Programm macht Politik

Ein Gastbeitrag von Cimourdain

Programm macht Politik (ein Test)Offen gesagt, es ist mir ein Dorn im Auge, wie viel vor Wahlen (und dieser besonders) über Personalien gesprochen wird – wer ist wie fähig und hat welchen Skandal im Nacken – über Politics – welche Partei kann mit welcher – und über (willkürliche) Attributzuweisungen (links, rechts, progressiv). Über diesem Seifenoper-Politikbild gerät in meinen Augen das ins Hintertreffen, worum es in meinen Augen eigentlich gehen sollte, die unterschiedlichen Programme und policies, die die Parteien (wir wählen in erster Linie Parteien) vertreten.

Und deswegen interessierte mich, ob die Spekulationen über Richtungen und Koalitionen, die wir auch mit Begeisterung hier im Forum betreiben, auf (medial vorgekauten) Klischees beruhen oder ob sie nachweisbar durch die Programme decken lassen. Dazu habe ich mir die Vorarbeit der Bundeszentrale für politische Bildung zunutze gemacht, die für den Wahlomat Policy – Fragen auf einige Ja-Nein Thesen herunterzubrechen.

Auf dieser Basis habe ich ein simples Bewertungssystem für die ‚Vereinbarkeit‘ von zwei Parteiprogrammen gelegt: Jeweils ein Punkt für jede Frage, in denen die Parteien übereinstimmen, ein Punkt Abzug bei entgegengesetzten Antworten und keine Punkte, wenn eine Partei unentschlossen ist. In der Summe ergibt sich ein Wert von -38 (komplettes Gegenteil) bis + 38 (komplette Übereinstimmung).

Natürlich ist mir bewusst, dass dieses System wie auch der Wahlomat Schwächen hat:

– Arbiträre Auswahl der Fragen

– Keine Berücksichtigung von Prioritäten der Parteien-Grobes Ja-Nein-Raster

– Manipulierbarkeit durch Parteien mittels unklarer und populistischer Aussagen

– keine Gewichtung der Themen (sehr problematisch),

aber ich wollte das Ergebnis nicht durch willkürliche Korrekturen manipulieren, sondern einfach sehen, was herauskommt.

In Tabellenform (Reihenfolge geht nach aktueller Fraktionsgröße) gegossen sieht dann das Ergebnis so aus:

Damit kann man jetzt einige Konstellationen überprüfen:-„Linkes Lager“: SPD, Linke und Grüne haben sehr deutliche Ähnlichkeiten. Insbesondere bei Linken und Grünen ist die Übereinstimmung extrem hoch.

– „Bürgerliches Lager“: deutlich weiter auseinander als auf der anderen Seite, aber die Parteienhaben untereinander ziemliche Übereinstimmung. Hier ist die Nähe CDU-AfD bemerkenswert (ob das daran liegt, dass die AfD bewusst Kreide gefressen hat ‚mainstreamtauglich‘ aufzutreten, ist reine Spekulation)

– „Hufeisen“: AfD und Linke sind maximal weit auseinander.

– „Progressives Bündnis“: Stefan Sasses Favorit FDP – Grüne landet in der Wennsdennseinmuss-Kategorie

– ‚Schwarz-Grün‘: Die einzige Paarung unter den ‚Parteien der Mitte‘, die deutlich mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten zeigt

– ‚Groko IV‘ : CDU und SPD haben haben ebenso viele Unterschiede wie Gemeinsamkeiten-Dreierkoalitionen innerhalb der ‚Parteien der Mitte‘

Die Disharmonie zwischen CDU und Grünen schränkt die Auswahl auf Schwarz-Rot-Gelb und Rot-Grün-Gelb ein, die in der Summe vergleichbar viele Übereinstimmungen liefern.

Fazit: Was mich überrascht hat, war wie deutlich die Aufteilung in zwei klare Lager sichtbar ist. Dabei sind SPD und FDP besser mit dem anderen Lager kompatibel (bis in die Ränder übrigens, wer hätte gedacht, dass FDP und Linke mehr gemeinsam haben als CDU und Grüne). So gesehen wäre es ein logischer Schritt, wenn die nächste Koalition eine klare Lagerrichtung hätte (wobei uns eine ‚Barbados-Koalition‘ bitte erspart bleiben möge).

Natürlich ist das auf dem simplen Niveau, auf dem ich es betrieben habe, ist auch nur ein Teil des Gesellschaftsspiels Politspekulation und nur einen kleinen Erkenntnisschritt (Quantifizierung) über der Kaffeesatzleserei der politischen Kommentatoren. Dennoch möchte ich die zugrunde liegende Denkweise allen Akteuren ans Herz legen:

– Wähler: Wählt nach Programm. Lieber die richtige Politik von den ‚falschen‘ Personen/Parteien als die falsche Politik von den ‚richtigen‘

– Kommentatoren: Vergleicht die Programme anstelle die üblichen Attribute zu bemühen.

– Parteien: richtet euch nach dem, was ihr programmatisch durchsetzen wollt und kommuniziert das vor allem auch so. Viel Politikverdrossenheit kommt aus der Wahrnehmung von Politik als reinem Machtpoker.

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  • Stefan Sasse 5. September 2021, 09:53

    Danke für deinen Beitrag! Mir zeigt das vor allem, wie nutzlos der Wahl-O-Mat ist. Er gaukelt etwas vor, das er nicht einhalten kann. Spätestens wenn man die Kleinparteien dazunimmt, sind die Übereinstimmungen so groß, dass das Ergebnis völlig unbrauchbar ist. Auch so fehlt aber jeder Kontext. Ich weiß ja bei vielen Fragen oft selbst nicht, wie ich mich dazu positionieren soll, weil sie im luftleeren Raum gefragt keine große Bedeutung haben. Opportunitätskosten spielen keine Rolle, Gewichtungen praktisch auch nicht. Und so weiter. Letztlich ist der Wahl-O-Mat ganz nett, um eine grundsätzliche Richtung zu erkennen. Ich mach den auch immer im Unterricht. Meine Erfahrung da läuft aber immer auf dieselben zwei Probleme hinaus: erstens haben viele Leute zu einem guten Teil der Themen keine Meinung, weil sie nicht wissen, um was es überhaupt geht, und zweitens sind sie regelmäßig überrascht, welche Partei bei ihnen große Übereinstimmung hat und beschließen dann, dass der Wahl-O-Mat kaputt sein muss 😀

    • cimourdain 6. September 2021, 00:10

      Vieles deiner Kritik am Wahlomat ist korrekt. Einiges habe ich ja auch schon selber erwähnt. Aber bei manchen liegt einfach ein Bedienungsfehler vor, weswegen ich es gut finde, dass du ihn -mitsamt deiner Kritik- im Unterricht behandelst (als einen Teil der politischen Medienkompetenz):
      – Falsche Erwartungen: Der WoM ist kein Orakel, dass für dich den richtigen Partner findet. Er sollte am Anfang der Programmwahl stehen, nicht am Ende. Hier ist der Überblick am Schluss mit den Parteilisten wichtiger, als die ausgespuckten Prozente. Idealerweise kristallisieren sich dann ein paar wenigen politische Fragen heraus 3-4, vieeleicht ein DUtzend, nach denen man eine Entscheidung trifft.
      – Kleinparteien: Ziehst du bei mehr als 3 oder 4 Kleinparteien überhaupt ernsthaft in Erwägung, sie zu wählen? Ich denke nicht. Zudem sind viele davon Ein-Punkte Parteien, die zu vielen Themen gar nichts zu sagen haben. (Hier schiesst die ‚Partei für Gesundheitsforschung‘ den Vogel ab, die auf ALLE WoM-Fragen neutral geantwortet hat, sogar auf die nach der Freigabe von Patenten für Coronaimpfstoffe)
      – ‚luftleerer Raum‘: Das ist ganz wichtig, Natürlich spielt die konkrete Ausgestaltung eine Rolle, aber die erste Frage sollte lauten, ob überhaupt der Wille da ist, etwas zu verändern. Nimm etwa die Frage ‚Der Bund soll mehr Einflussmöglichkeiten in der Schulpolitik erhalten‘ Ich meine, dass die grundsätzlichen Argumente dafür oder dagegen bleiben, unabhängig von der konkreten Realisierung. Und diese Argumente sollten auch nicht davon abhängen, ob ein Bildungsministy kompetent ist oder eine Pfeife.
      – keine Meinung 1: Wenn Fragen auftauchen , zu denen ich zu wenig weiss, ist das ein Bonuspunkt FÜR den WoM. Diese Fragen haben eine Signifikanz und vielleicht lohnt es sich dem nachzugehen.
      – keine Meinung 2: Auch wenn es einem Lehrer grundsätzlich widerstrebt, es ist kein Makel, ‚Keine Antwort‘ anzukreuzen. Siehe meine Antwort an Thorsten Haupts weiter unten.
      – ‚Wahl-o-MAt kaputt‘ Deswegen ist es so wichtig zu verstehen, dass das erst der Anfang des Entscheidungsprozesses ist und es nicht darum geht, die ‚richtige‘ PArtei im Ergebnis zu haben. Vielleicht macht man sich aber auch einfach ein falsches Bild von einer Partei. Mir war zum Beispiel nicht bewusst, wie links das Grünen- Programm gerade bei den Themen ist, bei denen es um Geld geht. Wrong results are not a bug, they are a feature.

