Quo vadis, Linke?

Anlässlich des Deutungsstreits um Sahra Wagenknecht und ihre Hinwendung zur Kritik am Zeitgeist hat Cimourdain in den Kommentaren zum letzten Vermischten eine Frage gestellt, die ich gerne in ihrer Gänze aufgreifen möchte:

Nachdem hier im Forum weitgehend Konsens herrscht, dass die Differenzen zwischen ‚traditionellen‘ und ’neuen‘ Linken im Wesentskern ein Generationenkonflikt ist, möchte ich eine These aufstellen, woher diese Entfremdung kommt – sozusagen mein persönliches Hufeisen: Die ‚woke‘ Linke steht inhaltlich und methodisch dem Neoliberalismus unangenehm nahe.
Das beginnt bei klassisch linken Positionen, die sie aufgegeben hat(z.B. Pazifismus) ; unter diesen sticht insbesondere die universell freie Rede hervor. Von der „Freiheit der Andersdenkenden“ (mit Ausnahme offener Faschisten) ist es ein deutlicher Abstieg zur ‚cancel culture‘
Der nächste Punkt sind die falschen Freunde. So wie der Zuspruch der AfD zu Wagenknecht einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlässt, so erregt auf der anderen Seite die Unterstützung, die die ‚woke‘-Kultur durch (klassische) Medienoligarchen und die ‚Robber Barons‘ der Digitalkonzerne genießen, Misstrauen.
Eine weitere Rolle spielt der Wechsel des Fokus linken Denkens von materiellem zu kulturellem Kapital (Aufmerksamkeit und Deutungshoheit). Hieraus resultiert auch der andere Blick, der statt materiell messbaren (Lohnungleichheit) lieber subjektiv ‚gefühlte‘ (Sprachdiskriminierung) Ungerechtigkeiten in den Mittelpunkt rückt.
Und – hart gesprochen – in Bezug auf kulturelles Kapital agiert die neue Linke erzkapitalistisch – Klassendünkel, rücksichtslose Akkumulation, Herausdrängen von Konkurrenten (z.B. Wagenknecht) aus dem Meinungsmarkt.
Und dann ist da noch der Elefant im Raum: die Klassenfrage. Es gibt selbstverständlich immer noch eine Arbeiterklasse und ein Präkariat, jeweils definiert durch materielle Lebensumstände. Angesicht der massiven Ungerechtigkeit materieller Klassenunterschiede wirken die kleinen Konflikte, die ‚die linken‘ gegen ‚die Rechten‘ ausfechten wie Nebenkriegsschauplätze -schlimmer noch: wie Prokrastination. Weil die großen Probleme zu schwer sind (dazu muss man sich mit den Mächtigen anlegen), machen wir lieber sauber (z.B. die Sprache). Und weil es immer irgendeinen total wichtigen Streit um die Deutungshoheit gibt, bleibt die Klassenfrage halt liegen.
Aber das problematischste ist der Mangel eines utopischen Gegenentwurfs. Die Uhr Klimawandel und Ressourcenübernutzung wird wahrscheinlich einen Systemwechsel notwendig machen – und andere haben Pläne zur digitalen Komplettdiktatur. Der progressive Ansatz klingt eher wie „Weiter so, aber alle ein bisschen netter zueinander“…

Ich würde das gerne ausführlicher kommentieren.

Erstens sehe ich nicht, dass sich die moderne Linke vom Pazifismus verabschiedet hätte. Hier liegt glaube ich eine Verwechslung mit dem Establishment der linken/progressiven Parteien vor, ob die Democrats in den USA, die Grünen in Deutschland oder Labour im UK. Die Basis ist in all diesen Fällen immer noch genauso pazifistisch, wie sie es früher war. Genauso ist es keine Neuigkeit, dass diese Haltung an der Regierung kaum aufzufinden ist. Man denke nur an Helmut Schmidt. In den USA und dem UK (oder Frankreich) ist die Sache sowieso anders gelagert, weil hier der „support for the troops“ und Patriotismus so eng verwoben sind und der Linken generell nie fremd waren, einmal davon abgesehen, dass gerade in den USA weite Teile der Bevölkerung hinter diesen Ideen stehen.

Das scheint mir daher vor allem ein Phänomen zu sein, das sich auf Parteiführungen und Regierungsverantwortung bezieht. Die SPD war immer am pazifischsten, wenn sie in der Opposition war. Gleiches gilt für Labour oder die Democrats; Tony Blair war ein begeisterter Unterstützer des Irakkriegs, während die damals oppositionellen Democrats wenig Probleme hatten, denselben Krieg in Bausch und Bogen zu verdammen. An der Regierung zeigte sich für alle, auch für die Grünen, schnell, dass das Ideal mit der Wirklichkeit kollidierte.

Die „Freiheit der Andersdenkenden“ ist ein Konzept, das gerade von Linken sehr gerne missverstanden wird. Rosa Luxemburg war nie für Meinungsfreiheit. Ihr ging es um den offenen Meinungskampf innerhalb der sozialistischen Bewegung, in der sie eine „skurrile Minderheit“ war, um es in Wagenknechts Worten auszudrücken. Die Idee, in der Räterepublik hätte Meinungsfreiheit für die Bourgeoisie oder gar den reaktionären Adel bestanden, ist absurd. Und ich wage zu behaupten, dass im Falle eines Erfolgs Liebknechts und Luxemburg es auch mit innerparteilicher Meinungsfreiheit nicht weit hergewesen wäre. Die heutigen Campus-Pöbler haben es deutlich mehr mit der Meinungsfreiheit als Rosa Luxemburg oder die anderen klassischen sozialistischen Agitator*innen.

Das heißt im Übrigen nicht, dass Cancel Culture und Meinungsfreiheit keine Probleme unserer Tage wären; sie waren nur zu allen Tagen Probleme, und sie sind es von links wie rechts, oben wie unten. Ich habe dazu geschrieben. Es ist an ideologischen Nachbarn, jeweils den eigenen Stall sauber zu halten. Ich muss zugeben, da in letzter Zeit arg relativierend gewesen zu sein und gelobe Besserung.

Relevanter ist die Kritik, die Cimourdain an der Unterstützung der „woken“ Ideen durch die robber barons aus dem Silicon Valley anbringt. Und ja, das ist natürlich erst einmal verdächtig, genauso wie der Beifall, der Sahra Wagenknecht aus dem rechten Spektrum entgegenschlägt. Nur begeht Cimourdain hier den Fehler, den Jetzt-Zustand auf die Vergangenheit linear zurückzuschreiben. Die aktuelle gesellschaftliche Dominanz der „woken“ Ideen, der progressive Sieg im Kulturkampf, ist das Resultat von Jahrzehnten erbitterter Auseinandersetzungen.

Als Mark Zuckerberg seine Karriere begründete, tat er dies mit einem Portal, auf dem Frat Boys Mädchen nach ihrem Aussehen bewerten konnten. Das ist nicht gerade woke. Es sind die letzten 5-10 Jahre, in denen der Kulturkampf entschieden wurde. Und der Kapitalismus liebt Gewinner und wird immer auf ihrer Seite sein. Nicht umsonst kann man heute Che-Guevara-T-Shirts bei H&M kaufen. Das heißt nicht, dass H&M die Vorteile des revoltionären Klassenkampfs für sich entdeckt hätte. Man sollte performative Bekenntnisse zur Mehrheitsmeinung nicht mit ernsthafter Überzeugung oder gar Aktivismus verwechseln.

Völlig korrekt dagegen ist, dass die Linke einen Bedeutungswandel vom materiellen zum kulturellen Kapital durchgelebt hat. Das ist in meinen Augen das Resultat des überzeugenden, durchschlagenden und totalen Sieg der Rechten (hier, das sei betont, explizit nicht als rechtsradikal, sondern nur als Gegenstück zu „links“ zu verstehen) in den 1980er Jahren. Ohne diesen totalen Sieg ist weder Bill Clinton, noch New Labour, noch Gerhard Schröder zu verstehen. Die Linke hat sich von dieser totalen Niederlage immer noch nicht erholt, wenngleich Bidens Präsidentschaft als zartes Hoffnungspflänzchen dient.

Auf der anderen Seite aber hat sich die Rechte letztlich überdehnt. Bis heute hat sie die Totalität ihres Sieges nie anerkannt und begreift sich immer noch als ständiger Underdog, der von allen Seiten unter Beschuss steht. Wo das Bürgertum während der 68er in wohligem Grausen vor der Revolution der Student*innen erzitterte, liest es heute vom unerbittlichen Vormarsch der Cancel Culture. Eine ernsthafte Gefahr für den Status Quo ist beides nicht, aber die Selbstradikalisierung des Bürgertums vor allem in den USA hat dafür gesorgt, dass eine entsprechende Gegenreaktion einsetzte. In den resultierenden Kulturkämpfen verlor die Rechte nach weiteren großen Siegen in den 1990er und frühen 2000er Jahren (man denke an Clintons Sister-Souljah-Moment, Bushs homophoben Wahlkampf 2004 oder die rassistische Doppelpass-Kampagne Roland Kochs 1999) in den späteren 2000er und vor allem 2010er Jahren in einem rapiden und entscheidenden Ausmaß an Boden, das bis heute noch weitgehend unverstanden scheint. Die Rapidität dieses Wandels verwirrt viele, und zurecht. Aber sie ist unleugbar.

Wie jeder Kampf kennt auch ein Kulturkampf Gewinner und Verlierer, kennt solche, die den Weg mitgehen, und solche, die zurückgelassen werden. Ob Kohlekumpel im Ruhrrevier oder linke Klassenkämpferin, der Fortschritt ist unerbittlich, und am Ende wird noch jeder von uns an einen Punkt geraten, an dem wir die ganze moderne Welt furchtbar finden. Ich hoffe einfach, dass das für mich noch 20, 30 Jahre dauern wird, bin da aber weder sonderlich optimistisch noch zweifle ich daran, dass der Moment kommt, an dem ich mich über irgendeine neue Entwicklung beklagen und von ihr zurückgelassen werde. Das ist der Lauf der Zeit, und wenn die Analyse stimmt, dass die Welt sich beschleunigt, wird dieser Wandel eher früher denn später kommen.

Gibt es noch eine Klassenfrage? Selbstverständlich. Gibt es noch eine „Arbeiterklasse“, für die Wagenknecht ostentativ zu kämpfen gedenkt? Das ist wesentlich unklarer. Cimourdain hat völlig Recht, dass diese Fragen immer noch sehr wenig verhandelt werden (wenngleich sich hier gegenüber den letzten Jahrzehnten sehr viel getan hat). Das allerdings liegt, erneut, am so vollständigen Sieg der Rechten seit 1980. Die ganzen Denkstrukturen und Begrifflichkeiten, in denen etwa Wagenknecht, Corbyn und Sanders operieren, sind zwar Krücken im Meinungskampf und besser als nichts, aber sie laufen für große Teile des Prekariats ins Leere.

Wie andere Kommentator*innen bereits angedeutet haben, lässt sich das Prekariat nicht mehr ohne intersektionelle Ansätze denken. Die Linke ist weiter als vor 50 Jahren. Der „Klassenkampf“, der früher verhandelt wurde, war extrem ausgrenzend. Die Arbeiterklasse war ein exklusiver Club, der effektiv nur weißen, männlichen Facharbeitern offenstand. Diese Gruppe war groß und homogen genug, um diese Ausgrenzung vergessen zu machen, und die Ausgegrenzten hatten keine Stimme.

Das hat sich geändert. Sie haben nun eine Stimme, und sie haben diese Stimme innerhalb der Linken. Dass das die Vertreter*innen der alten Hierarchie stört, ist nachvollziehbar, weil es ein Verlust von Macht, Einfluss und Deutungshoheit ist. Aber die Kritik an der Existenz neuer Hierarchien läuft ins Leere, wo wie bei Wagenknecht letztlich nur eine Restauration alter, nicht unbedingt egalitärer Deutungsmuster wiederhergestellt werden soll. Das ist es, was sich hinter dem Fehlen der Klassenfrage wirklich verbirgt.

Zuletzt bleibt Cimourdains Kritik am Fehlen einer umfassenden Gegenerzählung, eines utopischen Zukunftsentwurfs der Linken. Hier kann ich nur unumschränt zustimmen, ich habe über dieses Problem immer wieder selbst geschrieben. Nur kann das kaum im Aufwärmen der Ideen der 1970er Jahre bestehen. Die Linke braucht definitiv ein großes Narrativ, für was sie steht, was sie erreichen will. Es muss ein positives Bild sein, groß und mutig. Eine Vision. Mit einer solchen muss man nicht zum Arzt, ohne eine solche hat sich die Linke noch jedes Mal schwer getan, Mehrheiten zu erringen und zu halten.

Aktuell ist nicht absehbar, was das sein könnte. Aber die Rechte hat vier Jahrzehnte gebraucht, als sie in einer ähnlichen Situation war, bevor sie ihre Erzählung gefunden hatte – eine Erzählung, deren Sieg so umfassend war, dass sie die nächsten 40 Jahre dominierte. Das Pendel wird irgendwann wieder zurückschwingen, eher früher als später. In einer pluralistischen Demokratie hält keine ideologische Vorherrschaft ewig. Aber die alten Ideen werden es wohl nicht sein. Ihre Kritik mag fruchtbar sein. Ihre Lösungen sind es nicht.

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  • Floor Acita 22. April 2021, 09:18

    „Die ganzen Denkstrukturen und Begrifflichkeiten, in denen etwa Wagenknecht, Corbyn und Sanders operieren, sind zwar Krücken im Meinungskampf und besser als nichts, aber sie laufen für große Teile des Prekariats ins Leere.“

    Wagenknecht, Corbyn und vor allem Sanders in eine Linie zu stellen, macht insbesondere in dieser Frage wirklich gar keinen Sinn? Wann hätte Sanders denn jemals ‚wokeness‘ kritisiert? Ganz im Gegenteil ist er eindeutiger Unterstützer bspw der black lives matter Bewegung.

    Und Sarah Wagenknecht ist überhaupt keine Klassenkämpferin, wann redet sie denn wirklich davon? Sie hat es in der Hand ihr Podium für ökonomische Fragen / Diskussionen zu nutzen oder halt für identitätspolitische…

    • Stefan Sasse 22. April 2021, 09:31

      Aber ihr geht es doch um die „Arbeiterklasse“?

      Ich bin gerade unsicher was Sanders persönlich zu dem Thema gesagt hat, aber seine Themensetzung und vor allem die Haltung seiner Anhängerschaft, ebenso wie der Zuspruch, der teils von rechter Seite kam (wo man versuchte ihn als Kronzeuge gegen „identity politics“ zu vereinnahmen) schienen es mir gerechtfertigt sein lassen. Man kann ja nicht immer was dafür, wie andere einen darstellen (Wagenknecht und Corbyn aber sicherlich).

      • Floor Acita 22. April 2021, 11:52

        Seine wichtigste Unterstützerin in der 2020 Kampagne, welche die gesamte Dynamik veränderte war AOC, Hassfigur Nummer 1 der Rechten. Er hatte regelmässige Videokonferenzen mit people of color, insbesondere Cori Bush die als eine der ersten, wenn nicht tatsächlich erste Abgeordnete Aktivistin der BLM Bewegung selbst gewählt wurde. Vor allem aber das Profil seiner vorwiegend jungen Anhängerschaft ist ja viel diverser.

        Sarah Wagenknecht mag das Wort Arbeiterklasse benutzen, schliesst aber ja ‚die skurilen Minderheiten‘ explizit aus. Aussagen wie ‚viele weisse Arbeiter lehnen diese Fragen ab, wahrscheinlich [sic!] auch die meisten Schwarzen‘ weisen jedenfalls nicht daraufhin, ob es sie überhaupt interessiert – den Widerspruch weiss/schwarz müsste sie ja gar nicht aufmachen. Nein, das sind dog whistles and that’s about it…

  • Stefan Pietsch 22. April 2021, 12:35

    Ich habe den Eindruck, die, welche für die Benachteiligten meinen Politik zu machen, haben mit solchen Menschen nicht ein Wort gesprochen. Mit dem UPS-Fahrer. Mit körperlich behinderten Menschen. Mit dem Leiharbeiter. Mit dem muslimischen Tween und seiner jungen Braut.

    Diese Menschen in ihrer breiten Mehrheit können mit Cancel Culture und woke schon deswegen nichts anfangen, weil sie oft nicht einmal so weit Englisch verstehen. Wer in einer Sprache spricht, den sein gemeinter Adressat nicht versteht, wird nicht verstanden und damit nicht akzeptiert. Das „Come in and find out“-Erlebnis.

    Wer definiert sich heute noch ernsthaft links oder rechts? Das ist die Sprache mittelalter weißer Männer im Bildungs- und Erziehungswesen. Das politische System mit seinen 60 Prozent Unpolitischen, die dennoch wählen, sortiert sich anders. Im Bundestag sitzen seit 2017 zwei Parteien mit insgesamt 25%, die reaktionäres Gedankengut pflegen, von der wiederum eine nicht reaktionär sein will, aber auf halben Wege stehen bleibt.

    Nie zuvor war der Anteil der Stammwähler von Parteien so niedrig wie heute. Das gilt insbesondere für die klassischen Volksparteien CDU/CSU und SPD. Deren Stammwählerschaft kann bestenfalls noch auf 20 bzw. 10 Prozent geschätzt werden. Auf der anderen Seite legen gerade die Grünen bei jenen Bürgern zu, die selbst einen Baumstamm wählen wurden, Hauptsache, er ist in der richtigen Farbe lakiert. Dies gelang mit einem Image, das gerade nach Trends und nicht nach Überzeugungen und Lagern geht.

    Gerade mal die Hälfte und etwas mehr der Wähler sind damit (kurzfristig) parteigebunden. Die andere Hälfte ist es nicht, wobei schon jene, die politisch uninteressiert sind und im Lager der Nichtwähler beheimat, nicht gerechnet werden. Debatten über links/rechts-Schemata wirken da nur ermüdend.

    Das Ideal der zivilen Menschheit, was schon nicht inklusiv gemeint ist, ist die Überzeugung von der Gleichheit aller Menschen. Gleichheit vor dem Gesetz und Gleichheit im Ansehen. Dass Menschen ungleich verdienen, verschiedene Vorlieben und Abneigungen haben, ist nicht ungerecht, wie Cimourdain meint, sondern menschlich.

    Jahrhundertlang kämpften Frauen, Schwarze, Arme und generell Unterdrückte dafür, „gleich“ behandelt zu werden. So wie alle. Wie Männer, aber auch weiße Frauen, wie Reiche, nur ohne Geld. Feministinnen, schwarze Aktivisten, Arbeiterkämpfer empfanden sich zwar meist als der bessere, der reinere Teil der Menschheit, manchmal auch als der Überlegene. Aber nie waren sie rassistisch, sexistisch oder diskriminierend.

    Der Gedanke, dass Menschen qua Geschlecht, Hautfarbe und Klassenzugehörigkeit Rechte und Vorzugsbehandlungen zustehen, dass sie nicht im Meinungsdiskurs erst für ihre Belange werben müssen, die ist neu. Diese Sicht ist Ausdruck einer verwöhnten Gruppe, die es verlernt hat, ihre Meinungen zur Diskussion, schon gar zur Disposition zu stellen.

    Sie wollen mit Christian Lindner, Wolfgang Thierse, Alice Schwarzer, Dieter Nuhr – kurz, dem Anderen – nicht mehr streiten, sondern ihn exkludieren. Da das so unmodern, weil noch ein Stück verständlich klingt, sprechen diese unreifen Langstudenten dann von „Canceln“. Pubertierende verhalten sich nicht anders.

    • Erwin Gabriel 22. April 2021, 14:55

      @ Stefan Pietsch 22. April 2021, 12:35

      Weitgehende Zustimmung. und – bis auf den letzten Satz – so moderat 🙂

    • derwaechter 26. April 2021, 14:39

      Habe den Beitrag gerade erst gelesen und wollte zu
      „und die Ausgegrenzten hatten keine Stimme.

      Das hat sich geändert. Sie haben nun eine Stimme, und sie haben diese Stimme innerhalb der Linken.“

      kommentieren.

      Stefan P. geht in seinem Kommentar hier bereits am Anfang genau auf das ein, was ich auch schreiben wollte.

      Diese Ausgegrenzten bzw. Benachteiligten sind gerade bei kulturellen Fragen (und darum geht es bei woker Politik ja fast immer) eben gar nicht so sehr bei den Linken repräsentiert wie man auf den ersten Blick glauben könnte. Weil es eine gewisse Diskrepanz zwischen den Aktivisten auf der Linken und den tatsächlich Betroffenen gibt
      Im besten Fall ist das egal, weil sie sich für diese Themen nicht so sehr interessieren, dass es ihre Wahlentscheidung beeinflussen würde, im schlechtesten Fall wenden sie sich ab.

      Das kann man in den USA gut sehen, wo sich, z.B. die weisse „Unterschicht“ stark den Republikanern zuwendet, obwohl doch eigentlich Linke Politik machen (wollen) die ihnen ökonomisch helfen würde.
      Oder Latinos, bei denen Trump Zugewinne verbuchen konnte, obwohl er sich zu Latinos nicht gerade freundlich geäussert hat.

      Ich denke Wokeness ist dann eine reele Gefahr für die Linke, wenn sie so
      weit getrieben wird, dass sie klassische linke Wählerschichten nicht nur nicht interessiert, sondern abstößt. Hier gibt es m.E. zwei Phänomene

      1. Die kulturellen Ansichten (Werte) vieler Ausgegrenzter Gruppen deckt sich nicht mit woken Prioritäten oder steht ihnen entgegen. Beispiel Homosexualität oder Gleichberechtigung (für streng religiöse Minderheiten ein Unding) oder direkte Förderung einzelner Gruppen (viele Asian Americans sehen affirmative Action z.B. nicht so positiv)

      2. Kulturkämpfer der alten Schule sind von woken Ideen nicht begeistert. Beispiel Feministen die nun als TERF oder muslimfeindlich beschimpft werden oder Altlinke, die in woken Massnahmen eine neue Form von Rassimus erkennen (ich empfehle diesen Sketch https://www.youtube.com/watch?v=Ev373c7wSRg
      When Wokes and Racists Actually Agree on Everything)

  • Stefan Sasse 22. April 2021, 14:35
    • Erwin Gabriel 22. April 2021, 14:52

      @ Stefan Sasse 22. April 2021, 14:35

      In dem Zusammenhang übrigens spannend:
      https://www.salonkolumnisten.com/rote-studenten-braune-rentner/

      Der Weg ist das Ziel, nicht das ankommen 🙂

    • CitizenK 22. April 2021, 19:29

      Danke für den Link. Vielleicht ist ja doch was dran am Hufeisen?

      • Erwin Gabriel 22. April 2021, 20:05

        @ CitizenK 22. April 2021, 19:29

        Vielleicht ist ja doch was dran am Hufeisen?

