

      Im Idealfall (für die FDP) kriegen sie ja auch beides. Die Grünen haben mit Umwelt alle Hände voll, und die SPD interessiert sich nicht dafür.

      • Hias 30. Oktober 2021, 15:32

        Naja, die Ministerien in den jeweiligen Zuschnitten zu erhalten ist das eine, das andere ist, wofür man sein politisches Kapital einsetzt. Und sowohl eine vernünftige Digitalisierungsstrategie durchzusetzen (und damit ja auch in andere Ressorts einzugreifen) und zugleich den harten Wächter der Finanzen zu machen, dafür reicht mE das politische Kapital der FDP nicht aus.

        • Stefan Sasse 30. Oktober 2021, 18:08

          Die FDP würde ja eh ihren digitalen Wandel nicht über staatliche Haushalte bestreiten, deswegen schließt sich das nicht aus. Aber ich teile deine Befürchtung über die Prioritäten der Partei; Identitätspolitik schlägt Sachpolitik meistens.

      • Stefan Pietsch 30. Oktober 2021, 17:13

        Welche Ministerien sollen denn die Grünen bekommen? Und welche die FDP? Offensichtlich denkt mancher, die Grünen bekämen ein sehr starkes Umwelt- und das ohnehin mächtige Finanzministerium. Da sind wohl einige in sehr feuchten Träumen. Wenn die Grünen nach dem Finanzministerium um praktisch jeden Preis greifen, ist das Umweltministerium weg samt Klima. Das sollen Habeck & Co. mal ihren idealistisch bewegten Anhängern erklären, dass die Marktliberalen sich ums Klima kümmern.

        Finanzen und Umwelt werden die Kernressorts. Und da bekommt nicht eine Partei beides und die anderen was übrig bleibt.

        • Stefan Sasse 30. Oktober 2021, 18:10

          Die Grünen werden das Umweltministerium kriegen, und sie werden Ressorts aus anderen Ministerien zu einem „Superministerium“ dranklatschen, ähnlich wie das aufgebohrte Wirtschaftsministerium, das sich Gabriel 2013 zusammengeschraubt hat. Wie effektiv das sein wird steht auf einem anderen Blatt, aber für die politische Optik werden sie das auf jeden Fall machen.

          • Stefan Pietsch 30. Oktober 2021, 18:23

            Digitalisierung findet nicht in einem Ministerium statt, sondern ist eine Aufgabe des gesamten Staates. Das erinnert dann doch ein Stück an Big Brother. Koordinationsfunktion, ja. Aber das ist keine Wirkungsmacht und in der Vergangenheit waren solche neuen Ressorts mehr mit sich selbst beschäftigt. Alles muss schließlich erst bürokratisiert werden.

            Wenn die Grünen unbedingt das Finanzministerium wollten, könnten sie es durchsetzen. Aber der Preis wäre enorm. Nicht nur würden sie das Ministerium verlieren, das für ihre Kernkompetenz steht. Sie würden von Beginn den Spaltpilz in die Koalition tragen. Habeck ist zu klug, das nicht zu wissen.

            • Stefan Sasse 30. Oktober 2021, 23:13

              Ja, aber das gilt letztlich für Klimaschutz oder Sozialpolitik oder Industriepolitik oder Sicherheitspolitik auch. Es ist ja ein generelles Problem gerade: starkes Ressortdenken, wo eigentlich vernetzte Ansätze gebraucht würden.

              Mir brauchst du das nicht zu sagen, mit ist die Politik seit Monaten klar. Ich habe nie etwas anderes gesagt. Würde ich gerne ein grünes Finanzministerium sehen? Klar. Denke ich, Lindner ist keine gute Besetzung? Klar. Denke ich, eine Ampel ist nur mit Finanzminister Lindner möglich? Klar. Erneut: das sage ich seit Monaten. Und klar wissen die Grünen das. Die sind zumindest nicht immer total bescheuert…