      • Stefan Sasse 6. September 2021, 10:19

        – Erwartungen: Das Problem ist vor allem, wenn der WahlOMat die Suche anfängt UND beendet 😀
        – Kleinparteien: Gerade weil die so beschränkt und meist eh nicht regierungsfähig sind ist es Blödsinn, sie gleichberechtigt hinzustellen. Ganz besonders bei der PARTEI.
        – Luftleer: Um bei dem Beispiel zu bleiben: welche Kompetenzen? Wofür? Mit welcher Zielsetzung? Wenn die AfD das fordert, lehne ich es ab. Wenn die FDP es fordert, bin ich dafür. Beide würden aber im WahlOMat einfach nur als „Zustimmung“ geführt werden.
        – Meinung 1: Da sollte in meinen Augen ein Video eingebunden sein, in dem jemand von der BpB in 30 Sekunden oder weniger erklärt worum es geht.
        – Meinung 2: Das widerstrebt mir nicht im Geringsten. Ich kreuz das auch gerne an.

        • cimourdain 8. September 2021, 00:27

          – „Kleinparteien“ Die kommen ja auch nicht aus dem Stand in die Regierung, sondern können erst einmal Oppositionsarbeit leisten. Dort diversifizieren sie sich thematisch und werden irgendwann regierungstauglich. Die Grünenhaben mit zweieinhalb Punkten angefangen. Frieden, Atomausstieg und diffus Naturschutz.

          -„Luftleer“ Mit dieser Aussage bist du tief im Reich der Doppelstandards. Eine sinnvolle Politik bleibt sinnvoll, auch wenn sie von der AfD ausgeht. Oder konkreter: Ein beschleunigter Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan ab Juni 2021 wäre sinnvoll gewesen, auch wenn der Antrag von der Linkspartei bzw den Grünen kommt.

          „Meinung 1“ Ein kurzer Text ist – behutsam formuliert akzeptabel, ein Video lässt sich zu einer politischen Fragestellung fast nicht neutral gestalten und schafft damit ein verfälschendes Framing für die Fragestellung.

          • Stefan Sasse 8. September 2021, 18:17

            – Ja.
            – Ja.
            – Sehe ich nicht so. Hängt nicht vom Medium ab.

  • Thorsten Haupts 5. September 2021, 11:26

    Drei Anmerkungen zu der an sich interessanten Uebersicht:

    1. Ich weiss von mir selbst, wie haeufig ich „neutral“ waehle – ich haette zu der konkreten Politik nur im Zusammenhang eine Meinung

    2. Natuerlich ist das AFD Programm eines von relevanten Teilen der CDU von Anfang 2000. Die Unvereinbarkeit ergibt sich nicht programamatisch, sondern daraus, wie sich Funktionaere oeffentlich aeussern und mit wem sich die Partei verbuendet

    3. Zumindest fuer die Union ist das offizielle Parteiprogramm nicht das Papier wert, auf dem es gedruckt ist. Die lebt von einem gefuehlten „weiter so ist okay“ einer grossen Zahl von Waehlern, was ihre Schwierigkeiten zur Zeit ganz gut erklaert

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Erwin Gabriel 5. September 2021, 23:35

      @ Thorsten Haupts 5. September 2021, 11:26

      zu 1: Kann ich nachvollziehen, geht mir oft genau so
      zu 2, 3: Zustimmung!

    • cimourdain 6. September 2021, 00:34

      1. ‚Neutral‘ auswählen ist keine schlechtere Wahl. Sowohl wenn ein Thema mich nicht bei der Wahlentscheidung beeinflusst (Bei mir ist das zum Beispiel das Thema Cannabis) als auch wenn sich die Argumente pro und contra weitgehend die Waage halten, so dass es vor allem von der konkreten Ausgestaltung abhängt, ob ich dafür oder dagegen votiere: Jedesmal ist das die richtige Antwort. Undich schreibe bewusst ‚richitige‘. Man muss sich davon lösen, zu allem Ja oder Nein anzukreuzen. In letzter Konsequenz entscheide ich auch nur nach einer Handvoll Themen(bereichen).

      2. Im wesentlichen ja, mit der Ausnahme, dass die AfD aus der EU rauswill die CDU2000 nicht. Und weder Stil noch Personal spielt bei dem Ganzen eine Roll, aber es könnte sein, dass sich die AfD, wenn sie das Thema Migration nicht mehr melken kann, ein zweites Mal häutet und von der eindeutig rechtspopulistischen zu einer konservativ populistischen (Um dem Kind einen Namen zu geben poujadistischen) Partei wandelt.

      3. Richtig, die Union hat in Ihrem Programm und auch in ihren Antworten im wesentlichen ein ’nur nichts ändern‘ oder in manchen Fällen , wie Windenergie, ‚Drehen wir die Dingen zurück‘ stehen.

      • Stefan Sasse 6. September 2021, 10:20

        Ich hoffe mittlerweile dass sie Cannabis legalisieren einfach damit ich das Thema nicht mehr hören muss…

  • Stefan Pietsch 5. September 2021, 12:16

    Erst Mal herzlichen Dank für den Mut und die Arbeit, hier einen Artikel einzustellen, der zudem seriös gehalten ist.

    Das war’s dann mit den Komplimenten. 🙂
    Ich finde die Haltung „Schaut auf die Programme“ arrogant. Selbst politisch nicht so informierte Menschen wissen, dass praktisch niemand die Programme liest. Es sind nach Innen gerichtete Machwerke der Selbstvergewisserung.

    Die LINKE benötigt dafür 68.331 Worte, die Grünen 67.278. Die AfD dagegen komt mit 23.482 Worten aus und die CDU verteilt auf 43.068 Worten ihre Inhaltslosigkeit. Hat die LINKE dreimal mehr so viel zu sagen wie die AfD? Und wie kommt es, dass die Rechtspopulisten bei Wahlen deutlich besser abschneiden als die ehemalige SED?

    Offensichtlich haben 99% der Wähler weder die Zeit noch das Interesse, sich in zig Wahlprogramme zu vertiefen. Und bitte, selbst hier sagen Leser, ihnen seien Artikel im Umfang von gerade 4 Seiten zu lang.

    Sie sagen – und offenbaren damit ein ziemliches Missverständnis, was demokratisch legitimierte Politik sein soll: Nicht die Politik solle sich auf die Bedürfnisse der Wähler einstellen, sondern der Bürger solle gefälligst sich ein professionelles Verständnis von Politik aneignen. Wie zu kleinen Kindern sagen Sie, so geht es nicht, wenn sich gerade 42% für Politik interessieren. Wählen gehen übrigens fast doppelt so viele.