        Ich hasse es, wenn sich Leute so benehmen, als hätten sie das vor den Kopf gekriegt. Ich mag die beiden Enden einfach nicht …

      • Stefan Sasse 23. April 2021, 08:06

        Jein: Ich halte die Hufeisentheorie dort für sinnvoll, wo sie die gemeinsame Ablehnung des liberalen Staatswesens beschreibt. Aber gerade beim hier zitierten Feld denke ich sind andere Grundlagen wichtiger, die spezifisch für diese Denkrichtung sind. Der erwähnte Nationalismus vor allem.

    • Dennis 22. April 2021, 21:26

      Das ist ein Spezialfall, aber die Linke besteht ja nur aus Spezialfällen^. Die protestantische Linke (Kraushaar erwähnt ganz richtig, wie wesentlich dieser Aspekt für das Verständnis des „68er-tums“ ist) versus die katholische Linke wäre auch noch so ein Thema und zwar historisch ein sehr bedeutsames, auch wenn das aus heutiger Sicht komisch und verschimmelt erscheint. Hängt wiederum u.a. eng mit der Pazifismusfrage zusammen, die du ja auch besprochen hast. Faustregel: Je links-protestantischer desto mächtiger ist das P-Wort. Man vergleiche hierzu Skandinavien und Frankreich, ist aber andererseits auch wieder zu „differenzieren“, man kommt aus dem Differenzieren also gar nicht raus^.

      Nebenher hier danke auch für den Blogeintrag; sehr ergiebig, jeden Einzelaspekt kann man endlos hin- und herwälzen, denn die Linke ist vor allem mal eins: sperrig 🙁

      Gibt’s da (mindestens) eine Konstante in Zeit und Raum? Ich meine: Die Einheit. Das wäre dann ist das „positive Bild, groß und mutig, eine Vision“ (O-Ton Sasse) bzw. die auch erwähnte große Erzählung. Konstante Nr. 2: Die Einheit wird ständig verfehlt in Myriaden von Streitfällen und die Erzählung wird kleinlich, um nicht zu sagen spießig 😥

      Die alte Tante SPD fing mal mit zwei verschiedenen Parteien an, da ging’s schon los. 1875 dann die prekäre Einheit, von einem gewissen Karl Marx heftig beschimpft („Kritik des Gothaer Programms“). Der zu diesem Zeitpunkt schon verstorbene Lassalle war gem. Charly Marx – nachdem man sich in London mal heftig gezankt hatte – ein „jüdischer Nigger“. Mit Wokeness hatte man’s noch nicht so.

      Und ja, Thatcher als Princess of Darkness die heimliche Dirigentin der Agenda 2010 und sie dirigiert noch heute aus der Hölle weiter. Kann ja sein, andererseits hätte es Thatcher ohne die lustvollen Suizidalismen bei Labour zuzügl. Gewerkschaften in den 70ern nie gegeben. Ihr Vorgänger Callaghan war „beim Volk“ durchaus beliebter, dann kam der „winter of discontent“ mit Streiks u.a. bei den Totengräbern und allerlei „Unannehmlichkeiten“, die tödlich sein konnten, da u.a. der emergency call bestreikt wurde.

      sieht hier (Mann mit Merkelraute vor Merkel) eher witzig aus, was dem Neoliberalismus auf der Insel zum Durchbruch verhalf:

      https://img.huffingtonpost.com/asset/5c10ef28260000500484aabb.jpeg?cache=uQc8Rd8Leh&ops=1200_630

      Flagellantismus gehört also womöglich auch noch in das große linke Sittengemälde.

      • Stefan Sasse 23. April 2021, 08:16

        Der größte Gegner der Linken ist die Linke, immer schon gewesen. Judäische Volksfront und so 😀
        Sonst Zustimmung und danke für die Ergänzungen.

  • Erwin Gabriel 22. April 2021, 14:44

    Vielleicht sehe ich das ja etwas unscharf. Linker war ich in meiner langhaarigen Jugend eher aus Abenteuerlust und aus Abgrenzung gegen die Eltern denn aus tief empfundenen politischen Überzeugungen; die habe ich erst später entwickelt.

    Mein Eindruck ist stets gewesen, dass es (ganz grob) zwei Arten von Linken gibt. Die einen sitzen so richtig in der Scheiße, und wollen da raus – gerne auch durch Arbeit. Hauptantrieb sind finanzielle Nöte, und sie leiden unter mangelndem Respekt und Herablassung. Da habe ich einige (sehr) wenige kennengelernt, die nichts gegen Besitz bei anderen hatten. Ihr maßgebliches Ziel ist, die eigene Situation, eventuell noch die Situation ähnlich gelagerter Personen zu verbessern, und für Gesetze zu sorgen, die sie nicht dauernd / dauerhaft in ihr Elend zurückstubsen.

    Die andere Gruppe hat eigentlich keine nennenswerten finanziellen oder gar existentiellen Probleme, sondern bestimmte Vorstellungen von der Welt, die sie gerne umsetzen möchten. Sie betrachten die erste Gruppe als Haustier-Projekt, halten die dieser Gruppe zugehörigen Personen für ungebildet und nicht in der Lage, sich selbst zu artikulieren, und sehen sich als natürliche Fürsprecher und Vertreter. Ihr Ansatz ist selten der praxisbezogene, sondern eher ein „moraltheologischer“ Ansatz. Hier findet man den „Arbeits“-Ansatz deutlich seltener, an schlechten Zuständen haben grundsätzlich „Reiche“ oder „das System“ Schuld.

    (Wie des Öfteren habe ich das etwas überspitzt formuliert, um meinen Punkt klarzumachen, und will nicht beleidigen, sondern beschreiben).

    Das hier diskutierte Thema ist ein Thema, dass ausschließlich die zweite Gruppe beschäftigt. Es wird wie so viele andere Diskussionsrunden, die die erste Gruppe nicht einbinden, zu keinem besonderen Ergebnis führen. Will man dem „Prekariat“ (wie überheblich das klingt) helfen, darf bzw. sollte der Ansatz nicht über „links“ oder „rechts“, nicht „woke“ (was immer das heißen mag) oder sonst wie erfolgen, sondern dann muss die Diskussion über „sozial“ gehen (ohne „gerecht“ drangehängt; „soziale Gerechtigkeit“ ist immer eine rein subjektive Wahrnehmung und damit per Definition „ungerecht“).

    Will man sich aber aus dem weichgepolsterten Sessel politischen Herz-Schmerz-Themen widmen, ist das eine gute Diskussion mit allen erforderlichen Zutaten: Unterschiedliche Standpunkte, Gerechtigkeit, Diskriminierung, alt gegen jung, gut gegen böse, Zukunft gegen Vergangenheit, Moral, Gesellschaft, herausragende (bzw. nicht herausragende, aber prominente) Persönlichkeiten – wie beim Fußball, nur anders.

    Völlig korrekt dagegen ist, dass die Linke einen Bedeutungswandel vom materiellen zum kulturellen Kapital durchgelebt hat.

    Da schließe ich mich an. Zwei Fragen dazu:
    – Was sagt das über die Gesellschaft?
    – Was sagt das über die Linken?
    (Vielleicht ist es ja auch nur eine Frage, unterschiedlich formuliert)

    Bis heute hat sie die Totalität ihres Sieges nie anerkannt und begreift sich immer noch als ständiger Underdog, der von allen Seiten unter Beschuss steht.

    Hhmmm, lass mich mal überlegen – an welcher Stelle steht die Rechte stehen die Konservativen (ist einfach eher mein Begriff) nicht unter Beschuss? Kannst Du mir da mal weiterhelfen?

    Gibt es noch eine Klassenfrage? Selbstverständlich. Gibt es noch eine „Arbeiterklasse“, für die Wagenknecht ostentativ zu kämpfen gedenkt? Das ist wesentlich unklarer. Cimourdain hat völlig Recht, dass diese Fragen immer noch sehr wenig verhandelt werden (wenngleich sich hier gegenüber den letzten Jahrzehnten sehr viel getan hat).

    Ich stimme zu, halte aber die Einstufung der „Arbeiterklasse“ (oder wie immer man das heute nennt) in ein politisches Links-Rechts-Schema nicht für zielführend.

    Das allerdings liegt, erneut, am so vollständigen Sieg der Rechten seit 1980.

    „Vollständig“ würde unumkehrbar bedeuten. Das sehe ich nicht.

    Und noch einmal: Ich halte das zweipolige Links-Rechts-Schema für nicht zielführend. Die „neuen“ Kapitalisten á la Bezos, Musk und Zuckerberg sind nicht „rechts“, sondern „reich“. Ich sehe einen großen Veränderungsdruck (Veränderung = progressiv?) durch die Klima-Thematik, obwohl gerade diese Thematik viele neue Milliardäre schaffen wird. Ich sehe im Gegenzug Potential für Hunderte Millionen am Existenzminimum dahinvegetierender Habenichtse, einfach nur durch Überbevölkerung und entsprechend überzogener Ressourcenverbräuche (und nein, da kann der Westen nicht „helfen“, das ist zu groß; versuchen sollte man trotzdem).

    Unsere Definition von „rechts“ oder „links“, bzw. unsere entsprechende Positionierung, ist für keines der anstehenden Probleme, ob groß oder klein, ob nah oder fern, zielführend. Es mag eher mit ein Grund sein, das wir diese Probleme NICHT lösen könen.

    Zuletzt bleibt Cimourdains Kritik am Fehlen einer umfassenden Gegenerzählung, eines utopischen Zukunftsentwurfs der Linken.

    Auch da stimme ich zu. Aber da sind die Linken in guter Gesellschaft, den weder die Rechten noch die Grünen noch die Konservativen noch die Liberalen noch sonstwer haben belastbare Zukunftsentwürfe. Alle klammern sich an ihre Ideale aus früheren Zeiten (was alle irgendwie zu Konservativen macht), und keiner ist mit seinen Visionen in der Lage, mit den aktuellen Entwicklungen zu Klima oder Bevölkerungsentwicklung mitzuhalten.

    Der Umgang, den wir in der Gesellschaft beispielsweise mit Minderheiten pflegen, ist ein wichtiges Thema – für heute. Der Umgang, den wir mit den sozial finanziell Schwachen in unserer Gesellschaft pflegen, ist ebenfalls ein wichtiges Thema – für heute.

    Ich bin mir aber nicht sicher, ob uns die Zukunft erlaubt, eine Gesellschaft aufrecht zu erhalten, wo diese Diskussionen sinnvoll sind; zu groß ist die Kluft zwischen unserem Lebensstandard und an dem, was in der Welt passiert. In Zukunft, so meine Befürchtung, werden wir viele dieser liebgewonnenen Grundsätze über Bord schmeißen müssen, oder die Grundsätze schmeißen uns über Bord.

    Ernüchterte Grüße aus dem gepolsterten Sessel
    E.G.

    • Stefan Sasse 22. April 2021, 18:33

      Natürlich ist nichts unumkehrbar. Aber die Rechte hat 40 Jahre lang dominiert. Irgendwann, das schreibe ich ja, endet jede solche Dominanzphase. Die Sozialdemokratie hat ja auch Jahrzehnte lang dominiert, ich habe darüber ja geschrieben: http://www.deliberationdaily.de/2018/07/glanz-und-elend-der-sozialdemokratie-teil-1-grundlagen/ Ich war damals nicht dabei, deswegen weiß ich nicht, ob die Linke seinerzeit auch der Überzeugung war, eigentlich gar nicht gewonnen zu haben. Das müsste man mal nachforschen (kann ich mir aber gut vorstellen).

      Deine zwei Fragen habe ich im Text doch beantwortet? Es ist eine Teilkapitulation gegenüber der Dominanz der Rechten, und es zeigt deutlich, dass denen eine belastbare Zukunftsvision fehlt.

      • Erwin Gabriel 22. April 2021, 20:14

        @ Stefan Sasse 22. April 2021, 18:33

        Aber die Rechte hat 40 Jahre lang dominiert.

        Das kann ich eben nicht erkennen. Wenn Du damit vielleicht die Umsetzung wirtschaftsliberaler Positionen meinst, mag das stimmen, aber das hat nach meinem Verständnis nichts mit „rechts“ zu tun. Die Agenda 2012 ist nicht „rechts“.

        Deine zwei Fragen habe ich im Text doch beantwortet?

        Dann verstehe ich Deine Antwort nicht.

        Für mich ist die Tatsache, dass sich die Linken (meiner Gruppe zwei) nicht materiellen, sondern gesellschaftlichen Fragen widmen, entweder ein Zeichen von gestiegenem Wohlstand oder ein Zeichen von Abgehobenheit, die mit den Nöten der Bedürftigen nichts mehr zu tun hat; such’s Dir gerne aus.

        Und die Frage, an welcher Stelle die Rechten NICHT unter Druck stehen, finde ich auch nicht beantwortet.

        • Stefan Sasse 23. April 2021, 08:14

          Ja, wir stoßen hier auf die üblichen Probleme der Lins-Rechts-Dichothomie, beziehungsweise ihre Grenzen. Sagen wir es mal so: Das heute dominante Politik- und Wirtschaftsverständnis wurde zuerst von Parteien auf der Rechten übernommen, die damit die Dominanz des keynesianischen/sozialdemokratischen Konsens‘ brachen. Und dieser Erfolg wurde dann von links kopiert (New Labour, etc.) –> Hegemonie. Ich versuche immer das Wort „neoliberal“ zu vermeiden, weil da so viel baggage dran hängt, aber macht das klarer was ich meine?

          Für mich ist das auch ein Zeichen von Verzweiflung. Die Linke hat auf materiellem Gebiet keine Antworten zu bieten. Der „neoliberale Konsens“ (da, jetzt ist’s raus) ist zu stark, und sie hat selbst keine kohärente Gegenantwort. Das ist das, was ich bei der SPD immer als das Parteiprogramm von „so wie jetzt, nur ein bisschen weniger scheiße“ beschrieben habe. Wenn ich Niedriglöhner wäre, was würden die meisten SPD-Vorschläge an meiner Lage ändern? Verbesserungen im marginalen Bereich, gewiss, aber sonst? Und die LINKE…da hast ein paar BGE-Fans, aber das halte ich nach wie vor für eine Sackgasse.

          • Erwin Gabriel 23. April 2021, 19:39

            @ Stefan Sasse 23. April 2021, 08:14

            Sagen wir es mal so: Das heute dominante Politik- und Wirtschaftsverständnis wurde zuerst von Parteien auf der Rechten übernommen, die damit die Dominanz des keynesianischen/sozialdemokratischen Konsens‘ brachen. Und dieser Erfolg wurde dann von links kopiert (New Labour, etc.) –> Hegemonie. Ich versuche immer das Wort „neoliberal“ zu vermeiden, weil da so viel baggage dran hängt, aber macht das klarer was ich meine?

            Ja, das macht es klarer, aber (meiner Ansicht nach) nicht richtiger.
            Ich habe die Auseinandersetzung zwischen links und rechts immer als Diskussion über Werte verstanden. Kümmere ich mich in erster Linie nur um meine Gemeinschaft oder um alle? Setze ich ausschließlich auf die Eigenverantwortung, oder übertrage ich Verantwortung und versorgung komplett auf die Genmeinschaft, und entbinde den Einzelnen. Ich weiß, dass das ein bisschen spitz formuliert ist, um die Extreme aufzuzeigen; wir haben Mischformen.

            Was nicht in die Links-Rechts-Debatte gehören sollte, ist die Frage nach dem Wirtschaftssystem. Wie Du selbst schreibst, haben sich die Neu-Linken wie schon zuvor die Rechten an liberale Ideen gehalten, was sowohl den Schluss zulässt, dass das gewählte System unterm Strich wohl das bislang effizienteste ist, oder dass beide Seiten keine Ahnung haben. Grundlegende Unterschiede sehe ich jedenfalls nicht.

            Nun, nochmal die Frage, an welcher Stelle steht die Rechte nicht unter Druck?

            Die Linke hat auf materiellem Gebiet keine Antworten zu bieten.

            Keine eigenen, genaoso wie die Rechte :-). Brüder im Geiste …

            Der „neoliberale Konsens“ (da, jetzt ist’s raus) ist zu stark, …

            Ja. Was sagt das? Doch offentlich nicht, dass die rechten seit 20 Jahren „siegen“?

            • Stefan Sasse 24. April 2021, 10:06

              Wie gesagt, ich hab sie damit identifiziert. Ich glaube, ich muss diese These mal vernünftig in einem Artikel ausarbeiten.

      • Lemmy Caution 23. April 2021, 00:20

        Zwischen 1968 und 1975 gab es wohl eine ziemlich „linke“ Zeit, aber das wars. Und selbst da spielte vieles in Submilieus ab. Meinen aus einem kommunisitischen Arbeiter-Elternhaus stammender Aufstieg-durch-Bildung Vater verband nichts mit den Figuren, die wir heute als führende Linke seiner Zeit wahrnehmen. Die versteh ich besser, weil ich nämlich genauso bürgerlich wie die meisten von denen aufgewachsen bin.
        Als mein Opa Ende der 90er starb, hatte der noch alle Kontoauszüge oder Gehaltsbelege seit der Währungsreform sauber abgeheftet in Ordnern. Mein Vater hat da einen für seine Verhältnisse ziemlich starken Gehaltssprung Anfang der 70er entdeckt. In den 50ern und 60ern hatte die Gesellschaft bestimmt einen noch stärkeren Klassen-Charakter als heute. Zumindest hat das mein Vater im Gymnasium ganz sicher so empfunden. Er hat mir das erst kürzlich ziemlich detailliert erzählt. Oder vielleicht ist es auch nicht so. Ich war in der Oberstufe mit zumindest 2 der wenigen Hochhausbewohner(inne)n unserer Speckgürtel-Ansiedlung gut befreundet, aber blickte ich wirklich in die?

        • Stefan Sasse 23. April 2021, 08:26

          Die 1970er Jahre waren auch die Hochzeit der Sozialdemokratie, da ging es den meisten Menschen wesentlich besser als vorher. Mit dem neuen, dominanten Konsens ab 1980 begann dann der lange Abstieg.

          • Lemmy Caution 23. April 2021, 09:02

            Ich seh das ein wenig anders.
            1968 war eine gewaltige Kulturrevolution. Die Bürgerliche Klasse war vorher exkludierender als vorher.
            Das Lied war kein Witz -> https://www.youtube.com/watch?v=bGhJbr7DMmg
            Günther Walraffs „Ganz unten“ erschien 1983. Da wird kein Abstieg der Türkischen Gastarbeiter geschildert, sondern die Situation wie sie seit 20 Jahren gegeben war. Das Buch hat erst ein Bewußtsein für diese Situation geschaffen.
            Wir haben damals schon Ende der 80er die 70er schwärmerisch mystifiziert. Vielleicht verstärkt sich das über die Generationen, weil die Nachgeborenen immer weniger wirkliche Erinnerungen an die wirkliche Zeit hatten.
            Ein langjähriger Bekannter meiner Eltern mit einem absolut kölschen subproletarischen Hintergrund arbeitete als selbstständiger Fensterputzer. In den 80ern bestand seine Arbeitsbekleidung aus teuren Marken-Jeans und Armani-Pullovern. Als sein niemals links-politischer Sohn in eine Studenten-WG einzog schilderte er damals mal, wie schwierig es für ihn war, sich zu vergewissern, dass WG nicht das selbe wie Kommune 1 war. Für den war Kommune 1 der totale Abgrund.
            Klar hatten die einfachen Leute in den 70ern etwas mehr Geld in der Tasche. Der kulturelle gap verkleinerte sich. Flugreisen wurden etwa erschwinglicher.
            In den 80ern wurde es plötzlich für die Leute mit Real- und Hauptschulabschluß schwieriger Lehrstellen zu finden. Das kenn ich auch noch von Kindern von Bekannten meiner Eltern und dem Fußballverein. Viel stärker als in den letzten 20 Jahren. Dadurch entstand natürlich auch Druck.

            • Stefan Sasse 23. April 2021, 09:25

              Ich bin mir jetzt nicht sicher wo wir da auseinander liegen. In meinem Artikel hatte ich die Blindstelle durch den mangelnden Intersektionalismus ja bereits angesprochen, den du hier (treffend!) mit „Ganz unten“ verknüpfst. Und dass die Ungleichheit ab den 1980er Jahren massiv zunahm habe ich ja auch angesprochen?

          • Stefan Pietsch 23. April 2021, 09:25

            In den Siebzigern begann die Phase der Massenarbeitslosigkeiten und in der Folge langsamer steigende Löhne. Das war in dem Jahrzehnt zuvor noch anders. Wenn, dann kannst Du noch die zweite Hälfte der Achtzigerjahre als sehr prosperierend beschreiben.

            Die Siebziger eher nicht.

            • Stefan Sasse 23. April 2021, 10:57

              Weil die Massenarbeitslosigkeit in den 1980er Jahren zurückging oder wie?

              • Stefan Pietsch 23. April 2021, 11:20

                Ich rede allein von der zweiten Hälfte. Da stiegen die Einkommen überdurchschnittlich, die Staatsverschuldung nahm ab und die Arbeitslosigkeit ging zurück. Ähnliches Bild zeigte sich auch in den anderen führenden Industrieländern. Der lange Boom schaffte beste Voraussetzungen für die Aufnahme der maroden DDR.

                • Stefan Sasse 23. April 2021, 11:56

                  Wenn ich mir die erste Hälfte der Siebziger anschaue ist das Bild auch noch gut ^^ Aber ja, ich will das gar nicht in Abrede stellen.

                  • Stefan Pietsch 23. April 2021, 12:47

                    Das war ja schließlich noch die „Wärme“ der Sechziger. Das Wachstum ab Anfang / Mitte der Siebzigerjahre war aber nur noch mit einer Ausweitung der Kreditaufnahme erhalten. Natürlich spüren das die Menschen nicht sofort, das lässt sich nur an der Anzeigentafel im Cockpit ablesen.

                    Griechenland und Spanien gingen Ende der Neunziger bis Ende der Nullerjahre den gleichen Weg. Starke Erhöhung der jährlichen Verschuldung gepaart mit umfangreichen Zuschüssen aus dem EU-Haushalt. Das Ende ist bekannt.

                    • Stefan Sasse 23. April 2021, 14:18

                      Sorry, so leicht lass ich dich nicht vom Haken. Brandt und Schmidt haben immer noch konsistenz ordentliche Wachstumsraten erzielt; die zwei Ölpreisschocks und das Ende von Bretton Woods wuchsen ja nicht auf ihrem Mist. Das kannst nicht mit „Restwärme der 60er“ wegwedeln.

                    • Stefan Pietsch 23. April 2021, 16:09

                      Das ist ja interessante Aufgaben, die Du mir stellst. Klassisch definieren Volkswirte ja das Volkseinkommen wie folgt: Y (Volkseinkommen) = C (Konsum) + I (Investition). Wird C oder I größer, haben wir Wachstum.

                      Eine Größe fehlt da drin, die Verschuldung. Das kannte man zu Anno Tuk nicht. Das Defizit Spending funktioniert wie ein Hebel. Oder zumindest ist es so gedacht. Das muss man natürlich von dem neu geschaffenen Y abziehen.