              • Stefan Pietsch 31. Oktober 2021, 00:09

                Das siehst Du aus meiner Sicht zu pessimistisch. Christian Lindner weiß, dass er als Finanzminister nicht FDP-Politik pur machen kann. Der Unterschied zu den Grünen: seine Partei und Anhänger wissen das auch. Würde man sich zu bestimmten Projekten committen und ein Finanzminister Lindner dies dann abriegeln, wäre das eine Belastung. Die FDP ist die rechtsstaatliche Partei in Deutschland. Sie ist vertragstreu. Deswegen wollte Scholz immer mit den Liberalen statt mit der der LINKEN. Wenn die FDP vereinbart, Scholz die Mehrheit zu beschaffen, dann bekommt er die Mehrheit.

                Das erklärte Ziel des SPD-Wahlsiegers ist, 2025 auf jeden Fall wiedergewählt zu werden. Eine experimentelle Politik gegen die Grundüberzeugungen der großen Mehrheit würde das Projekt schnell zum Scheitern bringen. Das hat Lafontaine im Herbst 1998 probiert und brachte als erstes die Koalition in den Umfragen zum Absturz.

                Von daher scheint mir die Finanzpolitik der Ampel vorgezeichnet. Dass dies bestimmt so ist, dafür jedoch bürgt Christian Lindner weit eher als Robert Habeck. Der Unterschied liegt in dem Grad, wie sie ihre Parteien im Griff haben. Habeck wird in einigen Wochen nicht einmal mehr Parteivorsitzender sein.

                • Stefan Sasse 31. Oktober 2021, 08:49

                  Ich hoffe, du hast Recht, und ich denke, deine Befürchtungen gegenüber den Grünen werden sich als gegenstandslos erweisen. Von daher sollten wir beide darauf hoffen, dass der jeweils andere klarer sieht 😀

                  Sehe ich genauso mit 2025. – Lafontaine 1998 ist eine total merkwürdige Episode irgendwie.

                  Korrekt, aber ich sehe bei den Grünen genausowenig wie bei der SPD irgendeine Lust, die Koalition platzen zu lassen. Das Risiko ist auch bei FDP gering, aber von allen drei Parteien am höchsten. Und ich möchte noch einmal betonen, dass es die FDP 2010/11 war, nicht die Grünen 1998-2005, deren Abgeordnete wegen ihrer ideologischen Überzeungen die Regierung platzen lassen wollten.

                  • Stefan Pietsch 31. Oktober 2021, 09:43

                    Es ist nicht einmal ein Koalitionsvertrag in Ansätzen verhandelt und wichtige Gruppen der Grünen machen Rambazamba. Wenn nicht grüne Politik pur inklusive linker Sozialpolitik drin ist, dann könne man einem Koalitionsvertrag nicht zustimmen. Solcher Rabautz ist problematisch. Da die Vereinbarung von den Mitgliedern abgesegnet werden muss, liegt hier Erpressungspotential gegenüber den Verhandlern. Zweitens zeigt es Sollbruchstellen auf, die nicht von den führenden Politikern, wohl aber von der Basis genutzt werden können.

                    Eben die Äußerungen von einfachen Mitgliedern zeigen, dass ein Finanzminister Habeck deutlich stärker unter Druck der Mitglieder stehen könnte als ein Finanzminister Lindner. Beide haben kein Interesse Solitär zu spielen. Aber ihre Macht und Einfluss haben Quellen.

                    Jeder weiß, dass er in einer Koalition gebunden (gefangen) ist. Historisch ist es so, dass derjenige, der eine Regierung aufkündigt, bei den folgenden Wahlen deutlich abgestraft wird. Da liegt kein Gewinn drin.

                    2010/2011 gab es keine ernsthaften Versuche, die Koalition zu beenden.

                    • Stefan Sasse 31. Oktober 2021, 22:10

                      Ich sag’s nochmal: ich bin ziemlich sicher, dass du hysterisch reagierst. Du bist ziemlich sicher, dass ich hysterisch reagiere. Bauen wir mal drauf, dass wir beide Recht haben. Ich bin für meine Einschätzung der Grünen sehr zuversichtlich (übrigens weniger für die FDP, da sehe ich wesentlich mehr Potenzial falsch zu liegen).