    Der Sinn repräsentativer Demokratie ist, dass gewählte Politiker die Dinge der res publica für die Gesellschaft regeln, was der Einzelne nicht tun kann, nicht tun will und sich vielleicht auch das Vorrecht vorbehält, sich nicht interessieren zu wollen. Es soll ja auch Aktionäre geben, die Unternehmensanteile nur der Wertsteigerung wegen kaufen, mit den Feinheiten der Geschäftspolitik aber nichts zu tun haben wollen. Die Unternehmensleitung war dann erfolgreich wenn Kurs und Dividende steigen, nicht, wenn das Unternehmen auf Personalabbau verzichtet hat.

    Der Politiker ist in der repräsentativen Demokratie erfolgreich, wenn er die Ziele der Mehrheit erfüllt – oder dies so wahrgenommen wird. Ob das durch Senkung von Unternehmenssteuern, Abschluss von Freihandelsabkommen, Verbot der Atomkraft geschieht, ist den meisten schnurz. Wenn aber der Politiker dann kommt, er habe zwar die Kernkraftwerke abgeschaltet, aber nun müsse der Hausbesitzer bereit sein, in seiner unmittelbaren Umgebung einen Windpark dulden, könnte es sein, dass die Mehrheit die politische Leistung als ungenügend beurteilt.

    Wie gesagt, für mich offenbart sich eine arrogante Haltung, wenn vom Souverän verlangt wird, er habe sich bitte auf den dienstleistenden Auftragnehmer einzustellen, anstatt dass der (bezahlte) Auftragnehmer sein Angebot auf die Bedürfnisse, Belange und Eigenheiten des Auftraggebers ausrichtet, der ja schließlich die ganze Party bezahlt.

    • Stefan Sasse 5. September 2021, 19:15

      Anmerkungen zum Umfang der Programme: die Parteien verfolgen hier unterschiedliche Strategien. Die LINKE und die Grünen haben WESENTLICH ausführlichere Programme und gehen viel mehr ins Detail. Ich halte das für Quatsch, aber das machen die anderen nicht, daher der Unterschied im Umfang.

      • Stefan Pietsch 5. September 2021, 19:32

        Kann ich von dem, was ich vergleichend gelesen habe, nicht bestätigen. Die Grünen z.B. machen bei den gleichen Themen etwas mehr Worte als die FDP, sagen aber nicht unbedingt. Sie erläutern stärker, warum sie etwas für notwendig erachten. Das scheint ihrer DNA zu entsprechen. Sowohl in den Jamaika-Sondierungen 2017 als auch in Schleswig-Holstein stellten CDU- und FDP-Politiker fest, dass die Grünen immer nochmal das bereits geschlossene Fass aufmachen. Außerdem widmen sie sich mehr Themenkomplexen.

        Ich halte das alles nicht für lesenswert und ich falle mit meinem Politikinteresse schon aus der Norm. Dankenswerterweise bieten die Parteien ja Buttons an, wo man zu einem Thema klicken kann. Alles andere ist kaum erträglich.

    • CitizenK 5. September 2021, 20:22

      Wenn fast die Hälfte des sogenannten Souveräns entscheidet ohne Interesse an dem Gegenstand, dann sollte man den Begriff und das Argument fallen lassen. Die Analogie Staat und Aktiengesellschaft trägt einfach nicht. Der Auftragnehmer hat 4 Jahre lang das Sagen. Und die Machtmittel.

      • Stefan Pietsch 5. September 2021, 21:12

        Sie wählen Vertreter (re-prä-sen-ta-tiv), nicht eine bestimmte Politik. Das ist nicht nur legitim, sondern in der repräsentativen Demokratie so angelegt. Sonst könnten wir gleich zur direkten Demokratie mit Plebisziten und Referenden übergehen. Wer das zurückweist oder gar lächerlich macht, hat das Wesen unserer Demokratie nicht verstanden.

        Für die Wahl von Repräsentanten bedarf es nicht vorrangig Kenntnis der Agenda, sondern Vertrauen. Millionen vermögender Menschen vertrauen ihr Geld Fonds und Stiftungen an, von denen sie häufig nur den Zweck und die generelle Anlagestrategie kennen. Und auch von Chirurgen verlangen die wenigsten, dass sie die genauen Operationsschritte erklärt bekommen, sondern nur eine pauschale Aufklärung über das erwartete Ergebnis und Risiken.

        Der Vorstand einer AG wird auf Zeit bestellt, die Mitglieder erhalten Organverträge. Ihre Ablösung kann nur unter bestimmten Bedingungen und veränderten Mehrheitsverhältnissen erfolgen. Parallelen nun erkannt?

        • Stefan Sasse 6. September 2021, 10:13

          Völlige Zustimmung zum Repräsentantending. Mich nervt das so tierisch, wie viele Leute das willentlich ignorieren.

    • cimourdain 6. September 2021, 01:04

      Danke für die warmen Worte und für einen Kritikpunkt, den ich gar nicht bedacht hatte, den ich nichtsdestotrotz etwas niedriger hängen möchte.

      Zum ersten sind die Programme nicht nur öffentlich, sondern inzwischen sind (und das ist in meinen Augen ein bedeutenderer Fortschritt in Sachen Inklusion als viele andere Dinge) es gibt sie auch fast alle (die AfD schert aus) in leichter Sprache. und damit auf ca 10 Seiten reduziert.

      – Zum zweiten verlange ich von niemandem, sich bei der Wahl an allen Politikfeldern zu orientieren. Ich tu es auch nicht. Aber manche Themen sind mir wichtig, und da vergleiche ich auch, was ich bestelle, wenn ich diese Partei wähle.

      – Ich weiss, dass ich hier zu Leuten spreche, die sich für Politik grundsätzlich interessieren, die auch einen längeren Artikel lesen könne.

      – 58% interessieren sich nicht für Politik im Sinne von ‚Das was Politiker machen‘, was auch damit zusammenhängt, wie Politik dargestellt wird. Wenn Sie allerdings die im Wahlomat gestellten Fragen ansehen, dann traue ich mir wetten, dass Sie bei 95 % der Leute mindestens drei Fragen (mehr verlange ich auch nicht, siehe oben) haben, zu denen diese eine dezidierte Meinung haben, vielleicht aus den ‚falschen‘ Gründen, aber auch das ist Demokratie.

      – Was Sie als Idealbild der repräsentativen Demokratie beschreiben, ist in meinen Augen weniger Demokratie als Wahlaristokratie: Wir wählen einen Ersatzkönig samt Hofstaat und der sorgt dafür, dass es allen gut geht. Und wenn es ein schlechter König ist, kommen Seuchen und Überflutungen über das Land.

      – Und ein Appell ist noch kein ‚verlangen‘. Ich möchte nur, dass – wie beim Kauf von Lebensmitteln auch auf die Inhaltsstoffe geachtet wird, nicht nur auf Preis, Farbe der Verpackung oder den eingängigen Werbejingle.

      • Stefan Sasse 6. September 2021, 10:20

        Viele von denen, die sich für Politik interessieren, wissen nicht, was Politiker machen. Da könnte ich mich permanent drüber aufregen…

      • Stefan Pietsch 6. September 2021, 12:47

        Gute Debatten beginnen mit Wertschätzung.

        Der Vorstandsvorsitzende und der Finanzchef (CFO) jeder börsennotierten Kapitalgesellschaft in den USA und der EU muss den Jahresabschluss persönlich unterschreiben. In den USA schließt sich daran die persönliche Haftung mit dem Privatvermögen und der eigenen Freiheit an, dass sämtliche Angaben des Abschlusses den Tatsachen entsprechen. Das ist bei genauer Betrachtung ein wahnwitziges Unterfangen, bei teilweise Millionen Geschäftsvorfällen und hunderten involvierten Buchhaltern so weitgehend für die Korrektheit zu haften.

        Mehr noch: die Bilanzierungsvorschriften der US-GAAP und der IFRS sind sehr kompliziert und in manchen Aspekten (Umsatzrealisierung IFRS 15, ASC 606) nur Profis verständlich. Mit anderen Worten: Um zu verstehen, wann ein Verkauf tatsächlich zu Umsatz geworden ist, braucht es ein Fachstudium. Hinzu kommt, dass mehrere Abschlüsse nach unterschiedlichen Regeln vorgelegt werden müssen.