                      Einfaches Beispiel: Wir nehmen einen Kredit auf und kaufen uns ein Haus. Voila, wir haben Wachstum erzeugt. Wenn wir den Kredit zurückbezahlen müssen, müssen wir das Haus verkaufen und wir sind wieder bei Null. Es sei denn, das Haus ist mehr Wert geworden. Oder es fällt Manna vom Himmel.

                      Okay, das sind die Grundlagen. Wirklich reich wird man nur, wenn man nicht nur ein Mehr generiert, sondern dieses Mehr auch größer ist als die Finanzierungskosten. Das ist dann echtes Nettowachstum.

                      Schauen wir uns also unter diesen Bedingungen die Entwicklung in den Siebziger- und Achtzigerjahren an. 1975 z.B. legte Helmut Schmidt über 50% innerhalb eines Jahres auf die Sollkonto. Obwohl das BIP damals um 4,8% zunahm, war das Nettowachstum unter Berücksichtigung des Schuldenwachstums mit -2,4% deutlich negativ. Das ist eine Verarmungsstrategie.

                      Anfang der Siebzigerjahre hatten wir noch ordentliche Wachstumsraten, das ist wahr. Interessanterweise fällt das Ende zusammen mit dem Zeitpunkt, wo die Schulden mit zweistelligen Prozentwerten wuchsen. Zwischen 1974 und 1980 betrug das durchschnittliche Nettowachstum nur noch +2,6%.

                      Man kennt das von Unternehmen, von daher sind Unternehmen und Volkswirtschaften durchaus zu vergleichen. Am Anfang sorgen Kredite für tüchtige Wachstumsschübe. Die mit den Darlehen eröffneten Filialen liefern neuen Umsatz ab. Das ist schön, zumal wenn nicht auffällt, dass die Neueröffnungen nichts zum Gewinn beitragen. Aus dem müssen aber Zinsen und Tilgung befriedigt werden. Und so legen sich immer höhere Schulden irgendwann wie Mehltau über Unternehmen wie Volkswirtschaft. Nur dauert es eine Weile, bis das auffällt.

                      Jedenfalls, zwischen 1981 und 1985 hatten wir nur noch ein Nettowachstum von 0,7%, obwohl auch hier die jährlichen Zuwächse beim BIP mit 4,2 – 4,9 Prozent mehr als anständig blieben. Aber der Mehltau entfaltete seine Wirkung, die Arbeitslosigkeit nahm trotz der hohen Wachstumsraten ebenfalls schnell zu, Steuerbelastungen stiegen und die Leute wurden unzufrieden, denn der Staat konnte die Steuereinnahmen wegen der spürbaren Zinslasten nicht mehr 1:1 in Form von Transfers und Investitionen zurückgeben. Das war das Ende der Kanzlerschaft Helmut Schmidts.

                      Von 1986 bis 1990 wurde das Schuldenwachstum dann wieder auf deutlich einstellige Prozentwerte zurückgeführt, womit das Nettowachstum in dieser Phase bei +3,6% lag – deutlich über den Schmidt-Jahren.

                      Diese zwei Jahrzehnte geben uns also perfektes Anschauungsmaterial, wie Deficit Spending auf Wachstum und Prosperität einer Volkswirtschaft wirken.

                      Nachrichtlich:
                      Jahr Wachstum BIP in % BIP zu jeweiligen Preisen Netto-Wachstum Schuldenstand gesamt
                      1970 360,60 49,1
                      1971 11,0% 400,24 10,4% 51,3
                      1972 9,0% 436,37 7,9% 56
                      1973 11,4% 486,02 10,8% 58,4
                      1974 8,2% 526,02 5,7% 70,6
                      1975 4,8% 551,01 -2,4% 108,4
                      1976 8,4% 597,40 5,0% 127,1
                      1977 6,6% 636,54 2,8% 149,5
                      1978 6,7% 678,94 2,3% 177,5
                      1979 8,6% 737,37 4,8% 203,6
                      1980 6,9% 788,52 2,9% 233,2
                      1981 4,7% 825,79 -0,4% 273,7
                      1982 4,2% 860,21 -0,7% 313,7
                      1983 4,4% 898,27 0,5% 347,2
                      1984 4,9% 942,00 2,1% 372
                      1985 4,5% 984,41 1,6% 398,9
                      1986 5,4% 1 037,13 3,2% 419,8
                      1987 2,7% 1 065,13 0,2% 446,2
                      1988 5,5% 1 123,29 2,2% 481,1
                      1989 6,9% 1 200,66 5,4% 497,3
                      1990 8,8% 1 306,68 7,2% 517,3
                      https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Volkswirtschaftliche-Gesamtrechnungen-Inlandsprodukt/Tabellen/bruttoinland-vierteljahresdaten-xls-ab-1970.html
                      https://www.staatsverschuldung.de/bundbank.pdf

                    • Stefan Sasse 23. April 2021, 18:48

                      Ich bleibe mal für einen Moment bei deiner Hausallegorie. Ich habe auch ein Haus gekauft, auf Kredit natürlich. Trotzdem bin ich dadurch gerade unermesslich wohlhabender geworden, und jedes Jahr, das ich von dieser kreditfinanzierten Investition zehren kann, ist ein gewonnenes Jahr. Mein Nettowachstum ist daher eher bescheiden, kleiner als es zu Mietzeiten war. Trotzdem geht es mir besser, und ich bin zukunftssicherer.

                    • Lemmy Caution 23. April 2021, 18:39

                      Lieber Stefan Pietsch,
                      das BIP wird normalerweise immer als reales und nicht als nominales BIP angegeben. Was soll diese Angabe nicht deflationierter BIP-Zahlen.
                      Ich geh ja mit, dass der Keynesianismus damals an die Grenzen stiess, aber es gab auch andere Gründe:
                      1975 war die erste Ölkrise. Das Wachstum erreichte in westlichen Industrienationen nie mehr die Werte zwischen 1950 und ca 1973. Eine Epoche ging damals zu Ende. In der deutschen Wirtschaft fand v.a. auch wegen des Drucks der japanischen Konkurrenz eine tiefe Umstrukturierung statt. Die low hanging fruits des Wachstums durch Ausnutzung des rasanten technologischen Entwicklung nach dem Krieg waren abgeerntet. Außerdem wurden die ökologischen Probleme immer sichtbarer.

                    • Stefan Pietsch 23. April 2021, 20:31

                      Wir vergleichen keine gefühlten Zahlen. Es ging um Handfestes. Ich habe dargelegt, warum die Neuverschuldung bei Wachstumszahlen abzuziehen ist, um die Prosperität zu beurteilen.

                      Wie gesagt, für Spanien und insbesondere Griechenland kann ich das Gleiche nachweisen. In Athen war es nach Einführung des Euro noch schlimmer, da erreichte das nominelle Wachstum nicht einmal die Neuverschuldung. Das ist aber dann nichts anderes als Verschwendung.

                      Und Du scheinst ein Verständnisproblem zu haben: natürlich ist der Nutzen schuldenfinanzierter Investitionen am Anfang schön. Aber wie sieht es eigentlich bei Dir aus, wenn Dein Haus zwangsversteigert werden müsste und Du den Rest Deines Lebens Schulden bedienen müsstest, wo Du das Objekt gar nicht mehr besitzt? Wäre das dann immer noch so vorteilhaft?

                    • Stefan Sasse 24. April 2021, 10:16

                      Klar wäre das dann blöd. Aber davon gehe ich nicht aus. Und ich rede auch nicht von Spanien und Griechenland. Ich rede von meinem Haus mit meiner soliden finanziellen Situation und den Schulden Deutschlands oder der USA mit ihrer soliden finanziellen Situation.

                    • Stefan Pietsch 23. April 2021, 20:58

                      @Lemmy Caution

                      Ich habe in Deinem Fall kein Problem mit dem Du. Da ist ja die Wertschätzung und das Mögen da. 😉

                      Es geht in dieser Debatte jedoch um den Aspekt, ob die Bürger in den Siebzigerjahren (oder eventuell in den Achtzigerjahren) noch gut gestellt waren. Dazu schauen wir, wie das Gesamteinkommen (BIP) in einem bestimmten Zeitraum gewachsen ist.

                      Es ist kein Problem, mit Krediten Wachstum zu erzeugen. Nur haben Kredite eben auch negative Seiten. Auf sie müssen Zins und Tilgung geleistet werden, was wiederum in der Zukunft das Einkommen angreift. Ich fand das vor Jahren in Bezug auf Griechenland sehr überzeugend, zumal wir dort gesehen haben, wozu (sehr) hohe Staatsschulden führen.

                      Ehrlich gesagt, war ich in Bezug auf Deutschland überrascht, wie deutlich auch hier der Effekt ausfiel. Wir haben 20 Jahre Betrachtungszeitraum, den wir in 4 Abschnitte zerlegen können. An den Schnittpunkten ergibt sich eine Änderung des (Netto-) Wirtschaftswachstums, der zukünftigen Nettoverschuldung und politische Wendungen. Wir hatten ja nicht nur 1975 die Ölkrise und (vielleicht dadurch gerechtfertigt) in den Folgejahren eine deutlich höhere Verschuldung. Wir hatten insbesondere vier, fünf Jahre nach diesem Einschnitt einen Einbruch beim BIP als auch beim (Netto-) Wachstum. Und als dann Mitte der Achtzigerjahre die Neuverschuldung zurückging, nahmen Wachstum als auch (Netto-) Wachstum spürbar zu.

                      Ich bin nicht voreingenommen an die Sache, dachte mir aber die Tendenz. Das Ergebnis hat mich in der Deutlichkeit überrascht. So habe ich an der Sache selbst viel gelernt, weswegen ich Stefan echt für die Konstellation dankbar bin. So etwas macht mir am meisten Spaß, solche Analysen erarbeiten zu müssen.

                    • Stefan Sasse 24. April 2021, 10:16

                      Ich finde die auch sehr spannend zu lesen.

                    • Stefan Pietsch 24. April 2021, 11:25

                      Man muss schon sehr lange zurückgehen in der Zeit, um zu einem Beispiel zu kommen, wo das gutgegangen ist mit den hohen Staatschulden. Die USA in der Nachkriegszeit. Ansonsten hingen steigende Staatsschulden irgendwann den Ländern wie Mühlsteine um den Hals, ob das die Schweden in den Achtzigerjahren waren, Deutschland Anfang der Nullerjahre oder Italien und Japan seit 20 Jahren. Die Geschichte ist fast unendlich. Und immer stand am Anfang das Versprechen, wir machen das nur zur Vorfinanzierung von Investitionen und das führt uns nur zu mehr Wohlstand und Wachstum. Eingetreten ist immer das Gegenteil.

        • Erwin Gabriel 23. April 2021, 19:45

          @ Lemmy Caution 23. April 2021, 00:20

          Zwischen 1968 und 1975 gab es wohl eine ziemlich „linke“ Zeit, aber das wars.

          Die damit einhergehende sexuelle Revolution war zumindest ziemlich frauenfeindlich. Diese linke Zeit war doch auch extrem von Männern dominiert. Flapsig formuliert: Kiffen und Rauchen nach Laune, die Eltern und die da oben beschimpfen, und vögeln, was das Zeug hielt. Danach schwang die Frau immer noch den Kochlöffel, und der Mann schwang die Reden.

          Wie Opa, nur mit langen Haaren 🙂
          Dieses Rechts-Links-Schema ist für mich echt schwer zu greifen.

          • Lemmy Caution 24. April 2021, 07:20

            In der Szene entwickelte sich ja aber gleichzeitig auch der Feminismus. Ende der 70er gabs dann so eine Phase, in der sich ca. 10% der Mütter von anderen Kindern und Freundinnen meiner Mutter für eine Zeit hauptsächlich in weiten lila Klammotten kleideten. Auch war in der Generation der Ende des Krieges geborenen die Lektüre von Simone de Beauvoir in den 70ern richtig verbreitet.

            • Stefan Sasse 24. April 2021, 10:17

              Auch nicht falsch! 😀

            • Erwin Gabriel 26. April 2021, 02:10

              @ Lemmy Caution 24. April 2021, 07:20

              In der Szene entwickelte sich ja aber gleichzeitig auch der Feminismus.

              Meine Eltern waren katholisch. Bei uns gab es die einzige vom Papst erlaubte Pille: Sie wog eine Tonne und wurde vor die Schlafzimmertür gerollt (platter „Konkret“-Humor der 70er).

              Das, was nach meiner Erinnerung einen großen Schub für Gleichberrechtigung bedeutet, war wohl die Umstellung vom Schuld- aufs Zerrüttungsprinzip bei Ehe-Scheidungen 1976 (bis dahin musste eine Frau, die sich scheiden lassen wollte, dem Ehemann Untreue nachweisen, sonst gab es keinen Unterhalt). Ich mag aber nicht ausschließen, dass das eine direkte Folge der späten 60er Jahre war.

              Und Ende der 70er kam Nina Hagen 🙂

          • Stefan Sasse 24. April 2021, 10:06

            Nicht falsch.

    • CitizenK 22. April 2021, 19:25

      „Haustier-Projekt“

      Stefan Sasse hat das als „paternalistisch“ beschrieben. Beides unfair.
      Gemeint sind vermutlich SPDler. Ich kenne einige, auf die Beschreibung (keine finanziellen Probleme) zutrifft, und die sich für Benachteiligte einsetzen: Unterstützung durch die Stadt für sozial benachteiligte Schüler, Beratungsstellen, Erhalt der städtischen Wohnungsgesellschaft für bezahlbare Mieten, Schülertickets usw.

      Gedankt wird es ihnen nicht. Ein großer Teil ihrer „Klientel“ wählt nicht, also auch nicht sie. Dieses Handeln folgt einem humanistischen Motiv und verdient nicht, auch hier noch verächtlich gemacht („Haustiere“) zu werden.

      • Erwin Gabriel 22. April 2021, 20:48

        @ CitizenK 22. April 2021, 19:25

        [„Haustier-Projekt“]

        Stefan Sasse hat das als „paternalistisch“ beschrieben. Beides unfair.

        Ich meine nicht diejenigen, die hinter der Tafel stehen und waren an die Bedürftigen ausgeben. ich meine nicht die Sozialbetreuer.

        Ich meine die Gregor Gysis und Sakia Eskens dieser Welt, die aus einer theoretischen Position heraus über Bevölkerungsschichten sprechen, die ihnen, gelinde gesagt, fern sind.

        Die Leute, die Du genannt hast, machen das, was ich fordere: nicht nach „links“ oder „rechts“ gucken, sondern einen „sozialen“ Ansatz verfolgen.

  • Marc 22. April 2021, 17:25

    Und – hart gesprochen – in Bezug auf kulturelles Kapital agiert die neue Linke erzkapitalistisch – Klassendünkel, rücksichtslose Akkumulation, Herausdrängen von Konkurrenten (z.B. Wagenknecht) aus dem Meinungsmarkt.

    Es sollen keine Konkurrenten heraus gedrängt, sondern strukturelle Diskriminierungen abgeschafft werden. Z.B. eine sexistische Sprache ist keine Konkurrenz, sondern ein Problem. Sie legitimiert Gewalt gegen Frauen und Ungleichheiten in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Es geht um die Auswirkungen, es geht um das Anstoßen von Veränderungen.

    Wenn Wagenknecht die Ansprüche marginalisierter Menschen in Frage stellt, und damit die bestehenden stukturellen Probleme beibehalten will, ist sie keine Konkurrenz, sondern Teil des Problems, das überwunden werden soll.

    Ich möchte noch darauf hinweisen, dass man bei der Sprache unbedingt differenzieren muss, ob man in einem privateren oder öffentlichen Raum spricht. Es muss Freiräume geben, in denen Menschen sich nicht politisch korrekt ausdrücken dürfen. Hier gibt es ein Problem mit den sozialen Medien: Sie machen private Äußerungen öffentlich. Dadurch werden lax formuierte Statements den strengen Regeln des öffentlichen Diskurses unterworfen und einer beißwütigen und shitstormhungrigen Meute vorgeworfen.

    Im Moment sehen wir ja eine Ausdifferenzierung. Die Knalltüten sind bei Facebook. Werden sie dort rausgeworfen, ziehen sie zu Telegramm o.ä. weiter.

    Probleme entstehen ja nur, wenn es eine gemischte Diskursplattform gibt. Wenn linke oder rechte unter sich bleiben, gibt es ja keine Probleme. Der Kampf findet ja nur dort statt, wo diese Welten aufeinander treffen. Und es geht immer um eine entscheidende Frage: Wer bestimmt die Regeln? Da diese Frage offen ist, ist es ein endloser Kampf.
    Eine Befriedung wäre einfach: Explizite Regeln für unterschiedliche Plattformen. Ein soziales Netzwerk für verbalen Müll, wo jeder alles sagen darf, ein anderes für respektvollen Austausch mit filtern/zensieren der Beiträge.

    Und dann ist da noch der Elefant im Raum: die Klassenfrage.

    Klassenfrage ist mir zu ideologisch. Ich bevorzuge den Begriff Verteilungsfrage oder Verteilungsgerechtigkeit. Auch hier gibt es eine sehr einfache Lösung: Keine Gleichheit, um Antikommunisten zufrieden zu stellen, und Begrenzung der Akkumulation durch Erbrecht oder Umverteilung, um Linke zu befriedigen.

    Aber das problematischste ist der Mangel eines utopischen Gegenentwurfs. Die Uhr Klimawandel und Ressourcenübernutzung wird wahrscheinlich einen Systemwechsel notwendig machen [..]

    Ich sage: Nein, ein Systemwechsel wäre ein großer Fehler. Er dauert zu lange, die Kämpfe wären mörderisch und ob das neue System letztendlich wirklich besser wäre, ist mehr als fraglich. Ein Systemwechsel ist Irrsinn pur.

    Unser jetziges System ist flexibel genug. Das Problem ist nicht das System, sondern das konkrete Verhalten der Menschen. Ob ich meine Mobilität ökologisch ausrichte, ob ich meine Ernährung umstelle, meinen Ressourcenverbrauch minimiere, ob ich Randgruppen respektiere ist keine Frage des Systems, sondern der Politik. Wir haben genügend Steuermechanismen an der Hand, um im jetzigen System die gewünschten Ziele zu erreichen.

    • Stefan Sasse 22. April 2021, 18:34

      Völlig bei dir.

    • CitizenK 22. April 2021, 19:33

      „Das Problem ist nicht das System, sondern das konkrete Verhalten der Menschen“

      Kann man das trennen? Das Verhalten der Menschen wird doch erheblich vom System beeinflusst. Eine Entwicklung von der „nur“ sozialen zur (wirklich) sozial-ökologischen Marktwirtschaft ist auch eine Art Systemwechsel.

      • Marc 22. April 2021, 19:43

        Es macht einen Unterschied, ob ich den Kapitalismus abschaffe, um irgendwelche Strukturen zum Besseren zu ändern, oder ob ich Fleisch besteuere, um das Essverhalten zu reduzieren.
        Letzteres ist ja keine Systemänderung, aber leichter umzusetzen und wesentlich effektiver, um klimaschädliches Verhalten zu vermeiden.

      • Erwin Gabriel 22. April 2021, 21:17

        @ CitizenK 22. April 2021, 19:33

        [„Das Problem ist nicht das System, sondern das konkrete Verhalten der Menschen“]

        Kann man das trennen?

        Bin bei Dir: Nö.

    • Erwin Gabriel 22. April 2021, 21:14

      @ Marc 22. April 2021, 17:25

      Probleme entstehen ja nur, wenn es eine gemischte Diskursplattform gibt. Wenn linke oder rechte unter sich bleiben, gibt es ja keine Probleme.

      Da habe ich eine extrem andere Ansicht – dann gehen die Probleme erst richtig los.

      Wenn Linke unter sich oder Rechte unter sich sind, rutscht man verbal schnell in die extreme Ecke. Dann ist mal schnell bei harten Formulierungen, die irgendwann nicht mehr nur witzig gemeint sind.

      „Und auch wenn wir das eine Prozent der Reichen erschossen haben, ist es immer noch so, dass wir heizen wollen, wir wollen uns fortbewegen.“ Diese Worte fielen von einer Dame namens Sandra auf einem Parteitag der LINKEn. Es gab Gelächter, es gab Geraune, und Sandra erklärte: „Na ja, ist so! Wir müssen mal von dieser Meta-Ebene runterkommen.“
      Der Parteichef der Linken, Bernd Riexinger, antwortet der Frau direkt und sagte: „Ich wollt‘ noch sagen, wir erschießen sie nicht, wir setzen sie schon für nützliche Arbeit ein.“

      Ich glaube nun nicht, dass die gute Sandra eine durchgeladenen AK47 oder der Bernd eine Peitsche unter unterm Bett liegen haben und auf den Tag der Revolution warten. Aber das passiert, wenn man „unter sich“ ist. Und nach einer Weile verfestigen sich Denkmuster.

      Rechtsaußen bei der AfD spricht man (vermutlich sehr viel häufiger) ähnlich hemmungslos, und zu viele Rechtsextreme sind bereits über Worte hinaus. Die vielen Morde der NSU wären ohne extremistische und radikalisierende Sprache nicht möglich gewesen. Auch der islamistische Terror wird über Sprache getriggert.

      Sprache und Worte prägen das Denken. Und das Wort „Sprachgewalt“ existiert nicht ohne Grund.

      • Marc 23. April 2021, 08:55

        Es geht ja um den Gegensatz: Meinungsfreiheit vs. Sprachgewalt. Meinungsfreiheit lässt Sprachgewalt zu, respektvolle Sprache ist meinungsunterdrückend. Was ich meine ist, dass es keinen einzelnen Diskursraum geben kann, der diesen Widerspruch auflöst. Daher mein Vorschlag, in den jeweiligen Sphären Sprachgewalten zuzulassen, aber in gemeinsamen Räumen nicht.

        Das Problem ist, wenn es keine Freiräume gibt, dass Gedankengewalten unerkannt bleiben. Wenn nirgens Gewaltphantasien geäußert werden, kann niemand auf sie reagieren. Es kann eine lonely wolf Radikalisirerung statt finden.

        Generell müssen wir uns als Gesellschaft mit Radikalisierungsphänomenen besser auseinander setzen. Die bisherigen Rezepte sind einfach unzureichend.

        • Erwin Gabriel 23. April 2021, 20:00

          @ Marc

          Es geht ja um den Gegensatz: Meinungsfreiheit vs. Sprachgewalt. Meinungsfreiheit lässt Sprachgewalt zu, respektvolle Sprache ist meinungsunterdrückend.

          Ich verstehe den Punkt, aber ich befürchte, dass Du die Rückkopplung übersiehst: Übertrieben respektvolle Sprache (von anderen aufgedrückte „Political Correctness“-Formulierungen) unterdrückt natürlich die Meinung. Aber es gibt einen Mittelweg zwischen „die Sau rauslassen“ und „die Sau einsperren“.

          Sich ein bisschen Zusammenreißen und hassfreie Sprache ermöglicht fast die gleichen Aussagen und Meinungen, nur zähmen die braveren Begrifflichkeiten auch das Denken in Richtung moderat.
          Dann wird aus „Aufhängen“ – „Eins auf die Fresse“ – „Einsperren“ mit etwas Glück irgendwann mal „abwählen“ – in denken UND reden.