                    • Erwin Gabriel 2. November 2021, 10:26

                      @ Stefan und Stefan

                      Ein grüner Finanzminister macht mir auch ein wenig Angst. Als grundsätzlich linke Partei fangen auch die Grünen erst an, über Geld nachzudenken, wenn es andere schon verdient haben, und sehen die Steuern als Besitz des Staates, nicht als Geld der Bürger an. Und Macron & Co. würden die einmalige Chance nutzen, in Deutschlands Kasse zu greifen Europa zu stärken. Ein nicht-grüner Umwelt-Minister wäre vermutlich auch nicht so der Hit.

                      Aber mit einer Idee, das Wirtschaftsressort mit in das Umweltministerium zu packen, käme ich gut zurecht.

                    • Stefan Sasse 2. November 2021, 14:25

                      Kann ich völlig verstehen.

  • CitizenK 31. Oktober 2021, 21:37

    Hab da einige Fragen:

    Hat Olaf Scholz überhaupt noch mitzureden? Nach dem GG entscheidet das doch er. Grün und Gelb kungeln das unter sich aus – ist das noch verfassungskonform?

    Und: Wie wirkt sich das Störfeuer aus dem Ausland aus? Kann Lindner jetzt überhaupt noch nachgeben? Und was bedeutet das für die EU?

    Begnügt Steinmeier sich mit der Notar-Rolle?

  • Erwin Gabriel 2. November 2021, 10:20

    @ CitizenK 31. Oktober 2021, 21:37

    Hat Olaf Scholz überhaupt noch mitzureden?

    Ich denke auch, dass allen klar ist, dass sie ein Stückweit an der Leine der anderen hängen – schließlich hat keiner von denen eine absolute Mehrheit. Gerade Grüne und FDP wissen, dass sie ohne einander nicht können, während die SPD theoretisch austauschbar wäre.

    Ich denke dennoch, dass es genug zweigleisiges Geschrei geben wird: Nach außen schimpft man über den anderen, um die Basis zu beruhigen, untereinander wird man Wege finden. Lindner benannte die Grünen vor den Verhandlungen als deutliche „Wahlsieger“, und Habeck meinte, man dürfe die FDP nicht so behandeln wie beim letzten Mal – die führenden Protagonisten verstehen genau, wo es dem anderen wehtut.

    • Stefan Sasse 2. November 2021, 14:25

      Denke auch. Wenn man hinter den Theaterdonner schaut ist ziemlich offensichtlich, dass alle drei committed sind, was die Ampel angeht. Da geht es nur noch um Details.

  • CitizenK 23. November 2021, 11:21

    Mal wieder was für die Italien-Basher – aus der bekannten Linken-Postille FAZ:

    Vorbild Italien:
    Seit dem Jahr 2019 werden nicht nur die Endverbraucher scharf kontrolliert. „Italien ist eines der europäischen Länder, das beim Umsatzsteuerbetrug beziehungsweise der Umsatzsteuerhinterziehung erfolgreich eingegriffen hat“, berichtet Krug. Es gebe nun die Pflicht, Rechnungen elektronisch zu erstellen. Diese würden in einem vorgegebenen Datenformat über ein zentrales Register an den Rechnungsempfänger übermittelt. Für den früheren Bürgermeister von Bad Homburg liegt der Vorteil auf der Hand: Dieses Vorgehen ermögliche der Finanzverwaltung sofort eine elektronische Kontrolle der Zahlungen.

    Fehlendes Meldesystem

    In Deutschland hat der Föderalismus im Zusammenspiel mit den üblichen Beharrungskräften ein solches System verhindert. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages gehen davon aus, dass das italienische System grundsätzlich hierzulande eingeführt werden kann.

    https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ampel-koalition-im-kampf-gegen-den-mehrwertsteuer-betrug-17647045.html

    Geschätztes Volumen in der EU: 30 bis 50 Mrd. Euro.

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