        Vorstandsvorsitzende haben meist Besseres zu tun als sich mit den Feinheiten der handelsrechtlichen und steuerrechtlichen Rechnungslegung im Detail auseinanderzusetzen. Wenn man nicht mehr nur Finanzchefs zu CEOs befördern will, sind selbst hoch gebildete Personen auf Vertrauen zu jenen angewiesen, die in ihrem Auftrag arbeiten.

        Sie verstehen? 2010 scheiterte in Hamburg der Volksentscheid zum längeren gemeinsamen Lernen, der von allen in der Bürgerschaft vertretenen Parteien unterstützt worden war. Die Wahlanalyse ergab, dass sich die Wahlbeteiligung abgestuft nach Durchschnittseinkommen und Bildung richtete. Nachbefragungen von Journalisten ergab, dass gerade in jenen Stadtbezirken, die besonders sozial benachteiligt sind, großes Desinteresse an dem Entscheid zeigten.

        Das ist der Grund, warum ich Ihre Haltung politisch arrogant finde (das ist explizit keine persönliche Wertung). Nur weil Sie und ich die Möglichkeiten erworben haben, sich mit Parteiprogrammen auseinanderzusetzen, rechtfertigt dies nicht, mit überheblichen Blick auf die zu blicken, die das nicht können und vielleicht auch nicht wollen.

        Denn viele erkennen wenig Unterschiede zwischen einzelnen Positionen. Sie hören sich eben alle irgendwie gut und nachvollziehbar, ja erstrebenswert an.

        Wir stehen für eine Flüchtlingspolitik, bei der jeder einzelne Mensch zählt. Wir verteidigen das Grundrecht auf Asyl, setzen uns für faire, qualifizierte und effiziente Verfahren auf nationaler und europäischer Ebene ein, genauso wie für eine nachhaltige Integrationspolitik.
        Aus dem Wahlprogramm der Grünen

        Das sind Sätze, bei denen 95% der Leute nicken können.
        Noch nie gab es global mehr Flüchtlinge als in den letzten Jahren. Neben kriegerischen Auseinandersetzungen und staatlichen Verfolgungshandlungen spielt insbesondere das enorme Bevölkerungswachstum auf dem afrikanischen Kontinent eine überragende Rolle. Da dies mit Armut und dem Kampf ums tägliche Überleben verbunden ist, wächst der Migrationsdruck auf Europa in besonderer Weise. Entgegen der Intention des UN-Migrationspakts kann dieses globale Problem nicht durch Migration gelöst werden. Selbst kleinere Teile dieser Entwicklung, die sich in Millionen von Menschen ausdrücken lassen, können weder ökonomisch, noch sozial- und integrationspolitisch in Europa aufgefangen werden. Deutschland und die anderen europäischen Länder würden destabilisiert, ohne dass ein wirkungsvoller Beitrag zur Lösung des globalen Problems geleistet wird.
        Aus dem Wahlprogramm der AfD

        Auch hier werden die meisten in Zustimmung verfallen und es sind nicht nur bildungsferne Schichten. Was also wählen? Grüne oder AfD? Da fällt die Wahl wirklich schwer.

        Es haben sich schon Leser beschwert, manche Artikel seien zu lang, weshalb ich inzwischen die geschätzte Lesezeit angebe. Nehmen Sie jetzt hinzu, dass wir hier ein sehr gebildetes Publikum haben, bekommen Sie vielleicht eine Vorstellung, wie das am unteren Ende der Skala aussieht.

        Was Sie als Idealbild der repräsentativen Demokratie beschreiben, ist in meinen Augen weniger Demokratie als Wahlaristokratie.

        Damit haben Sie gut den Kern und Ursprung der Demokratie beschrieben. Denn der Unterschied zur Monarchie ist, dass wir unsere Herrscher frei wählen und auch abwählen können. Wenn Sie darin keinen materiellen Unterschied erkennen, haben wir an dieser Stelle einen materiellen Dissens. Demokratie bedeutet nämlich eben nicht, automatisch und selbstverständlich über Fachthemen abstimmen zu können. Sondern über die Personen, die befugt sind, die Dinge zu regeln.

        Anders als in der Monarchie wird Macht in der Demokratie nur auf (kurze) Zeit verliehen. Deswegen braucht niemand ernsthaft Angst vor einer Regierung zu haben, die den eigenen Vorstellungen widerspricht. Denn ist sie erfolglos, wird sie nach 4 Jahren abgewählt. Das passiert ja häufig. Die Wähler mögen von vielen Sachverhalten wenig Ahnung haben, sie können aber erfolgreiche von erfolgloser Politik unterscheiden.

        Was nützt Ihr Wissen, wenn Sie es nicht anwenden? Ich liebe Schokolade und Eis. Es macht mich nicht glücklicher zu wissen, dass Schokolade schädlich für Gesundheit und Zähne ist.

        • Thorsten Haupts 6. September 2021, 15:04

          Denn der Unterschied zur Monarchie ist, dass wir unsere Herrscher frei wählen und auch abwählen können.

          K.R. Poppers für mich noch immer ausschlaggebendes Argument für Demokratie: Gewaltfreie Herrschaftsablösung (die Alternative ist entweder eine 95% Zustimmung zu „göttliche Bestimmung“ oder nackte Gewalt). Kommt im Gegensatz zu elaborierteren Theorien zusätzlich ohne Moralisierung.

          Gruss,
          Thorsten Haupts

        • cimourdain 7. September 2021, 00:12

          Es wäre schön, wenn Regierungen hierzulande tatsächlich abgewählt werden könnten. Ich wünsche mir manchmal ernsthaft den Ostrakismos zurück (ganz zu schweien von der Guillotine;-) ). Aber so einfach ist es leider nicht. Es gibt eine Legitimationskette und die ist so indirekt und verwoben, dass von Ihrer Stimme wenig bis nichts übrigbleibt, wenn sie im Kabinett ankommt. Es beginnt damit Sie im wesentlichen das Verhältnis der Parteilisten zueinander in den Bundestag wählen. Diese handeln untereinander aus, wer das Kanzleramt besetzt, wer die Ministerposten und wer die Staatssekretariate. Konkret: Was können Sie machen, wenn sich die Parteien auf eine ‚Kenia‘-Koalition einvernehmen (die hier wohl keiner so will) ?

          Und entsprechend hat sich in den letzten ca. 20 Jahren eingeschliffen, dass die Regierungen uns wie Untertanen und nicht wie den Souverän behandeln: Von Behörden zurückgehaltene Dokumente, Falschinformationen, Nacht-und-Nebel ABstimmungen, Null Accountability für Fehlleistungen oder in-die-eigene_Tasche-wirtschaften, und so weiter (dass seit dem letzten Jahr der Bundestag, die einzige wirklich gewählte Staatsinstitution, faktisch nur noch die Gesetze der Regierung durchwinkt, egal wie seltsam das Paket geschnürt wurde (Warum nicht die Änderung des Stiftungsrechts und ein weiteres Rumdoktoren am Infektionsschutzgesetz in ein Gesetzespaket zusammenfassen. Es ist ja nicht so, als wären das komplett unterschiedliche Rechtsgebiete).

          Und deshalb gebe ich den Parteien meine Stimme mit dem gleichen Vertrauen, mit dem ich einem Hütchenspieler in der Fußgängerzone einen Geldschein geben würde.

          • Stefan Pietsch 7. September 2021, 01:13

            Sie umschreiben gut, was mich so fundamental an Ihrer Position stört. Sie schreiben allein aus der Ego-Perspektive ohne sich Ihres politischen Gewichts bewusst zu sein oder es einzuordnen.

            Sie sind einer von 66 Millionen Wahlberechtigten. Ihre einzelne Stimme ist nicht wahrnehmbar. Folglich ist die Frage, ob Sie für eine relevante Gruppe stehen.

