Der Abgang der Steuerfahnder und die Frage nach No-Tax-Areas

Der Wechsel aus dem öffentlichen Dienst in ein Angestelltenverhältnis bei einem Unternehmen ist ein nicht alltäglicher Vorgang. Beamte gelten nicht gerade als das Ideal für den gesuchten Workaholic, der in seiner Arbeit aufgeht und effizient seine Aufgaben erledigt. Nun haben die veränderteren Karrierepläne zweier Steuerfahnder sogar die Bundespolitik auf den Plan gerufen, von politisch motiviertem Mobbing und Gefälligkeiten an Steuerhinterzieher ist die Rede. Der Vorwurf geht an die neue Landesregierung in Nordrhein-Westfalen aus CDU und Liberalen, die ohnehin einer großen Wirtschaftsnähe verdächtig sind. Seit der Wahl im Mai 2017 habe der Eifer, Steuerkriminelle dingfest zu machen, spürbar nachgelassen. Als Symbol dafür gilt die Zerlegung der legendären Steuerfahndungsgruppe in Wuppertal, wo nun zwei Beamte die Seiten wechseln.

Bereits Ende 2017 kündigten Sandra Höfer-Grosjean und Volker Radermacher ihr Dienstverhältnis mit dem Land NRW und wechseln Ende Februar zur Steuer- und Rechtsberatung Deloitte Legal. Die beiden Führungskräfte waren durch den regelmäßigen Aufkauf von sogenannten Steuer-CDs bekannt geworden, die Finanzdaten über Auslandskonten von deutschen Bürgern enthielten. Die vorherige rot-grüne Landesregierung hatte mit dem Finanzminister Norbert Walter-Borjans den Erwerb solcher Daten zu einem regelrechten Geschäftsmodell gemacht, um wohlhabende Steuerhinterzieher zum Wohle der Staatskasse dingfest zu machen. Auf diese Weise flossen dem Landeshaushalt in den vergangenen Jahren kleinere Milliardenbeträge zu. Doch zu spektakulären Verurteilungen kam es nicht, noch wurde der Haushalt saniert. Bojans verabschiedete sich mit einem riesigen Defizit in den politischen Ruhestand.

Der Aufkauf von illegal erworbenen Bankdaten durch den Staat blieb von seinen Anfängen in den Nullerjahren bis heute stets hoch umstritten. So umstritten, dass selbst der Bund sich an dem Handel zuletzt nicht mehr beteiligen wollte, während der SPD-Finanzexperte bis zu seinem letzten Arbeitstag als Finanzminister nicht von der Hehlerware lassen wollte. Meist saugten enttäuschte IT-Fachleute die Bankdaten bei ihrem Arbeitgeber ab, um sich mit den durch Bruch von Vertraulichkeitsbestimmungen und Arbeitsvertrag erworbenen Daten selbst zu bereichern. Ein Verhalten, dass in jedem anderen Fall vor jedem Arbeitsgericht eine fristlose Kündigung gerechtfertigt hätte, wurde durch staatliche Stellen gefördert und die Datendiebe zu Millionären gemacht.

Doch der intensive Informationsaustausch zwischen den OECD-Staaten und eine hohe Quote von Selbstanzeigen seit dem Auftauchen der Steuer-CDs haben den Markt für solche Formen der staatlich geförderten Hehlerei ausgetrocknet, spektakuläre Funde waren zuletzt nicht mehr zu vermelden. Da mussten schon die Durchstechereien der sogenannten Paradise Papers zum Skandal herhalten. Diese hatten allerdings einen gravierenden Nachteil: im Grunde enthielten die Leaks nur private und vertrauliche Finanzdaten von Prominenten über legale Geschäfte. Die Öffentlichkeit kümmerte dies jedoch wenig, über die illegalen Machenschaften der Datendiebe wurde nicht diskutiert.

Es ist schon erstaunlich, wenn politische Schichten, die sich über Datenkraken wie Google, Amazon und Facebook erregen können und bei jedem neuen Sicherheitsgesetz die Ausspähung unschuldiger Bürger befürchten, so gar nichts dabei finden, wenn wohlhabende Menschen an den Pranger von Medien, Twitter und Social Networks gestellt werden. Dabei verpflichtet die deutsche Abgabenordnung die Bürger nur, sämtliche relevanten Informationen offenzulegen, die für eine ordnungsgemäße Besteuerung erforderlich sind. Daten und Informationen, die nicht erforderlich sind, dürfen verschwiegen werden. Dabei kennt das Gesetz auch keine Umkehrung der Beweislast, dass nämlich der Steuerzahler nachweisen müsste, dass Informationen vorenthalten werden, die einen steuerlichen Sachverhalt begründen.