          • Stefan Sasse 24. April 2021, 10:08

            Ich sehe was du meinst. Und ja, das schlägt gerade teilweise ins andere Extrem. Nur tut „deine Seite“ (wenn ich das so formulieren darf) sich echt keinen Gefallen, es als Höhepunkt der Meinungsfreiheit zu verteidigen, rassistisch sein zu dürfen. Gefühlt zerren sich beide da gerade ein bisschen auf den Abgrund zu.

            • Erwin Gabriel 26. April 2021, 02:14

              @ Stefan Sasse 24. April 2021, 10:08

              Nur tut „deine Seite“ (wenn ich das so formulieren darf) sich echt keinen Gefallen, es als Höhepunkt der Meinungsfreiheit zu verteidigen, rassistisch sein zu dürfen.

              Tue ich das? Wenn nicht, ist es dann „meine“ Seite?

              • Stefan Sasse 26. April 2021, 08:19

                Nein, tust du nicht. Ich beziehe mich auf mein Konzept ideologischer Nachbarschaft.

                • Erwin Gabriel 26. April 2021, 14:34

                  @ Stefan Sasse 26. April 2021, 08:19

                  Nein, tust du nicht. Ich beziehe mich auf mein Konzept ideologischer Nachbarschaft.

                  Ich dachte immer, dass Du da wohnst …
                  🙂

    • Detlef Schulze 23. April 2021, 13:40

      Ich möchte noch darauf hinweisen, dass man bei der Sprache unbedingt differenzieren muss, ob man in einem privateren oder öffentlichen Raum spricht.

      Das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein, der zu wenig Beachtung findet.
      Im privaten Kreis kann ich ganz anders sprechen, weil der Zuhörer mich kennt, ich ihn kenne und ich meine Worte so wählen kann, dass er sie genauso versteht, wie ich das meine. Wenn ich mich öffentlich äußere muss ich viel vorsichtiger sein, um nicht missverstanden zu werden. Ich denke, dass das den Menschen früher auch klar war und die denen das nicht klar war, die haben sich in der Regel nicht öffentlich äußern können. Heutzutage kann sich jeder öffentlich äußern, und die Grenzen verschwimmen. Manch einem ist das nicht klar, wenn er oder sie auf Twitter Stammtisch-Sprüche klopft. Am Stammtisch wären sie harmlos.

      Mein schwuler Kumpel mag kein Problem damit haben, wenn ich in seiner Gegenwart ein Witz über Schwule erzähle. Er kennt mich ja, und was er von mir hält hängt ja sicher nicht von einem einzelnen Witz ab. Wenn ich aber einer Minderheit angehöre, die bis vor kurzem verfolgt und diskriminiert wurde und zum Teil noch wird, interpretiere ich einen ähnlichen veröffentlichten Witz ganz anders. Ich weiss ja dann auch nicht, ob der Witz von jemanden kommt, der sich nur einfach nicht genug Gedanken gemacht hat, oder ob es Teil einer Kampagne gegen mein Minderheit ist.

      • Stefan Sasse 23. April 2021, 14:19

        Exakt!

        • CitizenK 23. April 2021, 15:45

          Allerdings muss heute jeder damit rechnen, dass das Private öffentich wird. Riexinger musste das auch erst lernen.

          • Stefan Sasse 23. April 2021, 18:46

            Auf was beziehst du dich?

            • CitizenK 23. April 2021, 19:55

              Auf die Parteiveranstaltung der Linkspartei, auf der jene Äußerungen fielen („Reiche erschießen“). Die waren gefühlt auch „unter sich“.

              Deshalb halte ich nichts von der Idee, am „Stammtisch“ anders zu reden. Wenn man noch Hacker, Handyfilmer und Nachrichtendienste hinzunimmt – durch das Netz ist fast nichts mehr sicher privat. Es war ein Google-Manager (Schmidt?), der das sinngemäß schon vor Jahren öffentlich gesagt hat.

              • Stefan Sasse 24. April 2021, 10:07

                Ja, korrekt. Ich sage ja auch seit Jahren, dass wir eine Art neuer Knigge brauchen, in der diese Realitäten abgebildet werden.

            • Erwin Gabriel 23. April 2021, 20:01

              @ Stefan Sasse 23. April 2021, 18:46

              Auf was beziehst du dich?

              Auf mein Zitat …

  • cimourdain 22. April 2021, 21:58

    Vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Damit ist bewiesen, dass der schnellste Weg, Aufmerksamkeit zu erhalten. ist, möglichst provokante Thesen aufzustellen 😛 .
    Deine Replik ist inhaltlich so stichhaltig, dass ich da gar nicht viel gegenhalten kann. Stattdessen vielleicht ein paar Punkte wie man zu einer Synthese kommen könnte -und damit die bittere hundertjährige Tradition, dass deutsche linke sich am liebsten gegenseitig angehen, zu durchbrechen.

    Der Punkt, dass die Basis (und auch die Bevölkerung) in vielen Punkten anders denkt als Parteiführungen – wahr. Deshalb halte ich eine stärkere basisdemokratische Kontrolle der Führung für vorteilhaft und ein positiv ‚linkes‘ Projekt.

    Das aus dem Zusammenhang gerissene Luxemburg-Zitat – der PUnkt geht voll an dich. Aber der Gegensatz zwischen Linken, die Bücher schreiben und Rechten, die Bücher verbieten (oder gar verbrennen) ist ein zu schönes Bild. Bewahren wir doch dieses Ideal.

    „Und der Kapitalismus liebt Gewinner und wird immer auf ihrer Seite sein.“ ist ein sehr wichtiger Satz. Deshalb misstraut der Unterstützung, die der digitale Kapitalismus euch im Kampf ‚gegen Rechts‘ zukommen lässt. Die gleichen und härtere Eindämmungsmethoden werden selbstverständlich gegen Linke eingesetzt werden, wenn es opportun ist.

    Dein Hinweis auf die Epoche ‚New Labor‘ ist sehr interessant. Ich hatte schlichtweg übersehen, dass viele Vertreter der traditionellen Linken seit Ende der 90er im Schmollwinkel der ‚reinen Lehre‘ sitzen und den angesammelten Frust über die damalige Zurücksetzung ihrer Vorstellungen an der übernächsten Generation auslassen.

    Was die Intersektionalität betrifft, so bleibe ich bei der einer Priorisierung materieller Bedürfnisse. Ich hangele mich da gedanklich an der Bedürfnispyramide entlang. Erst die existentiellen Bedürfnisse ( die sind eben hierzulande nicht zu 100% erfüllt, so gibt es ca. 350.000 Wohnungslose, davon über 40.000 obdachlos) , dann Sicherheitsbedürfnisse (Auch Absicherung im Alter gehört dazu!) , dann soziale Einbindung und Anerkennung und erst am Schluss das Bedürfnis nach Individualität. Kein Gegeneinander, aber zumindest eine gewisse Priorisierung.

    Aber ich halte den Begriff der Intersektionalität für so tragfähig, dass ich geneigt bin, ihn als charakterisierend zu betrachten. ‚Intersektionelle Linke‘ klingt als Begriff jedenfalls besser als ’neue‘, ‚identitäspolitische‘, ‚woke‘ Linke oder was für Hilfsbegriffe sonst im Umlauf sind.

    Und daraus könnte der Gegenentwurf stammen – eine Gesellschaft, der klar ist, dass jede/r einzelne in einigen Punkten zu einer Minderheit gehört, die Hilfe und Unterstützung – Solidarität von außen braucht. Sehr pastoral und wenig politisch, aber ein Ansatz.

    • Stefan Sasse 23. April 2021, 08:22

      Gerne, und danke für die netten Worte.

      Ich bin bekanntlich kein so großer Verfechter von Basisdemokratie, aber ich hab jetzt auch nicht essenziell was dagegen.

      Kapitalismus: Genau.

      Priorisierung: Ich halte das für genauso wichtig. Der Punkt ist eher der: Mit dem Kampf gegen Wohnungslosigkeit gewinn ich ja keine Wahlen, das interessiert praktisch niemand. Der Job der Linken wäre hier, sich geräuschlos drum zu kümmern, wenn sie an der Macht sind. Aber an die Macht kommen kann ich ja durchaus mit intersektionalen Ansätzen. Da findet in meinen Augen eine Verwechslung von politics und policy statt.

      Begriff: Da können wir uns gerne drauf einigen.

      Gegenentwurf: Ich finde, hier liegt das große und bisher unerschlossene Potenzial, weswegen ich ja hartnäckig die Grünen auch als liberale Partei einordne. Denn der ganze Intersektionalismus stellt ja vor allem Individualität in den Vordergrund und stellt sie gegen kollektive Identitäten – ein liberales Kernprojekt!

  • cimourdain 22. April 2021, 22:35

    Aus Gründen der Übersichtilichkeit meine Antwort auf bevanite, Ariane und Floor Acita hier ‚im Hauptthread‘.

    – Der starke Zuspruch, den Sahra Wagenknecht in der konservativen Presse (und in den Talkshows) geniesst, liegt in Ihrer Rolle als ‚Salonkommunistin. Sie hat diese Rolle in den 90ern bekommen durch ihre dreifache Sonderstellung (Frau, Ostdeutsche, dezidiert links – DAS waren damals die Minderheiten). Danch hatte sie alles richtig gemacht, um in dieser Rolle zu punkten: Nur mildeste Provokation durch das Auftreten (ein vager Rosa-Luxemburg-Look) , exakt die Sprache des (‚privilegiert-konsercativen‘) politischen Feuilletons, abgezirkelt bemessenes Maß an radikalen (und deshalb nicht ernstgenommenen) Forderungen.

    Floors Gegenbeispiele für die sehr diversen Hintergründe von US-Progressiven ist ein wirklich positives Beispiel und es bleibt zu hofen, dass das ein Teil eines Fortschrittschubes sein wird, wenn Joe Biden ( immerhin ein alter weisser Mann 😉 ) erfolgreich ist mit seiner Politik.

    Bevanite halt Occupy Wall Street erwähnt. Es ist eigentlich seltsam, wie schnell diese Bewegung sang- und klanglos verschwunden ist. Eigentlich sah es wirklich gut aus: Ein breites Bündnis von Gewerkschaftern über Globalisierungskritiker bis zu Netzaktivisten, ein sehr griffiger Slogan ‚We are the 99%‘ , aber auf einmal nichts mehr. Weiss hier jemand, ob sich das verlaufen hatte oder ob sie von außen auseinanderdividiert wurden ? (Ich erinnere mich vage an einige Querschüsse mit dem Thema Antisemitismus)

    Bevanites Stichwort ‚Intersektionalität‘ ist wie schon in meiner Anwort auf Stefan Sasse geschrieben habe, ganz wichtig – und ein wesentlicher Teil des Missverständnisses zur klassischen Linken: Richtig verstanden das Bewusstsein, dass jemand, der gleich mehrere ‚Rucksäcke an Problemen‘ mit sich herumschleppen muss, es besonders schwer hat ( die alleinerziehende im Niedriglohnsektor arbeitende Mutter ‚of Colour‘ ) – etwas was wohl jeder sofort unterschreiben würde; falsch verstanden eine ‚Opferkonkurrenz‘ zu dem Familienvater im gleichen Niedriglohnsektor (die Sorge kann man angesichts einer in solchen Fragen opportunistisch agierenden Bundesregierung, der ich ohne weiteres ein ‚Gesetzt zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen alleinerziehender Migrantinnen‘ zutraue verstehen.); bewusst falsch verstanden ein vergurktes Zitat von ‚immer skurriler werdenden Minderheiten.

    • Floor Acita 23. April 2021, 06:03

      Ich stimme im Grossen und Ganzen zu. Das Problem mit der ‚Priorisierung‘ ist aber, dass Probleme aus nicht betroffener Warte kleiner, eventuell aber auch gar nicht wahrgenommen / verdrängt werden. Existenziell vs ‚Entfaltung der Individualität‘ mag zunächst einleuchten (obwohl ich mir hier schon sicher bin, dass es je nach Erfahrung sehr unterschiedlich wahrgenommen wird), aber die Frage ‚was in welche Kategorie‘ und wann bleibt auf jeden Fall.
      Ein paar Beispiele:
      Wenn eine Frau Angst haben muss alleine nach Hause zu gehen etc ist ja die Person, also Existenz, bedroht. Wenn jemand Angst haben muss wegen seiner Hautfarbe zusammengeschlagen zu werden auch. Die Intersektionalität kommt dazu wenn bspw in den USA auch reiche Schwarze Angst haben müssen in Ihrer eigenen Einfahrt von der Polizei erschossen zu werden, und dennoch kennen sie viele der Schikanen nicht die sich schwarze Vertreter der Arbeiterklasse ausgesetzt sehen, denen weisse Arbeiter auch nicht begegnen müssen, mit denen teilt man aber wiederum die tägliche Sorge sich und seine Familie versorgen zu können und Zugang zu notwendigen Medikamenten zu haben. Zugang zu Medikamenten und Ärzten / Krankenhäusern kann wiederum einmal Problem der ‚Klasse‘ sein, oder aber speziell nur Frauen oder gar nur ’skurrile‘ trans Individuen etc. Das alles sind existenzielle Sorgen, Hürden das alltägliche Leben zu meistern.

      Schwieriger / komplizierter / komplexer wird es bei kulturellen Themen, aber zum einen können im Extremfall ‚fight-or-flight responses‘ ausgelöst werden, die Bezeichnung als N-Wort in einem Gebiet in dem Leute aufgrund der gleichen Hautfarbe gefoltert, ermordet, gelyncht wurden beispielsweise. Zum anderen kann die Erfahrung bestehen, dass gesellschaftliche Motive/Stereotypen (insbesondere nach ‚Auffrischung‘ durch neue Filme, TV-Serien, Bücher, Computerspiele) die Gefahr für das eigene Leben oder die Gesundheit verstärken. Problem sind nicht Spiele, Filme an sich oder auch einzelne Aussagen, sondern der Beitrag zum ‚under current‘ zu Strömungen in der Gesellschaft die -gewollt oder nicht- zu Problemen führen / diese verstärken. Die Klassenfrage kommt wieder zurück wenn einige die solche Probleme in der Öffentlichkeit addressieren besser situiert sind und daher zum einen nicht den Kern aus der Sicht der betroffenen, hier schwarzen und/oder weiblichen, Arbeiter treffen und zum anderen diejenigen Sorgen vielleicht sogar verniedlichen denen man selbst unabhängig Hautfarbe/Geschlecht man selbst nicht ausgesetzt ist, denen ‚Angehörige der Minderheiten‘ Arbeiter vielleicht in verstärktem Mass, deren weisse/männliche Kollegen aber prinzipiell genauso ausgesetzt sind…

      Es geht also nicht nur um mehrere Rucksäcke an sich, sondern auch darum welche Rucksäcke wann mit welchen interagieren. Nicht im Sinne der Konkurrenz, sondern als konkrete Lebens- / existenzielle/materielle Bedingung…

    • Stefan Sasse 23. April 2021, 08:24

      Was Occupy angeht: das war immer eine winzige Splitterbewegung. Da musste nichts von außen außeinanderdividiert werden, da braucht es keine Dolchstoßlegende. Es gab keine Organisation (linker Fetisch Basisdemokratie, mal wieder) und keinen Druck dahinter. Keine Stakeholder. Vergleich das mal mit der Tea Party. Die wurden mit Milliarden von sehr entschlossenen Milliardären (deren Existenz übrigens mit Demokratie unvereinbar ist) quasi aus dem Nichts geschaffen.

    • Floor Acita 2. Mai 2021, 19:11

      Ein sehr schönes Beispiel wie die beiden Themen Ökonomie und ‚Identität‘ miteinander verwoben sind:
      https://www.newsweek.com/ilhan-omar-fires-back-fox-guest-who-says-she-should-go-back-her-country-desperate-1588045
      Die Überschrift ist die eine Seite der Medaille … das die andere:
      „Maximo Alvarez […] claimed […] that President Joe Biden and progressive Democrats are bringing „communism“ to the country by their efforts to provide Americans with free preschool and community college, free school meals, paid family leave, and higher taxes on the rich and corporations. […] Alvarez suggested that Omar and other progressives are working to ruin the country“

  • Lemmy Caution 22. April 2021, 23:15

    Es gibt ja nicht die „klassische“ Linke.
    Die Luxemburg/Bernstein Linke unterschied sich von Marx & Engels. Und später dann die Friedensbewegung der 50er, die 68er/die akademischen SPD Neumitglieder der Zeit, die Antiimps & Autonomen/K-Gruppen/Anti-Nato-Doppelbeschluß-Linke, die post-89 Linke waren alle unterschiedlich. Nun halt auch die woken.
    Ich halte das auch für ziemlich natürlich, da sich eine fundamentale Opposition immer neue Wege suchen muss, da sich alte „Wahrheiten“ angesichts der Zeitläufe halt einfach als Lügen entpuppen. Das gilt aber für alle Welterklärsysteme, wie z.B. auch den Neoliberalismus.
    Neat, simple and plain wrong.
    Nicaragua war unter den explizit „konsequent“ Linken meiner Jugend ein großes Ding. Es endete als wohl werkgetreueste realgeschichtliche Umsetzung von Orwells „Farm der Tiere“. Die venezolanische Hoffnung entpuppte sich als der reine Horror.
    Ich finde vieles übel an der Linken und ein paar Sachen gut. Das Suchen nach neuen Ansatzpunkten in jeder Generation gehört dabei eindeutig in die positive Kategorie.

    • Stefan Sasse 23. April 2021, 08:25

      Absolut richtig! Mir graut vor mir selbst wenn ich an meine positiven Anwandlungen zu Venezuela seinerzeit denke…ich glaube, den Fehler macht echt jede Generation bei den Linken.

      • Erwin Gabriel 26. April 2021, 02:21

        @ Stefan Sasse 23. April 2021, 08:25

        ich glaube, den Fehler macht echt jede Generation bei den Linken.

        Den machen alle in ihrer Jugend, nicht nur Linke.

        • Stefan Sasse 26. April 2021, 08:19

          Gut möglich, aber die sind besonders gut darin 😀

          • Erwin Gabriel 26. April 2021, 14:35

            Ih war in jungen Jahren selbst das, was ich heute „links“ nennen würde, also kein Widerspruch von meiner Seite 🙂

            • Stefan Sasse 26. April 2021, 17:49

              Ich bin kein Fan der These, dass junge Leute links seien und dann konservativ werden. Das konnte bisher empirisch nicht belegt werden, während das Gegenteil (also dass die Leute ihre Überzeugungen aus der Jugend weitgehend behalten) auf eine reichhaltige Empirie zurückgreifen kann.

  • Lemmy Caution 23. April 2021, 18:21

    Ich hab ja seit 2009 lautstark gewußt, dass das zusammenbricht.
    Hab ich die dunkle Seiten der Linken kennengerlernt.
    Ich so: argumentiere, belege…
    Linker so: Du bist also dagegen, dass das Einkommen gerechter verteilt wird.
    Ich so: Natürlich nicht, aber argumentiere, belege, verweise auf Artikel, Bücher, die ich las.
    Linker so: Ich kann nicht verstehen, warum Du dagegen bist, dass Einkommen gerechter verteilt werden.

    Es geht immer weiter mit dem Niedergang. Die haben jetzt noch 28% des BIP von 2014. Mit 5% stetigem Wirtschaftswachstum benötigt es wieder 26 (!!!) Jahre, um da wieder auf den Stand von 2014. Es gibt in der Geschichte nichts vergleichbares.
    Bachelet hat letztens im Gespräch mit Maduro über einen Witz von dem gelacht. Das war für meine Freunde der Antiimperialistischen Soli-Bewegung viele Meldungen wert. Dass der abschliessende Bericht feststellte, dass sich an der katastrophalen Menschenrechtslage nach dem letzten wirklich klaren Bericht praktisch nichts geändert hat, hingegen nichts. Für solche Leute entwickelt man irgendwann einen sehr speziellen Humor.

    Im Januar 2009 begann sich gleichzeitig auch mein schon damals nicht wirklich blauäugiges, aber schon recht rosarotes Bild des chilean way aufzulösen.

    • Erwin Gabriel 26. April 2021, 02:23

      @ Lemmy Caution 23. April 2021, 18:21

      Ich so: argumentiere, belege…
      Linker so: Du bist also dagegen, dass das Einkommen gerechter verteilt wird.
      Ich so: Natürlich nicht, aber argumentiere, belege, verweise auf Artikel, Bücher, die ich las.
      Linker so: Ich kann nicht verstehen, warum Du dagegen bist, dass Einkommen gerechter verteilt werden.

      Immer wieder „Autsch“.
      Meinungs-Monopoly: Gehe zurück auf los …

  • CitizenK 24. April 2021, 07:50

    „Oder es fällt Manna vom Himmel.“

    Oder wir haben einen Ertrag aus der kreditfinanzierten Investition – beim Haus in Form von wegfallenden Mietzahlungen.

    Bemerkenswert die (vom bekennenden Wirtschaftsliberalen) eingeführten Randbedingungen: Hausverkauf und Zwangsversteigerungen. Nach meiner Lebenserfahrung ist das nicht der Normalfall. Fazit: Wenn die Analogie (Haus-Volkswirtschaft) trägt, dann hat sich Stefan Pietsch damit selbst widerlegt.

    • Stefan Pietsch 24. April 2021, 08:43

      Es ist immer ein Problem, wenn nicht abstrahiert werden kann. Ich hätte, zugegeben, auch das griechische (oder Aufbau Ost) Beispiel nehmen können. Wenn das Darlehen dafür verwendet wird, dass der Staat seinen Beamten eine Gehaltserhöhung spendiert, ist es weitgehend verpulvert. Die griechischen Staatsdiener konnten gar nicht so viel Ouzo trinken, wie sie von ihrem Dienstherrn beschenkt bekamen.

      Sie merken aus Ihren eigenen provokanten Formulierungen nicht heraus, was die zwingende Bedingung von Kreditaufnahmen sind: sie müssen Erträge generieren. Das tun Transferzahlungen wie Sozialhilfe, Renten und BAföG aber nur selten. Das ist ja auch nicht ihr Sinn und Zweck. Ihr Sinn ist, dem Empfänger ein Auskommen und Teilhabe zu sichern, nicht das Wirtschaftswachstum anzuregen. Lassen wir an dieser Stelle weg, das Linke in den letzten Jahrzehnten versucht haben, genau daraus den gegenteiligen Honig zu ziehen. Eine Transfergesellschaft wird nicht reich.

      Das Problem ist offensichtlich: der Staat investiert Kredite nur teilweise oder gar nicht in Maßnahmen, die zukünftige Einnahmen generieren. Der Aufbau Ost kostete über 1 Billion Euro, wovon die Hälfte in Transfers floss. Die Leute gaben es erwartungsgemäß aus und es war weg. Das sind Strohfeuer, die kurzfristig die Konjunktur erhitzen.