            Sie schreiben „seit 20 Jahren“. Dann sind Sie sehr jung. Tatsächlich gibt es dieses Lamento schon, seit ich politisch denken kann – also seit Ende der Siebzigerjahre. Das Image von Politikern war nie gut. In der Zeit sind Generationen von Menschen im Politikbetrieb gestartet, ausgestiegen, gestorben. Das lässt zwei alternative Erklärungen zu. Unser, Betonung auf unser, denn aus unserer Mitte stammen die Politiker, unser Auswahlprozess stimmt nicht. Es gelingt uns nicht, die moralisch einwandfreien Menschen für die Res Publica zu rekrutieren. Ich habe in den Jahrzehnten wenig Selbstkritik der Bürger erlebt. Oder: Wir urteilen hart und ungerecht.

            Wir Menschen, gerade wenn wir Verantwortung tragen, stehen häufig vor solchen Fragen. Des öfteren finden Unternehmen nicht den passenden Manager. Dann passiert Folgendes: man wartet, lässt die Position unbesetzt und sucht weiter. Irgendwann schraubt man die Ansprüche runter, betrachtet die Dinge aus einer anderen Perspektive, weil man nun jemanden braucht. Anpassung nennt sich so etwas.

            Immer mehr Menschen bleiben ungewollt Single, weil sie die Anspruchshaltung haben, die Sie an die Politik formulieren. Es gibt nicht den perfekten Partner, das ist ein Problem. Dann nimmt man lieber keinen, denn, wie sagen Sie so? Solange man zu einer Neuen nur das Vertrauen wie zu einem Hütchenspieler haben kann, taugt es ja nichts.

            Wir leben in einer Zeit, wo die Menschen weltweit in ihren Grundrechten massiv eingeschränkt sind. Aber Sie zählen in dem Maßstab Trivialitäten auf, nicht das Große.

            – zurückgehaltene Dokumente. Jeder Staat hält bestimmte Informationen zurück, weil die Veröffentlichung im Zweifel dem Gemeinwesen schaden würde. Versuchen Sie mal, völlig ehrlich und offen zu Ihrem Partner / Freund / Eltern zu sein. Ich rate es Ihnen nicht, denn Sie werden Ihre Beziehungen zerstören. Völlige Offenheit ist etwas für lebensunerfahrene Menschen.

            – Nacht- und Nebelabstimmungen. Wissen Sie, über wieviele Gesetze der Bundestag pro Legislaturperiode berät? 553 waren es in der abgelaufenen. 2021 wurden an 64 Sitzungstagen 156 Gesetze verabschiedet. Das Pensum schafft niemand ohne eine gewissen ökonomische Einteilung. Zudem ist es i.d.R. egal, ob ein Gesetzesentwurf um 10 Uhr morgens oder um 22 Uhr verabschiedet wird. Fast kaum ein Wähler nimmt davon Notiz. Wie viele dieser 553 Gesetze hat Sie interessiert und von wie vielen haben Sie überhaupt gehört? 2? 5? Mehr wohl kaum. Also gar nichts.

            – Null Accountability für Fehlleistungen.
            Wenn Sie Mist im Job bauen, passiert in den meisten Fällen gar nichts. Es reicht nicht einmal für eine Kündigung. Das Härteste, was Sie als Konsequenz erfahren, ist irgendwann die Kündigung. Bitte. Sie können jederzeit Politiker abwählen, in drei Wochen ist Gelegenheit dazu.

            Wenn ein Politiker noch Nebentätigkeiten nachgeht, macht ihn das lange noch nicht zu einem schlechten Politiker. Die Wähler sehen das meistenteils genauso, denn sie verschafften in der Geschichte vor allem jenen Parteien Mehrheiten, bei denen die Abgeordneten häufiger Nebentätigkeiten nachgingen.

            Laut Transparency International üben Politiker der Grünen am seltensten Nebentätigkeiten aus. Dennoch zeichnen sich auch und gerade die Grünen mit intransparenten Verfahren und Geheimniskrämerei z.B. bei der Vergütung ihrer Vorsitzenden aus. So intransparent übrigens, dass diese in Serie vergessen, die Nebeneinkünfte zu melden. Das ist also auch keine Lösung.

            Das Wesen der Demokratie ist der Kompromiss. Und das zeigt sich auch darin, dass Gesetze im Paket verabschiedet werden. Wie anders denken Sie sich das denn?

            Der wichtigste Rat, den ich Ihnen geben kann: Wenn Sie kein Vertrauen zu anderen Menschen haben, dann geben Sie ihnen nicht Ihre Stimme. Das wäre tatsächlich nicht klug.

            • cimourdain 8. September 2021, 00:06

              Viel Stoff, deshalb verkürze ich und gehe nur auf einige zentralen Punkte ein:

              Sie schreiben, ich wäre ‚einer von 66 Millionen‘. Das gilt genauso für Sie. Dennoch schreiben Sie hier und versuchen andere von Ihrer Meinung zu überzeugen – weil Sie überzeugt sind, diese wäre sitchhaltiger ‚besser# als die der anderen. So funktioniert eine Diskussion.

              Wenn Sie vom zeitlichen Rahmen seit den 70ern sprechen, dann ist es genau dieser Horizont, den ich betrachte. In dieser Zeit hat es in den meisten westlichen Staaten bis 2000 in der Tendenz ein stetiges mehr an Transparenz und Partizipation gegeben hat und seitdem ist diese mitjeder Krise ein wenig zurückgegangen.

              Auf Ihre Widerlegung meiner Aufzählungspunkte möchte ich nicht im einzelnen eingehen, obwohl es eine Diskussion wert wäre ‚Agree to disagree‘. Wichtig ist mir jedoch das zugrundeliegende Muster, weswegen ich diese Punkte ausgewählt hatte: Es sind alles Dinge bei denen Die Regierung der Bevölkerung und dem Parlament kommuniziert, dass Angelegenheiten der ‚politeia‘ diese nichts angehen und sie selbst ungestört ihren Geschäften nachgehen soll. Und das geht angesichts der Legitimationskette, wo ich (mit den anderen 66 Millionen) über der Regierung stehe, eben nicht.

              Und das ist nicht nur eine Frage der Arroganz, sondern der Effizienz. Sie kenne vielleicht die Situation im Qualitätsmanagement: Wenn sich kleine Nachlässigkeiten (ausgelassene Checklisten oder Dokumentationen) anhäufen, dann werden auch immer mehr und deswegen auch leichter Fehler gemacht und es muss auch immer mehr Aufwand betrieben werden, diese nicht nur zu reparieren, sondern auch zu vertuschen. Und deshalb ist Kontrolle auch im Interesse des Kontrollierten besser als blindes Vertrauen.

              • Stefan Pietsch 8. September 2021, 13:24

                Schon in Ordnung. Wie äkrie tu disäkrie.

                Sie schreiben, ich wäre ‚einer von 66 Millionen‘. Das gilt genauso für Sie. Dennoch schreiben Sie hier und versuchen andere von Ihrer Meinung zu überzeugen – weil Sie überzeugt sind, diese wäre sitchhaltiger ‚besser# als die der anderen.

                Nein. Äh, ja. Natürlich bin ich einer von 66 Millionen, aber ich bin nicht wie 66 Millionen. Ich bin mir meiner Kleinheit bewusst. Ich schreibe und diskutiere hier aus zwei Gründen:

                A. Das Motiv des Egoisten. Ich bin Polit-Junkie, seit dem ich 16 bin. Ich debattiere, um Spaß zu haben. Darum geht es mir. Wenn jemand nicht mit mir raufen will, habe ich keinen Spaß.

                B. Das Motiv des Aufklärers. Ich bilde mir nicht ein zu überzeugen. Ich halte das auch nicht für erstrebenswert. Ich achte die Werte anderer Menschen und das sind häufig andere als ich habe. Die Werte eines Menschen entscheiden seine politische Tendenz. Deswegen interessieren mich der Background und die Motive von Kommentatoren. Nur, jeder muss sich eben auch bewusst sein, dass politische Maßnahmen sowohl positive als auch negative Aspekte haben.

                Es ist das, was es im Laden nicht gibt, die Beleuchtung der Schattenseiten. So hebt der Mindestlohn das individuelle Einkommen. Gleichzeitig sinkt die Arbeitsplatzsicherheit und die Arbeitszeit kann reduziert werden. Da sich das monatliche Einkommen aus Stundenlohn x Arbeitsstunden ermittelt, muss man das in die politische Rechnung einkalkulieren.