Es ist daher für rechtsstaatlich denkenden Menschen mehr als verstörend, wenn der Steuerstaat sich anmaßt, sozusagen prophylaktisch geheuerte IT-Leute dafür zu bezahlen, dass sie sich arbeitsvertragswidrig und den Fiskus in den Besitz von Daten bringen, die ihn zumindest teilweise nicht das Geringste angehen. Die Steuerfahndung Wuppertal spielte in diesem halbseidenen Handel eine höchst umstrittene Rolle. Von den einen verehrt, von den anderen breit gefürchtet, hatten sich die NRW-Beamten darauf spezialisiert, die Steuerdaten von Millionen Bürgern ohne Anlassverdacht abzugleichen. Große Bekanntheit erlangte die Abteilung des Düsseldorfer Finanzministeriums, als am 14. Februar 2008 der Postchef Klaus Zumwinkel wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung in Millionenhöhe vor laufenden Fernsehkameras abgeführt wurde. Zumwinkels Bilderbuchkarriere war auf einen Schlag beendet, das Verfahren endet mit einer zweijährigen Bewährungsstrafe.

Dabei unterliegen Einkommensreiche schon lange einem hohen Entdeckungsrisiko. In den Nullerjahren wurden die Einkommensteuererklärungen bereits in Risikoklassen nach Höhe eingeteilt, wobei sechsstellige Einkommen einer genauen Prüfung unterlagen. Seit 2010 werden die Prüfungen computergestützt mit dem bundeseinheitlichen Risikomanagementsystem (RMS) durchgeführt. Für die höchste Risikoklasse 1, unter die alle hohen Einkommen fallen, ist eine Vollprüfung vorgeschrieben, nicht selten verbunden mit einer Außenprüfung der zuständigen Oberfinanzdirektion (OFD). Ein durchschnittlicher Arbeitnehmer dagegen landet meist im Risikotopf 3 und läuft praktisch keinem Risiko, überhaupt geprüft zu werden. Einigermaßen geschickt angestellt, unterliegen Betrüger in diesem Bereich keinem Entdeckungsrisiko.

Die Opposition im Düsseldorfer Landtag empfindet den Abgang der profilierten Steuerexperten dennoch als Gezeitenwechsel und Verneigung vor den Reichen und Mächtigen im Land. Da hilft es auch nichts, dass zwischenzeitlich der von der CDU gestellte Finanzminister Lutz Lienenkämper versicherte, die Strategie des systematischen Datenaufkaufs fortsetzen zu wollen. Der Abgang von Sandra Höfer-Grosjean und Volker Radermacher gilt als Hypothek. Dabei scheiterten die ehrgeizigen Beamten weniger an ihrem Dienstherrn als an den anachronistisch anmutenden Beförderungs- und Besoldungsvorschriften des öffentlichen Dienstes.

Als der frühere Leiter des Wuppertaler Finanzamtes, Peter Beckhoff, 2017 in Pension ging, übernahm Höfer-Grosjean kommissarisch die Leitung. Der bis dahin amtierende Finanzminister Norbert Walter-Borjans hatte die vorläufige Beförderung noch durchgesetzt. Der endgültige Aufstieg der hoch kompetenten Steuerexpertin scheiterte jedoch an ihren fehlenden Dienstjahren und fehlender Erfahrung in der Führung einer Behörde. Die Stelle wurde formal ausgeschrieben, Höfer-Grosjean bewarb sich nicht. Seit Jahresbeginn wird das Wuppertaler Finanzamt von Michael Schneiderwind geführt.

Angesichts der tatsächlichen Verhältnisse ist auch der politische Lautsprecher Borjans ziemlich kleinlaut geworden.

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  • Erwin Gabriel 4. März 2018, 08:30

    Lieber Stefan P.,

    vielen Dank für den kleinen Blinzler hinter die Kulissen. Ich vermisse aber eine Lehre, Schlussfolgerung, Meinung oder Beurteilung.

    Daumendrückende Grüße nach Köln
    E.G.

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