      Die zwei Jahrzehnte zwischen 1970 und 1990 haben das exemplarisch gezeigt. Man nahm im Übermaß Kredite auf, das BIP schnellte nach oben, nur irgendwie hatte man auf dem Beipackzettel nicht auf die Nebenwirkungen geschaut. Die neoliberalen und konservativen Regierungen brachten die Dinge dann ein Stück in Ordnung.

      Sie wollen darüber diskutieren, dass Kreditaufnahmen doch sinnvoll sein könnten? Machen Sie das mit sich aus, darum ging es hier nicht. Ich bin nicht dafür da Ihre kognitiven Dissonanzen zu beheben.

      • CitizenK 24. April 2021, 16:02

        In der gegenwärtigen Situation (Negativzinsen für Staatsanleihen) und dem Zustand der Infrastruktur in diesem unserem Lande habe ich keine kognitiven Dissonanzen bezüglich der Aufnahme von Krediten (für Liberale: SCHULDEN) durch den Staat.
        https://www.welt.de/wirtschaft/article199092957/Minuszinsen-So-viel-verdient-der-Bund-mit-der-Aufnahme-neuer-Schulden.html

        Im Übrigen rate ich zur Vorsicht bei Schlussfolgerungen aus Excel-Tabellen bezüglich dem Zusammenhang zwischen staatlicher Kreditaufnahme und Wachstum.

        • Stefan Pietsch 24. April 2021, 17:54

          Sie sind halt staatsgläubig. Sie sind in Ihrem Leben als Wähler oft belogen worden, glauben aber jede Aussage. Helmut Kohl versprach, dass die zusätzlichen Schulden nur zur Finanzierung der Investitionskosten Deutsche Einheit verwendet würden. Tatsächlich wanderte etwas mehr als die Hälfte in Sozialtransfers, Arbeitslosengelder, Subventionen, die man bei aller Liebe nicht als Investition bezeichnen kann. Vor einigen Monaten versprach die amtierende Bundeskanzlerin, einen kurzen Lockdown zu machen, um ein schönes Weihnachtsfest zu ermöglichen. Bald steht der Sommerurlaub vor der Tür und die Lockdownregeln werden massiv verschärft.

          Aber klar: das Geld aus Anleihen wird nur für Investitionen mit ordentlichem Ertrag verwandt.

          Italien sagt auch, die Zinsen sind ja niedrig (unter anderem wegen der katastrophalen Lage auf dem Stiefel) und gleichzeitig suchen Politik und Notenbanken nach Wegen aus den extrem hohen Staatsschulden. Passt für Sie zusammen? Und natürlich wissen Sie, dass 10-jährige Anleihen mit Zinsen von -0,4% im Jahr 2031 ordentlich zurückgezahlt werden können und nicht durch neue Kredite ersetzt werden müssen. Herzlichen Glückwunsch für diesen Blick in die Zukunft.

          Ich habe einen Vorschlag gemacht, unter welchen Bedingungen die hohe Bonität Deutschlands genutzt werden könnte. Es verwundert mich, dass Linke wie Sie sich nicht einmal auf Bedingungen einlassen mögen, die doch ihren postulierten politischen Positionen entsprechen.

          Zwei Anmerkungen noch: Im Englischen sprechen wir von Liabilities, was schon mit „Schulden“ oder „Verpflichtungen“ übersetzt wurde, als der Begriff Schulden von Linken noch nicht politisch negativ beleumundet wurde.

          Die Excel-Tabelle wurde von mir selbst erstellt und die Phasen selbst abgeleitet. Da ich mich als Profi in dem Bereich verstehe, nehme ich Ihren Einwand an dieser Stelle als persönliche Beleidigung.

          • CitizenK 24. April 2021, 19:34

            War gewiss nicht meine Absicht. Wie leicht man sich in Excel-Tabellen vertun kann – darauf haben Sie hier im Blog seinerzeit (Rogoff) selbst hingewiesen. Auch Profis sind nicht unfehlbar. Und statistische Relationen sind ein erster Hinweis, ein Anfangs“verdacht“, noch kein Beweis.

            Selbst die Erhöhung von Beamtengehältern kann im Einzelfall (unmotiviert weil unterbezahlt/unqualifiziert) produktiv sein, wenn dadurch die Verwaltung effektiver wird.

            • Stefan Pietsch 24. April 2021, 22:56

              Ein Professor für Economy ist kein Profi im Umgang mit Excel. Es ist nicht sein täglich Brot. Doch praktisch jeder Finanzer arbeitet permanent damit. Pivot, S-Verweise, Sortierungen, bedingte Formatierungen sind Handwerk.

              Die von mir erstellte Excel ist einfach. Was eine der wichtigsten Regeln im Umgang mit Excel ist: Keep it simple! Sie können die Zahlen ja gerne nachrechnen, Copy, Paste und dann über den Menüpunkt „Daten“ die Funktion „Text in Spalten“. Wie gesagt, dass ist alles nicht schwer und ich habe lediglich zwei Quellen benutzt.

              Laut den Regeln zur Berechnung des BIP gilt jede Gehaltserhöhung und jedeBeschäftigung eines (zusätzlichen) Beamten als Steigerung des Volkseinkommens. Selbst, wenn er den ganzen Tag schläft. Damit ein Beamter im ökonomischen und nicht nur statistischen Sinne einen Mehrwert über die Kreditaufnahme generiert, müsste seine Einstellung nicht das Steueraufkommen (das wäre eine reine Umverteilung von Sektor Haushalte zum Sektor Staat), sondern die wirtschaftliche Produktion anregen. Das ist sehr, sehr schwer vorstellbar und damit eher ein Sonderfall.

              Ich komme zurück auf meine zigmal gestellte Frage (warum ist das bei Ihnen so häufig nötig?): Warum tun Sie sich schwer mit dem Vorschlag, die Verwaltung der neu aufgenommenen Kredite (wegen günstigem Zins und so) einem unabhängigen Fonds zu übertragen, der von Managern geleitet wird und das Kapital investiv, aber gewinnbringend anlegt? Damit ist Ihren (angeblichen) Anforderungen genüge getan, dass das aus Anleihen gewonnene Kapital nur für Investitionen verwandt werden darf. Und meinen auch, dass die Rückführung der Darlehen gemäß Zweckbestimmung erfolgen kann.

              Sie scheinen der Bremser zu sein.

              • CitizenK 25. April 2021, 07:53

                So weit waren wir noch nicht. Es ging grundsätzlich um die Erhöhung der staatlichen Kreditaufnahme.
                Wenn ein solcher Fonds der Weg ist, eine sinnvolle Verwendung der Mittel zu vermeiden und Fehleinsatz/Verschwenung zu vermeiden – einverstanden. Ich sehe nur noch nicht, wie man den Erfolg (Gewinn) messen will. Nehmen wir einige Punkte.

                Breitbandausbau: Lahmes Internet im ländlichen Raum, speziell für Unternehmen. Höhere Preise? Sind jetzt schon hoch. Von Freunden weiß ich, dass das Internet direkt hinter der tschechischen Grenze flächendeckend besser wird. In Dänemark schon sehr lange. Auch ohne Fonds.
                Gesundheitswesen/Pflege: Wie bringt der Fonds mehr qualifizierte Pfleger oder Hebammen ins System? Eine bessere Bezahlung und ein anderer Personalschlüssel – woher kommt dann der Gewinn?
                Bildung: Die Bezahlung ist nicht das Problem (außer bei den Grundschul-Rektoren). Mehr Privatschulen? Dazu braucht’s keinen Fonds, nur eine Gesetzesänderung (die ich nicht will, aber das ist eine andere Frage).
                Technische Ausstattung der Schulen – wie berechnet man den return on investiment?
                Verwaltung: Wie kriegt man mehr qualifizierte Ingenieure/Informatiker in die Aufsichtsorgane/Behörden? Wie misst man hier den Erfolg?
                Verkehr: Noch mehr (private?) Autobahnen – oder Güter auf die Schiene? Die Schweiz macht es vor – auch ohne Fonds. In Deutschland immer noch blockiert durch Ideologie und Lobbyismus. (Btw: Ihr Kanzler-Favorit ist der Chef jener Partei, die Scheuer ins Amt gebracht hat und dort hält).

                Möglicherweise wäre so ein Fonds in einzelnen Bereichen der bessere Weg. Ihn ins Werk zu setzen, würde aber dauern. Mir sind keinerlei Vorarbeiten dafür bekannt. Oder hat die FDP einen Plan in der Schublade?

                • CitizenK 25. April 2021, 08:39

                  Noch zu den Excel-Tabellen: Ich bewundere Ihre Fähigkeiten dazu durchaus. Aber, mit Verlaub: Auch wenn alles richtig gerechnet und verknüpft ist, als Beleg zur Verurteilung staatlicher Kreditaufnahme reicht mir das nicht aus. Sie nehmen (wie Rogoff) das BIP als Indikator für volkswirtschaftlichen Erfolg bzw. Wohlfahrtsgewinn. Zu der inzwischen weithin bekannten Kritik daran liefern Sie oben selbst einen Beleg:
                  „Laut den Regeln zur Berechnung des BIP gilt jede Gehaltserhöhung und jede Beschäftigung eines (zusätzlichen) Beamten als Steigerung des Volkseinkommens“.

                  Hören wir deshalb auf, uns gegenseitig Staats- oder Marktgläubigkeit an den Kopf zu werfen. Suchen wir besser nach Möglichkeiten, wie Staat und Markt optimal zusammenwirken. Ob Sie es glauben oder nicht, ich habe gewisse Erwartungen an Brinkhaus.

                  • Stefan Pietsch 25. April 2021, 11:04

                    Den Fehler, den viele mit Excel machen, ist, dass sie das Tabellenkalkulationsprogramm („Rechnen“) als Datenbank („Verwaltung & Analyse von Daten“) verwenden. Excel ist da für Ungeübte wesentlich leichter in der Handhabung, worauf Microsoft schon sehr lange reagiert hat und das Tabellenkalkulationsprogramm mit zahlreichen Datenbankfunkionen ausstattete.

                    Ich weiß, hört sich kompliziert an. Nehmen wir an, Sie sind Freiluftfanatiker und würden am liebsten Cabriolet fahren, kommen aber mit der Mechanik nicht zurecht (Jahr 1970). Doch für die tägliche Fahrt zur Arbeit ist das nichts. Also nehmen Sie ein Auto mit Schiebedach oder Glasdach. Erfüllt die Funktionen eines Cabriolets nur bedingt, aber was will man machen?

                    In meinen Verantwortungsbereichen habe ich Excel ein ganzes Stück verbannt, denn die Mitarbeiter legen da nur Zahlenfriedhöfe an.

                    Dies muss man aber wissen, um den Sachverhalt mit Rogoff einordnen zu können. Er hat ein einer Tabelle, die eigentlich eine Datenbank wiederspiegelt, über die Spalten die Summenformeln gezogen und dann Divisionen und Multiplikationen vorgenommen. Dabei hat er, da die Länder in einer Ordnung waren (alphabethisch oder nach Größe) die Summe falsch gezogen. Möglicherweise hat er zwischendrin die Sortierung geändert, so dass die Summenformel falsch gegriffen hat.

                    Solche Fehler passieren. Menschen, die nicht dauernd mit Excel umgehen, fällt das nicht auf. Womit wir bei den Datenbankprogrammen sind. Dort hätte der Fehler erst gar nicht passieren können, denn „Abfragen“ ist es egal, wo ein bestimmter Datensatz steht. Die Abfrage schaut nur, welche Datensätze ein angegebenes Kriterium erfüllen.

                    Ich habe nur eine Entwicklung aufgezeigt. Die stand gegen die Eingangsthese von Stefan. Das ist alles. Das ist kein Verdammen von Staatsschulden.

                    Aber, und da antworte ich Ihnen auf den anderen Kommentar, die Geschichte hat gezeigt, wie Politik und Gesellschaft mit den Möglichkeiten der Kreditaufnahme umgehen. Daraus gilt es zu lernen und nicht immer wieder voll Vertrauen meinen, die Politiker werden schon verantwortungsvoll mit den Möglichkeiten umgehen. Tun sie nicht, wenn nicht rechtliche Bremsen eingezogen sind. Das hat die SPD Mitte der Nullerjahre erkannt. Heute hat sie es leider schon wieder vergessen.

                • Stefan Sasse 25. April 2021, 10:29

                  10% aller Schüler*innen in BaWü gehen auf eine Privatschule, Tendenz steigend. Wie viel mehr sollte es werden?

                  • CitizenK 25. April 2021, 12:33

                    Der Anteil ist für mich nicht ausschlaggebend, sondern der Zugang für Kinder aus nicht so betuchten Familien. Das verschärft die Ungerechtigkeit im Bildungswesen – nicht akzeptabel. Mindestens müsste der Staat einen relevanten Teil des Schulgelds ersetzen: Weil es nicht gelingt, die öffentlichen Schulen so gut zu machen, dass die Privaten nur noch für Nischen gebraucht würden.

                    • Stefan Sasse 25. April 2021, 13:40

                      In BaWü dürfen die Privaten, wenn sie Subventionen wollen (und das wollen fast alle) maximal 170 Euro im Monat Schulgeld nehmen. Das ist von der Steuer absetzbar. Läuft darauf raus, dass das eine Mittelschichtenveranstaltung ist, wie so oft.

                • Stefan Pietsch 25. April 2021, 11:39

                  Ihre Forderung ist, die Chancen der Kreditaufnahme sollen nur für Investitionen in den Kapitalstock (ökonomisch gesprochen) verwendet werden.

                  Wenn wir uns über diesen Punkt nicht einig sind, haben wir eine andere Debatte.

                  Es kann also nicht zuviel verlangt sein, wenn dies strengstens kontrolliert wird. So wie in Unternehmen schließlich auch. Oder bei Kapitalzuschüssen durch Eigentümer oder den Staat. Das Kapital aus den begangenen Anleihen wird ausschließlich für die Beschaffung und Erweiterung von Anlagen, Technologien und Know-how verwendet. Aus den Erträgen werden eventuell anfallende Zinsen und sowie die vereinbarte Tilgung geleistet.

                  Aus dem Aufbau der öffentlichen Haushalte und der Buchführung des Staates ist die Kontrolle nicht zu leisten. Zudem obläge es der Politik zu entscheiden, was als „Investition“ anzusehen ist. Die Erfahrung lehrt auch hier: Politiker sind da sehr erfinderisch. Zuletzt definierte Hannelore Kraft die laufenden Ausgaben für Lehrer und Erzieher sowie den Betrieb von Universitäten zu „Investitionen“ um. Auf die Erträge wartet das Land NRW bis heute, die Schulden allerdings sind geblieben.

                  Haben wir hier Konsens?

                  Fonds sind dafür geschaffen, Unternehmen in den gewünschten Bereichen zu finanzieren und zu unterstützen. Diese Aufgabe können Behörden und Staatsdiener nicht leisten, schließlich bekommt unser Staat es nciht einmal hin, Unterstützungszahlungen an Unternehmen in einer existenzgefährdenden Pandemie zeitgerecht auszuzahlen. Der Staat ist einfach zu unflexibel, um die notwendige Geschwindigkeit bei Investitionen auf die Straße zu bringen. Ein Grund, warum wir auch beim BER so eine Blamage erlebten. Die Manager der operativen GmbH mussten sich jeden Monat über Tage bei den Abgeordneten rechtfertigen.

                  Die Ziele werden durch den Gesellschaftervertrag des Fonds festgelegt, ebenso die Investitionsbereiche. Sie loben den norwegischen Erfolg dieses Modells, zögern aber in Bezug auf Deutschland. Das verstehe ich nicht.

                  Ein Fonds lässt sich binnen Wochen aus dem Boden stampfen. Organisatorisch ist das kein Hexenwerk, wenn erfahrene Manager beauftragt werden. Die Größe ist dabei kein Kriterium. Dazu im Vergleich der Europäische Wiederaufbaufonds der EU, der allein zur Konstituierung Jahre benötigt.

                  Ja, die FDP hat da etwas:
                  Zukunftsfonds zur Startup-Finanzierung ausbauen
                  Wir Freie Demokraten wollen den Zukunftsfonds (Dachfonds) zur Startup-Finanzierung deutlich ausbauen. Anstatt nur mehr staatliche Mittel bereitzustellen, wollen wir für privates Kapital die Investition in Wagniskapital attraktiver gestalten. Der Dachfonds baut eine Brücke, um die derzeitigen Hindernisse, wie zu hohe Eigenkapitalanforderungen oder zu kleine Investitionssummen, zu überwinden. Der Dachfonds steht institutionellen Investoren, Family Offices und erfahrenen Privatanlegern offen. Er sammelt Geld ein und investiert es hauptsächlich in deutsche Venture-Capital-Fonds. Zugleich profitieren die Bürgerinnen und Bürger über ihre Altersvorsorge an den Gründungserfolgen hierzulande.

                  http://www.deliberationdaily.de/2021/04/quo-vadis-linke/#comment-215236

                  • Stefan Pietsch 25. April 2021, 11:40
                  • CitizenK 25. April 2021, 12:21

                    Die Startup-Finanzierung ist auch ein wichtiger Punkt. Aktuell geht es aber um die Modernisierung der Infrastruktur. Einige Aspekte habe ich angesprochen. Leider von Ihnen dazu keine Antwort.

                    „ausschließlich für die Beschaffung und Erweiterung von Anlagen, Technologien und Know-how “

                    Welche sind das in den von mir genannten Problemfeldern? Worin bestehen dort die Erträge?

                    Richtig eingesetzte Mittel für Bildung, Ausbildung und Fortbildung SIND eine Investition. Der Erfolg lässt sich nicht eindeutig messen – allenfalls nach einigen Jahren durch PISA. Sehr ungenau, dieses Messinstrument. Was könnte ein Fonds da besser?

                    Zu „Staatsschulden“ allgemein: Diese sind ein Vorgriff auf künftige Einnahmen, ja. Vor allem Steuern, man könnte sich aber auch andere Quellen vorstellen, wie z. B. den N-Staatsfonds (den ich übrigens seinerzeit positiver kommentiert habe als Sie – Ausgang offen).
                    Die Politik tut sich mit der Rückführung schwer, richtig. „Eher legt mein Hund einen Wurstvorrat an….“ (Schumpeter?). Aber die Probleme sind nun mal da und werden durch Liegenlassen nicht kleiner.

                  • Stefan Pietsch 25. April 2021, 13:32

                    Digitalisierung und Klimawandel können nur mit neuen Unternehmen und neuen Ideen angegangen werden. Der kritische Punkt von jungen Unternehmen ist – zumindest in der Allgemeinheit – nicht der Mangel an Ideen, sondern der Zugang zu ausreichendem Risikokapital und die fehlende Risikobereitschaft junger Menschen.

                    Anlagen, Technologien und Know-how werden in Unternehmen entwickelt und zur Marktreife gebracht. Nicht an Universitäten und nicht in Behörden. Auch Fonds-Manager können das nicht. Sie können aber Marktchancen einschätzen und junge Unternehmen in Management und Organisation professionell begleiten. Das ist oft nötig, denn ein junger Idealist mit fantastischen Ideen ist noch lange kein guter Organisator.

                    Richtig eingesetzte Mittel für Bildung, Ausbildung und Fortbildung SIND eine Investition.

                    Ich weiß, dass Linke das immer gerne so sehen und interpretieren. Und dann nicht danach handeln. Genau diese „Investitionen“ sollen kostenlos für jene sein, die den Hauptanteil der Erträge einstreichen. Das macht ökonomisch keinen Sinn. Bei Investitionen ist das Teuere der Anlauf. Dieser wird nur unternommen, wenn eine realistische Perspektive auf einen guten ROI (Return on Investment) besteht.

                    Beides ist Linken in ihrer Betrachtung völlig egal. Wenn viele studieren, ohne später höhere Einkommen zu generieren? Egal. Wenn viele die Investition abbrechen? Egal. So handelt kein verantwortungsbewusster Investor.

                    Tatsächlich gehört Bildung zu den Kernaufgaben des Staates. Die Ausgaben für Kernaufgaben des Staates sind aus laufenden Einnahmen zu bestreiten, dafür sind diese da.

                    Genauso verhält es sich mit der Reparatur von Straßen, Brücken und dem wesentlichen Teil des Schienennetzes. Nur Erweiterungsinvestitionen sind „echte“ Investitionen“ alle anderen Ausgaben sind durch die Steuereinnahmen zu decken. Ansonsten, das sagt ja schon die Logik, kommt man in eine Schuldenspirale. Das ist, als würde ein nicht auf Rosen gebetteter Haushalt einen Teil seiner Lebensmittel durch den Konsumentenkredit decken wollen. Harakiri.

                    Breitbandausbau: die meisten Länder, z.B. auch in Südamerika, haben mehr Mobilfunk-Anbieter als wir in Deutschland. Anscheinend regulieren wir den Markt falsch. Dazu haben wir ein ehemaliges staatliches Unternehmen, wo der Staat immer noch drin hängt, dass unter den momentanen Bedingungen allein in der Lage wäre, die Investitionskosten stemmen zu können. Warum die Telekom dies nicht tut, hat mit unserer Unfähigkeit zu tun, die Eigentumsverhältnisse klar zu regeln. Die Telekom will im Gegenzug über Jahre ein alleiniges Nutzungsrecht bzw. die Nutzungsentgelte unabhängig von der Regulierungsbehörde festlegen dürfen. Das wiederum wiederspricht dem Wettbewerbsrecht. Stark regulierter Marktzugang, hohe Zutrittsbarrieren in Form von Investitionskosten und das Verlangen nach Schnelligkeit beißen sich. Wir müssen nicht zuerst über die Bereitstellung von Kapital entscheiden, sondern den Interessenkonflikt lösen.

                    Gesundheit / Pflege. Derzeit ist der Bereich enorm personalintensiv. Auf der gleichen Schiene könnten wir Verbesserungen nur durch mehr Personal erreichen. Wo wollen Sie die hernehmen? Bei anderen stehlen? Reißen Sie da nicht woanders Lücken? Die Fragen beantworten Sie nicht.

                    Deutschland hat eine sehr lange Verweildauer der Patienten in Krankenhäusern. Ein Schlüssel kann also sein, durch Anreize, die andernorts (Schweden) üblich sind, die Verweildauer drastisch zu verkürzen, was das Personal massiv entlastet und die Kosten senkt. Gefällt Ihnen nicht, ich weiß. Höherer Kapitaleinsatz ist eine weitere Möglichkeit, die Produktivität zu erhöhen. Konzentration und Spezialisierung. Deutschland hat sehr viele Krankenhäuser, die ja alle kosten, egal ob Sie das über „Preise“ oder Gebühren oder Steuern finanzieren. Sie sehen schon, Verbesserungen, wo man nicht einfach „mehr Steuern“ oder „Schulden“ in die Debatte werfen kann, werden des öfteren unangenehm für die eigene Sichtweise.