                Darum geht es mir. Also lassen Sie uns Spaß haben. 😉

                Ich finde, die Politik erklärt zu viel und das ist meist Manipulation. Ein Lockdown lässt sich wortreich erklären, flankiert von den Statements von Wissenschaftlern. Die Politik tut also das Richtige.

                Nur, dass sie oft nicht vorher Maßnahmen ergriffen hat, die die gegenwärtige Politik dann nicht alternativlos gemacht hätten, das erörtern Politiker und die von ihr beschäftigten Wissenschaftler eher selten. Deswegen ist es dann doch häufig wenig sinnvoll, die Maßnahmen zu beurteilen, sondern sich ein Bild zu machen, ob nicht (zu) viel schief gelaufen ist. Denn auch, wenn es dafür einen Katalog an Erklärungen gibt – vielleicht sollte es einfach ein anderer probieren.

                Eine solche, oft auch nur gefühlsmäßig begründete Einschätzung, können Menschen selbst dann treffen, wenn sie nicht 20 Jahre Politologie studiert haben. Vielleicht auch gerade deshalb. Und wenn Eltern aus prekären Verhältnissen zu der Einschätzung kommen, dass gemeinsames Lernen mit den Yuppie-Kindern dann doch nicht das beste für ihre Jungs und Mädels ist – wer ist dann im Tal der Ahnungslosen?

                Wir haben alle 4-5 Jahre einen Qualitätscheck. Finden Sie, dass der Wähler da einen lausigen Job macht? Wo? Und weshalb?

          • Stefan Sasse 7. September 2021, 09:26

            Halte ich wenig davon. Ich sehe die Recall-Elections, die einige US-Bundesstaaten haben, und die verbessern jetzt nicht eben Performanz oder politische Kultur.

  • Erwin Gabriel 5. September 2021, 23:31

    Hallo Cimourdain

    auch von meiner Seite ein dickes Dankeschön dafür, mal einen komplett anderen Ansatz für die Beziehungen der Parteien untereinander aufzuzeigen.

    Ich muss Stefan P. zwar zustimmen, dass das Gros der Wähler sich nach dem Gesicht auf dem Plakat entscheidet. Viele Wähler sind gar nicht in der Lage, sich einen umfassenden Eindruck nicht nur von den Programmen der Parteien, sondern auch von deren Auswirkungen auf ihr Leben zu machen. Aber der Fakt, das viele Deiner Betrachtung nicht folgen können oder wollen, macht die Betrachtung nicht falsch.

    Spätestens, wenn Themen nicht in das entsprechende Umfeld eingeordnet sind (Wahl-o-mat) oder die Köpfe der Parteien nicht zu Partei passen (größte Abweichungen hier: SPD vs Olaf Scholz), ist man in die Irre geführt.

    Als Analyse- (nicht als Entscheidungs-) Toll finde ich Deinen Ansatz echt gut. Und was die nicht vorhandene Themengewichtung angeht – die liegt eh bei jedem anders, daher egal. Ist eine schöne Ergänzung zum Beitrag von Stefan Sasse zum Thema „Veränderng vs weiter so vs zurück“.

    Merci

    • cimourdain 6. September 2021, 07:59

      Sie sprechen einen wichtigen Punkt an. Vielen ist nicht klar, wie und in welchem Maße politische Entscheidungen ihr Leben beeinflussen werden – sowohl beim Unter- als auch beim Überschätzen. Ein gutes Beispiel dafür ist der Solidaritätszuschlag, bei dem ein Großteil der Leute nicht betroffen sind – und das gar nicht wissen.

      Und wie ich schon HerrnPietsch geantwortet habe. Ich sehe den Blick aufs Programm wie den Blick auf die Inhaltsstoffe von Lebensmitteln. So weiss ich, dass in der TK-Pizza eigentlich zu viel Zucker ist, aber kaufe sie trotzdem, weil sie mir besser schmeckt. Aber dann brauche ich mich nicht beschweren, wenn die Pizza mich dick – oder die Politik mich arm macht (Verzeihen SIe mir diese massiv demagogische Verkürzung, aber das Bild ist so schön eingänglich) .

    • Stefan Sasse 6. September 2021, 10:16

      Es ist übrigens auch die Schuld der Parteien selbst, dass das so ist. Zu erwarten, dass irgendjemand diese Wahlprogramme liest, ist völlig absurd.

  • Thorsten Haupts 6. September 2021, 09:31

    Was Sie als Idealbild der repräsentativen Demokratie beschreiben, ist in meinen Augen weniger Demokratie als Wahlaristokratie:

    Stimmt, aber das ist präzise das Bild, das eine Mehrheit der Wähler von Politik hat. Man könnte das mit viel mehr direktdemokratischen Elementen und sehr langfristig – vielleicht (!) – ändern, aber momentan gibt es verdichtet wider, wie die meisten Leut Politik betrachten.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    • Marc 6. September 2021, 09:54

      Stimmt, aber das ist präzise das Bild, das eine Mehrheit der Wähler von Politik hat.

      Das trifft leider ins Schwarze. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob das ein Altersphänomen ist: In der Jugend wird noch um politische Inhalte gestritten. Wenn sich dann während des Älterwerdens die Lager formiert haben, wird sich nur noch in die politischen Schützengräben zurück gezogen und das in der Jugend erarbeitete Weltbild verteidigt. Wobei nicht wenige die Streitphase überspringen und familiäre Traditionen inklusive voll ausgestattete Schützengräben übernehmen.

      • Stefan Sasse 6. September 2021, 10:23

        Na, das würde ich so nicht verallgemeinern wollen. Schon alleine, weil die meisten sich nicht für Politik interessieren.

        • Thorsten Haupts 6. September 2021, 14:58

          Genau deshalb ist das Repräsentanten-Modell das praxisnächste – die meisten Leute wollen gar keine Amateurpolitiker oder Politexperten werden. Eine Menschheitskonstante, die theoretische Demokratie-Überhöhungen immer geflissentlich ignorieren.

          Gruss,
          Thorsten Haupts

        • Marc 6. September 2021, 15:32

          Ich habe mir mal die Quoten von Politiktalkshows angeschaut: Gering sind die nicht und sie belegen prominente Sendeplätze. Ein allgemeines Desinteresse ist für mich daher eine zu heftige Verallgemeinerung.

          • Thorsten Haupts 6. September 2021, 17:04

            Klar, Gladiatorenkämpfe im Circus sind ja heute verboten :-).

            Äh – es findet sich hier hoffentlich niemand, der die Streitsimulation in deutschen Talkshows mit Politik verwechselt, oder?

            Gruss,
            Thorsten Haupts

            • Stefan Sasse 6. September 2021, 18:21

              Ich fürchte schon.

            • Marc 7. September 2021, 11:23

              Wenn es nur als Simulation wahrgenommen würde, weshalb wird es dann angeschaut? Dass Politik nur simuliert wird, ist ja ein Quell des Politikverdrusses, aber nicht ein Indiz für mangelndes Politik-Interesse.

              • Ariane 7. September 2021, 17:41

                Ich würde noch hinzufügen, dass es für die meisten Bürger*innen eben auch fast das einzige ist, was sie direkt und in Farbe quasi von der Politik mitbekommen. (außer Schnipsel in der Tagesschau vielleicht). Denn Bundestagsdebatten sind ja ähnlich beliebt wie ausführliches Programme-Lesen.

                • Thorsten Haupts 7. September 2021, 18:10

                  Kleine Korrektur: Nicht „von der Politik“ sondern „von den Politikern“. Letztlich einer der Treiber der Personalisierung von Politik und der zunehmenden Bedeutung von öffentlich sichtbaren vertretern.

                  Für Politik lassen die Soundbytes nämlich keine Zeit, nur für Performance.

                  Gruss,
                  Thorsten Haupts

                  • Ariane 7. September 2021, 18:26

                    Ja, sachlich richtig. Aber für die Zuschauenden ist der Trennbereich meiner Meinung nach nicht so scharf, für die große Masse zumindest. Weil sie eben vom „Handwerk der Politik“ wenig mitbekommen und auch wenig wissen. Hat Sassestefan hier ja auch häufig bemängelt und eine großartige Reihe darüber geschrieben. Da ist einfach hauptsächlich Polittalks und Schlagzeilen. Und anhand dessen werden die Sympathien verteilt und man weiß ungefähr, für was die Parteien stehen.