                    Verwaltung: Wenn der Staat nicht seine Bezahlungsform überdenkt, wird es nicht möglich sein, Topkräfte zu gewinnen. In der derzeitigen Form ist es nicht möglich, einem IT-Experten 12.000 Euro im Monat zu zahlen, während jemand auf dem Bauhof marktgerecht nur 1.200 Euro bekäme. Heute bekommt der Arbeiter 2.200 Euro und der ITler 4.500 Euro. Allein die Gewerkschaften, Personalräte und Behördenleiter werden solch drastischen Lohnspreizungen nicht zulassen. Also bleibt nur die Möglichkeit, solche Leistungen von Dritten zuzukaufen.

                    Verkehr: meines Wissens nach hat die Schweiz eine sehr niedrige Verschuldung. Sie haben auch viel niedrigere Sozialausgaben. Sie verwenden einen wesentlich höheren Anteil der Steuern für Investitionen und trotzdem sind die Steuern niedrig. Sie erheben aber eine Nutzungsgebühr für ihre Infrastruktur. Ich habe das Gefühl, dass Sie kein großer Freund des Schweizer Weges sind. Diskutieren wir ernsthaft, wo Sie auch bereit sind zu sagen, ja würde ich machen und mich aus meiner Komfortzone bewegen.

                    • CitizenK 25. April 2021, 17:27

                      Digitalisierung: Zur Lösung elementarer Probleme braucht man keine Startups mehr. Der Markt ist falsch reguliert, da stimme ich zu. Die mangelhafte Versorgung auf dem Land ist gerade eine Folge Ihres Ansatzes: Es lohnt sich nicht für gewinnorientierte Unternehmen, Glasfaserleitung zu legen. Und wegen der Gewinnaussichten streitet man um die Sendemasten.

                      Bildungsinvestitionen: Sie haben einen BWL-Tunnelblick auf das Thema. Wie Sie den ROI berechnen wollen, war ja meine Frage. Bildungsmängel zeigen sich langfristig, u. a. in sinkender „Wettbewerbsfähigkeit“. Aber sind nicht nur auf verwertbare Inhalte beschränkt. Auch eine beschädigte politische Kultur senkt die Lebensqualität. (Disclaimer: Nicht alle Mängel sind mit Geld zu beheben.) Aber ohne zusätzliches Geld halt auch nicht.

                      Brücken-Reparaturen: Tausende von Brücken müssen repariert werden, sonst drohen auch betriebswirtschaftliche Schäden. Leverkusen ist selbst hier im Süden inzwischen ein Begriff. Aus den laufenden Einnahmen ist das nicht zu stemmen.

                      Gesundheit/Pflege: Wird immer personalinentiv sein – oder unmenschlich werden. Roboter wie in Japan? Die Verweildauer ist auch hier drastisch gesunken. Die noch kürzere in Skandinavien ist human möglich, weil es dort ein Netz von Betreuung nach der Klinik-Entlassung gibt – hier Fehlanzeige.

                      Verwaltung: Zustimmung. Hier ist in der Tat mehr Flexibilität notwendig, das starre Gehaltsgefüge nicht mehr zeitgemäß.

                      Verkehr: Das Staatsversagen besteht hier darin, den Privatisierungsversprechen gefolgt zu sein. Unter Mehdorn wurde die Bahn kaputtgespart – Börsengang. Internationale Verpflichtungen gegenüber der Schweiz und Österreich einfach ignoriert. Die SBB ist ein staatliches Unternehmen. Der Gotthard-Basistunnel wurde aus Steuern (!) und einer Schwerverkehrs-Abgabe finanziert. Analog beim Brenner-Basistunnel. Auch hier fehlen die Zuleitungsstrecken. Das Bundesverkehrsministerium ist schon lange nicht mehr in der Hand von „Linken“. Denen ist diese Betrachtung nicht „völlig egal“.

                    • Stefan Pietsch 25. April 2021, 19:30

                      Digitalisierung: Sie verstehen vorsichtig ausgedrückt nicht besonders viel von Digitalisierung und Markt. Wie kommen Sie darauf, es bräuchte keiner neuen Unternehmen? So langsam wird mir klar, dass nicht nur die Funktionäre der SPD vor allem in bestehenden Strukturen und (Groß-) Unternehmen denken…

                      Sie könnten z.B. einen Fonds beauftragen, kreditfinanziert ein Glasfasernetz für das gesamte Bundesgebiet hochzuziehen. Die Finanzierung erfolgt durch die Nutzungsentgelte. Das Problem, dass bevölkerungsarme Gegenden nicht berücksichtigt werden, existiert dabei nicht. Die Nutzungsentgelte decken schließlich die Gesamtkosten ab.

                      Ich verrate Ihnen ein Geheimnis: Selbst in dünn besiedelten Ländern wie Chile machen die Internetkosten weniger als die Hälfte als in Deutschland aus bei einem vielfachen des hiesigen Volumens. Die Begründung, es lohne sich für Unternehmen nicht, ist bei der Betrachtung der internationalen Verhältnisse Bullshit. Das ist die Geschichte der marktfeindlichen Parteien in Deutschland.

                      Bildungsinvestitionen: Ich habe kein Problem damit, die Kosten der Bildung aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten. Aber nicht durch Schulden. Ende der Diskussion. Es gibt weder eine Möglichkeit, den Ertrag zu berechnen, noch den Willen, das sich Studenten ökonomisch verhalten und versuchen, die Kosten ihres Studiums durch gefragte Studiengänge und Verhaltensweisen (Ehrgeiz) einzuspielen noch den Willen, direkt angeknüpft an den Bildungsertrag Abgaben zu erheben. Damit fehlt jedes Kriterium, Bildungsausgaben als Investition zu behandeln.

                      Verkehrsinfrastruktur: Das Steueraufkommen ist in den vergangenen 10 Jahren um 54% gestiegen. Im gleichen Zeitraum nahmen die Ausgaben in die Verkehrsinfrastruktur von 20 Milliarden Euro auf 23 Milliarden Euro um 15% zu. Die Sozialausgaben stiegen übrigens mitten im schönsten Boom um 38% oder 50 Milliarden Euro. Finden Sie den Fehler.

                      Wenn die Brücken partout nicht mit Steuereinnahmen gedeckt werden sollen, dann müssen wir zur Finanzierung Mautgebühren erheben. Von der Reparatur profitieren nur die heutigen Bürger und Steuerzahler, nicht jene in 20, 30 Jahren. Denn bis dahin sind die Brücken wieder marode und müssen erneut repariert werden. Wussten Sie, dass eine Straße spätestens alle 7 Jahre neu belegt werden muss? Das sind nicht einmal zwei Legislaturperioden. Bei Brücken dürfte es sich kaum anders verhalten. Reparaturen sind Verschleiß und müssen direkt getragen und nicht auf Rechnung vorgetragen werden. Wie auch immer.

                      Gesundheit / Pflege: Sie haben die Frage nicht beantwortet, die elementar ist. Wenn Sie Verbesserungen durch mehr Personal erzielen wollen, müssen Sie sagen, wo Sie das Personal herbekommen und wie Sie die Kosten decken. Das sind keine Investitionen, sondern dauernde Kosten. Daher können eventuelle Kreditkosten auch nicht durch irgendwelche zusätzlichen Erträge abgetragen werden.

                      Bahn: Wer ist Mehdorn? Die Bahn erhält einen dreistelligen Milliardenbetrag für Investitionen. Das wird allgemein als ausreichend erachtet. Die Probleme der DB sind ganz anders gelagert. Mismangement, geringe Anforderungen des Eigentümers, fehlender Wettbewerbsdruck. Die SBB hat ähnliche Umsätze pro Fahrgast, wird auch schlechter als die DB bezuschusst, erzielt aber weit bessere Leistungen. Der Unterschied lässt sich nur durch Missmanagement erklären. Und so ist es auch laut Verkehrsexperten. Der Bund hat keine Strategie für sein Unternehmen. Dennoch wurde der Vertrag des Vorstandsvorsitzenden verlängert und noch mit einer deutlichen Gehaltserhöhung versüßt. Der Staat liebt Versager.

              • Stefan Sasse 25. April 2021, 10:27

                Wenn der Professor für Economy auf dieser Exceltabelle eine riesige Theorie gründet, mit der er dann außerordentlich großen Einfluss auf die Wirtschaftspolitik aller industrialisierten Staaten zu nehmen versucht, dann ist schon ein bisschen schief zu sagen, das sei nicht sein täglich Brot.

                • Stefan Pietsch 25. April 2021, 11:19

                  Was unter gegangen ist: In der Tendenz hatte Rogoff absolut Recht. Nur wurde die Erkenntnis von politisch interessierte Seite mit Hilfe des Fehlers desavouiert. Und es entspricht auch der Inaugenscheinnahme. Nenn‘ Doch mal, sagen wir fünf Länder in den letzten 50 Jahren, die mit weit überdurchschnittlichen Staatsschulden durchschnittliches oder überdurchschnittliches Wachstum (ich weiß, sehr anspruchsvoll) hinbekommen haben. Spar‘ Dir die Arbeit, das gibt es nicht.

                  Das US-Wachstum pro Kopf lag in der Präsidentschaft Bill Clintons von 1993 – 2000 bei 4,6% im Jahr. In den Bush-Jahren von 2001 – 2008, immerhin ein prosperierende Periode, aber deutlich höheren Staatsschulden, waren es 3,6%. Unter Obama, Weltwirtschaft brummte, waren es bei weiter gestiegenen Staatsschulden nur noch 2,3%. Selbst wenn wir bei Obama das sehr schlechte Jahr 2009 herausnehmen, kommt er lediglich auf 3,0%.

                  Wie Du’s auch rechnest, mit steigenden Staatsschulden nimmt dauerhaft das Wirtschaftswacshtum ab, zumindest, wenn irgendwann 80 – 90 Prozent des BIPs als Verschuldungsquote erreicht sind. Alles natürlich nur Zufall, gerechnet auf knapp 20 Jahre. Is‘ klar.

                  Anmerkung: Trump erreichte mit dem Steuer-Push 4,0%.
                  https://data.oecd.org/gdp/gross-domestic-product-gdp.htm

        • Stefan Sasse 24. April 2021, 18:00

          Sehe ich genauso.

        • Erwin Gabriel 26. April 2021, 02:29

          @ CitizenK 24. April 2021, 16:02

          Was geschieht mit Geld, dass in Transferleitungen geht? Es wird verkonsumiert. Wohin geht das Geld, dass man verkonsumiert? Es fließt zu den Reichen.

          Deren steigender Reichtum und die damit weiter auseinander klaffende Schere wird als Argument herangezogen, die Transfers weiter zu erhöhen.

          Toller Kreislauf.

          • Floor Acita 26. April 2021, 08:10

            Wäre das nicht tatsächlich OK?

            Die Transferleistung schiebt Geld in eine, der Konsum in die andere Richtung – toller Kreislauf … finde ich, ja!

            Geld liegt nicht herum, sondern erlaubt Teilnahme, zirkuliert im Markt, erlaubt Konkurrenz?!

            Wenn die Reichen reicher werden kann das Equilibrium ja noch nicht erreicht sein, dann wäre es tatsächlich folgerichtig den Transfer noch weiter zu erhöhen, will man nicht den Konsum begrenzen (den Rückfluss nach oben stoppen). Sollten die Reichen durch den Transfer ärmer werden, netto verlieren, könnte man ihn wieder begrenzen bzw den Konsum der dann offensichtlich nicht mehr Armen (die plötzlich Rücklagen anlegen können) antreiben um den Fluss von unten nach oben wieder zu erhöhen?

            Sie selbst schreiben die Reichen werden durch den Konsum der Transferleistungesempfänger reicher, dann legen diese (auch im Gegensatz zu den Reichen) offensichtlich ja keine Rücklagen an während die Reichen offensichtlich noch nicht stark genug belastet werden, gut! Wie gesagt, das Geld bleibt flüssig / in Zirkulation…

            • Stefan Pietsch 26. April 2021, 09:23

              Was wollen Sie erreichen? Das ist die entscheidende Frage. Wollen Sie eine Gesellschaft selbstbestimmten Bürger, die ihren Lebensunterhalt selbst verdienen und auch das, was sie sich leisten und erhalten? Oder wollen Sie eine Robin-Hood- und Almosengesellschaft? Früher wollten Linke das Erste, heute das Letztere. Nur zufällig taumeln sie so der politischen Bedeutungslosigkeit entgegen.

              • Floor Acita 26. April 2021, 11:51

                „Oder wollen Sie eine Robin-Hood- und Almosengesellschaft?“

                Ich weiss nicht, was das sein soll, ich will gebundene assets dem Markt zuführen.

                • Stefan Pietsch 26. April 2021, 11:58

                  Sie plädieren für eine Umverteilungsgesellschaft als Form der Bekämpfung von Vermögensungleichheit. So zumindest habe ich Ihren Kommentar gelesen. Welche „gebundenen Assets“ wollen Sie dem Markt zuführen?

                  • Floor Acita 26. April 2021, 12:23

                    Offensichtlich, und so habe ich Hr. Gabriel verstanden, geben Transferleistungsempfänger ihr Geld direkt wieder aus. Reiche haben, gerade in Deutschland, dagegen sehr vielGeld auf Sparbüchern liegen, davon rede ich…

                    • Stefan Pietsch 26. April 2021, 12:51

                      Sie meinen, eine reine Konsumgesellschaft werde wohlhabend? Das ist gegen jede Erfahrung und jede volkswirtschaftliche Theorie. Wohlstand entsteht durch Kapitalakkumulation, nicht durch Akkumulation von Konsum.

                      Die Leute legen das Geld aufs Sparbuch? Echt, das ist Ihre Vorstellung? Wer reich ist, ob in den USA oder in Westeuropa, hat den wesentlichen Teil seines Vermögens in Unternehmen, die von ihm gegründet wurden.

                      Rein technisch sagen Sie, es ist doch besser, Herr Montblanc entnimmt 1 Milliarde Euro von 10 Milliarden Euro aus seinem Unternehmen, damit ein Hartz-IV-Empfänger – nein, nicht einen Montblanc-Füller – einen Samsung-Fernseher kaufen kann.

                      Verstehen Sie wirklich nicht, warum eine Robin-Hood-Gesellschaft nicht zu Reichtum führt?

                    • Erwin Gabriel 26. April 2021, 14:57

                      @ Floor Acita 26. April 2021, 12:23

                      Offensichtlich, und so habe ich Hr. Gabriel verstanden, geben Transferleistungsempfänger ihr Geld direkt wieder aus.

                      Es sollte nachvollziehbar sein: Je geringer das Einkommen, um so größer der Anteil, der davon zum (Über)Leben aufgebracht werden muss.

                      „Reiche“ haben keine Sparbücher, sondern Immobilien, Firmenbeteiligungen, Anteile an Fonds etc.

                    • Floor Acita 26. April 2021, 15:08

                      „Wer reich ist, ob in den USA oder in Westeuropa, hat den wesentlichen Teil seines Vermögens in Unternehmen, die von ihm gegründet wurden.“

                      Und genau diese Unternehmen brauchen den Konsum ihrer Waren oder Dienstleistungen um Umsatz und letztendlich Gewinn zu produzieren oder nicht? Wären sie nicht profitabel, machten sie auch keinen Unterschied zu Sparbüchern?

                    • Floor Acita 26. April 2021, 15:09

                      „Je geringer das Einkommen, um so größer der Anteil, der davon zum (Über)Leben aufgebracht werden muss.“

                      Eben!

                    • Stefan Pietsch 26. April 2021, 15:27

                      Und genau diese Unternehmen brauchen den Konsum ihrer Waren oder Dienstleistungen um Umsatz und letztendlich Gewinn zu produzieren oder nicht?

                      Nein, so läuft das in der Globalisierung nicht. BMW könnte seine Löhne nicht zahlen, wenn sie nicht den Großteil ihrer Fahrzeuge exportieren würden. Nicht in die EU, sondern nach Asien, wo die Autos nicht so toll sind. Dänemark könnte seinen umfangreichen Sozialstaat nicht finanzieren, würden sie nicht vor allem für andere Länder fertigen. Deutschland exportiert Waren in Höhe von 42% des BIP. Umgekehrt importieren wir 34%. Die Differenz ist Einkommenszuwachs.

                      Wenn die BMW-Erben 10 Milliarden Euro an die 20% Einkommensschwächsten zahlen würden via steuerliche Umverteilung, würden dennoch nicht mehr BMWs in Deutschland verkauft. Aber die Eigenkapitalbasis des Unternehmens wäre geschwächt. Was meinen Sie, aus was die Verluste in Zeiten wie diesen ausgeglichen werden? Aus den Rücklagen der Eigentümer. Aus dem Eigenkapital.

                      Und bitte, was hat Herr Zalando davon, wenn sein Unternehmen heute mit 0,5 Milliarden Euro und in zwei Jahren mit 1,2 Millarden Euro bewertet wird? Rechnerisch ist er damit sehr reich geworden, aber auf seinem Bankkonto hat sich nichts getan.

                      Hat der Hartz-IV-Empfänger etwas davon, wenn Frau Klatten Anteile von BMW verkauft? Er kauft ohnehin keine Aktien, wie Sie ja gerade selbst festgestellt haben. Das Kapital der Gesellschaft wird nach Ihrer Methode einfach verfrühstückt. Wenn’s gegessen ist, ist es nicht mehr da. Aber der Arme ist auch morgen wieder hungrig.

                    • Stefan Pietsch 26. April 2021, 15:31

                      Ach, noch etwas: Unternehmen in Deutschland fertigen, damit in anderen Ländern produziert werden kann. Maschinenbau, z.B. Deutschland ist stark bei Infrastrukturprojekten in Schwellenländern und der Dritten Welt. Um dort Ingenieursdienstleistungen anbieten zu können, braucht es einen ordentlichen Kapitalstock. Das läuft nämlich nicht so wie beim Eisverkauf. Projekte werden oft über Jahre vorfinanziert. Der Wert der Projekte und der Projektfortschritt geht in den Wert des Unternehmens ein. Damit ist aber kein Cash auf der Bank. Das ist einfach eine Bewertungssache.

            • Erwin Gabriel 26. April 2021, 14:44

              @ Floor Acita 26. April 2021, 08:10

              Wäre das nicht tatsächlich OK?

              Theorie und Praxis:

              Wo landet das Geld? Bei den wirklich Reichen, also bei den Albrecht-Familien, bei Pierch/Porsche, Klatten, und Co.

              Wo holt man es ab, um es umzuverteilen? Nicht dort, sondern … ?

              Bei den Erwin Gabriels, Citizen Ks, Floor Acitas, Stefan Pietschs und Stefan Sasses dieser Welt.

              Deswegen werden die wahren Reichen reicher, während die aus linker Sicht gefühlten Reichen Mitte nicht so recht aus dem Quark kommt und die da unten ums Überleben kämpfen.

              • Floor Acita 26. April 2021, 15:05

                „Wo holt man es ab, um es umzuverteilen? Nicht dort, sondern … ?

                Bei den Erwin Gabriels, Citizen Ks, Floor Acitas, Stefan Pietschs und Stefan Sasses dieser Welt.

                Deswegen werden die wahren Reichen reicher, während die aus linker Sicht gefühlten Reichen Mitte“

                Das ist nicht meine Forderung und zumindest die Linken die ich kenne sehen das auch nicht so, man sollte das Geld selbstverständlich bei der grössten Nutzniesser-Gruppe abholen.

                • Erwin Gabriel 27. April 2021, 00:23

                  @ Floor Acita

                  Das ist nicht meine Forderung und zumindest die Linken die ich kenne sehen das auch nicht so, man sollte das Geld selbstverständlich bei der grössten Nutzniesser-Gruppe abholen.

                  Das ist hier schon so oft anders diskutiert worden …

                  Ich kenne nur solche Linke, deren Vorstellung von „reich“ bei etwa dem Doppelten ihres Einkommens ansetzt.

                  • Stefan Sasse 27. April 2021, 09:02

                    Meine Vorstellung von „reich“ setzt deutlich höher an, falls dich das beruhigt.

                    • CitizenK 27. April 2021, 09:43

                      Meine auch. Schon zwei weniger.

    • Stefan Sasse 24. April 2021, 10:18

      Ja, da galoppieren ihm ein wenig die Metaphern weg.

  • CitizenK 25. April 2021, 20:47

    …“es bräuchte keiner neuen Unternehmen?“
    Hab ich nicht gesagt. Es ging allein um den flächendeckenden Breitbandausbau. Meine Infos stammen nicht von Parteien, sondern von Unternehmen und Gemeinden (die teilweise in Eigenregie Glasfaser verlegen).

    „Es gibt weder eine Möglichkeit, den Ertrag zu berechnen…“
    Sag ich doch.

    „Mautgebühren“
    Nichts dagegen. Wenn’s mehr bringt als die Verwaltung kostet.

    „Verbesserungen durch mehr Personal …“
    Finanzielle Anreize würden manche/n Ausgestiegene/n zurückholen bzw. aktuell davon abhalten, aufzugeben. Die Kosten werden zu höheren KV-Beiträgen führen. Wir werden mehr für Gesundheit aufwenden müssen und dann halt weniger für Handys, Autos und Reisen.

    „Mismanagement“ bei der Bahn – d’accord. Trotz Führung „nach unternehmerischen Grundsätzen“. SBB zeigt: am Staat liegt es nicht.

    • Stefan Pietsch 25. April 2021, 21:27

      Wir haben genügend Bauunternehmen. Aber das ist das Einfachste. Digitalisierung bedeutet schneller, stetiger Wandel. die Anpassungsfähigkeit bestehender Unternehmen kann damit selten mithalten.

      Im Gesundheitswesen haben wir ja nicht nur den Kostentreiber Personal, mit dem Sie weiterhin großzügig umgehen wollen. Deutschland erreicht mit 4,3 Ärzten auf 1000 Einwohner einen Spitzenwert in der OECD. Das ist das gleiche Level wie die Schweiz. Beim Pflegepersonal sind wir mit einem Faktor von 13,2 noch besser ausgestattet, vor uns nur noch Irland, die Schweiz und Norwegen. Die Iren haben dafür weniger Ärzte. Wo sehen Sie also das Problem? Das ist von den Vergleichswerten nicht erkennbar. Was Sie formulieren, ist ein absolutes Luxusproblem.
      https://data.oecd.org/healthres/nurses.htm#indicator-chart

      Dann haben wir noch die Alterung der Gesellschaft, die nicht nur Personal, sondern vor allem Medikamente und Operationen kosten wird. Es wird als höchst problematisch, wenn Sie schon viel Geld in die bessere Entlohnung des Personals pulvern wollen. Und vergessen Sie nicht: Deutschland liegt ohnehin schon bei den Ausgaben für Gesundheit, Pflege und Rente allesamt an der Spitze der Industrieländer. Das Gleiche gilt für die Lohnnebenkosten. An der Schraube können Sie nicht beliebig drehen ohne Arbeitslosigkeit zu produzieren.

      Es ist aber nicht verständlich, warum die Deutschen so einen hohen Anteil ihrer sozialen Aufwendungen vom Staat tragen lassen. Wenn Sie sagen, dann sollten sie weniger für Handys und Autos ausgeben – warum überlassen Sie das nicht den Menschen? Einerseits beklagen Sie, dass so viel vererbt wird. Andererseits tun sie alles, hohe Erbschaften erst zu ermöglichen. Das ist widersprüchlich.