                    Macht anfällig für Populismus und Performance, na klar. Obwohl ich jetzt auch der Meinung bin, dass man nicht vor der Wahl jedes Programm lernen sollte und jede Debatte angucken muss. Aber man sollte sich eben bewusst sein, dass mehr passiert als ein Show-Auftritt. Gebe auch freimütig zu, dass mir die Fleischereifachverordnung 347 schnurzegal ist und meine Wahlentscheidung auch mit wenigen Prioritäten und Leitlinien getroffen wird.

                    • Marc 8. September 2021, 10:30

                      Ja genau. Der Wunsch nach verständlicher Politik führt zu diesen politischen Streit-Simulationen in den Talkshows. Auf der einen Seite wird er Wunsch nach unterhaltsamer Politikvermittlung befriedigt, aber es entsteht auch dieses Gefühl der Unechtheit, das gerne von Populisten aufgegriffen wird.

                      Aber das größte Problem sehe ich auch darin, dass viele diese Schauspielerei in den Talkshows mit echter Politik verwechseln. Dieses Missverständnis führt leider dazu, dass sich nicht gute politische Konzepte, sondern gute Talk-Performer durchsetzen.

                    • Stefan Sasse 8. September 2021, 18:19

                      Wenn sie wenigstens verständlich wären!

  • Dennis 6. September 2021, 10:40

    Danke auch von mir für diesen unorthodoxen Ansatz, der ja einige Arbeit gemacht hat, insbesondere danke dafür, und im Ergebnis – surprise, surprise – wieder orthodox ist indem die festgestellten (Un)verträglichkeiten in der Tendenz das gute alte Links-rechts-Schema bestätigen.

    Allerdings ist die Betrachtung statisch und geht von den Sachen aus, die zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgeschrieben wurden. Indes könnten die Parteimenschen ihre Programme ja morgen schon wieder wegwerfen, zuvörderst aber nicht ernst nehmen (soll mitunter vorkommen^), der Praxistest kann Unanwendbarkeit zeigen (auch nicht selten) und vor allen Dingen kann alles oder jedenfalls vieles etwaigen Machtoptionen geopfert werden. Auch Letzteres ist IMHO nicht unbedingt unsittlich, denn wenn es tatsächlich so kommt, dass Mehrheiten nur mit Dreiern zusammengekratzt werden können, ist an Anrühren eines bunten Cocktails unumgänglich und die naturbelassene Reinheit der Programme hat sch schon aus diesem Grund erledigt. Auch die so genannte Kanzlerkandidatur stört eigentlich an dieser Stelle. Warum daran festhalten?

    Den Preis für das Für-jeden-etwas-Parteisammelsurium muss man/frau schon zahlen: Niemand bekommt am Ende das gewisse Etwas, sondern eine vorher unbekannte Koalition, die zuvörderst diverse Lieblingsspielzeuge aus den jeweiligen Programmen beiseite räumen muss. Der Programmfetischismus wird also erheblich verwässert, zwangsläufig.

    Und was die drei Sachen der Conclusio angeht:

    Da wird nix draus, fürchte ich 🙁 . Die Sozen wissen schon, warum sie mit „Scholz packt an “ durchs Land ziehen statt irgendwie „emanzipatorisch“ daher zu kommen. Auch bei Grünens gibt’s seit Joschka Personenkult. Die anfängliche Übung, dass Personen nach zwei Jahren Parlament wieder in der Versenkung zu verschwinden hatten, hat sich nicht lange bewährt^; mit dieser Brachialmethode sollte den Leuten eigeprügelt werden: Kümmert euch gefälligst in der Tradition der Aufklärung und in eurer Eigenschaft als Souverän um „Inhalte“ statt um Kaiser und Könige. Das Experiment wurde zu Gunsten Königen und Königinnen warum eingestampft.

    Und zu zwei: Kommentatoren braucht man/frau ja eigentlich nicht, falls Wähler und Wählerinnen selbst lesen können. Okay, Letzteres geschieht nicht, obwohl möglich, und warum sollten dann Kommentatoren „neutral“ sein? Die wollen natürlich lenken, was auch nicht unanständig ist. En passant ist zu erwähnen, dass die historisch als bedeutsam und heute noch – jedenfalls unter Historikern – allseits bekannten Programme der SPD (z.B. Gotha, Erfurt) auf eine Seite passend so kurz waren, dass man sie mit etwas, aber machbarer Mühe auswendig lernen könnte. Heute gibt’s – und das bei schnell verderblichen Wahlprogrammen – mindestens 60 Seiten (oder über 200 wie bei Grünens) vollgeschrieben mit Pillepalle. Die konzise Form erscheint verbindlich, langes Geschwafel unverbindlich; das dürfte der Grund sein, warum Letzteres bevorzugt wird, heutzutage.

    3) ist überhaupt nur in einem Zweiparteiensystem einigermaßen erfolgversprechend „technisch“ möglich. Die These, dass es keinen Machtpoker geben sollte, ordne ich mal der deutschen Romantik zu ^.

    • Stefan Sasse 6. September 2021, 11:13

      Dieser Personenwechsel alle zwei Jahre war auch von Anfang an eine rattige IDee.

      • Thorsten Haupts 6. September 2021, 14:55

        Aber so was von :-). Nach 2 Jahren haben Sie in jedem anspruchsvollen Job gerade mal die Schwelle von Greenhorn zu Fachmann überschritten.

        Gruss,
        Thorsten Haupts

    • cimourdain 6. September 2021, 19:07

      Zum einen: Das Problem, dass nach der Wahl die Versprechungen vergessen sind, ist damit im Zusammenhang zu sehen, wie vergesslich die Wähler sind. Vielleicht bräuchten wir einen ‚rückwirkenden‘ Wahlomat, der als Maßstab nicht das Programm sondern das Abstimmungsverhalten in der vergangenen Legislaturperiode zum Maßstab macht.

      Die kurzen Programme sind interessant. Und damit könnte sich das Vermittlungsproblem (Stefan Sasses ‚Sandwich‘) vielleicht lösen lassen. Schreibt auf eine Seite, was ihr wollt und so dass es jeder ohne Gatekeeper lesen kann.

      • Dobkeratops 6. September 2021, 19:31

        Vielleicht bräuchten wir einen ‚rückwirkenden‘ Wahlomat, der als Maßstab nicht das Programm sondern das Abstimmungsverhalten in der vergangenen Legislaturperiode zum Maßstab macht.

        Den gibt es schon:
        https://btw21.deinwal.de/

        • Stefan Sasse 6. September 2021, 23:04

          Finde ich auch nicht nützlicher als den WahlOMat.

        • cimourdain 7. September 2021, 22:29

          Interessant, und der erklärt auch die Fragen ohne sie im luftleeren Raum zu lassen (Stefan Sasses größter Kritikpunkt).

  • cimourdain 6. September 2021, 10:53

    Hier ist jemand, der tatsächlich sich die Programme selbst anschaut:
    https://diekolumnisten.de/2021/08/30/nie-war-ich-so-unentschlossen-wie-vor-dieser-wahl-2/

  • Ariane 6. September 2021, 23:41

    Vielen Dank für die Mühe und den interessanten Ansatz. Eventuell bräuchte man allerdings daneben noch so eine Kategorie wie „Kompatibilität“, die eben dazu führt, dass SPD/CDU am Ende doch besser zusammen können als SPD/Linke oder CDU/AfD. Die schönsten Überlappungen nützen ja nichts, wenn am Ende entscheidende Punkte gar nicht zusammen gehen.

    Dazu kommt – wie Sassestefan auch schon schrieb – dass ich wirklich absolut kein Freund dieser ausufernden Wahlprogramme bin, die am Ende sowieso niemand liest. (wie die CDU beweist, nicht mal die Parteien selbst und die haben vermutlich schon das kürzeste^^).

    Und: die in der Realität dann sowieso gar nicht so eine große Rolle spielen, weil Wahlprogramme vom Idealzustand einer Alleinregierung ausgehen und Koalitionen und Checks & Balances nicht berücksichtigt. Zwei, drei konkrete Punkte, die dann auch tatsächlich den Weg in die Öffentlichkeit finden und idealerweise die Richtung der Partei kennzeichnen, sind da besser. (das machen aktuell FDP und SPD mit Lindner als Finanzminister, keine Steuererhöhungen und 12€ Mindestlohn sehr gut).

    • Stefan Sasse 7. September 2021, 09:25

      Niemand interessiert sich für das Wahlprogramm der CDU, niemand fragt sie je danach, weil jeder weiß, dass es nur bedrucktes Papier ohne Wert ist. Die machen es richtig.

      • Ariane 7. September 2021, 17:42

        Diesmal vielleicht etwas zu weit getrieben^^

        Aber ja, im Grundsatz ist das schon sehr viel besser.

    • cimourdain 7. September 2021, 22:48

      Problem bei dem Faktor Kompatibilität/Auftreten/Reputation (auch eine Bremse bei Koalitionen, denke an den Kampfbegriff Rot-Grünes-Chaos 1983 in Hessen) ist, dass er nicht greifbar ist, sondern subjektiv und extern definiert.

      Deshalb habe ich das vereinfachte Menschenbild der Ökonomen übernommen und bin von rational agierenden Parteien und der politischen Agenda als ‚Währung‘ für Koalitionsverhandlungen. Und dann können die gemeinsamen Punkte als WIn-Win abgeräumt werden, während bei den Differenzen eine Seite zurückstecken muss.

      Was dann übrig bleibt (Also die gemeinsamen Punkte plus die Punkte die der einen oder anderen Seite als zentral gelten, während der Rest aufgegeben wurde), das muss natürlich noch realisiert werden, was auch nicht selbstverständlich ist. So würde mindestens ein Wahlomat-Punkt (abwechselnde Besetzung von Kandidatenlisten nach Geschlecht) sehr wahrscheinlich am Grundgesetz scheitern.

  • R.A. 7. September 2021, 11:47

    Das Problem beim Programmvergleich ist, daß
    A) Programme mit der realen Politik nicht so viel zu tun haben und
    B) daß die verschiedenen Punkte SEHR ungleichgewichtig sind und
    C) wesentliche Sachen nicht im Programm stehen.

    So ist es nicht erstaunlich, daß Union und AfD hohe inhaltliche Übereinstimmungen haben. Zu 90% ist die AfD das (auch personell), was vor 10 Jahren der rechte CDU-Flügel war.
    Entscheidend für die aktuelle Wahl sind aber (B) die restlichen 10% und vor allem (C) die Punkte, die gar nicht im AfD-Programm stehen – aber den Aktionen und Äußerungen von AfD-Politikern zu entnehmen sind.

    Und dann gibt es halt die Wahlkampflügen (A). Auf diese Programmpunkte fallen viele unbedarfte Wähler rein, aber mit etwas Erfahrung streicht man die aus dem persönlichen Wahlomat. So verspricht die Union seit 20 Jahren vor jeder Wahl Steuersenkungen, hat sie aber in ihrer ganzen Regierungszeit nicht geliefert. Man kann sicher davon ausgehen, daß sie die auch nach der BTW nicht liefern wird (wenn sie nicht ein Koalitionspartner zwingt).
    Es gibt (A) auch viele Fälle, da versprechen Politiker aus Mangel an Sachkenntnis Sachen, die sie gar nicht liefern können. Das ist dann keine Wahlkampflüge, aber der Effekt ist der gleiche. Das ist ein typisches Problem vor allem der Grünen, die immer recht maßlos in ihren Ankündigungen sind, aber selten das Personal haben daß auch mal eine wirksame Maßnahme organisiert kriegt.
    In der Wirtschaft ist es am Ende halt nicht anders wie in der Wirtschaft oder im Privaten: Ohne eine gewisse Kompetenz schafft man keine guten Ergebnisse.

    • Stefan Sasse 7. September 2021, 14:20

      Das stimmt doch überhaupt nicht. Die AfD ist weder inhaltlich noch personell der rechte Flügel der CDU. Die stehen viel weiter rechts!

      • R.A. 7. September 2021, 16:27

        „Die AfD ist weder inhaltlich noch personell der rechte Flügel der CDU.“
        Das habe ich auch so nicht geschrieben.
        Sie ist es a) nur zu 90% (jedenfalls beim Programm) und b) rede ich vom rechten Flügel der CDU vor 10 Jahren.
        Du wirst im aktuellen AfD-Programm sehr wenig finden, was nicht ähnlich im CDU-Programm gestanden, als Gauland und Co. dort noch tätig waren. Das „viel weiter rechts“ macht sich an diversen einflußreichen Leuten dort fest, aber kaum am Programm.

        • Stefan Sasse 7. September 2021, 18:34

          Ich kenne diese Argumentation zur Genüge von LINKE und SPD.

    • cimourdain 7. September 2021, 23:04

      A) ist leider ein Problem, dass kaum zu lösen ist. Ich denke an die Koalition 2005, die als Kompromiss zwischen keine Umsatzsteuererhöhung und 2% mehr Umsatzsteuer auf einmal 3 % mehr lautete.

      B) lässt sich nicht verhindern Gewichtung ist immer subjektiv. Poetisch gesprochen orientieren sich manche am Gendersternchen und manche nach der NATO-Kompassrose.

      Über C) kann ich zu wenig sagen. Ob es über das abstoßende Menschenbild hinaus bei der AfD eine heimliche Agenda gibt, lässt sich aus den Äußerungen nicht so ohne weiteres ersehen.

      • Stefan Sasse 7. September 2021, 23:48

        Mehrwertsteuer.

        • cimourdain 8. September 2021, 07:05

          Seit 1968 wird das, was davor die Mehrwertsteuer war ( Eine Steuer auf die Wertschöpfung), im Umsatzsteuergesetz geregelt und ist vom System eine Allphasen-Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug (Jeder Unternehmer muss auf seine Ausgangsrechnungen komplett die Umsatzsteuer aufschlagen und darf dafür die Umsatzsteuer, die in seinen Eingangsrechnungen enthalten ist, als Vorsteuer davon abziehen). Steuerleute mögen es gar nicht, wenn jemand von Mehrwertsteuer redet.

  • Thorsten Haupts 7. September 2021, 18:07

    Durchaus nicht falsch. Und etwa 1/3 des AfD Personals hätte früher seine Heimat auch in der CDU/CSU gefunden, die hatte nämlich durchaus einen rechtsradikalen Flügel, dem Kohl seine Freiheit liess und ihn ab und an verteidigte.

    Aber 2/3 des aktiven und bekannten AfD-Personals paktieren offen mit Rechtsextremisten, äussern sich rechtsextremistisch oder/und kommen aus rechtsextremistischen Gruppen. Diese 2/3 nübernehmen die Partei mehr und mehr und machen praktisch klar, dass ihr Programm und was die Parteimehrheit wirklich will, nichts mehr miteinander zu tun haben.

    Nur sind genau daran (Übernahme durch Rechtsextremisten) bisher alle rechtspopulistischen Parteien letztlich gescheitert – und ich prophezeie das auch der AfD, nicht unbedingt gleich morgen.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

  • Pirat 11. September 2021, 17:44

    Erstmal danke für diese Auswertung. Sehr interessant. Aber der nächste Schritt müsste dann sein: Kann man auswerten und beziffern inwieweit bei vergangenen Wahlen dann Programme auch wirklich umgesetzt wurden, wenn die Möglichkeit dazu bestand? Der durchschnittliche Bürger wählt ja gerade deshalb nicht programmatisch, weil er/sie das Gefühl hat (meiner Meinung nach nicht gänzlich unbegründet), dass die Wahlprogramme der Parteien letztlich allenfalls einen Nutzen als Klopapier haben. Teilweise ist das sicherlich auch den Notwendigkeiten von Kompromissen in Koalitionsverhandlungen geschuldet, aber eben auch nicht nur.

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