      Die Bahn wird nach unternehmerischen Grundsätzen geführt? Ist mir da etwas entgangen?

      Trotz des konzillianten Tones vermisse ich bei Ihnen jede Kompromissbereitschaft. Ich verstehe das Bedürfnis vor allem links denkender Menschen wie Ihnen, die Leistungsfähigkeit des Staates durch öffentliche Investitionen zu steigern, die zur Schonung der Bürger wie des Sozialbudgets durch Kreditaufnahme (teil-) finanziert werden soll – allen schlechten Erfahrungen zum Trotz. Ich biete dazu Möglichkeiten an, wie Ihrem Verlangen und meinen Bedenken gleichermaßen Rechnung getragen werden kann. Ich zeige mich kompromissbereit, was den Umfang öffentlicher Investitionen anbelangt, die ja im Grunde auch privat erledigt werden könnten.

      Kurz: ich komme Ihnen sehr weit entgegen. Sie sehen das nicht als Gelegenheit, sich ebenfalls flexibel zu zeigen, sondern scheinen der Überzeugung, wenn ein Erzliberaler wie ich schon so entgegenkommend ist und Bereitschaft zur Ausweitung der Verschuldung erkennen lässt, dann brauchen Sie dem ja nur noch ein paar sinnvolle Argumente zu liefern um ein sozialdemokratisches (ich will nicht sagen sozialistisches) Programm in Reinkultur durchzubekommen. Anscheinend meinen Sie, aus einem waschechten Wirtschaftsliberalen wir mir einen Linken machen zu können.

      Ich finde das nicht fair. Sie zeigen das, was weswegen ich so distanziert zum linken Lager bin: Die erkennbare Unfähigkeit, sich in das Denken des politisch anders Orientierten hineinzuversetzen, Bedenken ernst zu nehmen und die Besscheidenheit, die eigenen Positionen aus Respekt vor der Vielfältigkeit der Ansichten nicht eins zu eins umsetzen zu wollen.

      • CitizenK 26. April 2021, 10:39

        „aus einem waschechten Wirtschaftsliberalen wir mir einen Linken machen zu können.“

        Ehrlich gesagt: Verstehe ich nicht. Wie ist das gemeint? Wir halten unterschiedliche Politiken für richtig. Jeder versucht, seine Position zu begründen. Beispiel Pflege: Sie argumentieren mit Zahlen, ich mit eigenen Erfahrungen (von einem Vorzeige-Krankenhaus). Was bedeutet da „entgegenkommen“?

        Wenn damit gemeint ist: Argumente des anderen anerkennen, dann bin ich Ihnen weit mehr „entgegengekommen“ als umgekehrt. Sozialismus in Reinkultur? Ich? *Kopfschüttel*

        • Stefan Pietsch 26. April 2021, 11:32

          Ihre Position (stellvertretend für „die Linken“) ist, Kreditaufnahme ist grundsätzlich ein Mittel der Staatsfinanzierung. Daraus dürfen nicht nur Investitionen im engeren Sinne (Erweiterungen & Innovationen) bezahlt werden, sondern auch Investitionen im weiteren Sinne (Ersatz, Löhne & Gehälter, Instandhaltungsaufwendungen). Was Sie also vertreten, ist der maximal mögliche Begriff von Investitionen und das noch kreditfinanziert. Diese Position vertreten Sie beharrlich. Wo ist also da das „Entgegenkommen“?

          Ich vertrete grundsätzlich die Ansicht, dass aus empirischen Gründen Staatsfinanzierung über Kredite nicht erlaubt sein sollte, von Ausnahmen wie einer tiefen Wirtschaftskrise abgesehen. Investitionen können auch aus dem laufenden Haushalt bestritten werden, notfalls über alternative Finanzinstrumente wie Gebühren und Beiträge.

          So, nun verstehe ich ja die Einwände und das Verlangen, nach Speed durch Verschuldung. Ich habe mal Finanzwissenschaften bei Professor Zimmermann, seinerzeit im wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministers, studiert. Ich kenne also die Argumente. Wir können uns die ein, zweimal um die Ohren hauen, dann wird es aber irgendwann langweilig.

          Ich bin interessiert, wie weit mein Gegenüber gehen würde, um zu Lösungen zu kommen, die beiden Interessen Rechnung trägt. Dazu habe ich einen Weg entworfen. Nun könnten Sie aufzeigen, inwieweit dies gangbar ist. Und vor allem könnten Sie zeigen, dass Sie meine Einwände ernst nehmen und bereit sind, diese in Ihren Überlegungen zu berücksichtigen.

          Stattdessen hauen Sie auf die immer gleiche Stelle in der Hoffnung, dass sie dann doch irgendwann nachgibt.

          Zu dem Beispiel Pflege: Eine intelligente Argumentation setzt daran an, die eigenen Erfahrungen mit den objektiven Fakten in Einklang zu bringen. Nur dann ist es bereichernd.

          Haben Sie überhaupt verstanden, was meine (stellvertretend für die Mehrheit der Deutschen) Einwände gegen Staatsverschuldung sind?

          • Stefan Pietsch 26. April 2021, 11:35

            P.S.: Ich warte immer noch auf die Antwort, wo das Mehr an Personal für die Pflege herkommen soll. Und vielleicht, ob Sie im Gegenzug – sozusagen als Einsparmöglichkeit – bereit sind auf moderne Medikamente und Behandlungsmethoden zu verzichten.

            • CitizenK 26. April 2021, 12:21

              Habe ich: Den Beruf attraktiver machen. Ihm Wertschätzung geben.
              Nein, das akzeptiere ich nicht. Gesundheit ist ein zu hohes Gut, um ein notwendiges Mittel gegen anderes aufzurechnen. Das werden Sie merken, wenn Sie mal betroffen sein sollten.

              • Stefan Pietsch 26. April 2021, 12:45

                Ja, dann arbeiten halt ein paar mehr Erzieher statt mit Kindern mit Alten. Win-Win? Eher nicht, oder?

                Pflegeberufe haben keine Wertschätzung? Echt, ist das das Problem? Ich glaube, Pfleger sind gesellschaftlich respektierter als Manager. Trotzdem werden immer noch Menschen Manager.

                Rente ist ein auch hohes Gut. Der Herstellung verkehrssichererer Mobilität ist ein hohes Gut. Reisen zu können ist ein hohes Gut. Wir können noch ein paar Stunden so weitermachen.

                Das wichtigere Gut als gute Pflege ist, Pflege zu vermeiden. Das fängt mit der Lebensführung an. Pfleger müssen Körper von 60 – 100 kg Gewicht mehrmals am Tag wuchten. Ihre Lösung: mehr Pfleger. Ist das vernünftig oder nicht eher technische Unterstützung? Ach so, wir machen natürlich alles.

                Vielleicht ist hier der Hinweis angebracht: keine Gesellschaft hat unendliche Ressourcen an Menschen wie Kapital. Irgendwann sind die Möglichkeiten erschöpft. Zu diskutieren, als gäbe es unendliche Möglichkeiten, als könne man geeignetes Personal für einen Beruf einfach dadurch rekrutieren, dass man ein paar Euros und ein paar Werbeclips drauflegt, ist nicht seriös. Und dann noch ein paar Milliarden für alles Mögliche.

                Dass wir uns auf gar keinen Fall falsch verstehen: Als Strafmaßnahme wegen Fahrens ohne Führerschein musste ich 17jährig einige Stunden in einem Altenheim arbeiten. Auch wenn das mehr als 35 Jahre her ist, weiß ich sehr wohl, wie hart diese Arbeit ist – nicht nur körperlich. Ständig mit dem Tod konfrontiert zu sein, nimmt Menschen mit.

                • Stefan Sasse 26. April 2021, 12:50

                  Pflegeberufe haben keine Wertschätzung? Echt, ist das das Problem? Ich glaube, Pfleger sind gesellschaftlich respektierter als Manager. Trotzdem werden immer noch Menschen Manager.
                  Belieben zu scherzen.

          • CitizenK 26. April 2021, 12:17

            Ich denke schon, und habe dies zum Ausdruck gebracht durch
            a) das Schumpeter-Bonmot
            b) das Anerkenntnis, dass Kreditaufnahmen des Staates ein Vorgriff auf künftige Einnahmen darstellen.

            Damit grenze ich mich klar ab von der „linken“ Position (die auch hier im Blog schon vertreten wurde), dass Staatsschulden überhaupt gar kein Problem seien und auch dauerhaft bestehen bleiben können. Daraus folgt: Auch Erhaltungs-Investitionen müssen irgendwann aus Einnahmen bezahlt werden.

            • Stefan Pietsch 26. April 2021, 12:33

              Wo tragen Sie dem zentralen Argument Rechnung, dass Anleihen zu einem wesentlichen Teil nicht den beabsichtigten Zwecken zugeführt werden? Die Geschichte zeigt, dass solche Zweckentfremdungen die Regel und nicht die Ausnahmen sind. Wir reden nicht über Theorie. Nehmen Sie die Sorge.

              Was ist, wenn die Einnahmen nicht kommen? In NRW hat das Modell Kraft schließlich auch nicht funktioniert.

              Und: Schulden wurden fast nie de facto zurückgezahlt, sondern durch neue Anleihen abgelöst, die keinen anderen Zweck haben als die bisherigen Darlehen fortzuschreiben. Schulden wurden von Ausnahmen abgesehen, meist dadurch reduziert, dass sie durch Schuldenschnitte (Staatsbankrotte) und Inflation entwertet wurden.

              Wie tragen Sie dem Rechnung, dass diesmal die Dinge wirklich anders werden?

              Erhaltungsinvestitionen, deswegen lehnen Ökonomen auch bei Unternehmen die Kreditfinanzierung ab, werden nicht durch zusätzliche Einnahmen bezahlt. Das ist ja der Widerspruch. Eine Autobahn, die durch Mauteinnahmen finanziert wird, muss auch regelmäßig repariert werden, ohne dass deswegen die Gebühren angehoben werden können. Anderes Beispiel: Auch Linke wissen, dass das so ist. Wohnungsmieten dürfen expressis verbis nicht mit der Begründung angehoben werden, dass Reparaturen notwendig sind.

              • CitizenK 26. April 2021, 13:02

                Beispiel „Wohnungsmieten“: Erhaltungsinvestitionen dürfen nicht auf umgelegt werden.

                „dass diesmal die Dinge wirklich anders werden?“

                Gegenfrage: Wie sollten die Cornona-Hilfen und -kosten anders finanziert werden? Das Lastenausgleichs-Modell ist ja zu sozialistisch.

                „keine Gesellschaft hat unendliche Ressourcen“
                Stimmt. Deshalb muss man sich entscheiden (was Sie sonst hier immer fordern). In diesem Fall: Gesundheit oder Nice-to-have things.

                „Erfahrungen mit den objektiven Fakten in Einklang zu bringen“.
                Ich argumentiere also aus Ihrer Sicht unintelligent, weil ich Erfahrungen als Faktum ansehe? Sind OECD-Vergleichszahlen höherwertige Fakten? Sagt Ihnen der Name Schmalenbach noch etwas? Der hat diesbezüglich vor „Schlendrianvergleich“ gewarnt.

                • Stefan Pietsch 26. April 2021, 13:17

                  Corona-Hilfen, eigentlich ein gutes Beispiel, wie das mit der Kreditaufnahme so läuft. Der Bundesfinanzminister hat sich nun für die Haushaltsjahre 2020 und 2021 großzügige Mittel genehmigen lassen. Die für 2020 sind immer noch nicht in höherer zweistelliger Milliardenhöhe abgerufen, doch die Anleihen sind ausgegeben. Der Finanzminister reserviert sich hier im Vorgriff Haushaltsmittel, um sie dann möglicherweise / wahrscheinlicherweise für andere Zwecke einzusetzen. Des weiteren halten Ökonomen die Maßnahmen für weit überdimensioniert. Zu Deutsch: Verschwendung.

                  Beides tritt ein, wenn man bei der Verschuldung nicht auf der Bremse steht. Und beides lässt sich auch jetzt schon beim EU-Hilfspaket beobachten. Also, die Einwände sind sehr wohl begründet, wie sorgen wir nachhaltig und konsequent dafür, dass zum einen Kredite nicht für anderes als neue Investitionen verwandt werden? Und wie vermeiden wir Verschwendung, dass also Investitionen auch so ertragreich sind, dass sie Tilgung und Zins finanzieren können?

                  Da kommt absolut nichts bei Ihnen. Wieso sollte ich mich dann auf weitere Diskussionen einlassen, wie sinnvoll doch schuldenfinanzierte Investitionen wären? Geben Sie mir Argumente!

                  Ich kann als Unternehmen feststellen, dass enorm viel Kundenanfragen einlaufen. Folglich läuft das Geschäft aus meiner Wahrnehmung. Mein Buchhalter schaut auf die Umsätze und sagt: wir sind in einer kritischen Lage.

                  Wie kriege ich beides zusammen? Ist es intelligent, den Buchhalter plattzumachen, das Kundeninteresse sei ja hoch, irgendwann wird daraus schon Umsatz? Ist das intelligent?

                  P.S.: Ich hatte ein Lehrbuch von Schmalenbach, Einführung in die Betriebswirtschaftslehre.

                  • CitizenK 26. April 2021, 16:50

                    „möglicherweise / wahrscheinlicherweise für andere Zwecke einzusetzen“

                    Tatsächlich kann ich nicht garantieren, dass das nicht geschieht. Ist auch n’bisschen viel verlangt. Das ist Sache des Bundestags/der Opposition, der Öffentlichkeit, des Rechnungshofes.

                    Was kommt denn von Ihnen, bitte sehr? Was bedeutet „Bremse“ konkret? Corona-Hilfen einstellen, weil evtl…. s. oben.

                    Eher ein Argument wären die massiven Betrügereien. Die mit ein Grund sind für das bürokratische Verfahren und die verspätete Auszahlung (Grundfehler: nicht die Finanzämter, vergossene Milch). Was würden Sie sagen, wenn man Steuergelder verschwendet, weil man es Betrügern zu leicht macht?

                    • Stefan Pietsch 26. April 2021, 19:12

                      Wieso nicht? Jede Bank steigt Ihnen aufs Dach und verweigert zukünftige Kredite, wenn Sie nicht gemäß Vertrag und Zweck handeln. Es ist kein buchhalterisches Problem, Verlauf von Darlehen zu dokumentieren, macht jedes Unternehmen. Die Anteilseigner und Kunden von BlackRock, Verwalter von 6 Billionen Dollar Anlagekapital, würden sich bedanken, wenn das Management mit der Begründung käme, man könne nicht garantieren, dass die Einlagen wie vertraglich vereinbart verwendet würden. Herr CitizenK, die Zweckentfremdung von Kapital ist in diesen Bereichen eine schwere Straftat!

                      Der Punkt ist: Politik und die Liebhaber der These wollen nicht. Genau das ist mein Punkt. Wenn Sie Staatsverschuldung zu bestimmten Zwecken wollen (derzeit steht ein de facto-Verbot im Grundgesetz), dann müssen Sie gewährleisten, dass der Einsatz der Mittel so erfolgt wie es vereinbart ist. Und nicht anders. Ansonsten haben wir keinen Deal.

                      Ein Fonds-Modell kann das gewährleisten. Gesellschaft und Politik definieren die Investitionsbereiche, das ist ihre Entscheidung. Die Mittel sind ihnen aber entzogen. Wenn Sie es ehrlich meinen, kann das kein Problem sein. Sie wollen ja nur für Investitionen das Geld und Sie wollen es ordentlich tilgen.

                      Immer, wenn der Staat mit großen Zuschüssen und Transfers hantiert, kommt es zu Betrug. Das ist bei Subventionen nicht anders als bei Sozialleistungen, Renten, Gesundheitsleistungen. Das weiß man.

                      Jemand, der demnächst Bundeskanzler werden will, weiß das offensichtlich nicht. Mich irritiert auch hier wieder, dass sie Wortwahl und Begründung von Politikern eins zu eins und ungefiltert übernehmen.

                      Olaf Scholz behauptet, es wäre zu großen Betrügereien gekommen. Wie viele Strafverfahren sind inzwischen eingeleitet? Wissen Sie nicht? Aber Sie wissen, dass es zu massiven Betrügereien gekommen ist. Weil Herr Scholz das behauptet. Das ist übrigens der mit der Ruhe beim G20-Gipfel und den 1 Millionen Impfdosen am Tag, worum er sich persönlich gekümmert habe. Richtig?

                      Die Politik hat Ende Oktober 2020 versprochen, „unbürokratisch“ und „schnell“ zu zahlen. Wie viele Betrugsversuche gab es, wie ist die Quote? Seit wann hat der Staat eigentlich den Ehrgeiz im Vorhinein jeden Betrug zu unterbinden? Jedes Unternehmen hat eine Steuernummer und eine Umsatzsteuer-ID. Letztere wurde 2010 europaweit eingeführt, um Umsatzsteuerbetrug zu verhindern. Jeder Unternehmer ist seither verpflichtet, die Umsatzsteuer-ID seines Geschäftspartners zu prüfen. Hinter den Nummern stehen Meldeadressen und eine Steuergeschichte, auf die das Bundesfinanzministerium zurückgreifen kann. Betrug kann also auch im Nachgang aufgeklärt, Straftäter zur Rechenschaft gezogen und das Geld zurückgeholt werden. Das ist alles keine Rechtfertigung für die Verzögerung bei Millionen Unternehmern. Und warum muss der Zweitantrag vom Dezember genauso geprüft werden wie der Erstantrag vom November?

                      Nein, das ist Unfähigkeit oder Unwillen. Oder einfach beides unter dem Oberlabel „Bürokrat“.

                      Nein, Sie sind eindeutig der, der Straftaten wie bei „Minority Reports“ im voraus verhindern will. Mir reicht die spätere Aufklärung. Wenn die übliche Sorgfalt angewendet wird, ist das ausreichend.

            • Stefan Sasse 26. April 2021, 12:49

              Zur Klarstellung: ich behaupte nicht, dass Staatsschulden „gar kein Problem“ seien.

  • cimourdain 26. April 2021, 22:37

    Hier ein ‚erste Hand‘-Quelle ein Interview zum Thema:
    https://www.heise.de/tp/features/Sahra-Wagenknecht-Was-wir-einfordern-muessen-ist-echte-Gleichbehandlung-6028198.html
    Knackigster Satz in meinen Augen: „Und Debatten, in denen Privilegierte dem Rest der Gesellschaft vorschreiben, wie er zu reden, zu denken und zu leben hat, sind alles, aber nicht links.“

    • Floor Acita 27. April 2021, 08:04

      Aber genau das ist doch der Strohmann. Denn erstens ist eine Diskussion um Sprache nicht das Gleiche wie „dem Rest der Gesellschaft vorschreiben“ und zweitens, inwieweit privilegiert? Sie schlägt nach unten, tut aber so als schlage sie nach oben. Sie haut auf die einzigen Leute ein die noch weniger Privilegien haben wie die Leute auf die sie zielt. Auch Frauen arbeiten, auch Schwarze, Homosexuelle, trans gender. Warum kommt ihr bei diesen Gruppen nur das Bild ökonomisch privilegierter Vertreter in den Sinn? Als wären „einfache Leute“ per Definition weiss, männlich, hetero, cis..?

      • Stefan Sasse 27. April 2021, 09:03

        Genau mein Punkt auch.

      • Stefan Pietsch 27. April 2021, 09:12

        Wieso werden Identity Policies, Cancel Culture, Gendersprache ausschließlich im akademischen Bereich gepflegt, wo sie auch entstanden sind? Gibt es da besonders viele Unterprivilegierte?

        • Floor Acita 27. April 2021, 09:51

          Die von ihnen liebevoll Minderheitenthemen genannten Forderungen wurden von schwarzen Frauen der amerikanischen working class entwickelt und unter Aktivisten diskutiert. Sie sind erst nach und nach in die -von Ihnen vor kurzem noch gelobten- Sozialwissenschaften eingedrungen.

          Die von Ihnen hier verwendeten Begriffe werden schon seit längerem hauptsächlich von Kritikern als Kampfbegriffe verwendet, nicht von Vertretern entsprechender policies selbst.

          • Stefan Pietsch 27. April 2021, 10:34

            Nicht wirklich.

            Die Identity Politics gingen aus der Black Power-Bewegung hervor, der es um mehr Rechte und Gleichbehandlung von Afroamerikanern ging. Der Gründer war mit Richard Wright ein gebildeter Mann. Weder Working Class noch Frau. Alles falsch. Black Power ist eine Organisation von Männern gewesen.

    • Floor Acita 27. April 2021, 08:52

      Ich habe das Interview jetzt in Gänze gelesen. Ich kann der ersten Hälfte in weiten Teilen zustimmen, definitiv ihrem gezeichneten Ziel. Aber sie begeht genau den Fehler den sie nominell ihrem Gegenüber vorwirft. Sie überspitzt und neigt dadurch zum Strohmann. Niemand sagt, dass verletzende Sprache zu benutzen dasselbe ist wie ‚alle N-words‘ abschlachten oder Juden vergasen zu wollen. Wenn man es aber Ernst damit meint, dass gesellschaftliche Minderheiten, zumindest sofern sie Angehörige der sozialen Klasse sind auf die man zielt, Teil der Koalition sein sollen (nicht nur ‚um die man sich kümmern‘, ‚die man einbinden‘ will), dann muss man sich auch ernsthaft mit tiefsitzenden Vorurteilen, Stereotypen auseinandersetzen und ja auch mit eigenen Privilegien, der Tatsache, dass es anderen vielleicht noch schlechter geht, dass diesen zusätzliche Hürden auferlegt sind, noch mehr kämpfen müssen. Das hat absolut nichts mit ‚Spaltung‘ zu tun, sondern einfach darum die Vielschichtigkeit anzuerkennen. Natürlich kenne auch ich viele Leute die „nie im Leben die Zeit hatten, Seminare in wokem Sprachgebrauch zu besuchen, so reden, wie sie es gelernt haben, ohne irgendeine böse oder herabsetzende Absicht“. Und es wäre fatal diese fehlende Absicht nicht anzuerkennen, aber genauso ist es notwendig sich damit auseinanderzusetzen, dass solche Sprache eben dennoch verletzend sein kann. Ein Kind das aus Wut gegen einen Stein im Gebirge tritt will sicher keine Lawine, erst Recht nicht alles was wiederum daraus resultiert, auslösen. Dennoch ist es notwendig diesen Zusammenhang zu verstehen / sich mit der Tatsache auseinanderzusetzen.

      Das gilt im Übrigen auch für FfF. Hier begehren Jugendliche auf, die einfach verzweifelt sind, die Ihre Zukunft gefährdet sehen. Anstatt sich mit denen auseinanderzusetzen, sie als mögliche Alliierte zu begreifen -was ist eigentlich mit dem immerhin einen Drittel, dass nicht aus gehobenen Verhältnissen kommt?- baut man sie zu Feindbildern auf. Ja, Leute sind zu einem bestimmten Lebensstil gezwungen, wenn der aber dennoch nicht nachhaltig ist, muss man sich Gedanken machen wie man beiden Ansprüchen gerecht wird.

      Ja, auch ‚die andere Seite‘ Minderheiten Aktivisten, FfF usw machen Fehler, bedenken ökonomische Fragen zu wenig etc. Aber gegenseitig Vorwürfe zu machen bringt niemanden weiter, ich erwarte, dass man nach gemeinsamen Lösungen sucht, Gesprächsangebote macht und auf Sprache verzichtet die Rassisten, Sexisten und Homophoben den Eindruck vermitteln kann ihre Haltungen diesbezüglich seien OK, die polarisiert und nahelegt Veränderung diesbezüglich sei gar nicht möglich…

      • Stefan Pietsch 27. April 2021, 09:10

        Das gilt im Übrigen auch für FfF. Hier begehren Jugendliche auf, die einfach verzweifelt sind, die Ihre Zukunft gefährdet sehen.

        Wer ist verzweifelt? Sie konnten kein besseres Beispiel finden um zu bestätigen, wie zutreffend Wagenknecht urteilt. Bei FfF engagieren sich fast ausschließlich Kinder aus gut situiertem Elternhaus, Kinder aus den besseren Gegenden der Städte, Kinder aus den Wohlstandsregionen der Welt. Kinder aus sozial prekären Verhältnissen finden sich dort nicht, in Schwellenländern und Entwicklungsregionen hat FfF praktisch keine Bedeutung, obwohl diese doch wesentlich mehr vom Klimawandel betroffen sind.

        Anders als mancher Medienbericht nahelegt, repräsentiert diese keineswegs eine ganze Generation klimabewegter junger Menschen. Nicht mal jeder Zweite (44 Prozent) der 19- bis 29-Jährigen findet die Gruppe „voll und ganz“ oder „eher“ unterstützenswert. Jeder Vierte sieht die Demonstrationen mit gemischten Gefühlen („teils/teils“), etwas mehr als jeder Fünfte (21 Prozent) lehnt sie sogar offen ab.
        https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/klima-energie-und-umwelt/umwelt-juengere-weniger-bereit-ruecksicht-aufs-klima-zu-nehmen-17055238.html

        Diese jungen Menschen bei FfF sind höchstens „verzweifelt“, weil sie nicht wissen, was echte Verzweiflung ist. Und: Es sind vor allem mittelalte und ältere Menschen, die sich für das Klima engagieren. Jüngere, so zeigen Studien, sind weniger bereit für die Bekämpfung des Klimawandels zu verzichten. Der psychologische Aspekt ist dabei ein ganz menschlicher: Sättigung. Wer 40, 50 Jahre alt ist und in Westeuropa oder Nordamerika lebt, hat seine materiellen Bedürfnisse weitgehend befriedigt. Er wendet sich mehr und mehr ideelen Bedürfnissen zu. Junge Menschen, gerade wenn sie nicht so saturiert aufwachsen, kennen das noch nicht. Sie wollen leben, sie wollen reisen, sie wollen sich etwas leisten.

        Sie verkleistern typische Trends, die es immer gegeben hat, zu einem politischen Anliegen, das Sie begeistert. Damit bestätigen Sie die Kernthese von Sahra Wagenknecht, Sie widerlegen sie nicht.

        • Floor Acita 27. April 2021, 09:47

          Ich habe von deren subjektiver Wahrnehmung gesprochen, sie machen sich Sorgen um die Umwelt / ihre Zukunft, das tun junge Menschen nunmal. Und nochmal zur Zusammensetzung, selbst wenn es nur 1/3 ist, sind diese Menschen nicht einfach vernachlässigbar…

          • Stefan Pietsch 27. April 2021, 10:39

            Elegant alle Einwände umkurvt. Wieso sind besonders Wohlstandskinder „verzweifelt“ (Ihre Wortwahl)? Warum tritt FfF besonders dort stark auf, wo die Menschen weniger vom Klimawandel betroffen sind als dort, wo es um Existenzen geht? Wieso engagieren sich überproportional Ältere und nicht, wie von Ihnen eingangs behauptet, Jüngere? Die 1/3 haben eine positive Meinung. Eine Meinung ist aber noch längst kein Engagement oder politische Position. Ich habe zu vielem auch eine positive Meinung. Wenn’s anders kommt, ist es aber dann auch in Ordnung.

            Also, bitte einfach den aufgezeigten (vermeintlichen?) Widersprüchen widmen. Sie wollten Wagenknecht widerlegen. Bisher haben Sie sie nur bestätigt.

            • Stefan Sasse 27. April 2021, 10:45

              Weil Menschen, deren Existenzen bedroht sind, nie protestieren und sich politisch engagieren. Deren Existenz ist nämlich bedroht, die haben keine Zeit für so was. War schon immer so, wird nie anders sein.

              • Stefan Pietsch 27. April 2021, 10:52

                Wurde FfF sozusagen als Interessenvertretung gegründet? Eine solche müsste ja zumindest mal vor Gründung und in der Gründungsphase mit Betroffenen gesprochen haben. Die Geschichte von FfF ist jedoch eine völlig andere.

                Es ist doch zu allen Zeiten das Gleiche: Einige fühlen sich zu Anwälten von Menschen berufen, die sie gar nicht gefragt haben.

                • Floor Acita 27. April 2021, 11:32

                  Ist deren Zukunft nicht gefährdet, leben die auf einem anderen Planeten? Sie vertreten sich selbst, ihre eigenen Interessen…

                  • Stefan Pietsch 27. April 2021, 11:51

                    Fragen Sie sie! Und machen sich nicht einfach zum Anwalt. Fragen Sie, was ihnen wichtig ist.

                    In Afrika stirbt jedes zweite Kind an Malaria. Im Jahr 2021! Meinen Sie nicht, es gibt da augenblicklich etwas drängendere Probleme als das Wetter im Jahr 2100? Gleichzeitig gibt es Medikamente gegen Malaria. Und einen Impfstoff. Während wir uns hier sorgen, dass 95jährige an Covid-19 sterben, haben in vielen Ländern des schwarzen Kontinents nicht mal 2jährige eine Lebenschance. Wenn wir hier so viel und so oft über die existenziellen Lebensgrundlagen wie sauberes Trinkwasser der Menschen reden, deren Anwälte manche sein wollen, dann fange ich an, die Ernsthaftigkeit abzunehmen.

                    Vorher nicht.

                • Stefan Sasse 27. April 2021, 14:27

                  Korrekt. Und diese Leute sind dann später große und gefeierte Visionäre.

            • Floor Acita 27. April 2021, 11:37

              Ich hab mich auf die Zusammensetzung bezogen, wenn 2/3 aus gehobenen Schichten kommen, sind 1/3 aus Arbeigermillieus.

              Sie haben den Strang aufgemacht. Ich lenke von gar nichts ab. Mir ging es darum auf FfF zuzugehen und habe explizit auf mögliche Kompromisse hingewiesen. Mir geht es darum die Leute nicht als Feindbilder / Konkurrenz aufzubauen, sondern ‚das gemeinsame zu suchen‘ was Wagenknecht ja angeblich will…

              • Stefan Pietsch 27. April 2021, 11:58

                Das war allein eine Umfrage zu der Einstellung zu FfF. Nicht mehr. Lediglich 6-8 Prozent der Bevölkerung sind Arbeiterschicht. Ein Drittel ist wesentlich mehr.

                Aber Sie haben gegen meine Einwände gar nicht anargumentiert: Während Sie behauptet haben, die jungen Menschen seien so verzweifelt, dass sie sich bei FfF engagierten, konnten Sie nicht dagegen an, dass das vor allem Kinder aus gutsituierten Kreisen sind und auch zu einem großen Teil Bürger, die das Tweenalter längst hinter sich gelassen haben.

                Warum ausgerechnet solche Mitmenschen besonders verzweifelt sein sollen, da konnten Sie beim Erschließen bisher nicht helfen. Können wir uns darauf einigen, dass die FfF-Aktivisten gar nicht so verzeifelt sind, sondern eben sich für etwas engagieren, so wie andere sich für Modellbau, fremde Kulturen und den Gartenbau engagieren?

        • CitizenK 27. April 2021, 09:50

          Soll heißen: FfF ist die Freizeitbeschäftigung verwöhnter Wohlstandskinder?

          „mehr und mehr ideellen Bedürfnissen…“
          Die haben Rückversicherer und Energiekonzerne nicht so.

          • Stefan Pietsch 27. April 2021, 10:40

            Ich habe in meinen jungen Jahren ehrenamtlich als Schiedsrichter gearbeitet. Und ich habe mich immer für Kinder engagiert. Ich wäre aber nie auf den Gedanken gekommen, dass das für alle eine Grundhaltung sein müsse.

  • CitizenK 27. April 2021, 09:59

    „die Zweckentfremdung von Kapital ist in diesen Bereichen eine schwere Straftat!“

    Was Scholz (egal wie man ihn sonst sieht) macht, ist vergleichbar mit einer genehmigten Kapitalerhöhung einer AG.

    Ach, und noch ein Argument: Schmalenbach empfiehlt statt dem Ist-Ist-Vergleich („Schlendrian-Vergleich“) den Soll-Ist-Vergleich:
    „Die Regierung verspricht 13.000 neue Stellen in der Pflege. Um so gut zu werden wie Dänemark, bräuchte man hierzulande jedoch eine halbe Million zusätzliche Pflegekräfte.“
    https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-05/pflegenotstand-jens-spahn-grosse-koalition-sofortprogramm?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com

    • Stefan Pietsch 27. April 2021, 10:29

      Was Scholz (egal wie man ihn sonst sieht) macht, ist vergleichbar mit einer genehmigten Kapitalerhöhung einer AG.

      Wie kommen Sie denn darauf? Es ist ein Zuschuss, so wie der Staat öfter Zuschüsse gewährt. Eine Kapitalerhöhung erhöht das Kapital, wie der Begriff schon sagt. Während Kapitalerhöhungen erfolgsneutral (Bank oder Forderung an EK) gebucht wird, verursachen die Bundeszuschüsse eine Ertragsbuchung: Bank (Forderung) an außerordentliche Erträge. Etwas völlig anderes.

      Okay, Sie stimmen mir offensichtlich zu, dass Olaf Scholz eine Pfeife ist, der nicht mal Auszahlungen unfallfrei hinbekommt und ständig Versprechen liefert, die er nicht einhält. Und Sie stimmen zu, dass die Hinderungsgründe vorgeschoben sind um das Versagen zu verschleiern. Dann sind wir uns schon mal einig.

      Warum Sie sich dieses Politikersprech zu eigen machen, müssen Sie mir aber noch erklären.

      • CitizenK 27. April 2021, 10:54

        Pardon, wieder mal verkürzt. Dass mir der Unterschied „Kapitalerhöhungen sind erfolgsneutral“ klar sind, hatte ich vorausgesetzt.

        Ich bezog mich ausschließlich auf den Aspekt, dass die genaue Verwendung der Mittel noch nicht explizit festgelegt ist. Was Sie ja mit großem Misstrauen erfüllt, was aber unserem „Vorstand“ Flexibilität ermöglicht. Scholz spielt ab Herbst keine Rolle mehr.

    • Stefan Pietsch 27. April 2021, 10:47

      Ach so, falls Sie den Kapitalerhöhungsvergleich auf die Verschuldung bezogen: Nein. Das EK ist nicht rückzahlbar, Schulden müssen getilgt werden. Und begangene Anleihen lösen weitere Verpflichtungen aus wie Mittelverwendung und Zinszahlungen. Eigenkapital nicht.

      Zudem verursachen Anleihenausgaben ggf. Vertrags- und Verfassungsverstöße. Alles keine Lappalien. Der strafrechtliche Aspekt bezieht sich auf das, was Sie gar nicht verhindern wollen: die Zweckentfremdung von anvertrautem Kapital.

      Okay, wir kommen hier nicht weiter, da Ihre Beweglichkeit der eines Felsbrockens ähnelt. Wir werden keine Einigung erzielen, dass sich der Staat, zu welchem Zweck auch immer, verschulden darf. Case closed.

      • CitizenK 27. April 2021, 11:04

        „Beweglichkeit der eines Felsbrockens“

        Sollten Sie nicht unterschätzen. Die Erderwärmung bringt die zunehmend in Bewegung. Erdrutschartige Veränderungen könnten manche lange gehegten „Gewissheiten“ unter sich begraben.

        • Stefan Pietsch 27. April 2021, 11:46

          🙂

          Wenn Sie sich nicht nur in einer Blase bewegen – wovon ich bei Ihrer Offenheit ausgehe -,dann werden Ihnen doch die Argumente gegen Staatsverschuldung dauernd begegnen. Die Pro- und Contra-Meinungen sind ja allesamt bekannt, da kommt nichts Neues hinzu. Wer etwas verändern will, wird als Erstes auf seine Gegner zugehen müssen, nicht das immer Gleiche um die Ohren schlagen.
          Ich kann mich auch nicht mit Geschäftspartnern, Kunden, Auftraggebern und Arbeitgebern setzen und sagen, ich will jetzt aber mal das und das. Beweg‘ Dich, erfülle meine Wünche! Ich muss Lösungen (gemeinsam) erarbeiten, welche die wesentlichen Punkte von beiden zusammenbindet. Das geht fast immer nur mit alternativen Lösungen, nicht mit den albekannten, einseitigen.

          Ich habe in Bezug auf Staatsschulden dazu ein Angebot gemacht (mit dem Vorschlag der Entschuldung sogar zwei). Dieses berücksichtigt nach meiner Einschätzung die wesentlichen Punkte beider Seiten. Doch das war damals und das scheint auch in der Debatte mit Ihnen uninteressant. Also lassen wir es.

    • CitizenK 28. April 2021, 07:53

      Nachtrag: Über das Programm Triple Win (Bundesagentur für Arbeit und GIZ) sind seit 2013 schon 2900 Pflegekräfte gewonnen worden. Es geht also, wenn man will – und Geld in die Hand nimmt für Sprach- und Qualifizierungskurse – und Wohnungen:
      https://www.arbeitsagentur.de/vor-ort/zav/triple-win/triple-win-pflegekraefte

      • Stefan Pietsch 28. April 2021, 08:37

        Jo, wow! Diese Beamten! Doll, was die leisten!

        Dennoch haben die Pflegeberufe nicht an Beliebtheit beim Nachwuchs eingebüßt, im Gegenteil: Im Jahr 2019 begannen 71 300 Menschen eine Ausbildung in einem Pflegeberuf, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt. Das waren 8,2 % beziehungsweise 5 400 mehr als ein Jahr zuvor. Rund 44 900 Menschen schlossen im vergangenen Jahr ihre Ausbildung in einem Pflegeberuf erfolgreich ab.

        https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/10/PD20_N070_212.html

        Also, allein in einem Jahr schlossen 45000 ihre Pflegeausbildung ab. Pflege ist ein starker Wachstumsberuf. Und dann kommen Sie um die Ecke und erzählen, was für eine superdupi Leistung es von staatlichen Stellen ist, in 6 Jahren 2900 Pflegekräfte durch teure Integrationsprogramme dazugewonnen zu haben, was eigentlich der Markt in viel größerer Zahl selbst erledigt. Genauso wie die Geschichte, der Pflegeberuf sei unbeliebt.

        Also so viele Geschichten vom Pferd muss ich erst verdauen.

        • CitizenK 28. April 2021, 08:55

          Hier am Uniklinikum ist man froh über JEDE Pflegekraft, Sie empathieloser Zyniker.

          • Stefan Pietsch 28. April 2021, 11:19

            Fakten sind zynisch? Empathielos sicherlich, da gehe ich mit. Aber doch nicht zynisch.

            Sie haben bei dem Thema zwei Kernthesen verbreitet: Der Job des Pflegers wäre unbeliebt und gering im Ansehen. Und man bekäme mehr Menschen nur in den Beruf, wenn der Staat dafür (viel) Geld in die Hand nehme, gerne auch durch Verschuldung.

            Beides ist anhand der objektiven Fakten falsch. Der Beruf sieht sich seit rund einem Jahrzehnt einem Zustrom ausgesetzt, wie ihn kaum eine andere Branche kennt. Das Ansehen ist hoch.

            Mein Problem mit Ihnen ist, dass Sie auch den kleinsten Bildausschnitt wählen, um die Leistungen des Staates hochzurechnen. Das war auch bei den Corona-Debatten so. Es ist immer so. Der Staat ist teilweise 5 Monate bei den Finanzhilfen für Unternehmen zu spät? Daran sind doch nur ein paar Betrüger schuld! Der Staat bewirbt eine App, die aufgrund der Datenschutzrestriktionen ihren eigentlichen Zweck nicht erfüllt? Die App wurde schließlich von Unternehmen entwickelt, die sich ja gerne mal hätten über die Datenschutzbestimmungen hinwegsetzen können!

            Seit 2013 sind über 2,1 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Davon ist es den Arbeitsagenturen gelungen, 2900 für den Pflegeberuf zu begeistern. Wahnsinn! Durch Sprachkurse und Wohnungen! Sprachkurse und Wohnungen stehen natürlich nur solchen Asylbewerbern zu, die anschließend eine Ausbildung zum Pfleger beginnen wollen.

            Den Erfolg, den Sie (wieder einmal) bejubeln, ist keiner. Das sind reine Zufallstreffer, die sich auch ohne jedes staatliche Wirken eingestellt hätten. Wer bei über 300.000 Berufsanfängern jubelt, dass davon 2900 allein durch Vermittlung der Agentur für Arbeit zustandegekommen seien, fällt auf jede Marketingaktion rein.

            • CitizenK 28. April 2021, 16:31

              Erstens geht es hier nicht um Flüchtlinge, sondern um ausgebildete Fachkräfte, die in ihrem Land oft arbeitslos sind. Die Scouts der Pflegedienstleiter reisen bis nach Bosnien (demnächst sogar nach Tunesien), ringen um jede einzelne Fachkraft. Würde der toller Markt diese Versorgung mit Fachkräften leisten, wäre dies sicher nicht nötig.

              Mein Beitrag war eine – sachlich gemeinte – Teil-Antwort auf Ihre höhnische Frage, wo die Pflegekräfte denn herkommen sollten. Auf der Notlage der Pflegeberufe (und der Patienten!) ein ideologisches Süpplein zu kochen – dafür sollten Sie sich nun doch zu schade sein.

              • Stefan Pietsch 28. April 2021, 19:04

                Ihre beiden Kernaussagen sind falsch. Das ist wichtig. Wir haben sicher keinen Bedarf von 20.000 oder gar 50.000 zusätzlichen ausländischen Pflegern. Ob Sie das nun zynisch oder höhnisch von mir empfinden, ändert daran nichts. Darüber hinaus liegen Zynismus und das Verhöhnen anderer nicht in meinem Naturell. Aber das nur am Rande.

                Es gibt Länder auf dieser Welt, dazu gehören Bosnien und erst recht Tuniesien, da können es Menschen sich nicht leisten, auch nur ein paar Monate arbeitslos zu sein. Das ist wieder so eine Behauptung von Ihnen, wo ich die Stirn runzele. Ich habe vor kurzem mal gesagt, ich würde es Ihnen abkaufen, wenn Sie mir von einem Einhorn berichten. Wenn aber Aussagen permanent nicht mit Plausibilitäten, Fakten und Daten in Einklang zu bringen sind, glaube ich eben die Einhorngeschichte immer weniger.

                Ich habe Sie monatelang gefragt, wo Sie die anscheinend unendliche Ressource Mensch hernehmen wollen und Sie haben nie geantwortet. Offensichtlich hatten Sie keinen Plan für die Frage, die Sie selbst aufgerissen haben. Klar, im Wechsel kommen ja nur die Antworten „mehr Geld“ und „mehr Beschäftigte“. Was auch sonst?

                Offensichtlich sich entgegenstehende Informationen kleistern Sie zielsicher mit einem Übermaß an Gefühligkeit zu: „Notlage!“ „Helfen!“ Kritisches Denken, so wie ich es mal gelernt habe, beginnt nicht, gegen die Mächtigen zu sein. Oder gegen Rechts, oder Unternehmen, wie Linke, zu denen ich Sie hier gerne subsummiere, meinen. Kritisch bedeutet, sich mit Widersprüchen auseinanderzusetzen.

                Da haben Sie auf der einen Seite eine Einrichtung, die über wenig Pflegepersonal klagt. Und dann haben Sie dank mir (nein, Sie finden so etwas erstaunlich selten) die Information, dass im letzten Jahrzehnt besonders viele den Beruf ergriffen haben. Statt der Frage nachzugehen, wie das zusammenpassen kann, kommen Sie mit „Notlage!“. Was war dann vor 10 Jahren?

                Und noch eins: Ihre offensichtliche Phantasielosigkeit führt in eine beängstigende Zukunft. Eine Zukunft, wo wir ein Volk von Dementen, Pflegebedürftigen sind. Wir altern so schnell wie kaum eine andere Gesellschaft auf diesem Erdball. Die Idee der Phantasielosen ist, dann müssen wir dafür besonders viele Pfleger beschaffen (womit wir das in 20 Jahren bezahlen sollen, beantworten Linke auch mit einer Standardantwort: mit dem Geld der Reichen).

                Sie scheint die Vision von Millionen Menschen, die in Pflege- und Altenheimen leben, Löffel mit Essen in den Mund geschoben bekommen und allein wegen der schieren Menge mit Psychopharmaka stillgehalten werden, nicht zu ängstigen. Ist keine Notlage, is‘ klar.

                Ich würde öffentliches Geld gerne besser investiert sehen. Deswegen bin ich ja Liberaler und Sie Linker mit Standardantworten.

                • CitizenK 28. April 2021, 22:14

                  Hier, lesen Sie selbst:
                  „…eine von rund 200 ausgebildeten Pflegekräften, die das Universitätsklinikum innerhalb von vier Jahren aus dem europäischen Ausland angeworben hat. In keinem anderen Bereich des Klinikums arbeiten so viele Menschen wie in der Pflege, und es mangelt bekanntlich an Personal*, weshalb sich das Uniklinikum ebenso wie andere Heidelberger Krankenhäuser seit einiger Zeit auch außerhalb der Landesgrenzen nach Mitarbeitern umschaut

                  „Das Klinikum wächst, und mit eigenen Auszubildenden können wir unseren Bedarf nicht decken“, erzählt ….stellvertretender Pflegedienstleiter … und er ist mit einem Team von vier Leuten auch dafür zuständig, Pflegepersonal im Ausland zu rekrutieren. Er sucht dann vor Ort nach Mitarbeitern …nach Pflegekräften mit einem Abschluss.“

                  *Zitat aus der Sendung von Joko & Klaas:

                  *Der Bielefelder Intensivpfleger Ralf Berning wies auf die andauernde Überbelastung hin. Er kenne Leute, die 23 Tage am Stück arbeiteten, das sei „völlig unmenschlich“. Er sei lange Soldat gewesen und ginge lieber wieder nach Afghanistan, als noch einmal so etwas Schlimmes zu erleben wie etwa während der zweiten Corona-Welle im Herbst.

                  Quelle: Rhein-Neckar-Zeitung vom 28. April 2021

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